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Full text of "Jahrbuch für Kinderheilkunde"

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DEPOSITED  IN 

Boston  Medical  Library, 

'  BY  THE 

PUBLIC  LIBRARY  OF  THE 
CITY  OF  ECSTON. 


Boston 
Medical  Library 

8.  TtTTi  TinMWAY 


r 


JAHRBUCH 

FÜR 

KINDERHEILKUNDE 

UND  PHYSISCHE  EKZIEHUNG 

Herausgegebea  von 

Prof.  BItdtrt  in  StraMburg  i.  £.,  Proi.  Blni  in  Bonn,  Prof.  v.  Bdkfty  in  Budapest,  Prof.  Cttray  in 
Breslau,  Dr.  ElttBtOhltt  in  Wien,  Prof.  A.  Eptttln  in  Prag,  Dr.  Erött  in  Budapest,  Prof.  EtOhtrIth 
in  Wien,  Prof.  FftlkeBhtln  in  Königsberg,  Dr.  F«er  in  Basel,  Prof.  R.  FItOhl  in  Prag,  Dr.  K.  FoltftBOk 
in  Wien,  Prof.  aingilOfBer  in  Prag,  Dr.  H.  SBlBdlnger  in  Wien,  Prof.  E.  Hagenbaoll-Burok- 
hardt  in  Basel,  Prof.  Heanlg  in  Leipzig,  Prof.  Heaaoil  In  Dresden,  Prof.  HeabBtr  in  Berlin,  Prof. 
Hireoheprung  In  Kopenhagen,  Prof.  A.  Jaoabl  in  New-York,  Prof.  v.  Jaktoh  in  Prag,  Prof. 
JohaBaaatea  in» Kristiania,  Prof.  Kattowitl  in  Wien,  Prof.  Kohte  in Stratsburg,  Prof.  Pfaaaditr 
in  Grax,  Dr.  Emil  Pfalffar  in  Wiesbaden,  Prof.  H.  V.  Ranke  in  München,  Dr.  C  Rauohfatt  in 
St.  Petcraburg,  Dr.  H.  Reha  in  Frankfurt  a.  M.,  Prof.  A.  Seeligmneller  in  Halle,  Dr.  Seibert  in 
New-York,  Prof.  Seltl  in  München,  Prof.  SIegert  in  Köln,  Prof.  Seltmana  in  Leipaig,  Dr.  A.  Steffen 
in  Stettin,  Prof.  Stoeltiner  'in  Halle,  Prof.  StOOte  iu  Bern,  Dr.  Siontagh  in  Badapest,  Prof. 
Thonat  in  Freiburg  i. Dr.,    Ot,  Uamll    in   Dresden,    Dr.  Unterhelmer  in  Wien,  Prof.  VIererdt  in 


j  Heidelberg  und  Prof.  Wyee  in  Zürich. 

I  unter  RodaktioQ  vop 

,  O.  Heubner,  A.  Steffen,  Th.  Escherich.     ^^ 


61.,  der  dritten  Folge  11.  Band. 


Mit  10  Tafeln,  zahlreichen  Tabellen,  graphischen  Darstellungen 
and  Abbildungen  im  Text. 


Berlin  1905. 

VERLAG  VON  S.  KARGER 

KARLSTRASSB  ij. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Gedrucki  bei  ImberRA  Lefson  In  KerUQ.\\ 


Inhalts- Verzeichnis. 


Orlgrlnal-Arbelten. 

Bartenstein,    L.,    Beiträge    zur    Frage    des    kunstlichen 

Morbus  Barlow  bei  Tieren 6 

Czerny,  Ad.,  Zum  lO jährigen  Bestände  der  Universitäts- 
Kinderklinik  zu  Breslau 1 

Die  exsudative  Diathese 199 

Ebert,    Max,    Ein  Beitrag  zur  Bekämpfung    der  grossen 

Säuglingssterblichkeit 600 

Escherich,  Th.,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen 

Pädiatrie  (Hierzu  Taf.  VII) 241 

Frenkel,  H.  S.,  und  Langstein,  L.,    Ueber  angeborene 

familiäre  Hypoplasie  des  Kleinhirns 780 

Freund,  W.,    Zur  Wirkung   der  Fettdarreichung  auf  den 

Säuglingsstoffwechsel 36 

—  —  Bemerkungen  zu  der  Arbeit  von  P.  Reyher,  Ueber 

den  Fettgehalt  der  Frauenmilch 900 

Galatti,  D.,  Zur  Charakteristik  der  akuten  nicht  pustulösen 

Exantheme  und  ihrer  Mischformen 845 

Goeppert,    F.,    Drei  Fälle  von  Pachymeningitis  haemor- 

rhagica  mit  Hydrocepfaalus  externus 51 

Heubner,    O.,    Ein    weiterer  Beitrag    zur    Kenntnis    der 

Energiebilanz  beim  Säugling 429 

Zusatzbemerkung    zu    der    Arbeit    von  Weyl,    Zur 

Kenntnis  des  Meningococcus  intracellularis   ....       399 

Hippius,A.,  Biologisches  zur  Milchpasteurisierung.  (Hierzu 

Taf.  III— VI) 365 

Hougardy,  A.,  und  Langstein,  L.,  Stoffwechselversuch 

an  einem  Fall  von  infantilem  Myxödem 633 

Hüssy,    A.,    Lähmung    der    Glottiserweiterer    im    frühen 

Kindesalter 64 

Kaliski,    J.,    und    Weigert,    Rieh.,    Ueber    alimentäre 

Albuminurie 85 

Kraus,  B.,  Bemerkungen  zu  ^Beitrag  zur  Serumbehand- 
lung der  Diphtherie"    von    Dr.  S.   Schön-Ladniewski       775 

Langstein,  L.,  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  hämor- 
rhagischen Erytheme  im  Kindesalter.  (Hierzu  Taf.  YIII)       624 

und  Meyer,  Ludwig  F.,  Die  Acidose  im  Kindes- 
alter.    I.  Mitteilung 454 

und  Steinitz,  F.,  Die  Kohlenstoff-  und  Stickstoff- 
ausscheidung durch  den  Harn  beim  Säugling  und 
älteren  Kinde 94 

—  —  8.  Frenkel  u.  L. 

—  —  8.  Hougardy  u.  L. 

Lövegren,  Elis,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior 

acuta  und  subacuta  s.  chronica.  (Hierzu  Taf.  I  und  II)       269 

Meyer,  Ludwig  F.,  Zur  Kenntnis  der.Acetonurie  bei  den 

Infektionskrankheiten  der  Kinder 438 

—  —  s.  Langstein  u.  M. 


—    IV    — 

Misch,  Peter,  Zur  Kenntuis  des  periodischen  Erbrechens 

im  Kindesalter 532 

Moro,  Ernst,  Morphologische  und  biologische  Unter- 
suchungen   über    die    Darmbakterien    des    Säuglings. 

(Hierzu  Tat  IX— X) 687,  870 

Neurath,  B.,  Klinische  Studien  über  Poliomyelitis  .  .  742 
Orgler,  A-,  Ueber  Entfettungskuren  im  Kindesalter  .  .  106 
Quest,  R.,    Ueber    den  Kalkgehalt    des  Säuglingsgehirns 

und  seine  Bedeutung 114 

Key  her,  P.,  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrungs-  und 

Energiebedürfnis    des    natürlich    ernährten  Säuglings       653 

Ueber  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch 601 

—  —  Erwiderung^  auf   die  Bemerkungen  W.  Freunds  zu 

R.s  Arbeit   Über  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch     .       902 
Bietschel,  Hans,  Zur  Kenntnis  des  Kreatininstoffwechsels 

beim  Säugling 615 

Salge,  B.,  Immunisierung  durch  Milch 486 

Schick,    B..,     Die    diagnostische    Tuberkulinreaktion    im 

Kindesalter 811 

Schütz,  A.,  Zur  Kenntnis  der  natürlichen  Immunität  des 

Kindes  im  ersten  Lebensjahre 122 

Steinitz,  F..  und  Weigert,  Richard,  Ueber  Deminerali* 

sation  und  Fleischtherapie  bei  Tuberkulose  ....       147 

s.  Langstein  u.  St. 

Stirnimann,  F.,  Tuberkulose  im  ersten  Lebensjahre  .  .  756 
Tada,.G.,  Beitrag  zur  Frage  der  Thymushypertrophie  .  162 
Thiemich,  M.,  Ueber  die  Herkunft  des  fötalen  Fettes  174 
Weigert,  R.,  Ueber  den  Einfluss   der  Ernährung  auf  die 

chemische  Zusammensetzung  des  Organismus    .     .     .       178 

s.  Kaliski  u.  W. 

s.  Steinitz  u.  W. 

Weyl,  B.,  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Meningococcus  intra- 

cellularis 385 

Zappert,  JuL,    Ueber   paradoxes  Schwitzen  beim  Kinde       735 

Oesellschaftsberlehte« 

Bericht  über  die  3.  Versammlung  der  Vereinigung  süd- 
deutscher Kinderärzte  am  11.  XII.  1904  zu  Frank- 
furt a.  M.     . 657 

Vereinigung      niederrheinisch  -  westfälischer     Kinderärzte. 

19.  Sitzung  am  13.  XI.  1904  zu  Köln 659 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin  und 
Kinderheilkunde  in  Wien  (Pädiatrische  Sektion). 
1.  bis  8.  Sitzung.  Bericht  von  Doz.  Dr.  Moser 
in  Wien 400 

Literatupbepicht       222,  409,  538,  662,  786,  905 

Besppechungren 238,  427,  548,  684 

Notizen 240,  428,  686 

Richard  Förster  t 808 


Aas  der  Universitäts- Kinderklinik  in  Breslau. 
I. 

Zum  10jährigen  Bestände  der  Universitäts-Kinder- 
klinik zu  Breslau. 

Von 
Professor  AD.  CZERNY. 

Die  Universitäts- Einderklinik  zu  Breslau  wurde  vor  zehn 
Jahren,  am  5.  November  1894,  eröffnet.  In  einem  Wohnhause, 
nahe  den  übrigen  Kliniken,  war  ein  Stockwerk  gemietet  und  mit 
den  allernotwendigsten  Utensilien  ausgestattet  worden,  um  zu- 
nächst den  Betrieb  einer  Poliklinik  für  kranke  Kinder  einleiten 
zu  können.  Vorher  besass  Breslau  kein  staatliches  Lehrinstitut 
für  Pädiatrie.  Es  war  wohl  ein  Dozent  vorhanden;  dieser  war 
aber  gezwungen,  an  einem  armselig  ausgestatteten  Hospitale,  ohne 
staatliche  Subvention,  seine  Vorlesungen  abzuhalten.  Unmittel- 
baren Anstoss  zur  Errichtung  einer  Kinderklinik  gab  die  Ab- 
berufung dieses  Dozenten  (Professor  Soltmann)  von  Breslau 
nach  Leipzig. 

Um  keine  Zeit  zu  verlieren,  wurde  bald  nach  der  Er- 
öffnung der  Poliklinik  zunächst  ein  kleines  Gebäude  als 
provisorischer  Unterkunftsort  für  die  Kinderklinik  eingerichtet, 
und  sieben  Jahre  später  konnte  der  aus  Staatsmitteln  ge- 
schaffene Neubau  bezogen  werden,  der,  wenn  auch  im  be- 
schränkten Umfange,  alle  Hilfsmittel  umfasst,  welche  zu  einem 
modernen  Anforderungen  entsprechenden  Unterrichte  in  der  Kinder- 
heilkunde erforderlich  sind. 

Was  dies  für  Hilfsmittel  sind,  will  ich  im  folgenden  kurz 
besprechen,  da  zur  Zeit  darüber  noch  keine  einheitliche  Meinung 
besteht: 

Die  Kinderheilkunde  ist  ein  Teil  der  inneren  Medizin.  Eine 
Kinderklinik  muss  auch  dementsprechend  über  dieselben  Lehr- 
mittel verfügen,  wie  eine  Klinik  für  innere  Medizin,  und  diese 
sind  Poliklinik,  Klinik,  Laboratorien  und  Hörsaal.     Es  gibt  auch 

Jahrbacb  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.  Heft  i.  1 


2  Czerny,  Zam  lOj&hrigen  Bestände 

Kinderkliniken,  welche  chirurgische  und  orthopädische  Abteilungen 
besitzen,  und  die  französischen  Ärzte  erkennen  sogar  eine 
Chirurgie  infantile  an.  Aus  wissenschaftlichen  Gründen  lässt 
sich  die  Berechtigung  letzterer  bisher  nicht  erweisen.  Für  die 
Entwicklung  der  Einderheilkunde  erscheint  es  mir  geradezu  not- 
wendig, die  Orthopädie  und  Chirurgie  aus  den  Kinderkliniken 
auszuschliessen.  Nach  meinen  eigenen  Beobachtungen  auf 
Studienreisen  habe  ich  den  Eindruck  gewonnen,  dass  die 
technischen  Fertigkeiten  dem  Anfanger  stets  wichtiger  erscheinen, 
als  gründliches  medizinisches  Wissen.  Soll  für  letzteres  Interesse 
grossgezogen  werden,  dann  ist  dies  am  besten  dadurch  zu  er- 
reichen, dass  man  sich  in  den  Kinderkliniken  nur  auf  die  un- 
vermeidliche kleine  Chirurgie  beschränkt  und  grössere  operative 
Eingriffe  oder  orthopädische  Behandlungen  den  chirurgischen 
Kliniken  überlässt. 

Dementsprechend  ist  die  Breslauer  Kinderklinik  lediglich  als 
eine  medizinische  Klinik  eingerichtet.  Dieser  Standpunkt  drängt 
jedem  die  Frage  auf:  wo  ist  denn  die  Grenze  zwischen  Kinder- 
heilkunde und  innerer  Medizin?  Die  Kindheit  schliesst  ab  mit 
dem  Eintritt  der  Pubertät.  Es  liesse  sich  damit  leicht  ein  An- 
haltspunkt für  die  Trennung  der  Kranken  erreichen.  So  kann 
und  darf  aber  in  der  Praxis  nicht  vorgegangen  werden,  wenn 
zwischen  Internisten  und  Pädiatern  das  notwendige  Einver- 
ständnis und  Zusammenwirken  erhalten,  oder  wo  es  noch  fehlt, 
erst  erzielt  werden  soll.  Die  Hauptaufgabe  der  Pädiater  ist  und 
bleibt  das  Studium  der  Physiologie  und  Pathologie  des  Kindes 
der  ersten  2  Lebensjahre.  Dieses  Kapitel,  dessen  Wichtigkeit 
kein  Internist  in  Abrede  stellen  wird,  war  offenbar  nur  aus 
äusseren  Gründen  in  den  medizinischen  Schulen  vernachlässigt 
worden.  In  den  meisten  Krankenhäusern,  früher  leider  auch  in 
manchen  Kinderhospitälern,  durften  Kinder  unter  2  Jahren  gar- 
nicht  oder  nur  ausnahmsweise  aufgenommen  werden. 

Eine  Kinderklinik  muss  so  eingerichtet  sein,  dass  sie  in 
erster  Linie  Kinder  der  ersten  2  Lebensjahre  aufnehmen  kann. 
Eine  sogenannte  Säuglingsstation  darf  nicht  ein  Appendix,  sondern 
soll  der  wesentlichste  Teil  einer  Kinderklinik  sein. 

In  diesem  Sinne  ist  von  Anfang  an  die  Breslauer  Kinder- 
klinik eingerichtet  worden.  Es  wird  vielleicht  manchen,  der  sich 
für  die  Entwicklungsgeschichte  der  Kinderkliniken  in  Deutsch- 
land interessiert,  freuen,  zu  erfahren,  dass  die  Klinik  stets  über 
Ammen  verfügte,  sodass  es  möglich  war,  natürlich  und  künstlich 


der  Universitäts-Kinderklinik  zu  Breslau.  3 

:geDährte  Säuglinge,    gesunde    und    kranke  Kinder  nebeneinander 
zu  beobachten. 

Abgesehen  von  den  Kindern  der  ersten  2  Lebensjahre, 
müssen  auch  ältere  in  einer  Kinderklinik  Aufnahme  finden 
können.  Denn  die  vielen  pathologischen  Prozesse,  welche  mit 
dem  Namen  „Kinderkrankheiten^  genügend  charakterisiert  sind, 
bilden  die  zweite  Lehraufgabe  einer  Kinderklinik.  Auf  diesem 
•Gebiete  werden  sich  stets  Internisten  und  Pädiater  begegnen.  Es 
wird  aber  bei  guter  Absicht  immer  leicht  sein,  die  richtigen 
Grenzen  innezuhalten.  Den  Internisten  wird  ab  und  zu  ein 
jüngeres  Kjnd  interessieren,  und  er  wird  dasselbe  zur  Behandlung 
und  Beobachtung  aufnehmen.  In  ähnlicher  Weise  kann  zeitweilig 
wissenschaftliches  Interesse  den  Pädiater  veranlassen,  selbst 
Kinder,  welche  nahe  dem  Pubertätsalter  sind,  aufzunehmen.  Im 
allgemeinen  wird  es  als  Grundsatz  gelten  müssen,  dass  die 
Jüngeren  Kinder  nach  Möglichkeit  den  Kinderkliniken,  die  älteren 
den  medizinischen  Kliniken  zugewiesen  werden  sollen.  Dabei 
sind  keineswegs  nur  wissenschaftliche  Interessen  massgebend, 
sondern  vielmehr  die  Rücksicht  auf  die  Psyche  der  Kinder.  Ein 
älteres  Kind  unter  Erwachsene  zu  legen,  ist  oft  in  psychischer 
Beziehung  ein  bedenkliches  Unternehmen.  Was  das  Kind  dabei 
sieht  und  hört,  ist  nicht  immer  von  Vorteil.  Andererseits  haben 
wir  viel  Gelegenheit,  zu  sehen,  welchen  günstigen  Einfluss  das 
psychische  Verhalten  auf  das  Wohlbefinden  der  Kinder  hat,  wenn 
-dieselben  untereinander  sind. 

In  der  Breslauer  Kinderklinik  fanden,  so  weit  es 
demonstrativer  Unterricht  oder  Studien  erforderten,  jederzeit 
ältere  Kinder  Aufnahme.  Mit  grosser  Freude  kann  ich  dazu  be- 
merken, dass  wir  uns  dabei  im  besten  Einvernehmen  mit  der 
medizinischen  Klinik  befanden,  und  bin  überzeugt,  dass  auch 
letztere  niemals  die  Kinderklinik  störend  empfunden  hat. 

Besondere  Sorgfalt  wurde  in  Breslau  der  Ausgestaltung  der 
Poliklinik  gewidmet.  Es  war  dies  schon  wegen  der  geringen 
Bettenzahl  der  Klinik  notwendig.  Mehr  aber  war  dabei  folgende 
Überlegung  massgebend.  Die  Polikliniken  werden  meist  nur 
dazu  benutzt,  um  aus  der  Zahl  der  eingebrachten  Kranken  die 
für  die  klinische  Behandlung  und  Beobachtung  geeigneten  aus- 
zuwählen. Ferner  soll  die  Poliklinik  Studierenden  und  Ärzten 
Gelegenheit  geben,  viele  Momentbilder  von  Krankheiten  kenneu 
zu    lernen,  Fertigkeit    in  Diagnose    und  Ordination    zu  erlangen. 


II. 

Beiträge  zur  Frage  des  künstllehen  Morbus  Barlow 

bei  Tieren. 

Von 

Dr.  LUDWIG  BARTENSTEIN, 

AMlitenten  der  Klinik, 

Im  VI.  Bande  der  Zeitschrift  für  diätetische  und  physikalische 
Therapie  hat  Bolle  über  Versuche  kurz  berichtet,  aus  denen  er 
den  Schluss  zog,  dass  es  ihm  gelungen  sei,  bei  Meerschweinchen 
einen  künstlichen  Morbus  Barlow  zu  erzeugen.  Nicht  genug- 
damit,  wollte  er  mit  seinen  Yersuchen  auch  die  Ätiologie  der 
Barlowschen  Krankheit  bewiesen  haben  und  zwar  so,  das» 
das  schädigende  Moment  in  der  Sterilisation  der  Milch  läge. 
Zur  Erläuterung  will  ich  kurz  über  seine  Versuche  berichten. 
Er  ernährte  Meerschweinchen  mit  verschieden  lange  sterilisierter 
Milch,  d.  h.  mit  5,  10,  15  Minuten  u.  s.  f.  bis  2  Stunden  lang 
gekochter  Milch.  Das  überraschende  Resultat  seiner  Fütterungs- 
versuche war  folgendes:  Nach  etwa  2  Wochen  gingen  bereits  difr 
Tiere,  die  mit  hochsterilisiei*ter  Milch  gefüttert  waren,  zugrunde,, 
während  die  Sterblichkeit  im  umgekehrten  Verhältnis  zur  Dauer 
der  Sterilisation  abnahm,  sodass  die  Meerschweinchen,  welche 
mit  5  Minuten  lang  gekochter  oder  roher  Milch  gefüttert  wurden, 
nach  einem  Vierteljahr  noch  ebenso  munter  und  gesund  waren,, 
wie  die  Kontrolltiere,  während  die  mit  10  Minuten  sterilisierter 
Milch  gefütterten  Tiere  bereits  klinische  Erscheinungen  der 
Krankheit  zeigten.  Die  zur  Autopsie  gekommenen  Tiere  wiesen 
übereinstimmend  eine  grosse  Knochenbrüchigkeit  auf;  bei  einem 
Tiere  waren  in  der  Scapula  grosse  Löcher,  wie  mit  der  Laub- 
säge ausgesägt.  Die  langen  Röhrenknochen  zeigten  sich  brüchig 
und  spröde,  und  an  den  Epiphysengrenzen  waren  oft  Knochen- 
absprengungen  vorhanden.  Dieses  Resultat  will  er  in  mehreren 
Versuchsreihen  mit  gleicher  Promptheit  und  Gesetzmässigkeit 
erhalten    haben.      Die    veränderten    Knochen    wurden    von    ihm 


Bartenstein,  Beiträge  zur  Frage  etc.  7 

seiner  Zeit  einem  Assistenten  der  tierärztlichen  Hochschule  vor- 
gelegt, der  ihm  diese  Erscheinungen  nicht  erklären  konnte;  je- 
doch kam  auch  er  zu  der  Ansicht,  dass  diese  Veränderungen 
auf  das  Verfuttern    von  sterilisierter  Milch  zurückzuführen  seien. 

Für  Bolle  war  dadurch  der  Beweis  erbracht,  dass  das 
Entstehen  der  Bar  low  sehen  Krankheit  lediglich  auf  Verfütterung 
zu  stark  sterilisierter  Milch  zurückzuführen  ist,  und  dass  in  der 
Vermeidung  dieses  Faktors  ein  Hauptheilmittel  zur  Bekämpfung 
der  Barlowschen  Krankheit  zu  suchen  sein  dürfte. 

Würden  diese  Versuche  einwandsfrei  sein,  so  wären  sie  ein 
wichtiger  Beitrag  zur  Ätiologie  des  Morbus  Barlow.  B  oll  es 
Mitteilungen  erregten  in  den  verschiedensten  Kreisen  einiges 
Aufsehen. 

Deswegen  und  auf  Grund  von  Versuchen,  die  schon  vorher 
in  unserer  Klinik  an  jungen  Hunden  und  Mäusen  mit  hoch- 
sterilisierter Milch  (2  Stunden  und  länger)  mit  absolut  negativem 
Erfolge  gemacht  worden  waren,  und  über  die  Keller  im 
Vn.  Bande  der  Zeitschrift  für  physikalische  und  diätetische 
Therapie  kurz  berichtet  hat,  unternahm  ich  es,  die  BoUeschen 
Versuche  einer  Nachprüfung  zu  unterziehen. 

Zu  diesem  Zwecke  wurden  zunächst  13  Meerschweinchen 
verschiedenen  Alters  und  Gewichtes  (von  165—755  g)  eingestellt 
Die  Tiere  wurden  in  Glaskästen  gehalten;  zum  Auffangen  von 
Kot  und  Urin  bekamen  sie  als  Streu  feine  Holzwolle,  die  alle 
paar  Tage  gewechselt  wurde.  Als  Nahrung  erhielten  die  Tiere 
teils  rohe,  teils  5,  10,  15,  30,  60  und  120  Minuten  lang  sterilisierte 
Milch,  die  in  kleinen  Porzellannäpfchen  mehrmals  am  Tage  frisch 
gereicht  wurde.  Bereits  nach  3  Tagen  ging  das  mit  5  Minuten 
lang  gekochter  Milch  ernährte  Tier  zugrunde.  Auch  bei  den 
anderen  Tieren  stand  die  Lebensdauer  nicht  im  umgekehrten 
Verhältnis  zur  Dauer  der  Sterilisation.  Die  mit  roher 
Milch  gefütterten  Tiere  starben  nach  6  und  9  Tagen,  die  mit 
10  Minuten  gekochter  Milch  ernährten  Tiere  nach  4  und  8  Tagen, 
die  mit  15  Minuten  nach  5  und  9  Tagen,  die  mit  30  Minuten 
nach  5  und  18  Tagen,  die  mit  1  Stunde  nach  10  und  13  Tagen 
und  die  mit  2  Stunden  nach  6  und  10  Tagen.  Aus  diesen  Zahlen 
lässt  sich  eher  das  Gegenteil  von  dem  herauslesen,  was  Bolle 
als  Gesetz  für  seine  Tiere  aufgestellt  hat.  Ferner  starben  die 
jüngeren,  bezw.  leichteren  Tiere  relativ  früher  als  die  älteren 
und  schwereren  Tiere.     Vergl.  die  Protokolle. 


8  Barteo stein,  Beiträge  zar  Frage 

Die  Milch  wurde  von  den  Tieren  ungern  genommen,  sie 
frassen  z.  T.  die  Holzwolle  der  Streu  mit  Gier  oder  sich  gegen- 
seitig die  Haare  ab.  Bei  einem  Tiöre  fanden  sich  im  Magen 
in  einer  blindsackartigen  Erweiterung  dicht  vor  dem  Pylorus 
2  kirschkerngrosse  Ballen  aus  zusammengefilzten  Haaren,  die  zu 
einer  Arrosion  der  Schleimhaut  bis  zur  fast  vollendeten  Perforation 
gefuhrt  hatten;  ebenso  frassen  sie  die  moribunden  Tiere,  die  in 
demselben  Käfig  waren,  mit  Gier  an.  Daraus  ist  aber  nicht  der 
Schluss  zu  ziehen,  dass  die  Tiere  verhungerten,  da  bei  der 
Obduktion  der  Blind-  und  Dickdarm  meist  mit  sehr  reichlichen 
Eotmassen  gefüllt  waren. 

Dagegen  gaben  die  übrigen  Obduktionsbefunde  einen  An- 
halt für  die  Todesursache.  Bei  allen  Tieren  war  eine  Gastro- 
Enteritis  nachweisbar;  die  Schleimhaut  des  Magens,  Dünn-, 
Dick-  und  Blinddarmes  zeigte  eine  mehr  oder  minder  starke 
Schwellung  und  Gefässinjektion  und  vereinzelte  Blutungen  nament- 
lich in  der  des  Magens;  ferner  war  das  Peritoneum  gerötet, 
ohne  aber  seinen  Glanz  eingebüsst  zu  haben.  In  den  Lungen 
waren  bei  einzelnen  Tieren  kleine  hypostatische  oder  pneumonische 
Herde  nachweisbar.  Die  übrigen  inneren  Organe  zeigten  keinen 
besonderen  Befund.  Auch  an  den  Knochen  waren  makroskopisch 
keine  Veränderungen  nachzuweisen;  es  bestand  keine  abnorme 
Knochenbrüchigkeit  —  nur  bei  einem  Tiere  No.  8  brach  bei 
verhältnismässig  geringer  Kraftanstrengung  der  rechte  Femur 
oberhalb  der  Condylen  in  einer  Spirallinie  durch,  während  der 
linke  einer  gleichen  oder  grösseren  Kraftaufwendung  Stand  hielt. 
—  Das  Periost  zeigte  nirgends  Verdickungen  oder  Blutungen; 
überhaupt  waren  keine  Veränderungen  sichtbar,  wie  sie  Bolle 
beschrieben  hat. 

Es  lag  nahe,  die  Ursache  für  die  Enteritiden  in  der  Nahrung 
zu  suchen.  Die  in  die  Käfige  gesetzte  Milch  wurde  leicht  durch 
Kot  und  Urin  oder  dadurch,  dass  die  Tiere  in  die  Porzellan- 
näpfchen traten,  verunreinigt  und  ging  in  Zersetzung  über,  so- 
dass sie  für  die  Tiere  schädlich  werden  konnte.  Um  die  Zer- 
setzung der  Milch  und  jegliche  Streu,  welche  die  Tiere  frassen, 
zu  vermeiden,  wurde  folgende  Versuchsanordnung  getroffen.  Die 
Tiere  wurden  in  Drahtkäfigen  —  Vogelbauern  —  mit  einem 
doppelten  Boden  aus  verzinnter  Drahtgaze  gehalten,  durch  die 
der  Urin  sofort  abfloss,  sodass  sich  die  Tiere  nicht  beschmutzten 
und  keine  Streu  brauchten.  Die  Milch  wurde  in  Porzellannäpfe 
mit    hohen    Rändern    gegossen,    die    auf    einer  Seite    einen  Aus- 


des  küDBtlichen  Morbus  Barlow  bei  Tieren.  9 

schnitt  hatten,  auf  den  die  Tiere  treten  und  den  Eopf  zum 
Saufen  hineinstecken  konnten,  ohne  jedoch  in  den  Napf  selbst 
hineintreten  zu  können.  Da  aber  die  Milch  beim  Stehen  an  der 
Luft  säuert  und  sich  zersetzt,  so  wurde  alle  zwei  Stunden  den 
Tieren  frische  Milch  gereicht  und  ausserdem  nach  ^/j  Stunde  die 
eingegossene  Milch  entfernt,  das  Näpfchen  gereinigt  und  mit 
Wasser  gefüllt.  Mit  Berücksichtigung  dieser  Kautelen  konnte 
an  die  Tiere  sicher  eine  einwandsfreie,  unzersetzte  Milch  ver- 
futtert werden.  Das  Resultat  war  jedoch  kein  besseres.  Zwei 
Tiere,  die  zunächst  auf  diese  vorsichtige  Weise  ernährt  wurden, 
starben  nach  10  bezw.  14  Tagen  und  zeigten  ebenfalls  die 
schwersten  Enteritiden.  Der  Blind-  und  Dickdarm  war  stark 
aufgetrieben  und  mit  einem  zähen  Kot  angefüllt,  der  die  Darm- 
schleimhaut wie  mit  einer  Schmiere  überzog.  Auch  diese  beiden 
Tiere  frassen  sich  selbst  die  Haare  ab  und  bissen  eifrig  an  dem 
Porzellannäpfchen  und  den  Drahtstäben  des  Käfigs  herum. 

In  ihrer  Nahrung  entbehrten  die  Tiere  vollkommen  die 
Oellulose,  die  sonst  in  grossen  Mengen  von  ihnen  aufgenommen 
wird.  Die  Cellulose  ist  aber  als  mechanischer  Reiz  zur  Be- 
förderung der  Peristalstik  namentlich  bei  Tieren  mit  langem 
Darm  (Pflanzenfressern)  absolut  unentbehrlich.  Knieriem^) 
berichtet  über  den  Sektionsbefund  von  mit  cellulosefreier  Nahrung 
gefütterten  Kaninchen  folgendes:  „Im  Magen  fand  sich  nur 
Schleim  und  die  Anfänge  einer  Entzündung  im  Pylorusteil ;  der 
Dünndarm  von  Schleim  erfüllt,  war  in  seiner  ganzen  Länge 
stark  entzündet,  ebenso  der  Blinddarm.  Letzterer  war  stark  mit 
Kot  angefüllt,  der  die  Konsistenz  eines  Grlaserkittes  besass,  fest 
an  den  Wandungen  und  den  Falten  des  Blinddarmes  haftete. 
Vergleicht  man  den  Inhalt  des  Blinddarmes  eines  normal  ge- 
fütterten Kaninchens  damit,  so  ist  der  Unterschied  in  die  Augen 
springend:  es  ist  die  Masse  in  dem  Blinddarme  ziemlich  locker, 
sie  fällt  beim  Rückbiegen  des  Darmes  fast  vollständig  ab,  und 
diese  lockere  Konsistenz  wird  nur  durch  die  Rohfaser  veranlasst, 
es  wird  dadurch  die  Kommunikation  zwischen  dem  After  und 
dem  Magen  oflfen  gehalten,  während  bei  dem  verendeten  Ver- 
suchstiere eine  solche    kaum  bestehen    konnte."     Ganz   dieselben 


i)  V.  Knieriem,  Über  die  Verwertung  der  Cellulose  im  tieriachen 
Organismus.  Festschrift  Riga  1884  u.  Zeitschr.  f.  Biologie.  Bd.  21.  Zitiert 
nach  Bunge:  Lehrbuch  der  physiologischen  und  pathologischen  Chemie. 
IV.  Auflage,     pag.  81. 


10  BartensteiD,  Beiträge  zar  Frage 

Sektionsergebnisse  waren  bei  den  mit  Milch  gefütterten  Meer- 
schweinchen vorhanden. 

Mit  Milch  allein  sind  also  Meerschweinchen  nicht  zu  er- 
nähren. Bolle  erwähnt  in  seiner  Mitteilung  nichts  von  diesen 
Befunden  und  der  Unmöglichkeit  der  ausschliesslichen  Milch- 
ernährung. Auf  eine  persönliche  Anfrage  über  seine  genaue 
Yersuchsanordnung  teilte  er  folgendes  mit: 

^Ganz  rein  mit  Milch  die  Tiere  zu  ernähren,  geht  zuerst 
nicht,  da  sie  erst  allmählich  vermittelst  einer  Milchsahne- 
mischung an  Milchnahrung  gewöhnt  werden  müssen,  weil  die 
Meerschweinchenmilch  viel  fetter  ist  als  gewöhnliche  Kuhmilch. 
Wenn  man  die  Versuche  gleich  mit  gewöhnlicher  Milch  beginnt, 
nehmen  die  Tiere  die  Nahrung  nicht  an  und  verhungern.  Ein 
dreieckiges,  leicht  zu  reinigendes  Blechnäpfchen  wird  in  eine 
Ecke  gestellt,  und  sobald  die  Tiere  das  Näpfchen  umkippen, 
was  sehr  leicht  geschieht,  muss  die  zu  verabreichende  Nahrung 
erneuert  werden.  Ich  habe  beobachtet,  dass  die  Tiere  Kot  und 
Urin  in  die  Sau£aäpfe  nicht  entleeren,  da  dazu  immer  das  voll- 
ständige Hineinkriechen  in  den  Fressnapf  nötig  ist,  was  dem 
Meerschweinchen  bei  dem  Milchinhalt  augenscheinlich  nicht 
zweckdienlich  erscheint.  Die  erste  Zeit,  bis  die  Tiere  sich  ge- 
wöhnt haben,  muss  man  noch  etwas  Getreidenahrung  beigeben 
und  wirft  man  zweckdienlich  etwas  Heu  während  der  Dauer  der 
Versuchszeit  mit  hinein;  Heu  fressen  die  Meerschweinchen  ge- 
legentlich sehr  gem.  Ich  habe  die  Beobachtung  gemacht,  dass 
die  Milchnahrung  leichter  genommen  wird,  wenn  die  Tiere 
nebenbei  etwas  Heu  fressen. 

Die  von  Ihnen  nachzuprüfenden  Versuche  dürfen  Sie  bei 
den  ersten  Misserfolgen  nicht  entmutigen;  es  ist  unsäglich 
mühsam  und  schwierig,  da  namentlich  von  Seiten  des  Warte- 
personals geradezu  eine  Engelsgeduld  dazu  gehört,  die  jungen 
Tiere  überhaupt  daran  zu  gewöhnen,  Milch  aus  einem  Näpfchen 
zu  trinken.  Mit  vieler  Geduld  kommt  man  bald  dahin,  dass  die 
Tiere  Milch  aus  einem  Napf  zu  sich  nehmen,  dann  hat  man  in 
Bezug  auf  die  Versuchsreihen  gewonnenes  Spiel. 

Die  ersten  Tage  gibt  man  sterilisierte  Sahne,  dann  eine 
Sahnemilchmischung,  um  dann  schliesslich  zu  reiner  Milch 
überzugehen. 

Als  ich  damals  die  Versuche  in  meinem  Laboratorium 
machen    Hess,    hatte    ein    junger    Veterinärkollege    die    Freund- 


des  künstlichen  Morbas  Bftrlow  bei  Tieren.  11 

lichkeit,  die  ganz  genaue  Beobachtung  und  Beaufsichtigung  zu 
übernehmen.  Er  hatte  den  Tieren  noch  in  den  ersten  Tagen 
irgend  ein  getrocknetes  Rübenpräparat  gereicht,  was  die  Ge- 
wöhnung ganz  bedeutend  erleichterte.  Leider  ist  der  junge 
Kollege  ins  Ausland  gegangen,  und  es  war  mir  schon,  als  ich 
mich  vor  etwa  einem  Jahre  an  die  Nachprüfung  der  Versuche 
machte,  «ehr  schwer,  die  Resultate  von  damals  wieder  fest- 
zustellen.^ 

Es  wurde  nun  folgende  Versuchsanordnung  getroffen.  ,  Als 
Versuchstiere  wurden  möglichst  junge  Tiere,  nicht  über  150  g 
schwer,  verwendet,  die  in  den  schon  erwähnten  Drahtkäfigen  ge- 
halten wurden.  Als  Nahrung  wurde  ihnen  2  stündlich  eine 
Sahnemilchmischung  von  ungefähr  8 — 12  pGt.  Fettgehalt  gegeben, 
die  für  einzelne  Tiere  roh,  für  andere  5 — 10  Minuten  lang  und 
wieder  für  andere  2  Stunden  lang  gekocht  war. 

Der  Fettgehalt  von  8—12  pCt.  entspricht  noch  lange  nicht 
demjenigen  der  Meerschweinchenmilch.  Die  Zusammensetzung 
derselben  ist  nach  König*):  Fett  45,8  p Ct.,  Wasser  41,11  pCt., 
Milchzucker  1,33  pCt.,  Kasein  +  Albumin  11,19  pCt.  Ausserdem 
bekamen  die  Tiere  täglich  etwas  Weizenkleie  und  Heu  als 
Celluloseträger.  Empirisch  habe  ich  die  kleinste  Menge  dieser 
Beikost  festzustellen  versucht,  die  absolut  notwendig  ist,  um  die 
Tiere  längere  Zeit  am  Leben  zu  erhalten.  Diese  Menge  beträgt 
pro  Tier  von  100  g  Durchschnittsgewicht  1  g  Kleie  und  2  g  Heu. 
Es  sind  dies  verschwindend  kleine  Quantitäten  im  Vergleich  zu 
den  Mengen  z.  B.  an  Heu,  die  ein  normales  Tier  taglich  vertilgt. 
Unter  die  genannte  Grösse  herunterzugehen,  war  nicht  ratsam, 
da  die  Tiere  dann  nach  wenigen  Tagen  zugrunde  gingen.  Man 
hat  auf  diese  Weise  gewissfirmassen  das  Leben  der  Tiere  in 
der  Hand. 

Die  erste  Zeit  nehmen  die  Tiere  die  Milch  nicht  gern;  aber 
nach  einigen  Tagen,  wenn  sich  ein  grosses  Flüssigkeitsbedürfnis 
einstellt,  fangen  sie  an,  die  Milch  zu  saufen.  Individuelle  Unter- 
schiede unter  den  einzelnen  Tieren  sind  sicher  vorhanden;  manche 
trinken  grosse  Mengen,  manche  wieder  nur  kleine  Mengen,  ab- 
solute Zahlen  waren  dafür  nicht  feststellbar;  ebenso  fressen  viele 
Tiere  die  Weizenkleie  sehr  ungern.  Es  wurde  ferner  auch  ver- 
sucht, Heu  und  Kleie  bei  Temperaturen  von  100 — 120 •  C.  längere 
Zeit  zu  sterilisieren  bezw.  zu  denaturieren,  damit  nicht  der  Ein- 


^)  Chemie  der  meoschlichen  NahraogB-  and  Genussmittel.    IV.  Auflage, 


12  Bartenstein,  Beiträge  zur  Frage 

wand  gemacht  werden  kann,  dass  die  Tiere  neben  der  sterilisierten 
Milch  ein  Rohprodukt  erhalten  haben,  das  eventuell  das  Zustande- 
kommen eines  Morbus  Barlow  verhüten  konnte.  Derartig  be- 
handeltes Heu  und  Eleie  wurden  aber  von  den  Tieren,  hauptsäch- 
lich wohl  wegen  des  unangenehmen  Geruches,  den  sie  annahmen > 
absolut  verweigert. 

Das  Aussehen  der  Tiere  änderte  sich  bereits  nach  wenigen 
Tagen,  obwohl  sie  meist  die  erste  Zeit  an  Gewicht  etwas  zunahmen; 
die  Haare  wurden  struppig  und  fettig,  sie  klebten  in  Busch  ein 
zusammen.  Späterhin  war  der  Bewegungsdrang  geringer,  an  den 
Fusssohlen  trat  manchmal  Decubitus  auf;  beim  Sitzen  schonten 
die  Tiere  die  Extremitäten,  indem  sie  sich  nicht  darauf  stützten, 
sondern  sie  streckten  die  Hinterbeine  aus,  lagen  auf  dem 
Bauche  und  frassen  auch  meist  in  dieser  Stellung.  Bei  einigen 
Tieren  wurden  auch  Konvulsionen  beobachtet.  Diese  klinischen 
Erscheinungen  traten  mehr  oder  minder  gleichmässig  bei  allen 
Tieren  auf,  ohne  Unterschied,  ob  sie  mit  roher  oder  mit  sterilisierter 
Milch  ernährt  wurden.  Einige  Tage  vor  dem  Exitus  frassen  sie 
gewöhnlich  das  ihnen  gereichte  Heu  nicht  auf,  auf  das  sie  sich 
sonst  mit  Gier  stürzten. 

Auf  diese  Weise  konnten  die  Tiere  längere  Zeit  am  Leben 
erhalten  werden;  ihre  durchschnittliche  Lebensdauer  betrug  29Tage, 
ein  Zeitraum,  der  gross  genug  erscheint,  um  von  einem  Einfluss 
der  Ernährung  auf  die  Konstitution  und  speziell  auf  die  Knochen- 
entwicklung sprechen  zu  können.  Ein  Tier  blieb  sogar  61  Tage 
am  Leben,  während  ein  anderes  bereits  nach  5  Tagen  starb; 
dieses  hatte  nur  wenig  von  der  Milch  getrunken. 

Die  Lebensdauer  der  Tiere  stand  aber  nicht  im  umgekehrten 
Verhältnis  zur  Dauer  der^Sterilisation  der  Milch,  welche  die  Tiere 
zu  fressen  bekamen.  4  Tiere,  die  mit  roher  Milch  gefüttert  waren, 
hatten  eine  durchschnittliche  Lebensdauer  von  37  Tagen;  7  Tiere, 
die  mit  5 — 10  Minuten  lang  gekochter  Milch  ernährt  waren  —  diese 
Milch  wurde  zusammen  mit  der  Säuglingsnahrung  für  die  stationäre 
Abteilung  gekocht  —  blieben  27  Tage  am  Leben,  und  6  Tiere, 
die  mit  2  Stunden  lang  sterilisierter  Milch  gefüttert  waren,  lebten 
25  Tage  im  Durchschnitt.  Schaltet  man  aus  dieser  Reihe  Tier 
No.  19  aus,  das  nur  5  Tage  eingestellt  war  und  die  Milch  kaum 
getrunken  hatte,  so  verschiebt  sich  der  Durchschnitt  auf  29  Tage. 
Durch  die  hochsterilisierte  Milch  wurde  die  Lebensdauer  nicht 
schlechter  beeinflusst  als  durch  die  nur  kurz  abgekochte  Milch. 
Die  rohe  Milch  hat  zwar  scheinbar  einen  Einfluss  auf  die  Länge 


des  kÜDstlichen  Morbus  Barlow  bei  Tieren.  13 

der  Lebenszeit;  doch  war  es  in  keinem  Falle  möglich,  die  Tiere 
dauernd  am  Leben,  geschweige  denn  gesund  zu  erhalten,  wie  es 
Bolle  gelungen  war.  Nach  wenigen  Tagen  schon  zeigten  diese 
Tiere  dasselbe  kranke  Aussehen  wie  die  anderen  und  wurden 
kachektisch.  Im  Gegenteil,  das  am  längsten  —  61  Tage  —  am 
Leben  gebliebene  und  mit  roher  Milch  gefutterte  Tier  zeigte  sehr 
schwere  Knochenveränderungen,  auf  die  weiter  unten  des  näheren 
eingegangen  werden  soll. 

Bei  der  Obduktion  dieser  Tiere  fanden  sich  nicht  so  schwere 
Enteritiden  wie  bei  den  ersten  Tieren,  wenn  auch  stellenweise 
im  Magen darmkanal  kleine  Blutungen  und  Gefässinjektionen  vor- 
handen waren.  Bei  einigen  Tieren  waren  allerdings  auf  der  Basis 
von  Blutungen  Darmgeschwüre  aufgetreten.  Der  Blinddarm  war 
auch  hier  meist  mit  Eot  stark  angefüllt,  der  nicht  eine  so  zähe 
Beschaffenheit  hatte,  wie  bei  den  ausschliesslich  mit  Milch  ge- 
futterten Tieren. 

Die  inneren  Organe  Niere,  Milz  und  Leber,  soweit  sie 
mikroskopisch  untersucht  wurden,  zeigten  ausser  bei  Tier  No.  29 
eine  kleine  frische  Blutung  in  der  Leber  und  bei  No.  24  einen 
kleinen  Niereninfarkt,  keine  pathologischen  Befunde.  In  den  Lungen 
waren  manchmal  Hypostase  und  kleine  pneumonische  Herde 
makroskopisch  sichtbar. 

Während  bei  den  zuerst  eingestellten  Tieren  an  den  Knochen 
keinerlei  Veränderungen  sieht-  oder  fühlbar  waren,  zeigten  diese 
Tiere  fast  durchweg  eine  abnorme  Knochenbrüchigkeit,  sowohl 
der  langen  Röhrenknochen  als  auch  des  Beckens,  der  Wirbelsäule 
und  des  Unterkiefers.  Die  Knochen  waren  nicht  weich,  biegsam, 
leicht  schneidbar,  osteomalacisch,  sondern  spröde.  Mit  Leichtigkeit 
konnte  man  die  Knochenwandungen  einbrechen,  mit  dem  Skalpell 
konnte  man  leicht  unter  starker  Splitterbildung  die  Wirbelsäule 
durchstechen.  Ebenso  brach  sehr  oft  bei  der  Präparation  des 
Unterkiefers  der  Gelenkfortsatz  ab.  Am  unteren  Aste  des  Unter- 
kiefers waren  manchmal  kleine  Löcher  in  der  Knochenwand  zu 
sehen,  durch  die  das  Mark  grau-rötlich  durchschimmerte.  Der 
innere  und  untere  Skapularrand  war  öfters  durch  Muskelzug  um- 
gebogen oder  umgeknickt.  Tier  No.  25  zeigte  ausserdem  bereits 
in  vivo  eine  ganz  erhebliche  Kyphose  am  Übergang  von  Brust- 
zur  Lendenwirbelsäule.  Dagegen  zeigten  Oberkiefer  und  die 
Knochen  des  Schädeldaches  immer  eine  normale  Festigkeit. 

Periostale  Blutungen  waren  nicht  zu  sehen;  dagegen  bei 
4  Tieren  mehrfache  ausgedehnte  Spontanfakturen  an   den  langen 


14  BarteD stein,  Beitr&ge  zur  Frage 

Röhrenknochen  sowohl  in  der  Diaphyse  als  auch  in  der  Epiphysen- 
linie,  die  zum  Teil  zu  erheblichen  Dislokationen  geführt  hatten. 
Dabei  waren  natürlich  ausgedehntere  Blutungen  in  die  umgebenden 
Weichteile  erfolgt. 

Von  jedem  Tiere  wurden  mehrere  Knochen  zur  mikro- 
skopischen Untersuchung  unter  möglichster  Schonung  von  Periost 
und  Gorticalis  herausgenommen,  in  Formalin  fixiert,  mit  schwef- 
liger Säure,  um  die  Knochenmarkzellen  möglichst  zu  schonen, 
entkalkt  und  in  steigendem  Alkohol  nachgehärtet.  Gewöhnlich 
wurde  ein  Femur  und  ein  Humerus  zur  Untersuchung  genommen ; 
von  einzelnen  Tieren  auch  Scapula,  Unterkiefer,  Wirbelsäule, 
Becken,  Vorderarm  und  Unterschenkel.  In  der  Regel  wurden 
der  besseren  Übersicht  wegen  Längsschnitte  durch  den  ganzen 
Knochen  angelegt,  manchmal  jedoch  auch  Querschnitte.  Gefärbt 
wurden  die  Präparate  mit  Hämatoxylin-Eosin  oder  Hämatoxylin- 
Neutralcarmin. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Knochen  ergab  kein 
ganz  einheitliches  Resultat;  denn  wie  schon  erwähnt,  waren  nur 
bei  einzelnen  Tieren  Frakturen  vorhanden,  bei  anderen  nicht. 
Um  sich  ein  Bild  von  dem  Verlaufe  des  Prozesses  zu  machen, 
dürfte  es  zweckmässig  sein,  zunächst  die  am  kürzesten  eingestellten 
Tiere,  dann  die  etwas  länger  eingestellten  und  zum  Schlüsse  die 
Tiere  mit  Frakturen  einer    näheren  Betrachtung    zu    unterziehen. 

Bei  dem  nur  5  Tage  eingestellten  Tiere  (Np.  19)  finden 
wir  fast  keine  Veränderungen.  Am  Femur  ist  die  Epiphysen- 
linie  etwas  verschmälert,  Gorticalis  und  Spongiosa  zeigen  normale 
Beschaffenheit,  nur  auf  einem  Querschnitt  durch  die  Diaphyse  der 
Tibia,  dicht  unter  der  oberen  Epiphysengrenze,  zeigt  sich  die 
Gorticalis  an  einer  Seite  von  weiten  Markräumen  durchsetzt. 
Das  Knochenmark  trägt  überall  lymphoiden  Gharakter,  ist  zell- 
und  gefässreich;  die  Gefasse  sind  erweitert  und  dünnwandig, 
stark  mit  Blut  gefüllt.  An  einzelnen  Stellen  ist  das  Mark  etwas 
ärmer  an  freien  Zellen.  Dagegen  finden  wir  bei  dem  9  Tage  im 
Versuche  gewesenen  Tiere  (No.  21)  schon  erhebliche  Verände- 
rungen. Zunächst  auffallend  ist  an  den  gefärbten  Präparaten 
auf  grosse  Strecken  die  helle  Beschaffenheit  des  Knochenmarkes. 
Dasselbe  hat  seinen  ausgesprochen  lymphoiden  Gharakter  ver- 
loren; es  ist  zellarm  und  gefässarm;  die  Gefässe  sind  eng  und 
die  freien  Zellen  um  die  Gefässe  angeordnet.  Das  Zwischen- 
gewebe besteht  aus  spärlichen  sternförmigen  und  spindeligen 
Zellen  mit  sehr  feinen  Ausläufern  auf  einem  blassbläulichen  Grunde. 


des  kiinstlichen  Mdrbas  Barlow  bei  Tieren.  15 

Diese  Veränderungen  des  Knochenmarkes  sind  am  ausgesprochen- 
sten in  der  unteren  Epiphyse  und  im  oberen  Teile  der  Diaphyse 
des  Femur,  während  an  der  unteren  Epiphysenlinie  das  Mark 
verhältnismässig  zellreich  ist  und  nur  wenig  zellarmes  Zwischen- 
gewebe zeigt.  Fettzellen  sind  fast  gar  nicht  zu  sehen.  Die 
Epiphysenlinien  sind  verschmälert,  hauptsächlich  auf  Kosten  der 
Zone  der  Knorpelwucherung  und  der  hypertrophischen  Zellsäulen. 
Die  Gorticalis  zeigt  kaum  Veränderungen,  dagegen  ist  das  spon- 
giöse  Knochengewebe  in  der  unteren  Epiphyse  und  an  der 
Epiphysenlinie  deutlich  verringert.  Im  oberen  Drittel  der  Dia- 
physe des  Femur  ist  ein  grösserer,  in  Organisation  begriffener 
Thrombus  in  der  Markhöhle  vorhanden.  An  der  Scapula  ist  die 
Gorticalis  verschmälert  und  die  Spongiosa  verringert.  Das  Mark 
ist  ebenfalls  zellarm,  mit  einem  feinfadigen  Zwischengewebe. 

In  weiteren  Stadien  wird  die  Gorticalis  atrophisch,  zum 
Teil  wird  sie  rarefiziert,  das  heisst  von  weiten  Markräumen  und 
erweiterten  Ha v er s sehen  Kanälen  durchzogen,  was  namentlich 
auf  Querschnitten  deutlich  zu  Gesicht  kommt;  es  stellt  dann  die 
Gorticalis  keine  zusammenhängende  kompakte  Masse  dar,  die  nur 
von  engen  Haversschen  Kanälen  durchzogen  ist,  sondern  sie 
besteht  aus  einzelnen,  unregelmässig  gestalteten  Knochenbalken 
mit  tiefen  Lakunen.  Das  gewucherte  Periost  bricht  an  manchen 
Stellen  durch  die  Gorticalis  in  die  Markhöhle  hinein.  Diese 
Atrophie  ist  naturgemäss  nicht  gleichmässig  über  die  ganze 
Gorticalis  verteilt,  sondern  beschränkt  sich  auf  einige  Stellen; 
hauptsächlich  ist  sie  deutlich  in  der  Diaphyse  dicht  unterhalb 
der  Epiphysenlinie;  dort  kommt  es  auch  am  häufigsten  zum 
totalen  Schwunde  der  Gorticalis.  Die  Folge  davon  ist,  dass  sich 
die  Epiphyse  gegen  die  Diaphyse  winkelig  abknickt,  entweder 
nur  auf  einer  Seite  oder  auf  beiden  Seiten,  wodurch  es  zu  Ver- 
zerrungen und  totaler  Zerstörung  der  endochondralen  Ossifikations- 
grenze  kommen  kann. 

Der  Knorpelüberzug  der  Epiphysen  verliert  ebenfalls  seine 
normale  Dicke,  wird  stellenweise  atrophisch  und  zeigt  sich  von 
innen  her  wie  ausgenagt  durch  Bildung  von  Lakunen. 

Die  Spongiosabälkchen  nehmen  an  Zahl  und  Dicke  erheb- 
lich ab,  namentlich  in  der  Epiphyse  und  in  der  Diaphyse  an  der 
Ossifikationsgrenze;  letztere  selbst  verschmälert  sich  weiter  auf 
Kosten  des  wuchernden  Knorpels  und  der  hypertrophischen 
Knorpelzellsäulen,  manchmal  war  auch  die  Zone  der  vorläufigen 
Verkalkung  die  Ursache  der   Verschmälerung. 


16  Bartenstein,  Beiträge  zur  Frage 

Das  dritte  Stadium  bildet  das  Stadium  der  Spontaufrakturen. 
In  der  Diaphyse  und  an  der  Epiphysengrenze  treten  mehrfach 
Infraktionen  oder  Spontanfrakturen  auf,  die  oft  zu  erheblichen 
Dislokationen  der  Bruchenden  führen.  Die  Umgebung  ist  blutig 
imbibiert,  ebenso  sind  in  der  Markhöhle  auch  an  Stellen,  die  von 
der  Fraktur  entfernt  liegen,  Blutungen  sichtbar.  Die  Epiphysen- 
linie  ist  meist  zerstört,  von  einer  normalen  endochondralen  Ossi- 
fikation ist  überhaupt  keine  Rede  mehr. 

Die  Spongiosa  ist  vollkommen  verschwunden.  Das  Knochen- 
mark zeigt  entweder  grosse  Partien  von  feinen  sternförmigen  und 
spindeligen  Zellen  mit  spärlichen  Rundzellen,  oder  es  hat  sich 
zum  grössten  Teil  namentlich  in  den  peripheren  Teilen  in  ein 
etwas  derberes,  faseriges  Gewebe  mit  reichlich  spindeligen  Kernen 
umgewandelt,  was  an  der  Epiphysengrenze  die  Regel  ist.  Die 
Zahl  der  G-efasse  ist  stark  vermindert,  hin  und  wieder  sind  grössere 
oder  kleinere  Inseln  von  normalem  lymphoiden  Mark  sichtbar. 
Eine  Vermehrung  des  osteoiden  Gewebes  ist  nicht  vorhanden. 

An  den  Frakturstellen  ist  nirgends  eine  Andeutung  von 
Callusbildung  oder  eine  deutliche  Reaktion  von  Seiten  des 
Periostes  zu  sehen. 

Periostale  Blutungen  sind  nicht  zu  beobachten,  mit  Aus- 
nahme an  den  Frakturstellen,  wo  sie  als  sekundär  entstanden 
aufzufassen  sind.  Ebenso  sind  die  Blutungen  in  die  Markhöhle 
an  den  frakturierten  Knochen  als  sekundär  zu  betrachten.  Kleine 
primäre  Blutungen  in  das  Knochenmark  sind  dagegen  beobachtet, 
bei  Tier  No.  21  sogar  eine  grössere,  die  zu  einem  umfangreichen 
Thrombus  führte.  Häufig  sind  auch  kleine  Herde  von  amorphen 
Pigmentablagerungen,  namentlich  um  die  Gefässe  herum,  sichtbar. 

Wir  haben  hier  also  eine  Erkrankung  vor  uns,  die  mit  einer 
Degeneration  des  Knochenmarkes  beginnt,  sekundär  zu  einer 
Atrophie  des  Knochens  unter  gesteigerter  Resorption  und  mangel- 
hafter Knochenneubildung  namentlich  an  der  endochondralen 
Ossifikationsgrenze  führt.  Infolge  der  atrophischen  osteo- 
porotischen  Beschaffenheit  der  Knochen  kommt  es  schliesslich 
zu  Spontanfrakturen,  ohne  besonders  nachweisbare  hämorrhagische 
Diathese. 

Sehen  wir  uns  in  der  Literatur  nach  ähnlichen  Knochen- 
erkrankungen bei  Tieren  um,  so  finden  wir  einzelne  Angaben. 
Miura  und  Stoeltzner*)  fütterten  einen  6  Wochen  alten  Hund 

^)  Zieglers  Beiträge.  Bd.  24.  Über  die  bei  juDgen  Händen  durch 
kalkarme  Fütterung  entstandene  Knochenerkranknng. 


des  kuDAtlicben  Morbus  Barlow  bei  Tieren.  17 

grosser  Rasse  ungef&hr  7  Wochen  lang  mit  kalkarmer  Nahrang 
(Pferdefleisch,  Speck,  destilliertes  Wasser).  Bei  der  mikroskopischen 
Untersuchung  fanden  sie  überall  statt  der  kompakten  Knochen- 
rinde ein  weitmaschiges  Netzwerk,  welches  aus  Knochenbälkcheu 
bestand,  die  grössere  und  kleinere  Resorptionsräume  umschlossen. 
Die  kalkhaltigen  Knochenbalken  waren  überall  an  der  Oberfläche 
umsäumt  von  zarten  Anlagerungen  kalkloser  Knochensubstanz. 
Die  Cambiumschicht  des  Periostes  war  verdickt.  Die  Knorpel- 
wucherungsschicht war  überall  auffallend  breit,  an  manchen 
Stellen  um  mehr  wie  das  Doppelte  verbreitert.  Die  Zellsäulen 
verliefen  vielfach  unregelmässig  und  durchflochten  sich  zopfartig. 
Die  Zone  der  provisorischen  Verkalkung  war  überall  in  normaler 
Form  und  Ausdehnung  vorhanden.  Das  Knochenmark  war 
hyperämisch,  an  manchen  Stellen  enthielt  es  viel  Fettzellen,  sonst 
zeigte  es  keine  Yeränderungen.  Sie  definieren  die  Skelett- 
erkrankung ihres  Hundes  als  eine  allgemeine  Osteoporose  mit 
rachitisähnlichen  Yeränderungen  am  Periost  und  am  unverkalkten, 
wuchernden  Knorpel. 

Oswald^)  berichtet  über  eine  abnorme  Knochenbrüchigkeit 
und  „Lecksucht"  bei  Rindern.  Diese  beiden  Krankheiten  können 
einzeln  oder  zugleich  bei  einem  Tier  vorkommen.  Sie  sind  be- 
dingt durch  den  Mangel  an  phosphorsaurem  Kalk  im  Futter,  wie 
dies  auch  von  anderen  Autoren  angegeben  wird.  In  der  Schweiz 
wird  diese  Krankheit  vulgär  als  „Hinsch  oder  Semper"  be- 
zeichnet, und  man  unterscheidet  einen  „Trockenhinsch*,  d.  h.  die 
eigentliche  Lecksucht,  und  den  eigentlichen  „Hinsch",  d.h.  die 
KnochenbrQchigkeit.  Bei  der  Lecksucht  entwickelt  sich  allmählich 
ein  unbezähmbarer  Trieb,  die  heterogensten  Stoffe  zu  belecken, 
zu  benagen  und  aufsSunehmen,  während  die  eigentliche  Fresslust 
immer  mehr  abnimmt. 

Die  Tiere  magern  ab,  die  sichtbaren  Schleimhäute  werden 
blass,  das  Haar  rauh  und  glanzlos,  die  Haut  trocken,  hart  und 
fest  anliegend.  Bei  der  Knochenbrüchigkeit,  welche  als  Leiden 
für  sich  oder  mit  lecksüchtigen  Symptomen  vergesellschaftet 
auftreten  kann,  zeigen  sich  bald  Krankheitserscheinungen  in  den 
Extremitäten. 

Der  Gang  ist  gespannt  und  schmerzhaft,  die  Tiere  wechseln    ^ 


^)  Oswald,  Über  Knochenbrüchigkeit  und  Lecksucht.  Deutsche 
tierärztl.  WocbeDsehr.  1895.  No.  38.  Zitiert  nach  einem  Referat  im 
Centralbl.  f.  allgem,  P«thol.     VII.  Bd.     1896.     p.  605. 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.   N.  F.    LXI.   Heft  1.  2 


18  Barten  stein,  Beiträge  zur  Frage 

beim  Stehen  häufig  mit  den  Füssen,  trippeln  hin  und  her,  äussern 
Schmerzen  beim  Aufstehen  und  Niederlegen,  ^obei  ein  eigen- 
tumliches Knacken  in  den  Gelenken  wahrgenommen  wird.  Die 
krankhaften  Veränderungen,  welche  an  den  Knochen  entstehen, 
verleihen  denselben  so  wenig  Widerstandsfähigkeit,  dass  schon 
bei  ganz  normalem  Verhalten  (z.  B.  einem  kleinen  Seitensprung) 
Knochenbrüche  eintreten  können.  Beide  Krankheiten  befallen  am 
häufigsten  Jungvieh,  hochtragende  Tiere  und  Kühe  in  der  grössten 
Laktationsperiode;  sie  treten  beim  Weidegang  und  bei  der  Grün- 
fütterung fast  garnicht  auf,  sondern  meist  einige  Wochen  nach 
begonnener  Trockenfütterung. 

Sie  kommen  häufiger  in  trockenen  Jahren  vor  als  in  nassen; 
Arbeitsochsen  erkranken  fast  garnicht  an  derselben,  da  diese  nur 
die  Ausgaben  für  ihren  Körper  zu  bestreiten  haben  und  ausser- 
dem noch  stets  wegen  ihrer  Arbeitsleistung  kalk-  und  proteinreiche 
„Kraftfuttermittel"  als  Zugabe  erhalten. 

Durch  Darreichung  von  Futterknochenmehl  kann  man 
therapeutisch  der  Krankheit  vorbeugen,  namentlich  aber  durch 
eine  richtige  Wiesenkultur,  wodurch  ein  an  £iweisssto£Pen  und 
Kalkphosphat  reiches  Futter  produziert  wird.  Genauere  histologische 
Untersuchungen  über  die  Art  der  Knochenerkrankung  liegen  leider 
nicht  vor. 

Morpurgo^)  ist  es  gelungen,  durch  Infektion  mit  einem 
Diplococcus  an  neugeborenen  oder  nur  wenige  Tage  alten  weissen 
Ratten  hochgradige  Skelettveränderungen  zu  erzielen.  Die  Impf- 
versuche auf  andere  Tiere,  Kaninchen,  Meerschweinchen  und 
Mäuse,  waren  negativ.  Den  Diplococcus  hatte  Morpurgo  ge- 
legentlich einer  Epidemie  von  Knochenerkrankungen  an  weissen 
Ratten  seines  Versuchsstalles  herausgezüchtet.  Der  allgemeine 
Gesundheitszustand  der  geimpften  jungen  Tiere  blieb  verhältnis- 
mässig lange  ein  guter  und  normaler.  Erst  im  Laufe  des  2.  oder 
3.  Lebensmonats,  mitunter  auch  später,  wurden  die  Tiere  weniger 
lebhaft,  magerten  ab,  bekamen  struppiges,  gelbliches  Haar  und 
fingen  an,  Gestaltsveränderungen  zu  zeigen.  Wegen  der  stärkeren 
Krümmung  der  Wirbelsäule  und  der  Beugung  der  Extremitäten 
nach  innen  verkürzte  und  erniedrigte  sich  der  Körper;  der  Gang 
wurde  schaukelnd  und  träge.  Unter  Erscheinungen  von  Marasmus 
gingen    die   Tiere    relativ    kurze    Zeit    nach    dem    Auftreten    der 

^)  Morpurgo,  Durch  Infektion  hervorgerufene  malazische  und 
rachitische  Skeiettvcränderungen  an  jungen  weissen  Ratten.  Centralbl.  f. 
allgem.  Pathologie.     XIII.  Bd.     1902.     pag.  118. 


des  kuDstliohen  Morbus  Barlow  bei  Tieren.  19 

Skelettveränderangen  zugrunde.  Sämtliche  Knochen  zeigten  Yer- 
biegungen  und  Verdickungen,  sie  waren  z.  T.  kürzer  als  normal. 
Die  Knochensubstanz  war  wenig  resistent.  Die  Knochenenden  Hessen, 
sich  mit  einem  dünnen,  scharfen  Messer  bis  tief  in  die  Diaphyse 
hinein  leicht  einschneiden.  Die  Substanz  sämtlicher  Knochen  war 
sehr  blutreich.  Die  meisten  Knochenveränderungen  entsprachen 
jenen,  die  er  bei  den  erwachsenen  kranken  Ratten  beobachtete^), 
die  zwar  eine  grosse  Ähnlichkeit  mit  der  Osteomalacie  des 
Menschen  hatte,  sich  nicht  aber  mit  ihr  deckte;  der  Knochen- 
schwund blieb  immer  vorherrschend,  und  das  Mark  der  langen 
Röhrenknochen  wurde  nie  durch  Bindegewebe  ersetzt,  wie  letzteres 
bei  der  bindegewebigen  Knochenentzündung  der  Fall  ist.  Auf- 
fallend und  den  jungen  Ratten  eigen  sind  die  pathologischen  Er- 
scheinungen an  den  Epiphysen,  am  ausgesprochensten  an  der 
unteren  Femur-  und  vorderen  Rippenepiphyse,  und  zwar  sind  die 
in  der  epiphysären  Ossifikationszone  der  jungen  Ratten  gefundenen 
Yeränderungen  jenen  der  menschlichen  Rachitis  ganz  ähnlich. 
In  den  untersuchten  Frühstadien  brechen  vom  Markraume  her 
Sprossen  von  von  Osteoklasten  begleitetem,  blutgefässführenden, 
zellig-faserigen  Gewebe  in  die  Knochensubstanz  ohne  vorbereitende 
Wirkung  von  Osteoclasten  ein.  Diese  Sprossen  treten  mit  den 
Haversschen  Kanälen  in  Verbindung,  und  infolge  von  Erweiterung 
der  letzteren  und  fortschreitender  Invasion  der  Sprossen,  nach 
Art  von  perforierenden  Kanälen,  wird  die  feste  Knochenrinde  in 
eine  von  fibrösem  Mark  ausgefüllte  spongiöse  Substanz  verwandelt. 
Der  Knochenabbau '  wird  durch  Osteoklasten  weiter  befördert. 
Zugleich  findet  eine  vermehrte  Halisterese  statt.  Schliesslich 
kann  die  durch  faseriges  Mark  nach  innen  aufgetriebene  Knochen- 
rinde die  Markhöhle  fast  ganz  erfüllen  und  das  Mark  bis  auf 
geringe  Reste  in  der  Umgebung  der  zentralen  Geisse  verdrängen. 
An  den  Epiphysen  ist  eine  breite  unregelmässige  Zone  wuchernden 
Knorpels  zu  sehen,  unter  welcher  eine  hohe  Schicht  von  dicken, 
netzartig  verbundenen  Osteoidbalken  sich  vorfindet.  Das  Mark- 
gewebe ist  tief  in  die  Diaphyse  verdi'ängt.  Die  Zone  der 
proliferierenden  Knorpelzellen  ist  an  vielen  Stellen  von  einem 
zelligfaserigen,  gefässführenden,  einerseits  mit  deih  Periost 
andererseits  mit  dem  Mark  zusammenhängenden  Gewebe  durch- 
wuchert.    Eine    kontinuierliche  Verkalkungslinie    existiert    nicht. 


»)  Morpurgo,  Über  eine  infektiöse  Form  der  Osteomalacie  bei  weissen 
Ratten.     Zieglers  Boitr.  z.  pathol.  Anat.     XXVIll.  Bd.     1900.     pag.  620. 

0» 


20  Bartenatein,  Beiträge  zur  Frage 

Endlich  sei  die  noch  von  Aasset*)  erwähnte  Pneumo- 
enteritis  der  jungen  Schweine  berücksichtigt,  die  an  den  Knochen 
ein  ähnliches  Krankheitsbild  darbieten  soll  wie  bei  Barlowscher 
Krankheit. 

Abgesehen  vielleicht  von  einigen  klinischen  Symptomen^ 
finden  wir  keine  Ähnlichkeit  dieser  bei  Tieren  beobachteten 
Knocheoerkrankangen  mit  der  bei  unseren  Meerschweinchen. 
Sehen  wir  uns  ii;i  der  menschlichen  Pathologie  nach  ähnlichen 
Erkrankungen  der  Knochen  und  des  Knochenmarkes  um,  so  lässt 
sich  ohne  weiteres  die  Osteomalazie  als  eine  ganz  andere  Er- 
scheinung kurzer  Hand  zurückweisen,  da  der  Knochen  bei  den 
Meerschweinchen  nicht  weich  und  schneidbar,  sondern  spröde  und 
bruchig  wurde. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  Rachitis.  Das  Bild  der 
Rachitis  ist  beherrscht  durch  die  Wucherung  des  äusseren  und 
inneren  Periostes  (Ziegler)  und  die  vermehrte  Bildung  von 
osteoidem  Gewebe;  das  lymphoide  Knochenmark  wird  nur  sekundär 
verdrängt,  und  ebenso  ist  der  Knochenschwund  bei  der  Rachitis 
nur  die  Folge  der  übermässigen  Wucherung  des  inneren  Periostes. 

Ahnliche,  wenn  auch  nicht  dieselben  Erscheinungen,  wie 
z.  B.  in  dem  3.  Stadium  der  Knochenerkrankungen  unserer 
Meerschweine,  finden  wir  bei  der  Ostitis  deformans.  Bei  dieser 
kann  der  Knochenschwund  sowohl  die  Spongiosa,  als  auch  die 
Coiiikalis  der  Knochen  betreffen  und  verursacht  an  letzterer  eine 
Osteoporose,  welche  die  Festigkeit  des  Knochens  bedeutend 
herabsetzen  kann.  Im  Gebiete  des  spongiösen  Knochens  können 
die  Knochen bälkchen  ganz  schwinden  und  durch  ein  fetthaltiges 
oder  gallertiges  oder  fibröses,  zellarmes  (Osteomyelitis  fibrosa) 
Gewebe  ersetzt  werden.  Tritt  bei  der  Ostitis  deformans  stellen- 
weise infolge  einer  gesteigerten  Resorption  eine  Schwächung  des 
Knochens  ein,  so  kann  es  zu  Ausbiegungen  oder  sogar  zu 
Knickungen  des  Knochens  kommen,  und  es  treten  diese  beiden 
Erscheinungen  namentlich  an  den  grossen  Röhrenknochen  auf. 
Bei  starker  Nachgiebigkeit  des  Knochengewebes  können  auch  die 
Knochen  zusammensinken;  es  kommt  dies  namentlich  an  der 
Wirbelsäule  vor,    an  der  einzelne  Wirbel    die  Form   eines  Keiles 


^)  Ausset,  La  maladie  de  Barlow.    Annales  de  medec  et  chir.  Infant. 
1904.    No.  9. 


des  künstlichen  Morbus  Barlow  bei  Tieren.  21 

annehmen  können,  sodoss  die  Wirbelsäule  eine  mehr  oder  minder 
starke  Kyphose  erhält. 

Noch  mehr  ähnliche  Bilder  gewähren  namentlich  nnsere 
Anfangsstadien  mit  der  von  Ziegler^)  beschriebenen  Osteotabes 
infantum.  Hier  wie  dort  finden  wir  in  den  Anfangsstadien  herd- 
weise beginnend  einen  Schwund  der  freien  Zellen  des  lymphoiden 
Markes  und  dafür  eine  ziemlich  homogene  Masse,  die  sich  mit 
Hämatoxylin  bläulich  färbt  und  in  der  spärliche,  enge  Gefässe 
und  wenige  sternförmige  und  spindelige  Zellen  mit  feinen  Aus- 
läufern vorhanden  sind,  auftreten.  Diese  Degeneration  des  Markes 
bezeichnet  Ziegler  als  Gallertmark.  Weiterhin  stellt  sich  bei  der 
Osteotabes  infantum  eine  Erweiterung  der  Markräume  durch 
Enochenresorption  ein.  Durch  diese  Resorption,  die  lediglich 
vom  Marke  aus  erfolgt,  werden  bei  weiterem  Fortschreiten  des 
Prozesses  nicht  nur  die  Markhöhlen  erweitert  und  die  Spongiosa- 
bälkchen  zerstört,  es  geht  auch  die  Corticalis  unter  Verbreitung 
<les  Prozesses  auf  die  Haversschen  Kanäle  zum  grossen  Teile 
zugrunde.  Auch  im  Endstück  der  Diaphysen  kann  es  zu  einem 
vollkommenen  Schwunde  der  Balken  der  Spongiosa,  sowie  auch 
•der  Corticalis  kommen.  Erreicht  in  den  platten  Schädelknochen 
der  Enochenschwund  die  Corticalis,  so  wird  dieselbe  durch- 
brochen; es  zeigen  sich  dann  an  der  Aussen-  oder  Innenfläche 
graue  oder  auch  rote  Flecken  von  durchscheinender  BeschafiFen- 
heit.  Ähnliche  Flecken  waren  bei  den  Meerschweinchen  zwar 
nicht  am  Schädeldach,  aber  am  Unterkiefer  zu  beobachten. 

Die  enchondrale  Ossifikation  ist  bei  der  Osteotabes  infantum 
zunächst  noch  normal,  d.  h.  solange,  als  die  Veränderungen  im 
Mark  die  Ossifikationsgrenze  nicht  erreicht  haben.  Greift  die 
Erkrankung  auch  auf  dieses  Gebiet  über,  so  treten  Störungen 
•derselben  ein,  indem  die  Einschmelzung  und  die  Substitution  des 
Knorpels  durch  Knochen  sich  nicht  mehr  in  normaler  Weise 
vollziehen  können.  Bei  unseren  Tieren  traten  relativ  frühzeitig 
in  diesem  Gebiete  Störungen  auf. 

Periostale  Blutungen  hat  Ziegler  nicht  gesehen,  wohl  aber 
Blutungen  im  Knochenmark,  sowohl  an  den  Rippen,  als  an  dem 
Oberschenkel.     Frakturen  wurden  nicht  von  ihm  beobachtet. 

Ob   die    bei  den  Meerschweinchen    im  dritten  Stadium    der 


1)  Ziegler,    Über    Osteotabes    infaDtam    und    Rachitis.      CentralblatC 
f.  allgem.  Pathologie.     XII.  Bd.     1901.     pag.  865. 


22  Bartenstein,  Beiträge  zur  Frage 

Frakturen  beobachtete  fibröse  Entartung  des  Knochenmarke» 
auch  bei  der  Osteotabes  infantum  in  den  späteren  Stadien  zu 
beobachten  ist,  geht  aus  den  Angaben  von  Ziegler  nicht  hervor. 

Es  ist  aber  nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  dass  grosse 
Ähnlichkeiten     zwischen     beiden     Krankheiten     vorhanden    sind. 

Eine  ganz  andere  Frage  ist  es,  in  welcher  Beziehung  die 
Osteotabes  der  Meerschweinchen,  die  Osteotabes  infantum  und 
die  Möller-Barlowsche  Krankheit  zu  einander  stehen.  Ziegler 
identifiziert  die  Osteotabes  infantum  und  den  Morbus  Barlow 
zwar  nicht,  fasst  aber  beide  als  ein  Leiden  der  ersten  Kinder- 
jahre auf,  welches  in  erster  Linie  durch  eine  eigenartige  Er- 
krankung des  Knochenmarks,  verbunden  mit  gesteigertem,  innerem 
Knochenschwunde  und  zugleich  mit  mangelhafter  Knochenneu- 
bildung, charakterisiert  ist  und  sekundär  infolge  mangelhafter 
Funktion  des  Knochenmarkes  zu  Anämie  und  zu  Hämo- 
philie fuhrt. 

Auch  andere  Autoren  glauben,  dass  eine  Beziehung  zwischen 
beiden  Erkrankungen  besteht.  Stooss^)  hat  bei  seinem  Fall  IV,. 
einem  klinisch  typischen  Fall  von  Barlow  scher  Krankheit,  ganz 
ähnliche  histologische  Veränderungen  am  Knochenmark  gefunden^ 
wie  sie  Ziegler  bei  der  Osteotabes  infantum  beschreibt.  Seine 
Präparate  sollen  von  den  Abbildungen,  die  Ziegler  gebracht 
hat,  keine  wesentlichen  Abweichungen  aufweisen.  Ebenso  glaubt 
Heubner^),  dass  der  histologische  Charakter  der  Barlow  sehen 
Krankheit  „in  mehr  als  einer  Beziehung"  der  Osteotabes  infantum 
(Ziegler)  analog  ist. 

Wie  gross  die  Beziehungen  und  Ähnlichkeiten  der  Osteo- 
tabes der  Meerschweinchen  und  der  Möller-Barlowschen 
Krankheit  sind,  kann  ich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden,  da 
ich  leider  nicht  Gelegenheit  hatte,  einen  Fall  von  Barlow  histo^ 
logisch  zu  untersuchen. 

Zum  Schluss  muss  ich  noch  des  näheren  auf  die  Ätiologie 
sowohl  der  Knochenerkrankung  unserer  Meerschweinchen,  al& 
auch  der  Möller-Barlowschen  Krankheit  eingehen.  Bolle  hatte 
einen  eklatanten  Einfluss  auf  die  Erkrankung   zu  Ungunsten  der 


1)  M.  Stooss,  Barlowsche  Krankheit  (Skorbut  der  kleinen  Kinder). 
Korrespondenzblatt  *für  Schweizer  Ärzte.     1908.     No.  15. 

')  He  üb  n  er,  Über  Barlowsche  Krankheit.  Berliner  klin.  Wochen- 
schrift.    1903.    No.  13. 


des  künstlichen  Morbus  Barlow  bei  Tieren.  23 

langen  Sterilisation  der  Milch  gesehen.  Ich  habe  darin  keinen 
Unterschied  gefunden;  es  war  gleich,  ob  die  Tiere  mit  roher 
oder  mit  hochsterilisierter  Milch  ernährt  waren,  sie  erkrankten 
alle  gleich  schnell  und  in  gleicher  Weise,  wenn  auch  vielleicht 
zugegeben  werden  muss,  dass  die  hochsterilisierte  Milch  einen 
etwas  ungünstigeren  Einfluss  auf  die  Lebensdauer  der  Tiere 
ausübte,  als  die  rohe  Milch.  Auf  die  Schwere  der  Erkrankung 
und  die  Ausbreitung  der  pathologischen  Veränderungen  an  Mark 
und  Knochen  hatte  aber  die  Sterilisation  absolut  keinen  Einfluss. 
Die  schwersten  Veränderungen  —  Frakturen  —  finden  wir  gerade 
bei  den  Tieren  (No.  17,  18,  25  u.  26),  die  mit  roher  oder  kurz 
abgekochter  Milch  ernährt  worden  waren.  Eine  Erklärung  dieses 
Widerspruches,  in  dem  ich  mich  mit  Bolle  befinde,  glaube  ich 
darin  zu  suchen,  dass  Bolle  die  Beikost  für  die  einzelnen  Tiere 
nicht  genau  dosiert,  sondern  mehr  oder  minder  ad  libitum 
verabreicht  hat,  zumal  er  zugibt,  dass  es  bei  der  Nachprüfung 
seiner  eigenen  Versuche  sehr  schwer  war,  die  Resultate  von  früher 
wieder  festzustellen.  Dass  individuelle  Unterschiede  unter  den 
Tieren  bestehen,  muss  ich  zugeben,  da  auch  ich  bei  manchen 
Tieren  trotz  langer  Versuchsdauer  nicht  so  schwere  Veränderungen 
antraf,  wie  sie  entsprechend  der  Zeit  der  Einstellung  nach 
Analogie  von  anderen  Tieren  zu  erwarten  waren.  Vielmehr  möchte 
ich  die  Ätiologie  in  der  Milch  an  und  für  sich  selbst  suchen,  als 
einer  für  Meerschweinchen  ungeeigneten  und  unzweckmässigen 
Nahrung,  zumal  die  Tiere  mit  ausschliesslicher  Milchnahrung 
nicht  längere  Zeit  am  Leben  zu  erhalten  waren. 

In  der  neueren  Zeit  nehmen  die  meisten  Autoren,  gestützt 
allein  auf  die  klinische  Beobachtung  und  Erfahrung,  an,  dass  für 
das  Zustandekommen  eines  Morbus  Barlow  die  Sterilisation  der 
Milch  nicht  das  einzige  ursächliche  Moment  bildet.  Anscheinend 
sind  es  sehr  verschiedene  Fehler  in  der  Ernährungsweise,  Ver- 
wendung von  Nährpräparaten,  Gaertnersche  Fettmilch  oder  zu 
stark  verdünnte  unzweckmässige  Milch-Mehl-Nahrung,  die  zur 
Erkrankung  führen  können.  Heubner  meint,  dass  das  einzig 
Gemeinsame  das  sei,  dass  die  Nahrung  zur  Siedehitze  erwärmt 
worden  ist,  und  sieht  darin  die  Schädigung.  Stooss  dagegen 
sieht  wohl  darin  einen  Schaden,  dass  Fermente  zerstört  werden, 
dass  die  zitronensauren  Salze  verändert  werden  (Netter),  oder 
dass  Störungen  in  der  Ealkresorption  und  -Retention  eintreten 
(Cronheim    und    Erich    Müller).     Dies    genüge    aber,  wie  die 


24  Bartenstein,  Beitr&ge  zur  Frage 

tausendfache  Erfahrung  lehre,  für  sich  allein  gewöhnlich  nicht,  den 
Organismus  krank  zu  machen.  Das  weitere  Gemeinsame  scheint 
ihm  aber  das  zu  sein,  dass  die  Nahrung  in  irgend  einer  Richtung 
qualitativ  ungenügend  ist.  Dies  trifft  zu  für  die  mehligen  Nähr- 
präparate, die  Gaertn ersehe  Fettmilch  und  für  die  Ernährung 
mit  zu  dünnen  Milch-  und  Schleimabkochungen.  Allerdings 
muss  dann  ferner  angenommen  werden,  dass  ein  Defizit  in  ganz 
bestimmter,  aber  uns  noch  unbekannter  Richtung  notwendig  ist. 
Die  Kombination  der  Sterilisation  mit  qualitativ  ungenügender 
Nahrung  kann  noch  schädlicher  wirken,  ebenso  wie  wiederholtes 
Sterilisieren  die  Schädigung  noch  zu  vermehren  scheint.  Schliesslich 
muss  dann  noch  die  individuelle  Disposition  herangezogen  werden, 
sodass  bei  erhöhter  Disposition  ein  Faktor  allein  genügt,  um  die 
Erkrankung  herbeizuführen. 

Beziehungen  zwischen  Barlowscher  Krankheit  und  dem 
Skorbut  der  Erwachsenen  werden  von  den  meisten  nicht  geleugnet. 
Beide  haben  das  gemeinsam,  dass  ganz  offenbar  Fehler  in  der 
Ernährungsweise  das  Ausschlaggebende  sind.  Beiden  Erkrankungs- 
formen gemeinsam  ist  auch  der  Erfolg  der  Behandlung.  Durch 
die  Erkenntnis,  dass  die  fehlerhafte  Ernährungsweise  das  Mass- 
gebende ist,  und  durch  rationelles  Vermeiden  dieser  Schädlich- 
keiten ist  der  Skorbut  der  Erwachsenen  eine  Seltenheit  geworden. 
So  berichtet  Stooss^),  dass  auf  Nansens  Fram  kein  einziger 
Skorbutfall  sich  ereignet  hat.  Dagegen  soll  die  Expedition  der 
englischen  geographischen  Gesellschaft  in  die  südlichen  Polar- 
gegenden auf  der  „Discovery"  von  schwerem  Skorbut  heimgesucht 
worden  sein.  Zitronensaft  wurde  ohne  Erfolg  angewendet. 
Konserven,  welche  infolge  Leckage  des  Schiffes  verdorben  waren, 
sollen  die  Ursachen  des  Ausbruches  der  Krankheit  gewesen  sein. 
Nansen  soll  davon  überzeugt  sein,  dass  der  Skorbut  bei  arktischen 
und  antarktischen  Expeditionen  durch  verdorbene  Nahrung  hervor- 
gerufen wird,  und  zwar  durch  sterilisierte,  schlecht  verschlossene 
Nahrungsmittel. 

Auf  Grund  dieser  Erfahrungstatsache  unternahm  ich  es, 
junge  Hunde  mit  einer  sogenannten  „Dauermilch"  längere  Zeit 
zu  ernähren.  Bekanntlich  wird  Milch  durch  die  gewöhnlichen 
Methoden    der  Sterilisation    —    Erhitzen    im    strömenden  Dampf 

1)  Stooss,  1.  c. 


des  künstlichen  Morbus  Barlow  bei  Tieren.  25 

längere  Zeit  hindurch  —  nicht  steril  erhalten,  wenigstens  nicht  im 
bakteriologischen  Sinne.  Eine  gewisse  Art  von  Bakterien,  namentlich 
die  peptonisier^nden  (Flügge),  sind  gegen  diese  Art  der  Erhitzung 
resistent.  Bei  längerer  Aufbewahrung  derartig  erhitzter  Milch 
können  diese  Bakterien  mehr  oder  minder  grosse  Veränderungen 
in  der  Milch  hervorrufen,  sodass  sie  schon  mit  den  gröbsten 
Hilfsmitteln  erkannt  werden  können. 

Zu  diesem  Zwecke  erhitzte  ich  einen  grossen  Yorrat  von 
Milch  in  sogenannten  Patentverschlussflaschen  im  strömenden 
Dampf  2  Stunden  lang  und  bewahrte  dieselben  in  einem  massig 
kühlen  Räume  1 — 5  Monate  lang  auf,  ehe  sie  zur  Verfutterung 
an  die  Hunde  kamen.  Grob  sichtbare  Zersetzungen  der  Milch 
waren  nur  in  wenigen  Flaschen  vorhanden,  in  einzelnen  unter 
starker  Gasentwicklung.  Diese  wurden  natürlich  nicht  ver- 
füttert. 

Im  ganzen  wurden  4  junge  Hunde  eingestellt,  die  sich  un- 
gefähr am  Ende  des  2.  Lebensmonats  befanden.  Von  diesen 
wurde  einer  6Va  Monat,  ein  anderer  5^8,  ein  dritter  6  Monat 
und  der  vierte  l^a  Monat  ausschliesslich  mit  2  Stunden  lang 
erhitzter,  1 — 5  Monat  aufbewahrter  Milch  ernährt.  Eine  andere 
Ernährung  war  absolut  ausgeschlossen,  da  die  Tiere  gut  isoliert 
in  verschlossenen  Käfigen  gehalten  wurden.  Die  Tiere  nahmen 
nach  einer  vorübergehenden  Abnahme  meist  fortlaufend  an  Gewicht 
zu,  wie  die  untenstehende  Tabelle  der  Gewichtszahlen  zeigt,  wenn 
sie  auch  sonst  etwas  gegen  anders  ernährte  Hunde  zurückblieben. 
Ein  Panniculus  wurde  nur  spärlich  angesetzt.  Krankheits- 
erscheinungen boten  sie  kaum  dar.  Sie  waren  alle  immer  agil 
und  munter  und  zeigten  niemals  Symptome,  die  auf  eine  Knochen- 
erkrankung hätten  schliessen  lassen  können.  Ein  Hund  No.  Hl 
verlor  an  mehreren  Körperstellen  die  Haare.  No.  IV.  ging  nach 
einer  eitrigen  Augenentzündung  l^/g  Monat  nach  der  Einstellung 
zugrunde.  Die  Obduktion,  die  aus  äusseren  Gründen  nicht  von 
mir  persönlich  vorgenommen  werden  konnte,  ergab  keinen  Befund. 
An  den  Knochen  waren  keine  Veränderungen  sichtbar.  No.  lU 
und  IV  waren  von  ein  und  demselben  Wurf.  Nach  Beendigung 
der  Versuche  wurden  die  Tiere  bei  gemischtem  Futter  noch  eine 
Zeitlang  beobachtet.  Auch  in  dieser  Zeit  boten  sie  keine  ab- 
normen Erscheinungen  dar. 


26 


Bartenstein,  Beitr&ge  zar  Frage 


I. 

IL 

IIL 

IV. 

22.  XII.  08 

800g 

_ 

__ 

_ 

3.  I.  04 

1050  . 

— 

— 

"~~ 

19.  I. 

1187  „ 

1812  g 

— 

29.  I. 

1160  „ 

1240  , 

—. 

— 

8.  IL 

1165  , 

1350, 

— 

— 

8.  II. 

— 

— 

1320  g 

1410  g 

12.  IL 

1240  „ 

1470  , 

1200  , 

1300  „ 

29.  IL 

1480  „ 

1860  , 

1120  n 

990  . 

8.  III. 

1730  „ 

2460  , 

1210  „ 

1100  , 

19.  III. 

1575  , 

2340, 

1185  , 

970  , 

24.  IIL 

1790  , 

2500, 

1250  « 

t 

7.  IV. 

1910  , 

2790  , 

1165  „ 

— 

23.  IV. 

2290  , 

3100  , 

1210  „ 

— 

2.  V. 

2480  , 

3350. 

1245  „ 

— 

16.  V. 

2300  , 

8286  , 

1105  „ 

— 

26.  V. 

2460  , 

8550  , 

1150  „ 

— 

3.  VL 

2590  „ 

8680  , 

1100  „ 

— 

13.  VL 

2820  „ 

4310, 

1300  „ 

— 

23.  VL 

3630  « 

5090  , 

1560  « 

— 

1.  vn. 

3220  „ 
Versa  eil 
beendet 

5180, 

1590  , 

10.  VII. 

3650  g 

5880, 
Versuch 
beendet 

1840  . 
Versuch 
beendet 

1.  VIII. 

4250  g 

6070  g 

1960  g 

— 

Diese  Versuche  sind  also  mit  demselben  negativen  Resultate 
verlaufen,  wie  die,  über  welche  Keller*)  berichtet  hat.  Es  lasst 
sich  daraus  nur  der  Schluss  ziehen,  dass  für  junge  Hunde  aus- 
schliessliche Ernährung  mit  Milch,  die  lange  Zeit  sterilisiert  und 
aufbewahrt  worden  ist,  keine  genügende  Schädigung  ist,  um 
eine  Knochenerkrankung  oder  eine  Bari ow sehe  Krankheit  hervor- 
zurufen. Der  Hund  ist  also  kein  genügend  feines  Reagens 
zum  Studium  dieser  Frage.  Es  sollen  diese  Versuche  gelegent- 
lich an  Affen  wiederholt  werden. 

Versuchs-Protokolle. 
No.  I. 
Anfangsgewicht    218    g,    Endgewicht    190   g,    Versuchsdauer   3   Tage. 
5  Minuten  gekochte  Milch. 


0  L  c. 


des  köDstlichen  Morbus  Barlow  bei  Tieren.  27 

ObduktioDsbefaiid:  Magen  und  D&nndarm  leer;  Blinddarm  stark  er- 
weitert and  mit  dickem,  z&hen  Kot  angefüllt.  Schleimhaut  des  Dünndarms 
und  Peritoneum  leicht  iniiciert.     Knochen  o.  B. 

No.  II. 

Anfangsgewicht  165  g,  Endgewicht  180  g,  Yersuchsdauer  4  Tage. 
10  Minuten  gekochte  Milch. 

Obduktionsbefund:  Magen  und  Dünndarm  leer,  im  Blinddarm  reichlich 
zäher  Kot,  im  Dickdarm  einige  Eotballen.  Peritoneum  und  Magenschleimhaut 
leicht,  Dünndarmschleimhaut  stark  iniiciert.     Knochen  o.  B. 

No.III. 

Anfangsgewicht  221  g,  Endgewicht  181  g,  Yersuchsdauer  5  Tage. 
30  Minuten  gekochte  Milch. 

Magen  und  Dünndarm  leer.  Blinddarm  mit  zähem  Kot  stark  an- 
gefüllt. Magenschleimhaut  dnnkelrot,  die  des  Dünn-  und  Dickdarms  eben- 
falls stark  iniiciert     In  den  Lungen  kleine  Infiltrationsherde.    Knochen  o.  B. 

No.  IV. 
Anfangsgewicht   237    g,    Endgewicht    186    g,   Yersuchsdauer   5   Tage. 
Rohe  Milch. 

Starke  Gastroenteritis.    Blinddarm  stark  gefüllt.    Knochen  o.  B. 

No.  V. 

Anfangsgewicht  212  g,  Endgewicht  180  g,  Versuchsdauer  5  Tage. 
15  Minuten  gekochte  Milch. 

Starke  Gastroenteritis,  wie  bei  den  ersten  Tieren.  Zu  beiden  Seiten 
der  Wirbelsäule  neben  den  Nieren  befinden  sich  2  retroperitoneal  gelegene 
Abszesse  mit  dickbreiigem  Eiter,  der  reichlich  Diplokokken  und  Eiter- 
korperchen  enthält.    Knochen  o.  B. 

No.  VI. 
Anfangsgewicht   218    g,    Endgewicht    182    g,   Yersuchsdauer    6    Tage, 
2  Stunden  gekochte  Milch. 

Starke  Gastroenteritis.  Peritoneum  leicht  gerötet,  spiegelnd.  Knochen  o.B. 

No.  YII. 

Anfangsgewicht  237  g,  Endgewicht  180  g,  Yersuchsdauer  8  Tage. 
10  Minuten  gekochte  Milch. 

Sehr  starke  Gastroenteritis.  Peritoneum  gerötet.  Blinddarm  mit 
zähem,  hellen  Kot  angefüllt.    Knochen  o.  B. 

No.  YIII. 

Anfangsgewicht  210  g,  Endgewicht  184  g,  Yersuchsdauer  9  Tage. 
Hohe  Milch. 

Peritoneum  und  Magenschleimhaut  leicht  gerötet,  Dünndarmschleimhaut 
stark  gerötet.  Blinddarm  mit  zähem,  hellgelben  Kot  gefüllt.  In  der  linken 
Lunge  einzelne  pneumonische  Herde.  Der  rechte  Femur  bricht  bei  verhältnis- 
mässig geringer  Kraftaufwendung  oberhalb  der  Condjlen  in  einer  Spirallinie 
durch,  während  der  linke  Femur  mit  einer  gleichen  oder  grösseren  Kraft- 
aufwendung  nicht  zu  brechen  ist.    An  den  übrigen  Knochen   kein  Befund. 


28  Barten  stein,  Beiträge  zur  Frage 

No.  IX. 

Anfangsgewicht  828  g,  Bndgewicht  250  g,  Versnchsdaaer  9  Tage. 
15  Minaten  gekochte  Milch. 

Massige  Gastroenteritis.  Peritoneum  leicht  gerötet.  Rechte  Niere  er- 
heblich kleiner  als  die  linke,  höckerig,  aaf  dem  Durchschnitte  interstitielles 
Bindegewebe  gewuchert.    Knochen  o.  B. 

No.  X. 

Anfangsgewicht  755  g,  Endgewicht  490  g,  Versuchsdauer  10  Tage. 
2  Stunden  gekochte  Milch. 

Massige  Gastroenteritis.  Kleine  Blutungen  in  der  Magenschleimhaut. 
Leber  Terfettet,  hyperämisch.    Knochen  o.  B. 

No.  XI. 

Anfangsgewicht  570  g,  Endgewicht  395  g,  Versachsdauer  10  Tage 
1  Stunde  gekochte  Milch. 

Gastroenteritis.  Blind-  und  Dickdarm  mit  fast  schwarzem,  dicken, 
zähen  Kot  angefüllt.  Einzelne  kleine  Blutungen  in  der  Magenschleimhaut. 
Knochen  o.  B. 

No.  XII. 
Anfangsgewicht   260  g,    Endgewicht   235    g,  Versuchsdauer    13   Tage. 

1  Stunde  gekochte  Milch. 

Peritoneum  leicht  gerötet.  Gastroenteritis.  Blind-  und  Dickdarm  stark 
mit  zähem,  hellen  Kot  gefüllt.    Lungen  hyperämisch.     Knochen  o.  B. 

No.  XIII. 

Anfangsgewicht  395  g,  Endgewicht  275  g,  Versuchsdauer  18  Tage. 
80  Minuten  gekochte  Milch. 

Peritoneum  gerötet,  spiegelnd.  Gastroenteritis.  Im  Fundus  des  Magens 
eine  oberflächliche  Blutung.  An  den  Unterschenkeln  tritt  bei  Überstreckung 
im  Kniegelenk  eine  Fraktur  an  den  Epiphysenlinien  ein.  Sonst  kein  ab- 
normer Befund  an  den  Knochen. 

No.  XIV. 
Anfangsgewicht   430   g,   Endgewicht   808    g,  Versuchsdauer    10  Tage. 

2  Stunden  gekochte  Milch. 

Das  Tier  wurde,  wie  die  folgeuden,  in  einem  Drahtkäfig  gebalten  und 
2  stündlich  mit  Milch  gefüttert. 

Obduktionsbefund:  Magen  aufgetrieben,  im  Fundus  kurz  vor  dem 
Pylorus  eine  sackartige  Erweiterung;  die  Serosa  an  dieser  Stelle  ist  be- 
sonders intensiv  gerötet.  In  dieser  Ausstülpung  liegen  2  kirschkern grosse 
dunkelgraabraune  Körper,  der  eine  davon  direkt  vor  dem  Pylorus.  Dieselben 
bestehen  aus  zusammengefilzten  Haaren.  Die  Magenschleimhaut,  nameutlieh 
in  der  sackartigen  Erweiterung,  ist  schmutzig  graurot  verfärbt  und  der 
Perforation  nahe.  Dünndarmschleimhaut  stellenweise  stark  iniiciert.  Peri- 
toneum leicht  gerötet,  spiegelnd.  Blind-  und  Dickdarm  reichlich  mit  zähem, 
dunklen  Kot  gefüllt.     Knochen  o.  B. 


des  künstlioheii  Morbus  BatIow  bei  Tiereo.  29 

No.  XV. 
Anfangsgewicht   430  g,     Endgewicbt    295  g.     Versuchsdftaer   14  Tage. 
5 — 10  Minuten  gekochte  Milch. 
2  standlich  goffittert. 

Peritoneum  leicht  gerötet,  gl&nzend.    M&ssige  Gastroenteritis.     Blind- 
darm mit  heilem,  zähen  Kot  gefüllt. 
Knochen  o.  B. 

No.  XVI. 
Anfangsgewicht   665  g,    Endgewicht   880  g.    Versuchsdauer   31    Tage. 
2  Standen  gekochte  '/s  Sahne,  */s  Milchmischung  4*  ^^^  g  Hea  pro  die. 
Peritoneum    leicht    gerötet,    spiegelnd.       Ulcus    duodeni    nahe    dem 
Durchbrach;  ebenso  im  Danndarm  2  kleine  Ulcera.     Schleimhaut  des  Blind- 
darms zum  Teil    gerötet.     Knochen  makroskopisch    o.  B.     Femur   in  Müller 
gehärtet,    Entkalkuog   in    schwefliger   Säure.       Das   Knochenmark    ist   diffas 
durchsetzt  von  kleinen,  blassbläulich  gefärbten,  bei  schwacher  Vergrösserung 
fast   homogen    erscheinenden    Herdeu,    in    denen    bei    starker  Vergrösserung 
spärliche  sternförmige  Zellen  mit  feinen  Ausläufern  zu  sehen  sind.    Zwischen 
diesen    Herden    liegen  Haufen    von    Ijmphoiden   Zellen.      Gorticalis    normal, 
nar  an  einzelnen  Stellen    weite  Markräume  mit  zellarmem  Mark    gefüllt  und 
starke  laknnäre  Knochenresorption.    Epiphysengrenze  nicht  mehr  yorhanden. 
Spongiosa  etwas  verringert. 

No.  XVII. 
Anfangsgewicht     197  g,     Höchstgewicht    215  g,    Endgewicht     142  g. 
Versnchsdauer  27  Tage. 

5  Minuten  gekochte  '/i  Sahne,  */i  Milchmischung  -|-  2  g  Heu  -{■  1— 2  g 
Weizenkleie. 

Gegen  Ende  des  Versuches  werden  die  Hinterbeine  geschont. 
Im  Duodenum  einzelne  Blutungen.  Schleimhaut  des  Dünn-  und 
Blinddarmes  stellenweise  gerötet.  Milz  Tergrössert.  Fraktur  des  linken 
Femur.  Fraktur  des  rechten  Unterschenkels.  Frakturen  beider  Vorderarme. 
Die  unteren  Skapalarränder  umgeknickt,  Blutungen  in  der  Muskulatur  da- 
selbst.    Becken,  Wirbelsäule  und  Unterkiefer  morsch  und  spröde. 

Femur:  Winkelfraktnr  mit  starker  Dislokation.  Keine  Gallusbildung. 
An  der  Frakturstelle  fast  totaler  Schwund  der  Gorticalis.  Vollkommener 
Untergang  der  Spongiosa.  Epiphysenlinie  bis  auf  wenige  Trümmer  zerstört. 
Alte  Blutungen  in  der  Markhöhle.  Das  Mark  besteht  aus  einem  faserigen 
Gewebe  mit  spindeligen  Kernen  an  der  Frakturstelle  und  am  unteren  Ende 
der  Diaphyse,  sonst  noch  Ijmphoides  und  Fettmark  Yorhandon. 

Unterarm:  Querschnitt.      Gorticalis    stark    atrophisch    und    rareflziert; 
sie  besteht    nur   aus    einzeln    isolierten,    mit    tiefen  Lacunen  versehenen  un- 
regelmässigen Knochenbalken,    zwischen    die    ein    zellarmes  Mark    oder    das 
gewucherte  Periost  hineindrängt.  Reichlich  Fettzellen,  wenig  freie  Rundzellen. 
Leber  und  Milz  o.  B. 

No.  XVIII. 
Anfangsgewicht     145  g,    Höchstgewicht     170  g,    Endgewicht     105  g. 
Versuchsdauer  27  Taga. 

5—10  Minuten  gekochte  Vt  Sahne,  '/<  MUchmischung  +  2  g  Heu 
-}-  1 — 2  g  Weizenkleie  pro  Tag. 


30  Bartenstein,  Beiträge  zur  Frage 

SehoDt  gegen  Schinss  des  Versuches  die  Extremitäten  und  liegt  platt 
auf  dem  Bauche. 

Schrägfraktnr  des  rechten  Oberschenkels.  Infraktion  des  linken  Ober- 
schenkels. Fraktur  beider  Unterarme.  Epiphjsenlösung  oben  am  rechten 
Hnmerus.  Der  Unterkiefer  zeigt  mehrere  runde,  graurötliche  Flecken,  an 
denen  die  Corticalis  fehlt.     Becken  und  Wirbelsäule  spröde  und  morsch. 

Rechter  Femur:  Winkelfraktur  in  der  Diaphyse  ohne  CallusbilduDg. 
Blutungen  in  die  Umgebung.  Corticalis  stark  atrophisch  uud  rarefiziert, 
namentlich  an  der  unteren  Epiphysengrenze;  durch  Abknickung  der  unteren 
Epi-  gegen  die  Diaphyse  Zerstörung  der  Ossifikationsgrenze.  Spongiosa  bis 
auf  kleine  Reste  verschwunden.  Das  Mark  besteht  aus  faserigem  Gewebe  mit 
spindeligen  Kernen,  dazwischen  kleine  Inseln  von  lymphoiden  Mark-  und 
einigen  Fettzellen. 

Linker  Femur:  Corticalis  atrophisch,  namentlich  am  unteren  Ende  der 
Diaphyse,  so  dass  die  Epiphyse  sich  abgeknickt  hat,  dadurch  Zerstörung  der 
Epiphysengrenzlinie;  das  Mark  dort  faserig,  sonst  meist  lymphoid  mit 
reichlichen  Riesenzellen. 

Niere  und  Leber  o.  B. 

No.  XIX. 

Anfangsgewicht  72  g,  Endgewicht  60  g.     Yersuchsdauer  5  Tage. 

2  Stunden  gekochte  Vs  Sahne,  */>  Milch  +  ^  g  H^^*  Frisst  sehr 
schlecht,  nimmt  kaum  von  der  Milch. 

Kein  Obduktionsbefund. 

Femur:  Verschmälerung  der  unteren  Epiphysengrenze.  Mark  zell- 
reich und  gefässreich,  mit  einzelnen  kleineren  zellarmen  Partien  durchsetzt, 
namentlich  in  der  unteren  Epiphyse. 

Tibia-Querschnitt  am  oberen  Drittel  der  Diaphyse.  Die  Tibiakante 
von  erweiterten  Markräumen  durchsetzt.  Mark  gefössreich,  massig  zellreich, 
im  Zentrum  an  freien  Zellen  ärmer.  Einige  Fettzellen  und  reichlich  fein- 
fädiges  Zwischengewebe. 

No.  XX.' 

Anfangsgewicht  88  g,  Höchstgewicht  110  g,  Endgewicht  85  g. 

Yersuchsdauer  31  Tage. 

2  Stunden  gekochte  if«  Sahne,  «/«Milch-f  2  g  Heu  +  2  g  Kleie. 

Kleie  wird  schlecht  gefressen. 

Schleimhaut  des  Dünndarms  an  einigen  Stellen  injiziert. 

Am  Unterkiefer  kleine  runde  Löcher;  bricht  beim  Präparieren  ab. 
Becken  spröde  und  morsch.     Keine  sichtbaren  Prakturen. 

Humerus:  Verringerung  der  Spongiosa.  Epiphysenlinie  verschmälert, 
daselbst  faseriges  Mark,  sonst  gefassreiches  Lymphoid-Mark. 

Scapula:  Corticalis  atrophisch;  Mark  stellenweise  zellarm. 

No.  XXI. 

Anfangsgewicht  90  g,  Höchstgewicht  105  g,  Endgewicht  96  g. 
Versuchsdauer  9  Tage. 

2  Stunden  gekochte  V«  Sahne,  ^ji  Milch  -|-  2  g  Heu. 
Im    Duodenum    und    Dünndarm    leichte    Injektion    der    Schleimhäute. 
Knochen  leicht  brechbar. 


des  künstlichen  Morbus  ßarlow  bei  Tieren.  31 

Scapala:  Corticalis  atrophisch.  Verringerung  der  Spongiosa.  Im 
Mark  zahlreiche  stark  gefüllte  Gef&sse.  Die  freien  Markzellen  auf  kleine 
Häufchen  reduziert,  dazwischen  ein  feinfädiges  Stützgewebc. 

Femur:  Epiphysengrenzen  auf  Kosten  der  Zone  der  Knorpelwuoherung 
und  hypertrophischen  Zellsäulen  verschmälert.  Spongiosa  in  der  Diaphyse 
Terriogert.  Corticalis  normal.  Im  oberen  Drittel  der  Diaphyse  befindet  sich 
ein  grösserer  in  Organisation  begriffener  Thrombus  in  der  Markhöhle. 

Das  Mark  ist  zellarm,  die  Zellen  um  die  engen  Gefässe  angeordnet, 
das  Zwischengewebe  besteht  ans  hellen,  sternförmigen  und  spindeligen  Zellen 
mit  feinen  Ausläufern. 

Humerus:  Befund  wie  am  Femur. 

No.  XXII. 

Anfangsgewicht  75  g,  Höchstgewicht  102  g,  Endgewicht  95  g. 

Versuchsdauer  33  Tage. 

2  Stunden  gekochte  V4  Sahne,  */«  Milch  +  2  g  Heu  +  2  g  Kleie. 

Gegen  Ende  des  Versuches  Decubitus  der  Fusssohlen. 

Serosa  des  Dünndarms  an  einigen  Stellen  gerötet.  Unterer  Skapular- 
rand  umgebogen.    Becken  spröde  und  morsch. 

Femur:  Corticalis  z.  T.  atrophisch,  z.  T.  rarefiziert;  Spongiosa  Ter- 
ringert. Mark  trägt  lymphoiden  Charakter,  an  den  Epiphysengrenzen 
jedoch  faserig,  sonst  einzelne  zellärmere  Partien  darin  verstreut,  wenig 
Fettzellen. 

Humerus:  Befund  wie  am  Femur. 

Schädeldach:  normal.     Niere:  0.  B. 

No.  XXIII. 
Normales  Tier.     Gewicht  150  g. 

No.  XXIV. 

Anfangsgewicht  115  g,  Höchstgewicht  125  g,  Endgewicht  105  g. 

Versuchsdauer  81  Tage. 

Rohe  V«  Sahne,  V«  Milch  +  2  g  Heu  + 1  g  Kleie. 

Vier  Tage  vor  dem  Tode  Konvulsionen. 

Serosa  des  Duodenums  an  einigen  Stellen  gerötet.  An  der  rechten 
Tibia  an  der  oberen  Epiphysengrenze  eine  frische  Blutung,  Epiphysen- 
absprengung.    Knochen  spröde  und  morsch. 

Humerus:  Corticalis  stellenweise  atrophisch  und  zerklüftet.  Spongiosa 
verringert.  An  der  oberen  Epiphysenlinie  feines  fibröses  Mark  und  Ab- 
lagerungen von  Pigmentkörnchen. 

Femur:  Verschmälerung  der  Epiphysenlinien.  Corticalis  atrophisch 
und  zerklüftet.  Spongiosa  verringert.  Am  oberen  Ende  der  Diaphyse  das 
Mark  mehr  homogeu,  gallertig,  am  unteren  Ende  mehr  faserig.  In  der  oberen 
Epiphyse  zellarmes  Mark. 

Tibia:  Obere  Epiphysengrenze  z.  T.  zerstört;  keine  Bildung  von 
osteoidem  Gewebe.  Spongiosa  stark  vermindert.  Corticalis  z.  T.  atrophisch, 
zerklüftet,  namentlich  am  oberen  Ende  der  Diaphyse. 

An  der  Epiphysengrenze  faseriges  Mark,  sonst  zahlreiche  Herde  von 
zellarmem,  homogenem,  gallertigem  Marke. 


32  Bartenstein,  Beiträge  zar  Frage 

Scapula:  Gorticalis  an  eiDzelnen  Stellen  atrophisch.  Spongiosa  ver- 
ringert. 

Milz:  0.  B.     Niere:  Kleiner  Infarkt 

No.  XXV. 

Anfangsgewicht  75  g,  Höchstgewicht  122  g,  Endgewicht  ^  g. 

Versuohsdaaer  61  Tage. 

Rohe  V4  Sahne,  ^U  Müch  +  2  g  Heu  +  2  g  &Ieie. 

Bewegungen  der  Hinterbeine  werden  mit  der  Zeit  sehmeFahAft,  ge- 
braacht  dieselben  nicht  als  Stütze,  liegt  platt  auf  dem  Baache.  Starke  Ab- 
magerang.  Am  Ende  der  Dorsal  Wirbelsäule  eine  deailiche  Kyphose  der 
Wirbelsäule.  Unmittelbar  hinter  dem  Pyloros  im  erweiterten  Duodenum 
2  flache  Ulcera,  das  eine  linsen-,  das  andere  hanf  körn  gross.  Mesenterialdrüsen 
geschwollen.  Rechter  unterer  Scapularrand  umgebogen.  Becken  äusserst 
morsch  und  spröde,  ebenso  die  Wirbelkörper. 

Humerus:  Corticalis  atrophisch  und  am  oberen  Ende  der  Diaphjse 
zerklüftet,  rarefiziert.  Humeruskopf  gegen  den  Schaft  abgeknickt.  Spongiosa 
Terringert.  Mark  sehr  geiässreich,  um  die  Gefässe  Pigmentablagerungen.  An 
der  oberen  Epiphysengrenze  Mark  feinfaserig  mit  spindeligen  Kernen  und 
PigmentablageruDgen. 

Femur:  Corticalis  atrophisch.  Spongiosa  zum  grössten  Teile  ver- 
schwanden. 

In  der  Diaphjse  an  der  Epiphysen grenze  derbes  zellarmes  Mark  mit 
Pigmentablagerungen,  sonst  homogenes,  gallertiges  nnd  lymphoides  Mark 
herd weise  abwechselnd.    In  der  unteren  Bpiphyse  hauptsächlich  Gallertmark. 

Wirbelsäule:  Keilförmiges  Zusammensinken  eines  Wirbelkörpers,  leichte 
Kompression  des  Rückenmarkes.  Stark  atrophische  Corticalis,  z.  T.  yölliger 
Schwund.  Spongiosa  vermindert.  Im  lymphoiden  Mark  reichlich  Pigment- 
ablagerungen um  die  Gefässe. 

Scapula:  Totale  Umknickung  des  unteren  Randes  um  180o.  Atrophie 
von  Corticalis  und  Spongiosa. 

Schädeldach:  normal. 

Niere,  Milz,  Leber  o.  B. 

Duodenum:  Grosses  Geschwur  mit  ausgedehnten  Blutungen. 

No.  XVI. 

Anfangsgewicht  157  g,  Endgewicht  107  g. 

Versa chsdauer  ^5  Tage. 

Rohe  Vi  Sahne,  »/i  Milch  -f  2  g  Heu  -f  1  g  Kleie. 

Vor  dem  Exitus  klonische  Krämpfe. 

Schleimbaut  des  Magens  und  Dünndarms  leicht  gerötet. 

Von  der  rechten  Spina  ant.  sup.  des  Beckens  am  Oberschenkel 
herabziehend  eine  subkutane  und  intramuskuläre  Blutung.  Rechter  Femur 
frakturiert.  Fraktur  des  linken  Femur.  Becken  morsch,  dito  Unterkiefer 
und  Wirbelsäule. 

Linker  Femur:  In  der  Mitte  der  Diaphyse  eine  Querfraktur  mit  Ver- 
schiebung ad  longitudinem  und  mit  Blutungen  in  die  Markhohle  und  um- 
gebenden Weichteile.  Keine  CallusbiJdung.  Im  oberen  Drittel  der  Diaphyse 
eine    alte  Blutuog    in    die  Markhöhle.     Enchondrale  Ossiflkationsgrenze   ver- 


•  des  küiwtliclien  Morbas  Bmrlow  bei  Tieren.  38 

schmälert.  Spongiosa  der  Diaphjse  ganz  vergchwanden,  di«  der  Epiphjse 
stark  verringert  Corticalis  der  Dia-  and  Epiphysen  and  der  Patella  atrophisch, 
rarefiztert,  an  der  unteren  Epiphysengrenze  mehrfach  eingebrochen.  Das 
Marie  ist  diffas  zellarm,  gallertig,  namentlich  in  der  anderen  Bpiphyse. 
Die  freien  Zellen  sind  auf  einzelne  Häafchen  am  die  Gef&sse  b«achr&nkt. 
An  der  unteren  Epiphjraengrenze  faseriges  Mark. 

Rechter  Femar:  Im  oberen  Drittel  der  Diaphyse  eine  Winkelfmktar 
mit  aasgedehnten  Blutungen.     Corticalis  atrophisch.    Gef&ssreiohes  Mark. 

Hnmerus:  Epiphysenlinien  yerschin&iert.  Corticalis  atrophisch. 
Spongiosa  verringert.    Mark  stellenweise  zellarm,  gallertig. 

Hnmerus:  Querschnitt.  Corticalis  wenig  atrophisch.  Mark  stellen- 
weise zellarm. 

Niere  o.  B. 

No.  XXVII. 

AnfaBgsgewicht  71  g,  Höchstgewicht  95  g,  Endgewieht  82  g. 

Versnohsdaaer  87  Tage. 

2  Standen  gekochte  Vs  Sahne,  >/,  Milch  +  2  g  Hea  +  1  g  Kleie. 

Gangrftn  der  Fasssohlen.  Punktförmig«  Blutangen  im  Magen.  Milz 
vergrössert.     Becken  und  Wirbelsäale  spröde  und  morsch. 

Femur:  Verringerung  der  Spongiosa.  Corticalis  zum  Teil  atrophisch. 
ZeUreiches,  gefässarmes  Mark. 

Hamerns:  Verschmälerang  der  Epiphyeenlinie  and  der  Knorpeilage  an 
der  Gelenkfläche  der  Epiphyse.  Verringerong  der  Spongiosa.  Corticalis  zum 
Teil  atrophisch.  Im  oberen  Drittel  der  Diaphyse  ein  feinfaseriges  Mark  mit 
spindeligen  Kernen,  sonst  zell-  und  gefässreich. 

Unterschenkel:  Querschnitt:  Corticalis  an  einer  Seite  Ton  weiten  Mark- 
räumen durchzogen.     Zellarmes,  fettreiches  Mark. 

Niere  o.  B. 

No.  XXVIII. 

Anfangsgewicht  ^  g,  Höchstgewicht  100  g,  Endgewieht  85  g. 

Versachsdaaer  87  Tage. 

2  Standen  gekochte  >/>  Sahne,  Vs  Milch  +  2  g  Hea  +  l  g  Kleie. 

Gangrän  der  Fasssohlen.     Im  Dickdarm  mehrere  Blutungen. 

Femar:  Verschmälerang  der  Epiphysenlinie.  Verringerang  der 
Spongiosa  in  Dia-  und  Epiphyse.  Atrophie  der  Corticalis.  Im  unteren 
Drittel  der  Diaphyse  feines,  faseriges  Mark  mit  spindeligcn  Kernen.  In  der 
Epiphyse  und  an  einzelnen  Stellen  der  Diaphyse  zellarmes,  gallertiges  Mark. 

Humerus:  Verlust  der  Spongiosa.  Teilweise  Atrophie  der  Corticalis. 
Geftssreiches,  lymphoides  Mark. 

Kniegelenk:  Atrophische  Corticalis. 

Humerus:  Querschnitt.     Atrophische  und  rarefizierte  Corticalis. 

Querschnitt  durch  die  Fusswurzelknochen.  Starke  Atrophie  und 
Rarefikation  der  Corticalis. 

Dickdarm:  Blutungen  in  die  Mucosa  und  Muscularis  mit  Zerstörung 
der  Mucosa. 

Niere  o.  B. 

No.  XXIX. 

Anfangsgewicht  84  g,  Höchstgewicht  107  g,  Endgewicht  100  g. 
Nach  24  Tagen  getötet. 
Jahrbach  f.  Kinderheilkunde.  N.  F.   LXI.   Heft  l;  3 


34  Barten  stein,  Beiträge  zar  Frage  » 

Rohe  Vi  Sahne,  '/,  Milch  +  2  g  Hea  +  1  g  Kleie. 

Becken  und  Unterkiefer  morsch. 

Femnr:  Gorticalis  am  unteren  Ende  der  Diaphyse  atrophisch  und 
rarefiziert,  Spongiosa  stark  yerringert.  Zelireiches  Mark  mit  reichlich  Fett- 
und  Pigmeotzellen. 

Humerus:  An  der  enchondralen  Ossifikationszone  keine  Knochenneu« 
bildnng.  Spongiosa  verringert.  Gorticalis  an  einzelnen  Stellen  Ton  weiten 
Markr&umen  durchzogen.     Zellreiches  Mark. 

Milz  und  Niere  o.  B.    In  der  Leber  eine  kleine  frische  Blutung. 

No.  XXX. 

Anfangsgewicht  105  g,  Höchstgewicht  114  g,  Endgewicht  83  g. 

Versuchsdauer  23  Tage. 

5  Minuten  gekochte  ^t  Sahne,  '/>  Milch  -f-  2  g  Heu  +  ^  S  Kleie. 

Pemur:    Gorticalis  zum  Teil  atrophisch.    Epiphjsenlinie  yersohmälert. 

.  Verringerung   der  Spongiosa   in  Dia-    und  Epiphjse.    Im    unteren  Ende  der 

Diaphyse    feines    faseriges    Mark     mit    spindeligen    Kernen.      Sonst    diffus 

gallertiges  Mark  mit  Häufchen  von  freien  Zellen.   Einzelne  frische  Blutungen 

im  Mark. 

Humerus:  Befund  wie  am  Femnr. 

Unterschenkel:  Querschnitt.  Gorticalis  an  der  Tibiakante  atrophisch 
rarefiziert;  das  gewucherte  Periost  bricht  durch  die  Gorticalis  ein.  Das 
Mark  au  dieser  Stelle  fibrös  zellärmer. 

Niere  o.  B. 

No.  XXXI. 

Anfangsgewicht  93  g,  Höchstgewicht  105  g,  Endgewioht  94  g. 

Versuchsdauer  24  Tage. 

5  Minuten  gekochte  ^/i  Sahne,  */s  Milch  H~  ^  fi[  ^^^  4'  ^  g  Kleie. 

Becken,  Wirbelsäule  und  Unterkiefer  spröde  und  morsch. 

Femur:  Epiphysengrenze  verschmälert;  Spongiosa  verringert.  Gorticalis 
stellenweise  atrophisch.  Am  unteren  Ende  der  Diaphyse  eine  schmale  Zone 
von  faserigem  Gewebe  mit  spärlichen  freien  Zellen. 

Humerus:  Befund  wie  am  Femnr.    Das  Mark  stellenweise  zellarm. 

Unterschenkel:  Querschnitt.  Gorticalis  zum  Teil  von  erweiterten 
Haversschen  Kanälen  durchzogen.     Mark  zellarm. 

Milz,  Niere  und  Leber  o.  B. 

No.  xxxn. 

Normales  Tier.    Gewicht  90  g. 

No.  XXXIII. 
Anfangsgewicht  100  g,  Höchstgewicht  208  g,  Endgewicht  168. 
Versuchsdauer  53  Tage. 

5—10  Minuten  gekochte  V»  Sahne,  »/i  Milch  +  2  g  Heu  +  1  g  Kleie. 
Decubitus  an  den  Fusssohlen. 
Nicht  untersucht. 

No.  XXXIV. 
Anfangsgewicht  120  g,  Endgewicht  148  g. 
Versuchsdauer  20  Tage. 


des  künstlichen  Morbus  Barlow  bei  Tieren. 


35 


5—10  Minuten  gekochte  Vi  Sahne,  */s  Milch  +  ^  g  Hea  +  l  g  Kleie. 
Nicht  untersucht. 

Anhang. 

Die  histologische  Untersuchung  der  mit  Kuhmilch  ernährten 
Meerschweinchen  hatte  eine  mehr  oder  minder  starke  Atrophie 
der  Knochensubstanz  ergeben;  es  lag  nahe,  dass  damit  gleich- 
zeitig eine  Verarmung  des  Organismus  an  Kalksalzen  Hand  in 
Hand  gehe.  Ich  versuchte  dies  dadurch  nachzuweisen,  dass  ich 
den  Gesamt-Kalk- Gehalt  von  normalen  und  von  der  einseitigen 
Milch-Ernährung  unterworfenen  Tieren  bestimmte.  Zu  diesem 
Zwecke  wurden  die  Tierleichen  gefroren,  der  Inhalt  von  Magen,  Darm 
und  Blase  möglichst  entfernt  und  das  ganze  Tier  gut  zerkleinert; 
nach  Trocknung  auf  dem  Wasserbade  wurde  der  Rest  zu  einem 
feinen  und  gleichmässigen  Pulver  verarbeitet.  Von  diesem  Pulver 
wurden  möglichst  grosse  Mengen  2 — 5  g  zur  Kalkbestimmung 
genommen  und  die  gefundenen  Werte  von  CaO  auf  100  g  fett- 
Ireie  Trockensubstanz  berechnet. 


CaO 

Normales  Tier 
120  g 

No.  34:  148  g 
20  Tage  Versuchsdauer 

No.  33:  168  g 
53  Tage  Versuchsdauer 

10,36 
8,93 
8,58 

100  g  fettfreie 

Trockensubstanz 

enthalten : 

Es  hat  also  bei  den  beiden  untersuchten  Versuchstieren  der  Ge- 
samtkalkgehalt um  1,43  bezw.  1,78  pCt.  abgenommen,  oder  dieselben 
weisen  nur  82,81  pCt.  des  Normalkalkgehaltes  auf.  Die  untersuchten 
Tiere  zeigten  nicht  so  schwere  Veränderungen  an  den  Knochen 
(Frakturen),  wie  sie  bei  anderen.  Tieren  z.  T.  beobachtet  wurden, 
sodass  anzunehmen  ist,  dass  bei  weiter  fortgeschrittenen  Stadien 
der  Kalkgehalt  noch  weiter  sinkt. 

Worauf  die  Kalkverarmung  beruht,  ob  auf  verminderter 
Resorption  oder  vermehrter  Ausscheidung,  lässt  sich  nicht  ohne 
weiteres  entscheiden. 


III. 

Zur  Wirkung  der  Fettdarreidiuiig  auf  den 
S&uglingsstoffiprecbseL 

VOD 

Dr.  WALTHER  FREUND, 

Aulstenten  der  Klinik. 

Aus  einer  grossen  Zahl  yon  Untersachangen  ist  die  Tatsache 
als  gesichert  hervorgegangen,  dass  beim  Säuglinge  die  einen  ge- 
wissen Betrag  überschreitende  Fettzufuhr  regelmässig  eine  Reihe 
von  Veränderungen  im  Mineralstoffwechsel  hervorruft,  deren  am 
längsten  und  besten  studierte  Begleiterscheinung  die  konstante 
Erhöhung  der  Ammoniakausscheidung  durch  den  Urin  ist,  bekannt- 
lich der  grundlegende  Befund  fQr  die  Czerny-Eellersche 
Hypothese  von  der  Säureintoxikation  bei  vielen  chronischen  Er- 
nährungsstörungen des  Säuglingsalters. 

Wir  wissen,  dass  die  Fettzufuhr  eine  Acidose  hervorruft, 
deren  Wesen  nicht  darin  besteht,  dass  vermehrte  oder  abnorm« 
Säuren  im  intermediären  Stoffwechsel  unabgebaut  bleiben  und 
ausgeschieden  wei-den,  wie  dies  nach  Analogie  mit  dem  Diabetes 
von  den  ersten  Untersuchern  der  Frage  vermutet  wurde.  Viel- 
mehr sind  sowohl  die  Versuche  des  direkten  Nachweises  der 
Säuren  (Keller)*),  als  auch  das  indirekte  Vorgehen,  durch  Gegen- 
überstellung sämtlicher  Säuren-  und  Basen  äquivalente  im  Urin 
einen  eventuellen  Basenüberschuss  und  damit  die  Anwesenheit 
unbekannter  Säuren  zu   erweisen  [Freund  (l)J^),   ohne  positives 


0  Diese  Versuche  sind  nicht  pabliziert 

))  Die  Zahlen  hinter    den  Autorennamen  verweisen    auf  das  Literatur- 
verzeichnis am  Schluss. 


Freund,  Zur  Wirkung  der  Fettdarreichung  etc.  dl 

Ergebnis  verlaufen.  Andrerseits  gelang  es  Stein itz  (2),  durch 
Utttersuchnngen  über  den  Alkalistoffwechsel  entscheidende  Auf- 
klärungen für  die  Frage  der  Acidose  bei  Fettzufuhr  beizubringen. 
Er  fand  als  eine  der  wesentlichsten  Ursachen  derselben  eine  durch 
das  Fett  konstant  hervorgerufene  Alkalientziehung  durch  den 
Kot,  infolge  deren  die  Alkalien  im  intermediären  Stoffwechsel  zur 
Neutralisation  der  zur  Ausscheidung  gelangenden  Säuren  nicht  aus- 
reichen, so  dass  vom  Körper  hierzu  Ammoniak  vorgeschoben  werden 
muss.  Die  von  Steinitz  (3)  hierfür  später  gebrauchte  Bezeicix- 
nung  relative  Acidose  soll  zum  Ausdruck  bringen,  dass  es  sich 
nicht  um  ein  Kreisen  vermehrter  Säuren,  sondern  nur  um  eine 
Verminderujig  der  zur  Verfügung  stehenden  Alkalien  handelt,  die 
sich  direkt  darin  zu  erkennen  gibt,  dass  sich  bei  Fettdarreichung 
die  Alkaliausfuhr  durch  den  Urin  —  entgegen  dem  bei  der  wirk- 
lichen, absoluten  Acidose  bekannten  Verhalten  —  vermindert. 
Indessen  weist  auch  Steinitz  darauf  hin,  dass  es  sich  bei  dem  Ein- 
flüsse des  Fettes  auf  die  Steigerung  der  Ammoniakausseheidung 
nicht  allein  um  die  alkalientziehende  Wirkung  desselben  handelt, 
sondern  dass  noch  ein  zweites  Moment  in  Betracht  kommt,  welches 
auf  den  Organismus  tatsächlich  im  Sinne  einer  Säurung  wirkt 
Dieses  Moment  ist  das  Verhalten  der  Phospliorsäureaugscheidung 
bei  Fettzufohr.  Keller  (4),  dem  wir  die  grundlegenden  Unter- 
suchungen über  den  Phosphorstoff  Wechsel  beim  Säuglinge  verdanken, 
hatte  bereits  kurz  die  Aufmerksamkeit  auf  einen  Untersohied  in 
der  Phosphoraaure&usscheidung  bei  verschiedenen  Arten  der 
künstlichen  Ernährung  gelenkt;  er  bestimmte  bei  magendarm- 
kranken  Säuglingen  Stickstoff  und  Pbosphorsäure  im  Urin  bei 
Ernährung  mit  fettaraer  und  fettreicher  Milch;  dabei  ergab  sich 
die  Tatsache,  dasa  die  relative  Phosphorsäureausscheidung  stets 
bei  Ernährung  mit  Magermilch  niedriger  als  bei  Ernährujag  mit 
Sahne  war.  Das  gesetzmässige  Verhalten  der  absoluten  Werte 
der  Phosphorsäureausscheidung  wurde  in  den  Versuchen  Kellers 
dadurch  rerdeekt,  dass  in  den  einander  gegenübergestellten 
Perioden  von  Magermilch-  und  Sahneemährung,  infolge  der  ver- 
aehiedenen  Verdünnung  der  beiden  Milcbarten,  die  Einfuhr  von 
Stickstoff  und  Phosphor  sich  sehr  w^entlich  unterschied.  So 
kam  es,  dass  bei  Keller  die  absoluten  Werte  der  Pkosphorsäure- 
ausseheidimg  in  den  Magermilchperioden  sogar  wesentlich  grösser 
ausfielen,  also  gerade  das  entgegengesetzte  Verhalten  zeigten, 
als  die  relativen  Werte.  Ich  bringe  kurz  die  hierhergehörigen, 
von    mir    berechneten  Durchschnittszahlen   seiner  drei  Versuche. 


88 


Freund,  Zur  Wirkung  der  Fettdarreichung 
Tabelle. 


Gesamt- 

Phosphors&ure- 

Verhältnis 

stiokstoffmenge 

menge  in  mg 

von 

in  mg 

P.O5 

P,Os:N 

Kind  J. 

Abgerahmte 

Müch 

1148,95 

303,06 

1:8,8 

Sahne 

545,9 

252,66 

1:2,2 

Kind  M. 

Sahne 
Abgerahmte 

529,55 

281,05 

1 :  1,85 

Müch 

2686,6 

447,3 

1 : 5,66 

Sahne 

559,5 

247,3 

1 : 2,3 

Kind  S. 

Sahne 
Abgerahmte 

754,8 

869,6 

1 : 2,08 

Milch 

3271,16 

734,6 

1:4,1 

Ich  selbst  (1)  hatte  dann  spater  Gelegenheit,  mir  über  das 
Verhalten  der  Phosphorsäure  bei  Fettzufahr  Aufklärung  zu  ver- 
schaffen, und  zwar  anlässlich  des  bereits  oben  erwähnten  Versuchs 
einer  Gegenüberstellung  der  Säuren  und  Basen  im  Urin  bei  fett- 
armer und  fettreicher  Ernährung,  die  sich,  abgesehen  vom  Fett- 
gehalt, in  ihrer  Zusammensetzung  nicht  wesentlich  unterschieden. 
(Gleichstarke  Verdünnungen  von  Milch  und  Sahne.)  Ich  fand  in 
der  Milchperiode  eine  Phosphorsäureausscheidung  von  0,7707  g,. 
die  in  der  Sahneperiode  auf  1,3310  g,  also  nahezu  auf  das 
Doppelte  anstieg.  Das  ebenfalls  stark  vermehrte  Ammoniak  hatte 
demnach  hier  nicht  allein  die  Stelle  der  auch  hier  stark  ver- 
mindert zur  Ausscheidung  gelangenden  fixen  Alkalien  vikariierend 
auszufüllen,  sondern  es  musste  auch  das  Äquivalent  der  mehr- 
ausgeschiedenen  Phosphorsäure  decken.  Die  Ursachen  der  ver- 
mehrten Phosphorsäureausscheidung  im  Urin  bei  Fettzufuhr  auf- 
zuklären, war  in  erster  Reihe  der  Zweck  der  weiter  unten 
folgenden  Untersuchungen.  Es  konnte  sich  a  priori  hierbei  um 
zwei  Möglichkeiten  handeln;  einmal  um  eine  tatsächliche  Abgabe 
von  Phosphorsäure,  um  eine  Störung  der  Phosphorbilanz,  und 
zweitens  um  eine  Veränderung  der  Resorptionsbedingungen,  d.  h» 
eine  Verminderung  der  Phosphorausscheidung  durch  den  Kot 
unter  dem  Einflüsse  der  Fettzufuhr.  Steinitz,  der  diese  Möglich- 
keiten diskutiert,  hält  die  erstere  für  unwahrscheinlich  mit  Rück- 
sicht darauf,  dass  bei  der  Annahme  der  Einschmelzung  phosphor- 


auf  den  Sau glingsstoff Wechsel.  89 

haltigen  Gewebes  auch  ein  entsprechender  Stickstoffverlust  zu 
konstatieren  sein  mQsste,  was  tatsächlich  nicht  der  Fall  ist. 

Andererseits  findet  sich  in  der  Literatur  für  die  andere 
Möglichkeit,  dass  sich  unter  dem  Einfluss  der  Fettzufuhr  die 
Resorption  des  Phosphors  steigere,  und  dadurch  mittelbar  eine 
Mehrausscheidung  im  Urin  herbeigeführt  werde,  kein  direkter 
Anhaltspunkt.  Bekannt  sind  allerdings  die  Tatsachen,  dass  bei 
animalischer  Eost,  die  stets  mehr  oder  minder  fettreich  ist,  der 
Eot  nur  kleine  Mengen  von  Phosphorsäure  enthält  [Bischof  (6), 
Friedrich  Müller  (6)],  während  umgekehrt  bei  fettarmer  vegeta- 
bilischer Eost  der  Eot  reichlich  Phosphate  ausführt,  wohingegen 
der  Harn  phosphorarm  wird  [Bischof  (5),  Weiske  (7), 
Bertram  (8)].  Wie  weit  indessen  hierbei  der  verschiedene  Fett- 
gehalt, wie  weit  andere  Faktoren  die  Wege  für  die  Ausscheidung 
der  Phosphorsäure  bestimmen,  lässt  sich  nicht  erkennen.  Ich 
finde  nur  einen  einzigen  reinen  Versuch,  der  hierauf  einen  Schluss 
gestattet.  Bischof  (5)  fütterte  einen  Hund  in  zwei  Versuchs- 
perioden mit  täglich  1500  g  Fleisch,  unter  Zugabe  das  eine  Mal 
von  30  g,  das  andere  Mal  von  tOO  g  Fett.  Hier  blieb  die  Aus- 
scheidung der  Phosphorsäure  im  Eot  in  beiden  Perioden  die 
gleiche,  die  Vermehrung  des  Nahrungsfettes  zeigte  sich  also  ohne 
Einfluss. 

Bevor  ich  auf  meine  zur  Entscheidung  dieser  Frage  beim 
Säugling  unternommenen  Untersuchungen  eingehe,  möchte  ich 
noch  über  einige  Vor  versuche  berichten,  deren  Zweck  nur  war, 
die  Regelmässigkeit  des  bisher  nur  in  einem  Falle  erhobenen 
Befundes  der  Steigerung  der  Phosphorausscheidung  im  Urin  auf 
Fettzufuhr  hin  zu  beweisen.  Es  handelte  sich  durchweg  um  die 
erwähnte  Versuchsanordnung:  Milch-Sahne  in  sonst  gleicher 
Eonzentration.  Die  Versuche  sind  teils  von  mir  selbst  an- 
gestellt, teils  hatte  ich  Gelegenheit,  mich  an  entsprechenden  Ver- 
suchen im  Laboratorium  der  Elinik  mit  Urinuntersuchungen  zu 
beteiligen.  Die  Durchschnittswerte  der  täglichen  Phosphorsäure- 
ausscheidung finden  sich  in  folgender  Tabelle: 


Versuch  I 
Versuch  II 
Versuch  III 


Per.  I  (Milch) 


0,3300 
0,4030 
0,6560 


Per.  (II  Sahne) 


0,6100 
0,6275 
0,7580 


40  Freund,  Zar  Wirkung  der  Fettdarreichung 

Hierdurch  schien  mir  der  in  Rede  stehende  Befand  g«&Q|^ 
gesichert,  am  aasf&hrlichere  Stoffwechselunterauchungen  lu  seiner 
Aufklärang  ku  begründen. 

Yersach  [  (b.  dazu  Tabelle  I). 

Krnst  A.  worde  am  17.  Dezember  1903  im  Alter  von  V«  J^^^  ^n  den 
städtischen  Kinderhart  ohne  weitere  Anamnese  eingeliefert,  und  zwar  in 
schlechtem  Ernährungszustände  mit  einem  Körpergewicht  mit  3450  g.  £r 
erholte  sich  bei  Brusteni&hrung  gut  (17.  Jannar  3800  g),  erkrankte  aber  beim 
Versuch  eiaet  Allaitement  mixte  mit  '/s  Milch  -^  Hafersckleinif  nahm  bei 
.wieder  aosaehliesslieher  Bmsternfthrang  rasch  ab  (28.  Januar  8330  g)  und 
erholte  sich  dann  langsam  bei  Allaitement  mixte  mit  Buttermilch;  am 
9»  III.  (Körpergewicht  3630  g)  warde  zu  ausschliesslicher  Buttermilch- 
ernährung  übergegangen,  im  Alter  von  6  Monaten  bei  einem  Körper- 
gewicht von  3720  g,  am  14.  III.  Beginn  der  I.  Versaehsperiode  bei 
ttogeftnderter  Emähnug.  Da  das  Kind  während  der  ganzen  letzten  Woehe 
mit  groaser  Regel m&esigkeit  3  mal  täglich  fast  zu  den  gleichen  Zeiten  ge- 
formten, fettweichen,  gelbbraunen  Stahl  von  stets  gleichem  Aussehen  und 
etwa  gleicher  Menge  entleert  hatte,  und  dieses  Verhalten  während  des  Ver- 
suches bestehen  blieb,  konnte  ich  die  1.  Versuchsperiode  bereits  nach 
2  Tagen  beschliessen  und  dabei  bis  zu  einem  hohen  Grade  sicher  sein,  dass 
das  auf  diese  Zeit  fallende  Stuhlquantum  tatsächlich  einer  zweitägigen 
Nahrungsmenge  entsprach.  Nun  begann  eine  Zugabe  von  16,5  g  Butter 
pro  Tag,  und  zwar  zunächst  während  einer  etwas  mehr  als  24  stündigen 
Z wischen periode  und  dann  während  einer  darauf  folgenden  dreitägigen 
2.  Versuchsperiode.  Über  den  Stuhl  während  der  Butterperiode  entnehme  ich 
meinem  Protokoll  folgende  Notizen: 

I.  Tag:  Imal  festweicher,    breiiger,   reichlicher  Stuhl  (40  g),    heller 

als  früher,  übelriechend, 
n.  Tag:  Imal  teils  geformter,  teils  breiiger,  reichlicher  Stuhl  (50  g). 
Imal  wie  der  vorige,  nur  immer  heller  (40  g); 
Imal  fest  (mit  Blntspuren)  geformt,  fast  weiss  (30  g); 
III.  Tag:  Imal  reichlich,    geformt   weissgelbgrau   (Glaserkitt),    immer 
stinkender  (50  g); 
Imal  dünnbreiig,  hell  (40  g); 
Imal  fest  geformt  mit  dünnbreiigen  Partien,  fast  weiss  (30g). 

Versuch  II  (s.  Tabelle  II). 

Roman  S.  wurde  am  4;  Jan.  1904  im  Alter  von  1  Monat  ohne  Anamnese 
in  sehr  elendem  Znstande  in  den  städtischen  Kinderhort  eingeliefert;  das 
Körpergewicht  bei  der  Aufnahme  betrug  3040  g.  £r  erholte  sich  zunächst 
bei  Brosternährung,  nahm  aber  infolge  versuchter  Zufüttcrnng  von  V>  Milch 
-f  Haferschleim,  auch  bei  wieder  ausschliesslich  verabreichter  Frauenmilch 
stark  ab,  am  28.  I.  Körpergewicht  2960  g,  um  gleich  darauf  bei  vorsichtig 
eingeleitetem  Allaitement  mixte  mit  zunächst  einer  Mahlzeit  Buttermilch 
stark   zuzunehmen    und    sich    sichtlich   zu   erholen  (Farben,   Motilität.)    Am 


auf  den  S&aglingsstoffvrechsel. 


41 


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42  Freund,  Zur  Wirkung  der  Fettdarreichung 

10.  März,  bei  einem  Korpergewicht  yon  3680  g,  erfolgte  der  Übergang  zu 
ausschliesslicher  Buttermilohern&hrnng.  Am  14.  März,  im  Alter  von  3  Monaten, 
bei  einem  Körpergewicht  von  3780  g,  Beginn  der  1.  Yersuchsperiode.  Auch 
dieses  Kind  hatte  lange  vor  dem  Versuch  mit  grosser  Regelmässigkeit  täglich 
4 — 5  breiige  oder  dünnbreiige  Stuhlentleerungen  von  sattgelbor  Farbe  und 
yerhielt  sich  diesbezüglich  während  der  1.  Yersuchsperiode  ganz  unverändert, 
so  dass  ich  auch  hier  mit  grösstmögliohster  Wahrscheinlichkeit  eine  gleich- 
massige  Verteilung  des  Stuhls  auf  die  Yorsuchszoit  yoraussetzen  darf. 
Während  der  nachfolgenden  Itägigen  Zwischenperiode  und  3tägigeu  Fett- 
periode erhielt  das  Kind  zur  Buttermilch  einen  Zusatz  von  sehr  stark  konzen- 
trierter, durch  die  Zentrifuge  gewonnener  Frauenmilchsahne.  Schon  während 
der  Zwischenperiode  machte  sich  eine  deutliche  Veränderung  im  Aussehen 
des  Stuhles  geltend,  der  gebundener  und  heller  als  vorher  wurde  und  nur 
2 mal  erfolgte.  Während  der  2.  Versuchsperiode  erfolgte  am  1.  Tage  4 mal, 
am  2.  Tage  Imal,  am  3.  Tage  3 mal  breiiger  bis  festweicher,  sehr  heller, 
aber  nicht  ganz  weisser  Stuhl. 

Bezüglich  der  Methodik  beider  vorstehenden  Versuche  ist 
noch  hinzuzufügen,  dass  dieselben  gleichzeitig  ausgeführt  wurden, 
und  zwar  auf  der  Säuglingsabteilung  des  nebenamtlich  unter 
meiner  Leitung  stehenden  städtischen  Einderhorts,  dessen  Ein- 
richtungen die  erfolgreiche  Durchführung  derartiger  Untersuch- 
ungen ermöglichen.  Die  Art  des  AufFangens  der  Exkrete  war  die  bei 
uns  übliche.  Was  die  analytischen  Methoden  betrifft,  so  kam  für 
die  Fettbestimmung  in  der  Nahrung  die  Gerbersche  Acidbutyro- 
metrie  in  Anwendung;  in  den  Fäces  wurde  zur  Bestimmung  der 
Grösse:  „Fettsäuren  aus  Gesamtfett **  der  Trockenkot  zwecks 
Spaltung  der  Seifen  mit  salzsaurem  Alkohol  erst  eine  Zeitlang 
gekocht  und  dann  eingedampft,  der  Rückstand  in  äer  üblichen 
Weise  im  Soxhl  et  sehen  Apparat  mit  Äther  extrahiert.  Die 
Zahlen  der  Tabelle  geben  das  Gewicht  dieses  bei  50 — 60®  zur 
Eonstanz  getrockneten  Ätherextraktes.  Die  Fettsäuren  aus  un- 
löslichen Seifen  wurden  derart  bestimmt,  dass  dem  Trockenkot 
zunächst  durch  Extraktion  mit  Alkohol,  dann  mit  Äther  im 
Soxhletapparat  Neutralfett,  Fettsäuren  und  Alkaliseifen  entzogen 
wurden,  worauf  ich  erst  die  allein  noch  vorhandenen  unlöslichen 
Seifen  der  Spaltung  mit  salzsaurem  Alkohol,  mit  nachfolgender 
Ätherextraktion  unterwarf. 

Die  Ammoniakbestimmungen  habe  ich  nach  der  Erüger- 
R eich  sehen  Methode  (9)  ausgeführt,  die  nach  einer  Reihe  von 
Paralleluntersuchungen  Resultate  von  grosser  Eonstanz  gibt,  in- 
dessen beim  systematischen  Vergleich  mit  der  Schlösingschen 
Methode  stets  etwas  höhere  Werte  liefert  als  diese  letztere.     Ich 


auf  den  Säuglingsstoffwechsel. 


43 


lasse  hier  eine  Reihe    solcher  Porallelbestimmangen  folgen,    ohne 
entscheiden    zu    können,    welche    Werte    die    korrekteren    sind. 

Für  den  Yorliegenden  Zweck,  für  den  es  lediglich  auf  Ver- 
gleichswerte ankam,  bot  die  Erüger-Reichsche  Methode  jeden- 
falls den  Vorteil  weit  schnellerer  Ausführbarkeit. 

N 
Ammoniakwerte  in  ccm  jrr-Lösung. 


Urin  1. 

.  2. 

»  3. 

»  4. 

»  5. 


Nach  Krüger-Röich 


4,15 

3,9 

8,8 

7,0 

6,25 


Nach  Schlösing 


3,6 

3,3 

3,15 

6,3 

5,85 


Versuch  III  wurdeyon  den  Kollegen  Steinitz  undWeigert  zu 
anderen  Zwecken  auf  der  Einderklinik  ausgeführt;  er  bestand  darin, 
dass  ein  bei  Ernährung  mit  ^/i  Milch  -f- Mehlsuppe  befindliches, 
5*/4  Monate  altes  Eind  in  einer  Versuchsperiode  von  2  Tagen  diese 
Nahrung,  in  einer  zweiten,  gleichfalls  nur  2tägigen  Periode  dazu 
taglich  ca.  30  g  Phosphorlebertran  erhielt.  Ich  beteiligte  mich  an 
der  Untersuchung,  indem  ich  Stickstoff  und  Phosphor  in  (Irin  und 
Eot  bestimmte.  Die  Ergebnisse  dieses  Versuches,  der  trotz  der 
Eürze  der  Versuchsperioden  und  trotz  des  Mangels  der  Phosphor- 
zahlen in  der  zugeführten  Nahrung  für  meine  Frage  wohl  ver- 
wertbar ist,  finden  sich  in  folgender  Tabelle  HI. 


Daner 

in 
Tagen 

Ernährung 

M( 

Nahrung 
inr 

mgen  ^ 
Urin 

^on 

Trocken- 
kot 

N 

Urin 
PtO» 

NH. 

Koeffls. 

K 

ot 
PiOb 

V«  Milch 

Per.  I 

2 

-f- Mehlsuppe 
+  Zucker 

Vs  Milch 

1000 

356 

11,2 

1,555 

0,2688 

9,9  pCt. 

0,2679 

0,4648 

Per.  II 

2 

-|-  Mehlsuppe 

+  Zucker 
-^-  Lebertran 

1000 

166 

25,6 

0,9718 

0,2793 

16,4  pCt. 

0,4009 

0,3259 

44  Freand,  Zar  Wirkung  der  Fettdarreich  an  g 

BespreehuBg  der  Yersuchsergebnisse. 

I.  Das  Verhalten  der  Phosphorsäare  bei  Fettzufuhr. 

Eine  gleichzeitige  Erörterung  gestatten  die  Versuche  I  und  II, 
da  sie  in  jeder  Beziehung  bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten  einen 
gleichartigen  Verlauf  und  gleichartige  Zahlenergebnisse  aufweisen. 
Angesichts  dieser  vollkommenen  Übereinstimmung  fallt  der  Um- 
stand nicht  ins  Gewicht,  dass  die  in  den  2  Perioden  erzielten 
Ausschläge  sich  in  massigen  Grenzen  halten.  Zwei  Kinder  von 
gleichem  Körpergewicht,  die  bei  bisher  gleicher  Ernährung  und 
Nahrungsmenge  ein  gleiches  klinisches  Verhalten  gezeigt  haben, 
erhalten  eine  gleich  grosse  Zugabe  von  Fett  zur  Nahrung;  bei 
beiden  wird  die  Fettmenge  auf  das  Sfache  gesteigert;  bei  beiden 
tritt  eine  charakteristische  Veränderung  der  Fäces  auf,  im  Sinne 
grösserer  Konsistenz,  hellerer  Farbe  und  Vermehrung  der  Trocken- 
substanz; beide  nehmen  an  Körpergewicht  zu,  und  zwar  in  der 
Fettperiode  stärker  als  vorher,  bei  beiden  zeigen  die  Nahrungs- 
mengen, der  eingeführte  StickstofiF  und  Phosphor,  die  Urinmengen 
während  beider  Versuchsperioden  ein  überraschend  gleichartiges 
Verhalten.  Dass  unter  solchen  Umständen  auch  schon  massige 
Ausschläge  der  Ausscheidungsgrössen  für  die  einzelnen  Stoff- 
wechselelemente —  iiatürlich  auch  hier  die  gleiche  Über- 
einstimmung vorausgesetzt  —  eine  hinreichende  Deutbarkeit  er- 
langen, verschafft  uns  in  unserem  Falle  die  willkommene  Ge- 
legenheit, die  Wirkung  der  vermehrten  Fettzufuhr  zu  studieren, 
auch  ohne  dass  wir  mit  der  Höhe  derselben,  um  eindeutige  Ver- 
such sresultate  zu  erhalten,  bis  an  die  Grenze  dessen  gehen 
müssen,  was  man  Kindern  überhaupt  zumuten  kann.  Betrachten 
wir  unter  solchem  Gesichtspunkt  unsere  Tabellen  I  und  II,  so 
bemerken  wir  zunächst  eine  massige,  aber  übereinstimmende 
Steigerung  der  Ammoniakkoeffizienten 

im  Falle  I  von  3,6  auf  5,0  pCt., 
59       »     II     »     3>8     „    5,3      „ 

Wir  finden  weiter  die  erwartete  Vermehrung  der  relativen 
Phosphorsäureausscheidung  (vgl.  oben  die  Kellerschen  Zahlen) 
im  Urin: 

PjOgiN  im  Urin: 

Periode  I     Periode  II 
Versuch  I  1  :  6,1  1 :  4,4 

Versuch  II         1 :  4,7  1 :  3,7 


auf  den  S&ttglingsstoffwechsel.  45 

Aach  die  absolute  Menge  PsOg  zeigt  eine  geringe,  aber 
wiederum  übereinstimmende  Vermehrung  in  der  Fettperiode. 

Wir  sehen  also,  dass  die  bekannten  Wirkaagen  der  Fett- 
zufuhr auf  die  Zusammensetzung  des  Urins  auch  in  diesen  Ver- 
suchen eingetreten  sind,  und  wenden  uns  nun  der  Betrachtung 
der  Fäces  zu. 

Obgleich  hier  in  beiden  Versuchen  die  Trockenkotmenge 
unter  dem  Einfluss  der  Fettvermehrung  ansteigt,  erkennt  man  ein 
deutliches  Absinken  der  Phosphorausscheidung.  In  beiden  Fällen 
ist  eine  nicht  unbedeutende  Verbesserung  der  Phosphorresorption 
eingetreten.     Diese  stieg  n&mlich 

in  Versuch  I    von  37,6  auf  46,5  pOt., 
in  Versuch  II  von  46,0  auf  65,6  pCt. 
des  mit  der  Nahrung  eingeführten  Phosphors. 

Dieses  Verhalten  findet  sich  nun  weiterhin  in  noch  aus- 
gesprochenerem Grade  (weil  hier  die  Fettdarreichung  eine  weit 
grössere)  in  unserem  Versuch  III.  Hier  ist  in  der  Fettperiode  die 
Phosphorausscheidung  durch  denKot von 0,4648  auf  0,3259  herunter- 
gegangen, wiewohl  die  Trockenkotmenge  die  enorme  Steigerung 
von  11,2  auf  26,6  g  erfahren  hat.  (Bei  einem  derartigen  Resultat 
entkräftet  sich  natürlich  der  oben  gestreifte  Einwand  zu  kurzer 
Versuchsdauer  von  selbst.) 

Das  klare  Ergebnis  der  drei  Versuche  lautet  daher:  Zufuhr 
von  Fett  (Kuhmilchfett,  Frauenmilchfett,  Lebertran)  bewirkt  eine 
bessere  Resorption  von  Phosphor,  setzt  die  Phosphorausscheidung 
durch  den  Kot  herab. 

Dieser  primäre  Vorgang  dürfte  nun  wohl  in  der  Regel  eine 
vermehrte  Ausscheidung  von  Phosphorsäure  im  Urin  zur  Folge 
haben,  und  demnach  diesen  bereits  früher  erhobenen  und  in  der 
Einleitung  besprochenen  Befund  in  vollkommener  Weise  aufklären. 
Die  Mehrausscheidung  von  Phosphorsäure  im  Urin  erfordert 
natürlich  die  äquivalente  Mehrausscheidung  von  Ammoniak.  Ob 
es  indessen  hierzu  kommt,  hängt  noch  von  einem  anderen  Momente 
ab.  Wenn  nämlich  gleichzeitig  eine  erhebliche  Retention  von 
Phosphor  im  Körper  stattfindet,  so  kann  dies  natürlich  dazu 
führen,  dass  trotz  der  grösseren  Resorption  von  Phosphor,  dennoch 
dessen  Ausfuhr  durch  den  Urin  nicht  entsprechend  oder 
eventuell  garnicht  ansteigt.  Wie  steht  es  nun  in  unseren  Fällen 
I  und  II  in  dieser  Beziehung?  Beide  Kinder  befanden  sich  in 
Zunahme  und  retinierten  Phosphor,  und  zwar  beide  in  der  Fett- 


46 


Freund,  Zur  Wirkung  der  Fettdarreichung 


periode    in    gesteigertem  Masse;    die    entsprechenden  Retentions- 
zahlen   lauten: 


Versuch  I 
Versuch  II 


Periode  I 


+  0,1016 
+  0,1575 


Periode  II 


+  0,1564 
+  0,2022 


Auf  diese  Weise  erklärt  es  sich,  dass  die  Steigerung  der 
Urinphosphate  —  und  damit  auch  des  NHskoeffizienten  —  hier 
nicht  so  hochgradig  ausfiel,  wie  es  der  vermehrten  Resorption 
entsprochen  hätte.  Für  Versuch  III  liegen  leider  die  vollständigen 
Bilanzen  nicht  vor,  hier  dürfte  es  aber  aller  Vermutung  nach 
ganz  ebenso  liegen. 

IL    Welches  sind  die  Ursachen  der  vermehrten  Phosphor- 
resorption bei  Fettdarreichung? 

Die  Phosphorsäure  erscheint  im  Kot  in  Verbindung  mit  Kalk, 
Magnesia  und  Eisen,  wobei  letztere  beiden  Basen  gegenüber  der 
ersteren  quantitativ  weitaus  zurücktreten.  Angesichts  des  be- 
sprochenen Verhaltens  der  Phosphorsäure  war .  es  zunächst  not- 
wendig, die  Ausscheidung  des  Kalks  unter  dem  Einfluss  der  ver- 
mehrten Fettzufuhr  festzustellen.  Ich  habe  mich  hierbei  auf  die 
Versuche  I  und  II  beschränkt  und  dabei  gefunden,  dass  die  Ealk- 
ausfuhr  im  Kot  in  beiden  Versuchsperioden  nahezu  die  gleiche 
blieb;  die  Zahlen  lauten: 


Versuch  I 
Versuch  II 


Periode  I 


1,0305 
0,893 


Periode  II 


0,9713 
0,8247 


So  lag  nun  nahe,  daran  zu  denken,  dass  ein  Teil  des  Kalks 
zur  Seifenbildung  verwendet  und  dadurch  seiner  Bindung  mit 
Phosphorsäure  entgangen  war.  Die  Entscheidung  dieser  Frage 
erforderte  die  Bestimmung  der  unlöslichen  (im  wesentlichen  Kalk-) 
Seifen  in  den  Fäces,  die,  nach  der  oben  beschriebenen  Methode 
vorgenommen,  das  Ergebnis  hatte,  dass  in  der  Fettperiode  des 
Versuches  I  43,8  pCt„  in  der  des  Versuches  II  31,4  pCt.  der  ins- 
gesamt   ausgeschiedenen    Fettsäuren    als    Kalk-    (und  Magnesia-) 


auf  den  Säagliogsstoffwechsel.  47 

seifen  gebunden  waren.  Da  in  den  I.  Perioden  beider  Versuche 
die  Gesamtfettausscheidung  nur  miDimal  war,  erübrigte  es,  den 
Anteil  der  Ealkseifen  an  ihr  festzustellen.  Es  ist  somit  der  Be- 
weis für  die  Richtigkeit  der  oben  ausgesprochenen  Vermutung  er- 
bracht, dass  bei  Fettdarreichung  ein  Teil  des  Kalks  anstatt,  wie 
vorher,  als  Galciumphosphat  ausgeschieden  zu  werden,  zur  Seifen- 
bildung verwendet  und  so  der  Bindung  an  Phosphorsäure  ent- 
zogen wird,  die  ihrerseits  nunmehr  in  Form  von  Alkali-  resp. 
Ammoniaksalzen  einer  vermehrten  Resorption  unterliegt. 


III.    Sonstige  Versuchsergebnisse. 

Aus  den  Versuchstabellen  verdienen  noch  einige  andere 
Punkte  hervorgehoben  zu  werden,  die  einer  kurzen  Besprechung 
bedürfen.  Es  zeigt  sich  in  Versuch  I  in  geringerem,  in  Ver- 
such III  aber  in  erheblichem  Grade  ein  hemmender  Einfluss  des 
Fettes  auf  die  StickstofFresorption.  Was  für  die  Kohlehydrate 
bereits  längst  aus  einer  grossen  Anzahl  von  Stoffwechselversuchen 
bekannt  und  zuerst  von  Keller  (10)  einer  zusammenfassenden 
Bearbeitung  unterzogen  worden  war,  dass  sie  nämlich  die  Resorption 
des  Stickstoffs  verschlechtern,  liess  sich  für  das  Fett  bisher  nur 
aus  dem  Umstände  vermuten,  dass  bei  Fettzufuhr  die  Stickstoff- 
ausscheidung im  Urin  regelmässig  abnahm  (cfr.  die  Versuche  von 
Steinitz),  was  immerhin  kein  eindeutiger,  weil  auch  von  der 
Grösse  der  ev.  N-Retention  abhängiger  Befund  war.  In  dem 
entgegengesetzten  Verhalten  der  Phosphor-  und  der  Stickstoff- 
resorption bei  Fettzufuhr  liegt  somit  der  Grund,  warum  die 
Steigerung  der  relativen  Phosphorsäureausscheidung  im  Urin 
meistens  deutlicher  hervortritt,  als  die  Steigerung  der  absoluten 
Werte. 

Schliesslich  lohnt  es  noch,  in  Anbetracht  der  nur  spär- 
lichen, hierüber  in  der  Literatur  vorhandenen  Angaben,  die 
Daten  aus  unseren  Versuchen  zusammenzustellen,  aus  denen 
etwas  über  das  Schicksal  des  Fettes  selbst  im  Darm  hervorgeht. 
In  der  Stoffwechselkasuistik  des  Säuglingsalters  ist  nur  wenige 
Male  die  Resorption  des  eingeführten  Fettes  eruiert  worden, 
wobei  noch  hinzuzufügen  ist,  dass  ein  grosser  Teil  der  Fett- 
bestimmungen im  Kot  unter  Vernachlässigung  der  gebildeten 
Fettseifen,  d.  h.  eines  nicht  abzuschätzenden  Anteils  des  Kotfettes, 
ausgeführt  wurde. 


48  Freund,  Zar  Wirkung  der  Fettdarreichung 

Ich  lasse  die  Zahlen  hier  folgen: 


Ol 

2 

sog 

C 

Autor 

so 

Ernfthnng 

i.5 

S  ■"  2  J 

C3 
SS 

-2 

1^ 

^l-s- 

E 

> 

^ 

,^.2  S 

fa    'TJ    -^ 

n 

Bendix  (11) 

Versuch  I 

6 

Tage 

Heubner-Hofmannsche 
Mischung 

23,65 

11,01 

Nachperiode 

2 

» 

Dieselbe 

22,34 

8,89 

Versuch  II 

3 

1» 

V»  Milch  mit  Wasser 

14,94 

8,08 

Bendix  (12) 

5 

Tage 

Verdünnte  Milch 

21,4 

40,91 

Lange  and 

p 

Berend  (13) 

*© 

Versuch  I 

5 

Tage 

Heubner-Hofmannsche 
Mischung 

30,16 

34,8 

5 

•** 

Versuch  II 

5 

» 

Dieselbe 

80,58 

13,5 

%  l 

Versuch  IV 

5 

- 

Brust 

22,38 

4,4 

Heubner  und 

Rubner  (U)  (15) 

S    c 

Gesundes  Kind 

7 

Tage 

Kuhmilch 

32,86 

8,6 

00 
03 

Gesundes  Kind 

9 

n 

Muttermilch 

16,71 

5,69 

Atroph  iker 

4 

i> 

verd.  Kuhmilch 

12,1 

15,54 

c 
^ 

Atrophiker 

8 

9 

Kindermehl 

0,77 

43,1 

jo 

In     meinen     Versuchen     gestaltete     sich     der     Fettverlast 
f  olgendermassen : 


Tägliche 
Fettzufuhr 


Gesamtfett- 
säuren im  Kot 


Fettverlast 
in  pCt. 


Versuch  I 


Versuch  II 


Per.  I 
Per.  II 

Per.  I 
Per.  II 


3.13  g 

16,5  g 

3,17  g 

15,9  g 


0,4468  g 
2,416     g 

0,5785  g 
2,259     g 


14,27 
14,64 

18,25 
14,21 


Eine  Fettresorption  von  rund  85  pCt.  muss  im  Vergleich 
mit  der  Mehrzahl  der  obigen  Werte  als  eine  günstige  angesehen 
werden^).      Beide    Kinder    boten    auch    in    klinischer    Beziehung 

1)  Die  Fettverluate  sind  natürlich  in  den  Fällen  vou  Heubner  und 
Eubner,  Lange  und  Borend  in  Wirklichkeit  weit  grössere. 


aaf  den  Saaglingsstoffwechsel.  49 

alle  Anzeichen  der  zunehmenden  Reparation  der  früher  durch- 
gemachten schweren  Ernährungsstörungen  und  zeigten  auch  nach 
dem  Versuch  in  monatelanger  weiterer  Beobachtung  ein  be- 
friedigendes Gedeihen. 

Die  versuchsweise  durchgeführte  Vermehrung  des  Nahrungs- 
fettes hat  ihnen  jedenfalls  keinen  Schaden  gebracht,  doch  scheint 
es  mir  nach  sonstigen  klinischen  Erfahrungen  wahrscheinlich, 
dass  eine  fortgesetzte  Fettzufuhr  dieses  Betrages  eine  Schädigung 
herbeigeführt  hätte.  Wie  nämlich  aus  den  obigen  Versuchs- 
protokollen ersichtlich,  nahm  während  der  2.  Versuchsperiode  in 
beiden  Fällen,  ganz  besonders  ausgesprochen  im  Versuch  I,  der 
früher  gallig  gefärbte  Stuhl  eine  weisse  Farbe  an.  Die  Beob- 
achtung von  Säuglingen  hat  uns  gelehrt,  dass  ein  solches  Ver- 
halten immer  darauf  hinweist,  dass  die  verabreichten  Fettmengen 
für  das  Kind  zu  grosse  sind,  und  dass  ohne  Herabsetzung 
derselben  weitere  Krankheitserscheinungen  drohen.  Mit  Rücksicht 
auf  die  erhebliche  klinische  Bedeutung,  die  eine  derartige  Stuhl- 
veränderung meines  Erachtens  besitzt,  verdient  auch  die 
chemische  Zusammensetzung  eines  solchen  Stuhles  Interesse. 
Was  die  weisse  Farbe  betrifft,  so  wissen  wir  durch  Untersuchungen 
von  Langstein  (16),  dass  es  sich  hier  um  eine  übermässige 
Reduktion  des  Gallenfarbstoffes  über  Hydrobilirubin  hinaus  zu 
dem  ungefärbten  Urobilinogen  handelt,  womit  die  stark  alkalische 
Reaktion  solcher  Fäces  im  Einklänge  steht.  Aus  meinen  beiden 
Versuchen  geht  nun  des  weiteren  hervor,  dass  diese  Stühle  zum 
grössten  Teil  aus  Seifen  bestehen.  Im  Versuch  I,  Periode  II, 
wo  die  Fäces  allmählich  schneeweiss  wurden,  stammten  von 
2,416  g  gesamten  Fettsäuren  des  Kots  1,058  g  oder  43,8  pCt. 
aus  unlöslichen  Seifen.  Ferner  erwies  sich  hier  die  Ausfuhr  der 
Alkalien  in  Kot  von  0,179  g  in  der  I.  Periode  auf  0,511  g  ge- 
steigert, wobei  wir  gewiss  annehmen  dürfen,  dass  dieses  Plus 
zur  Seifenbildung  verwendet  wurde.  Somit  dürfte  hier  nur  ein 
sehr  geringer  Teil  des  Fettes  als  Neutralfett  und  in  Form  von 
freien  Fettsäuren  ausgeschieden  sein.  Im  Versuch  11  war  die  Ver- 
änderung des  Stuhls  minder  eklatant,  hier  wurde  derselbe  nur  sehr 
hellgelb,  nicht  schneeweiss.  Die  Fettsäuren  aus  den  unlöslichen 
Seifen  betrugen  hier  nur  31,4  pCt.  der  Gesamtfettsäuren,  und  die 
Steigerung  der  Alkaliausfuhr  ging  von  0,2096  auf  0.338  herauf; 
immerhin  lässt  sich  wohl  auch  hier  auf  einen  Seifengehalt  von 
ca.  50  pCt.  schliessen.  Die  Angabe,  dass  die  grauweisen  glaser- 
kittartigen     Säuglingsstühle    Seifen    enthalten,    ist     bereits     von 

Jahrbach  f.  Kinderbeilknude.    N.  F.    LXI,  Heft  1.  4 


50  Freund,  Zur  Wirkung  der  Fettdarreicbung  etc. 

Zoja  (17)  in  einer  mir  im  Originale  nicht  zuganglichen  Ab- 
handlang gemacht  worden;  dieser  Autor  schlägt  dafür  geradezu 
den  Namen  Seifenstühle  vor. 

Den  Gehalt  von  Säuglingsstühlen  an  Seifen  unter  dem 
Einfluss  der  Fettzufuhr  hat  auch  Keller  (18)  studiert  und 
mehrfach  ansehnliche  Prozentzahlen  speziell  an  unlöslichen  Seifen 
gefunden.  Doch  fehlen  bei  ihm  die  absoluten  Werte  und  die 
Angabe  über  die  Farbe    und    sonstige  Beschaffenheit    der  Fäces. 

Im  übrigen  sind  mir  aus  der  Literatur  Angaben  über  die 
chemische  Zusammensetzung  von  weissen  Säuglingsstühlen  nicht 
bekannt. 

Literaturverzeichnis. 

1.  Freund,  Walt  her,  Monatsschr.  f.  Kinderheilk.    Bd.  1. 

2.  Steinitz,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.    Bd.  57.    N.F. 

3.  Derselbe,  Centralbl.  f.  innere  Med.     1904.    No.  3. 

4.  Keller,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.    Bd.  36. 

5.  Bischof,  Zeitschr.  f.  Biologie.     Bd.  3. 

6.  Müller,  Fr.,  Zeitschr.  f.  Biologie.    Bd.  20. 

7.  Weiske,  Zeitschr.  f.  Biologie.     Bd.  8. 

8.  Bertram,  Zeitschr.  f.  Biologie.    Bd.  14. 

9.  Krüger  and  Reich,  Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie.    Bd.  39. 

10.  Keller,  Centralbl.  f.  innere  Med.     1899.    No.  2. 

11.  Bendix,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.    Bd.  43. 

12.  Derselbe,  Engelmanns  Arch.     1899. 

13.  Lange  nnd  Berend,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.    Bd.  44. 

14.  Heubner  und  Rubner,  Zeitschr.  f.  Biologie.    Bd.  36. 

15.  Heabner  und  Rubner,  Zeitschr.  f.  Biologie.    Bd.  38. 

16.  Langstein,  Festschr.  f.  Salkowski.    Berlin  1904. 

17.  Zoja,  La  clinica  med.  italiana.    Bd.  37.     1898.    (Nach  Czerny-Keller, 

Des  Kindes  Ernährung,  Ernährungsstörungen  und  Ernährungstherapie. 
II.  Abt.     S.  229.) 

18.  Keller,  Monatsschr.  f.  Kinderheilk.    Bd.  1. 


IV. 


Drei  Fälle  von  Pachymeningitis  haemorrhaglca 
mit  Hydrocephalus  externus. 

Von 
Dr.  FR.  GÖPPERT 

ID  Kattowltii. 

Im  Laufe  von  2  Jahren  hatte  ich  Gelegenheit,  3  Fälle  von 
Pachymeningitis  haemorrhagica  zu  beobachten,  die  in  mehrfacher 
Hinsicht  von  dem  gewohnten  Bilde  dieser  Krankheit  abweichen. 
Ausserdem  ist  die  angewandte  Therapie,  nämlich  die  wiederholte 
Ausfuhrung  der  Spinalpunktion,  in  ihrer  prompten  Wirkung  auf 
den  akuten  Anfall  von  Interesse. 

Die  Krankengeschichten  sind  folgende: 

I.  Joseph  G.  ist  das  uneheliche  Kind  einer  Arbeiterin,  weiches 
Ton  den  fast  monatlich  wechselnden  Quartierwirtiunen  nebenbei  dorch- 
ge pflegt  wurde. 

Das  Kind  wurde  am  8.  Oktober  1900  zum  ersten  Male  wegen  ruhr- 
ähnlichen Darmkatarrhs  vorgestellt.  Das  6  Monate  alte  Kind  war  stark  ab- 
gemagert. Gewicht  4,830  kg.  Über  den  Kopf  ist  notiert:  Caput  qnadratum, 
Oraniotabes,  grosse  Fontanelle  3  Qaerfinger  im  schrägen  Durchmesser.  Der 
Darmkatarrh  besserte  sich  damals  ziemlich  schnell,  sodass  seit  dem  12.  Oktober 
das  Kind  von  der  Mutter  als  genesen  betrachtet  wurde.  Am  23.  Februar  wurde 
das  Kind  zu  mir  gebracht»  weil  es  seit  2  Tagen  bräche  und  einmal  Krämpfe 
gehabt  hätte.  Die  gestrickte  wollene  Mutze  war  dem  Kinde  mit  einem  Male 
zu  eng  geworden.  Über  den  Befund  finde  ich  notiert:  Kopf  auffällig  gross, 
gespannte  Fontanelle,  der  Augenhintergrund  rechts  zeigt  einige  Blutungen. 
Keine  sonstigen  nervösen  Erscheinungen.  Die  Spinalpunktion  ergab  20  ccm 
Flüssigkeit,  von  der  ich  nicht  angeben  kann,  ob  sie  blutig  gefärbt  war  (die 
späteren  zeigten  massige  Blutbeimengungen).  Jedenfalls  entstand  kein 
Spinnwebengerinnsel.  Die  Augenuntersuchung ^)  ergab  folgendes:  Sehnerven 
ein  wenig,  jedoch  nicht  ausgesprochen  atrophisch,  Yenenstauung,  auf  dem 
rechten  Aagenhintergrund  3  grössere  Blutungen. 

^)  Anmerkung:  Herr  Dr.  Lubowski,  Augenarzt  in  Kattowitz,  hatte 
stets  die  Güte,  meine  Augenbefande  nachzuprüfen  und  zu  ergänzen,  wofür 
ich  ihm  an  dieser  Stelle  meinen  besten  Dank  sage, 

4* 


52  Göppert,  Drei  Fälle  von  Pachymeningitis 

25.  II.  Das  Kind  hat  nicht  mehr  gebrochen,  ist  sofort  nach 
der  Punktion  manterer,  heat  wieder  ein  venig  matter,  doch  viel  regsamer 
als  am  22.    Temp.  36,8.     Gewicht  6,150  kg. 

28.  II.  Das  Kind  wird  gebracht,  weil  wieder  Krämpfe  und  Er- 
brechen aufgetreten  sind.  Der  Hirnschädel  macht  gegenüber  dem  Gesicht 
den  Eindruck  einer  starken  Vergrösserung.  Die  Fontanelle  ist  stark  ge- 
spannt;  2  neue  ßlutungen  im  rechten  Augenhintergrunde.  Gewicht  6,300  kg. 
Spinalpunktion. 

16.  III.  Kind  soll  wieder  munter  gewesen  sein;  seit  gestern  wieder 
Erbrechen.  Im  rechten  Augenhintergrunde  starke  Schlängelung  der  Venen; 
Punktion  entleert  30  ccm  leicht  blutig  gefärbte  Flüssigkeit.  Beginn  einer 
Schmierkur. 

17.  III.  Das  Kind  ist  munterer,  schläft  besser  und  bricht  nicht  mehr. 
Gewicht  6,000  kg. 

22.  III.  Kind  lachte  und  spielte  bis  heut,  angeblich  nie  Hitze 
Kopfumfaog  anscheinend  ycrgrössert,  51  cm.  Temp.  36,9.  Da  das  Kind 
heut  wieder  matter  ist,  wird  durch  Punktion  50  ccm  leicht  blutige  Flüssig- 
keit entleert. 

24.  III.     Kopfumfang  5OV3  cm. 

31.  III.  Wegen  Zunahme  der  Beschwerden  Punktion.  Nurj  20  ccm 
stark  blutige  Flüssigkeit  wird  entleert,  trotzdem  hält  die  Besserung  bis 
zum  5.  April  an. 

6.  IV.  Seit  heut  wieder  stark  unruhig.  Kopfumfang  52  cm. 
Gewicht  6,380  kg.  Temp.  37,5.  Durch  Punktion  60  ccm  blutiger  Flüssigkeit 
entleert.    Kind  ist  danach  etwas  matter,  statt  wie  sonst  munterer. 

20.  IV.  Absolut  normales  Bewusstsein,  am  rechten  Angenhinter- 
grund  keine  Blutungen,  etwas  stärker  geschlängelte  Venen,  grober  Tremor 
beider  Beine.  Es  hat  sich  eine  ziemlich  starke  Furunkulose  entwickelt. 
Kopfumfang  52  cm.     Gewicht  6,30  kg. 

28.  IV.  Gewicht  6,32  kg.  Das  Kind  wird  nach  Breslau  gebracht 
und  in  die  chirurgische  Klinik  aufgenommen. 

Über  das  weitere  Ergehen  und  den  Sektionsbefund  hat  Herr  Geheimrat 
Ponfick  die  Güte  gehabt,  mir  ausführliche  Mitteilungen  zu  machen.  Das 
Kind  trat  am  4.  Mai  in  die  chirurgische  Klinik  ein.  Abgesehen  von  der 
Furunkulose  zeigte  sich  nur  eine  leichte  Parese  des  linken  Beines  und  Herab- 
setzung des  linken  Fusssohlenreflezes.  Vom  6.  Mai  ab  begann  ein  Fieber, 
das  bis  zum  16.  des  Monats  dauerte,  nach  Eröffnung  sämtlicher  Abscesse  für 
7  Tage  verschwand  und  dann  in  unregelmässiger  Weise  bis  zu  dem  am 
5.  Juni  eintretenden  Tode  dauerte.  Krämpfe  sind  nicht  mehr  aufgetreten. 
Der  Sektionsbefund  ergab  0:  Disseminierte  Peribronchitis  tuberculosa  der 
linken  Lunge,  Verwachsung  der  rechten  Lunge  im  Gefolge  von  tuberkulöser 
Pleuritis,  verkäsende  Tuberkulose  der  Bronchialdrüsen  beiderseits,  sowie  der 
Hals-  und  Gekrösdrüsen.  Miliare  Tuberkel  in  Milz  und  Leber,  Rachitis 
massigen  Grades. 

Auffällig  ist  der  Sektionsbefund  des  Schädels.  Die  Dura  ist  fast  an 
der    ganzen  Innenseite    ihrer  Konvexität   mit    einer    fest-weichen,    aus   Blut- 

1)  Ponfick,  Atlas.  Taf.  XXVIII.  Fig.  2.  Der  Atlas  enthält  ein  be- 
sonders schönes  Bild  des  horizontalen  Schädeldurchschnittes. 


haemorrhagica  mit  Hydrocephalas  externas.  53 

gerionselu  Terschiedenen  Alters  beBtehenden  Masse  überzogen.  Dieses 
H&matom  'ist  durch  eine  fast  millimeterdicke  Membran  nach  innen  zn  ein- 
gekapselt In  der  Hinterbauptsgegend  fehlt  die  H&matombildang,  dagegen 
besteht  hier,  namentlich  rechts,  eine  Verdickung  der  Dura  durch  Fortsetzung 
dieser  neugebildeten  Membran.  Rechterseits  beträgt  die  Mächtigkeit  des 
Hämatoms  bis  zu  1  cm,  links  bis  zu  3  mm.  Zwischen  der  Hämatom-Membran 
und  der  Pia  befindet  sich  links  ein  klarer,  intermeningealer  Erguss,  der  im 
Oefrierschnitt  eine  Mächtigkeit  von  durchschnittlich  0,5  cm,  höchstens  aber 
1  cm  beträgt.  Rechts  bedingt  dieser  Erguss  einen  Abstand  von  durch- 
schnittlich l — 1,5  cm,  in  der  Gegend  der  Fossa  Sylvii  von  2,2  cm.  Die 
Flüssigkeit,  die  rechts  diesen  Raum  erfüllt,  ist  flockig  getrübt.  Diese 
Flocken  haben  sich  auf  der  Pia  niedergeschlagen,  lassen  sich  jedoch  leicht 
abspülen.  Die  Pia  erscheint  eher  verdickt  als  verdünnt.  „Somit  liegt  hier 
das  immerhin  ungewöhnliche  Beispiel  einer  Ausschwitzung  in  das  Cavum 
intermeniDgeale  vor,  welche  ebensosehr  durch  ihre  Menge,  wie  durch  die 
Heftigkeit  der  sie  verursachenden  Entzündung  ausgezeichnet  ist,  gleichwohl 
jedoch  die  weiche  Hirnhaut  bloss  äusserlich  in  Mitleidenschaft  gezogen  hat.^ 
Ausserdem  fand  sich  ein  leichter  Hydrocephalus  internus.  Die  Yergrösserung 
des  Schädels  war  im  wesentlichen  durch  den  Hydrocephalus  extemns  ver- 
anlasst. 

Fall  II.  Paul  H.  war  das  uneheliche  Kind  eines  Dienstmädchens 
Das  Kind  wurde  im  1.  Monat  an  der  Brust  ernährt,  kam  dann  nachher  in 
leidliche  Pfiege,  in  der  es  anfangs  gedieh.  Am  28.  Mai,  im  Alter  von  vier 
Monaten,  zeigte  sich  beginnende  Furunkulose,  auch  war  das  Kind  weniger 
fest  als  im  Monat  yorher.  Körpergewicht  6,15  kg.  Im  Laufe  des  Juni  ent- 
wickelte sich  eine  schwere  Furunkulose,  die  spontan  abheilte.  Ende  des 
Jahres  kam  es  dann  in  eine  andere  Pflege,  in  der  es  an  und  für  sich  leid- 
lich gehalten  wurde,  jedoch  nie  mehr  ins  Freie  herauskam. 

3.  III.  Ich  überzeugte  mich  an  diesem  Tage  als  Vormund  wieder 
«inmal  yon  dem  Befinden  des  Kindes  und  trug  folgenden  Befund  ein: 
Fontanelle  3—4  Querfinger,  Caput  quadratum.  Das  Kind  stellt  sich  auf  die 
Beine,  ist  munter  und  rege  und  augenscheinlich  in  Zunahme  begriffen.  Erst 
nachträglich  erfuhr  ich,  dass  das  Kind  Weihnachten  mit  der  Wiege,  die  es 
lebhaft  zu  schaukeln  verstand,  umgeschlagen  und  bewusstlos  unter  derselben 
hervorgezogen  worden  wäre. 

8.  III.    Angeblich  Erbrechen  und  Obstipation. 

9.,  10.  III.    Desgl.,  teilnahmslos;  grelle  Schreie. 

11.  III.  Teilnahmslos,  abgemagert.  Nähte  klaffen  bis  zur  Schläfe. 
Fontanelle  vorgewölbt  und  starr  gespannt.  Puls  60 — 70.  Pupillen  reagieren; 
bei  Blickrichtung  nach  unten  folgt  das  obere  Augenlid  nicht  völlig.  Kein 
Fieber. 

12.  IIL  ün regelmässige  Krämpfe,  meist  tonischer  Natur,  Pupillen- 
•differenz.    Puls  70,  unregelmässig. 

14.  III.  Leichte  Besserung;  Kind  greift,  hebt  aber  den  Kopf  noch 
nicht.    Puls  118.    Linke  Lidspalte  etwas  enger.     Qydrocephalischer  Blick. 

15. — 18.  III.    Kind  munterer,  lacht,  greift,  setzt  sich  wieder  auf. 

19.  IIL  Puls  unter  100.  Ausser  der  Ausdehnung  der  Fontanelle  und 
der  Nähte  nichts  Pathologisches. 

Sitzt  und  stösst  die  Wiege  stundenlang. 


54  Göppert,  Drei  Fälle  yon  PachymenlDgitis 

Augenbefand:  Papillen  YöUig  yerwascheii,  stark  prominent  und  ver- 
breitert'.    Ausgedehnte  Blutungen. 

Links  Blutung  in  den  Glaskörper  (Lubowski). 
Wohlbefinden  bis  zum  22. 

23.  III.     Erbrechen  und  Schreien. 

24.  III.  Kein  Fieber.  Spannung  der  Fontanelle  und  N&hte  exzessiv« 
Puls  70,  nn regelmässig.  Das  Kind  macht  einen  sichtlich  verfallenen  Ein- 
druck. Die  Spinalpunktion  ergibt  100  g  klare  Flüssigkeit.  Das  Kind 
schläft  danach  ruhig  ein,  wacht  morgens  vergnügt  auf.  Das  Verhalten  ist 
ganz  wie  in  gesunden  Tagen. 

2.  lY.    Erbrechen,  Schreien,  Verfall. 

3.  IV.  Abends  8  Uhr  fast  völlig  bewusstlos,  extrem  elend.  Puls  140,. 
klein.  Die  Spinal punktion  ergibt  50  g  leicht  blutig  gefärbte  Flüssigkeit. 
Die  Blutbeimengnng  wurde  damals  auf  einen  schrägen  Einstich  zurück- 
geführt. Der  Eiweissgehalt  der  Spinalflüssigkeit  war  ein  sehr  geringer  und 
der  Blntbeimengung  durchaus  entsprechend.  Weder  in  Spinalflüssigkeit  I 
noch  II  bildete  sich  ein  Spinnwebengerinnsel.  Das  Kind  schläft  die  Nacht 
wieder  gut  und  wacht  vergnügt  am  Morgen  auf.  Bis  zum  13.  IV.  besteht 
abwechselnd  Ödem  der  Lenden  gegen  d  und  Austräufeln  von  klarer  Flüssig- 
keit durch  den  Stichkanal.  Erst  beim  Aufhören  dieser  Erscheinungen  fängt 
der  Kopf. vom  14. — 19.  April  an  härter  zu  werden.  Da  eine  Schmierkur  bisher 
sehr  mangelhaft  durchgeführt  worden  war,  wird  vom  14.  IV.  ab  2  mal  täg- 
lich 1  cg  Hydrargyrum  protojoduretum  gereicht. 

21.-  IV.  Erbrechen,  kreischendes  Schreien,  schnelles  Wachstum  des 
Kopfes,  völlige  Anästhesie. 

22.  IV.  Abmagerung,  völlige  Bewusstlosigkeit.  Cheyne-Stokes- 
sches  Atmen.  Puls  70,  leicht,  unregelmässig.  Kopf  umfang  54,  Brustumfang 
44  cm.    Pupillen  reagieren  träge. 

Punktion:  70  g  gleichmässig  blutige  Flüssigkeit.  Puls  nach  der 
Punktion  103.    Atmung  anfangs  unverändert 

23.  IV.  Atmung  nach  der  Punktion  ohne  Pausen;  Schreien,  Erbrechen,. 
Krämpfe  sind  verschwunden. 

24.  IV.  Hat  nach  der  Klapper  gegriffen,  kann  den  Kopf  ein 
wenig  halten. 

25.  IV.  Bewusstlosigkeit.  Pupillen  reagieren  nicht  auf  Licht,  mittel- 
weit.    Kopfumfang  54  cm. 

Patellarreflexe  sind  nicht  zu  erzielen.  Scheinbar  tonische  Anspannung. 
Mit  dem  linken  Arm  streicht  das  Kind  in  regelmässigen  Absätzen  über 
die  Brust.  Puls  120,  stellenweise  aussetzend.  Auf  Nadelstiche  in  die 
Extremitäten  erfolgt  keine  Reaktion.  Nur  am  Kopf  und  au  den  Glutaeen 
scheint  eine  solche  zu  erfolgen.  Die  Spinalpunktioo  ergibt  30 — 40  ccm  stark 
blutige  Flüssigkeit  Die  Fontanelle  sinkt  darauf  tief  ein.  Schlitzung  des 
Duralsackes  nach  Quincke.  Unmittelbar  hinterher  reagiert  das  Kind  leb- 
hafter. Augenbefund:  Sämtliche  Blutungen  sind  resorbiert,  die  linke 
Papille  ist  auffällig  weiss,  nur  in  der  Mitte  leicht  rosa,  nicht  mehr  ver- 
breitert, eine  Vene  nach  oben  zu  noch  stärker  geschlängelt.  Die  rechte 
Papille  ist  noch  bedeutend  vergrössert,  von  schmutzig  grauweisser  Farbe» 
Die  Venen  sind  noch  stark  geschlängelt. 


haemorrhagica  mit  Hydrocephalus  externus.  55 

26.  lY.  Die  Pupillen  reagieren  prompt.  Die  Panktionsöffoang  ist  ge- 
schlossen. Kein  Ödem  der  Lendengegend.  Die  Fontanelle  ist  etwas  weicher. 
Puls  beschleunigt,  Temperatur  37.  Das  Kind  ist  ruhig  und  isst  mit  Appetit, 
was  ihm  in  den  Mund  gesteckt  wird.  Wenn  es  aufgesetzt  wird,  fasst  es  an 
den  Wiegenrand»  sinkt  aber  bald  wieder  zurück. 

28.  IV.  Puls  nicht  mehr  zählbar,  sehr  rasch.  Pupillen  starr, 
mittel  weit. 

29.  IV.    Nachmittags  4  Uhr  Tod  im  Älter  von  1  Jahr  4  Monaten. 
Sektion: 

Innere  Organe  ohne  Befund,  deutliche  Rachitis  an  Rippen  and  Röhren- 
knochen.   Kein  Zeichen  Yon  Syphilis. 

S&mtliche  Sch&deln&hte  klaffen  weit.  Nach  Durchsägung  der  Stirn- 
beine und  LoslösuDg  der  Scheitelbeine  wird  die  DuralhÖhle  geöffnet,  und  es 
ergiesst  sich  eine  reichliche  Menge  stark  blutiger  Flüssigkeit.  Die  Ent- 
fernung der  Dura  mater  vom  Gehirn  scheint  überall  eine  beträchtliche, 
wohl  überall  mehr  als  1  Querfinger  betragende  zu  sein.  Nach  Znrück- 
schlagung  der  Dura  zeigt  sich  die  ganze  mittlere  Partie  der  rechten  Hirn- 
hälfte Ton  der  Hirnsichel  bis  zum  Kopfumfang  dureh  ein  irisches,  dunkles 
Blutgerinnsel  bedeckt  Ein  kleinerer  Bluterguss  findet  sich  an  derselben 
Stelle  links.  Die  Hirnwindungen  sind  nicht  wesentlich  abgeplattet,  die 
Himhöhlen  nicht  erweitert  und  mit  klarer  Flüssigkeit  gefüllt.  Arachnoidea 
und  Pia  zeigen  keine  Veränderung.  Die  gesamte  Dura  mater  ist,  soweit  sie 
dem  Grosshirn  entspricht,  und  zwar  auch  an  der  Basis,  yon  unregelmässigen 
roten  bis  branuroteu  Flecken  bedeckt.  Bei  genauer  Betrachtung  ergibt  sich, 
dass  die  harte  Hirnhaut  in  fast  ganzer  Ausdehnung  eine  Verdickung  durch 
eine  anfliegende,  festhaftende  Membran  erfahren  hat.  Die  Blutflecken  liegen 
teils  in  den  duralwärts  gelegenen  Schichten  dieser  Membran  und  werden 
glatt  und  spiegelnd  von  derselben  überzogen,  teils  mehr  in  den  oberflächlichen 
Schichten.  Hier  erscheint  die  Oberfläche  rauher.  Schliesslich  liegen 
grössere  Blntgerinnsel  flach  der  Dura  an  und  sind  mit  dem  Messer  abkratz- 
bar, aber  nicht  mehr  abzuspüleu. 

Bei  der  Öffnung  der  Dura  mater  spinalis  zeigt  sich  ein  Blutstreif  die 
ganze  Länge  des  Rückenmarks  entlang  an  der  hinteren  Seite  desselben.  Er 
isc  nicht  abspülbar. 

Mikroskopisch  erweist  sich  die  Auflagerung  auf  der  Dura  als 
Extravasat  in  jeder  Form  der  Organisation  oder  aus  yerschieden  altem 
Granulationsgewebe,  das  aus  letzterem  heryorgegangen  ist.  Zum  Teil  ist 
es  schon  zu  Gefässbildung  mit  erheblichem  Kaliber  und  sehr  yerschiedener 
Wanddicke  gekommen.  An  der  Grenze  der  Dura  ganze  Reihen  yon 
Pigment  führenden  Zellen.  Herr  Geheimrat  Ponfick  war  so  liebenswürdig, 
die  Präparate  zu  beurteilen.  Er  glaubt  an  die  Möglichkeit,  dass  im  Verlauf 
Ton  7  Wochen  eine  so  weit  gehende  Organisation  der  Blutergüsse  hätte 
stattfinden  können,  hält  es  aber  eher  für  wahrscheinlich,  dass  der  Prozess 
ein  älterer  ist. 

Der  Blutstreif  an  der  Rückseite  der  Medulla  besteht  in  einer 
Infiltration  des  Teils  der  Arachnoidea,  der  der  Dura  am  nächsten  anliegt. 
Die  Dura  selber  erscheint  in  ihren  inneren  Schichten  etwas  zellreicher. 


Göppert,  Drei  Fälle  von  Pachymeningitis 

Die  beiden  Blinder,  deren  Krankengeschichten  hier  wieder- 
gegeben sind,  waren  bei  schlechter  künstlicher  Ernährung 
kümmerlich  gediehen  und  ohne  Licht  und  Luft  aufgewachsen. 
Bei  beiden  wurde  vor  der  Krankheit  ein  etwas  grösserer  Kopf 
bemerkt,  der  jedoch  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  auf  die  englische 
Krankheit  zu  beziehen  war.  Ob  damals  schon  bei  beiden  ein 
leichter  Hydrocephalus  externus  bestanden  hat,  lässt  sich  natürlich 
nicht  mit  Sicherheit  bestreiten. 

Das  Kind  Joseph  G.  zeigte  jedenfalls  3  Vs  Monate  vor  seinem 
Tode  im  Alter  von  lOVa  Monaten  die  ersten  manifesten  Gehim- 
erscheinungen,  nämlich  ein  rapides  Wachstum  des  Schädels  in  wenigen 
Tagen  und  Krämpfe.  Den  klinischen  Verlauf  charakterisieren  die 
Attacken  von  Gehirndruck,  die  im  ersten  Monate  der  Krankheit 
etwa  alle  5 — 8  Tage  eintraten.  Nach  Spinalpunktion  verschwanden 
die  Erscheinungen  sofort,  sodass  das  Kind  schon  beim  Ankleiden 
im  Wartezimmer  einen  heitereren  Eindruck  machte.  In  den 
2.  Monat  der  Krankheit  fielen  2  Attacken,  die  von  einem  neuen 
Wachstum  des  Schädelumfangs  um  1,5  cm  begleitet  waren.  Ihr 
Grund  sind  grosse,  intermeningeale,  durch  Spinalpunktion  nach- 
gewiesene Blutergüsse.  Die  Punktion  vermochte  hier  eine  Er- 
leichterung zu  schaffen,  wirkte  aber  sichtlich  nicht  mehr  so  be- 
lebend; hieran  schloss  sich  ein  chronisches  Siechtum  von  8  Wochen, 
in  dem  Furunkulose  und  Tuberkulose  die  Kräfte  aufzehrten.  Es 
ist  dies  die  Zeit  der  Hämatombildung.  So  klar  die  Deutung  der 
Stadien  vom  2.  Monat  der  Krankheit  ab  ist,  nämlich  Stadium  der 
Meningeal-Apoplexie  und  Stadium  der  Hämatombildung,  so  sehr 
bedarf  das  Krankheitsbild  des  ersten  Monats  einer  näheren  Er- 
örterung,  zu  der  uns  die  Spinalpunktion  als  Schlüssel  dient. 

Über  die  Spinalpunktionsflüssigkeit  des  ersten  Males  fehlen 
mir  leider  die  Angaben  in  meiner  Krankengeschichte;  jedenfalls  kann 
ich  bestimmt  behaupten,  dass  sie,  wenn  überhaupt,  dann  nur  sehr 
wenig  mit  Blut  gefärbt  war.  Die  folgenden  3  Spinalpunktions- 
flussigkeiten  waren  leicht  blutig  tingiert.  Es  erhebt  sich  nun  die 
Frage,  woher  die  zwischen  20  und  50  ccm  betragenden  Flüssigkeits- 
mengen stammen.  Es  kann  natürlich  ein  Teil  der  Flüssigkeit  des 
nachgewiesenen  Hydrocephalus  internus  durch  die  Operation  ent- 
leert worden  sein.  Durch  die  5.  und  6.  Spinalpunktion,  die  stark 
blutige  Flüssigkeit  entleerte,  ist  jedoch  die  freie  Kommunikation 
nach  dem  Cavum  subdurale  nachgewiesen.  Wäre  also  zu  Anfang 
die  Hauptvergrösserung  des  Schädels  durch  die  Blutungen  hervor- 
gerufen worden,  so  wäre   auch  damals  schon  wahrscheinlich  eine 


haemorrhagica  mit  Hydrocephalus  externus.  57 

stärker  blutige  Spinalflüssigkeit  erschienen.  In  Rücksicht  namentlich 
auf  den  2.  Fall,  wo  die  Verhaltnisse  klarer  liegen,  nehme  ich 
daher  an,  dass  Pachymeningitis  und  intermeningealer,  seröser 
Erguss  Hand  in  Hand  gingen.  Erst  später  erfolgten  grosse 
Blutungen  in  den  freien  serösen  Erguss,  die  sich  durch  blutige 
Punktionsflüssigkeiten  verrieten.  Dann  klärte  sich  durch  Organisation 
der  Blutergüsse  die  Flüssigkeit  des  Hydrocephalus  externus  links 
vollständig,  rechts  blieben  dagegen  eine  Trübung  und  Zeichen  von 
stärkerer  Entzündung  bestehen.^)  Wir  haben  daher  nach  dem 
Tode  noch  als  Hauptmoment  der  Vergrösserung  des  Eopfumfanges 
den  Hydrocephalus  externus,  als  zweiter  Moment  die  grossen 
Hämatome  der  Dura  mater  anzusehen. 

Das  II.  Kind  zeigte  27a  Monate  nach  einem  schweren  Schädel- 
trauma im  Alter  von  1  Jahr  2  Monaten  die  erste  manifeste  Er- 
scheinung, nämlich  die  des  zunehmenden  Gehimdrucks  mit  auffällig 
starkem  Wachstum  des  Schädels.  Der  erste  Anfall  dauerte  7  Tage 
und  verlief  spontan.  Nach  einer  9  tägigen  Pause  erfolgte  ein 
gleicher  schwererer,  weitere  8  Tage  später  ein  dritter.  Die  beiden 
letzteren  wurden  durch  Spinalpunktion  sofort  coupiert,  obwohl 
vorher  der  Verfall  des  Kindes  ein  stark  ausgeprägter  war.  Der 
vergrösserte  Kopfumfang  blieb  jedoch  bestehen.  Die  zweite 
Punktion  hatte  die  glückliche  Nebenwirkung,  dass  der  Stich- 
kanal sich  8  Tage  lang  nicht  schloss  und  das  Austräpfeln  von 
Cerebro-Spinalflüssigkeit  eine  Zunahme  des  Druckes  verhinderte. 
Die  Spinalpunktionsflüssigkeit  des  ersten  Males  betrug  100  g 
und  war  vollständig  wasserklar,  die  zweite,  50  cm  betragende, 
nur  leicht  blutig  gefärbt  und  die  tagelang  durch  den  Stichkanal 
nachsickernde  Flüssigkeit  wasserklar.  Wir  haben  also  hier  deut- 
licher als  im  vorigen  Fall  ein  erstes  Stadium,  in  dem  der  Hydro- 
cephalus externus  das  raumbeengende  Element  darstellt.  Da 
wir  nach  dem  mikroskopischen  Befund  nicht  annehmen  dürfen, 
dass  die  ersten  Blutungen  jünger  als  4  Wochen  sind  —  der 
Zeitraum  zwischen  der  ersten  Spinalpunktion  und  dem  Tode  — , 
ja  nach  dem  urteil  von  Herrn  Geheimrat  Po nf ick  eher  älter  als 
7  Wochen,  so  beweist  dieser  zweite  Fall,  was  wir  für   den  ersten 


1)  Diese  entzündliche  Steigung  hängt  yieileicht  mit  einer  hamatogenen 
Infektion  zusammen,  wie  sie  von  Kracke  bei  einem  Fall  von  Pachymeningitis 
haemorrhagica  mit  zutretender  Diphtherie  beschrieben  wurde.  (Siehe  Krücke, 
Dissertation,  Kiel  1902.) 

Übrigens  beschreibt  auch  Steffen  (Jahrb.  f.  Kinderheilk.  N.  F.  Bd.  I, 
S.  157)  eine  gelblich-eitrige,  fibrinöse,  von  der  Arachnoidea  abziehbare  flaut. 


58  Göppert,  Drei  F&Ue  von  PachymeDiogitis 

nur  vermuten  konnten,  dass  Pachymeningitis  und  seröser,  iüter- 
meningealer  Erguss  vom  ersten  Moment  an  zu  einander  in  Be- 
ziehung stehen  und  die  Erscheinungen  des  ersten  zu  Anfang 
überwiegen.  Am  Ende  der  6.  Erankheitswoche  treten  wir  in  das 
Stadium  der  Meningeal-Apoplexie.  Die  Spinalpunktion  ergab 
fast  reines  Blut.  Sie  verringerte  die  Erregungserscheinungen 
wie  Brechen,  Schreien  und  Krämpfe,  auch  kehrte  die  geschwundene 
Pupillenreaktion  für  24  Stunden  wieder  zurück.  Das  Kind  er- 
lag jedoch  dem  grossen  Blutverlust,  der,  wie  die  Sektion  zeigte, 
frei  in  den  Subduralraum  erfolgt  war.  Die  enorme  Menge  blutig- 
seröser Flüssigkeit  bewies,  dass  dieser  Raum  vorher  durch  einen 
serösen  Erguss  gefüllt  war. 

Dass  diese  Krankheit  unter  glücklichen  Verhältnissen  einen 
günstigen  Verlauf  nehmen  kann,  zeigt  folgender  Fall: 

Fall  IIL  Kind  Antoo  K.,  das  siebente  Kind  gesander  Eltern,  wurde 
spontan  in  Kopflage  leicht  geboren  und  von  seiner  Mutter  selber  in  2-  bis 
3  stündlichen  Pansen  genährt.  Am  15.  VIII.,  im  Alter  von  8Vs  Monaten, 
traten  Kr&mpfe  auf,  die  von  dem  behandelnden  Arzt  für  ein  Symptom  von 
Gastroenteritis  gehalten  and  mit  Aussetzen  der  Brust  behandelt  wurden. 
Am  18.  VIII.  sah  ich  das  Kind  zum  ersten  Male.  Die  Kr&mpfe  hatten  sich 
mehrmals  täglich  eingestellt.  Vor  14  Tagen  ungefähr  sollte  das  Kind  Yom 
Gartentisch  gefallen  sein. 

Beim  Schwingen  des  Kindes  zum  Zweck  der  Beruhigung  war  es  3  Tage 
Yorher  auch  noch  gegen  einen  Schrank  gestossen  worden,  wovon  2  leichte, 
blaue  Flecke  an  beiden  Stimhöckern  herrühren  sollten. 

Es  war  ein  besonders  schönes  Brustkind.  Puls  110,  regelmässig. 
Temperatur  87,5.  Die  Fontanelle  ist  gespannt  Nach  der  Untersuchung  ein 
Kramp  fanfall  eklamptischer  Natur,  von  rechts  beginnend. 

19.  VIII.  Nachts  €  mal  Krämpfe,  Fontanelle  stark  gespannt,  Kopf- 
umfang 42  cm.  Keine  Schlafstellnng  der  Hände,  lacht  nicht.  Beiderseits 
starke  Stauungspapille.  Enorme  retinale  und  präretinale  Blutungen  (Dr.  Lu- 
bowski). 

23.  VIII.  Das  Aussehen  ist  besser  geworden,  die  Fontanelhenspannung 
geringer.     Das  Kind  nimmt  seine  gewohnte  Schlafstellung  wieder  ein. 

25.  VIII.  Dauernde  Unruhe.  Hydrocephalischer  Blick.  Fontanelle 
starr  gespannt,  alle  Nähte,  besonders  die  Hinterhaupts-  und  Kranznaht,  sind 
auseinander  gewichen.  Schädelumfang  hat  um  2  cm  zugenommen.  Die 
Schädelhaut  ist  glänzend  gespannt.  Puls  110—120.  Da  sich  abends  der 
Zustand  noch  verschlechtert  und  das  Kind  dauernd  kreischende  Schreie 
ausstösst,  wird  die  Spinalpunktion  vorgenommen.  Es  werden  25—80  ccm 
leicht  blutiger  Flüssigkeit  entleert.  Dieselbe  wird  in  6  Portionen  aufge- 
fangen. Alle  zeigen  die  gleiche,  leicht  blutige  Färbung.  Auffällig  ist  die 
sofortige  Besserung  des  Aussehens  des  Kindes,  die  von  der  Mutter  beim 
Wiedereintritt  ins  Operationszimmer  freudig  erkannt  wird. 


haemorrhagica  mit  Hydrooephalas  externus.  59 

26.  YIII.  Das  Kind  hat  wenig  geschlafen,  ist  aber  ruhiger.  Es  ver- 
mag den  Kopf  noch  nicht  zn  halten.  Die  Scheitelbeine  sind  über  das 
Hinterhauptbein  geschoben,  die  Fontanelle  ist  eingefallen. 

28.  YIII.  Das  Kind  lacht  und  hält  den  Kopf  wieder.  Der  Umfang 
desselben  beträgt  42  cm,  also  2  cm  weniger  als  bei  der  zweiten  Attaqno. 
Die  Fontanelle  ist  noch  als  Kreaz  sichtbar,  die  Scheitelbeine  noch  über- 
gesohoben.  Die  Stauangspapille  ist  wenig  mehr  ausgesprochen.  Anscheinend 
keine  neue  Blatnng  im  Angenhintergrund.  Die  Temperatur,  die  seit  dem 
25.  YIII.  gemessen  wird,  überschreitet  seitdem  nie  wieder  37,5;  Körper- 
gewicht 4,800  kg;  Schmierkur  p.  d.  1  g. 

1.  IX«  Die  Fontanelle  ist  seit  heute  wieder  gespannt,  das  Kind  etwas 
unruhiger.     Puls  90—100. 

2.  IX.  Das  Kind  ist  wieder  ruhiger,  lacht  und  ist  freundlich.  Kopf- 
nmfang  44  cm. 

4.  IX.  Kopfumfang  44  cm.  Fontanelle  nicht  sehr  gespannt.  Hinter- 
hauptsnaht deutlich  auseinander  gewichen.  Augenbefund:  Keine  neuen 
Blutungen,  die  Stauungspapille  fast  ganz  zurückgebildet. 

12.  IX.  Gutes  Befinden.  Kopfumfang  44  cm.  Das  Kind  ist  seit  dem 
2.  IX.  1902  ohne  Anfall  geblieben. 

2.  XII.  1902.  Im  Alter  von  7  Monaten  wegen  eines  schweren  ahnten 
Schnupfens  gezeigt.  Kopfnmfang  47i/s  cm.  Brustumfang  40  cm.  Geistig 
und  körperlich  sonst  nach  Wunsch  entwickelt. 

18,  YI.  1903.  Im  Alter  von  1  Jahr  1  Monat  läuft  das  Kind  schon 
allein,  ist  gross,  schlank  und  fest.  Fontanelle  misst  im  schrägen  Durchmesser 
einen  Qaerfinger.  Die  Ränder  derselben  sind  weich.  Kopfumfang  49^/2  cm, 
Brustumfang  47  cm.  Es  ruft  die  Namen  seiner  Angehörigen  und  ist  voll- 
ständig sauber.    Augenbefnnd  völlig  normal.    (Dr.  Lubowski.) 

18.  Y.  1904.  2  Jahre  alt.  Kopfumfang  53  cm.  Brustumfang  52  cm. 
Fontanelle  geschlossen.  Übrigens  zeichnen  sich  Yater  und  Geschwister 
durch  auffällig  grosse  Köpfe  aus.  Der  Knabe  ist  äusserst  regsam,  zeigt  auf 
Geheiss  Bilder  und  nennt  sie  mit  Namen.  Er  gilt  zu  Hause  als  besonders  klug. 

Auch  dieser  letzte  Fall  zeigt  in  den  wichtigsten  Punkten 
das  gleiche  Verhalten  wie  die  beiden  vorhergehenden.  Das  Kind 
erkrankt  mit  Krämpfen  und  grosser  Unruhe.  Der  Kopfumfang 
nimmt  dabei  rasch  zu.  Es  treten  Stauungspapille  und  Blutungen 
im  Augenhintergrund  ein.  Der  erste  Anfall  macht  nach  7  Tagen 
einem  leidlichen  Wohlbefinden  Platz,  doch  schon  nach  2  Tagen 
beginnt  ein  schwererer,  der  durch  Spinalpunktion  dauernd  koupiert 
wird.  Die  erste  und  einzige  Spinalpunktion  ergibt  in  diesem 
Falle  leicht  blutige  Flüssigkeit  von  so  gleichmässiger  Mischung, 
dass  eine  Beimengung  des  Blutes  während  der  Punktion  aus- 
geschlossen ist.  Eine  Blutung  in  den  Subdural-Raum  ist  also 
nachgewiesen,  da  andere  Formen  von  Blutungen  in  das  Lymph- 
system des  Zentralorgans  nicht  in  Betracht  kommen.  Es  fragt 
sich  aber,  ob  die  Blutung  eine  so  grosse   gewesen    ist,    dass    sie 


60  Göppert,  Drei  Fälle  von  Pachjmeniogitis 

allein  die  Zunahme  des  Schädelamfangs  mit  Auseinanderweichen 
aller  Nähte  verursacht  hätte.  Nach  Fall  II  hätten  wir  unter 
dieser  Voraussetzung  eine  rein  blutige  Punktionsflüssigkeit  er- 
warten dürfen,  auch  spricht  wohl  die  augenblickliche  Wirkung 
der  Punktion  mit  der  nachweislich  2  Tage  anhaltenden  Abnahme 
der  Eopfspannung  unbedingt  für  ein  zweites  Moment  der  Schädel- 
vergrösserung,  nämlich  einen  Hydorcephalus  extemus.  Das  Erank- 
heitsbild  des  8.  Falles  unterscheidet  sich  von  den  beiden  ersten 
nur  durch  den  günstigen  Ausgang.  Diesen  verdanken  wir  wohl 
dem  absolut  normalem  Ernährungszustande  des  Kindes.  Wie  weit 
die  allein  in  diesem  Falle  konsequent  durchgeführte  Quecksilberkur 
von  Nutzen  gewesen  ist,  ist  nicht  zu  entscheiden. 

Spüren  wir  den  Ursachen  der  Erkrankung  in  unseren 
8  Fällen  nach,  so  ergibt  sich  in  Fall  II  das  Vorliegen  eines 
ernsten,  in  Fall  III  eines  leichten  Traumas. 

Die  Bedeutung  dieses  Faktors  ist  vielfach  anerkannt  worden, 
doch  ist  nach  den  Untersuchungen  von  van  Vleuten*)  und 
Laurent*)  in  Übereinstimmung  mit  den  älteren  Arbeiten  von 
Virchow^)  und  Eremianski*)  nachgewiesen,  dass  nur  die 
Organisation  des  Blutergusses  zwischen  Dura  und  Arachnoidea 
eine  oberflächliche  Ähnlichkeit  zwischen  Pachymeningitis  hae- 
morrhagica  und  traumatischem  Bluterguss  bedingt,  dass  sie  aber 
im  übrigen  sich  so  unterscheiden,  wie  ein  regressiver  sich  von 
einem  progressiven  Prozess  unterscheidet.  Aufs  neue  haben 
Doehle*^)  und  Weyke*)  die  Bedeutung  des  Geburtstraumas  in 
den  Vordergrund  gerückt.  Sie  fanden  bei  959  Säuglingssektionen 
12  pCt.  Blutungen  in  der  Hirnkapsel  und  im  ganzen  8  Fälle  von 
hämorrhagischer  Pachymeningitis,  meist  zugleich  mit  Blutungen 
im  Gehirn.  Diese  Fälle  kamen  im  Alter  von  4 — 6  Monaten  zur 
Sektion  und  zeigten,  abgesehen  von  ihrem  Hirnleiden,  schwere 
sonstige  Erkrankungen  an  Lunge  und  Darm,  mit  oder  ohne 
Syphilis,  doch  ist  meist  die  Pachymeningitis  die  geringwertigste 
der  gleichzeitigen  Hirnverletzungen.      Nur    in   einem  Falle   führt 

0  van  ^leaten,  Dissert.  BoDn  1898. 

')  Laurent,  Dissert.  Bonn  1898.  Yergl.  aach  Buss.  Zeitschr.  f.  kiin. 
Medizin.     1899.    Bd.  38. 

5)  Vircliow,  Verhandl.  der  physikal.  med.  GeselUch.  Würzburg.  1856. 
Bd.  VII.     S.  129.     Zitiert  nach  König. 

^)  Kremianski,  Yirchows  Arch.  92.  S.  129.  Zitiert  nach  König. 
Dissert.  Berlin  1882. 

')  Doehle,  Über  chron.  Pachymeningitis.  Berlin,  internat.  Kongress. 
1890.    XVII.     S.  40. 

«)  Weyke,   Dissert.  Kiel   1889.    Vergl.  Salomon,  Dissert.  Kiel  1897. 


haemorrhagica  mit  Hydrocephalas  extern as.  61 

die  Pachymeningltis  durch  eine,  wahrscheinlich  durch  ein  Trauma 
veranlasste  sekundäre  Meningeal-Apoplexie  zum  Tode.  Ein 
Geburtstrauma  anzunehmen,  erlaubt  wohl  unser  Fall  III,  wie  aus 
der  Krankengeschichte  zu  ersehen,  nicht.  Zu  einem  weiteren 
Vergleich  ist  der  Doehlesche  Fall  mangels  einer  genaueren 
Veröffentlichung  nicht  geeignet. 

Von  anderen  Ursachen  der  Pachymeningitis  haemorrhagica 
sind  Skorbut  [Sutherland^)]  Alkoholismus  und  Stauungs- 
erscheinungen  anerkannt,  können  uns  aber  nicht  hier  beschäftigen. 
Auch  Syphilis,  deren  Wichtigkeit  zuerst  Heubner^),  dann  L^on 
d'Astros")  hervorhob,  und  die  auch  nach  Doehle  und  Weyke 
eine  grosse  Rolle  spielt,  Hess  sich  in  keinem  meiner  Fälle  nach- 
weisen. Der  gute  Ausgang  des  FaUes  UI  unter  einer  energischen 
Schmierkur  darf  als  Beweis  für  Syphilis  bei  Berücksichtigung 
derFamilien-Anamnesenichtherausgezogen werden.  Heubner fuhrt 
schliesslich  als  Ursache  chronische  Magendarmerkrankungen  an, 
und  in  der  Tat  litten  Fall  I  und  II  an  schwerer  chronischer 
Ernährungsstörung,  die  sich  durch  ausgeprägte  Rachitis-  und 
Furunkulose  deutlich  zeigte. 

Unsere  drei  Krankengeschichten  lehren  uns  als  wichtiges, 
anscheinend  konstantes  Symptom  des  akuten  Anfalles  grosse  Netz- 
hautblutungen mit  oder  ohne  Stauungspapille  kennen.  Inzwischen 
hat  Finkelstein  *)  einen  gleichen  Augenbefund  in  seinem  Fall 
von  Pachymeningitis  erhoben.  Die  Blutungen  gehören  nur  dem 
ersten  Stadium  an  und  verschwinden  später.  Stauungspapille  ist 
bei  Pachymeningitis  haemorrhagica  längst  bekannt  [Heubner/) 
Legendre^)],  die  Netzhautblutungen  augenscheinlich  nicht. 

Bei  oberflächlicher  Betrachtung  ähnelt  der  Verlauf  unserer 
drei  Fälle  ganz  dem,  was  oft  bei  Pachymeningitis  haemorrhagica 
beschrieben  und  von  Legen dre  als  Typus  aufgestellt  worden  ist^« 

1)  Sutherland,  Brain  1894. 

>)  Heubner,  Virchows  Arch.  LXXXIV.  S.  267  und  Eulenburgs 
Realencykl. 

*)  Leon  d^Astros,  Les  Hjdrocephalies.     Paris,  Steinbeil  1898. 
<)  Finkelstein,  Gesellschaft  der Gbarit^- Aerzte,  Berl. klin. Wocbenscb r. 
1904,  S.  408. 

»)  Heubner,  1.  c. 

<)  Legendre  nach  Leon  d^Asters. 

0  Literatur  über  Fachymeuingitis  hierzu: 

Leon  d'Astros,  1.  c. 

Friedrich  Schulze,  Die  Krankheiten  der  Hirnhäute. 

Heubner,  Eulenburgs  Eealencjklopädie. 

Frank el,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1891,  S.  666. 

Henschen,  Penzoldt  und  Stinzing,  Bd.  VIII,  S.  787. 

Wagner,  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde,  N.  F.  I,  S.  906. 


62  Göppert,  Drei  Fälle  vob  PachymeDingitis 

Die  genauere  Betrachtung  hat  jedoch  gezeigt,  dass  gerade  im 
ersten  akuten  Stadium  ein  periodisch  wachsender  seröser,  sub- 
duraler Erguss  die  grösste  Rolle  spielt.  Etwas  ahnliches  konnte 
ich  in  der  Literatur  nicht  finden.  Mit  den  encystierten  hämor- 
rhagischen, bezw.  serösen  Exsudaten  Legend  res  hat  dieser  Zu- 
stand nichts  zu  tun.  Auf  Grund  der  Kenntnis  des  Falles  Josef  G. 
hat  daher  Herr  Geheimrat  Ponfick  in  der  Epikrise  seiner  er- 
wähnten Arbeit  die  Hypothese  aufgestellt,  dass  infolge  periodischer 
Entleerungen  durch  Spinalpunktionen  es  zu  Blutungen  aus  Pial- 
gefässen  und  dann  zu  Pachymeningitis  haemorrhagica  und  den 
entzündlichen  Erscheinungen  des  Falles  I  gekommen  sei.  Auf 
Grund  der  gesamten  drei  Fälle  jedoch  glaube  ich  diese  Hypo- 
these angreifen  zu  müssen.  Diese  Fälle,  namentlich  der  zweite, 
haben  dargetan,  dass  in  den  ersten  Anfällen  der  Hydrocephalus 
externus  im  Vordergrund  der  Erscheinung  steht;  aber  auch  diese 
Flüssigkeitsansammlung  erfolgt  in  periodischen  Attacken,  gleich- 
gültig, ob  eine  Spinalpunktion  vorhergegangen  ist  oder  nicht.  Wir 
müssen  uns  nach  einem  Organ  umsehen,  von  dem  diese  Aus- 
schwitzung ausgeht.  Da  die  Arachnoidea  und  Pia  in  keinem  der 
beiden  zur  Sektion  gekommenen  Fälle  Veränderungen  aufwies,  so 
dürfte  wohl  die  Ausschwitzung  von  der  Innenfläche  der  Dura 
erfolgt  sein,  die  sich  bei  dem  frischeren  Fall  U  ebenfalls  in 
diffuser  Weise  erkrankt  erwies.  Dass  gleich  zu  Anfang  Blutungen 
geringerer  Natur  erfolgen,  lehrt  die  erste  Punktion  des  Falles  IH 
(Fall  I  ?)  und  die  zweite  Punktion  im  Fall  I  und  II.  Die  weit- 
gehende Organisation  des  Exsudates  im  Falle  Paul  H.  (II)  weist 
schliesslich  weit  über  die  vier  Wochen  vor  dem  Tode  vorge- 
nommene Spinalpunktion  hinaus. 

Es  ist  dadurch  bewiesen,  dass  die  Pachymeningitis  von  vorn- 
herein einen  hämorrhagischen  Charakter  trug.  Selbst  die  sekun- 
dären schweren  Blutungen  stehen  in  keinem  zeitlichen  Zusammen- 
hang mit  der  Ausführung  der  Lumbalpunktion.  Das  Krankheits- 
bild stellt  sich  meiner  Meinung  nach  folgendermassen  dar:  Bei 
einer  bestimmten  Form  von  diffuser  Pachymeningitis  haemor- 
rhagica des  Säuglingsalters  erfolgen  anfangs  periodische,  seröse 
Ausschwitzungen  in  den  Subduralraum,  die  eine  akute  Vergrösse- 
rung  des  Schädels  mit  allerhand  Drucksymptomen  und  Netzhaut- 
blutungen zur  Folge  haben.  In  diesem  Stadium  können  schon 
kleinere  Blutungen  in  den  serösen  Erguss  erfolgen.  Bei  spontanem 
Ablauf  dauert  es  einige  Tage,  bis  der  Druck  durch  Dehnung  der 
Schädelkapsel  sich  kompensiert  hat.     Bei  den  späteren  Attacken 


haemorrhagica  mit  Hydrocephalas  externus.  63 

treten  dann  die  Blatungen  in  den  freien  Subdaralraum  in  den 
Vordergrund.  In  diesem  Stadium  kann  durch  eine  übermässige 
Blutung  der  Tod  eintreten  oder  es  zur  Hämatombildung  kommen, 
die  wohl  nur  einen  Aufschub  des  Endes  bedeutet.  Dagegen  ist 
im  ersten  Stadium  eine  Heilung  nicht  ausgeschlossen. 

Die  Diagnose  ist  im  ersten  Anfalle  künftighin  mit  Wahr- 
scheinlichkeit bei  den  angegebenen  Symptomen  dann  zu  stellen, 
wenn  die  Spinalpunktion  leicht  blutig  gefärbte  Flüssigkeit  ergibt 
oder  bei  seröser  Spinalflüssigkeit  ohne  Spinnwebengerinnsel  eine 
prompte  Besserung  herbeiführt.  Das  zweite  Stadium  verrät  sich 
durch  stark  blutige  Punktionsflüssigkeit*).  Hier  ist  von  der  Aus- 
führung dieser  Operation  nichts  mehr  zu  erwarten;  um  so  nütz- 
licher erweist  sie  sich  im  ersten  Stadium,  wo  sie  zur  Abkürzung 
eines  schweren  Anfalles  empfohlen  werden  kann. 

>)  Anm.  Bei  der  gewöhn  liehen  Form  der  Pachjmeningitis  haemorrhagica 
soll  nach  Henschen  (siehe  Peozoldt  und  Stintzing,  Bd.  YIII,  S.  790)  und 
Rieken,  dessen  Arbeit  ich  leider  nicht  finden  konnte,  die  Spinalpanktion 
ohne  Erfolg  versucht  worden  sein. 


V. 

Lähmung  der  Glottlserwelterer  im  frühen  Kindesalter. 

Von 

Dr.  ALFRED  HÜSSY, 

VolonUlrasslBtmiten  der  Klinik. 

In  der  Literatur,  vor  allem  der  siebziger  und  achtziger 
Jahre,  finden  sich  Beobachtungen  länger  dauernder,  auf  nervöser 
Basis  beruhender  Stenosen  des  Kehlkopfes  in  ziemlich  grosser 
Zahl  niedergelegt,  aber  nur  ein  auffallend  geringer  Prozentsatz 
derselben  betrifft  die  Kindheit,  ja  aus  dem  jüngsten  Kindesalter 
sind  nur  zwei  Beobachtungen  bekannt,  welche  die  Diagnose 
„Lähmung  der  Glottiserweiterer**  gestatteten.  Ich  bin  nun  in  der 
Lage,  zur  Kasuistik  dieser  vom  Standpunkte  des  Praktikers  und 
in  differential diagnostischer  Beziehung  viel  Interesse  beanspruchen- 
den Frage,  die  Krankengeschichte  eines  Kindes  beizutragen,  das 
wir  in  der  poliklinischen  und  später  in  der  stationären  Abteilung 
der  Klinik  zu  beobachten  Gelegenheit  hatten. 

Der  Schilderung  dieses  Falles  möchte  ich  zur  Orientirung 
das  Wichtigste  über  Entstehen  und  Symptomenbild  der  vor- 
liegenden Erkrankung  vorausschicken. 

Wenn  die  phonischen  Paralysen  den  einzigen  gemeinsamen 
Charakter  haben,  stets  von  einer  Stimmstörung  gefolgt  zu  sein, 
aber  jeder  beträchtlicheren  Respirationsstörung  unter  gewöhnlichen 
Verhältnissen  zu  entbehren,  so  bewirkt  die  Lähmung  der  Muscul. 
cricoarytaenoid.  postici,  deren  einzige  Aufgabe  die  Erweiterung 
der  Glottisspalte  und  damit  die  Ermöglichung  völlig  freien  Durch- 
strömens  der  Luft  durch  den  Kehlkopf  ist,  eine  Störung  der 
Respiration,  nicht  dagegen  eine  solche  der  Stimmbildung;  denn 
der  Glottisschluss  als  eine  Tätigkeit  der  Verengerer  und  Spanner 
kann  dabei  ungestört  vor  sich  gehen. 

Werden  nun  im  Gegensatz  zu  allen  funktionellen  Lähmungen 
des  Kehlkopfes,  die  fast  ausnahmslos  die  Glottis  verengerer  be- 
treffen,   bei    organischen    progressiven    Paralysen    der  Kehlkopf- 


Hfissy,  L&hmaog  der  Glottiftetweiterer  im  frühen  Kindesalter.        65 

nerven  (wie  dies  Semon  undKosenbach  als  gesetzmässig  fest- 
stellten), die  für  den  Posticus  bestimmten  Fasern  des  Recurrens 
snecessive  ausser  Funktion  gesetzt,  so  wird  der  Reflextonus  dieses 
Muskels  rernichtet,  das  betreffende  Stimmband  steht  auch  bei 
Inspiration  vorerst  in  „Kadaverstellung"  und  kann  nicht  weiter 
abduziert,  bei  der  Phonation  dagegen  wohl  noch  adduziert  werden. 
Dabei  bleibt  es  aber  bei  einer  l&nger  andauernden  Lähmung 
nicht;  es  tritt  wie  bei  allen  Lähmungen  isolierter  Muskelgruppen 
am  Korper  als  ein  neues  Moment  die  sekundäre  paralytische 
Kontraktur  der  Antagonisten  hinzu;  die  Stimmbänder  werden 
mehr  und  mehr  der  Mittellinie  genähert  und  endlich  dauernd  in 
dieser  Stellung  fixiert.  So  bekommt,  wie  Gerhardt  sich  aus- 
drückt, „der,  dessen  Glottiserweiterer  gelähmt  sind,  ebensogut 
eine  Verengerung  der  Glottis,  wie  jener,  dessen  Nerv,  radialis 
gelähmt  ist,  seine  Hand  und  seine  Finger  zu  zwangsweiser  Beuge- 
steOung  sich  krümmen  sieht". 

Handelt  es  sich  nur  um  eine  einseitige  Lähmung,  so  kann 
dieses  Stadium,  abgesehen  vom  laryngoskopischen  Bilde,  beim 
Einwachsen en  und  wohl  auch  beim  älteren  Kinde  symptomlos  ver- 
laufen, genügt  doch  die  Auswärtsbewegung  des  nicht  affizierten 
Stimmbandes,  um  noch  eine  genügende  Luftzufuhr  zu  garantieren, 
ohne  dass  Stenosenerscheinungen  eintreten  müssen.  Diese  symp- 
tomlos verlaufende  einseitige  Posticnslähmung  entzieht  sich  des- 
halb sehr  oft  der  Beobachtung,  wenn  sie  nicht  zufällig  bei 
gelegentlicher  Laryngoskopie  entdeckt  wird. 

Anders  im  jüngsten  Kindesalter!  Da  lässt  unter  Umständen 
die  unverhältnismässige  Kleinheit  des  Kehlkopfes,  wie  z.  B.  ein 
Fall  Sommerbrodts  ^)  zeigte,  eine  genügende  Luftversorgung 
ohne  Dyspnoesymptome  nicht  zu.  Diese  einseitige  Posticus- 
paralyse  beim  kleinen  Kinde  und  die  doppelseitige  Lähmung  der 
Glottiserweiterer  müssen  demzufolge  ein  von  dem  der  einseitigen 
Posticnslähmung  der  Erwachsenen  wesentlich  verschiedenes, 
schwereres  Symptomenbild  zeigen,  das  allerdings  in  der  Inten- 
sität variieren  kann,  je  nachdem  die  Stimmbänder,  wie  zu  Beginn 
der  Erkrankung,  in  „Kadaverstellung^  stehen,  oder  eine  mehr 
weniger  starke  paralytische  sekundäre  Kontraktur  der  Antagonisten 
sich  schon  eingestellt  hat;  die  Intensität  der  Symptome  hängt 
selbstredend  auch  von  der  Vollständigkeit  der  Lähmung  ab. 

Zu  der  sekundären  Kontraktur  der  Antagonisten  gesellt  sich 

0  Breslauer  ärztl.  Zeitschrift.     1881.    No.  10. 
Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.  N.  F.   LXI.  Heft  1.  5 


66        Hüssj,  LähmuDg  der  Glottiserwetterer  im  frübeD  Kindesalter. 

als  weiteres  Moment  hinzu,  dass  sich  die  Stimmlippen  bei  der 
Inspiration  noch  mehr,  bis  zur  Berührung  nähern,  sei  es  weil, 
wie  die  Einen  glauben,  die  unterhalb  der  Stenose  entstehende 
Luftverdunnung  ein  Aneinandersaugen  der  Stimmlippen  bewirkt, 
sei  diese  Annäherung  die  Folge  einer  von  anderen  Autoren  an- 
genommenen, durch  die  Atemreize  erregten  Mitinnervation  auch 
der  Glottis  verengerer,  die  schon  bei  ruhiger  Atmung  statthaben 
soll.     [Vide  z.  B.  Sinnhuber  i).] 

Schon  RiegeP)  betont  ausdrücklich:  „Das  Symptomenbild 
der  doppelseitigen,  vollständigen  und  reinen  Lähmung  der  Glottis- 
erweiterer  ist  ein  nahezu  charakteristisches,  sodass  auch  ohne 
Laryngoskop  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  auf  das  Vor- 
handensein dieser  Lähmungsform  geschlossen  werden  kann."  Dieser 
Hinweis  erscheint  um  so  dringender  notwendig,  weil  ja  gerade  bei 
kleinen  Kindern  oft  der  Versuch,  das  Kehlkopfinnere  mit  dem 
Spiegel  zu  übersehen,  zu  keinem  Resultate  führt  und  in  den  vor- 
liegenden Beobachtungen  von  Posticuslähmung  im  Kindesalter 
nur  zum  Teil  die  Diagnose  durch  die  Laryngoskopie  erhäi*tet 
werden  konnte. 

Aus  den  bisherigen  Erläuterungen  ergibt  sich  ohne  weiteres 
die  Entwickelung  der  Symptome:  mehr  weniger  rasch  zunehmende, 
rein  inspiratorische  Dyspnoe  mit  stridulösem,  keuchendem  Atem- 
geräusch, das  um  so  lauter  ist,  je  stärker  die  Stenose  sich  aus- 
gebildet hat;  Missverhältnis  zwischen  der  Dauer  der  Inspiration 
und  der  der  Exspiration  in  dem  Sinne,  dass  die  Inspiration  in- 
folge des  Hindernisses  für  den  Luftdurchtritt  eine  wesentlich 
längere  Zeit  als  in  der  Norm  beansprucht,  trotzdem  alle  inspira- 
torischen Hilfsmuskeln  in  Tätigkeit  gesetzt  werden;  relativ  leicht 
und  rasch  erfolgende  Exspiration  ohne  Stenosen geräusch  und 
endlich  bei  unkomplizierten  Fällen  völliges  oder  fast  völliges 
Intaktbleiben  der  Stimme. 

Die  laryngoskopische  Untersuchung  ergibt,  kurz  angedeutet: 
Bei  frischer  Lähmung  Stellung  der  Stimmbänder  wie  bei  kom- 
pleter Reccurrenslähmung,  in  späteren  Stadien  bei  ruhiger 
Respiration  nur  schmaler,  linearer  Spalt  zwischen  den  Stimm- 
bändern, bei  tiefer  Inspiration  fast  völliger  Glottisschluss,  bei 
Intonation  normale  Verhältnisse. 

1)  Klinisches  und  Experimentelles  ober  doppelseitige  Posticaslähmung. 
Verhandl.  d.  Gesellsch.  d.  Chariteärzte.  Ref.  Berl.  klin.  Woclienschr.  1904. 
No.  26. 

>)  Franz  Riegel:  „Über  respiratorische  Paralysen**.  Volkmannsche 
SiimmluDg  klinischer  Vorträge.     No.  95.     1875. 


H&6  8  7,  Lähmung  der  Glottiserweiterer  im  frühen  Kindesalter.        67 

Bei  schwereren  Fällen  zeigt  der  Kehlkopf  infolge  der  Luft- 
druckdifiPerenzon  sehr  starke  inspiratorische  Exkursionen,  die  nach 
OerhardtO  difPerentialdiagnostisch  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
gegen  Trachealstenosen  zu  verwenden  sind. 

Die  Atmung  ist  trotz  hochgradiger  Atemnot  eher  ver- 
langsamt als  beschleunigt.  Bei  der  Inspiration  zeigen  sich  starke 
Einziehungen  der  nachgiebigen  Teile  des  Thorax  wie  bei  Larynx- 
stenosen  anderer  Ätiologie.  Husten  und  Auswurf,  Steigerungen 
der  Körpertemperaturen  fehlen,  solange  keine  Komplikationen 
hinzutreten,  gänzlich.  Das  Aussehen  der  Patienten  entspricht 
der  hochgradigen  Atemnot  wie  bei  allen  stärkeren  Larynx-  und 
Trachealstenosen. 

Das  erste  Symptom  dieser  interessanten  Affektion  kann 
demgemäss  sich  darin  zeigen,  dass  bei  leichten  Anstrengungen, 
bei  psychischen  Erregungen  eine  etwas  erschwerte  Inspiration 
sich  einstellt.  Aber  das  ist  ausdrücklich  zu  betonen,  es  könnte 
«ine  solche  Larynxverengerung  wenigstens  bei  älteren  Kindern 
wie  bei  Erwachsenen  lange,  ja  jahrelang  bestehen,  ohne  dass  eine 
wesentliche  Belästigung  der  Patienten  sich  bemerkbar  zu  machen 
brauchte;  denn  der  Organismus  hat  in  hohem  Grade  die  Fähigkeit,  den 
veränderten  respiratorischen  Anforderungen  bei  langsam  zu- 
'nehmender  Verengung  sich  anzupassen.  Bei  solchen  Kranken 
kann  aber  eine  zufällig  hinzutretende  Komplikation  mit  einer 
leichten  katarrhalischen  Veränderung  plötzlich  die  hochgradigste 
Atemnot  hervorrufen.  Nicht  ausgeschlossen  wäre  es  daher,  dass 
in  vielen  Fällen,  in  denen  als  ätiologisches  Moment  eine 
katarrhalische  Erkrankung  der  Respirationsorgane  angegeben 
wurde,  letztere  eigentlich  nur  den  Anlass  zum  Auftreten 
subjektiver  Beschwerden  bei  einer  schon  lange  bestehenden  Er- 
krankung gab. 

Soviel  zur  Entwicklung  und  Symptomatologie  dieser  Er- 
krankung! 

Im  Anschlüsse  an  diese  Erörterungen  mag  hier  ein  kurzer 
Überblick  über  die  wenigen  als  Postikuslähmung  gedeuteten  Fälle 
des  Kindesalters  folgen,  die  ich  in  der  mir  zugänglichen  Literatur 
beschrieben  finde: 

Fall  SommePbPOdt'):  6  Monate  altes  Kind.  AnaniD estisch  permanente 
Yerdaaungsstörungen.    Mit    7   Wochen    Bronchialkatarrh.     Mit    6    Monaten 


')  Lehrbuch  der  Auskultation  und  Perkussioo.    2.  Aufl.    Tübingen  1871. 
>)  I.  c. 


68       HüBBy,  L&bmaDg  der  Glottiserweiterer  im  frfilien  Rindesalter. 

akuter  Katarrh  des  KehlkopfeB  und  der  Luftröhre.  Schon  Dach 
Wenigen  Tagen  an  Stärke  zunehmende,  stridulöse  Inspiration,  Tag  und  Nacht 
andauernder  Stridor,  der  sich  beim  Weinen  erheblich  steigert.  Während  die 
katarrhalischen  Erscheinungen  rasch  zurückgehen,  bleibt  der  inspiratorische 
Stridor  stationär.  In  4 — 6  wöchentlichen  Zwischenräumen  fieberlose  Bronchial- 
katarrhe.  Mangelhafte  Ernährung;  konstant  höchste  Atemnot.  Mit  Vj^  Jahren 
Untersuchung  durch  Sommerbrodt:  Tiefe  Einziehungen  der  unteren  defor- 
mierten Thoraxpartien  und  des  Ingulum  bei  der  heulenden  Inspiration. 
Enormer  Lufthunger.  Freie  Exspiration.  Bei  jeder  Inspiration  steigt  der 
Kehlkopf  herab.  Stimme  rauh,  klanglos.  Kind  sehr  anämisch.  Hautdecken 
intakt.  Brfisen  nicht  geschwollen.  Laryngoskopische  Untersuchung  un- 
ausführbar.   Qaecksilberkuren  ohne  Erfolg. 

I'/«  Jahre  nach  Auftreten  dieser  Symptome  Tod  an  komplizierender 
akuter  Bronchitis. 

Kehlkopfautopsie  (die  der  übrigen  Körperpartien  wurde  nicht  ge- 
stattet): 

Der  Muskul.  cricoarytaenoid.  post.  dext.  ist  unTorändert;  der  linke  da- 
gegen makroskopisch  atrophisch,  blassgelb;  Muskelfasern  schmal,  doch  deutlich 
quergestreift,  die  Fasern  sind  in  grössere  Bündel  geordnet,  in  sehr  reichliches 
feinfibrilläres  Bindegewebe  eingebettet.  Degeneration svorgänge  sind  nicht 
nachweisbar,  keine  weitere  Abnormität  an  Schleimhaut,  Muskeln  und 
Nerven  des  Larynx.    Also:  „Einseitige  Posticuslähmung.'' 

FallBresgenO:  IV«  Jahre  altes  Kind.  Nach  Erkältung  Husten  und 
Heiserkeit.  12  Tage  später  nach  einem  kühlen  Bade  plötzliche  Apnoe, 
sodass  an  Tracheotomie  gedacht  wurde.  Nachher  langgezogene,  laut  tönende 
Inspiration.  Zunehmende  Atemnot.  Dabei  totale  Aphonie.  Laryngoskopie: 
Stimmbäoder  standen  bei  der  Inspiration  fast  dicht  beisammen,  Einblick  in 
den  Kehlkopf  während  der  Exspiration  unmöglich.  Unter  perkutaner  An- 
wendung des  faradischen  Stromes,  Jodglycerinbepinselung  Heilung  nach 
2  Monaten.  Diagnose:  Doppelseitige  Posticuslähmung.  Die  Aphonie 
deutet  auf  Mitbeteiligung  der  übrigen  Kehlkopfmuskeln,  die  Torhergehende 
Heiserkeit  auf  pathologische  Beschaffenheit  der  Stimmbänder. 

Fall  Seifert'):  4 jähriger  Junge.  Normale  Entwicklung.  Seit  drei 
Monaten  öfter  Schnupfen,  häufig  kurzer  Husten  und  Auswurf.  Vor  zwei 
Monaten  Zunahme  dieser  Beschwerden,  dazu  Heiserkeit.  In  den  folgenden 
Tagen  immer  häufiger  Erstickungsanfälle,  die  die  Tracheotomie  bedingten. 
1  Monat  nach  Aufnahme  gelingt  die  Laryngoskopie.  Maultrommelform  der 
Epiglottis,  diese  hebt  sich  nur  wenig.  Stimmbänder  stark  genähert,  fassen 
eine  schmale  Spalte  zwischen  sich.  Respirationsbewegung  derselben  fast  0; 
bei  Phonation  exakter  Schluss.  Larynxschleimhaut  im  Zustande  geringen 
Katarrhs.  Muss  8  Monate  Trachealkanüle  tragen,  dann  Heilung.  Diagnose: 
Posticuslähmung  mit  nicht  sicher  festzustellender  Entstehungs- 
ursache. 


>)  Deutsche  med.  Wochenschr.     1881.    No.  2. 
»)  Jahrb.  f.  Kinderheilk.    Bd.  XVIL    p.  366. 


Hü 88 7,  L&hmuDg  der  Glotti8er weiterer  im  frühen  Eifidesalter«       69 

Fall  Gerhardt  1):  4j&hriger  Knabe,  litt  seit  Oktober  1875  an  Schnupfen 
und  Husten,  die  am  12.  XL  an  Intensität  zunahmen,  am  16.  XI.  Heiserkeit 
uod  Stickanfälle,  deren  Steigerung  die  Tracheotomie  bedingte.  3  Wochen 
später  kann  die  gefensterte  Kanüle  stundenweise  yerschlossen  werden.  Am 
€.  I.  1876  Spitaleintritt:  Langgezogenes  Atmen  bei  geschlossener  Kanüle,  laut 
hörbar,  stärkeres  Geräusch  bei  der  Inspiration.  Einziehungen  längs  der 
Diaphragmainsertionen.  Mehrmals  Stickanfälle,  die  die  Entfernung  des  Korkes 
nötig  machen;  sofort  nach  dessen  Entfernung  hören  die  Beschwerden  auf. 
Stimme  gut.  Laryngoskopie:  Leicht  katarrhalischer  Zustand  des  Kehlkopfes, 
der  Kehldeckel  hebt  sich  wenig,  die  Stimmbänder  stehen  nahe.  Breite  der 
Stimmritze  höchstens  2  —  3  mm.  Inhalation  von  Natr.  bicarb.  durch  die 
Kanüle.    Am  6.  VIII.  Dekanülement,  am  17.7111.  geheilt  entlassen. 

Fall  Jurasz*):  2 jähriger  Knabe,  vorher  nie  krank.  Einige  Wochen 
nach  Erkrankung  an  Keuchhusten  langsam  sich  steigernde  inspiratoriscbe 
Atemnot,  auch  im  Schlafe,  mit  stärkster  Inanspruchnahme  aller  respiratorischeiii 
Hülfsmuskeln,  sie  wird  noch  intensiver  bei  psychischen  Erregungen,  so  dass 
man  an  Tracheotomie  dachte.  Reine  Stimme.  Laryngoskopie  ohne  positives 
Resultat.  Heilung  bei  perkutaner  Faradisation  im  Verlaufe  von  ca.  zehn 
Monaten,  nachdem  schon  in  den  ersten  Monaten  während  einer  Diarrhoe 
Torübergehende  Besserung  sich  gezeigt 

FallRehn'):  13jähriger  Junge.  In  der  Rekonvaleszenz  von  Ab  domin  aU 
typhus  nach  vorhergehender  auffälliger  Schwäche  des  Herzens  und  der 
unteren  Extremitäten  Atembeschwerden.  Zunehmende  inspiratorische  Dyspnoe 
beim  ersten  Versuche  eines  Aufenthaltes  im  Freien  macht  die  Tracheotomie 
nötig.  Sofort  nachher  freie  Atmung.  Nachherige  Laryngoskopie  ergab: 
Bei  flachem  Atmen  bildete  die  Stimmritze  eine  schmale  Spalte,  bei  stärkerer 
Inspiration  Glottisschluss.  Nach  15  Wochen  gelang  die  Entfernung  der 
Kanüle.    Heilung. 

Fall  FaehS^:  4jähnge8  Kind  wegen  Diphtherie  8  Tage  intubiert. 
14  Tage  nach  Extubation  hochgradige  stenotische  Beschwerden,  die  sich 
plötzlich  eingestellt  hatten.  Tracheotomie,  später  wegen  Unmöglichkeit,  zu 
dekanniieren,  Laryogofissur  und  Resektion  von  einigen  Knorpelringen,  zum  Teil 
der  Cartilago  cricoidea  und  des  untersten  Teils  der  Cartilago  thyreoidea. 
Laryngoskopischer  Befund:  Von  den  Stimmbändern  nichts  zu  sehen,  lineare 
Spalte,  zu  beiden  Seiten  von  Granulationswülsten  begrenzt.  Später  anstands- 
lose  Expiration,  bei  Inspiration  Einziehungen.  Phonation  ungestört.  De- 
kanülement auch  jetzt  unmöglich.    Diagnose:  Posticuslähmung. 

Ebenso  glaubte  Fuchs  bei  einem  Sjährigen  Kinde,  bei  dem  nach 
diphtheritischer  Stenose  weder  die  Extubation,  noch  später  nach  der  sekun- 
dären Tracheotomie  das  Dekanülement  gelang,  die  Diagnose:  , Posticus- 
lähmung*' stellen  zu  müssen.    (Kein  laryngoskopischer  Befund.) 


0  Gerhardts  Handbuch  der  Kinderkrankheiten.  III.  Bd.  2.  Hälfte. 
326.    1878. 

')  Jahrb.  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    Bd.  XIV.    p.  277. 

»)  D.  Archiv  f.  klinische  Med.    XVIIL     1.    p.  136.    1876. 

*)  Verhandlungen  d.  Gesellschaft  f.  Kinderheilkunde.  Düsseldorf  1898. 
157. 


70        Hüssy,  Lähmung  der  Glottiserweiterer  im  frühen  Kindesalter. 

Dieselbe  Diagnose  in  einem  dritten  Falle:  Nach  Extabation  erschwerte- 
Inspiration,  anstandslose  Exspiration  and  tadellose  Phonation.    Heilung. 

Fall  Förster^;:  2i/>jährige8  M&dchen.  Tracheotomie  wegen  Diph- 
theritis.  Partielle  Gangrän  des  Ringknorpels.  Doppelseitige  Pneumonie- 
Nach  12  Tagen  Dekanülement.  Geheilt  entlassen  nach  ca.  1  Monat.  Fünf 
Monate  später  Auftreten  ron  Atembeschwerden.  Mühsames,  geräuschyoUes,. 
yerlängertes  Inspiriam,  besonders  geräuschvoll  während  des  Schlafes.  Ein- 
ziehungen. Stimme  rauh,  nicht  tonlos.  H.  U.  grobes  Rasseln.  Laryngo- 
skopie: Epiglottis,  Taschenbänder,  Schleimhäute  normal.  Stimmbänder 
ebenfalls  morphologisch  normal,  deren  Beweglichkeit  beschränkt,  bei  tiefem 
Inspirium  Divergenz  derselben  kaum  mehr  als  1  mm;  Glottisschluss  bei 
Phonation  normal  möglich.  Perkutane  Faradisation  und  Galvanisation.  Nach 
ca.  2Vs  Monaten  vollständig  geheilt.  Die  von  Förster  gestellte  Diagnose : 
„Lähmung  des  Nervus  reccurrens*  dürfte  wohl  heute  mit  vollem  Recht  in: 
Posticusparalyse  umzuschreiben  sein. 

Fall  Taylor'):  Posticuslähmung  bei  einem  12jährigen  Mädchen,  welches 
daneben  an  kataleptischen  Anfällen  litt.    Heilung  nach  3  Monaten. 

Fall  Riegel*):  Gjähriger  Knabe.  Bei  Intonation  normaler  Glottis- 
schlass,  intakte  Stimme,  inspiratorische  Dyspnoe  wegen  starker  Verengerung 
der  Stimmritze,  weithin  hörbares  Pfeifen  und  Schlürfen.  Tracheotomie 
infolge  komplizierender  Bronchitis  und  Laryngitis;  zunächst  Besserung,, 
nachher  Lungenphthise,  Tod  an  intercurrierenden  Masern. 

Obduktion:  L.  Nerv,  roccurens  ist  hinter  dem  Sehilddrüsenlappen  ein- 
gebettet in  eine  grosse  Zahl  Lymphdrüsen,  neben  dem  hinteren  Teil  des^ 
Aortenbogens  in  festes  Bindegewebe  eingelagert,  an  die  Trachea  fixiert.  Der 
Nerv  verläuft  geschlängelt  durch  die  Drüsenpakete,  ist  auffallend  dünn.. 
R.  Nerv,  reccnrrens  oberhalb  der  rechten  Lungenspitze  an  der  Umbiegungs- 
stelle  der  Art.  subclavia  in  festes  Bindegewebe  eingebettet.  Beide  Musc.^ 
cricoarytaen.  p.  atrophisch.  Nerv,  reccurrentes  oberhalb  dieser  Stellen 
atrophisch. 

Also:  Reine,  unkomplizierte  neuropathische  Form  der  Lähmung  der 
Glottiserweiterer  infolge  Druckes  von  schrumpfendem  Bindegewebe  mit 
sekundärer  Atrophie  der  Muskeln. 

Der  von  mir  beobachtete  Fall  zeigte  folgende,  hier  wesent- 
lich gekürzt  wiedergegebene  Krankengeschichte: 

H.  F.  Poliklin.  Journ.-No.  2925  1902/08.  8.  XII.  1902:  2«/,  Monate 
altes  Mädchen.  4.  Kind.  Onkel  und  Tante  väterlicherseits  an  Schwindsucht 
gestorben.  Erstes  Kind  totgeboren,  doch  ausgetragen.  Zweites  Kind  gesund, 
wurde  poliklinisch  beobachtet.  Nie  Zeichen  von  Lues.  Drittes  Kind  erkrankte 
an  Lues  hereditaria,  die  hier  poliklinisch  behandelt  wurde;  starb  später  an 
einer   Ernährungsstörung.    Die  Mutter   machte  1899  wegen  dieser  luetischen 

^)  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.    Bd.  XV.    p.  298.     1880. 

*)  Guys,  Hosp.  Rep.  XLI.  p.  853.  Ref.  in  Schmidts  Jahrbüchern,. 
Bd.  201,  p.  134,  1880. 

•)  Berl.  klin.  Wochenschrift.  1872.  No.  20/21.  Ref.  im  Jahrbuch  L 
Kinderheilk.,  Bd.  VI,  N.  F.,  1879,  p.  428. 


Hüssj,  LähmaDg  der  Glottiserweiterer  im  frühen  Kindesalter.        71 

£r8cheinaDgen  an  dem  Kinde  eine  Inunktionsknr  durch.    Über  die  Zeit  ihrer 
Infektion  ist  ihr  nichts  bekannt. 

Patientin  war  ausgetragen.  Normale  Geburt.  Erhielt  bisher  2 stündlich 
die  Brust.  In  3  Tagen  zweimal  gelber,  breiiger  Stuhl.  Speit  hin  und  wieder. 
Ist  unruhig.  Seit  6  Wochen  wird  eine  Schlaffheit  erst  des  rechten,  dann  des 
linken  Armes  bemerkt. 

Status  praesens:  Körpergewicht  4250  g.  Temperatur  87,5.  Guter 
Tonus,  aber  nur  massige  Farbe.  Nicht  fett.  Kein  luetisches  Exanthem.  An 
beiden  Fusssohlen  ist  die  Haut  etwas  glänzend.  Im  rechten  Handteller  leichte 
SchnppuDg.  Keine  Rhagaden,  Pharynx  frei.  Innere  Organe  o.  B.  Die  Milz 
ist  bei  tiefer  Inspiration  eben  fühlbar. 

Beide  Arme  zeigen  schlaffe  Lähmung,  sind  nicht  druckempfindlich. 
Die  Epiphyseo  der  Arme  sind  massig  aufgetrieben.  Nirgends  Grepitation. 
Beine  zeigen  nichts  pathologisches.    Reflexe  normal. 

Therapie:  Brust  4  stündlich.  Inunktionsknr  (täglich:  1,0  Ung.  hydrar- 
gyr.  einer.). 

Die  Inunktionsknr  hatte  rasch  Erfolg,  die  Parrotschen  Pseudo- 
paralysen gingen  in  wenigen  Wochen  total  zurück.  (Im  ganzen  40  Ein- 
reibungen.) 

Das  Kind  wurde  weiter  öfter  in  die  Poliklinik  gebracht,  am  4.  IV.  1903 
folgender  Status  erhoben: 

Körpergewicht  5600  g.  Sehr  gute  Farbe.  Ganz  guter  Tonus.  Hält 
den  Kopf.  Sitzt  schlecht.  Stellt  die  Beine  nicht  auf.  Keine  Graniotabes. 
Milz  etwas  fühlbar.    Erhält  von  jetzt  an  4 mal  Brust,  einmal  Brühe  mit  Gries. 

8.  IX.  K.-G.  6520  g.  Etwas  blass.  Keine  Zeichen  7on  Rachitis.  Milz 
eben    palpabel.     Steht  an  der  Hand.     Trinkt  gut.    Haut  intakt.     Impfung. 

29.  X.  Ernährung  wie  bisher.  Seit  einigen  Tagen  schlechter  Appetit. 
Stuhl  angehalten.  „Bleibt  bei  jeder  Ernährung  weg**  und  wird  ganz  blass 
dabei.  Temperatur  37,0.  Blass.  Schlaff.  In  der  Ruhe  ist  die  Atmung  sehr  wenig 
stenotisch,  trotzdem  besteht  dabei  etwas  Cyanose,  bei  jeder  Erregung  nehmen 
die  ausschliesslich  inspiratorischen  St^noseerscheinungen  stark  zu,  ebenso 
die  Cyanose.  Stimme  ganz  wenig  belegt.  Herz  und  Lungen  o.  B.  Deut- 
licher Milztumor.  Kein  Facialisphänomen.  Pharynx  nicht  gerötet.  Keine 
Beläge.    Auf  der  Zunge  zwei  linsen  grosse,  flache  Ulzerationen,   Haut  intakt. 

Therapie:  Heisse  Packungen.  Spray.  Inunktionsknr:  Ung.  hydrargyr. 
einer.,  täglich  2,0. 

80.  X.  Die  bakteriologische  Untersuchung  des  abgeimpften  Rachen- 
schleimes ergab  keine  Diphtheriebazillen. 

2.  XL  Sehr  deutliche  inspiratorische  Stenose;  dagegen  macht  sich  die 
Cyanose  kaum  mehr  bemerkbar.     Geschwüre  im  Munde  abgeheilt. 

5.  XL  Temp.  37,6.  Stenose  stärker.  Links  7om  Manubrium  sterni 
eine  deutliche  Yorwölbung  und  leichte  Dämpfung.  Auskultatorisch  nichts. 
Herz  0.  B.    Trinkt  gut. 

Therapie:  Schmierkur  weiter,  zweitäglich. 

Injektion  von  1500  J.  E.  Behring  sehen  Diphtherieheilserums  (zu 
diagnostischen  Zwecken). 

8.  XL  Temp.  37,6.  Stärkere  Stenoseerscheinungen.  Wieder  etwas 
Cyanose.   Ängstlicher  Gesichtsausdruck.   Starke  inspiratorische  Einziehungen 


72        Hussy,  Lähmung  der  Giottigerweiterer  im  fr&hen  Kindessjter. 

des  Eptgafttrium.  Sonst  Stad.  id.  Die  radioskopische  Unteraachung  ergab 
keiDen  Anhaltspunkt  für  eine  Fremd kurperstenose.  Injektion  von  0,5  co  einer 
lOproz.  Lösung  Ton  Hjdrarg^r.  thymol.  acet. 

16.  XL  Temp.  S7,5.  Das  Kind  war  inzwischen  in  die  Behandlung 
eines  Privatarztes  übergegangen,  welcher  Phosphorlebertran,  Narkotika  und 
Saizbäder  verordnete.  Stad.  id.  Dämpfung  Y.  L.  0.  unsicher.  Nahrungs- 
aufnahme wechselnd.  ,  Trinkt  dreimal  Brust,  zweimal  Griesbrühe.  Stuhl 
angehalten. 

In  der  Kgl.  laryngologischen  Poliklinik  gelang  es  laut  Bericht  nicht, 
den  Larjnx  ganz  zu  übersehen.  Die  Arjknorpel  schienen  sich  gut  zu  bewegen. 

24.  XL  IC.-G.:  6400  g.  Temp.  36,9.  Unruhiger  Schlaf.  Dyspnoe  un- 
verändert. Intensiver  inspiratorischer  Stridor,  auch  im  Schlafe.  Täglich  1 
normaler  Stuhl.  Schlechte  Nahrungsaufnahme.  Patellarreflexe  nicht  auslösbar. 
Galvanische  Untersuchung  des  Nerv,  medianus:  K.  Oe.  Z.  >>  5,0.  Es  gelingt 
heute  mit  dem  Kehlkopfspiegel  die  Stimmbänder  zu  sehen:  sie  stehen 
fest  aneinandergepresst,  sind  grauweiss,  mit  Schleim  bedeckt. 
Der  Aditus  laryngis  ist  blassrot  und  frei  von  pathologischen  Veränderungen. 

28.  XL  Wegen  zunehmender  Atemnot  Aufnahme  auf  die  stationäre 
Abteilung  der  Klinik. 

Status  praesens:  Blass,  stark  cyanotisch.  Somnolent.  Die  Extremi- 
täten hangen  schlaff  herab.  Auf  Hautreize  keine  Reaktion.  Corneal-  und 
Pharynxreflex  vorhanden. 

Herzdämpfung  normal.  Töne  laut,  regelmässig,  o.B.,  Herzaktion  frequent. 

Respiration  sehr  frequent,  lauter  Stridor  bei  jeder  Inspiration,  Exspiration 
kurz,  relativ  unverändert,  starke  Einziehungen  des  Epigastrium  und  des 
lugulum.  Abdomen  flach,  o.  B.  Auf  Sauerstoffinhalation  verschwindet 
zwar  die  Gyanose,  eine  wesentliche  Besserung  des  Dyspnoe  tritt  nicht  ein. 
Beim  Versuch  die  Maske  wegzulassen,  stellt  sich  jedesmal  sogleich  wieder 
die  Cyanose  ein.  Deshalb  Tracheotomia  inferior  in  leichter  Chloroform- 
narkose.    Minimaler  Blutverlust. 

Vor  der  Trachea  schiebt  sich  im  lugulum  von  unten  her  das  obere 
Ende  der  Thymus  herauf,  es  erscheint  ziemlich  dick. 

Nach  Eröffnung  der  Trachea  und  Einführung  der  Kanüle  tritt  nach 
einigen  tiefen  Atemzügen  mit  folgender  Apnoe  sogleich  eine  ganz  ruhige 
und  regelmässige  Atmung  ein,  die  den  ganzen  Tag  anhält.  Pat.  zeigte  nach 
dem  Erwachen  aus  der  Narkose  wieder  freies  Sensorium.  Temp.  mittags 
38,9,  abends  37,8.  Erhält  4  stündlich  Vz  Milch,  Haferschleim  -f  1  Tee- 
löffel Zucker. 

29.  XL  Schläft  viel.  Atmet  ruhig.  Herzaktion  leiser  als  gestern. 
Wunde  reaktionslos.  Tct.  Strophanti:  3  mal  täglich  gtt.  V.  Körpergewicht 
5900  g. 

In  den  nächsten  Tagen  Temperaturen  bis  38,5.  Das  Körpergewicht 
hält  sich  trotz  schlechter  Nahrungsaufnahme  (ca.  500—600  g  p.  die). 

2.  XII.  Trinkt  besser.  Kein  Stuhl.  Atmung  ruhig.  Sehr  geringe 
Sekretion  aus  der  Kanüle.  Es  gelingt  leicht  durch  das  Kanülenfenster  eine 
biegsame  Sonde  so  vorzuschieben,  dass  man  deren  Knopf  vom  Munde  aus 
im  Larynx  fühlt.  Laryngoskopie:  die  Stimmbänder  bewegen  sich 
ziemlich  gut;  der  Kehldeckel  nimmt  bei  jeder  Inspiration  eine  wellen- 
förmige Gestalt  an. 


Hässy,  LAhmuug  der  Glottiser weiterer  im  frühen  Kiadesalter.        73 

5.  XII.  K.-G  5750  g.  Standen  lang  gelingt  es  heute,  die  gefensterte 
Kanüle  zu  verstopfen;  nur  hei  sehr  leicht  eintretender^ Erregung  hört  man 
dabei  einen  leisen  inspiratorischen  Stridor.  Atmung  ruhig,  regelmässig. 
Keine  Einziehungen  mehr. 

7.  XII.  Decanulement:  Verhalten  wie  bei  .Verstopfen  der  Fenster- 
kanüle. Abends  muss  wegen  znnehmendem,  inspiratorischem  Stridor  die 
Kanüle  wieder  eingeführt  werden.  Erhält  '/«  Milch,  Vs  Haferschleim 
+  1  Teelöffel  Zucker. 

Am  11.  und  12.  XII.  gelingt  das  Decanulement  wieder  yiele 
Stunden  lang. 

13.  XII.  K.-G.  5680  g.  Temp.  38,6.  H.  R.  ü.  leichte  Dämpfung 
und  ziemlich  reichliche,  kleine  mittlere  Ronchi«  Auch  L.  H.  U.  einige 
mittlere  Ronchi.  Mittags  Resp.=68,  abends  nach  Einführen  der  Kanüle  R.=^28, 
sehr  rahig. 

Sehr  schlaff.  Trinkt  sehr  schlecht.  Versuch  mit  3  mal  Brustmilch, 
2  mal  V>  Milch,  i/s  Mehlsuppe.     Kalte  Einpackungen. 

16.  XII.  K.-G.  5480  g.  Temp.  39,1.  Trinkt  stets  sehr  schlecht, 
schlackt  meist  nur  bei  Verschliessen  von  Nase  und  Kanüle,  behält  sonst 
die  Milch  lange  im  Munde.  Erbricht  oft,  sofort  nach  dem  Trinken, 
oder  erst  stundenlang  nachher.  Lungenstatus  id.  Ausserordentlich  schlaff. 
Emporgehobene  Hautfalten  bleiben  etwas  stehen.  Täglich  mehrere,  grün- 
liche, etwas  schleimige,    weiche,    mit   weissen  Flocken    untermischte  Stühle. 

Urin  (Katheterismus):  Schwach  alkalisch,  bräunlichgelb,  enthält  sehr 
viele  rote  Blutkörperchen,  massig  reichliche  Leukozyten,  keine  Zylinder 
und  Epithelien. 

17.  XII.  Seit  gestern  keine  Kanüle,  ohne  dass  stärkere  Dyspnoe  auftritt. 
Heute  Mittag  macht  rasch  an  Intensität  zunehmender  Stridor  Wieder- 
einführen der  Kanüle  nötig. 

Trinkt  stets  nur  gezwungen.  Der  Versuch,  mit  der  Sonde  zu  ernähren, 
misslingt,  weil  während  des  Eingiessens  der  Nahrung  sofort  alles  neben  der 
Sonde  herausgebrochen  wird. 

Wiederholte  Versuche,  wieder  Einblick  in  das  Larynxinnere  zu  er- 
halten, missliugen.  Fast  totale  Aphonie  wie  bisher,  hier  and  da  ein  leises 
Wimmern.  Lungenstat.  id.  R.  =  36.  Herztöne  etwas  schwach.  Puls  regel- 
mässig, ziemlich  beschleunigt. 

Infus,  fol.  digital.  1,0 :  100  2  stündlich  5  cc.  Beständige  Anwendung 
des  äprayapparates.  Inzision  eines  kirschgrossen.  schlaffen  Abszesses  über 
dem  rechten  Trochauter. 

19.  XIL  K.-G.  5100  g.  Temp.  37,4.  Sehr  schlaff,  bewegt  sich 
kaum  mehr.  Beiderseits  H.  bis  zur  Spitze  Knistern,  zum  Teil  mittlere 
Ronchi.  Keine  deutliche  Dämpfung.  Trinkt  noch  schlechter,  behält  die 
Milch  lange  im  Munde,  selbst  wenn  man  die  Kanüle  verschliesst.  Sehr 
stark  abgemagert.  Stuhl  wie  früher,  4 — 5  mal  täglich,  nicht  stinkend  in 
geringer  Quantität  entleert.  Versuch  mit  Pegnin -Vollmilch,  bricht  nach 
dieser  nicht. 

20.  XIL  K.-G.  5150  g.  Temp.  39,0.  Heute  Nacht  Trachea] rasseln. 
Herztöne  kaum  hörbar,  auf  Kampherölinjektionen  etwas  besser.  Hastet 
selten,  kann  den  Schleim  nicht  mehr  auswerfen.  Um  10  Uhr  wie  sonst 
Nahrungsaufnahme  nur  nach  Verschliessen  der  Kanüle. 


74        Hassy,  Lähmung  der  Glottiserweiterer  im  fräben  Kindesalter. 

Um.  4  Uhr  p.  m.  schlackt  das  Kind  bei  total  benommenem 
Sentoriam  spontan,  ohne  indes  am  Pfropfen  za  sangen.  Yerschinckt  sich 
dabei  nicht.    Abends  8  Uhr  Temp.  41,0.    Exitus  letalis. 

Obduktionsbefund:  In  extenso  mögehier  nur  der  das  grösste Interesse 
in  Anspruch  nehmende  Bericht  über  die  Kehlkopfautopsie  mitgeteilt  werden. 

Die  Larjnxschleimhaut  zeigt  ausser  anffallender  Blässe  nichts  be- 
sonderes. Kein  Ödem.  Larynx  nicht  abnorm  eng.  Stimmbänder  blass, 
nicht  verdickt,  stehen  in  KadaTerstellung.  Von  Kontraktur  ist  nichts  zu 
sehen.  Ein  eingeführter  Katheter  gelangt  ohne  Hindernis  durch  den  Larynx 
in  die  Trachea.  Auch  nach  Eröffnung  des  Larynx  ist  makroskopisch  keine 
pathologische  Veränderung  zu  konstatieren.  Epiglottis  etwas  lang  und 
etwas  eingekrempelt.  Trachealschleimhant  etwas  injiziert.  Dicht  oberhalb 
der  Bifurkation  findet  sich,  wohl  an  der  Stelle,  wo  das  untere  Ende  der 
Trachealkanüle  lag,  ein  5  Pfennigstück  grosser  oberflächlicher  Schleimhaut- 
defekt.    Trachea  im  übrigen  o.  B. 

Bronchialdrnsen  nicht  wesentlich  geschwellt. 

Im  ganzen  Verlaufe  des  Recurrens  und  Vagus  keine  Drusenpakete  oder 
Tumoren,  die  eine  Drucklähmung  hätten  bewirken  können.  Die  Thymus  ist 
nnr  halb  pflaumengross. 

Beide  Lungen  zeigten,  dem  klinischen  Befunde  entsprechend,  in  den 
Unterlappen  ziemlich  ausgedehnte  pneumonische  Infiltration  Keine  Ver- 
wachsungen mit  der  Pleura. 

Die  Nieren  boten  das  Bild  einer  wenig  ausgesprochenen  hämor- 
rhagischen Nephritis  dar. 

Die  Autopsie  der  übrigen  Organe  ergab  keinen  irgendwie  bemerkens- 
werten Befund;  es  möge  nur  noch  erwähnt  werden,  dass  ein  massiges  Piaödem 
zu  konstatieren  war. 

Die  Medulla  oblongata  wurde  nachträglich  von  mir  in  Serienschnitte 
zerlegt  und  der  mikroskopischen  Untersuchung  unterworfen,  ebenso  alle  für 
die  motorische  Innervation  des  Kehlkopfes  eyentuell  in  Frage  kommenden 
Grosshirnpartien  (Insula  Reilii  etc.),  doch  fand  sich  weder  an  diesen,  noch 
an  den  Vagus-  und  Accessoriuskernen  irgendwelcher  pathologische  Befund. 
Ausdrücklich  sei  noch  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  auch  die  mittleren 
und  kleineren  Hirnarterien  mikroskopisch  ein  vollkommen  normales  Bild 
darboten,  überhaupt  bei  der  Autopsie  luetische  Veränderungen  nirgends  zu 
konstatieren  waren. 

Infolge  eines  bedauerlichen  Versehens  war  der  Kehlkopf  einer  mikro- 
skopischen Untersuchung  nicht  zugänglich. 

Betrachten  wir  epikritisch  den  Verlauf  des  vorliegenden  Falles: 
10  V«  Monate  nach  Konstatierung  einer  luetischen  Pseudo- 
paralyse, die  ohne  weiteres  der  Hg-Kur  wich,  treten  bei  dem  nun 
ca.  13  Monate  alten  Kinde  Zeichen  von  Dyspnoe  auf,  die  bei  Er- 
regungen wesentlich  exazerbiert,  ja  zeitweilig  fast  laryngo- 
spastischen  Charakter  annimmt;  weitere  Begleiterscheinungen,  die 
auf  eine  akute  Laryngitis  oder  Diphtherie  schliessen  Hessen,  fehlen. 
Demgemäss  bessert  sich  die  Dyspnoe  auch  nicht  auf  eine 
zu    difiPerential-diagnostischen   Zwecken    vorgenommene   Injektion. 


Hu  SS  7,  Lähmung  der  Glottiserweiterer  im  frühen  Kindesalter.        75 

von  Diphtherie-Heilserum.  Der  eigentümliche  Charakter  der 
Dyspnoe  mit  der  langgedehnten,  wesentlich  erschwerten  Inspiration 
bei  relativ  unbehinderter  kurzer  Exspiration  wies  auf  ein 
Hindernis  in  der  Trachea  oder  im  Larynx.  Differential-diagnostisch 
sprachen  für  den  Sitz  der  Affektion  im  Kehlkopf  die  ziemlich 
starken  respiratorischen  Exkursionen  desselben.  Der  Charakter 
der  Dyspnoe  machte  auch  die  Annahme  einer  Fremdkörperdyspnoe 
unwahrscheinlich;  diese  wurde  ja  ausserdem,  um  ganz  sicher  zu 
gehen,  durch  die  radiologische  Untersuchung  ausgeschlossen. 

Man  konnte  eine  Schwellung  und  Verdickung  der  Stimm- 
bänder, eine  Neubildung,  luetische  Veränderungen  [im  Kehlkopfe 
und  auch  eine  einseitige,  oder  aber  doppelseitige  Lähmung  der 
Glottiserweiterer  vermuten.  Dass  auch  eine  einseitige  Lähmung  des 
Posticus  beim  kleinen  Kinde  zum  Zustandekommen  intensiver 
Dyspnoe  genügt,  zeigte  der  Fall  Sommerbrodt;  ja,  dieser  Autor 
meint,  es  sei  bei  doppelseitiger  Lähmung  überhaupt  ganz  unwahr- 
scheinlich, dass  ein  kleines  Kind  mit  so  kleinen  Kehlkopf- 
Verhältnissen  länger  als  kurze  Zeit  ohne  Tracheotomie  die  Affektion 
ertragen  könne. 

Bei  der  hereditär  luetischen  Anamnese  des  Kindes  drängte 
sich  uns  selbstredend  die  Annahme  luetischer  Veränderungen  im 
Kehlkopfe  vor  allem  auf,  sind  doch  genügend  Fälle  von  Larynx- 
syphilis  im  frühen  Kindesalter  bekannt.  Auch  hier  finden  sich 
neben  tönender,  pfeifender  Respiration  beschleunigte  Atem- 
bewegungen, Einziehen,  das  sich  in  nichts  von  dem  bei  anderen 
Larynxstenosen  unterscheidet,  zeitweise  Erstickungsanfalle  in- 
folge von  „Spasmo  surajout^  des  muscles".  „Lorsque  les 
accidents  laryngis  surviennent  chez  un  enfant  qui  a  pr^sentä  ou 
präsente  actuellement  les  signes  de  syphilis  hör^ditaire  ou  aura 
peu  de  Chance  de  se  tromper  en  les  mettant  sur  le  compte  de 
Tinfection  syphilitique."     [Boulay^).] 

Wohl  findet  man  bei  den  luetischen  Veränderungen  des 
Kehlkopfinnern  fast  stets  primär  die  Stimme  verändei*t,  belegt^ 
rauh,  dem  Tone  einer  Kindertrompete  ähnelnd,  häufig  gleichartigen 
Husten,  lange  bevor  Stenoseerscheinungen  sich  zeigen,  aber  es 
sind  auch  Fälle  [z.  B.  von  Gerhardt*)]  beschrieben,  in  denen 
zuerst  Dyspnoe  und  erst  später  Aphonie  sich  geltend  machte. 

0  Boulay,  „Larjngites  chroniques**  in  Marfan:  „Traite  des  maladies  de 
Tenfant.«     III.  Bd.  p.  861. 

>)  Gerhardt,  Über  syphilit.  Erkrankungen  der  Luftröhre.  D.  Arch. 
f.  klin.  Med.   IL    1867.   p.  547. 


76        Hüssy,  L&hmung  der  Glottiserweiterer  im  frähen  Kindesalter. 

Und  in  anserem  Falle  war  ja  in  d^r  ersten  Zeit  die  Stimme 
nur  unwesentlich  verändert.  Das  sprach  aber  jedenfalls  gegen 
wesentliche  entzündliche  Yeranderiingen  oder  Neubildungen  des 
Kehlkopfinnem.  Der  Charakter  der  Dyspnoe  und  die  vorerst 
wenig  veränderte  Stimme  Hessen  auch,  wie  ich  früher  ausgeführt, 
vielmehr  auf  eine  Lähmung  der  Glottiserweiterer,  denn  auf  eine 
luetische  Larynxaffektion  schliessen;  „müsste  man  doch  geradezu 
eine  klappenartig  den  Larynx  verschliessende  Narbenmembran 
supponieren,  in  deren  Konfiguration  und  Sitz  die  Möglichkeit 
höchster  inspiratojrischer  Dyspnoe  und  freier  Exspiration  läge, 
eine  Annahme,  die  an  Willkürlichkeit  nichts  zu  wünschen  übrig 
Hesse."     [Sommerbrodt^).] 

Der  Erfolg  einer  spezifischen  Behandlung  sollte,  da  eine 
laryngoskopische  Untersuchung  vorläufig  nicht  gelang,  bei  den 
nicht  absolut  klaren  Verhältnissen  die  Diagnose  sichern.  Das 
Besultat  war  ein  Versagen  der  Quecksilber-  und  Jodkalibehandlung. 
Wohl  zeigte  sich  in  den  letzten  Lebenstagen  eine  Besserung  der 
respiratorischen  Funktion  insofern,  als  die  Trachealkanüle  zeit- 
weise entfernt  werden  konnte,  doch  kommen  ja  solche  Besserungen 
auch  in  Fällen  nicht  luetischer  Ätiologie  vor. 

Ein  sicherer  Rückschluss  darauf,  dass  die  erst  nach  Ablauf 
mehrerer  Wochen  sich  geltend  machende  Besserung  der  spezifischen 
Therapie  zuzuschreiben  war,  war  kaum  erlaubt.  Inzwischen 
gelang,  wenn  auch  nur  für  einen  Moment,  die  Laryngoskopie 
und  bestätigte  die  Diagnose:  Lähmung  der  Glottiserweiterer 
mit  katarrhalischer  Stimmbandveränderung.  Letztere  erklärt  nun 
auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  die  an  Intensität  zunehmende 
Heiserkeit,  die  sich  zur  Aphonie  steigert;  indes  ist  zu  ihrer  Er- 
klärung die  Möglichkeit  nicht  auszuschliessen,  dass  sich  zur 
Lähmung  der  Stimmbanderweiterer  inzwischen  wie  so  oft  eine 
Lähmung  der  korrespoudierenden  Muscul.  thyreo-arytaenoidei 
intern,  gesellte,  deren  Einfluss  auf  die  Stimmbandstellung  bei  der 
so  kurzen  laryngoskopischen  Untersuchung  dem  Auge  vielleicht 
hat  entgehen  können.  Dass  es  sich  übrigens  im  weiteren  Ver- 
laufe nicht  nur  um  eine  subjektive  Besserung  der  Beschwerden 
handelte  (man  könnte,  was  aber  bei  der  zunehmenden  pneumonischen 
Infiltration  wenig  wahrscheinlich  war,  an  ein  Zurückgehen  der 
sekundären,  katarrhalischen  AfiFektion  der  Stimmbänder  denken), 
zeigt  das  Resultat  der  laryngoskopischen  Untersuchung  vom  2.  XIL: 

1)  1.  c. 


HüBbj,  L&hmnffg  der  GlottisM^eit^rer  im  frühen  Kindeealter.        77 

Die  Stimmbänder  schienen  sich  ziemlich  gnt  zu  bewegen. 
Abo  muss  es  sich  nur  noch  um  eine  leichtere  Parese  äer  Poertioi 
gehandelt  habeti,  die  nur  zu  gewissen  Zeiten  sich  noch  geltend 
machte  und  auf  diese  Weise  ein  zeitweises  Entfernen  der  Kanüle 
schon  gestattete. 

Eine  weitere  Erscheinung,  die  unser  Fall  zeigte,  ist  noch 
erwähnenswert: 

Burger*)  betont  ausdrucklich:  „Der  höchste  Grad  geräusch- 
YoUer,  heulender  Inspiration  findet  sich  bei  den  Kranken  mit 
Medianstellung  der  Stimmbänder  fast  ausnahmslos  während  des 
Schlafes.''  Unser  Fall  nahm  eine  Ausnahmestellung  insofern  ein, 
als  die  stenotischen  Erscheinungen  während  des  Schlafes  stets 
etwas  geringer  als  während  des  Wachens  waren  und  schon  bei 
leichten  psychischen  Erregungen  intensiv  zunahmen.  Diese  Er- 
scheinung dürfte  sich  wohl  zwanglos  durch  die  Annahme  eines 
zu  der  Posticusparalyse  sekundär  hinzutretenden,  inspiratorischen, 
psychisch  bewirkten  Krampfes  der  Adduktoren  erklären  lassen; 
oder  sollte  bei  meinem  Falle  die  von  Krause')  aufgestellte, 
so  viel  angefochtene  Hypothese  zutreffen:  „Das  allgemeine,  als 
Posticusparalyse  bekannte  klinische  und  laryngoskopische  Bild 
—  inspiratorische  Dyspnoe  und  Stridor  bei  ungetrübter  Stimme, 
Medianstellung  der  Stimmbänder  und  Adduktionsbewegungen  der- 
selben bei  der  Einatmung  —  soll  nicht  mehr  auf  eine  Lähmung 
derStimmbandabduktoren,  sondern  auf  eine  primäre  Kontraktur 
der  Adduktoren  zurückgeführt  werden.''  Die  das  beschriebene 
Bild  verursachenden  Schädlichkeiten  seien  in  ihrer  Wirkung  auf 
den  Recurrens  nicht  als  lähmende,  sondern  als  reizende  Faktoren  zu 
betrachten!?  Mir  scheint,  die  Krankengeschichte  meines  Falles 
dürfte  kaum  als  Stütze  dieses  hypothetischen  Baues  in  Anspruch 
genommen  werden. 

Das  Kind  erlag  der  14  Tage  nach  der  Tracheotomie  auf- 
tretenden pneuinonischen  Infiltration  beider  Lungen,  an  deren 
Weiterausbreitung  die  ebenfalls  in  zunehmendem  Grrade  sich 
geltend  machende  intensive  Ernährungsstörung  mit  sekundärer 
haemorrhagischer  Nephritis  wohl  nicht  unschuldig  war.  Auffallig 
war  die  in  der  letzten  Zeit  vor  dem  Exitus    sich   zeigende  Nah- 


0  jiBie  Frage  der  PoBticusIähmung.*'  Sammlung  klio.  Vorträge.  N.  F. 
No.  57.  p.  603.    1892. 

>)  Krause,  Virch.  Arch.  1884.  Bd.  XCVIII.  S.  294.  Virch.  Arch. 
1885.   Bd.  CIL    S.  301.      Git.  nach  Barger  1.  c. 


78        Hüssy,  Lfthmnng  der  Glottiserweiterer  im  frahen  Kindesalter. 

rungsverweigeruDg,  die  die  Ernährang  des  kranken  Kindes  erheb- 
lich beeinträchtigte.  Nur  sehr  selten  zeigte  sich  etwasVerschlucken, 
eine  erhebliche  sekundäre  Mitbeteiligung  der  Gaumenmuskulatur 
an  der  Lähmung  ist  daher  jedenfalls  auszuschliessen.  Es  handelte 
sich  wohl  eher  um  eine  Dysphagie  auf  psychischer  Basis;  dafür 
spricht  auch,  dass  das  Kind  einige  Stunden  vor  dem  Exitus  let. 
bei  vollkommen  benommenem  Sensorium  normale  Schluck- 
bewegungen beim  löffelweisen  Eingiessen  der  Nahrung  in  den 
Mund  ausführte,  ohne  dass  diese  in  die  Luftwege  geriet. 

Der  Leichenbefund  hat,  wie  sich  aus  dem  Obduktionsbericht 
ergibt,  insofern  unsere  Diagnose  bestätigt,  als  ein  anatomischer 
Befund  —  eine  Neubildung,  luetische  Narbenbildung  etc.  — ,  der 
die  Larynxstenose  hätte  erklären  können,  in  keiner  Weise  zu  kon- 
statieren war;  er  lässt  aber  infolge  der  aus  oben  erwähnten  Gründen 
fehlenden  mikroskopischen  Untersuchung  der  Nerv,  recurrent  und 
Vagi  und  der  Larynxmuskulatur  keine  absolut  sichere  Entscheidung 
über  die  Ursache  der  Stenose  zu.  (Makroskopisch  war  ja  an  den 
Stimmbändern  keine  Atrophie  zu  konstatieren.)  Trotzdem  glaube 
ich  nicht,  dass  nach  dem  klinischen  Befunde  irgend  ein  berech- 
tigter Zweifel  dagegen  erhoben  werden  kann,  dass  die  Symptome 
dieser  schweren  Larynxstenose  nur  die  Diagnose:  „doppelseitige 
Lähmung  der  Glottiserweiterer"  gestatten. 

Anders  ist  es  mit  der  Frage  nach  der  Ätiologie  dieser  Läh- 
mungsform. Die  Obduktion  hat  irgendwelche  charakteristische 
luetische  Veränderungen  an  inneren  Organen  nicht  ergeben,  auch 
das  an  MeduUa  oblongata  und  Gehirn  erhobene  mikroskopische 
Bild  bot  in  keiner  Weise  einen  Anhaltspunkt  für  eine  luetische 
Erkrankung,  auch  nicht  der  Arterien.  Demgemäss  ist  die  An- 
nahme einer  syphilitischen  Arterienerkrankung  mit  konsekutiven, 
zerstreuten  Erweichungsherden  und  Schwielenbildung,  wie  sie 
Peters^)  zur  Erklärung  bei  anderen  Formen  von  Lähmung  bei 
hereditär-syphilitischen  Neugeboi*enen  und  Säuglingen  annimmt, 
von  vornherein  auszuschliessen.  Eine  befriedigende,  sichere  Ant- 
wort auf  die  Frage  nach  der  Ursache  der  Lähmung  ergibt  somit 
die  Obduktion  nicht,  trotzdem  wird  man  in  Ermangelung  jedes 
andern  ätiologisch  in  Frage  kommenden  Momentes,  wie  Katarrhe 
der  Luftwege,  Diphtherie  etc.,  an  einem  gewissen  Zusammenhang 
der  hereditären  Lues  mit  der  vorliegenden  Affektion  kaum  zweifeln. 
Man  könnte  noch  daran  denken,  dass  es  sich  in  diesem  Falle  um 


1)  Peters,  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde,  Bd.  53,  p.  307. 


Hüssy,  Lähmaog  der  Glottiserweiterer  im  frühen  Kindesalter.        79 

eine  syphilitische  Neuritis  des  Nerv,  recurrens  mit  ausschliess- 
lichem Ergriffensein  der  für  den  Posticus  bestimmten  Fasern 
handelte;  aber  gegen  diese  Annahme  spricht  nicht  nur  die  Tat- 
sache, dass  syphilitische  Neuritiden  ungemein  selten  vorkommen 
(Peters),  sondern  auch  der  Misserfolg  der  antiluetischen  Behandlung. 

Die  Frage  nach  der  Ätiologie  der  in  Frage  stehenden  Er- 
krankung erhält  auch  durch  die  spärliche  Zahl  der  hier  repro- 
duzierten Fälle  des  Eindesalters  keine  sehr  befriedigende  Antwort. 
Yor  allem  sind  es  katarrhalische  Erkrankungen  der  Luftwege, 
Coryza,  Laryngitiden,  Bronchitiden  nach  plötzlicher  Abkühlung 
(z.  B.  nach  einem  kalten  Bade),  die  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
ätiologisch  yerantwortlich  gemacht  werden.  Ob  es  sich  dabei 
auch  um  Druckwirkung  der  consensuell  geschwollenen  Lymph- 
drüsen handelt,  deren  Schwellung  wieder  zurückgehen  oder  bei 
längerem  Bestehen  in  die  hyperplastische  Form  übergehen  kann, 
wie  Gerhardt  meinte,  bleibe  dahingestellt. 

In  der  zweiten  Hauptgruppe  der  Fälle  werden  als  ursäch- 
liches Moment  die  akuten  Infektionskrankheiten  beschuldigt,  vor 
allem  die  Diphtherie.  Schon  Riegel  ^)  „kann  an  Hand  eines  Falles 
den  Verdacht  nicht  unterdrücken,  dass  mancher  angeblich  wegen 
Diphtherie  tracheotomierte  Kranke  vielleicht  nicht  sowohl  wegen 
dieser,  als  um  einer  dadurch  veranlassten  sekundären  Lähmung 
der  Glottiserweiterer  zur  Operation  kam^ ;  es  dürfte  sich  auch  bei 
später  zur  Tracheotomie  kommenden  Fällen  für  gewöhnlich  nicht 
nur  um  eine  Inaktivitätsparese  der  Glottiserweiterer  handeln,  wie 
von  einzelnen  Autoren  [Hüter,  Lüning]^)  angenommen  wird. 
Allerdings  möchte  ich  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  in  der  Dis- 
kussion zu  dem  Vortrage  von  Fuchs*)  Escherich  die  diphthe- 
ritische  Natur  der  Posticusparesen  bezweifelt  und  viel  eher  glaubt, 
sie  auf  Schwellungszustände,  Innervationsstörungen  etc.  zurück- 
führen  zu  müssen. 

In  vereinzelten  Fällen  zeigte  sich  die  Posticuslähmung  als 
Komplikation  im  Anschluss  an  Keuchhusten  (Fall  Jurasz)  und 
Typhus  (Fall  Rehn). 

Es  könnten  in  diesen  Fällen  sowohl  Neuritiden  der  Nerven- 
stämme, wie  Affektionen  der  Kemgegenden  in  Betracht  kommen, 
wenn    auch,    wie    die    Kasuistik  der   Erwachsenen    zeigt,    erstere 


1)  Riegel,  1.  c.  p.  785. 

')  Langenbecks  Archiv,  Bd.  XXX,  H.  2  u.  3,  1884. 

«)  1.  c. 


80        flit&sy,  LihmaBg  der  Olottiterweiterer  im  frflhen  Rindesalter. 

Formen  weitaus  vorherrschen  dürften.  Hysterie  (Fall  Taylor) 
spielt  offenbar  eine  sehr  kleine  ätiologische  Rolle  im  Eindes- 
alter,  eine  so  häufige  Ursache  der  phonischen  Stimmbandlähmungen 
sie  auch  sonst  ist. 

Mein  Fall  ist  der  einzige,  in  dem  vielleicht  Lues  verant- 
wortlich gemacht  werden  kann. 

Leitungsstörungen  im  Bereiche  des  Nerv,  recurrens  und 
vagtts,  bedingt  durch  Tumoren,  durch  Aortenaneurysmen,  peri- 
cardiale  Exsudate,  Strumen,  indurative  Prozesse  der  Lungen- 
spitzen, Pachymeningitis  infolge  Syphilis  oder  anderer  Leiden, 
wie  sie  in  der  Kasuistik  der  an  diesem  Leiden  erkrankten  Er- 
wachsenen verantwortlich  gemacht  werden,  sind  in  unserer 
Kasuistik  nur  durch  den  Fall  Riegel  (Einbettung  des  Recur- 
cens  in  schrumpfendes  Bindegewebe)  vertreten.  Grundbedingung 
für  das  Zustandekommen  der  Posticusparalyse  ist,  dass  dabei 
nur  diejenigen  Fasern  lädiert  werden,  die  den  Muse,  cricoaryt.  p. 
innervieren,  und  das  ist  wohl  immer  „ein  besonderes  Spiel  des 
Zufalls«. 

Die  Möglichkeit  einer  funktionellen  Lähmung  von  respira- 
torischen Rindenzentren  des  Kehlkopfes  hat,  soweit  die  klinische 
Erfahrung  einen  Schluss  gestattet,  für  die  Kindheit  ebensowenig 
wie  für  die  Erwachsenen  [Semon*)]  einen  praktischen  Wert. 

Bulbäre  Lähmungen  könnten  möglicherweise  durch  Blutungen 
sklerotische  und  syphilitische  Herderkrankungen  etc.  bedingt  sein; 
doch  liegen  hierfür  ebenso  wenig  wie  für  toxische  Lähmungen 
(Blei,  Arsen,  Belladonna)  Beobachtungen  vor.  Auch  die  primäre, 
rein  myopathische  Entstehungsweise  einer  Posticuslähmung  ist, 
wenn  man  die  zahlreichen  Fälle  völlig  dunkler  Ätiologie  nicht 
zu  den  myopathischen  rechnet,  bei  den  Erwachsenen  die  seltenste 
(Burg er),  bei  den  Kindern  völlig  unerwiesen. 

In  den  epikritischen  Bemerkungen  zu  der  Krankengeschichte 
habe  ich  bereits  einige  die  Dlfferentlaldlagnose  betreffende 
Momente  gestreift.  Ich  möchte  noch  daran  erinnern,  dass  auch 
Papillome  des  Kehlkopfes  in  seltenen  Fällen  zuerst,  besonders 
nachts,  Erstickungsanfälle  und  erst  später  Veränderungen  der 
Stimme  bewirken  können.    Differentialdiagnostisch  viel  schwieriger 

>)  Semon,  Die  NerveDkrankheiten  des  Kehlkopfes  und  der  Luftröhre 
in  Hey  m an ns  Handbuch  der  Laryogologie  und  Rhinologie.  Bd.  I.  1.  Hälfte. 
p.  685.     1898. 

Ebenda  findet  sich  ein  fast  vollständiges  Literaturverzeichnis  der 
Posticuslähmungen. 


Hüssy,  Lähmung  der  Glottiserweiterer  im  frühen  Kindesalter.        81 

stellt  sich  die  Sache  natürlich,  wenn  Patienten  mit  Erweiterer« 
lähmang  in  Beobachtung  kommen,  die  sekundäre  Laryngitidea 
und  demgemäss  schon  Stimmveränderungen  zeigen.  Affektionen, 
mit  denen  die  Posticuslähmung  ferner  verwechselt  werden  könnte, 
sind  entweder  Folgen  mechanischer  Bewegungsstörungen  der  Stimm- 
lippen, resp.  der  zugehörigen  Giessbeckenknorpel  oder  durch 
Krampf  bedingte  Medianstellung  .der  Stimmbänder.  Die  Diffe- 
rentialdiagnose gbgen  mechanische  Bewegungsstörungen  (bedingt 
durch  lokalentzündliche  Prozesse  des  Cricoarytaenoidealgelenkes, 
die  zu  dessen  Anchylosierung  führen  infolge  rheumatischer 
Entzündung  oder  Allgemeinerkrankungen)  ist  in  Fällen,  wo 
lokale  Erscheinungen,  wie  Narbenkontraktion  an  der  hinteren 
"Wand  des  Kehlkopfes  etc.  fehlen,  oft  schwierig.  Gewisse  Krank- 
heiten (Lues,  Diphtherie,  Tuberkulose)  können  sowohl  Posticus- 
lähmung wie  lokale  entzündliche  Prozesse  auslösen,  welche  eine 
mechanische  Unbeweglichkeit  einer  Stimmlippe  im  Gefolge  haben 
[Semon^)].  Unter  Umständen  kann  nur  jahrelanges  Ausbleiben 
anderer  lokaler  oder  allgemeiner  Symptome  die  Annahme  einer 
mechanischen  Läsion  einigermassen  festigen. 

Ebenso  grosse  Schwierigkeit  mag  die  sofortige  Stellung  der 
Differentialdiagnose  gegen  inspiratorischen,  funktionellen  Glottis- 
krampf bieten.  Allerdings  gilt  das  nur  für  solche  Fälle,  in  denen 
die  stenotischen  Erscheinungen  nicht  wie  gewöhnlich  ganz  all- 
mählich zunehmen,  sondern  plötzlich  auftreten  und  nur  relativ 
kurze  Zeit  andauern,  ist  doch  bei  schweren  Fällen  von  Glottis- 
krampf die  Stimme  ebenso  frei,  die  Inspiration  so  geräuschvoll 
und  die  Exspiration  so  unbehindert,  wie  bei  der  Posticuslähmung. 
Wohl  zeigen  sich  beim  typischen  Glottiskrampf  in  der  Regel 
freie  Interwalle,  doch  können  Glottiskrämpfe  in  leichtesten  Fällen 
tagelang  andauern.  Aber  beim  Glottiskrampfe  verschwindet  fast 
stets  die  Dyspnoe  während  der  Nacht,  bei  der  Posticuslähmung 
nimmt  sie  oft  während  des  Schlafes  zu,  jedenfalls  hört  sie 
nicht  vollständig  auf,  zudem  zeigt  bei  längerer  Phonation  das 
laryngoskopische  Bild  schliesslich  ein  Auseinanderfahren  der 
vorher  in  Medianstellung  stehenden  Stimmlippen. 

Diese  Form  käme  eventuell  bei  älteren  neuropathischen  Kindern 
in  Frage,  für  das  frühe  Kindesalter  könnte  dagegen  der  auf  der- 
selben Koordinationsstörung  beruhende,  oft  erst  nach  Monaten 
in  Heilung  übergehende  „klonische  Glottiskrampf  der  Neu- 


')  Semon,  I.  c. 
Jabrbnch  f.  Kinderheilknude.    N.  F.    LXI,  Heft  l. 


82        Hü 88 7,  LähmuDg  der  Glottiserweiterer  im  frühen  Kindesalter. 

geborenen  und  Säuglinge",  den  Lori*)  und  Thomson^)  be- 
schrieben, eine  differentialdiagnostische  Rolle  spielen:  in  den 
ersten  Tagen  oder  Wochen  auftretender  Glottiskrampf,  der 
leichter  als  beim  gewöhnlichen  Laryngismus  stridulus,  aber  mehr 
weniger  konstant  ist;  inspiratorisch  krächzendes  Greräusch,  in- 
spiratorische Einziehungen  des  Sternum  und  der  Interkostal- 
räume, dabei  subjektiv  wenig  Beschwerden  und  vor  allem 
Fehlen  des  Nasenflügelatmens  und  der  Cyanose.  Auch  hier  ist 
differentialdiagnostisch  wichtig,  dass  beim  Krämpfe  fast  aus- 
nahmslos der  Stridor  während  des  Schlafes  verschwindet.  Das 
laryngoskopische  Bild  ist  bei  beiden  Affektionen  auf  der  Höhe 
der  Inspiration  dasselbe,  nur  bei  Beginn  der  Exspiration  weichen 
die  Stimmbänder  beim  Krämpfe  auseinander.  Semon  zieht  zur 
Sicherung  der  Differentialdiagnose  in  diesen  Fällen  noch  die 
„enorme  Seltenheit'^  der  doppelseitigen  Glottisöffnerlähmung  bei 
Säuglingen  heran.  Er  glaubt  auch,  dass  es  sich  in  Fällen,  in 
denen  von  Robertson*)  die  Diagnose  doppelseitige  Erweiterer- 
lähmung gestellt  wurde,  mit  Bestimmtheit  um  klonischen  Kehl- 
kopfkrampf handelte. 

Soviel  zur  Frage  der  Differentialdiagnose. 

Die  Prognose  der  Glottisöffnerlähmung  ist  im  allgemeinen 
eine  ernste.  Immerhin  ist  gerade  hier  das  die  Lähmung  aus- 
lösende Moment  von  entscheidender  Bedeutung.  Wo  dieses  nicht 
therapeutisch  beeinflusst  werden  kann  oder  eine  Restitutio  ad 
integrum  durch  die  Natur  des  Leidens  zur  Unmöglichkeit  wird, 
ist  die  Prognose  selbstredend  ungünstig.  Aber  auch  in  Fällen, 
wo  eine  Beseitigung  des  ätiologischen  Momentes  gelingt,  wo  es 
sich  z.  B.  um  Syphilis,  Drucklähmung  durch  Kropf  etc.  handelt, 
erholt  sich,  wenn  die.  Lähmung  seit  längerer  Zeit  bestand,  der 
affizierte  Muskel  nur  selten.  Im  Kindesalter  ist,  wie  die  hier 
mitgeteilten  Fälle  das  erweisen,  die  Prognose  deshalb  besser, 
weil  sie  in  der  Mehrzahl  Folge  von  Infektionskrankheiten  sind, 
während  zentrale  Affektionen,  Tabes  etc.,  die  die  Prognose- 
stellung beim  Erwachsenen  so  ungünstig  beeinflussen,  hier  keine 
Rolle     spielen.      Die     nach     Infektionskrankheiten     auftretenden 

1)  Über  den  klon.  Glottiskrampf  der  Neugeborenen  und  Säuglinge. 
Allgem.  Wiener  med.  Zeit.     1890. 

>)  John  Thomson,  Infantile  respiratory  spasm  or  con genital  spasm. 
Edinb.  med.  Jouro.  1892.    Cit.  nach  Semon  1.  c.    p.  758. 

•)W.  Robertson,  Posticusparalyais  in  infants.  Journ.  ot  Laryng. 
Okt.  1891. 


HäBsj,  Lähmung  der  Glottiserweiterer  im  frühen  KindeBalter.        83 

LähmuBgeo  der  Postici  zeigen  das  gleiche  Schicksal  wie  andere 
auf  denselben  Ursachen  beruhende  Paralysen;  in  vielen  Fällen 
tritt,  wenn  anch  oft  erst  nach  vielen  Monaten,  eine  vollständige 
Bestitutio  ad  integrum  ein. 

Die  Prognose  quoad  vitam  ist  dagegen  bei  den  Kindern, 
speziell  im  jüngsten  Kindesalter,  insofern  eine  viel  ernstere  denn 
bei  den  Erwachsenen,  als  bei  der  Kleinheit  des  kindlichen  Kehl- 
kopfes schon  die  durch  einseitige  Lähmung  des  Glottisöffners 
bedingte  sekundäre  Kehlkopfstenose  das  Kind  plötzlich  in  Lebens- 
gefahr bringen  kann. 

Therapeutische  Eingriffe  werden  sich  selbstverständlich  in 
erster  Linie  gegen  das  Grundleiden  richten.  Man  wird  also  in 
Fällen,  bei  denen  wie  in  dem  unsrigen  eine  hereditäre  Lues  nach- 
gewiesen ist  oder  wenigstens  vermutet  wird,  wohl  immer  eine 
spezifische  Behandlung  versuchen.  Man  wird,  wo  eine  Struma 
eine  Drucklähmung  hervorruft,  operativ  eingreifen.  Aber  die 
Fälle,  in  denen  man  die  Grundkrankheit  wirksam  beeinflussen 
kann,  bilden  Ausnahmen.  Es  bleibt  daher  sehr  oft  nur  die 
Möglichkeit  einer  symptomatischen  Behandlung.  So  wurde 
versucht,  die  Lähmung  mit  dem  faradischen  und  galvanischen 
Strome,  sei  es  auf  perkutanem  Wege,  sei  es  durch  direkte  inti*a- 
laryngeale  Applikation,  zu  beeinflussen.  Einzelne  Autoren  glauben 
die  Heilung  durch  diese  Methoden  herbeigeführt  oder  beschleunigt 
zu  haben;  mit  wieviel  Recht  ihre  Annahme  begründet  ist,  ob 
jedesmal  das  post  hoc  auch  ein  propter  hoc  war,  das  lässt  sich 
kaum  entscheiden.  Jedenfalls  herrscht  bei  der  Beurteilung  der 
Erfolge  viel  Optimismus.  Ebenso  ist  es  mit  den  Strychnin- 
Injektionen.  „Es  ist  natürlich  nichts  dagegen  einzuwenden^, 
dass  man  eine  Beeinflussung  auf  diesen  Wegen  versucht,  meint 
Semon^  launig. 

Es  bleibt  noch  die  symptomatische  Behandlung  der  Atemnot. 
Sie  wurde  in  unserem  Falle  kurze  Zeit  durch  Zufuhr  von  Sauer- 
stoff vermittelst  einer  Inhalationsmaske  versucht,  doch  nur  mit 
dem  Erfolge,  dass  die  Cyanose  etwas  geringer  wurde,  der  Stridor 
selbst  blieb  unverändert.  Selbstredend  wäre  mit  einem  solchen 
Verfahren  ein  dauernder  Erfolg  kaum  zu  erwarten. 

Und  nun  zum  Ultimum  refugium:  Tracheotomie  oder  In- 
tubation. 

Wohl  empfiehlt  Sommerbrodt^),   die  Tracheotomie  nur  in 

1)  Semon,  1.  c.    p.  731. 
*)  Sommerbrodt,  1.  c. 

6* 


84        Hüssy,  LähmaDg  der  Glottiserweiterer  im  frühen  Kindesalter. 

der  äussersten  Not  vorzunehmen,  und  fragt  sich  dabei,  ob  es  über- 
haupt in  einem  solchen  Falle  richtig  sei,  das  Leiden  zu  mildern, 
nur  um  es  zu  verlängern! 

Soweit  darf  man,  wie  die  Kasuistik  lehrt,  in  seinem  Pessimis- 
mus nicht  gehen. 

Semon  hat  schon  vor  20  Jahren  betont,  dass  in  jedem 
Falle  doppelseitiger  GlottisöfiPnerlähmung,  in  welchem  es  nicht 
gelingt,  durch  sonstige  Mittel  nicht  nur  subjektive  Besserung, 
sondern  auch  aktuelle  Erweiterung  der  Glottis  zu  erzielen,  die 
prophylaktische  Tracheotomie  vorgenommen  werden  sollte,  um 
den  Kranken  der  ihn  stets  bedrohenden  Lebensgefahr  zu  ent- 
ziehen, kann  doch  sonst  bei  vorhandener,  stärkerer  Atemnot  eine 
leichte,  hinzutretende  Laryngitis  schwere  Erstickungsanfölle  hervor- 
rufen und  der  herbeigerufene  Arzt  zu  einer,  nun  durch  die 
Indicatio  vitalis  bedingten  Tracheotomie  schon  zu  spät  kommen. 
Semon  macht  allerdings  darauf  aufmerksam  und  auch  die 
Kasuistik  des  Kindesalters  bestätigt  seine  Ansicht,  dass  unter 
günstigen  Verhältnissen  selbst  bei  ziemlich  schwerer  Dyspnoe 
von  einer  Tracheotomie  zuweilen  Abstand  genommen  werden 
kann,  aber  zum  mindesten  muss  sich  der  behandelnde  Arzt  dabei 
des  Kisiko  bewusst  sein  und  die  Angehörigen  über  die  drohende 
Gefahr  aufklären.  Wenn  solche  kleine  Patienten  im  Kranken- 
hause unter  ständiger  ärztlicher  Aufsicht  sind,  wird  man  auf  eine 
prophylaktische  Tracheotomie  eher  verzichten  dürfen. 

Tritt  eine  Heilung  der  Lähmung  auch  nach  Monaten  nicht 
ein,  so  wird  es  empfehlenswert  sein,  irgend  eine  Kanüle  mit 
einemVentilapparat tragen  zulassen,  die  eine  ziemlich  ungehinderte 
Sprechfunktion  ermöglichen  kann.  Gerade  weil  die  Intubation 
den  Patienten  seiner  Stimme  beraubt,  ohne  das  Leiden  zu  heilen, 
verwirft  Semon^)  die  permanente  Intubation  und  macht  auf  die 
Gefahren  aufmerksam,  die  dem  Patienten  drohen,  wenn  durch 
einen  Hustenstoss  der  Tubus  plötzlich  herausgeworfen  wird;  der 
Patient  ist  durch  die  Plötzlichkeit  mit  der  die  Stenose  reproduziert 
wird,  schlimmer  daran,  als  zuvor.  — 

Auch  von  einzelnen  Autoren  unternommene  therapeutische 
Versuche,  vermittelst  Durchschneidung  eines  Rekurrens  die 
Glottisstenose  zu  vermindern,  führten  zu  keinem  positiven  Resultat, 
sie  beanspruchen  demgemäss  nur  historisches  Interesse. 

')  Semon,  1.  c.     p.  739. 


VI. 

Ober  alimentäre  Albuminurie. 

Von 
Dr.  JOSEPH  KALISKI, 

Arzt  in  Breslao, 

UDd 

Dr,  RICHARD  WEIGERT, 

Anlst«nten  der  Klinik. 

Unter  alimentärer  Albuminurie  verstehen  wir  das  Auftreten 
von  Eiweiss  im  Harn,  veranlasst  durch  Nahrungsaufiiahme  bei 
Individuen,  deren  Harn  sonst  frei  von  Eiweiss  ist.  Hierbei  ist 
zu  unterscheiden  zwischen  dem  Einfluss  der  Quantität  und  der 
Qualität  der  Nahrung. 

Frerichs  war  einer  der  ersten  Autoren,  der  angab,  dass 
vollkommen  gesunde  Individuen  nach  reichlichen  Mahlzeiten  Ei- 
weiss mit  dem  Harn  ausscheiden,  eine  Tatsache,  die  auch  später 
noch  vielfach  angegeben  wurde^). 

Besondere  Erwähnung  verdienen  die  Versuche  von  EdeP), 
<ier  bei  Individuen  mit  cyklischer  Albuminurie  feststellte,  dass 
gerade  nach  den  Hauptmahlzeiten  eiweissfreie  Hamportionen 
entleert  werden,  ja  es  gelang  ihm  durch  Verlegung  der  Mittags- 
mahlzeit auf  spätere  Stunden  den  bisherigen  Cyklus  (der  eiweiss- 
haltigen  und  eiweissfreien  Urinportionen)  entsprechend  zu  modi- 
fizieren. 


0  Literatar  siehe  Le übe,  über  physiologische  AlbumiDurie.  Therapie 
^.  Gegen w.     1902.    43.  Jahrg.    S.  485. 

*)  Edel,  Gyklische  AlbumiDurie  und  neue  Gesichtspunkte  für  die  Be- 
kämpfung der  Albuminurien.  Munch.  med.  Wochenschr.  1904.  No.  46 
und  47. 


86  Kaliski- Weigert,  Über  alimentäre  Albuminurie. 

Grössere  Übereinstimmung  herrscht  in  der  Literatur  über 
den  Einfluss  der  Art  der  Nahrung  auf  die  Eiweissausscheidung 
bei  gesunden  Individuen.  Insbesondere  sind  viele  Beobachtungen 
angestellt  wordien  über  Eiweissausscheidung  nach  Genuss  von 
rohen  Eiern. 

Es  war  in  zahlreichen  Fällen  beobachtet  worden,  dass  sich 
nach  Verabreichung  von  rohen  Eiern  in  einem  Teile  der  Fälle 
Ei  weiss  im  Urin  zeigte,  während  der  Harn  in  anderen  Fällen 
eiweissfrei  blieb.  Man  erklärte  sich  dieses  Faktum  so,  dass  Eier- 
eiweiss  in  nativem  Zustande  durch  die  Wand  des  Yerdauungs- 
kanals  in  die  Blutbahn  gelangen  könne  und  alsdann  —  als  nicht 
assimilierbar  —  durch  die  Nieren  ausgeschieden  würde;  diese 
Ausscheidung  sollte  mit  einer  Reizung  des  Nierenparenchym» 
einhergehen,  wodurch  auch  zugleich  Serumalbumin  in  den  Urin 
übertrete. 

Einen  neuen  Weg  für  das  Studium  dieser  Fragen  hat 
As  coli/)  angegeben,  indem  er  die  Präzipitinreaktion^)  dazu  ver- 
wandte, die  Art  der  im  Urin  ausgeschiedenen  Eiweisskörper  fest- 
zustellen. A.  fand:  Eiereiweiss  verursacht,  in  massigen  Mengen 
gesunden  Individueü  per  ös  verabreicht,  keine  Albuminurie,  trotz- 
dem es  unter  denselben  Bedingungen  im  kreisenden  Blute  dem 
direkten  Nachweise  durch  die  biologische  Reaktion  noch  zugäng- 
lich ist.  Bei  Nier ei) kranken  hingegen  kann  es  unter  denselben 
Bedingungen  vom  Blute  in  den  Harn,  das  Nierenfilter  passierend^ 
übergehen;  dasselbe  trifft  für  die  alimentäre  Albuminurie  nach 
Genuss  exzessiver  Mengen  roher  Eier  bei  Individuen  mit  schein- 
bar intakten  Nieren  zu,  und  zwar  ist  es  in  beiden  Fällen  möglich» 
im  Harne  sowohl  Eiereiweiss  als  Bluteiweiss  nachzuweisen. 

Hieraus  und  aus  der  Tatsache,  dass  die  gesunde  Niere  das 
Bluteiweiss  sonst  nicht  durchlässt,  schliesst  Ascoli,  dass  eine 
Läsion  der  Nieren  stattgefunden  haben  muss,  die  den  Übergang 
des  Blut-  und  des  Eiereiweisses  in  den  Harn  ermöglichte.  Diese 
Annahme  findet  nach  seiner  Ansicht  eine  Stütze  in  Befunden 
vieler  Autoren,  die  nach  Einspritzung  von  Eiereiweiss  bei  Tieren 
mikroskopisch  Nierenläsionen  feststellen  konnten. 

Die  ganze  Frage  wird  dem  Verständnis  näher  gebracht  durch 


0  Ascoli,  Münch.  med.  Wochenschr.     1902.    No.  10.     S.  398. 

•)  Der  Wert  der  Präzipitinreaktion  zur  Dififerenzierung  von  £i weiss- 
korpern  wird  durch  neuere  Arbeiten  (Obermeyer  und  Pick,  Rostoski^ 
H.  Frieden thftl)  angezweifelt. 


Kaliski -Weigert,  Über  alimentäre  Albuminurie.  87 

die  moderDen  Auffassangen  über  die  Eiweissverdauung,  die  Oppen- 
heimer^)  in  seiner  Arbeit:  ^Über  das  Schicksal  der  mit  Um- 
gehung des  Darmkanals  eingeführten  EiweissstofiPe  im  Tierkorper^ 
zusammengefasst  hat.  Normaler  Weise  passiert  per  os  eingeführtes 
Eiweiss  nicht  den  Darm,  sondern  wird  durch  Einwirkung  der 
Yerdauungssäfte  arteigen  gemacht,  d.  h.  assimiliert,  und  damit 
erst  Bestandteil  des  Tierkörpers.  Diese  Unpassierbarkeit  der  Darm- 
wand für  unveränderte  fremde  Eiweisskörper  ist  indes  nicht  absolut. 
Wird  den  natürlichen  Verdauungskräften  des  Darmes,  die  die 
Assimilation  der  zugeführten  Eiweisskörper  besorgen,  eine  zu 
grosse  Arbeit  zugemutet,  so  entzieht  sich  ein  Teil  des  Nahrungs- 
eiweisses  dem  normalen  Gange  der  Verdauung  und  geht  unver- 
ändert durch  die  Darmwand  in  die  Blutbahn  über.  Hier  kann 
nunmehr  der  Organismus  den  artfremden  Eiweisskörper  entweder 
noch  nachträglich  zerstören,  bezw.  assimilieren,  oder  der  Eiweiss- 
körper kann  unverändert  das  Nierenfilter  passieren  und  alsdann 
im  Urin  nachgewiesen  werden.  Nimmt  man  mit  Senator^)  an, 
dass  der  Durchgang  des  Eiweisses  durch  die  Nieren  ohne  Schädi- 
gung der  letzteren  möglich  ist,  so  hat  man  nach  dem  Voraus- 
geschickten die  alimentäre  Albuminurie  als  eine  ausschliessliche 
Insuffizienz  der  Verdauung  aufzufassen,  während  nach  As  coli 
zum  Zustandekommen  einer  alimentären  Albuminurie  eine  Läsion 
der  Nieren  erforderlich  ist. 

An  dieser  Stelle  müssen  wir  der  Versuche  Erwähnung  tun, 
welche  bezweckten,  durch  subkutane  oder  intravenöse  Einver- 
leibung von  Eiweiss  bei  Tieren  Albuminurie  zu  erzeugen.  Damit 
war  im  Grunde  genommen  nichts  anderes  erreicht  wie  durch 
Überschwemmung  des  Verdauungskanals  mit  grossen  Eiweiss- 
mengen,  nämlich  der  Eintritt  von  nativem  Eiweiss  in  das  Blut. 
Wie  die  subkutane  Ernährung  allgemein  als  eine  künstliche  ange- 
sehen wird,  so  muss  auch  die  auf  diese  Weise  experimentell  er- 
zeugte Albuminurie  als  nicht  physiologisch  bezeichnet  werden. 
Darauf  weist  schon  der  Umstand  hin,  dass  die  subkutanen  Injek- 
tionen Fieber  erzeugen  können. 

Wie  wir  bereits  oben  ausgesprochen  haben,  ist  jetzt  wohl 
die  Auffassung  am  meisten  anerkannt,  dass  die  alimentäre  Albu- 
minurie an  letzter  Stelle  auf  eine  Insuffizienz  der  Verdauungs- 
organe zurückgeführt  werden  müsse.  Es  kann  daher  für  die 
Klärung  der  auf  physiologischem  Wege  entstandenen  Albuminurie 

i)  Hofmeister,  Beiträge,  4.  Bd.,  7.  u.  8.  Heft,  S.  263. 
')  Senator,  Die  Albominurie.     Berlin  1890.     Hirschvald. 


88  Kaliski- Weigert,  Über  aliment&re  Albuminurie. 

wenig  gewonnen  werden,  wenn  bei  der  Einfuhr  des  Eiweisses  der 
Magen darmkanal  umgangen  wird. 

Da  Leube  und  As  coli  ^)  die  Literatur  dieser  Frage  bis 
zum  Jahre  1902  berücksichtigt  haben,  bleibt  nur  noch  übrig,  uns 
mit  der  neuesten  Publikation  zu  beschäftigen.  Inoye  ')  hat  an 
21  Patienten  mit  gesunden  Nieren  Versuche  angestellt,  in  denen 
er  morgens  nüchtern  vier  bis  acht  rohe  Eier  verabfolgte.  Der 
Urin  wurde  zwei-  bis  dreistündlich  auf  Eiweiss  untersucht.  Das 
Ergebnis  war,  dass  in  acht  von  diesen  Fällen  die  Eiweissreaktion 
positiv  gefunden  wurde.  Einen  dieser  Fälle  gibt  der  Verfasser 
mit  Recht  selbst  preis,  da  er  bereits  vor  Beginn  dieses  Versuches 
Spuren  Eiweiss  zeigte.  Von  den  übrigen  Fällen  erscheinen  uns 
noch  sechs  nicht  einwandfrei  zu  sein,  indem  sie  an  Affektionen 
litten,  bei  denen  erfahrungsgemäss  hie  und  da  Eiweiss  im  Urin 
aus  geschiedenwird.  Es  sind  dies  je  ein  Fall  von  chronischem  Alko- 
holismus, Phtisis  pulmonum  (Fieber?),  Typhusrekonvaleszenz  und 
zwei  Fälle  von  Pleuritis.  Auch  Fall  8  (73jähriges  Individuum 
mit  Ulcus  ventriculi)  scheint  uns  für  einen  derartigen  Versuch 
nicht  sehr  geeignet  zu  sein.  Demnach  bleibt  Fall  7  (28jähriger 
Student),  bei  dem  nach  Genuss  von  sechs  rohen  Eiern  Eiweiss  im 
Urin  an  demselben  Tage  in  einer  Portion  deutlich,  in  einer  zweiten 
in  Spuren,  am  nächsten  Tage  noch  einmal  in  Spuren  nachgewiesen 
werden  konnte. 

Inoye  erklärt  den  häufigen  positiven  Ausfall  seiner  Ver- 
suche mit  einer  Verdauungsschwäche  resp.  einer  Schwäche  des 
Intestinaltraktus  seiner  Versuchspersonen,  eine  Annahme,  die  er 
in  keiner  Weise  begründet. 

Es  muss  auffallen,  dass  nur  diejenigen  Versuche,  in  denen 
rohe  Eier  verabreicht  wurden,  zu  einem  positiven  Resultate  führten. 
Man  sollte  von  vornherein  erwarten,  dass  Genuss  von  reichlichen 
Mengen  Milch  zu  denselben  Resultaten  führen  müsste,  zumal  sich  das 
Eiweiss  in  der  Milch  in  leicht  resorbierbarem  Zustande  befindet 
und  es  möglich  ist,  grosse  Mengen  Milch  ohne  Verdauungsstörung 

^)  1.  c.  BeBOuderB  verwiesen  sei  hier  nur  auf  eine  Arbeit  vod  J.  Prior 
in  der  Zeitschrift  für  klinische  Medizin,  Bd.  18,  Jahrgang  1892,  „Die  Ein- 
wirkung der  Albaminate  auf  die  Tätigkeit  der  gesunden  und  erkrankten 
Niere  der  Menschen  und  Tiere".  Bezüglich  der  alimentären  Albuminarie 
schliesst  Prior  aus  seinen  zahlreichen  Versuchen,  „dass  der  gesunde  Mensch 
sowohl  im  kindlichen  wie  im  erwachsenen  Alter  eine  beträchtliche  Anzahl 
von  rohen  Hühnereiern  zu  sich  nehmen  kann,  ohne  dass  es  zu  einer  Albu- 
minurie kommt". 

<)  Deutsches  Archiv  für  klinische  Medizin.    1903,  Bd.  75. 


Kaliski -Weigert,  Über  alimentäre  Albuminurie.  89 

zu  verabreichen.  Diese  aprioristischen  Erwägungen  sind  jedoch 
deswegen  hinfällig,  weil  die  Milch  durch  den  Magensaft  sehr  schnell 
gelabt  wird.  Die  jetzt  entstandenen  Gerinnsel  sind  (selbst  wenn 
das  peptische  Ferment  nicht  alles  Kasein  sofort  angreifen  kann) 
nicht  mehr  imstande,  die  Magenwand  zu  passieren. 

Es  erübrigt  sich  wohl,  zu  erörtern,  dass  bei  Fleisch  und  bei 
vegetabilischem  Eiweiss  die  Möglichkeit  des  Übertritts  von  Eiweiss 
durch  die  Schleimhaut  des  Intestinalkanals  noch  unwahrschein- 
licher ist. 

Wir  gehen  nunmehr  dazu  über,  unsere  eigenen  Versuche 
mitzuteilen,  die  wir  zur  weiteren  Klärung  dieser  Frage  anstellten. 
Bei  der  Yersuchsanordnung  gingen  wir  von  vornherein  von  den 
oben  begründeten  Erwägungen  aus,  dass  der  rationellste  Weg 
zur  Erreichung  einer  alimentären  Albuminurie  die  brüske  Über- 
schwemmung des  Yerdauungstraktus  mit  grossen  Eiweissmengen 
sein  müsse.  Wiewohl  wir  durch  die  vorliegende  Literatur  darüber 
unterrichtet  waren,  dass  eine  alimentäre  Albuminurie  nur  durch 
die  Verabreichung  von  nativem  Eiereiweiss  erzielt  werden  könne, 
schickten  wir  trotzdem  systematisch  unseren  Versuchen  mit  rohem 
Eiweiss  stets  solche  mit  gekochtem  Eiweiss  voraus.  Dabei  be- 
schränkten wir  uns  nicht  bloss  auf  die  Zufuhr  von  Eiereiweiss, 
sondern  gaben  unseren  Versuchskindern  auch  Milch,  Fleisch  und 
Vegetabilien  in  grossen  Mengen.  In  allen  diesen  Versuchsperioden 
wurde  die  Nahrung  gern  genommen  und  gut  vertragen;  die  Kinder 
wurden  nach  Beendigung  dieser  Versuche  in  bestem  Zustande  mit 
Gewichtszunahmen  aus  der  Klinik  entlassen.  Besonders  sei  her- 
vorgehoben, dass  auch  die  Verabreichung  grosser  Mengen  Eier 
(bei  Kind  Scholz  an  einem  Tage  22  gekochte,  bei  Kind  KoUey 
an  zwei  Tagen  je  20  rohe  Eier)  nie  Widerwillen  oder  Störungen 
hervorrief,  wie  es  von  anderer  Seite  angegeben  wurde. 

Um  möglichst  eindeutige  Resultate  zu  erzielen,  legten  wir 
Gewicht  darauf,  dass  die  betreffende  Eiweissart  fast  ausschliesslich 
zur  Ernährung  der  Versuchskinder  verwendet  wurde;  es  wurden 
nur  geringe  Zugaben  von  Zwieback,  Butter  und  Obst  gewährt. 
In  allen  Versuchen  —  mit  Ausnahme  der  mit  Verabreichung  von 
Milch  —  wurde  als  Getränk  dünner  russischer  Tee  (ohne  Milch 
und  Zucker)  ad  libitum  verabreicht. 

Es  braucht  kaum  hervorgehoben  zu  werden,  dass  auf  eine 
Darreichung  der  Vegetabilien  in  rohem  Zustande  verzichtet 
werden  musste. 


90  Kaliski-Weigert,  Über  alimentäre  Albuminurie. 

Der  Urin  der  Versuchskinder  wurde  quantitativ  gesammelt 
und  der  so  erhaltene  Mischurin  mit  Essigsäure  und  Ferro- 
cyankalium,  mit  der  Kochprobe  und  der  Salpetersäureschicht- 
probe au^  Eiweiss  untersucht.  Die  Untersuchung  der  Einzel- 
portionen konnte  nicht  vorgenommen  werden,  weil  der  Urin  zu 
anderweitigen  quantitativen  Untersuchungen  verwendet  werden 
sollte.  Jedem  Versuch  wurde  eine  mehrtägige  Vorperiode  mit 
der    gleichen  Ernährung    vorangeschickt. 

Unsere  Versuche  wurden  an  zwei  Kategorien  von  Kindern 
vorgenommen:  an  völlig  gesunden  and  an  solchen  mit  cyklischer 
Albuminurie. 

1.  Versuche  an  gesunden  Kindern. 

Alfred  Scholz,  ll'/«  Jahre  alt,  blasser,  graciler  Knabe,  warde 
wegen  neuropathischer  Beschwerden  in  die  Klinik  aufgenommen.  Objektiv 
nichts  Krankhaftes  nachweisbar.  Der  Urin  warde  in  zahlreichen  Unter* 
sachnngen  frei  von  Eiweiss  gefanden. 

I.  Versuch:  Es  wurden  an  4  aufeinander  folgenden  Tagen  1250,  1600, 
1700  nnd  1850  cm*  gekochte  Milch  und  täglich  ca.  500  g  frisch  gelabter 
Käse  (also  dieselbe  Eiweissart)  nebst  den  oben  erwähnten  kleinen  Zulagen 
verabreicht,  d.  h.  es  wurde  täglich  155  g^)  Milcheiweiss  zugeführt. 

An  allen  Tagen  blieb  der  Urin  eiweissfrei. 

II.  Versuch:  Der  Knabe  erhielt  an  drei  aufeinander  folgenden  Tagen 
500,  750  und  750  g  gehacktes,  nach  Möglichkeit  von  Sehnen  und  Fett  be- 
freites, mit  Butter  leicht  angebratenes  Rindfleisch.  Die  Zulagen  waren  im 
wesentlichen  dieselben.  Demnach  erhielt  das  Kind  am  I.Tage  ca.  110g,  am 
2.  Tage  165  g  und  am  8.  Tage  146  g  Muskelei weiss. 

Urin  andauernd  eiweissfrei. 

III.  Versuch:  Dio  Nahrung  bestand  am  1.  Tage  in  480,  am  2.  in  880, 
am  8.  in  800  und  am  4.  in  860  g  gekochtem  Ei.  (Zulagen  wie  oben.)  Die 
Netto- Ei  Weisszufuhr  betrug  demnach  an  den  4  Tagen  des  Versuches  62,5, 
136,0,  122,0  und  126,0  g.     ' 

Urin  andauernd  eiweissfrei. 

IV.  Versuch:  Der  Knabe  erhielt,  abgesehen  von  den  üblichen  Zulagen, 
soviel  an  Reis,  Bohnen  und  Erbsen,  dass  die  Zufuhr  an  vegetabilischem  Ei- 
weiss am  1.  Tage  110  g,  am  2.  Tage  106  g,  am  3.  Tage  116,5  g  und  am 
4.  Tage  158  g  Eiweiss  betrug.    Der  Urin  blieb  eiweissfrei. 

Georg  Müller,  13  Jahre  alt,  wurde  in  der  Poliklinik  wegen  Kopf- 
schmerzen behandelt.  An  den  Organen  bei  wiederholten  Untersuchungen 
nichts  Krankhaftes.  Gesunder,  kräftiger  Knabe.  Urin  bei  wiederholten 
Untersuchungen  eiweissfrei  gefunden. 

')  Der  Eiweissgehalt  der  Nahrung  wurde  durch  Multiplikation  der 
nach  dem  Kjeldah  Ischen  Verfahren  ermittelten  Stickstoff  werte  mit  6,25 
erhalten. 


Kaiiski-Weigert,  Über  alimoDtäre  Albaminarie.  91 

I.  Versach:  Verabreichung  von  roher  Milch  an  S  Tagen  mit  einem 
Eiweissgehalt  von  ca.  105,  97  and  104  g. 

Der  Urin  blieb  eiweissfrei. 

IL  Versach:  Ernährung  mit  rohem,  fettfreiem,  gehacktem  Rindfleisch, 
dessen  Eiweissgehalt  pro  Tag  125  g  betrug  (Zulagen  wie  oben). 

Urin  dauernd  eiweissfrei. 

III.  Versuch:  Die  Kost  bestand  in  Reis  und  Erbsen  mit  einem  an 
allen  8  Tagen  des  Versuchs  gleichen  Eiweissgehalt  Ton  84,5  g. 

Urin  dauernd  ei  weis  frei. 

IV.  Versuch:  Der  Versuch  wurde  nach  2  Tagen  abgebrochen,  weil  die 
Eitern  die  Entlassung  des  Knaben  wünschten.  Als  Nahrung  wurden  rohe 
Eier  gegeben,  und  zwar  am  1.  Tage  12  Stuck  mit  einem  Eiweissgehalt  Ton 
62,5  g,  am  2.  Tage  12  Stück  mit  einem  Eiweissgehalt  yon  63,5  g.  Die  Eier 
wurden  mit  Zucker  geschlagen  yerabfolgt  und  gern  genommen. 

Im  Sammelurin  des  1.  Tages  zeigten  sieh  bei  der  Salpetersäureschicht- 
probe Spuren  Ton  Eiweiss,  während  die  Probe  mit  Essigsäure  und  Ferro- 
cjankalinm  negatir  blieb.  Der  Urin  des  2.  Tages  war  deutlich  eiweisshaltig. 

Josef  Kolley,  12 V«  Jahre,  filasser  Knabe,  in  der  Poliklinik  wieder- 
holt wegen  Pharyngitis  and  Bronchitis  behandelt.  Sonst  gesund.  Bei  der 
Aufnahme    zum  Stoffwechsel  versuch    gutes  Befinden.    Urin   stets  eiweissfrei. 

Versuch:  Der  Knabe  erhielt  nach  einer  24stündigen  Vorperiode  an  drei 
aufeinander  folgenden  Tagen  16  bezw.  18  rohe  Eier  (mit  Zucker  geschlagen) 
und  die  gewöhnlichen  Zulagen.  Der  Eiweissgehalt  betrug  am  1.  Tage  80  g, 
am  2.  und  8.  Tage  85  g  Biweiss. 

Der  Urin  blieb  andauernd  eiweissfrei,  auch  an  den  dem  Versuch 
folgenden  Tagen. 

Demnach  wurde  bei  Verabreichung  von  gekochtem  Eiweiss 
in  keinem  Falle  Albuminurie  beobachtet.  Bei  den  Versuchen 
mit  rohem  Eier-Ei  weiss  stellte  sich  nur  in  einem  Falle  (Knabe 
Müller,  Versuch  IV)  Eiweiss  im  Urin  ein,  während  eine  Er- 
nährung mit  erheblich  grösseren  Mengen  roher  Eier  bei  Knabe 
Kolley  diesen  Effekt  nicht  hatte. 

Bezuglich  der  Versuche  mit  rohem  Fleisch  sei  hier  noch 
nachgetragen,  dass  wir  gelegentlich  einer  Anzahl  von  Ver- 
suchen mit  Verfütterung  grosser  Mengen  rohen  Fleisches  an 
tuberkulöse  Kinder  gleichfalls  nie  Albuminurie  konstatieren 
konnten. 

Damit  waren  die  bisherigen  Erfahrungen  bestätigt,  dass  es 
nur  mit  Verabreichung  von  rohem  Eiweiss  gelingt,  Albuminurie 
zu  erzeugen,  jedoch  auch  dann  nur  in  einem  Teil  der  Fälle. 

Für  das  Zustandekommen  der  Albuminurie  scheint  die  Menge 
der  zugeführten  rohen  Eier  nicht  ausschliesslich  in  Betracht  zu 
kommen,  da  einzelne  Autoren  die  Albuminurie  schon  nach  Genuss 
geringer    Mengen    auftreten    sehen,    während    beispielsweise     die 


92  Kaliski-Weigert,  Über  alimentäre  Albuminarie. 

enorme  Zahl  von  18  Eiern  bei  unserm  Yersuchskinde  KoUey 
keine  Eiweissausscheidung  im  Urin  veranlasste.  Nimmt  man 
demnach  die  oben  postulierte  Insuffizienz  der  Yerdauungssäfte  als 
die  Grundlage  für  das  Zustandekommen  einer  alimentären  Albu- 
minurie an,  so  muss  mindestens  darauf  hingewiesen  werden, 
dass  diese  Insuffizienz  bald  bei  geringeren,  bald  grösseren  Mengen 
zugeführten  Eiweisses  eintritt.  Ja,  in  einzelnen  Fällen  scheinen 
die  Grenzen  der  Leistungsfähigkeit  des  Magens  und  Darmes  so 
hoch  zu  liegen,  dass  eine  alimentäre  Albuminurie  überhaupt  nicht 
zu  erzielen  ist. 

Es  erschien  uns  nunmehr  wünschenswert,  experimentell  fest- 
zustellen, ob  nicht  vielleicht  doch  neben  der  Insuffizienz  der 
Verdauung  auch  eine  solche  der  Nieren  für  das  Austreten  der 
alimentären  Albuminurie  verantwortlich  zu  machen  wäre.  Als 
ein  geeignetes  Objekt  für  solche  Studien  erschien  uns  die  cyklische 
Albuminurie,  für  die  einige  Autoren^)  eine  angeborene  grössere 
Durchlässigkeit  der  Glomerulus-Membranen  bezw.  der  Epithelien 
supponiert  hatten. 

Wir  wählten  unsere  Yersuchsanordnung  dergestalt,  dass  wir 
bei  Kindern  mit  cyklischer  Albuminurie  durch  Bettruhe  eiweiss- 
freien  Urin  erzielten.  War  dieses  durch  mehrere  Tage  hindurch 
erreicht,  so  begann  die  Eiweisszufuhr. 

Charlotte  Quander,  12  Jahre,  kräftiges Mädcheo  mit  guteo  Farben, 
wegen  cyklischer  Albuminurie  in  die  Klinik  aufgenommen. 

I.  Versach:  An  vier  aufeinander  folgenden  Tagen  erhielt  das  Mädchen 
je  2^1  Liter  rohe  Milch  neben  der  gemischten  Kost  der  Klinik.  —  Der  Urin 
blieb  eiweissfrei. 

II.  Versuch:  Neben  der  gemischten  Kost  der  Klinik  nahm  das  Kind 
durch  4  Tage  täglich  10  rohe  Eier.  —  Der  Urin  war  am  1.,  2.  und  4.  Tage 
eiweissfrei.  Am  3.  Tage  war  im  Mischurin  eine  Spur  Albnmen  zu  kon- 
statieren. 

Martha  Schulz,  11  Jahre  alt,  mageres,  blasses  Mädchen.  Klagt  über 
Husten.  Es  besteht  eine  geringe  Bronchitis.  Das  Kind  ist  wegen  cjklischer 
Albuminurie  seit  3  Jahren  in  poliklinischer  Beobachtung. 

Versach:  Es  wurden  neben  der  gemischten  Kost  an  einem  Tage  6, 
au  einem  zweiten  8  rohe  Eier  yerabreicht.  —  Der  Urin  beider  Tage  war 
eiweissfrei. 

Martha  Krowatsch,  9  Jahre  alt,  mager,  blass.  Seit  einem  halben 
Jahre  wegen  cyklischer  Albuminurie  in  poliklinischer  Beobachtung. 

Versuch :  Das  Kind  bekam  neben  der  gemischten  Kost  der  Klinik  am 
ersten  Tage  des  Versuches  6,  am  2.  10,  am  3.  12  rohe  Eier.  Die  Auf- 
nahme der  gemischten  Kost  wurde  durch  Zugabe  der  Eier  nicht  wesentlich 
reduziert. 

Der  Urin  blieb  an  allen  Tagen  einweissfrei. 

^)  Leube,  1.  c. 


Kaliski-Weigert,  Über  alimentäre  AlbumiDurie.  93 

Demnach  ist  es  uns  auch  bei  Kindern  mit  cyklischer 
Albaminurie,  trotzdem  bei  ihnen  nach  vorliegenden  Anschauungen 
für  diese  Versuche  günstige  Verhältnisse  vorausgesetzt  werden 
mussten,  in  zwei  Fällen  nicht  geglückt,  eine  alimentäre  Albumi- 
nurie zu  erzeugen.  Im  dritten  Falle  (Quander)  war  bei  Zufuhr 
grosser  Mengen  roher  Milch  niemals,  bei  Zufuhr  von  rohen  Eiern 
von  vier  Versuchstagen  nur  an  einem  eine  Spur  Ei  weiss  im  Urin 
zu  konstatieren. 

Durch  das  Ergebnis  dieser  Versuche  wurde  die  voraus- 
geschickte Annahme,  dass  beim  Zustandekommen  der  alimentären 
Albuminurie  die  Nieren  nicht  beteiligt  sind,  in  keiner  Weise 
erschüttert. 

Diese  Annahme  findet  eine  weitere  Stütze  in  Untersuchungen, 
die  an  einem  7  jährigen  Knaben  mit  chronischer  Nephritis  an- 
gestellt wurden*).  Dieser  Patient  wurde  in  3  aufeinanderfolgen- 
den Versuchsperioden  mit  Reis  bezw.  Kartofi^eln  bezw.  rohen 
Eiern,  10 — 12  Stück  pro  Tag,  gefüttert.  Die  im  Urin  aas- 
geschiedene Eiweissmenge  wurde  täglich  nach  der  Methode  von 
Seh  er  er  quantitativ  bestimmt.  Hierbei  zeigte  es  sich  nun,  dass 
die  Durchschnittswerte  aller  drei  Perioden  in  gleicher  Höhe  lagen, 
dass  also  auch  hier  die  Ernährung  mit  rohen  Eiern  eine  Ver- 
mehrung des  im  Urin  ausgeschiedenen  Eiweisses  nicht  zur  Folge 
hatte  a). 

Zum  Schluss  dieser  Ausführungen  möchten  wir  darauf  hin- 
weisen, dass  uns  nunmehr  der  Weg  zur  weiteren  Klärung  dieser 
Frage  so  vorgeschrieben  zu  sein  scheint,  dass  für  die  Versuche 
Individuen  mit  insuffizienter  Verdauung  gewählt  werden  müssen, 
insbesondere  solche,  bei  denen  die  peptische  Kraft  des  Magens 
damiederliegt  (Achylia  gastrica). 

Da  uns  derartiges  Material  nicht  zur  Verfügung  stand,  so 
mussten  wir  auf  weitere  Versuche  verzichten. 

')  Die  Versuche  werden  an  anderer  Stelle  aasfQhrlicher  publiziert 
werden. 

*)  Nachtrag  bei  der  Korrektur:  Mehrere  Monate  später  worden  dem- 
selben Knaben  wiederum  durch  8  Tage  täglich  10  rohe  Eier  verabreicht. 
Von  dem  3  pro  Mille  Eiweiss  enthaltenden  Urin  wurden  in  3  Wochen  drei- 
mal je  10  cm'  einem  Kaninchen  subkutan  iniciert  Das  Serum  dieses  Kaninchens 
gab  danach  weder  gegen  Lösungen  von  Eiereiweiss  noch  gegen  das  Serum  eines 
anderen  mit  Eier-Eiweisslösungen  vorbehandelten  Kaninchens  die  Präcipitin- 
reaktion.  Trotzdem  es  sich  hier  also  um  schwer  geschädigte  Nieren  handelte, 
war  selbst  mit  der  empfindlichsten  Methode,  der  biologischen  Reaktion,  ein 
tJbertritt  des  artfremden  Eiweisses  in  den  Urin  nicht  nachzuweisen. 


VII. 

Die  Kohlenstoff-  und  Stickstoffausseheidung 
durch  den  Harn  beim  Säugling  und  älteren  Kinde. 

Von 

Dr.  L.  LANGSTEIN,  Dr.  F.  STEINITZ, 

ft.  Zt.  Asiiitonten  der  UnlvenlUlts-Kliider-     und     Auiitenten  der  UnlvenlUta-KlnderkUnik 
kUoik  In  Berlin  in  Breilaa. 

Yoit  hat  wohl  als  erster  aus  BeobachtuDgen  am  Hundeharn 
erschlossen,  dass  derselbe  mehr  Kohlenstoff  enthält,  als  darch  den 
Harnst  off  geh  alt  erklärt  wird.  Denn  er  fand  das  Verhältnis  von 
Kohlenstoff  zu  Stickstoff  grösser  als  12:28.  Kubner^)  hat  dann 
in  grundlegenden  Untersuchungen  diese  Tatsache  bestätigt  und 
weiter  verfolgt.  Speziell  hat  er  konstatieren  können,  dass  das 
Verhältnis  C :  N  alimentär  beeinflusst  wird.  Denn  bei  reiner 
Eiweissfütterung  betrug  der  durchschnittliche  Quotient  von  Kohlen- 
stoff zu  Stickstoff  0,532,  also  ein  dem  Hamstoffquotienten  (0,429) 
ziemlich  nahestehender  Wert,  bei  Fleischfutterung  0,610,  bei  Hunger 
0,728.  Alle  späteren  Untersuchungen  —  wir  nennen  besonders 
die  von  Scholz^),  Pregl'),  Steyrer*)  —  ergaben  unter  physio- 
logischen Verhältnissen  beim  Tier  oder  beim  erwachsenen  Menschen 
in  derselben  Breite  schwankende  Quotienten;  und  dass  dieselben 
auch  unter  pathologischen  Verhältnissen  nicht  verrückt  werden, 
hat  Mohr'^)  erst  kürzlich  für  das  Fieber  bewiesen. 

Aus  seinen  Experimenten  erschloss  Kubner,  dass  diejenigen 
relativ  kohlenstoffreichen  Verbindungen,  welche  den  Quotienten 
über  den  des  Harnstoffs  erhöhen,  kompliziert  zusammengesetzt 
sind.  Denn  sie  steigern  die  Verbrennungswärme  des  Harnes. 
Heute  wissen  wir  insbesondere  durch  die  Untersuchungen  Pregls, 


0  Rubner,  Zeitschr.  f.  Biol.  1885,  21,  329. 
»)  Scholz,  Centralbl.  f.  inn.  Med.     1897,  15. 
»)  Pregl,  Pflügers  Arch.  f.  d.  ges.  Physiol.     1898. 
A)  Steyrer,  Hofmeisters  Beiträge,  2,  S.  812. 
»)  Mohr,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.     1904. 


LaDgstein-Steinitz,  Die  Kohlenstoff- Ausscheidung  etc.  95 

dass  Harnsäure,  Kreatinin,  Xanthinbasen,  vielleicht  auch  die  noch 
nicht  genügend  erforschte  Oxyprotsäure  die  Ursache  für  die  Er- 
höhung des  Quotienten  sind.  Beteiligt  sind  dabei  auch  wohl  die 
aus  dem  Harn  durch  Quecksilber  ausfällbaren,  noch  unbekannten 
kohlenstoffreichen  und  stickstoffarmen  Verbindungen.  Durch  die 
Untersuchungen  Heubners  und  Rubners*)  über  den  Stoffwechsel 
des  an  der  Brust  genährten  Säuglings  haben  wir  erfahren,  dass 
der  Quotient  sogar  über  1  steigen  kann.  Diese  Beobachtung  hat 
durch  eine  grössere  Untersuchungsreihe  van  Oordts^)  ihre  Be- 
stätigunggefunden. Yan  Oordt  untersuchte  denHarn  von  mehreren 
Brustkindern,  resp.  Urine  desselben  Kindes  an  mehreren  Tagen 
und  fand  durchschnittlich  den  Kohlenstoff- Stickstoff-Quotienten 
=  1,12.  £r  schloss  daraus,  dass  hier  wohl  stickstoffarme  oder 
stickstofffreie  kohlenstoffreiche  Verbindungen  im  Harn  in  ver- 
mehrter Menge  auftreten,  über  deren  Natur  er  nichts  weiter  aus- 
sagen konnte.  Durch  diese  Beobachtung  van  Oordts  war  die 
Frage  aufgerollt,  ob  die  hochgradige  Erhöhung  des  Kohlenstoff- 
Stickstoff- Quotienten  eine  Eigentümlichkeit  des  Säuglings  Stoff- 
wechsels ist  oder  die  Folge  einer  bestimmten  Ernährung.  Dies 
a  priori  zu  entscheiden,  war  bei  den  in  der  Literatur  vorliegenden 
und  mit  diesem  Befund  eventuell  in  Kombination  zu  bringenden 
Angaben  nicht  möglich.  Denn  einerseits  fanden  Heubner  und 
Kubner  allerdings,  dass  Kuhmilchernährung  den  Quotienten  im 
Harn  des  Säuglings  nicht  über  die  Werte  erhöht,  die  wir  vom 
mit  gemischter  Kost  ernährten  Erwachsenen  kennen.  Anderer- 
seits gibt  van  Oordt  an,  dass  Zugabe  von  Buttermilch  zur 
Brustnahrung  den  hohen  Quotienten  nicht  beeinflusst.  Und  man 
konnte  aus  den  in  der  Literatur  vorliegenden  niederen  Harnstoff- 
werten im  Säuglingsharn  —  wir  haben  insbesondere  die  Analysen 
Pfaundlers')  im  Auge  —  die  Möglichkeit  herleiten,  dass  der 
grösste  Teil  des  Stickstoffs  vom  Säugling  in  kohlenstoffreicheren 
Verbindungen  ausgeschieden  wird,  als  es  der  Harnstoff  ist. 

Nachstehende  Untersuchungen  sollten  die  durch  diese  Befunde 
aufgeworfene  Frage  beantworten.  Es  war  dazu  nötig,  die  Harne 
einer  grösseren  Beihe  von  Säuglingen  bei  verschiedener  Ernährung 
nicht  nur  in  Bezug  auf  ihren  Kohlenstoff-Stickstoff- Quotienten, 
sondern  auch  in  Bezug  auf    die  Stickstoffverteilung  zu  studieren. 


1)  Heubner  a.  Rubuer,  Zeitschr.  f.  Biol.    36  u.  38. 

s)  van  Oordt,  Zeitschr.  f.  Biol.    43,  S.  46. 

s)  Pfaundler,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.    54,  S.  247. 


96  Langstein-Steinitz,  Die  Kohlenstoff- 

Soweit  es  möglich  war,  haben  wir  stets  24  stundige  Harnmengen 
untersucht.  Zu  einer  exakten  Beantwortung  der  hier  auf- 
geworfenen Frage  wie  überhaupt  zum  Studium  des  Stoffwechsels 
beim  Säugling  halten  wir  dies  für  unbedingt  nötig  und  eine  Ver- 
wertung von  an  Proben  entnommenen  Urins  ungestellten  Unter- 
suchungen nur  in  zweiter  Linie  für  angebracht.  Es  besteht  auch^ 
wie  wir  genügend  Gelegenheit  hatten,  zu  beobachten,  gar  keine 
Schwierigkeit,  die  24 stündige  Harnmenge  unzersetzt  zu  erhalten, 
wenn  man  sich  der  Vorsichtsmassregeln  bedient,  die  Freund*) 
seiner  Zeit  angegeben  hat,  und  die  Mühe  nicht  scheut,  den 
Rezipienten  auch  nachts  einigemale  zu  wechseln. 

Bevor  wir  in  eine  Besprechung  unserer  Resultate  eingehen, 
lassen  wir  dieselben  in  tabellarischer  Übersicht  erfolgen,  möchten 
jedoch  mit  einigen  Worten  vorher  die  Methodik  unserer  Unter- 
suchungen erörtern. 

Methodisches. 

Die  StickstofPbestimmungen  wurden  nach  Kjeldahl  ausge- 
führt, die  Ammoniakbestimmungen  nach  Reich^).  Die  Harn- 
stoflFbestimmung  führten  wir  nach  dem  von  Pfaundler') 
ausgearbeiteten  Verfahren  aus.  Zur  Destillation  des  durch 
Spaltung  mit  Phosphorsäure  in  Ammoniak  übergeführten  Harn- 
stoffstickstoffs bedienten  wir  uns,  wie  dies  Pfaundler  auch 
später  auf  Rat  von  Camerer  tat,  überschüssiger  Lauge.  Die 
Kohlenstoffbestimmungen  wurden  auf  trockenem  Wege  nach  dem 
von  Pregl*)  und  Steyrer*^)  modifizierten  Verfahren  ausgeführt. 
Je  2  ccm  Harn  wurden  in  ausgeglühten  Porzellanschiffchen  im 
Vakuum  über  Schwefelsäure  zur  Trockene  eingedampft,  was  niemals 
mehr  als  12  Stunden  beanspruchte.  Anwendung  von  Bimstein 
zur  schnelleren  Eintrocknung  erwies  sich  nicht  als  nötig,  da  die 
Harne  kaum  je  sehr  kpnzentriert  waren.  Die  Verbrennung  erfolgte 
im  Kopf  er- Ofen.  Das  Verbrennungsrohr  war  mit  ausgeglühtem 
Kupferoxyd  gefüllt.  Am  Ende  des  Rohres  befand  sich  eine  un- 
gefähr 15  cm  lange  Schicht  von  Bleisuperoxyd  und  eine  kurze 
Silberspirale,  die  bei  einer  Temperatur  von  150  bis  180®  ge- 
halten wurden.     Das  Wasser  wurde  durch  ein  Chlorcalciumrohr 


i)  Freu  od,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.     48,  S.  137. 
')  iDaugural-Diss.  Breslau.     1902. 
»)  Pfaundler,  1.  c. 
*)  Pregl,  I.  c. 
*)  Steyrer,  1.  c. 


und  StickstoffausBcheidung  durch  den  Harn  beim  Säugling  etc.        97 


zurückgehalten,  die  Eohlensäare  in  einem  der  üblichen  Eali- 
apparate  aufgefangen  und  gewogen.  Stets  wurden,  wie  aus 
unserem  nachfolgenden  Yersuchsprotokollen  hervorgeht,  Eontroll- 
bestimmungen ausgeführt. 

Tabelle  I 
(betrefPend  Säuglinge.) 


No. 


Kind 


Ernährung 


Harnmenge^) 
in  ccm 


mg  N 

in 
100  ccm 


mg  O 

m 
100  ccm 


C:N 


1 
2 

3 

4 
5 
6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 
17 

18 

19 


Heldt 
5.-6.  3. 
Scholz 
15.— 16.  3. 
Heldt 
Heldt 
Scholz 

BlOY 

18.— 19.  3. 

Bloy 

19.— 20.  3. 

Bittner 

Bittner 

15.— 16.  3. 

Linke 

Schäfer 

25.-26.  3. 

Raabe 

Raabe 

Bloy 
28.-29.  3. 

Fritach 

29.— «0.  5. 

Fritsch 

Fritsch 

Lehmann 

Lehmann 
20.— 29.  6. 


Brust 

Brust 

Brust 

Brust 

Brust 

Vollmilch 

Vollmilch 

Buttermilch 

Buttermilch 

600  Malzsappe 

Malzsnppe 

Malzsuppe 

Malzsuppe 

VtMilch  +  Mehi 

+  Malz 
V.  Milch  (750) 
-|-40gMilchz. 

Thee 

1000  Halbmilch 

+  50  Milchzuck. 

1000>/,Milch-+- 

Rohrzucker 


310  sauer 

432  sauer 

405  sauer 

Portion 

Portion 

222  aufgef.  auf  250 

220  aufgef.  auf  250 

sauer 
222  aufgef.  auf  350 

312  sauer 

165  auf  250  schw. 

alkalisch 
165  aufgef.  auf  200 

alkalisch 
frisch   katheteris. 

Portion 
katheterisierte 

Portion 

414  sauer 


483  neutral 
75  nach  24stünd. 

Theediät 

260  aufgef.  auf  350 

sauer 

610  alkalisch 


189,28 

103,74 

128,3 
160,1 
63,23 
1292,2 

1161,9 

829,9 

985,5 

307,58 

281,7 

334,88 

451,36 

404 

264 

239,3 
473.2 

438 

304 


227,5 

177 

266 
279 
94,45 
883 

790 

658 

741 

422 

381 

485 

620 

426 

412,5 

340 
800 

545 

361 


1,2 
1,5 

2,08 

1,T 
1,4 
0,68 

0,67 

0,78 

0,75 

1,3 

1,3 

I  1,4 

!l,3 

I  1,05 

1,6 

1,4 

1,6 

1.2 
1,1 


Da  eine  befriedigende  Erörterung  der  vorstehenden  Befunde 
nicht  gegeben  werden  kann  ohne  die  Mitteilung  von  Resultaten, 

■)  S&mtlicbe  nntersnchten  Harne  waren  zacker-  und  eiweissfrei. 
Jthrbacb  f.  Kloderbellkunde.    N.  F.    LXI,  Heft  1.  ^ 


98 


Langstein-Steinitz,  Die  KobleiiBtoff- 


die  den  Harnquotienten  des  älteren  Kindes  und  des  Erwachsenen 
bei  stickstofParmer  Diät,  wie  auch  die  Stickstoffverteilung  im  Harn 
von  Säuglingen  betreffen,  geben  wir  in  Folgendem  in  tabellarischer 
Übersicht  unsere  diesbezüglichen  Untersuchungsergebnisse  wieder. 

Tabelle  II 

(betreffend  ältere  Kinder   und  einen  Erwachsenen  bei 

vegetarischer  Ko^.) 


Kind,  Alter 

Ern&hrang 

Harnmenge 
in  ccm 

mg  N  in 
100  ccm 

mg  C  in 
100  ccm 

C:N 

Bittner, 
3V>  Jahre 
23.-24.  3. 

AUgem.  Kost 

830  sauer 

520 

409 

0,7 

Kraase 

6  Jahre 

25.-26.  2. 

Alldem.  Kost 

790  sauer 

1026,4 

777 

0,6 

Kraase 

2  Liter  Milch 

607  sauer 

1679 

1025 

0,6 

Kraase 

2  Liter  Sahne 

422  aufgef.  auf  500 
sehr  sauer 

1354 

940 

0,6 

Dr.  E. 

Yeget.  Kost 

960 

569 

705 

1,2 

Dr.  E. 

» 

1030 

569,66 

688 

1,12 

Tabelle  III. 
(Stickstoff- Verteilung  im  Harn   von  Säuglingen  bei  verschiedener 

Ernährung.) 


Kind 

Ernährung 

Tages- 
menge 
in  ccm 

Gesamt- 
stickstoff 
in  100  ccm 

Auf 

NH,- 

N 

•  100  mg  N  en 

Harnstoff- 
+  Amino- 
säuren-N 

tfallen 
Harn- 

8t0ff-N 

Scholz 

Brust 

432 

103,74 

23 

72 

69 

Heldt 

Brust 

405 

128,3 

23 

68 

68 

Bloy 

Vollmilch 

222 

aufgef.  a. 
250 

1292,2 

7 

88 

86 

Bloy 

Vollmilch 

220 

aufgef.  u. 

250 

1161,9 

6 

88 

86 

Linke 

Malzsuppe 

165 

aufgef.  a. 

250 

307,58 

3,4 

81 

77 

Schäfer 

Malzsuppe 

165 

aufgef.  a. 

200 

281,7 

9 

70 

63 

und  StickstoffausscheiduDg  dareh  den  Harn  beim  S&ugling  etc.        99 

Wie  aus  unserer  ersten  Tabelle  hervorgeht,  besteht 
die  Annahme,  dass  bei  der  natürlichen  Ernährung  an 
der  Brust  in  besonders  reichlicher  Menge  Stoffe  zur 
Ausscheidung  gelangen,  die  stickstoffarm  oder  stick- 
stofffrei und  Indikatoren  eines  besonders  gearteten 
Stoff\vechsels  sind,  nicht  zu  Recht.  Vielmehr  ist  das 
Verhältnis  C:N  in  hohem  Grade  dem  alimentären  Ein- 
flüsse unterworfen.  Je  geringer  die  absolute  Menge 
ausgeschiedenen  Stickstoffs,  desto  höher  der  Quotient 
0:N  und  umgekehrt.  Das  zeigt  am  anschaulichsten  folgende 
kleine  Zusammenstellung,  die  wir  unserer  ersten  Tabelle  der 
Übersicht  halber  entnehmen: 


Ern&hrung 

mg  N  in 
100  ccm  Urin 

C:N 

'/.  Milch 
-|-  Milchzucker 

239,3 

1,43 

Malzsappe 

281.7 

1,36 

Malzsappe 

451,36 

1,37 

Brast 

189.3 

1,19 

Halbmilch  +  Malz 

404 

1,05 

Battermilch 

829,9 

0,78 

Battermilch 

985,5 

0,75 

Vollmilch 

1111,9 

0,67 

Vollmilch 

1292 

0,68 

Infolgedessen  ist  auch  der  Quotient  C:N  im  Harn  des  älteren 
Kindes  bei  stickstoffreicher,  wenn  auch  qualitativ  wechselnder 
Diät  nicht  von  dem  des  Erwachsenen  bei  gemischter  Eost  ab- 
weichend. Und  der  Erwachsene  zeigt  bei  stickstoffarmer  Diät, 
als  deren  Repräsentant  wir  die  vegetarianische  wählten,  den 
hohen  Quotienten  von  1,1 — 1,2.  Letztere  Beobachtung  deckt 
sich  mit  einer  erst  jüngst  von  Camer  er  ^)  gemachten.  Aus  den 
mitgeteilten  Zahlen  geht  auch  hervor,  dass  der  grösste  Teil  des 
Stickstoffs  im  Harn  von  Säuglingen  als  Harnstoff  ausgeschieden 
wird.  Die  abweichenden  Resultate  Pfaundlers  finden  in  vor- 
liegenden Untersuchungen  keine  Bestätigung^).  Denn  letzterer 
fand  z.  B.  in  vier  Untersuchungen  folgende  Harnstoffwerte: 


')  Camerer,  Monatsschr.  f.  Kinderheilk.     II.     S.  1. 
*)  Pfaundler  gibt  allerdings   selbst    an,   dass   seine  UnterBuchungeii 
noch  der  Nachprüfung  bedürfen. 

7* 


100  LangsteiD-SteinitZf  Die  Kohlenstoff- 

21  Tage  altes  Kind,  mit  Halbfettmilch  ernährt,  17,2  pCt» 
Harnstoff- N; 

2Va  Monate  altes,  mit  Nestle-Milch  ernährtes  Kind  39,4  pCt. 
Harnst  off-N; 

3  Monate  altes,  mit  ^/g  Fettmilch  ernährtes  Kind  57  pCt 
HarnstofP-N ; 

mit  ^/s  Fettmilch  ernährtes,  P/4  Monate  altes  Kind  29,2  pCt. 
Harnstoff-N. 

Unsere  prozentischen  HarnstofPzahlen  decken  sich  eher  mit 
den  von  C  am  er  er*)  und  Keller^)  ermittelten,  welche  zwischen 
60  und  84  pCt.  liegen.  Während  unser  höchster  Wert  im  Harn 
der  mit  Vollmilch  genährten  Kinder  sich  findet  (vgl.  Camerer, 
der  bei  gleicher  Ernährung  84  pCt.  N  fand),  ist  der  tiefste  bei 
dem  mit  Malzsuppe  ernährten  Säugling  zu  konstatieren  gewesen^ 
was  sich  speziell  mit  den  Beobachtungen  von  Keller  deckt. 
Wir  fanden  auch  nur  bei  dem  mit  Malzsuppe  ernährten  Kinde 
eine  nennenswerte  Differenz  zwischen  dem  prozentischen  Gehalt 
an  Harnstoff- -f- Aminosäuren-Stickstoff  einerseits  und  Harnstoff-N 
andererseits,  eine  Differenz,  die  wohl  ausserhalb  der  Fehlergrenzen 
der  angewandten  Methodik  liegt,  was  wir  von  den  bei  anders 
genährten  Kindern  ermittelten  Differenzen  nicht  ohne  weiteres 
behaupten  wollen.  Hier  besteht  ja  auch  die  faktische  Möglich- 
keit, dass  Aminosäuren  im  Harne  auftreten,  da  Malzwürze  an 
diesen  Eiweissspaltungsprodukten  besonders  reich  ist.  Wir 
möchten  aber  nicht  verfehlen,  darauf  aufmerksam  zu  machen^ 
dass  die  Berechtigung,  die  Differenz  zwischen  Hamstoff-N  und 
Aminosäuren-  -f-  Harnstoff-N  auf  Rechnung  von  ausgeschiedenen 
Aminosäuren  zu  setzen,  erst  durch  den  exakten  Nachweis  der- 
selben im  Harn  erbracht  werden  muss. 

Es  ist  gewiss  nicht  ohne  Interesse,  rechnerich  zu  zeigen^ 
dass  der  hohe  Kohlenstoffstickstoffquotient  bei  gewissen  Ernährungs- 
formen nicht  auf  eine  besonders  reichliche  Ausscheidung  von  stick- 
stoffarmen oder  stickstofffreien  organischen  Substanzen  durch  den 
Harn  bezogen  werden  muss.  Wir  haben  in  folgender  Tabelle  die- 
jenigen Kohlenstoffmengen  neben  einander  gestellt,  die  nicht  als 
Harnstoff   zur    Ausscheidung    gelangen,    was    ja    bei    den   Säug- 


0  Camerer,  Stoffwechsel  des  Kindes,  Tübingen.    Zeitschr.  f.  Biolog. 
35,  S.  218;  38,  S.  276;  43,  S.  13;  45,  S.  1. 

*)  Keller,  Die  Malzsuppe.    Verl.  Ton  Fischer.    1898. 


und  Stickstoffausscheid QDg  durch  den  Harn  beim  S&ugÜDg  etc.      101 

lingen,  deren  Stickstoff-  und  Eohlenstoffausscheidung  durch  den 
Harn  während  24  Stunden  genau  ermittelt  wurde,  ein  leichtes 
war.     Wir  geben  in  folgender 

Tabelle  IV 
<lie   absoluten  Zahlen  derjenigen  G-Menge,    die    nicht   als  Harn- 
stoff zur  Ausscheidung  gelangt. 


Nicht  als  Harnstoff  zur 

Kind 

Ernährang 

Ausscheidung  gelangender 
Kohlenstoff 

C:N 

In  100  ccm 

In  d«r 
Tageimenge 

Scholz 

Brust 

146,66 

633,57 

1,0 

Heidt 

Brust 

228,48 

925,84 

2,08 

Bloy 

Vollmilch 

405,14 

1012,85 

0,68 

Bioy 

Vollmilch 

360,30 

900,75 

0,67 

Linke 

Malzsuppe 

320,16 

800,4 

1.3 

Sch&fer 

Malzsuppe 

304.68 

609,36 

M 

C:N  im  Harnstoff  wurde  gleich  0,43  gesetzt. 

Aus  vorstehender  Tabelle  geht  zur  Evidenz  hervor,  dass 
die  absolute  Menge  des  nicht  als  Harnstoff  zur  Ausscheidung 
gelangenden  Kohlenstoffs  nicht  dort  am  grössten  ist,  wo  der 
Quotient  am  höchsten,  sondern  gerade  dort,  wo  der  Quotient 
•ein  geringer  ist.  Die  Tabelle  beweist  augenfällig  den  alimentären 
Einfluss  auf  den  Eohlenstoffstickstoffquotienten.  Damit  ist  jedoch 
noch  keineswegs  gesagt,  dass  diejenigen  Stoffe,  die  den  Quotienten 
im  Harn  von  Säuglingen  über  den  des  Harnstoffs  erhöhen, 
qualitativ  immer  die  gleichen  sind.  Diese  Substanzen  könnten, 
ohne  dass  sich  dies  in  der  groben  Stoffwechselbilanz  kundgeben 
muss,  beim  Säugling  auch  bei  verschiedener  Ernährung  sehr 
wohl  wechseln.  Wir  haben  ja  schon  darauf  hingewiesen,  dass 
möglicherweise  für  den  hohen  Quotienten  bei  Malzsuppen- 
•emährung  die  Ausscheidung  der  relativ  kohlenstoffreichen  Amino- 
säuren verantwortlich  gemacht  werden  kann,  für  deren  Vorhandensein 
wir  bei  andersartiger  Ernährung  keine  Anhaltspunkte  haben. 
Die  nächste  Aufgabe  muss  daher  sein,  nach  dem  Vorgänge 
Pregls  beim  Erwachsenen  die  relativ  kohlenstoffreichen  Sub- 
stanzen im  Säuglingsharn  zu  identifizieren,  was  wir  uns  vor- 
behalten   möchten. 


102  Langstein-Steinitz,  Die  Kohleostoff- 

VersuchsprotokolleJ) 
1.  Heldt. 

N :  20  ccm  Terbr.  10,375  j  Säare. 

10,426  , 
NH. :  25  ccm  vcrbr.  8,7  j^  S;  8,825  j^  S. 
C:4  ccm  enth.  0,0341  CO,;  0,033  CO,. 

2.  Scholz. 

N  N 

N :  10  ccm  Terbr.  2,875  j  S;  2,9  ^  S. 

N  N 

NHt:25  ccm  Terbr.  4,1  ^^S;  4,15  |qS. 

N  N 

ür  +  NH,  ») :  5ccm  Terbr.  1,05  j  S;  1,00  ^. 

Ur :  5  ccm  Terbr.  ^f4  Tq  S;  2,5  Tq  S. 
CO,  in  2  ccm  =  0,014;  0,012. 

3.  Heldt 

•vr  TO^ 

N :  10  ccm  Terbr.  8,55  ^  S;  3,5  j  S. 

N  N 

NH,:25  ccm  verbr.  5,15-jyS;  5,lj^jS. 

N  N 

ür  +  NH,  :  5  ccm   Terbr.  2,95  jq  S;  3,00  j^-  S. 

N  N 

ür:5  ccm  Terbr.  2,9^^8;  3,15  jgS. 

CO,iQ  2  ccm  =  0,0181;  0,0209. 

4.  Heldt. 

N  N 

N:10  ccm  verbr.  10,9  ^S;    11,05^^8. 

CO,  in  2  ccm  =  0,212;  0,0199. 

5.  Scholz. 

N:10  ccm  Terbr.  4,35  jgS;  4,175^^8. 
CO,  in  2  ccm  =  0,0078;  0,006. 


N  N 

*)  Bei  den  Ton  nns  zur  Titration  benutzten  -^  and  tt:  Säaren  entsprach 

1  ccm  jS  =  3,64  mg  N. 

1  ccm  IQ  S  =  1,46  mg  N. 

»)  Ur  =  Harnstoff;  NH,  =  Aminosäure. 


und  Stickstoffaussoheidang  darch  doD  Harn  beim  Säagling  etc.      108 

6.  Bloy. 

N  N 

N :  10  ccm  yerbr.  35,6  j  S;  85,5  jS. 

N  N 

NH,  :  25  ccm  verbr.  =  16,3  ^^S;  16,4  j^S. 

N  N 

Ur  +  NH,:5  ccm  verbr.  39,15  j^S;  39,05  jgS. 

Ur:5  ccm  verbr.  38  ^S;  88,15  jqS. 
CO)  in  2  ccm-=  0,0647;  0,0649. 

7.  Bloy. 

N:100  ccm  verbr.  32,25  jS;  82,8 -^S. 

N  N 

NH,:25  ccm  verbr.  11,65 y^S;  11,9  j^S. 

Ur  +  NH,  :5  ccm  verbr.  35,25  jgS;  35,05  JqS. 

N  N 

Ur:5  ccm  verbr.  84,5  j^S;  84,55  ^qS. 

CO  j  in  2  ccm  =  0,0588;  0,574. 

8.  Bittner. 

ig  ig 

N:10  ccm  verbr.  22,7  jS;  22,9  ^S. 
CO,  in  2  ccm  =  0,0489;  0,0484. 

9.  Bittner. 

N:10  ccm  verbr.  27,2  jS;  26,95  ^S. 
CO  s  in  2  ccm  =  0,0551;  0,0538. 

10.  Linke. 

ig  ig 

N  in  10  ccm  =  8,45  ^S;  8,45  jS. 

NH,:  25  ccm  verbr.  1,8  jö^;  1  J&  Jo^* 

N  N 

ür  +  NH,  :  5  ccm  verbr.  8,6  y^S;  8,65  y^S. 

N  N 

ür :  5  ccm  =  8,2  jgS;  8,25  j^S. 

CO,  in  2  ccm  =  0,046;  0,0449. 

11.  Schäfer. 

N  N 

N:10  ccm  verbr.  7,7 -^S;  7,78  ^S. 

ig  M 

NH,:25  ccm  verbr.  4,7  j^S;  4,75  ^^S. 

N  N 

Ur  +  NH,:  5  ccm  verbr.  6,85 y^S;  6,75  j^S. 

ür:5  ccm  =  6,l|QS;  6,1  j^S. 
CO,  in  2  ccm  =  0,0292;  0,0270. 


104  Langstein-Steinitz,  Die  Kohlenstoff- 

12.  Raabe. 

N  N^ 

N:5  ccm  verbr.  4,6 ^S;  4,6 ^S. 

CO,  in  2  ccm  =0,0372;  0,0341. 

13.  Raabe. 

N:5  ccm  verbr.  6,2 -jS;  6,2  jS. 
COt  in  2  ccm  =0,046;  0,049. 

14.  Bioy. 
N  in  10  ccm  11,1  jS;  11,1  jS. 
GOt  in  2  ccm  =  0,0313;  0,0313. 

15.  Fritsch. 

N  in  10  ccm  =  7,4  jS;  7,3  jS. 
COt  in  2  ccm  =  0,0283;  0,0268. 

16.  Fritsch. 

N  N 

N  in  10  ccm  =  6,6  ^S  =  6,55  jS. 

CO]  in  2  ccm  =  0,0261;  0,0242. 

17.  Fritsch. 

N  N 

N :  10  ccm  =  13,1  jS;  12,9  -jS. 

CO,  in  2  ccm  =  0,0608;  0,580. 

18.  Lehmann. 

N  N 

N:  11,95  ^S;  11,85  ;fS. 

CO,  in  2  ccm  =  0,0400;  0,039. 

19.  Lebmann. 

N  N 

N :  10  ccm  8,35  ^S;  8,35  ^  S. 

CO,  in  2  ccm  =  0,0265;  0,0265. 

20.  Bittner. 

N  in  10  ccm  14,4  ^S;    14,2  jS. 
CO,  in  2  ccm  0,030;  0,031. 

21.  Krause. 

N  N 

N  in  10  ccm  28,15  jS;  28,25  ^S. 

CO,  in  2  ccm  0,055;  0,057. 

22.  Krause. 
N  N 

N  in  10  ccm  46,15  ;jS;  46,15 ^S. 

CO,  in  2  ccm  0,0751;  0,0753. 


und  StickatoffausscheiduDg  darch  den  Harn  beim  Säugling  etc.      105 

23.  Krause. 

N  N 

N  in  10  ccm  37,2  jS;  37,2  jS. 

CO  I  in  2  ccm  0,0698;  0,0695. 

24.  Dr.  E. 

N  N 

N  in  10  ccm  15,6  jS;   15,7  ;fS. 

CO  t  in  2  ccm  0,0472;  0,0465. 

25.  Dr.  E. 

N  N 

N  in  10  ccm  15,55  jS;  15,75  ^S. 

CO,  in  2  ccm  0,0474;  0,0468. 


7m. 
Ober  Entfettungskuren  im  Kindesalter. 

Von 

Dr.  ARNOLD  ORGLER. 

Entfettungskuren  im  Kindesalter  vorzunehmen,  dazu  bietet 
sich  nur  selten  Gelegenheit.  Nicht  als  ob  die  Fettsucht  im 
jugendlichen  Alter  überhaupt  etwas  ganz  besonders  Seltenes 
wäre;  aber  nach  den  Anschauungen  des  Laienpublikums  und 
namentlich  der  bessersituierten  Kreise  gilt  selbst  hochgradige 
kindliche  Fettleibigkeit  nicht  als  Gegenstand  ärztlicher  Behandlung. 

Auch  sprachen  theoretische  Erwägungen  dagegen,  im  kind- 
lichen Alter  Entfettungskuren  vorzunehmen.  So  lange  man  näm- 
lich die  Ansicht  vertritt,  dass  die  Fettsucht,  namentlich  die  des 
jugendlichen  Alters,  eine  Konstitutionsanomalie  sei,  bedingt  durch 
eine  „Yerlangsamung  oder  Erniedrigung  des  Stoffwechsels,  d.  h. 
durch  eine  spezifische  Erniedrigung  der  Leistungen  des  Proto- 
plasma^, so  lange  musste  man  es  auch  für  ziemlich  zwecklos 
halten,  durch  Entziehungskuren  eine  Verminderung  des  Körper- 
gewichtes herbeizuführen.  Für  diese  Anschauung  liegen  aber  bis 
jetzt  keinerlei  Beweise  vor.  Schon  die  Arbeiten  von  v.  Noorden*), 
Magnus-Levy^),  Jaquet  und  Svenson'),  die  neben  dem 
Stickstoffstoffwechsel  auch  den  Gaswechsel  im  nüchternen  Zustand 
bei  fettleibigen  Personen  untersuchten,  boten  keine  Stütze  für 
diese  Anschauung.  Namentlich  zeigten  aber  die  grundlegenden, 
den  gesamten  Stoff-  und  Kraftwechsel  umfassenden  Untersuchungen 
Rubner8*)j  dass  der  Gesamtkraftwechsel  fettleibiger  Menschen 
keine  Herabsetzung  gegenüber  den  normalen  Individuen  er- 
kennen lässt. 


>)  V.  Noorden,  Pathologie  des  Stoffwechsels.    Berlin  1893. 

')  Magnus-Leyy,    Zeitschrift  für  klinische  Medizin.     Bd.  33.     1897. 

))  Jaquet  and  STenson,  Ebenda.     Bd.  41.     1900. 

*)  Rubner,  Beiträge  zur  Ernährung  im  Knabenalter.    Berlin  1902. 


Orgler,  Über  Ent/ettungskaren  im  Kindesalter.  107 

Gerade  die  von  Rabner  untersuchten  beiden  Brüder  haben 
für  unsere  Betrachtung  grosses  Interesse,  da  beide  aus  einer 
kinderreichen  Familie  stammend  gleichmässig  in  ärmlichen  Ver- 
hältnissen aufgewachsen  sind.  Der  ältere,  einährige  normale 
Knabe  wog  26  kg;  der  jüngere,  zehnjährige  fettsüchtige  40  kg. 
Das  ist  nuD  ein  Verhältnis,  aus  dem  man  eigentlich  auf  eine  Stoff- 
wechselanomalie, d.  h.  auf  eine  Erniedrigung  des  Stoffwechsels 
bei  dem  fettleibigen  Jungen  schliessen  könnte;  und  doch  zeigte 
es  sich,  dass  bei  ihm  „kein  Darniederliegen  der  Verbrennung, 
eher  eine  Vermehrung"  vorlag. 

Wenn  ich  auch  die  Möglichkeit  einer  eigentlichen  Fettsucht 
nicht  vollständig  bestreiten  will,  so  wird  man  doch  m.  E.  in  den 
allermeisten  Fällen  auch  für  das  jugendliche  Alter  als  Ursache 
für  das  Zustandekommen  einer  Fettleibigkeit  diejenigen  Momente 
ansehen  müssen,  die  beim  Erwachsenen  zur  Fettleibigkeit  führen, 
und  die  v.  Noorden^)  in  folgenden  Sätzen  präzisiert:  1.  Steigerung 
der  Nahrung  bei  durchschnittlich  normalem  Verbrauch;  2.  Her- 
absetzung des  Verbrauches  bei  durchschnittlich  normaler  Nahrungs- 
zufuhr; 3.  Vereinigung  von  übermässiger  Ernährung  und  herab- 
gesetztem Verbrauch." 

Als  das  oberste  Prinzip  jeder  Entfettungskur  wird  die 
Forderung  aufgestellt,  dass  der  Organismus  kein  Ei  weiss  von 
seinem  Bestände  abgibt.  Dass  die  Wahrung  des  Eiweissbestandes 
bei  Entfettungskuren  möglich  ist,  ja  dass  sogar  ein  geringer  Eiweiss- 
ansatz  stattfinden  kann,  geht  aus  den  zahlreichen  Stoffwechsel- 
versuchen von  Dapper^)  und  von  Magnus-Levy')  hervor. 
Auch  der  Weg,  der  bei  Entfettungskuren  eingeschlagen  werden 
muss,  ist  nach  dem  oben  Gesagten  klar  vorgezeichnet.  1.  Ein- 
schränkung der  Nahrungszufuhr.  2.  Erhöhung  des  Verbrauches 
durch  Muskelarbeit.  Auch  darin  sind  sich  alle  einig,,  dass  der 
erste  Punkt  bei  weitem  bedeutungsvoller  ist.  Aber  eine  Ein- 
schränkung der  Nahrungsmenge  bereitet,  falls  sie  für  längere 
Zeit  durchgeführt  werden  soll,  grosse  Schwierigkeiten.  Man  muss 
naturgemäss  auch  auf  seelische  Momente  Rücksicht  nehmen,  wie 
Rosenfeld^)  sehr  richtig  ausführt,  und  Sorge  dafür  tragen,  dass 


')  y.  Noorden,  Id  Nothnagels  Spezielle  Pathologie  uod  Therapie. 
Bd.  VII.     1900. 

*)  Dapper,  Archiv  für  Verdauungskrankheiten.  Bd.  3.  1898.  Zeit- 
schrift för  klinische  Medizin.    Bd.  28.     1898. 

')  Magnas-Levy,  1.  c. 

^)  Rosenfold,  Deutsche  Ärzte-Zeitung.     1904.    Heft  9. 


108  Orgler,  Über  Entfettangskureo  im  Kindesalter. 

der  Patient  gesättigt  von  Tisch  aufsteht.  Daher  kann  man  nicht 
die  Quantität  der  Speisen  zu  stark  vermindern,  sondern  muss  die 
Qualität  so  wählen,  dass  die  Nahrung  bei  grossem  Volumen 
dem  Körper  nur  wenig  Kalorien  zufuhrt.  Zu  diesem  Zweck 
empfiehlt  Rosen feld  neben  der  Vermeidung  von  Fett  die 
voluminöse,  aber  kalorienarme  Kartoffel  und  die  Zufuhr  grosser 
Flüssigkeitsmengen.  Namentlich  der  letzte  Punkt  befremdet  auf 
den  ersten  Blick;  ist  doch  gerade  die  Flüssigkeitsbeschränkung 
als  vorzügliches  Mittel  zur  Entfettung  von  Oertel  und  seinen 
Nachbetern  enthusiastisch  empfohlen  worden!  Ich  verweise  in 
betrefP  dieses  Punktes  auf  die  Kritik,  die  Rosen  feld  ^)  an  den 
Oertelschen  Prinzipien  übt,  und  will  hier  nur  folgendes  an- 
führen. Sicher  ist,  dass  man  durch  Wasserentziehung  allein 
einen  Gewichtsverlust  herbeiführen  kann;  aber  es  ist  vorläufig 
noch  völlig  unbewiesen,  dass  dieser  Verlust  auf  Fettschwund  be- 
ruht; zum  grössten  Teil  hat  er  seine  Ursache  in  einer  starken 
Wasserverarmung  des  Organismus.  Dies  ist  aber  gerade  bei 
Fettleibigen  durchaus  zu  vermeiden.  Wie  nämlich  Rubner*)  aus- 
führt, tritt  beim  arbeitenden  Fettleibigen  schon  bei  20  •  eine  Ver- 
mehrung der  Wasserdampfabgabe  auf,  während  sie  beim  Mageren 
bei  gleicher  Arbeit  noch  fehlt.  „28 — 30  ®  sind  etwa  die  Grenzen 
für  das  normale  Verhalten  des  schwach  arbeitenden  Fetten;  denn 
bei  36  ^  nahm  die  Bluttemperatur  zu,  und  der  Wasserverlust  stieg 
in  ausserordentlichem  Masse  an."  Diese  Beobachtung  warnt 
direkt  davor,  Flüssigkeitsentziehungen  bei  fettleibigen  Menschen 
vorzunehmen.  — 

Von  diesen  Gesichtspunkten  aus  wurde  bei  einem  Knaben 
mit  hochgradiger  Fettsucht  eine  Entfettungskur  vorgenommen. 

Fritz  Seh.,  IS'/s  Jfthr  alt.  Der  Vater  ist  mit  52  Jahren  an  einem 
Schlagaofall  gestorben;  die  Mnttcr  leidet  an  Diabetes;  sämtliche  Familien- 
mitglieder sind  korpulent.  Zwillingskind.  Gewicht  bei  der  Geburt  1750  g; 
der  5000  g  schwere  Zwiliingsbrnder  nach  10  Tagen  gestorben.  Nach  der 
Aussage  der  Mutter  gedieh  das  Kind  an  der  Ammenbrust  pr&chtig,  sodass 
es  mit  2  Monaten  das  für  dieses  Alter  normale  Gewicht  erreicht  haben  soll. 
Von  Kinderkrankheiten  hat  Patient  Masern,  Scharlach  und  Croup  durch- 
gemacht. Im  Alter  von  6  Jahren  soll  Patient  52  Pfd.  gewogen  habeo.  Mit 
8  Jahren  wurde  Patient  auf  der  Klinik')  behandelt;,  sein  Gewicht  betrug 
damals  35,5  kg.  Nach  dieser  Zeit  lebte  Patient  nach  Oertelschen  Prinzipien: 
Wenig  Flüssigkeit,  wenig  Kartoffeln,  viel  Fleisch  und  Eier.    Bei  dieser  Kost 


^)  Rosenfeld,  1.  c. 

')  Rubner,  1.  c. 

>)  cf.  Göppert,  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.     Bd.  51.  1900. 


Orgler,  Über  Entfettun gekoren  im  Kindesalter.  109 

ist  Patient  nie  richtig  satt  von  Tisch  aufgestanden.  Das  Körpergewicht 
nahm  trotzdem  von  Jahr  za  Jahr  zu,  so  dass  es  jetzt  zu  Beginn  der  Kar 
72,2  kgO  beträgt.  Patient  hat  also  in  b^ji  Jahren  sein  Gewicht  verdoppelt. 
Nach  Quetelet')  soll  das  Gewicht  eines  Knaben  in  der  Zeit  von  8  Jahren 
bis  za  13^/)  Jahren  von  21,6  kg  anf  35,1  kg,  also  um  63  pCt.  anwachsen: 
bei  unserem  Patienten  ist  es  in  diesem  Zeitraum  um  100  pCt.  gestiegen.  In 
der  Schule  kommt  Patient  gat  mit,  ist  stets  versetzt  worden,  muss  aber  an- 
geblich mehr  arbeiten  als  seine  Kameraden. 

Der  150  cm  grosse  Knabe  zeigt  eine  ziemlich  gleichmässige  Fett- 
ablagerung am  Körper,  dicke  Backen,  sehr  stark  ausgebildete  Mammae, 
sehr  dicken  Leib;  auch  am  Rücken  and  an  den  unteren  Extremitäten  sind 
machtige  Fettpolster  vorhanden.  Lordose  mittleren  Grades.  Innere  Organe 
ohne  besonderen  Befund.  Im  Urin  nie  Eiweiss  oder  Zucker.  Fritz  ist  ein 
aufgeweckter  Junge;  den  Arbeiten  im  Laboratorium  folgt  er  mit  grossem 
Interesse,  unterstützt  die  Ärzte  beim  Aufnehmen  von  Pulskurven  u.  s.  w. 
Dabei  ist  eine  gewisse  körperliche  Trägheit  oder  Vorliebe  für  „sitzende 
Lebensweise*  vorhanden;  wenn  Fritz  ins  Laboratorium  kam,  holte  er  sich 
sofort  einen  Stuhl  herbei,  um  sitzend  uns  zuzusehen;  auch  auf  der  Station 
pflegte  er,  wenn  er  mit  den  kleinen  bettlägrigen  Patienten  spielte,  sich  einen 
Stuhl  heranzuholen. 

Während  der  vier  wöchentlichen  Entfettungskur  nahm  Patient 
Ton  72,200  kg  auf  67,950  kg,  also  um  4^/4  kg  ab,  ohne  dass  er 
dabei  über  irgendwelche  Beschwerden  klagte.  Nach  sämtlichen 
Mahlzeiten  war  Patient  völlig  gesättigt;  nur  ein  einziges  Mal 
erklärte  er,  vom  Mittagessen  nicht  ordentlich  satt  geworden 
zu  sein.  Hin  und  wieder  trat  Obstipation  auf.  Ein-  bis  zwei- 
mal klagte  Patient  über  Kopfschmerzen,  an  denen  er  überhaupt 
häufig  leidet.  In  der  ersten  Zeit  fiel  dem  Patienten  das  Trinken 
des  Wassers  vor  der  Mahlzeit  etwas  schwer;  doch  gewöhnte  er 
sich  nach  einigen  Tagen  vollständig  an  diese  Massregel. 

Die  Kost  wurde  unter  Berücksichtigung  der  oben  genannten 
Momente,  Vermeidung  von  Fett  und  Saucen,  viel  Flüssigkeit 
und  viel  Kartoffeln,  durch  die  allgemeine  Krankenkost  bestimmt. 
So  gestaltete  sich  der  wöchentliche  Speisezettel  z.  B.  in  der 
dritten  Woche  folgendermassen: 

18.  VII.  I.  Frühstück:  150  ccm  Tee«)  mit  Saccharin,  45  g  Semmel, 
10   g   Honig.    -^   2.   Frühstück:    300    ccm    Wasser,   85    g    Semmel,    20  g 


')  Der  Knabe  wurde  jeden  Morgen  vor  dem  ersten  Frühstück  in 
Hosen,  Hemd  und  Strümpfen  gewogen. 

3)  Zitiert  nach  Vierordt,  Anatomische  Tabellen.    Jena  1893. 

*)  Tee  und  Wasser  wurden  in  vorher  ausgemessenen  Gefässen  yer- 
abreicht;  die  Suppe  und  das  Essen  vor  den  Mahlzeiten  gewogen  und  das 
nicht  Verzehrte  zurückgewogen. 


110  Orgler,  Über  Entfettungskuren  im  Kindesalter. 

Honig;  um  12  Uhr  110  ccm  Wasser;  Mittagessen:  450  com  Wasser, 
330  g  Brühkartoffeln,  110  g  Rindfleisch,  60  g  Bohnengemüse.  Vesper: 
250  ccm  Tee  mit  Saccharin,  45  g  Semmel;  Abendessen:  450  ccm  Wasser, 
320  g  durchgeschlagene  Hafergrütze,  120  g  Kartoffeln. 

19.  VlI.  I.  Frühstück:  250  ccm  Tee  mit  Saccharin,  40  g  Semmel^ 
10  g  Honig;  II.  Frühstück:  85  g  Semmel,  175  ccm  Wasser;  Mittagessen: 
450  ccm  Wasser,  250  g  Brühe,  190  g  Kartoffeln,  90  g  Kalbsbraten,  110  g 
Apfelringe;  Abendessen:  450  ccm  Wasser,  410  g  Sappe  und  120  g 
Kartoffeln. 

20.  VII.  I.  Frühstück:  250  ccm  Tee  mit  Saccharin,  50  g  Semmel, 
10  g  Honig;  IL  Frühstück:  175  ccm  Wasser,  90  g  Semmel;  Mittagessen: 
450  ccm  Wasser,  480  g  Brühe,  80  g  Rindfleisch,  200  g  Kartoffeln,  um 
6Vs  Uhr  220  ccm  Selterwasser.  Abendessen:  450  ccm  Wasser,  310  g  Brot- 
suppe, 170  g  Kartoffeln. 

21.  VII.  I.  Frühstück:  250  ccm  Tee  mit  Saccharin,  40  g  Semmel, 
10  g  Honig;  II.  Frühstück:  150  ccm  Wasser,  80  g  Semmel,  20  g  Honig; 
Mittagessen:  450  ccm  Wasser,  420  g  Semmelsuppe,  130  g  deutsches  Beef- 
steak, 140  g  Kartoffeln,  100  g  Backpflaumen;  Abendessen:  450  ccm  Wasser, 
430  g  Griessnppe,  140  g  Kartoffeln. 

22.  VII.  I.  Frühstück:  100  ccm  Tee  mit  Saccharin.  45  g  Semmel, 
10  g  Honig;  II.  Frühstück:  100  ccm  Wasser,  85  g  Semmel,  20  g  Honig; 
Mittagessen:  450  ccm  Wasser,  380  g  Brühe,  100  g  Rindfleisch,  180  g 
Kartoffeln;  Vesper:  45  g  Semmel;  Abendessen:  450  ccm  Wasser,  280  g 
Brotsuppe,  140  g  Kartoffeln. 

23.  VII.  I.  Frühstück:  200  ccm  Tee  mit  Saccharin,  45  g  Semmel, 
10  g  Honig;  II.  Frühstück:  220  ccm  Wasser,  85  g  Semmel,  20  g  Honig; 
um  12  Uhr  250  ccm  Seiter;  Mittagessen:  300  ccm  Wasser,  280  g  Brühe, 
80  g  Kalbsbraten,  190  g  Kartoffeln;  Abendessen:  450  ccm  Wasser,  40  g 
Reissuppe,  150  g  Kartoffeln. 

24.  VII.  I.  Frühstück:  150  ccm  Tee  mit  Saccharin,  45  g  Semmel, 
10  g  Honig;  II.  Frühstück:  200  ccm  Wasser,  85  g  Semmel,  20  g  Honig; 
Mittagessen:  450  ccm  Wasser,  430  g  legierte  Suppe,  80  g  Schmorbraten, 
80g  Kartoffeln,  70  g  ged&mpfte  Kirschen;  um  6  Uhr  220  ccm  Selterwasser; 
Abendessen:    450  ccm  Wasser,  70  g  Wiener  Würstchen,  120  g  Kartoffeln. 

Vom  19.— 21.  VII.  und  vom  27.^VII.— 1.  VUI.  ein- 
schliesslich  wurde  ein  Stoffwechselversuch  zur  Bestimmung 
des  StickstofPumsatzes  vorgenommen.  Die  Nahrungsmittel 
wurden  täglich  analysiert,  ebenso  der  Stickstoff  in  Urin 
und  Kot  bestimmt.  Die  Abgrenzung  des  Kotes  geschab  im 
ersten  Versuch  mit  Kohle;  im  zweiten  Versuch  misslang  die  Ab- 
grenzung am  ersten  Tage,  so  dass  am  29.  VII.  eine  nochmalige 
Abgrenzung,  diesmal  mit  Blaubeeren,  vorgenommen  wurde.  Der 
zweite  vollständige  Versuch  umfasst  daher  nur  die  Tage  vom 
30.  VII.— 1.  VIII.  einschliesslich. 


Orgler,  Über  Entfettungskuren  im  Kindesalter. 
I.  Versuch: 


111 


Tag 

N  in 
Nahrung 

N  im 
Urin 

N  im     ; ,. T  D-i 
„  ^        N*Bilanz 
Kot 

Körpergewicht 

19.-20.  VII. 
20.-21.  VII. 
21.-22.  VII. 

7,6110 
8,2657 
8,5172 

7,1976 
6,9598 
7,063 

1,019 
1,019 
1,019 

—  0,6136 
+  0,2869 
-f  0,4852 

am  19.  VII.  69,600 
,    20.  VIT.  69,300 
,    21.  VII.  69.400 
,    22.  VII.  69,100 

Im  ersten  Yei*such  hat  also  Patient  500  g  in  den  3  Tagen 
abgenommen;  dabei  hat  er  am  ersten  Tage  0,6  g  N  vom  Stick- 
stoff des  Organismus  abgegeben,  am  zweiten  Tage  wird  die 
Bilanz  positiv;  er  retiniert  0,3  g  N  und  am  dritten  Tage  0,4  g 
N,  sodass  einer  Abgabe  von  0,6  g  N  eine  Retention  von  0,7  g 
gegenübersteht,    also    ein  Ansatz  von  0,1  g  N  stattgefunden  hat. 

II.  Versuch: 


Tag 

N  in 
Nahrong 

N  im 
Urin 

N  im 
Kot 

N-Bilanz 

Körpergewicht 

27.-28.  VII. 

8,7121 

9,0382 

0,9326») 

- 1,2587 

am  27.  VII.  68,550 

28.-29    VII. 

8,0145 

5,965 

0,9326«) 

+  1,1169 

„    28.  VII.  68,400 

29.-30.  VII. 

8,763 

7,1997 

0,9326») 

+  0,6307 

,    29.  VII.  68,250 

30.-31.  VII. 

7,9163 

6,8218 

0,8462 

+  0,2483 

„    30.  VII.  68,450 

31.VII.-1.VIII. 

8,0889 

6,5034 

0,8462 

-h  0,7393 

„    31.  VII.  68,800 

1.-2.  VIII. 

8,9999 

7,4315 

0,8462 

+  0,72if2 

„  .  1.  VIII.  68,100 
,    2.  VIII.  68,000 

Der  zweite  Versuch  zerfallt  in  zwei  Abschnitte;  in  der  ersten 
Periode  (27. — 29.  Juli)  wurde  nur  der  Nahrungsstickstoft  und  der 
Urinstickstoff  bestimmt,  da  die  Abgrenzung  des  Kotes  misslang; 
in  der  zweiten  Periode  wurde  auch  der  Kot  analysiert.  Ich  glaube 
keinen  allzu  grossen  Fehler  zu  machen,  wenn  ich  für  die  ersten 
drei  Tage  des  zweiten  Versuches  das  Mittel  aus  dem  Kotstickstoff 
des  ersten  und  dem  des  zweiten  Versuches  =0,9326  g  N  setzte. 

Dann  findet  sich  am  ersten  Tage  ein  Stickstoff defizit  von 
1,26  g  N,  am  zweiten  Tage  aber  eine  Ketention  von  1,12  g  N, 
am  dritten  Tage  werden  0,63,  am  vierten  0,25,  am  fünften  0,74, 
am  .sechsten  0,72  g  N  retiniert,  so  dass  in  den  sechs  Tagen  einer 
Abgabe  von    1,26  g  N    eine  Retention  von  3,46  g  N  gegenüber- 

^),  '),  '>  Die  Werte  für  den  Kotstickstofif  sind  das  Mittel  aus  dem  Kot- 
stickstoff  des  ersten  Versuches  und  dem  der  zweiten  Periode  des  zweiten 
Versuches. 


112  Orgler,  Über  EntfettuDgskaren  im  Kindesalter. 

stellt,  mithin  ein  Ansatz  von  2,2  g  N  stattgefunden  hat.  Dabei 
hat  das  Körpergewicht  am  550  g  abgenommen,  also  taglich  um 
ca.  90  g. 

Auffallend  sind  die  täglichen  Schwankungen  des  Stickstoff- 
umsatzes bei  ziemlich  gleichartiger  Kost.  Dies  tritt  namentlich 
im  zweiten  Versuch  henror,  wo  einem  Defibsit  von  1,2  g  N  am 
nächsten  Tage  ein  Plus  von  1,1  g  N  gegenübersteht.  Diese 
Differenzen  finden  sich  aber  auch  in  den  Dapp ersehen*)  Versuchen; 
hier  kommen  ganz  erhebliche  Schwankungen  vor,  so  von 
—  2,34  g  N  bis  +  3,61  g  N  (Versuch  I),  von  —  2,03  g  N  bis 
+  4,24  g  N  (Versuch  III)  bei  ziemlich  gleichmässiger  Kost. 
Worauf  diese  Schwankungen  beruhen,  dafür  kann  ich  keine  Er- 
klärung geben. 

Ganz  lehrreich  ist  auch  der  Verlauf  der  Gewichtskurve.  In 
der  ersten  Woche,  als  die  Nahrungsmenge  noch  nicht  völlig  aus- 
probiert war,  ging  das  Gewicht  in  den  ersten  Tagen  nur  wenig 
herab,  um  dann  in  drei  Tagen  um  1  kg  zu  sinken.  Diese  geringe 
Abnahme  der  ersten  Tage  ist  wohl  darauf  zurückzufuhren,  dass 
Patient  infolge  der  grossen  ungewohnten  Flüssigkeitszufuhr  an 
Wasser  ansetzte,  so  dass  der  Fettverlust  durch  diesen  Wasser- 
ansatz verdeckt  wurde.  Solche  unbedeutenden  Abnahmen  oder  sogar 
Gewichtszunahmen  zu  Beginn  einer  Entfettungskur,  die  nut  starker 
Flüssigkeitszufuhr  einhergeht,  z.  B.  bei  einer  Brunnenkur,  sind 
bekannt.  So  nahm  Dappers')  Patientin  E.  S.  (Versuch  II)  in 
4  Tagen  um  600  g  zu,  als  nach  einer  Periode  mit  geringer 
Flüssigkeitszufuhr  Kissinger  Brunnen  gereicht  wurde. 

Als  nun  bei  meinem  Patienten  in  den  folgenden  Tagen  ein 
stärkerer  Gewichtsverlust  eintrat,  als  meinen  Wünschen  entsprach, 
wurde  die  Nahrungsmenge  etwas  gesteigert.  Nachdem  so  von 
der  zweiten  Woche  an  die  Nahrung  genau  geregelt  war,  ging 
das  Körpergewicht  in  ziemlich  gleichmässiger  Kurve  herunter, 
hin  und  wieder  von 'Körperzunahmen  unterbrochen;  die  tägliche 
Abnahme  betrug  durchschnittlich  150  g.  Dabei  bestand  Stickstoff- 
gleichgewicht oder  ein  niöht  unbedeutender  Stickstoffansatz. 

Mit  diesem  Resultate  können  wir  ganz  zufrieden  sein;  in 
den  meisten  Dapp ersehen*)  Versuchen  —  ich  sehe  von  den  Ver- 
suchen   mit    Stichproben    ab    —  betrug  die  Gewichtsabnahme  in 

0  Dapper,  1.  c 
•)  Dapper,  L  c. 
*)  Dapper:  1.  c. 


Orgler,  Über  Entfettungskuren  im  Kindesalter.  113 

4  Wochen  4,4  kg;  4,8  kg;  4,1  kg.  In  seinem  Selbstversuch  er- 
zielte Dapper  allerdings  die  bedeutende  Abnahme  von  5,7  kg 
in  18  Tagen  und  einmal  in  einem  zehntägigen  Versuch  (Ver- 
such IV)  eine  solche  von  2,5  kg;  Magnus-Levy*)  erzielte  eine 
Abnahme  von  1,8  kg  in  4  Wochen;  bei  meinem  Patienten  be- 
trug die  Gewichtsabnahme  4,25  kg  in  4  Wochen  und  wurde  ledig- 
lich durch  Änderung  der  Nahrungsqualität  nach  den  Rosenfeld- 
schen  Prinzipien  (Vermeidung  von  Fett,  Zufuhr  grosser  Flüssig- 
keitsmengen und  viel  Kartoffeln)  erreicht,  ohne  dass  Muskelubungen 
oder  gar  Schwitzbäder  als  Hilfsmittel  herangezogen  wurden. 

Fragen  wir  uns  zum  Schluss  noch,  wodurch  die  Fettleibig- 
keit bei  unseren  Patienten  bedingt  ist,  so  glaube  ich,  dass  man 
in  diesem  Falle  eine  konstitutionelle  Fettsucht  ausschliessen  kann. 
Die  Leichtigkeit,  mit  welcher  Patient  sich  entfetten  Hess,  spricht 
entschieden  dagegen.  Wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  dass  die 
häusliche  Kost  in  Rücksicht  auf  den  Diabetes  der  Mutter  sehr 
viel  Fett  und  nur  wenig  Kohlehydrate  enthielt,  dass  Patient  also  eine 
an  Volumen  nicht  *zu  grosse,  aber  sehr  kalorienreiche  Nahrung  zu 
sich  nahm,  so  wird  man  wohl  diesen  Umstand  als  die  haupt- 
sächlichste Ursache  für  das  Zustandekommen  dieser  hochgradigen 
Fettleibigkeit  ansehen  müssen.  Den  Fettansatz  unterstützte  dann 
die  körperliche  Trägheit  des  Patienten,  die  allerdings  auch  eine 
Folge  seiner  hochgradigen  Fettleibigkeit  sein  kann. 


>)  Magnus-Levy:  l.  c. 


J&brbuch  f.  Kiuderheilkunde.    N.  F.    XLI.  Heft  1. 


IX. 

Ober  den  Kalk^rehalt  des  SäugUngsgehinis  und  seine 

Bedeutung. 

Von 

Dr.  ROBERT  QüEST 

VolontinMitteiiteii  der  KUaik. 

Die  Veranlassung  zu  den  vorliegenden  Untersuchungen  gaben 
die  Arbeiten  Sabbatanis')  und  seiner  Schüler  Regoli  etc.,  welche 
an  Tieren  die  biologische  Wirkung  des  Kalkes  auf  das  Nerven- 
system studierten.  Danach  haben  die  geringen  Mengen  Kalk, 
die  sich  normalerweise  in  den  Muskeln  und  nervösen  Zentren 
vorfinden,  einen  dauernden  mässigendenEinfluss  auf  dieErregbarkeit 
derselben.  Die  normale  Erregbarkeit  der  Grosshimrinde  ist  von 
einem  bestimmten  Gehalt  an  aktivem  Kalk  abhängig.  Eine  Ver- 
minderung des  Kalkgehaltes  der  Hirnrinde  erhöht  die  Reizbarkeit 
derselben  bis  zum  Ausbruch  von  epileptischen  Konvulsionen, 
während  eine  Erhöhung  des  Kaikgehaltes  über  die  Norm  die 
Reizbarkeit  herabsetzt. 

Die  Versuche  wurden  von  Sabbatani  folgendermassen  aus- 
geführt: 

Es  wurden  bei  Hunden  ohne  Anwendung  von  Narcoticis 
die  motorischen  Rindenfelder  einer  oder  beider  Hemisphären 
freigelegt  und  durch  den  Rollenabstand  eines  Induktionsapparates 
die  Minimalzuckung  festgestellt.  Dann  wurde  eine  dem  Hunde- 
blute  isotonische  CaCl^-Lösung  mit  einem  Baumwolienbausche 
einige  Minuten  lang  appliziert  und  wieder  die  Minimalzuckung  be- 
stimmt. Der  Effekt  war  in  allen  Versuchen  der,  dass  die  Er- 
regbarkeitherabgesetzt wurde,  so  z.  B.  im  fixperimente  2  (Regoli): 
Vor  der  Applikation  der  5  pCt.  CaCIs-Lösung  Minimalzuckung 
bei  130  mm  RA;  nach  zwei  Minuten  langer  Applikation  der 
Lösung    trat    die    Minimalzackung    bei    125  mm  RA,    nach    fünf 


^)  SabbataDi,     ImportaDza    del    calcio    cbe    trovasi    nella    corteccia 
cerebrale.     Rivist.  sperim.  di  freniatria  1901.  * 


Qu  est,  Über  deo  Kalkgehalt  des  Säaglingsgehiros  etc.  115 

Minuten  bei  110  und  nach  einigen  weiteren  Minuten  erst  bei 
90  mm  RA.  auf.  Der  Einfluss  des  Kalkes  auf  die  Hirnrinde 
wurde  aber  noch  auf  eine  andere  Weise  geprüft.  Bekanntlich 
wird  der  Kalk  aus  seinen  Lösungen  durch  Citrate,  Oxalate  etc. 
gefallt,  und  diese  chemische  Eigenschaft  der  genannten  Ver- 
bindungen wurde  nun  auch  benutzt,  um  Kalk  der  Hirnrinde  zu 
entziehen. 

Ihre  Anwendung  hatte  die  entgegengesetzte  Wirkung  auf 
die  Hirnrinde  als  die  Kalklösung  und  rief  nach  länger  dauernder 
Applikation  einen  allgemeinen  epileptischen  Anfall  hervor,  so 
z.  B.  im  Versuche  6:  normale  Erregbarkeit  130  mm  RA.,  nach 
einmaliger  Anwendung  einer  Natrium  oxalicum-Lösung  140  mm  RA., 
nach  der  vierten  Applikation  165  mm  RA.  und  nach  der  fünften, 
Auftreten  von  allgemeinen  Krämpfen.  Im  Versuche  10  wurden 
auf  derselben  Hemisphäre  zuerst  eine  CaCl^Lösung,  dann  eine 
Trinatriumcitrat-Lösung  nacheinander  aufgelegt  mit  demselben 
Erfolge  wie  in  den  früheren  Versuchen.  Durch  diese  physio- 
logischen Versuche  wurde  also  festgestellt,  dass  eine  auf  die 
Hirnrinde  applizierte  Kalklösung  die  Erregbarkeit  derselben 
herabsetzt.  Über  den  Mechanismus  der  Einwirkung  der  Kalk- 
lösung spricht  sich  Sabbatani  überhaupt  nicht  aus.  Roncoroni^) 
vermutet,  dass  sie  nach  der  Arrheniusschen  Theorie  stattfinde. 
Diese  Arbeiten  eröffneten  einen  neuen  Gesichtskreis  für  das 
Studium  der  mit  Krämpfen  einhergehenden  Erkrankungen,  besonders 
der  Epilepsie.  Auf  Anregung  Sabbatanis  hat  Roncoroni') 
bei  drei  Epileptikern  therapeutische  Versuche  in  dieser  Richtung 
hin  angestellt.  Er  wählte  dazu  eine  Calciumbromat-Lösung, 
welche  subkutan  injiziert  wurde.  Hierbei  sollte  sich  die  Wirkung 
des  Calcium  und  des  Brom  summieren.  Bei  zwei  Epileptikern 
ging  die  Anzahl  der  Anfälle  zurück,  beim  dritten  blieb  die 
Therapie  erfolglos.  Roncoroni  meint,  es  müsse  sich  in  diesemFalle, 
welcher  mit  Idiotie  kompliziert  war,  wahrscheinlich  um  schwere 
anatomische  Veränderungen  des  Gehirnes  handeln. 

Im  Hinblick  auf  die  grosse  Wichtigkeit  der  Sache  —  ist 
doch  die  Pathogenese  der  funktionellen  Krämpfe  besonders  im 
Kindesalter  noch  völlig  rätselhaft  —  schien  es  von  Interesse  zu 
sein,  nachzusehen,  ob  man  die  Richtigkeit  der  Theorie  Sabbatanis 


^)  Roncoroni,    Alcune  esperienze  intorno  all'  azione  del  calcio  sulla 
corteccia  cerebrale.    Rivista  sperim.  di  freniatria  1908. 

))  Roncoroni,   Aumento    delP    eccitabilita    corticale    e    fenomeni    di 

epilessia Estratto  dall'  Archivio  di  Psichiatria.     Vol.  XXIV.  1903. 

8» 


116  Qu  est,  Über  den  Kalkgehalt 

nicht  auf  einem  anderen  Wege  ermitteln  könnte  und  zwar  vor 
allem  durch  Bestimmung  des  Kalkgehaltes  in  Gehirnen  von 
Kindern,  die  unter  Erscheinungen  von  Krämpfen  ad  exitum 
gekommen  sind;  andererseits  drängte  sich  die  Frage  auf,  ob  und 
in  welcher  Beziehung  der  etwa  pathologisch  veränderte  Kalk- 
gehalt des  Gehirnes  zum  Kalkstoffwechsel  im  allgemeinen  stehe. 
Dass  wir  durch  die  Ernährung  die  Erscheinungen  der  Tetanie 
und  anderer  funktioneller  Neurosen  des  Kindesalters  beeinflussen 
können,  ist  durch  die  Arbeiten  Gregors ^  und  spätere  Mit- 
teilungen Finkelsteins^),  Thiemichs')  und  Japhas^)  bekannt 
geworden.  Es  ist  durch  diese  Arbeiten  festgestellt  worden,  dass 
durch  Frauenmilchernährung  und  Wasserdiät  die  elektrische 
Übererregbarkeit  binnen  24  bis  48  Stunden  herabgedruckt 
werden  könne,  während  bei  der  Ruckkehr  zur  kunstlichen  Er- 
nährung die  Krankheitssymptome  wieder  prompt  zurückkommen» 
Dass  irgend  ein  bestimmter  Bestandteil  der  Nahrung,  wie  ihn 
Finkelstein  in  der  Molke  gefunden  zu  haben  glaubt,  die 
Nervenüberregbarkeit  verursache,  ist  nicht  anzunehmen.  Es 
sprechen  dagegen  die  Erfahrungen,  welche  an  der  Breslauer 
Klinik  gemacht  wurden,  indem  doch,  wenn  auch  vereinzelte^ 
Tetaniefälle  bei  ausschliesslicher  Ernährung  an  der  Brust  und  bei 
Allaitement  mixte  beobachtet  wurden,  bei  welchem  die  Zufütterung 
lediglich  aus  Kohlehydraten  bestand.  Jedenfalls  ist  das  eine 
sicher,  dass  es  bei  rationell  durchgeführter  natürlicher  Ernährung 
so  gut  wie  keine  Tetanie  gibt,  und  dass  keine  künstliche  Er- 
nährung den  Säugling  sicher  vor  dieser  Erkrankung  zu  schützen 
vermag.  Alle  diese  Umstände  sprechen  dafür,  dass  es  sich  bei 
den  funktionellen  Hyperkinesen  der  Säuglinge  um  eine  Schädigung 
des  Stoffwechsels,  vielleicht  des  Kalkstoffwechsels,  handle. 
Inwiefern  sich  diese  Zustände  mit  der  bekanntesten,  mit  Kalk- 
armut des  Organismus  einhergehenden  Konstitutionsanomalie  — 
der  Rachitis  —  in  Einklang  bringen  lassen,  ist  noch  nicht  er- 
wiesen. Allerdings  wäre  die  Anschauung,  dass  es  sich  bei  den 
genannten  Störungen  um  eine  dauernde  oder  temporäre  Ab- 
normität des  Kalkbestandes  des  Gehirnes  handle,  plausibler,  als 
die  Kassowitzsche  Theorie,    nach  welcher    bekanntlich  die  ent- 


0  Arch.  f.  Kinderheilk.  XXIX.  Bd.  1900.  S.44,  u.Monatsschr. f. Psychiatrie 
u.  Neurologie.  Bd.  X.  Heft  2.      / 

>)  Finkelstein,  Fortschritte  der  Medizin,  Bd.  20,  1902. 

»)  Thiemich,  Revue  d'hygieoe  et  de  raedecine  infantiles.  Tome  IL  1908» 

*)  Japha,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1903,  S.  1126. 


des  Säagliogsgehirns  aod  seine  Bedeatung.  117 

zundliche  Hyperämie  des  rachitischen  Schädels  einen  Reiz  aut 
die  corticalen  Zentren  ausüben  sollte. 

Bei  meinen  Untersuchungen  habe  ich  mich  darauf  beschränkt, 
den  Ealkgehalt  in  Gehirnen  von  Kindern  mit  normalem  und 
abnormem  Nervensystem  festzustellen. 

Zur  Verarbeitung  gelangten  insgesamt  12  Gehirne,  und  zwar 
2  Gehirne  von  Föten,  1  von  einem  Neugeborenen,  4  von  normalen 
Kindern,  3  Gehirne  von  Kindern  mit  Tetanie  und  2  von  Kindern 
mit  Muskelhypertonie. 

Wegen  der  geringen  Kalkmengen  im  Gehirne  musste  auf 
•die  Bestimmung  derselben  in  der  Hirnrinde  allein  verzichtet 
und  die  ganze  Gehirnmasse  verarbeitet  werden. 

Die  Methode,  deren  ich  mich  dabei  bediente,  war  im 
jiUgemeinen  dieselbe,  welche  in  Hoppe-Seylers  Lehrbuch  der 
physiologischen  Chemie  angegeben  ist:  Das  Gehirn  wurde  von 
•den  Häuten  und  Gefässen  möglichst  sorgfältig  befreit,  dann  zer- 
kleinert und  mit  Alkohol  zu  einem  Brei  zerrieben.  Derselbe 
wurde  auf  dem  Wasserbade  getrocknet,  pulverisiert,  durch  mehrere 
Tage  mit  80pCt.  Alkohol,  heissem  Alkohol,  Chloroformalkohol 
behandelt  und  schliesslich  im  Sox  hl  et  sehen  Ätherextraktions- 
apparate vollkommen  entfettet. 

Bei  diesem  Vorgange  wurden  Fett,  Lecithin,  Protagon  etc. 
«ntfernt,  und  es  brauchte  deshalb  nicht  unnutz  viel  Substanz 
zur  Verarbeitung  gelangen,  was  bei  den  geringen  in  Betracht 
kommenden  Kalkmengen  von  Vorteil  war.  Die  Schwankungen 
des  N-Gehaltes  in  dem  zur  Verarbeitung  verwendeten  Material 
sind,  wie  aus  den  Tabellen  zu  ersehen  ist,  nur  gering  (10,63 
bis  12,31  pCt.). 

Dieser  Umstand  spricht  für  die  Gleichmässigkeit  des  Materials. 
Wegen  des  fast  konstanten  N-Gehaltes  des  verwendeten  Gehirn- 
pulvers  habe  ich  auch  den  Kalkgehalt  auf  diese  Grösse  bezogen 

N 
und   denselben   als  Quotienten  -p—  angegeben. 

Von  dem  feinen  Pulver  wurde  ein  Teil  zur  Ca-Bestimmung, 
•ein  zweiter  zur  N-Bestimmung  und  ein  dritter  zur  Bestimmung 
-der  Trockensubstanz  genommen. 

Das  Ca  wurde  nach  vorherigem  Ausfällen  des  Fe  durch 
Ammon.  oxalic.  ausgefällt,  als  CaO  gewogen  und  auf  die  Werte 
für  Ca  umgerechnet.  Der  N- Gehalt  wurde  nach  der  Kjeld abl- 
ochen Methode  bestimmt. 


Gehirn- 
Genvicht 

NpCt. 

Ca  pCt. 

N 
Ca 

63,9  g 

13,4 

0,168 

79 

145     , 

11,71 

0,164 

71 

339,6  , 

10,63 

0,107 

99 

605     , 

11,44 

0,072 

15S 

1119     „ 

12,20 

0,074 

164 

— 

11,20 

0,067 

167 

1204     g 

11,54 

0,0506 

228 

118  Quest,  Über  den  Kalkgehalt 

Es  verhielt  sich  nun  der  Ealkgehalt  der  Gehirne  von  Kindern 
mit  normalem  Nervensystem  folgend ermassen: 


No.  1.  7  Monate  alter  Fotos  i)  .  . 
No.  2.  8  Monate  alter  Fötus  .  .  . 
No.  8.  Neugeborenes,  1  Tag  alt  .  . 
No.  4.  Willy  H.,  4  Monate  alt  .  . 
No.  5.  Rudolf  H.,  1  J.  4  Mon.  alt 
No.  6.  Carl  S.,  2^8  Jahre  alt»)  .  . 
No.  7.     Curt  L.,  8  Jahre  alt    .    .    . 

Kind  No.  3:  Zwilling. 

Kind  No.  4  ist  an  einer  akuten  Magen  darmerk  rankung  mit  Sklerem 
gestorben. 

Kind  No.  5:  Akute  Magendarmerkrankung  mit  beginnender  Kerato- 
malacie. 

Kind  No.  6:  Schwere  septische  Scarlatina  und  Tuberculosis  pulmonum. 
Rachitische  Auftreibungen  der  Epiphysen. 

Kind  No.  7:  Nephritis  post  scarlatinam,  Pneumonie,  starke  Herz* 
dilatatioo,  keine  Urämie. 

Aus  obiger  Zusammenstellung  ist  zu  ersehen,  dass  der  Kalk- 
gehalt des  Gehirnes  beim  Fötus  und  Neugeborenen  auffallend 
hoch  ist,  während  er  später  ziemlich  schnell  abnimmt,  so  dass  das 
4  Monate  alte  Kind  bereits  nur  halb  soviel  Gehirnkalk  besitzt, 
als  der  7 — 8  Monate  alte  Fötus.  Bei  den  nächstfolgenden  älteren 
Kindern  nimmt  derselbe  allmählich  aber  konstant  mit  zunehmendem 
Alter  ab. 

Dieses  rasche  Sinken  des  Kalkgehaltes  des  Gehirnes  in  den 
ersten  Lebensmonaten  ist  aus  den  Entwicklungsverhältnissen  des- 
selben wohl  erklärlich.  Nach  den  Untersuchungen  von  Toyo- 
naga^)  enthält  nämlich  die  zellkernreiche  Hirnrinde  bei  Pferd 
und  Kalb  viel  mehr  Kalk  als  die  zellkernarme  Marksubstanz. 
Er  führt  diese  Tatsache  in  Übereinstimmung  mit  den  Befunden 
von  Loew  auf  den  Umstand  zurück,  dass  der  Kalkgehalt  mit  der 
Anzahl  der  Zellkerne  steigt.  Nun  wissen  wir  aber,  dass  beim 
Neugeborenen  die  graue  Gehirnsubstanz  bei  weitem  mehr  ausge- 
bildet ist,  als  die  weisse,  die  sich  erst  im  Laufe  des  1.  und  2. 
Lebensjahres  entwickelt. 


1)  Von  diesem  Gehirne  wurde  nur  eine  N-  und  eine  Ca -Bestimmung 
gemacht.  Diese  Zahlen  sind  auf  das  entfettete  Ausgangsmaterial  berechnet^ 
während  alle  anderen  auf  absolute,  fettfreie  Trockensubstanz  berechnet  sind. 

*)  Ohne  Kleinhirn  zur  Verarbeitung  genommen. 

*)  Toyonaga,  Bull,  of  the  KoU.  of  Agric.  Tokio  5  zitiert  nach  dem 
Refer.  in  Malys  Jahresb.  für  Tierchemie  1902,  S.  530. 


des  Säugliogsgehims  und  seine  Bedeutung.  119 

Die  Verringerang  des  Ealkgehaltes  des  Gehirnes  mit  zu- 
nehmendem  Alter  fände  also  in  der  anatomischen  Entwicklung 
eine  Erklärung. 

Aus  meinen  Untersuchungen  ergibt  sich  natürlich  nicht  ohne 
weiteres  als  Tatsache,  dass  die  Gehirnrinde  des  Neugeborenen 
kalkreicher,  als  die  des  Erwachsenen  ist;  nehmen  wir  dies  aber 
zunächst  einmal  an  und  fragen  wir:  Wie  verhält  sich  dies  zur 
Theorie  von  Sabbatani? 

Ergibt  sich  aus  den  obigen  Untersuchungen,  dass  der  Kalk- 
gehalt  im  Gehirne  des  Neugeborenen  grösser  ist,  so  drängt  sich 
die  Frage  auf,  ob  entsprechend  der  Theorie  von  Sabbatani  die 
Erregbarkeit  in  diesem  Lebensalter  geringer  ist.  —  Dies  ist  nun 
nach  den  vorliegenden  Untersuchungen^)  tatsächlich  der  Fall. 

Soltmann  hat  durch  Versuche  bei  jungen  Hunden  und 
Katzen  festgestellt,  dass  den  Neugeborenen  dieser  Tierspecies  die 
elektrische  Erregbarkeit  der  motorischen  Rindenbezirke  voll- 
kommen fehlt. 

Wenn  auch  diese  Untersuchungen  von  den  Nachuntersuchern 
nicht  im  vollen  Umfange  bestätigt  worden  sind,  indem  es  nämlich 
Paneth  gelungen  ist,  bei  jungen  Welpen  durch  elektrische 
Reizung  der  Rindenzentren  Zuckungen  hervorzurufen,  so  besteht 
doch  die  Tatsache  zu  Recht,  dass  beim  Neugeborenen  aller  Tier- 
arten und  auch  beim  Menschen  (wie  der,  wenn  auch  nicht  ein- 
wandsfrei  beobachtete  Fall  von  C.  Westphal  zeigt)^)  die  Erreg- 
barkeit viel .  geringer  ist. 

Das  physiologische  Sinken  des  Ealkgehaltes  geht  in  den 
ersten  Lebensmonaten  rasch  vor  sich,  in  der  zweiten  Hälfte  des 
ersten  Lebensjahres  dagegen,  also  gerade  in  der  kritischen  Zeit, 
wo  die  meisten  Tetanieerkrankungen  vorkommen,  langsamer  und 
nähert  sich  allmählich  dem  Verhalten  beim  älteren  Kinde. 

Wie  verhält  sich  nun  der  Kalkgehalt  des  Gehirnes  in  patho- 
logischen Fällen,  zunächst  bei  der  Tetanie?  Hier  sollte  man 
nach  Sabbatani  eine  Verminderung  des  Hirnrindenkalkes  vor- 
aussetzen. 


1)  Siehe  Literatur  bei  Thiemich:  Über  die  Funktionsfäbigkeit  der 
mot.  Rindenfelder  beim  Säuglinge.  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin  1902.  Bd.  45. 
Heft  8  und  4. 

')  C.  Westphal  konnte  bei  einem  neugeborenen  Kinde,  dessen  Gehirn 
nur  von  der  Pia  bedeckt  zu  Tage  lag,  analog  den  Soltmannschen  Ver- 
suchen keine  Erregbarkeit  der  Hirnrinde  finden. 


120  Qu  est,  Über  den  Kalkgehalt 

Unter    den    von    mir    untersuchten  Gehirnen   befinden    sich 

drei  von  Kindern,  welche  mit  eklamptischen  Konvulsionen  ad  exitum 

gekommen  sind,  und  zwar 

Gehirn-      ^,    «        «      ^  N 

gewicht      NpCt.      CapCt.         ^ 

Kind  No.  6.     Erich  L.»),  10  Mou.  692  g       11,05         0,041  269 

„     7.     Gertrnd  P.,  11  Mon.         816  „       11,295        0,047  240 

„     8.     Frieda W.,  IJ.  11  Mon.  1010  „       12,11  0,0535  226 

Makroskopisch  boten  alle  drei  Gehirne  keine  pathologisch- 
anatomischen Veränderungen  dar. 

Kiod  No.  6.  Keine  Rachitis.  4  Tage  voi  dem  Exitas  Krämpfe. 
Facialis  -  Phänomen,  einige  laryngospastische  Anfälle.  Der  Tod  erfolgte 
während  eines  eklamptischen  Anfalles. 

Kind  No.  7.  Mit  Erscheinungen  manifester  Tetanie:  Facialis- Phänomen, 
typische  laryngospastische  Anfälle,  dauernd  spontane Totaniestellung  der  Hände, 
Krämpfe.     Keine  Zeichen  von  Rachitis. 

Kind  No.  8  Rachitis  hohen  Grades.  Hatte  bereits  mit  1  J.  5  Mon. 
Krämpfe  gehabt.  Mit  1  J.  11  Mon.  zahlreiche  Anfälle  von  Stimmritzenkrampf, 
starkes  Facialis-Phänomen.     Dififuse  Bronchitis. 

Vergleicht  man  den  Kalkgehalt  der  Tetaniegehirne  mit  dem 
der  entsprechend  annähernd  gleichaltrigen  normaler  Kinder,  so 
sieht  man,  dass  der  Kalkgehalt  der  ersteren  geringer  ist.  Aus 
der  geringen  Anzahl  der  untersuchten  Tetanikergehirne  kann  man 
jedenfalls  noch  keine  endgültige  Schlussfolgerung  auf  die  Ab- 
hängigkeit der  Übererregbarkeit  von  der  Kalkarmut  des  Gehirnes 
ziehen.  Beim  Kinde  No.  6  steht  noch  die  Frage  offen,  ob  der 
auffallend  niedrige  Kalkgehalt  des  Gehirnes  nicht  doch  durch  die 
Formalininjektion  in  irgend  welcher  Weise  bedingt  ist. 

Die  letzte  Gruppe  der  untersuchten  Gehirne  gehört  Kindern 
an,  welche  während  ihres  Lebens  Symptome  von  allgemeiner 
Muskelhypertonie  aufwiesen,  ein  Krankheitsbild,  wie  es  von 
Czerny  und  Moser*)  und  Gregor*)  beschrieben  worden  ist.  Eines 
von  ihnen  zeigte  zeitweise  elektrische  Übererregbarkeit;  die 
letzten  Tage  vor  dem  Exitus  wies  es  normale  elektrische  Werte 
auf,  bei  dem  zweiten  konnte  während  der  mehrwöchentlichen 
klinischen  Behandlung  nie  eine  elektrische  Übererregbarkeit 
konstatiert    werden.     Der  Kalkgehalt   beider  Gehirne  zeigt  keine 


1)  Das  Kind  No.  6  wurde  post  mortem  zu  anderen  Zwecken  nach  der 
Gregor  sehen  Methode  mit  Formalin  injiziert.  S.  ausführliche  Kranken- 
geschichte bei  Tada  (S.  163  dieses  Heftes). 

»)  Jahrb.  f.  Kinderheilk.     N.  F.     XXXVIII.     1894.     p.  449. 

»)  1.  c. 


des  S&ugliog8gehiros  iiod  seine  Bedeutung.  121 

übereinstimmenden  Werte,  sodass    man  aus  diesen  Zahlen  keinen 

Schluss  ziehen  kann. 

Gehirn-      ^,    ^        ^      ^  N 

gewicht     NpCt.      CapCt.        ^ 

Kind  No,     9.    Paul  ü.,  3  Mon.  514  12,31         0,065  189 

,        „     10.    Paul  B.,  4  Mon.  535  11,68         0,075  155 

Aus  meinen  vorliegenden  Untersuchungen  ergeben  sich  zwei 
Kesultate: 

Das  erste,  wie  ich  glaube,  wohl  gesicherte,  ist  die  Tatsache,  dass 
der  Ealkgehalt  im  Gehirne  des  Neugeborenen  relativ  hoch  ist 
und  in  der  weiteren  Entwicklung  in  gesetzmässiger  Weise  ab- 
nimmt, und  zwar  in  den  ersten  Lebensmonaten  rapider,  dann 
allmählicher.  Das  zweite  Ergebnis,  welches  bei  der  naturgemässen 
Seltenheit  des  Materiales  aus  nur  wenigen  Beobachtungen  hat 
abgeleitet  werden  müssen,  ist  dies,  dass  die  Gehirne  von  tetanie- 
kranken  Kindern  im  Vergleiche  mit  den  von  tetaniefreien  einen 
auffallend  geringen  Ealkgehalt  aufgewiesen  haben. 

Bei  der  hohen  prinzipiellen  Wichtigkeit  dieser  Befunde  bleibt 
es  natürlich  wünschenswert,  dieselben  erst  dann  als  absolut  sicher 
zu  weittragenden  Schlüssen  zu  verwenden,  wenn  sie  durch  zahl- 
reichere Untersuchungen  ihre  Bestätigung  gefunden  haben  werden. 


X. 

Zur  Kenntnis  der  natürlichen  Immunität  des  Kindes 
im  ersten  Lebensjahre.  0 

Von 

Dr.  ALADÄR  SCHÜTZ. 

VolonttrasslitenUn  der  Kliuik. 

Die  Frage,  wie  weit  der  Darmtractus  der  Säuglinge  gegen 
Gifte  und  Bakterien  geschützt  ist,  war  im  letzten  Dezennium 
Gegenstand  mancher  Versuche  und  Betrachtungen. 

V.  Zaremba^),  welcher  die  Schutzvorrichtungen  des  Darm- 
tractus gegen  Gifte  studierte,  fuhrt  aus  der  Literatur  nur  zwei 
an  menschlichlichen  Föten  vorgenommene  Untersuchungen  an. 
Charrin  fand,  dass  die  giftzerstörende  Fähigkeit  der  Leber  bereits 
im  5.  Monate  des  Fötallebens  besteht,  und  Roger  sah,  dass  die 
Leber  eines  Fötus,  falls  sie  glykogen haltig  ist,  bei  Bruttemperatur 
Alkaloide  unwirksam  macht. 

V.  Zaremba  prüfte  bei  4  Kindern  die  entgiftende  Wir- 
kung von  Pancreasextrakt  gegenüber  Diphtherietoxin.  Von  drei 
an  verschiedenen  Krankheiten  gestorbenen  Säuglingen  im  Alter 
von  4  Wochen,  4  und  4^2  Monaten  entgiftete  das  Pancreasextrakt 
die  20,  7  bez.  15  fach  tödliche  Giftdosis,  und  in  einem  Falle, 
welcher  ein  4  Monate  altes  Kind  betraf,  erwies  es  sich  un- 
wirksam. 

Ich  machte  es  mir  zur  Aufgabe,  die  Schutzkraft  des  Magen- 
saftes neugeborener  Kinder  gegenüber  Bakteriengiften  zu  prüfen. 
Die  zu  den  Untersuchungen  ausgewählten  neugeborenen  Kinder 
stammten  aus  der  kgl.  Universitäts-Frauenklinik,  deren  Direktor 
Prof.  Küstner  ich  für  diese  Unterstützung  grossen  Dank  schulde. 
Die  älteren  gesunden  und  kranken  Säuglinge,  deren  Mageninhalt 

1)  EiDe  Yorläufige  Mitteilung  erfolgte  im  Budapesti  Orvosi  Ujeag. 
1904.    No.  3.    Jao. 

»)  Arch.  f.Verdauungskrankh.    Bd.  VI.     1900. 


Schütz,  Zar  Kenntnis  der  natürlichen  Immunität  etc.  123 

ich    zu  Untersuchungen    verwendete,    wurden    dem  Materiale  der 
Kinderklinik  entnommen. 

Zur  Prüfung  der  toxinhemmenden  resp.  -vernichtenden  Eigen- 
schaft des  Magensaftes  benutzte  ich  das  in  seinen  Eigenschaften 
best  studierte  Diphtherietoxin^,  welches  mir  von  den  Farbwerken 
vorm.  Meister,  Lucius  u.  Brüning  in  Höchst  bereitwilligst 
zur  Verfügung  gestellt  worden  war. 

Die  Technik  meiner  Versuche  war  folgende:  1  Teil  der 
0,5  pCt.  Karbolsäure  haltigen  Dtoxinbouillon  wurde  mit  4  Teilen 
steriler  0,8  pCt.  NaCl-Lösung  versetzt.  Da  diese  Mischung  in 
2  Wochen  trübe  wurde  (negat.  bakter.  Befund),  ohne  dabei  an 
toxischer  Kraft  einzubüssen,  benutzte  ich  vom  5.  Versuche  an 
zur  Verdünnung  eine  mit  0,5  pCt.  Karbolsäure  versetzte  Koch- 
salzlösung. Die  Toxinlösung  blieb  darnach  klar.  Sie  wurde  im 
Finstem  im  Eisschranke  aufbewahrt.  Durch  Vorversuche  wurde 
festgestellt,  dass  0,025  cm'  der  Toxinverdünnung  resp.  0,005 
unverdünntes  Toxin  100  g  Meerschweinchen  ziemlich  genau  in 
24  Stunden  tötete,  was  ungefähr  der  3 fachen  Dosis  letalis  minima 
entsprach.  (Dosis  let.  min.  ist  die  Toxinmenge,  die  100  g  Meer- 
schweinchen in  4  Tagen  tötet.)  Ich  verwendete  so  hohe  Toxin- 
dosen,  um  die  toxinhemmende  resp.  -vernichtende  Wirkung  des 
Magensaftes  möglichst  klar  zu  veranschaulichen. 

Alle  zu  den  Versuchen  notwendigen  Gegenstände  wurden  in 
heisser  Luft  sterilisiert.  Der  Mageninhalt  wurde  bei  Brustkindern 
1^/4,  bei  künstlich  genährten  Kindern  l*/a — 2Stunden  nach  beendeter 
Mahlzeit  mit  vorher  ausgekochter  Magensonde  ausgehebert,  in 
Glasgefässen  aufgefangen  und  in  Porzellanschalen  zu  einer  mög- 
lichst homogenen  Masse  verrieben.  Diese  Masse  verwendete  ich 
stets  unfiltriert. 

Jeder  Mageninhalt  wurde  auf  freie  Salzsäure  (Günzburgsches 
Reagens)  untersucht.  Es  ist  bemerkenswert,  dass  in  den  von  mir 
untersuchten  Fällen  niemals  freie  Salzsäure  nachweisbar  war,  ob- 
zwar  der  Mageninhalt  stets  zu  einer  Zeit  nach  der  Nahrungs- 
aufnahme ausgehebert  wurde,  zu  der  man  nach  den  schon  vor- 
liegenden Erfahrungen  freie  Salzsäure  hätte  erwarten  können. 
Wenn  Mageninhalt  in  genügender  Menge  vorhanden  war,  wurde 
auch  die  Gesamtacidität  ermittelt.  Endlich  ist  noch  zu  erwähnen, 
dass  zumeist  vom  Mageninhalte  auf  Serumplatten  abgeimpft 
wurde. 


1)  Der  Kurze  halber  bezeichne  ich  es  im  folgenden:  Dtozin. 


124  Schütz,  Zar  Kenntnis  der  natürlichen  Immunität 

Durch  besondere  Untersuchungen  wurde  festgestellt,  ob  nicht 
schon  die  Milch,  welche  die  zu  meinen  Beobachtungen  herange- 
zogenen Kinder  bekamen,  antitoxische  Eigenschaften  besass.  Zu 
diesem  Zwecke  wurden  bei  firastkindem  vor  und  nach  dem 
Anlegen  des  Kindes  Proben  der  Frauenmilch  gesammelt.  Bei 
künstlich  genährten  Kindern  wurde  ein  Teil  der  Nahrung  zur 
Untersuchung  reserviert.  Alle  Milchproben  wurden  bis  zur  Be- 
nutzung auf  Eis  aufbewahrt. 

Die  Mischungen  von  Toxin  mit  Mageninhalt  oder  Milch  wurden 
mit  einer  in  100  Teile  geteilten  1  cm'-Pipette  in  Uhrschälchen 
hergestellt.  Sie  wurden  stete  mit  einer  0,8  pCt.  NaCl-Lösung 
auf  ein  einheitliches  Volumen  gebracht  und  ^^ — ^U  Stunden  lang 
im  Thermostaten  der  Brutwärme  ausgesetzt.  Die  Menge  der  an- 
gewandten Toxinmischungen  wurde  stets  auf  100  g  Tierkörper- 
gewicht berechnet. 

•  . 

Die  Versuchstiere  (Meerschweinchen)    wurden    schon  einige 

Tage  vor  den  Versuchen  täglich  gewogen.     Es  wurden  meist  nur 

an  Gewicht  zunehmende  Tiere  verwendet. 

Ich  impfte  subkutan  in  der  Bauchgegend,  selbstverständlich 
unter  aseptischen  Kautelen.  Die  Tiere  wurden  nach  der  Impfung 
anfangs  täglich,  später  jeden  2.  Tag,  endlich  einmal  wöchentlich 
gewogen.  Gefuttert  wurden  dieselben  mit  Mohrrüben,  Gras  und 
Heu.  Das  Schicksal  der  Versuchstiere  wurde,  wenn  sie  am  Leben 
blieben,  wochenlang  kontrolliert;  starben  sie,  so  wurde  der  Tod 
nur  dann  als  Folge  des  Diphtherietoxins  betrachtet,  wenn  sich 
bei  der  Sektion  mehrere  der  bekannten,  für  Diphtherie  charak- 
teristischen Befunde  erheben  Hessen. 

Dies  muss  deshalb  erwähnt  werden,  weil  sich  in  Kontroll- 
versuchen schon  die  Injektion  von  Milch  oder  Magensaft  allein 
für  die  Tiere  als  ein  schwerer  EingriflF  erwies.  Reagierten  doch 
die  Meerschweinchen  in  den  meisten  Fällen  mit  mehr  oder  minder 
starken  Gewichtsabnahmen. 

Die  bei  einzelnen  Tieren  an  den  Injektionsstellen  beob- 
achteten Infiltrate  und  Schorf  bildun  gen  können  nicht  ohne 
weiteres,  wie  dies  zumeist  angenommen  wird,  als  abgeschwächte 
Giftwirkung  gelten;  denn  Nencki,  Sieber  und  Schoumow- 
Simanowski^)     sahen     sogar    nach    subkutaner    Injektion    von 

')  Centralbl.  f.  Bakt.  1898.  Bd.  XXIII. 


des  Kiodes  im  ersten  Lebensjahre.  125 

sterilem  Magensafte  Infiltrationen,  bei  Injektion  grösserer  Mengen 
Schorfbildungen  der  Bauchwand  auftreten.  Da  bei  meinen  Ver- 
suchen, wie  ich  mich  durch  Abimpfen  überzeugte,  der  Magen- 
inhalt nicht  steril  war,  so  bin  ich  nicht  geneigt,  den  Infiltrationen 
oder  Schorf bildungen  besonderes  Gewicht  beizulegen. 

Ebenso  wenig  Wichtigkeit  scheint  mir  den  kleinen  zeitlichen 
Unterschieden  im  Eintritt  des  Todes  der  Meerschweinchen  unter 
dem  Einflüsse  des  Dtoxins  zuzukommen.  Dieselben  müssen 
auf  individuelle  Eigenschaften  der  Meerschweinchen  bezogen 
werden.  Schon  Ehrlich^)  äusserte  sich  darüber:  „Als  einfach 
tödliche  Dosis  möchte  ich  auf  Grund  meiner  langjährigen,  ausge- 
dehnten Erfahrung  das  Quantum  bezeichnen,  das  jedes  Meer- 
schweinchen von  250  g  sicher  im  Laufe  des  4.,  allerhöchstens 
noch  des  5.  Tages  tötet.  Ein  solches  Quantum  kann  empfäng- 
liche Tiere  schon  schneller,  binnen  36 — 48  Stunden  töten."  Ähn- 
liche Erfahrungen  finden  sich  in  meinen  Versuchen  (z.  B.  in 
Versuch  XI  und  XIII).  Ein  Tier  starb  nach  Injektion  von 
0,00203  cm^  Dtoxin  pro  100  g  Körpersubstanz  nach  ungefähr 
64  Stunden,  ein  anderes  gleichschweres  Tier,  das  nur  0,00166  cm* 
erhielt,  in  38  Stunden. 

In  meinen  Versuchsreihen  finden  sich  einzelne  Befunde, 
welche  sich  nicht  erklären  lassen  und  manchmal  sogar  im  Wider- 
spruch zu  einer  ganzen  Reihe  von  Befunden  stehen.  Ich  habe 
sie  in  den  Protokollen  angeführt,  weil  sie  geeignet  sind,  die 
Fehlerquellen  der  Tierexperimente  zu  kennzeichen,  um  den  Wert 
derselben  einzuschränken,  aber  nicht  aufzuheben. 

Die  Resultate  meiner  Untersuchungen  sind  folgende: 

No.  I.  8  Tage  altes,  drittes  Kind  einer  28jährigen  Frau.  Mutter  seit 
der  Geburt  fieberfrei.  Das  Kind  kam  mit  2260  g  Gewicht  spontan  zur  Welt. 
Vom  3.  Tage  an  Ikterus.  Am  4.  Tage  war  mit  2200  g  die  grösste  Gewichts- 
abnahme erreicht.  Am  6.  Tage  Nabelabfall.  Am  8.  Tage  2290  g  Gewicht, 
normale  Temperaturen.  Stühle  normal.  Ikterus  hielt  an.  Das  Kind  schlief 
gut,  trank  3  stündlich  aus  beiden  Brüsten,  6  mal  im  Tage.  Am  8.  Tage  vor- 
mittags Nahrungsaufnahme  von  50  g.  1^4  Stunde  nach  beendetem  Trinken 
wurden  mit  der  Sonde  5  cm*  fein  geronnener  Mageninhalt  entleert,  der  keine 
freie  Salzsäure  enthielt.  Die  Mischungen  von  Mageninhalt  und  Toxin  wurden 
1^4  Stunden  lang  der  Brutwärme  ausgesetzt. 


i)  Klin.  Jahrbuch.    Bd.  VI.     1897. 


126  Schutz,  Zur  Kenntnis  der  natürlichen  Immunität 

Tabelle   I.') 


A 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  14.  X.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Meoge) 

Gew. 

am 
9.  XI. 

03 

Verlauf  des  Versuches 

Ä 

Toxin 

Magen- 
inhalt 

Prauen- 
milch 

1. 

260 

0,013 

— 

— 

— 

Tod  am  15.  X.,  mittags.  Lungen- 
atelekiase.  Pleuratranssudat.  Ge- 
ringe Nebennierenhyperämie 

2. 

.  275 

0,014 

0,07 

— 

303 

Lebt 

3. 

280 

0,014 

0,35 

— 

353 

Lebt 

4. 

275 

0,014 

0,70 

— 

855 

Lebt 

5. 

250 

0,013 

0,065 
erw&rmt 

Tod  am  15.  X.,    nachm.  7  Uhr. 
Geringes  hämorrhagisches  Ödem 
der  Injektionsstelle.    Transsudat 
der  Pleuren  u.  des  Peritoneums. 
Lungen  atelektatisch.      Geringe 
Nebennierenhyperämie 

6. 

245 

0,013 

0,325 
erwärmt 

— 

323 

Lebt 

7. 

260 

0,013 

0,65 
erwärmt 

— 

295 

Lebt 

8. 

240 

0,012 

0,06 

Tod  am  15.  X.,    nachm.  5  Uhr. 
Suffusion  der  injizierten  Stelle. 
Nebennierenhyperämie.     Ausge- 
breiteteLungenatelektase.  Pleura- 
transsudat 

9. 

305 

0,015 

0,75 

Tod  am  15.  X.,    nachm.  7  Uhr. 
Geringe  Hyperämie    der  Injek- 
tionsstelle.     Ausgebr.    Lungen- 

atelektase.     Pleuratranssudat. 
Grosse  Milz.  Petechien  am  Peri- 
toneum, Darm  u.  Nebennieren 

10. 

275 

— 

— 

0,75 

393 

Lebt 

0,025  cm»  Mageninhalt  vernichtet  im  Verhältnis  von  5:1  die  Wirk- 
samkeit der  dreifach  tödlichen  Toxinmenge  (pro  100  gTier).  5  Minuten 
lang  auf  60<>  C.  erwärmt,  wirkt  der  Mageninhalt  schwächer,  denn  0,132  cm^ 
hemmt  erst  im  Verhältnis  von  25 : 1  die  Wirkung  der  dreifach  tödlichen 
Toxinmenge.   Muttermilch  (50 : 1)  erweist  sich  unwirksam. 

No.  II.  32  Tage  altes  Kind,  das  fünfte  einer  33jährigen  Frau,  die 
seit  der  Geburt  intermittierendes  Fieber  und  starken  Auswurf  hat.  2  Kinder 
sind  an  Lungenentzündung  gestorben,  2  leben.  Spontane  Geburt.  Anfangs- 
gewicht des  Kindes  3200  g.  Abnahme  bis  zu  3010  g  am  3.  Tage.  Das  Kind 
nimmt  an  der  Brust  nicht  zu,  wiegt  am  15.  Tage  erst  3040  g.  Vom  16.  Tage 


^)  Die  Injektionen  wurden  stets  zwischen  2  und  5  Uhr  nachmittags 
ausgeführt.  Für  die  von  Mitternacht  bis  6  Uhr  morgens  verendeten  Tiere 
ist  als  Zeit  des  Todes  6  Uhr  früh  angegeben. 


des  Kiodes  im  ersten  Lebensjahre. 


127 


an  bekommt  es  V«  Milch  and  '/i  Wasser  und  Milchzucker;  vom  26.  Tage 
V,  Milch  und  >/t  Wasser.  Am  32.  Tage  3270  g  Gewicht;  dauernd  fieber- 
frei; täglich  1 — 2  normale  Stuhle.  Trinkt  vormittags  100  g  Nahrung.  Nach 
2  Stunden  werden  15  g  grobflockiger  Mageninhalt  ausgehebert.  Keine  freie 
Salzsäure.  Gesamtazidität  0,135  pGt.  (in  Salzsäure  ausgedrückt).  Die  Misch- 
ungen von  Mageninhalt  und  Toxin  werden  ^4  Stunde  in  den  Thermostaten 
gestellt. 

Tabelle  II. 


o 


t*  fleo 

»  ©  o 

'S  ,  JS      . 

«>  MC 


Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 


Toxin 


Magen- 
inhalt 


Kuh- 
milch 


Gew. 

am 
16.  XI 

03 


Verlauf  des  Versuches 


1. 

700 

0,03 

2. 

400 

0,02 

3. 

410 

0,02 

4. 

435 

0,022 

5. 

460 

0,023 

6. 

460 

0,023 

7. 

1 

370 



0,1 

0,5 
1,15 


1,15     I    - 
erwärmt  i 

—  1,15 


—  1,15 


327 


Tod  am  16.  X.,    nachm.  5  Uhr. 

0  bduktionsbefund  für  Diphtb  erie 

typisch 

Tod  am  16.  X.,  nachm.  3^,  Uhr 

Obduktionsbefund  für  Diphtherie 

typisch 

Tod  am  17.  X.,  früh  6  Uhr.  Ob- 
duktionsbef.   f.  Diphth.   typisch 

Tod  am  17.  X.,  früh  6  Uhr.  Ob- 
duktionsbef.  f.  Diphth.  typisch 

Tod  am  17.  X.,  früh  6  Uhr.  Ob- 
duktionsbef.   f.  Diphth.   typisch 

Tod    am  17.   X.,    früh    6   Uhr. 
Ödeme  der  Injektionsstelle.  Ge- 
ringe peritoneale  Petechien 

Tod  am  29.  XI.  an  Tuberkulose 


0,25  cm*  Mageninhalt    bleibt  in  natürlichem    wie  erwärmtem  (5  Min, 
70^  C.)  Zustande  unwirksam  (50:  1),  ebenso  die  Milch. 


No.  IIL  7  Tage  altes  Kind.  Mutter  26  Jahre  alt,  II  para,  war  nie  an 
Diphtherie  erkrankt;  seit  der  Geburt  des  Kindes  fieberfrei.  Spontane  Ge- 
burt. Anfangsgewicht  des  Kindes  3000  g.  Abnahme  bis  zu  2710  g  am 
3.  Tage.  Am  7.  Tage  2880  g  Gewicht;  Nabelschnur  noch  nicht  abgefallen. 
Ikterus  nicht  vorhanden.  Das  Kind  gedeiht  gut,  trinkt  60  g.  1^4  Stunden 
nachher  werden  20  g  Mageninhalt  ausgehebert.  Derselbe  reagiert  stark  sauer. 
Keine  freie  HCl.  Ges.  Acid.  0,274  pGt.  Die  Mischungen  von  Mageninhalt 
und  Toxin  V,  Stunde  im  Thermostaten  gehalten.      (Tab.  III  S.  128.) 

0,25  cm'  Mageninhalt  vernichtet  die  Wirkung  der  3 fach  tödlichen 
Toxindosis  in  natürlichem  wie  erwärmtem  (5  Minuten  80^)  Zustande  (50 : 1). 
Das  Tier,  das  mit  0,367  ccm  Magensaft  (75  : 1)  geimpft  wurde,  starb.  Sektions- 
befund nicht  für  Diphtherie  charakteristisch.  0,381  cm>  Muttermilch  blieb 
unwirksam  (75 : 1). 


128 


Schutz,  Zur  Kenntnis  der  naturlichen  Immunität 
Tabelle  III. 


d 
2; 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  16.x.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 
16.  XI 

03 

1         Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
inhalt 

Frauen- 
milch 

1. 

263 

0,013 

— 

— 

— 

Tod  am  17.  X.,    nachm.  2  Uhr. 

Obduktionsbefund  für  Diphtherie 

typisch 

2. 

252 

0,012 

0,06 

— 

— 

Tod  am  18.  X.,  früh  6  Uhr.  Ob- 
duktionsbef.  f.  Diphth.   typisch 

3. 

255 

0,012 

0,6 

— 

330 

Lebt 

4. 

245 

0,012 

0.9 

— 

— 

Keine  Lähmungen.    Tod  am 
13.  XL    Kein  Diphtherietod 

5. 

230 

0,011 

0,055 
erwärmt 

~~ 

"^^ 

Tod  am  17.  X.,  mittags  2  Uhr. 

Obduktionsbefund  für  Diphtherie 

typisch 

6. 

235 

0,011 

0,55 

erwärmt 

— 

301 

Lebt 

7. 

235 

0,011 

0,825 
erwärmt 

— 

300 

Lebt 

8. 

190 

0,009 

— 

0,045 

— 

Tod  am  18.  X.,  früh  6  Uhr.   Ob- 
duktionsbef.  f.  Diphth.  typisch 

9. 

180 

0,009 

— 

0,45 

— 

Tod  am  18.  X.,  früh  6  Uhr.  Ob- 
duktionsbef.   f.  Diphth.   typisch 

10. 

177 

0,009 

— 

0,675 

— 

Tod  am  18.  X.,  früh  6  Uhr.  Ob- 
duktionsbef.  f.  Diphth.  typisch 

11.1 

168 

— 

_. 

0,675 

288 

Lebt 

12. 

213 

— 

0,9 

— 

296 

Lobt 

No.  IV.  14  Tage  altes  Kind.  Mutler  21  Jahre  alt,  Ipara,  fieberfrei. 
Spontane  Geburt.  Anfangsgewicht  des  Kindes  3320  g.  Abnahme  bis  zu 
3150  g  am  4.  Tage.  Am  14.  Tage  8600  g.  An  beiden  Fersen  Decubitus; 
täglich  2  mal  normale  Stühle.  Trinkt  120  g.  Nach  1  Stunde  28  cm*  Inhalt 
ausgehebert.  Keine  freie  HCl.  Ges.  Ac.  0,142  pCt.  Die  Mischungen  von 
Magensaft  und  Toxin  bleiben  Va  Stunde  im  Thermostaten. 

Tabelle  IV. 


6 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  17.  X.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

1 

1  Gew. 

am 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
inhalt 

Frauen- 
milch 

27.  XL 

1    03 

1. 
2. 

650 
310 

0,032 
0,015 

0,075 

— 

— 

Tod  am  18.X.,  abends  lOUhr.  Ob- 
duktionsbef.  f.  Diphth.    typisch 

Tod  am  19.  X.,  früh  7  Uhr.    Ob- 
duktionsbef.    f.   Diphth.  typisch 

des  KwdM  im  ersteD  L«b«ii8jaitr«. 


129 


6 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  17.x.  08 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Oew. 
am 

YerUuf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
inhalt 

Frauen- 
milch 

IrZ.XI. 
03 

3. 

BOO 

0,015 

0,75 

— 

— 

Todam  19.x.,  früh  9  Uhr.  Obduk- 
tionsbefund für  Diphth.  typisch 

4. 

283 

0,014 

0,07 
erwärmt 

— 

Tod  am  19.x.,  früh  7Uhr.  Obduk- 
tionsbefund ffir  Diphth.  typisch 

5. 

290 

0,014 

0,7 

erw&rmt 

— 

Tod  am  19.x.,  früh  7 Uhr.  Obduk- 
tionsbefund für  Diphth.  typisch 

6. 

263 

0/)13 

— 

0,065 

— 

Tod  am  18.  X.,  nachts  12Uhr.  Ob- 
duktionsbef.  für  Diphth.  typisch 

7. 

800 

0,015 

— 

0,75 

— 

Tod  am  18.  X..  nachts  12  Uhr.  Ob- 
duktionsbef.  für  Diphih.  typisch 

8. 

211 

— 

— 

0,6 

285 

Lebt 

9. 

295 

— 

0,75 

892 

.      Lebt 

10. 

275 

— 

0,7 
erwärmt 

~~ 

848 

Lebt 

0,25  cm*  natürlicher  wie  erwärmter  (5  Minuten,  80*)  Mageninhalt  pro 
100  g  Tier,  0,25  cm*  Muttermilch  bleiben  unwirksam  gegen  die  8faeh  töd- 
liche Dosis  (50:1). 

KO.  V.  9  Tage  altes  Kind,  wiegt  bei  der  Geburt  8850  g.  Mutter 
84  Jahr«  alt»  Ilpara,  ist  nie  an  D.  erkraakt  gewesen;  fiebert  die  ersten  Tage 
■aeh  der  Geburt.  Srstes  Kind  gestorben.  Dieses  Blind  nimmt  bis  zum 
4.  Tage  ab  (8450  g).  Ikterus  Tom  2.  Tage  an.  Nabel  noch  Dicht  abgefallen. 
Am  9.  Tage  wiegt  das  Kind  8710  g,  entwickelt  sieh  gut,  trinkt  90  g. 
IV«  Stunde  spftter  werden  15  cm'  Mageminhelt  ausgehebert;  darin  keine  freie 
HCl.  Ges.  Ac  0,204  pCt.'  Die  Mischungen  von  Mageninhalt  und  Toxin  werden 
vor  der  Injektion  Vs  Stunde  der  Brutw&rme  ausgesetzt. 

Tabelle  V. 


o 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  20.x.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 

27.  XL 

03 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
Inhalt 

Mntter- 
miloh 

1. 

2. 

170 
207 

0,01 
'  0,01 

0,25 

— 

275 

Tod  am  21.  X..  nachts  12  Uhr.  Ob- 
duktionsbef.  für  Diphth.  typisch 

Lebt 

3. 

205 

0.01 

0,5 

— 

290 

Lebt 

4. 

205 

0,01 

0,75 

— 

294 

Lebt 

5. 
6. 

195 
192 

0,01 
0,01 

0,25 
gekocht 

0,5 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  22.  X.,  nachm.  5 Uhr.  Ob- 
duktionsbef.  für  Diphth.  typisch 

Tod    am    22.  X.,    früh    6   Uhr. 
Obdutionsbef.  f.  Diphth.  typisch 

Jahrbuch  f.  KlnderheilkuDde.    N.  F.    LXI,  Heft  l. 


130 


Schütz,  Zur  Kenntnis  der  natürlichen  Immanität 


6 

2 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  20.  X.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 
27.  XL 

03 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
inhalt 

Mutter- 
milch 

7. 

8. 
9. 

10. 

11. 
12. 
13. 

190 

165 

165 

210 

152 
195 
202 

0,01 

0,008 
0,008 

0,008 

0,75 
gekocht 

0,75 

0,75 
gekocht 

0,2 
0,4 

0,6 

0,6 

295 

255 
269 
268 

Tod  am  22.  X.,  mittags.   Obduk- 
tionsbefund für  Diphth.  typisch 

Lebt 

Tod  am  21.X.,  nachts  12 Uhr.  Ob- 
duktionsbef.  für  Diphth.  typisch 

Tod  am  21. X.,  nachts  12  Uhr.  Ob- 
duktionsbef.  für  Diphth.  typisch 

Lebt 

Lebt 

Lebt 

0,125  cm'  Mageninhalt  erweist  sich  im  Verhältnis  Ton  25 :  1  wirksam, 
0,40  cm*  gekochter  Magensaft  unwirksam  (75:1).  0,125  cm'  Milch  ist 
wirksam  (25:1),  während  dieselbe  Milch  bei  0,25  cm>  (50:1)  und  0,285  cm« 
(75:*/t)  Menge  unwirksam  bleibt.    Ein  ganz  merkwürdiges  Verhalten! 

No.  VL  8  Tage  altes  Kind.  Mutter  28  Jahre  alt,  Illpara.  Nie  krank 
gewesen,  fieberfrei.  Erstes  Kind  lebt,  zweites  Abort.  Dieses  Kind  mit 
32(X)  g  Gewicht  geboren.  Abnahme  bis  zu  2950  g  am  4.  Tage.  Ikterus  vom 
3.  Tage  an.  Das  Kind  wiegt  am  9.  Tage  3100  g,  zeigt  ausser  dem  Ikterus 
nichts  Abnormes.  80  g  Nahrungsaufnahme;  nach  l'/i  Stunde  20  cm>  dünn- 
flüssiger Mageninhalt   ausgehebert.      Keine   freie  HCl.     Ges.  Ac.   0,226  pCt. 

Die  Mischungen  von  Mageninhalt  und  Toxin  bleiben  */4  Stunden  im  Thermostaten. 

• 

Tabelle  VL 


d 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  21.x.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 
21.XL 

03 

Verlauf  des  Versuches 

A 

Toxin 

Mageu- 
iDhalt 

Frauen 
milch 

1. 

315 

0,016 

— 

— 

— 

Tod  am  23.x.,  früh  6  Uhr.  Obduk- 
tionsbefund für  Diphth.  typisch 

2. 

318 

0,016 

0,08 

— 

312 

Lebt  (wirft  i.  d.Beobachtung8zeit) 

8. 

317 

0,016 

0,4 

— 

352 

Lebt 

4. 

280 

0,016 

0,8 

— 

342 

Lebt 

5. 

327 

0,016 

0,08 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  24.x., früh 8ühr.  Obduk- 
tionsbefund für  Diphth.  typisch 

6. 

322 

0,016 

0,4 
gekocht 

-^ 

— 

Tod  am  26.  X.,  früh  7  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  5 

7. 

335 

0,017 

0,85 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  28.  X.,  nachts  10  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  5 

des  Kindea  im  erstea  Lebensjahre. 


131 


6 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  21.x.  03 

Injiziert  worden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 

21.  XL 

03 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
inhaU 

Frauen- 
milch 

8. 

9. 

10. 

11. 
12. 

13. 

315 

290. 

295 

298 
310 

312 

0,014 
0,015 
0,015 

0,8 
0,85 

0,07 
0,375 
0,75 
0,76 

355 
360 

Tod  am  23.  X„  früh  8  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  5 

Tod  am   22.  X.,  nachts  11  Uhr. 
Obduktionsbefund    wie   No.  5 

Tod  am  22.  X.,  nachm.  5  Uhr. 
Obduktionsbefund    wie   No.  5 

Lebt 

Keine  Lähmungen. 
Tod  am  7.  XL   Obduktion  ergibt 
Pneumonie.  (Kein  Diphtherietod.) 

Lebt 

0,025  cm*  Mageninhalt  wirkt  gegen  die  3  fach  tödliche  Dosis  (5:1). 
Zweimal  aufgekochter  Mageninhalt  schützt  auch  in  der  lOfachen  Menge  (50:  1) 
kein  Tier  vor  dem  Toxin tod.  0,25  cm*  Muttermilch  erweist  sich  unwirksam 
<50:1). 

No.  VII.  6  Tage  später  neue  Untersuchung  des  Kindes  No.  4.  Das 
Gewicht  bleibt  yom  Tage  der  ersten  Untersuchung  an  4  Tage  lang  stationär. 
Decubitus  abgeheilt.  Am  20.  Tage  3620  g  Gewicht.  Trinkt  50  g  Muttermilch. 
l>/4  Stunde  später  werden  18  cm*  Mageninhalt  ausgehebert.  Keine  freie  HCl. 
Ges.  Ac.  0,336  pCt.  Die  Mischungen  Ton  Mageninhalt  und  Toxin  bleiben 
'/s  Stunde  im  Thermostaten. 

Tabelle  VIL 


d 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  23.  X.  04 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 
4.XIL 

04 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
Inhalt 

Frauen- 
milch 

1. 

245 

0,012 

— 

— 

— 

Tod  am  25.  X.,  früh  10  Uhr.    Ob- 
duktionsbef.  für  Diphth.  typisch 

2. 

269 

0,014 

0,07 

— 

— 

Tod  am  25.  X.,  früh  7  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

3. 

263 

0,013 

0,65 

— 

251 

Lebt 

4. 

232 

0,012 

ao6 

erwärmt 

— 

— 

Tod  am  25.  X.,  früh  7  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

5. 

227 

1 

0,012 

0,6 
erwärmt 

— 

251 

Lebt 

6. 

1      287 

0,013 

— 

0,7 

— 

Tod  am  24.  X.,  abends  9  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

7. 

268 

— 

0,65 

— 

247 

Lebt 

8. 

237 

— 

0,6 
erwärmt 

— 

290 

Lebt 

9* 


182 


Schütz,  Zar  EftBntnis  der  Dutürliclien  Immanitftt 


0,25  cm*  Mageninhalt  (50:1)  erweüt  sich  unwirksam  gegen  die  8facb 
tödliche  Tozindosi«  im  natürlichen  wie  erwftrmteq  Zuetande.  0,8  cm*  Frauen- 
milch ist  unwirksam  gegen  das  Gift. 

No.  VIII.  1  Tag  altes  Kind.  Matter  Ipara,19  Jahre  aH.  ^iphiherie 
in  der  Annamnese.  Fieberfrei.  Anfangsgewicht  des  Kindes  9800  g.  Maeh 
24  Stunden  bei  einem  Gewicht  von  3180  g  wird  das  Kind  zum  ersten  Male 
an  die  Brust  angelegt.  Trinkt  nar  5  g.  8 — 10  g  Colostrum  werden  ab- 
gedrückt und  durch  die  Flasche  gereicht.  Nach  '/i  Stunden  erh&lt  man 
kaum  1  cm*  Mageninhalt.  Das  Colostrum  reagiert  amphoter,  der  Magen- 
inhalt sauer.  Keine  freie  HCl.  Die  Mischongen  von  Mageninhalt  uud  Toxin 
werden  ^/s  Stande  im  Thermostaten  belassen. 

Tabelle  YIII. 


6 

h       Oeo 

S     8i 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 

27.  XI. 

08 

Verlauf  des  Versuches 

Tezin 

Ä.- 

Co- 
iMftniB 

1. 

820 

0,008 

— 

— 

— 

Tod  am  25.  X.,   nachts  12  Uhr. 
Obduktionsbef.  f.Diphth.  typisch 

2. 

258 

0,018 

0,066 

— 

— 

Tod  am  26.  X.,  nachm.  2  ühr. 
Obduktionsbefund  w^e  No.  1 

8. 

265 

0,018 

0,a25 

— 

&28 

Lebt 

4. 

190 

0,0095 

0.0475 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  25.  X.,   nachm.   2  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

5. 

187 

0,0095 

0,24 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  25.  X.,   nachm.  8  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

6. 

160 

0,008 

— 

0,04 

— 

Tod  am  26.  X.,  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

7. 

162 

0,008 

— 

0,4 

— 

Tod  am  26.  X.,  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

8. 

158 

— 

- 

0,4 

255 

Lebt 

0,125  cm*  Mageninhalt  ist  wirksam  (25 : 1).  Aufgekochter  Magen- 
inhalt bleibt  unwirksam  (25 : 1).  0,25  cm*  Colostrum  ist  (10 : 1)  ebenfalls 
unwirksam  gegen  die  3  fach  tötliche  Toxinmenge. 


No.  IX.  8  Tage  altes  Kiod.  Die  Mutter  28  Jahre  alt;  Ilpara,  fieber- 
frei; soll  an  Diphtherie  nie  erkrankt  gewesen  sein.  Das  1.  Kind  lebt,  ist 
gesund.  Anfangsgewicht  des  Kindes  2700  g.  Abnahme  bis  zu  2446  g  am 
4.  Tage.  Ikterus  vom  5.  Tage  an.  Am  7.  Tage  Nabelschnurabfall.  An- 
scheinend sonst  normales  Kind,  trinkt,  schl&ft  gut,  ist  ruhig.  T&glich  2  mal 
normale  Stühle.  Das  Kind  wiegt  am  8.  Tage  2600  g,  trinkt  50  g  an  der  Brust. 
Nach  11/4  Stunde  werden  18  cm*  fein  geronnener  Mageninhalt  ausgehebert. 
Ges.  Ac.  0,179  pCt.,  keine  freie  HCl.  Die  Mischungen  von  Mageninhalt  und 
Toxin  werden  */4  Stunden  im  Thermostaten  gehalten. 


des  Kindes  ittir  erflten  Lebei»8j»hre. 


133 


Tabelle  IX. 


Gewicht  der 

sohweinehen 
am  26.  X.  03 

Injiziert  wnrden 
(absolnte  Menge) 

Gew. 

am 
4.XIL 

08 

Toxin 

Magen- 
Inhalt 

Krauen 
milch 

U8 

0,005 

— 

— 

— 

288 

0,014 

0,015 

— 

— 

216 

0,011 

0,085 

— 

— 

260 

0,018 

0,08 

— 

— 

175 

0,009 

^~ 

0,09 

— 

150 

0,0075 

— 

0,875 

— 

148 

0/X)75 

— 

0,75 

— 

118 

0,006 

— 

1,2 

— 

Verlauf  des  Versaches 


Tod  am  28.  X., 
früh  6  Uhr 

Tod  am  27.  X., 
nachts  10  Uhr 

Tod  am  27.  X., 
frah  8  Uhr 

Tod  am  28.  X., 
frfth  6  Uhr 

Tod  am  30.  X., 
früh  6  Uhr 

Tod  aih  29.  X., 
früh  9  Uhr 


Obduk- 
tion sbef  and 

für 
Diphtherie 

typisch 


Tod  am  27.  X.,   xrachts  10  Uhr. 

Obduktion :  GeringeNebennieren- 

hyperämie.      Lunsen,    Pleuren, 

injektionsstelle  ohne  Befand. 

Tod  am  28.  X.  früh  6  Uhr. 

Obduktionsbefnnd  für  Diphtherie 

typisch 

Um  die  antere  Grenze  der  gifthemmenden  i^esp.  giftvemichtenden  Eigen- 
schaft des  Mageninhaltes  zu  bestimmen,  wurde  bei  diesem  Kinde,  das,  ab- 
gesehen yon  Ikterus  und  etwas  kleinem  Anfangsgewicht  (Mutter  war  ziemlich 
kleiner  Statnr),  nichts  Abnormes  zeigte,  absichtlich  kleinere  Mengen  an- 
l^ewaudt.  Der  Erfolg  war  negativ.  1  cm*  Frauenmilch  erwies  sich  un- 
wirksam (200 : 1).  Der  Tod  des  mit  0,50  cm*  (100 : 1)  geimpften  Tieres  kann 
nach  dem  Sektionsprotokoll  nicht  als  Diphtherietod  bezeichnet  werden.  Dieser 
Tetsuoh  wurde  wiederholt  rn  der  notsh  zu  beeprecheiiden  Versuchsreihe  No.  XI. 

Ha.  X  betrifft  eiu  22  Tage  altes  Kind  mit  8040  g  Anfangsgewicht,  das 
TOB  Geburt  an  künstlich  ernährt  Wurde  (Vs  Miteh  -f  Wasser  -f  4  pOt. 
Rohrzucker).  Am  2.  Tage  2890  g  Gewicht;  leichter  Ikterus.  Am  6.  Tage 
C^ewicht  2700  g;  Ikterus  gering.  Soor.  Am  18.  Tage  Gewicht  2630  g. 
Das  Kind  erh&lt  1  mal  Buttermilch,  4  mal  ^/g  Milch  und  bricht  dabei  öfters. 
Am  22.  Tage  wiegt  das  Kind  2700  g.  Geringer  Soor,  noch  leichter  Ikterus, 
2  mal  t&glich  gelbe  Stühle.  Ernährungszustand  nicht  befriedigend.  Nach 
einer  lange  dauernden  grossen  Gewichtsabnahme  ist  nan  seit  deir  Butter- 
milch-Darreichung ein  beginnender  langsamer  Gewichtsanstieg  zu  verzeichnen. 
Das  Kind  trti^kt  am  27.  X.  vormittags  aus  der  Flasche  100  g  Buttex^miich; 
nach  2  Stunden  werden  15  cm*  Mageninhalt  ausgehebert.  Ges.  Ac.  0,85  pCt. 
Bei  der  nächsten  Mahlzeit  am  Nachmittag  trinkt  das  Kind  100  g  ^/s  Kah- 
milch.  Es  werden  nach  2^U  Stunden  15  cm*  grossflockiger  Mageninhalt  aus- 
gehebert, dessen  Ges.  Ac.  0,336  pCt.  beträgt 


134 


Schütz,  Zar  Kenntnis  der  naturlichen  Immunität 


Die  Mischungen    von  Mageninhalt    und  Toxin    werden    '/t  Stunde   auf 
Bratw&rme  gehalten. 

Tabelle  X. 


1 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  27.  X.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 

27.  XI. 

03 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
Inhalt 

Kuh- 
milch 
(«ek.) 

1. 

2. 
3. 
4. 
5. 
6. 

7. 
8. 

370 
305 

230 

225 

223 

210 

205 
190 

0,008 
0,015 

0,0115 

0,011 

0,011 

0,0105 

0,01 
0,0095 

0,375 

(nach 

Butterm.) 

0,035 

(nach 

Kuhm.) 

0,11 

(nach 

Kuhm.) 

0,255 

(nach 

Kuhm.) 

0,315 

(nach 

Kuhm., 

gekocht) 

0,5 
0,95 

335 

265 
247 

Tod  am  29.  X.,  vorm.  lOühr.  Ob- 
duktionsbef.  für  Diphth.  typisch 

Lebt 

Tod  am  29.  X.,  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

Tod  am  30.  X.,  nachts    10  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

Lebt 
Lobt 

Tod  am  29.  X.,  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  I 

Tod  am  29.  X.,  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

0,123  cm*  Mageninhalt  (nach  Buttermilchernährung)  and  0,114  cm* 
Mageninhalt  (nach  Kuhmilchernährung),  beide  25 :  1,  erwiesen  sich  wirksam 
gegen  das  Toxin.  Auffallender  Weise  wirkte  auch  der  aufgekochte  Kuhmilch- 
maf2:eninhalt  entgiftend  (30 : 1).     Kuhmilch  selbst  war  unwirksam  (100 : 1). 

Die  weitere  Beobachtung  des  Versuchskindes  zeigte,  dass  es  sich  um 
ein  bereits  schwer  geschädigtes  Kind  handelte,  welches  mannigfache  In- 
fektionen in  derFolgezeit  durchzumachen  hatte  and  allmählich  atrophisch  wurde. 


No.  XI.  Wiederholung  des  Versuches  No.  IX  nach  2  Tagen.  Daa 
nunmehr  10  Tage  alte  Kind  wiegt  2700  g.  Ikterus  besteht  noch;  sonstige» 
Verhalten  normal.  Trinkt  70  g.  Nach  IV4  St.  werden  18  cm^  Mageninhalt 
ausgehebert;  derselbe  reagiert  schwach  sauer.  Ges.  Ac.  0,183  pCt;  kein» 
freie  HCl.  nachweisbar.  Die  Mischungen  von  Mageninhalt  und  Toxin  werden 
V)  St.  im  Thermostaten  aufbewahrt. 


des  Kindes  im  ersten  Lebensjahre. 


135 


Tabelle  XI. 


4. 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  28.  X.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 

27.  XL 

03 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
inhalt 

Frauen- 
milch 

1. 

172 

0,0035 

— 

— 

— 

Tod  am  31.  X.,    ^ 
früh  6  Uhr 

2. 

330 

0,016 

0,04 

— 

— 

Tod  am  29.  X., 
Yormitt.   11  Uhr 

3. 

330 

0,016 

0,4 

— 

Tod  am  29.  X., 
vormitt.  11  Uhr 

Obduktions- 

4. 
5. 

193 
195 

0,01 
0,01 

0,5 

0,5 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  29.  X., 
nachmitt.  6  Uhr 

Tod  am  29.  X., 
nachmitt.  6  Uhr 

befund  für 

Diphtherie 

typisch 

6. 

210 

0,0105 

— 

0,525 

— 

Tod  am  30.  X., 
früh  7  Uhr 

7. 

210 

0,0105 

— 

h^ 

— 

Tod  am  29.  X., 

früh  8  Uhr      J 

8. 

203 

— 

--- 

2,1 

250 

Lebt 

9. 

182 

— 

0,5 

— 

265 

Lebt 

0,25  cm>  Mageninhalt  blieb  im  Verhältnisse  von  50*:  1  im  natürlichen 
wie  aufgekochtem  Zustande  unwirksam.  Auch  1  cm'  Frauenmilch  (200:1) 
zeigte  keine  giftabschwächende  Wirkung. 

No.  XII.  3  Tage  altes  Kind.  Mutter  23  Jahre  alt,  Ipara,  fieberfrei. 
Das  Kind  wird  im  8.  Monat  der  Gravidität  mit  2270  g  Anfangsgewicht 
geboren.  Am  3.  Tage  2080  g.  Es  wird  noch  Meconium  entleert.  Normale 
Temperaturen.  Trinkt  20  g.  Nach  */<  Stunden  lässt  sich  durch  die  Sonde 
Vz  cm*  kleinflockiger,  fadenziehender  Mageninhalt  aushebern.  Die  Mischungen 
Yon  Mageninhalt  und  Toxin  werden  ^/t  Stunde  im  Thermostaten  aufbewahrt. 

Tabelle  XIL 


i 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  28.  X.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 
27.XL 

03 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
inhalt 

Kolo- 
Btram 

1. 

2. 
3. 

4. 

5. 

288 

275 
190 

185 

180 

0,014 

0,014 
0,0145 

0,014 

0,07 
0,85 

0,725 

2,8 

2,8 

330 
220 

Tod    am    30.  X.,    früh    7    Uhr. 
Obduktionsbef.    f.   Diphth.  typ. 

Lebt 

Tod  am  29.  X.,  abends  10  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

Tod  am  29.  X.,    abends  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

Lebt 

136 


Schütz,  Zur  Kenntnis  der  natürlichen  Immunität 


Der  Mageninhalt  erweist  sich  bei  0,125  cm*  (25 :  1)  Menge  gifthemmend. 
1,5  cm*  Kolostrum  ist  unwirksam  gegen  die  4>/sfftch  tödliche  Toxindosis 
(200:11/2). 

No.  Xni.  58  Tage  altes  Kind.  Kam  mit  3650  g  Anfangsgewicht  cur  Welt ; 
erreichte  dasselbe  an  der  Brust  wieder  am  24.  Tage.  Am  12.  Tage  Pemphigus, 
am  18.  Soor,  am  15.  Abtsessbildang  am  rechten  Oberschenkel.  Temperaturen 
bis  37,8.  Am  29.  Tage  Soor  verschwunden.  Hin  und  wieder  häufige  Stnhl- 
entleerungen.  Langsame,  schwankende  Gewichtszunahmen.  Am  58.  Tage 
4240  g  schwer.  Trinkt  90  g.  Nach  Vjt  Stunde  werden  15  cm*  Mageninhalt 
ausgehebert,  dessen  Ges.-Ao.  0,2847  pCt.  beträgt;  freie  HCl  nicht  vorhanden. 
Die  Mischungen  von  Mageninhalt  und  Toxin  werden  */4  Stunden  der  Brut- 
wärme aasgesetzt. 

Tabelle  XIII. 


d 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  28.  X.  03 

Injiziert  worden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 
27.  XL 

03 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Blagen- 
inhalt 

Frauen- 
milch 

1. 

180 

0,003 

— 

Tod    am    31.   X.,    früh    7  Uhr. 
Obduktionsbef.   f.  Diphth.   typ. 

2. 

354 

0,0175 

0,045 

— 

— 

Tod    am    31.   X.,    früh    6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

3. 

266 

0,018 

0,18 

— 

295 

Lebt 

4. 

305 

0,0145 

0,725 

— 

287 

Lobt 

5. 

280 

0,014 

0,7 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  6.  XL  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

e. 

210 

0,0105 

""* 

0,525 

"-~ 

Tod  am  30.  X.,  früh  6  Uhr. 

Versuchsfehler:  Maeeninhalt  in 

der  Bauchhöhle.    Peritonitis 

7. 

257 

0,013 

-- 

1,3 

305 

Lebt 

8. 

360 

0,0135 

— 

2,7 

— 

Tod  am  1.  XL,  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

9. 

194 

— 

2,7 

— 

Keine  Lfchmungen.    Tod  am 
30.  XL    Kein  Diphtherietod 

0,068  cm*  Mageninhalt  (10:  1)  erweist  sich  wirksam  gegen  die  4fach 
tödliche  Toxindosis.  0,25  cm*  gekochter  Mageninhalt  (50 : 1)  bleibt  unwirksam. 
0,75  cm*  Frauenmilch  entgiftet  nicht  zwei  Toxineinheiten  (200 :  Vs))  w&hrend 
0,50  eni*  sich  wirksam  (100 : 1)  gegen  drei  Toxineinheiten  zeigt. 

No.  XI7.  8  Mon.  altes  Kind,  das  zum  erstenmale  am  24.  VI.  (da- 
mals im  Alter  von  4  Mon.)  mit  einem  Körpergewicht  von  4170  g  in  der 
Poliklinik  vorgestellt  wurde.  Die  Bauchdecken  waren  sehr  schlaff,  es  bestand 
Craniotabes.  Es  bekam  zunächst  V<  Milch  mit  Haferschleim  ohne  Zucker, 
vom  4.  VII.  an  mit  Malzzusatz.  Körpergewicht  am  12.  VII.  4600  g.  Pem- 
phigus.   Am    18.  VII.  mit  einem  Gewicht   von    4530  g    in    die  Klinik    auf- 


de8  Kindes  itt  erateD  Lebensjahre. 


137 


genommen,  wurde  es  mit  einer  Mileb-Meblmischang  ernährt  and  am  23.  VIII. 
mit  einem  Körpergewicht  tod  4560  g  entlassen.  Im  weiteren  Verlaufe  der 
poliklinischen  Beobachtung  erkrankte  es  TOn  neuem  an  einer  Bronoho- 
pneomonie  und  wurde  am  29.  VIIL  zum  xweiteomale  in  die  Klinik  auf- 
genommen. Da  es  sich  bei  Erikährung  mit  Milch-Meblmiscbanged  nicht 
reparierte,  wurde  am  14.  IX.  eine  Buttermilchem&hrang  eingeleitet,  bei  der 
es  gut  sanahm,  allerdings  auch  weiterhin  zuweilen  Husten  and  Temperatur- 
anstiege bis  auf  38,2*  zeigte.  Um  das  Kind  Ton  der  Buttermilch  su 
entwöhnen,  wurde  weiterhin  jeder  Mahlzeit  ein  £sslö£fel  Vollmilch  zugesetzt. 
In  diese  Zeit  (81.  X.  03)  fiel  die  Untersuch ungsreihe  XIV.  Vjf  Stande  naoh 
einer  Mahlzeit  von  150  g  wurden  60  ccm  grobfiockiger  Mageninhalt  aus- 
gehebert^ dessen^G^s.  Ac.  0,332  pCt.  betrug.  Keine  freie  HCl.  Die  Mischungen 
von  Mageninhalt  und  Toxin  worden    */«  Stunden    im  Thermostaten  belassen. 


Tabelle  XIV. 


i 

1  1i 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 
16.  XI. 

03 

Verlauf  des  Versuches 

T«ztn 

Magen- 
inhalc 

Butter- 
milch 

1. 

315 

0,016 

— 

— 

— 

Tod  am  2.  XL,  froh  6  Uhr.    Ob- 
duktionsbef.  für  Diphth.  typisch 

2. 

190 

0,0095 

0,0475 

— 

225 

Lebt 

3. 

185 

0,0095 

0,28 

— 

187 

Lebt 

4. 

197 

0,01 

0,5 

— 

215 

Lebt 

5. 

177 

0,009 

0,9 

— 

190 

Lebt 

6. 

180 

0,009 

0,45 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  3.  XL,  nachm.  5  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  I 

7. 

170 

0,0065 

0,85 

gekocht 

— 

— 

Tod  am  5.  XL,  fr&h  9  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  l^o.  1 

8. 

155 

0,0075 

— 

0,75 

— 

Tod  am  2.  XL,  nachm.  5  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

9. 

160 

— 

0,9 

— 

161 

Lebt 

0,025  ccm  Mageninhalt  erwies  sich  wirksam  gegen  die  3  fach  tödliche 
Tozinmenge  (5:1);  0,25  ccm  (50:1),  0,5  ccm  (100:1)  aufgekochter  Magen- 
inhalt nnd  0,5  com  Buttermilch  hatteü  jedoch  keine  entgiftende  Eigenschaft. 
-^  Auffallend  war  die  hohe  antitoxisohe  Kraft,  die  der  Mageninhalt  dieses 
künstlich  genährten,  in  Reparation  befindlichen    atrophischen  Kindes    zeigte. 


No.  X?  betrifft  dasselbe  Kind,  bei  dem  schon  die  Versuche  No.  IV  und 
No.  VII  aasgefQhrt  worden  waren.  Das  nunmehr  33  Tage  alte  Kind  wiegt 
3870  g.  IVt  Standen  naoh  einer  Mahlzeit  von  80  g  Frauenmilch  werden 
12  ccm  kaum  geronnener  Mageninhalt  aasgehebert.  Ges.  Ac.  0,197  pGt. 
Freie  Salzs&are  nicht  vorhanden.  Die  Mischungen  Ton  Mageninhalt  und  Toxin 
werden  >/>  Stunde  lang  auf  Brutwärme  gehalten. 


138  Schütz,  Zur  KenDtnis  der  natürlichen  Immunität 

Tabelle  XV. 


d 

Gewicht  der 

Meer- 
schweinchen 
am  4.  XI.  03 

Injiziert  wurden 
(absolute  Menge) 

Gew. 

am 

4.  XII. 

08 

Verlauf  des  Versuches 

Toxin 

Magen- 
inhalt 

Frauen- 
milch 

1. 

265 

0,013 

— 

— 

— 

Tod  am  6.  XL,  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbef.  typ.  f.  Diphth. 

2. 

245 

0,013 

0,325 

— 

288 

Lebt 

3 

245 

0,013 

0,65 

— 

237 

Lebt 

4. 

280 

0,014 

0,35 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  9.  XL,  früh  7  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

5. 

275 

0,014 

0,7 
gekocht 

— 

— 

Tod  am  6.  XL,  früh  7  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

6. 

210 

0,0105 

— 

0,525 

— 

Tod  am  6.  XL,  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

7. 

225 

0,011 

— 

1,1 

— 

Tod  am  6.  XL,  nachm.  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

8. 

220 

0,011 

— 

2,2      ! 

Tod  am  6.  XL,  nachm.  3  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

9. 

230 

^ 

0,65 

__    ( 

320 

Lebt 

10. 

325 

0,0055 

— 

"    ! 

— 

Tod  am  8.  XL,  früh  6  Uhr. 
Obduktionsbefund  wie  No.  1 

mit 
der 


0,125  ccm  Mageninhalt  vernichtet  im  Verhältnis  25 :  1  die  Wirksamkeit 

3  Tozineinheiten.    Aufgekocht  bleibt  0,25  ccm  Mageninhalt  gegen  die- 

Menge  Gift  unwirksam  (50:  I),  ebenso  auch  1  ccm  Frauenmilch  (200:1). 

Es  wurden  somit  von  mir  an  12  Kindern  15  Untersuchungen 
Mageninhalt  vorgenommen.  9  von  den  Kindern  waren  an 
Brust,  3  künstlich  ernährt.     Unter  den  Kindern  waren: 

8  Neugeborene, 

1  war      2  Wochen  alt, 


waren  3 

„    1 

war      2 

.        8 


Monat 
Monate 


4  Versuche    (mit    Mageninhalt    von    2    an    der    Brust    und 

I  künstlich  genährten  Kinde)  hatten  einen  negativen  Erfolg.     In 

II  Versuchen  erwies  sich  aber  der  Mageninhalt  (von  8  an  der 
Brust  und  2  künstlich  ernährten  Kindern)  in  den  von  mir  ange- 
wendeten Mengen  in  verschiedener  Intensität  antitoxisch  wirkend. 

So  fand  ich  bei  einem  zwar  schwachen,  aber  sonst  gesunden, 
gut  gedeihenden  Bru^tkinde  (bei  2  Untersuchungen,  No.  IX  u.  XI) 
den  Mageninhalt  ohne  antitoxische  Wirksamkeit,  dagegen  entgiftete 


des  EiDdes  im  ersten  Lebensjahre.  139 

der  Mageninhalt  eines  künstlich  genährten  atrophischen,  aber  in 
Besserung  befindlichen  Kindes  (No.  XIV)  die  grössten  Toxindosen. 
Gleiche  Gegensätze  bilden  die  Fälle  IV  und  X.  Im  Falle  IV 
handelt  es  sich  um  ein  zwei  Wochen  altes,  gut  gedeihendes  Brust- 
kind, das  bei  der  ersten  Untersuchung  bezüglich  der  antitoxischen 
Fähigkeit  seines  Mageninhaltes  ein  negatives  Resultat  aufwies,  ink 
Fall  X  dagegen  um  ein  drei  Wochen  altes,  von  Geburt  an  künst- 
lich ernährtes  Kind  mit  beginnender  Atrophie,  welches  bereits  in 
diesem  Alter  einen  gegen  Diphtherietoxin  wirksamen  Mageninhalt 
hatte.  Dies  genügt,  um  zu  zeigen,  dass  die  toxinhemmende 
oder  -vernichtende  Eigenschaft  des  Mageninhaltes  unabhängig 
vom  Alter,  der  Art  der  Nahrung  und  dem  Ernährungszustande 
des  Kindes,  also  individuell  verschieden  ist. 

Ähnliche  Schwankungen  in  der  Wirksamkeit  von  Organ- 
sekreten oder  -Extrakten  gegenüber  Bakterien  oder  Giften  sind 
bereits  von  anderen  Autoren  konstatiert  worden.  So  fand  Talma*), 
dass  die  bakterienhemmende  Fähigkeit  der  Galle  bei  verschiedenen 
Tieren  individuell  schwankte,  und  ebenso  konnte  Zaremba^)  b'ei 
der  Prüfung  der  antitoxischen  Kraft  des  Pankreas-Extraktes  bei 
Säuglingen  individuelle  Differenzen  wahrnehmen. 

Bei  der  Besprechung  meiner  Versuche  muss  ich  zunächst 
auf  die  Frage  eingehen,  inwieweit  die  Nahrung  der  Kinder  zu 
der    antitoxischen  Wirksamkeit    des  Magens  in  Beziehung  steht. 

Über  die  Giftfestigkeit  verleihende  Eigenschaft  der  Milch 
liegen  folgende  Untersuchungen  an  Tieren  vor:  Ehrlich')  fand 
in  seinem  bekannten  Ammenvertauschungsversuche,  dass  Mäuse 
durch  Milch  Giftfestigkeit  gegen  Rizin  und  Abrin  erlangen  können. 
Brieger  und  Ehrlich*)  konnten  auf  junge  Mäuse  durch  Fütte- 
rung mit  einer  von  tetanusimmunen  Ziegen  stammenden  Milch 
Giftfestigkeit  gegen  Tetanustoxin  übertragen.  Brieger  und  Cohn*^) 
konnten  bei  Mäusen  aus  der  Milch  Antikörper  isolieren,  welche 
gegenüber  Tetanustoxin  Heilkraft  besassen.  Nach  Ehrlich  und^ 
Wassermann*)  enthält  die  Milch  einer  diphtherieimmunen  Ziege 
Diphtherie-Antitoxine,  deren  Wirksamkeit  15— 30mal  geringer  ist 
als  die  des  Blutserums   der  betreflFenden  Ziege.     Vaillard'')  be- 

0  Ref.  Centralbl.  f.  inn.  Med.  1901,  No.  8. 

»)  1.  c. 

»)  Zeitschr.  f.  Hygiene,  Bd.  XII,  1892. 

*)  Deutsche  med.  Wochenschr.  1892,  No.  18. 

>)  Zeitschr.  f.  Hygiene  u.  InfektioDskr.,  XV,  1898. 

<)  Zeitsohr.  f.  Hygiene  u.  Infektionskr.,  XVIII,  1893. 

0  Annales  de  Plnstitat  Pasteur,  XI,  1896. 


140  Schutz,  Ztif  Kenntnis  der  nat&rlichen  Immunit&t 

stätigt  EhrlicHs  Befände  anMäusen,  wähtend  bei  Meerschweiiichett 
and  Kaninchen  durch  die  Säugang  Giftfestigkeit  gegisn  Tetanus- 
toxin  nicht  übertragen  werden  konnte.  Salomon  undMadsen*) 
berichten  über  eine  gegen  Diphtherie  immunisierte  Stute,  deren 
Blut  200 mal  so  stark  antitoxisch  wirkte  als  ihre  Milch.  Römer') 
berichtet  über  eine  gegen  Diphtherie  ittiittaöisierte  Stute,  deren 
Fohlen  post  partum  frei  Ton  Antitoxin  war,  trotzdeln  das  mütter- 
liche Blut  einen  beträchtlichen  Antitoxingehalt  aufwies.  Während 
des  Stillens  konnten  bis  zum  16.  Tage  ansteigende  Mengen  Anti- 
toxin im  Fohlenblute  gefunden  werden,  dann  ti'at  eine  langsame 
Abnahme  ein.  Ein  ähnlicher  Versuch  Ransoms*)  (1898)  hatte 
das  entgegengeseta^e  Ergebnis.  Dais  Fohlen  besass  hier  post  partum 
in  seinem  Blute  eine  ziemlich  grosse  Tetanus-Antitoxinmenge, 
welche,  trotzdem  die  Milch  der  State  gleichfalls  Antitolin  enthielt, 
doch  kontinuierlich  sank. 

Aus  den  angeführten  Tierversuchen  können  wir  einmal 
ersehen,  dass  beim  Übergang  von  Antitoxin  in  die  Milch  dasselbe 
nicht  in  den  kindlichen  Körper  überzugehen  braucht.  Dann  aber 
erhellt  ans  ihnen,  dass  wir  nicht  das  Recht  hfiben,  an  einer  Tier- 
spezies gewonnene  Resultate  zu  verallgemeinem  resp.  auf  den 
Menschen  zu  übertragen. 

Zum  Beweise  eines  Übertritts  immunisierender  Schutestoffe 
ans  der  Milch  in  den  kindlichen  Organismus  werden  zahlreiche 
Versuche  herangezogen,  welche  den  Übertritt  von  Typhnsagglu- 
tininen  in  die  Milch  und  auf  das  Kind  beweisen  sollen.  Eine 
kritische  Sichtung  derselben  ergibt  folgendes: 

1.  Die  Agglutination  ist  mit  der  Immunität  nicht  identisch, 
wie  dies  die  Arbeiten  von  Pfeiffer*),  Stern*),  Vidal  und 
Nob^court*),  E.  Fränkel  und  Otto^  u-  A.  beweisen. 

2.  Vi  dal  selbst  sieht  in  der  Agglutination  ein  phenomene 
d'infection  und  nicht  eine  ph^nom^ne  d^immunit^. 

3.  Es  finden  sich  auch  bezüglich  der  Agglutination  in  der 
Literatur  die  widersprechendsten  Angaben  über  Beobachtungen 
am  Tier  und  Menschen. 


1)  Annales  de  l'Institat  Pasteur,  XI,  1897. 

^)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1901,  No.  46. 

*)  Zit.  nach  Römer. 

*)  Deutsche  med.  Wochenschr.     1896.    No.  6—7. 

«)  Ceutralbl.  f.  Bakteriol.    XXI.     1896. 

>)  La  Semaine  medic.     1897.    No.  87. 

0  Centralbl.  f.  Bakteriol.    XXIII.     1898. 


das  Kinde«  im  ersten  Lebensjahre.  141 

4.  Die  bei  den  einz^elneA  UntersuchujageD  gewonneneii 
AgglutinatioijiswBrte  fallea  zumeiet  in  das  Bereich  des  Physio- 
logischen. Ausserdem  sind  vielfach  die  Eivder  nicht  so  genau 
untersucht,  dass  ein  Typbusyerdacbt  auszuschliessen  wäre. 

Zur  Erlauter uQg  des  Angeführten  mochte  Ich  kurz  auf  2  Ver- 
suche eingehen. 

Yidal  und  Sicard^)  konnten  Agglutinationsfähigkeit  durch 
die  Milch  auf  juoge  Mäjase  übertragen.  Auf  Meerschweinchen 
oder  Kiatzen  konnte  aber  di;rch  Säugpng  niemals  Agglutinations- 
veriQ^gen  übertragen  werden. 

Schuhmacher')  beschreibt  folgenden  Fall:  Eine  Frau  er- 
krankte im  8.  bis  9.  Monate  der  Schwangerschaft  an  Typhus. 
4  Wocheji  später  (36.  Woche  der  Gravidität)  gebar  sie  ein  Kind. 
Die  Agglutination^ werte  des  Placentar-  und  Nabelsehnurblutes 
betrugen  nur  Vio  '^^^  ^^i  Prüfung  des  mütterlichen  Blutes  ui^d 
Colostrums  erhaltenen  Zahlen.  Am  11.  Tage  war  die  Agglutinations- 
kraft des  mütterlichen  Blutes  uad  der  Milch  unverändert;  das 
kindliche  Bl^t  aggJutinierte  um  26  pCt.  schwächer  wie  zuerst. 
Am  83.  Tage  waren  die  Agglutinationswerte  des  Blutes  der  Mutter 
noch  gestiegen,  das  kindliche  Blut  hingegen  agglutinierte  überr 
haupt  nicht  n^r,  trotz  ausschliesslicher  Brustnafarung,  während 
die  Milch  noch  am  112.  Tage  kräftig  agglutinierte. 

Endlich  wäre  hier  noch  zu  erwähnen,  was  über  die  Eigen- 
schaft der  Milch,  Schutzstoffe  gegen  Bakterien  zu  übertragen, 
bekannt  ist. 

Remlinger*)  konnte  bei  Kaninchen  und  Meerschweinchen 
die  Imn^unität  gegen  Typhusba^sillen  durch  das  Stillen  nicht  über- 
tragen. Brieger  und  Cohn^)  konnten  mit  ihren  konzentrierten 
Milchantikörpern  keinen  Schutz  gegen  Infektion  mit  Tetanussporen 
erzielen. 

Untersuchungen  am  Menschen,  welche  die  gegen  Bakterien 
oder  Toxine  schützende  Kraft  der  Milch  beweisen,  liegen  erst  in 
geringer  Zahl  vor. 

Schmid  und  Pflanz^)  fanden,  dass  die  im  Blute  der 
Wöchnerin  enthaltenen  Schntzkörper  in  die  Milch  übergehen. 
Ihre  Menge  ist  in  der  Milch  erheblich  geringer  als  im  Blute,    so 

')  La  Semsine  medic.     1897.    No.  85. 

»)  Zeitachr.  f.  Hygiene.    XXXVII.     1901. 

s)  Aonales  de  rinstitut  Paetear.     1899.    XIII. 

*)  I.  c. 

•)  Wiener  klin.  Wochenschr.     1896.    No.  42. 


142  Schütz,  Zur  Kenntnis  der  natürlichen  Immunität 

dass  man,    um  die    gleiche  Schutzwirkung  wie    mit  letzterem   zu 
erzielen,  stets  ein  mehrfaches  Quantum  der  ersteren  braucht. 

Der  höchste  Wert  (von  6  Versuchsreihen)  war  so  gross, 
dass  0,12  ccm  Milch  0,04  com  D-Toxin  (d.  h.  die  in  2  Tagen 
todliche  Dosis)  unwirksam  machte^).  Aus  diesen  Kesultaten 
folgert  Moro'-*):  „Es  wäre  somit  nach  den  Untersuchungen  von 
Schmid  und  Pflanz  im  Blute  der  Brustkinder  durch  das  mit 
der  Frauenmilch  eingefuhi*te  Antitoxin  eine  Steigerung  der  ursprüng- 
lichen Schutzkraft  (Fischl  und  Wunschheim)  gegeben."  Zu 
diesem  Schlüsse  berechtigen  die  Untersuchungen  von  Schmid 
und  Pflanz  keinesfalls.  Bei  meinen  Untersuchungen  habe  ich 
auch  mit  der  antitoxischen  Kraft  der  Nahrung  gerechnet  und  mit 
Frauenmilch  in  ähnlicher  Weise  wie  mit  Mageninhalt  Versuche  an- 
gestellt. Pro  100  g  Tiergewicht  habe  ich  in  mehreren  Versuchen 
ebenso  hohe  Milchmengen  als  Schmid  und  Pflanz,  allerdings 
gegen  etwas  stärkere  Toxindosen,  gebraucht.  Wenn  man  aber 
die  von  mir  gefundenen  hohen  toxin vernichtenden  oder  -hemmenden 
Werte  des  Mageninhaltes  mit  der  Wirksamkeit  der  Milch  von 
Frauen,  die  angeblich  keine  Diphtherie  durchgemacht  haben, 
vergleicht,  so  muss  man  zugeben,  dass  den  Angaben  von  Schmid 
und  Pflanz  kein  grosses  Gewicht   beigemessen  werden  darf. 

Wir  sehen  z.  B.  in  meinem  Falle  XV,  dass  0,25  ccm  Magen- 
inhalt die  Wirksamkeil  der  6fachen  Toxindosis  vernichtet,  während 
1  ccm  der  betreffenden  Milch  gegenüber  der  Sfachen  Toxindosis 
unwirksam  ist.  In  meinem  Falle  I  und  VI  vernichtet  ^/^  ccm 
Mageninhalt  die  Wirksamkeit  der  SOfach  tödlichen  Toxindosis, 
dieselbe  Milchmenge  aber  auch  nicht  einmal  den  10.  Teil  dieser 
Toxinmenge.  Wenn  der  Mageninhalt  des  von  Anfang  an  künstlich 
genährten  Kindes  No.  X  dieselben  antitoxischen  Wei*te  aufweist 
als  der  der  Brustkinder  No.  V,  VIII,  XII  und  XV,  und  wenn 
ein  seit  langer  Zeit  künstlich  genährtes  Kind  (No.  XIV)  den 
wirksamsten  Mageninhalt  aufweist  (0,25  ccm  Mageninhalt  hemmt 
die  Wirksamkeit  von  30  Toxindosen),  so  muss  man  sich  sagen, 
dass  die  Frauenmilch,  welche,  um  die  2-  bis  4fach  tödlichen 
Toxindosen  zu  vernichten,  im  besten  Falle  in  einer  Menge  von 
0,25  ccm,  häufig  aber  auch  in  einer  Menge  von  1,5  ccm  ver- 
wendet werden  muss  (Schmid  und  Pflanz),    unmöglich  für  die 


1)  Die  Zahlen  sind  durch  Umrechtiung  der  Werte  auf  100  g  Tiergewicht 
gewonnen. 

»)  Jahrb.  f.  Kinderheiik.    Bd.  LV.     1902. 


des  Kindes  im  ersten  Lebensjahre.  143 

hohe  Wirksamkeit  des  kindlichen  Mageninhaltes  gegenüber  dem 
Toxin  verantwortlich  gemacht  werden  kann. 

Einer  Besprechung  muss  ich  hier  die  Anschauungen  Moros ^) 
unterziehen,  nach  welchen  die  Frauenmilch  dem  Säuglingskörper 
Alexine  und  bakterizide  Stoffe  zuführen  soll.  Moro  fand,  dass 
weder  die  Frauen-  noch  die  Kuhmilch  nachweisbare  bakterizide 
Eigenschaften  besitzen.  Dagegen  hat  das  Blutserum  von  Brust- 
kindern, selbst  das  Serum  eines  schwachen  Brustkindes  (Körper- 
gewicht 1950  g)  eine  bedeutend  grössere  bakterizide  Kraft  als 
—  „unter  annähernd  gleichen  Verhältnissen"  —  das  Blutserum 
künstlich  genährter  Säuglinge.  Die  bakterizide  Kraft  des  Blut- 
serums ist  grösser,  solange  der  Säugling  an  der  Brust  trinkt, 
als  nach  Einleitung  der  künstlichen  Ernährung.  Dieser  letzte 
Schluss  ist  auf  einen  einzigen  Versuch  aufgebaut,  ohne  Angaben 
über  das  Verhalten  des  Kindes  während  der  künstlichen  Ernährungs- 
periode. Moro  fand  ferner,  dass  das  Blutserum  Neugeborener 
vor  der  ersten  Nahrungsaufnahme  dieselbe  bakterizide  Wirksamkeit 
zeigte  wie  das  Plazentarblutserum.  Dieselbe  betrug  59  pCt., 
d":  h.  59  pCt.  der  zugesetzten  Bakterienmenge  waren  nach  4  Stunden 
vernichtet.  Das  Plus  an  wirksamer  Substanz  betrug  hiernach 
bei  Brustkindern  18  pCt.,  während  die  Abnahme  derselben  bei 
künstlich  genährten  Kindern  gegenüber  dem  Plazentarblutserum 
25  pCt.  betrug. 

Die  Beurteilung  der  mitgeteilten  Versuche  wird  dadurch 
erschwert,  dass  die  Angaben  über  das  Verhalten  der  untersuchten 
Kinder  sehr  spärlich  sind. 

Um  das  widersprechende  Verhalten  der  Milch  und  des 
Serums  von  Brustkindern  zu  erklären,  stellt  Moro  die  Hypothese 
auf,  dass  die  Alexine  in  der  Milch  in  einem  eigentümlichen 
Bindungsverhältnisse  mit  dem  Kaseinmolekül  stehen  müssen  und 
erst  durch  die  Verdauung  aus  einer  unwirksamen  in  eine  wirk- 
same Modifikation  übergehen.  Die  Bindung  der  normalen  Blut- 
alexine  an  das  Milchkasein  sei  eine  Funktion  der  Brustdrüsen- 
zellen. 

Diese  Hypothese  ist  durch  nichts  gestützt  und  entspringt 
der  überwertigen  Idee,  dass  der  Säugling  seine  Immunität  gegen 
Toxine  und  Bakterien  durch  die  Frauenmilch  zugeführt  bekommt, 
und  dass,  wenn  wir  auch  die  bakterizide  resp.  antitoxische  Wirk- 
samkeit der  Milch  nicht  nachweisen  können,  dieselbe  doch  vor- 
handen ist. 

0  i.  c. 


1^4  Schütz,  Zar  K^njatois  der  natarlichen  Iipmuiiität 

'Uh  selbst  habe  in  12  Yersucbsreiben  die  antitoxiscbe 
Wirkung  der  Frauenmilch  geprüft  und  l^onnte  dieselbe  nur  2jaal 
(Fall  Y  uad  XIII)  nachweisen. 

In  der  Yersuchsrßihe  Y  vernichten  0,126  ccm  Milch  pro  100  g 
Tier  3  Dtozindosen,  wahrend  0,25  ccm  und  0,286  com  derselben 
Giftmenge  gegenüber  unwirksam  waren. 

In  der  Yersuchsreihe  XIII  waren  0,5  ccm  Milch  pro  100  g 
Tier  gegen  3  Dtoxindosen  wirksam,  wahrend  1  ccm  2  Dtoxin- 
dosen  ni^ht  zu  entgiften  imstande  war.O 

Derartige  kaum  erkl&rbare  Schwankungen  geben  mir  nicht 
das  Recht,  die  antitoxische  Fähigkeit  der  Frauenmilch  als  erwiesen 
zu  betrachten.  Dass  bei  Kuhmilch  und  Butteroodlch  von  einer 
entgiftenden  Eigenschaft  nicht  die  Rede  sein  kann,  soll  nur 
nebenbei  bemerkt  werden. 

Um  über  die  Natur  des  antitoxisch  wirkenden  Agens  näheren 
Au&chluss  zu  erhalten,  studierte  ich  den  Einflnss,  den  das  Er- 
wärmen und  Kochen  auf  dasselbe  ausübt«  Die  Resultate  dieser 
Untersuchungen  erscheinen  mir  bemerkenswert: 

6  Minuten  auf  60^  erwärmter  Mageninhalt  (Yersuchsreihe  I) 
zeigite  abgeschwächte  Wirksamkeit 

5  Minuten  anf  80^  erwärmter  Mageninbalt  (Yersuchsreihe  III) 
zeigte  dieselbe  Wirksamkeit  wie  im  natürlichen  Zustande. 

Dasselbe  Yerhalten  wies  5  Minuten  auf  82^  erwärmter 
Mageninhalt  (Yersux^hsreihe  Yll)  auf. 

Durch  5  Minuten  langes  Kochen  verlor  der  Mageninhalt  in 
6  Fällen  bei  natürlicher  und  in  einem  Falle  bei  Buttennilch- 
ernährung  selbst  die  kräftigste  antitoxische  Wirkung  ganz. 

Die  Ergebnisse  dieser  Yersuche  scheinen  darauf  zu  deuten, 
dass  die  das  Toxin  vernichtende  Substanz  organischer  Natur  ist. 

Es  liegt  nahe,  in  dieser  Substanz  das  Pepsin  zu  erblicken, 
besonders  da  von  Gamaleia^)  und  anderen  Autoren  über  die 
Dtoxinvernichtende  Fähigkeit  des  Pepsins  berichtet  worden  ist. 
Diese  Auffassung  scheint  mir  aber  nicht  ganz  vereinbar  mit  dem 
Resultate  allerdings  eines  einzigen  Yersuches,  in  welchem  sich 
5  Min.  lang  gekochter  Mageninhalt  wirksam  erwies,  wenn  auch 
schwächer  als  in  natürlichem  Zustande. 


^)  Übrigens  war  auch  in  einem  Versuche  von  Schmid  und  Pflanz 
das  Resultat  insofern  nicht  ganz  einwandfrei,  als  0,29  und  0,59  ccm  Frauen- 
milch pro  100  g  gegenüber  0,04  Toxin  wirksam  war,  während  0,876  ccm 
derselben  Milch  dieselbe  Giftmenge  nicht  paralysierte. 

')  Compt.  rend.  d.  l.  Societe  de  Biologie.     1892. 


des  Kindes  im  ersten  Lebensjahre.  *  145 

Fischl  and  Wnnschheim^)  fanden,  dass  das  Blutserum 
Neugeborener  durch  einstündiges  Erwärmen  auf  56®  oder  halb- 
stündiges Erwärmen  auf  66®  seine  antitoxische  Fähigkeit  nicht 
verliert;  sie  kann  demnach  durch  A^lexine  nicht  bedingt  sein. 

Charrin  und  Levaditi*)  konnten  dagegen  durch  viertel- 
stündiges Erhitzen  auf  72 — 74®  das  in  der  Pankreasdrüse  des 
Hundes  enthaltene,  gegen  Toxin  wirksame  Ferment  völlig  ver- 
nichten. 

Alle  diese  Untersuchungen  scheinen  darauf  hinzudeuten, 
dass  ausser  dem  Pepsin  noch  ein  anderer  hitze beständiger 
Körper  bei  der  Entgiftung  mitwirkt. 

Des  weiteren  war  es  von  Interesse,  nachzusehen,  inwieweit 
die  Acidität  des  Mageninhaltes  von  Einfluss  auf  die  Toxin- 
wirksamkeit  sei.  In  den  Versuchen  von  Charrin  und  Lefevre*) 
hatte  die  Salzsäure  eine  hemmende  Wirkung  auf  Dtoxin  gezeigt. 
Dagegen  fanden  Nencki,  Sieber  und  Schoumow-Simanowski, 
dass  die  Säure  des  Magensaftes  allein  nicht  die  Gift  Wirkung  auf- 
hebt. Denn  in  ihren  Versuchen  hatte  der  Magensaft,  mit  Soda 
bis  zur  schwach  sauren  Reaktion  abgestumpft,  dieselbe  Wirkung 
wie  ohne  Soda. 

Meine  eigenen  Versuche  zeigten,  dass  der  Grösse  der  Ge- 
samtacidität  auf  die  antitoxische  Fähigkeit  des  Mageninhaltes  kein 
erheblicher  Einfluss  zukommt.  Denn  abgesehen  von  einem  Falle 
(Versuchsreihe  X)  wurde  dieselbe  in  den  Versuchsreihen  VI, 
XIII,  XIV  trotz  grosser  Gesamtacidität  durch  Kochen  auf- 
gehoben. 

Um  mich  über  den  Einfluss  der  Acidität  auf  das  Toxin  zu 
orientieren,  stellte  ich  einige,  allerdings  nicht  ausreichende  Ver- 
suche derart  an,  dass  Meerschweinchen  tödliche  Toxindosen, 
welche  mit  verschieden  starken  Salzsäurelösungen  digeriert  waren, 
injiziert  wurden.  Es  geht  aus  ihnen  hervor,  dass  die  Salzsäure 
einen  entgiftenden  Einfluss  auf  Dtoxin  haben  kann;  dieser  ist 
aber  bei  den  minimalen  Mengen  von  Salzsäure,  welche  im  Säug- 
lingsmagen vorhanden  sind,  unwahrscheinlich. 

Wenn  ich  die  Resultate  meiner  Untersuchungen  zusammen- 
fasse, so  ergibt  sich  folgendes: 


0  Jahrb.  f.  Kinderheilk.    Bd.  XLI.     1896. 
>)  Compt.  reod.  de  la  Soc.  de  Biol.    1899. 
>)  Compt.  rend.  de  la  Soc.  de  Biol.     1897. 
Jahrbuch  f.  Klnderhellkande,    N.  F.    LXI,  Heft  1.  IQ 


146  Schütz,  Zur  KenntniB  der  natürlichen  Immnnit&t  etc. 

1.  Die  Eigenschaft  des  Magensaftes,  Diphtherietoxin  zu 
entgiften,  ist  bei  Säuglingen  individaell  verschieden  nnd  un- 
abhängig vom  Alter,  der  Ernährung  und  dem  Emährungsznstande 
des  Kindes. 

2.  Die  Frauenmilch  besitzt  keine  nennenswerte  antitozische 
Wirksamkeit  gegenüber  dem  Diphtheriegift. 

3.  Der  Mageninhalt  verliert  durch  Aufkochen  seine  ent- 
giftenden Eigenschaften. 

4.  Hohe  Aciditätsgrade  des  Mageninhaltes  können  möglicher- 
weise die  Wirkung  von  Diphtherietoxin  abschwächen. 

5.  Abgesehen  von  der  kongenitalen,  ist  die  natürliche 
Immunität  des  Kindes,  wie  die  Erfahrung  zeigt,  hauptsächlich  in 
seinem  Gedeihen  begründet  und  unabhängig  von  der  Art  der 
Nahrung. 

Juli  1904. 


XI. 

Ober  Deminerallsation  und  Fleischtherapie  bei 
Tuberkulose. 

Von 

Dr.  FRANZ  STEINITZ    und    Dr.  RICHARD  WEIGERT, 

AMiatanten  der  Kllaik. 

In  Frankreich  hat  unter  den  Theorien,  die  sich  mit  dem 
Zasammenhang  von  Infektion  -und  chemischer  Konstitution  des 
Körpers  beschäftigen,  die  Theorie  der  Demineralisation  eine  aus- 
gedehnte Verbreitung  gefunden.  Der  Begriff  der  Demineralisation 
bei  Tuberkulose  wurde  unseres  Wissens  von  Robin*)  geschaffen. 
Ausgehend  von  Beobachtungen,  nach  denen  die  Ausscheidung 
fester  Urinbestandteile  bei  Tuberkulösen  gegenüber  Gesunden 
vermehrt  sein  soll,  supponierte  er  eine  dadurch  erfolgende,  dem 
Organismus  schädliche  Verarmung  an  fixen  Bestandteilen. 
Die  Ausscheidung  derselben  erfolgt  am  intensivsten  bei  be- 
ginnenden Tuberkulosen  und  beträgt  im  Mittel  pro  die  50,81  g, 
während  sie  bei  stationären  Fällen  auf  32,93  g  und  bei  weit 
fortgeschrittenen,  im  Endstadium  der  Krankheit  befindlichen 
Tuberkulösen  auf  29,48  g  sinkt. 

Im  Zusammenhang  mit  dieser  Erscheinung  findet  Robin 
eine  Verschiebung  des  Verhältnisses  der  im  Urin  ausgeschiedenen 

Mineralien    zu    der    Summe    der    festen    Bestandteile    desselben. 

* 

Dieses  —  le  coSfficient  de  demineralisation  —  beträgt  bei  den  drei 
oben  genannten  Gruppen  der  Krankheit  38,8  pCt.,  35,3  pCt.  und 
30,4  pCt.,  ist  also  in  der  1.  Periode  der  Tuberkulose  am  grössten. 
Ebenso  faud  Boureau*)  das  Verhältnis  des  Urinstickstoffes 
zu  den  anorganischen  Bestandteilen  bei  Tuberkulösen  zu  10,11:9,0, 
während  Gaube^)  beim  Gesunden  aaf  15,24  Stickstoff  18,5  Mineral- 
bestandteile berechnete. 


')  Robin,    Sur   la    nntrition    dans    la  phthise   pulmonairo.      Archives 
gen^rales  de  medecine.     1895.    Bd.  175.    S.  885. 

>)  Zitiert  nach  Le  Coat  de  Kervegaen.     These  de  Paris.     1902.    S.  25. 

10^ 


148  Steinitz-Weigert,  Über  DemioeralisatioD 

Für  eine  Demineralisation  des  Organismus,  die  sich  nach 
dieser  Hypothese  vorzugsweise  auf  Ealk  und  Magnesia  er- 
strecken soll,  sprach  ein  Befund  von  Gaube^),  nach  dem  auf 
1000  cm^  Urin  bei  Gesunden  0,336  g  an  Kalk  und  Magnesia,  bei 
Individuen,  deren  Eltern  oder  Grosseltem  an  Tuberkulose  ge- 
storben waren,  0,606  g  kommen. 

Diese  Befunde  dienten  als  Unterlage  für  die  bereits  er- 
wähnte Theorie  der  Demineralisation.  Die  Autoren  sind  sich 
darin  einig,  dass  die  von  ihnen  angenommene  Verarmung  des 
Organismus  an  Mineralbestandteilen  ein  primärer  Vorgang  ist, 
der  nicht  der  destruktiven  Tätigkeit  der  Tuberkelbazillen  seine 
Entstehung  verdankt,  sondern  im  Gegenteil  erst  das  Terrain  für 
die  Ansiedlung  der  Tuberkelbazillen  vorbereitet. 

Nach  derselben  Annahme  findet  die  Demineralisation  ihren 
Ausdruck  in  einer  veränderten  Reaktion  der  Gewebe,  d.  h.  in 
einer  Herabsetzung  ihrer  Acidität.  Da  die  saure  Reaktion  des 
Organismus  gleichfal^  einen  Faktor  im  Kampfe  gegen  den 
Tuberkelbacillus  darstellt,  so  soll  auch  die  durch  den  Verlust  an 
Mineralien  bedingte  Hypacidität  eine  Verminderung  der  Resistenz 
gegenüber  Infektionen  zur  Folge  haben. 

Von  Seiten  deutscher  Autoren  hat  die  Frage  der  Demine- 
ralisation bisher  nur  wenig  Beachtung  gefunden.  Wenn  wir  von 
den  Befunden  Senators^)  absehen,  da  er  lediglich  Urin e  Tuber- 
kulöser untersuchte,  in  denen  er  eine  vermehrte  Kalkausscheidung 
finden  konnte,  so  bleiben  eigentlich  nur  die  Untersuchungen 
Otts*)  zu  erwähnen.  Sie  sind  die  einzigen,  die  sich  mit  der 
Nachprüfung  der  von  den  Franzosen  aufgestellten  Theorie 
beschäftigen. 

In  richtiger  Würdigung  des  von  Robin  und  anderen 
Autoren  gemachten  Fehlers,  Schlüsse  auf  den  Gesamtbestand  des 
Organismus  lediglich  auf  Urinuntersuchungen  aufzubauen,  be- 
stimmte er  bei  Tuberkulösen  in  verschiedenen  Stadien  der 
Krankheit  die  Gesamteinnahmen  und  -Ausgaben,  und  zwar  er- 
streckten sich  seine  Bilanzen  auf  Stickstoff,  Gesamtasche  und 
alle    wichtigeren  Mineral bestandteile,    mit  Ausnahme    von   Eisen. 


^)  Gaube,  De  la  chaux  et  de  ia  magnesie  chez  les  descendants  de 
tubercaleux.     Gompt.  rend.  de  la  soci^te  de  biologie.     1894.    Bd.  46. 

»)  Senator,  Charite-Annalen.     1882.     S.  397. 

*)  Ott,  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin,  Bd.  70,  S.  582,  und  Zeit- 
schnft  f.  klin.  Medizin,  Bd.  50,  S.  432. 


UDcl  Fleischtherapie  bei  Tuberkulose. 


149 


Seine    Yersuchsresultate    seien    durch    folgende  Tabelle,    in    der 
aber  nur  Stickstoff  und  Gesamtasche  berücksichtigt  sind,  erläutert. 


Dauer  des 
Versuches 

Krankheitszustand 

N-Bil. 

Asche- 
ßil. 

Körper- 
ansatz 

Ernährung 

I.  Versuch 

4  Tage 
IL  Versuch 

4  Tage 

III.  Versuch 

3  Tage 

Beginnender  Spitzenkatarrh. 

Im  wesentlichen  fieberfrei. 

Verdichtung  des  1.  Oberlappens. 

Nachtschweiss.    Fieber. 
Verdichtung  des  L  Oberlappens. 
Nachtschweiss.    Febris  hectica. 

+  10,13 
+   0,8 
-2,9 

+  2,45 

^8,7 

-4,86 

+  650g 
-400g 
-300g 

Milch.  Plaa- 

moniwielMMdc. 

CognaiB. 

Dass. 
Dassi 

Was  die  Bilanzen  der  Einzel-Mineralien  anlangt,  so  waren 
sie  im  1.  Versuche  bis  auf  den  Schwefel  durchweg  positiv,  im 
zweiten  Versuche  bis  auf  Na,  Mg  und  Gl  negativ,  im  3.  Ver- 
suche bis  auf  E,  S  und  P  positiv. 

Im  Anschluss  hieran  seien  Untersuchungen  desselben  Autors 
«rwähnt,  die  sich  nur  auf  Ca-  und  Mg-Bilanzen  erstrecken.  Als 
Besultat  derselben  hatte  sich  ergeben,  dass  bei  so  hinreichender 
Ernährung,  dass  stärkere  Verluste  des  Körpers  an  Eiweiss  ver- 
hütet werden,  auch  bei  fiebernden  Phthisikern  von  Verlusten  an 
Kalk  und  Magnesia  keine  B.ede  sein  kann. 

Aus  all  diesen  Untersuchungen  folgert  Ott: 

„1.  Auch  bei  vollkommener  Ruhe  setzt  der  rekonvaleszente 
Phthisiker  nicht  nur  Fett,  sondern  auch  Gewebssubstanz  an,  und 
zwar  letztere  in  sehr  beträchtlichem  Masse;  2.  das  Vorkommen 
«iner  Demineralisation  bei  vorgeschrittener  Tuberkulose  muss 
zugegeben  werden;  dieselbe  ist  indes  weder  ein  regelmässiges 
Symptom  bei  vorgeschrittener  Tuberkulose,  noch  ist  sie  als 
Frühsymptoip  zu  betrachten." 

Wenn  wir  auch  durch  unsere  eigenen  Untersuchungen  zu 
«inem  ähnlichen  Resultat  gekommen  sind  wie  Ott,  so  möchten 
wir  es  doch  nicht  unterlassen,  darauf  hinzuweisen,  dass  auch 
diese  Untersuchungsbedingungen  nicht  exakt  genug  gewählt 
sind,  um  die  Frage  der  Demineralisation  zu  klären.  Es  erscheint 
uns  nicht  angängig,  aus  drei  bis  vier  Tage  dauernden  Ver- 
buchen, selbst  wenn  die  Resultate  derselben  erhebliche  Aus- 
schläge bringen,  auf  den  Gesamtbestand  zurückzuschliessen,  denn 
die  einzelnen  Faktoren  schwanken  vermutlich  auch  bei  gesunden 
Individuen  in  weiten  Grenzen.  Überdies  könnte,  selbst  wenn  ein 
kurzer  Stoffwechsel  versuch  keinerlei  Anhalt  für  eine  Demineralisation 


150  Stoinitz-Weigert,  Über  Demmeralisation 

ergeben  y^urde,  eine  solcbe  nicht  aasgeschlossen  werden,  denn 
es  handelt  sich,  wie  von  den  französischen  Autoren  ausdrucklich 
hervorgehoben  wird,  nicht  um  eine  Verarmung  des  Organismus 
an  Mineralien  infolge  der  Giftwirkung  der  Tuberkelbazillen^ 
sondern  um  einen  bei  Beginn  des  tuberkulösen  Prozesses  bereits 
vorhandenen  Minderbestand  an  anorganischen  Stoffen,  der  gleichsam 
die  Disposition  zur  Erkrankung  darstellt. 

Da  auf  dem  Wege  der  Stoffwechseluutersuchungen  aus  den 
erörterten  Gründen  eine  Lösung  der  Frage  nicht  zu  erwarten 
war,  so  suchten  wir  auf  einem  anderen  Wege  zu  entscheiden,  ob 
eine  Demineralisation  bei  tuberkulösen  Individuen  vorhanden  ist. 
Dieser  Weg  war  die  chemische  Untersuchung  des  gesamten 
Körpers  eines  Tuberkulösen.  Es  war  klar,  dass  uns  bei  dieser 
Methode  eine  Demineralisation  nicht  entgehen  konnte.  Denn 
wenn  sie  schon  bei  Beginn  der  Krankheit  vorhanden  ist,  so  ist 
ihr  Bestand  nach  Ausgang  derselben  um  so  eher  zu  erwarten, 
weil  keine  Veranlassung  vorliegt,  anzunehmen,  dass  sie  sich  im 
Laufe  der  Krankheit  ausgleiche.  Haben  doch  die  französischen 
Ärzte  sowohl  bei  beginnender  wie  bei  fortgeschrittener  Tuber- 
kulose eine  vermehrte  Ausscheidung  von  Mineralbestandteilen 
nachweisen  können. 

Da  wir  uns  nicht  auf  vergleichende  Daten  des  gesunden 
Erwachsenen  stützen  konnten,  so  mussten  wir  ein  möglichst  junges 
Objekt  für  unsere  Untersuchungen  wählen  und  als  Vergleichs- 
werte die  bezüglichen  Zahlen  heranziehen,  die  für  den  gesunden 
Neugeborenen  und  für  den  mehrere  Monate  alten  magendarm- 
kranken  Säugling  vorliegen. 

Kind  Emma  W.,  10.  Kind.  Das  Kind  wurde  nach  dreitägiger  Brust- 
ernährung mit  Mileh  und  Wasser  in  aufsteigender  Konzentration,  in  letzter 
Zeit  mit  Yollmich  unter  Zugabe  von  wenig  fester  Nahrung  (Biskuit),  ernährt. 
Am  18.  Januar  1904  wurde  es  im  Alter  von  einem  Jahre  in  die  Poliklinik 
eingebracht  mit  der  Angabe,  dass  es  seit  zwei  bis  drei  Monaten  mit  An- 
fällen von  Blauwerden  und  Atemnot  huste,  und  dass  die  Nahrungsaufnahme 
schlechter  geworden  sei. 

Status  praesens:  Schlecht  genährtes  Kind  mit  blaugrauer  Hautfarbe 
und  Dvspnoe.  Das  Gewicht  des  stark  abgemagerten  Kindes  beträgt  4800  g. 
Fieber  besteht  nicht  (37,5 ^  C.).  Hypertrichosis.  Decubitus  am  Anus.  Über 
beiden  Lungen  fehlt  allenthalben  der  normale  helle  Perkussionsschall. 
R.  H.  hört  man  ausgebreitetes  Bronchialatmen  und  beiderseits  spärliche^ 
teilweise  klingende  bronchitische  Geräusche. 

Leber  und  Milz  sind  erheblich  yergrössert. 

Am  26.  1.  Deutliche  Ödeme  der  unteren  Extremitäten,  am  28.  1.^ 
nachmittags  um  ^i^  Uhr,  erfolgt  der  Exitus  letalis.  Bereits  zwei  Stunden 
später  wurde  das  Kind  in  die  Poliklinik  gebracht  und  sofort  gefroren. 


und  Fleischtherapie  bei  Tuberkulose. 


151 


Die  Berechtigung  der  Diagnose  einer  Tuberkulose,  die  schon 
durch  den  klinischen  Befund  und  Verlauf  gestützt  schien,  wurde 
noch  durch  folgende  anamnestische  Daten  gesichert.  Während 
zwar  in  der  Familie  eine  hereditäre  Belastung  nicht  vorlag,  war 
zehn  Tage  zuvor  eine  in  demselben  Hausstande  befindliche  Pflege- 
schwester des  Kindes  an  einer  durch  die  Obduktion  bestätigten 
Tuberkulose  zu  Grunde  gegangen.  Es  lag  die  Vermutung  nahe, 
dass  unsre  Patientin  von  ihrer  gleichaltrigen  Pflegeschwester  in- 
fiziert worden  war. 

Die  Diagnose  wurde  durch  die  am  30.  1.  an  dem  gefrorenen 
Kinde  vorsichtig  und  verlustlos  ausgeführte  Obduktion  bestätigt. 
Es  handelte  sich  um  ausgebreitete  verkäste  Herde  in  beiden 
Lungen  und  in  den  Bronchialdrüsen.  Die  Mesenterialdrüsen  waren 
gleichfalls  verkäst,  und  in  der  vergrössei-ten  Milz  waren  deutliche 
Tuberkel  zu  konstatieren.  Auf  weitere  Details  der  pathologisch- 
anatomischen  Veränderungen  konnte  mit  Rücksicht  auf  rasches 
Arbeiten  nicht  geachtet  werden. 

Die  Verarbeitung  erfolgte  nach  dem  Prinzip  von  Camer  er 
und  Söldner^)  mit  der  von  uns^)  beschriebenen  Modifikation,  die 
darin  bestand,  dass  diie  Zerkleinerung  nicht  manuell,  sondern  in 
einer  geeigneten  Maschine  vorgenommen  wurde.  Der  gut  durch- 
gemischte Brei  wurde  mit  Alkohol  und  Äther  extrahiert,  ge- 
trocknet und  in  einer  Pulvermühle  fein  zermahlen.  Die  Alkohol- 
und  Atherextrakte  wurden  eingeengt  und  vereinigt. 

Bestimmt  wurden  Wassergehalt,  Stickstoff,  Ätherextrakt, 
Gesamtasche  und  von  einzelnen  Mineralbestandteilen  P2O5,  CaO, 
Gl,  KjO,  NajO,  MgO  und  Fe^  0«. 

Gewicht  des  Kindes  4619  g. 


Tabelle  I. 
Absolute  Werte  in  Gramm: 


.    i 

Trocken- 
substanz 

Ätherextrakt 

Asche 

N 

Pulver              1 

Alkohol-  +  Äther-   , 
extrakt              { 

716,55 
200,29 

27,8875 
154,2 

108,87       '       92,00 

22,92                5,372 

! 

Summa  | 

916,84 

182,09 

131,79 

97,372 

1)  Zeitschr.  f.  Biologie.     Bd.  39.    S.  173. 
')  Stein itz,  Jahrb.  f.  Kinderheiik.    Bd.  59. 
Weigert,  dieses  Heft.    S.  187. 


S.  447. 


152 


Steinitz-Weigert,  Über  Demineralisation 


Tabelle  II. 

100  g  Leibessubstanz  enthalteD: 


Wasser 

Trocken- 
substanz 

Ätherextrakt 

Asche 

N 

79,71 

20,29 

4,03 

2,85 

2,154 

100  g  fettfreic  Leibessnbstanz  enthalten: 


88,06 


lß,94 


3,04 


2,245 


Tabelle  III. 
100  g  TrockensubstaDZ  enthalten: 


Ätherextrakt 

Asche 

N 

19,9 

14,4 

10,6 

100  g  fettfreie  Trockensubstanz  enthalten: 

1         17,94 

13,2 

Tabelle  IV. 

Der  gesamte  Körper 

100 

g  Asche 

enthalten 

P,0»                          45,73 

34,7 

CaO                           47,25 

85,85 

Gl                               9,73 

7,38 

K,0                            9,07 

6,88 

Na,0                         11,9 

9,08 

MgO                          1,8 

0,99 

Fe,0,                         0.56 

0,425 

Summa 


125,54 


95,255 


Wenn  wir  die  vorliegenden  Zahlen  zu. Schlüssen  verwerten 
wollen,  so  müssen  wir  zum  Vergleiche  die  in  der  Literatur  schon 
vorhandenen  Säuglingsanalysen  heranziehen.  Es  sind  dies  die 
Untersuchungen  von  Sommerfeld^),  Camerer  und  Söldner  •) 
und  Steinitz^).  Alle  diese  Analysen  beziehen  sich  auf  Neu- 
geborene oder  magendarmkranke  Säuglinge  bis  zum  Alter  yon 
höchstens  4  Monaten,  sodass  unmittelbar  mit  unserem  tuberkulösen 


1)  Arch.  f. 

Kinderheilk. 

Bd. 

30. 

S. 

253. 

>)  Zeitschr. 

f.  Biologie. 

Bd. 

43. 

S. 

1. 

»)  1.  c. 

und  Fleisohtherapie  bei  Tuberk alose.  153 

Kinde  vergleichbare  Werte  leider  nicht  zur  Yei*fügang  stehen.  Da 
aber  bis  aaf  den  Fettgehalt  alle  bisher  vorliegenden  Zahlen  mitein- 
ander übereinstimmen,  mögen  sie  sich  auf  Neugeborene  oder  einige 
Monate  alte  chronisch  magendarmkranke  Säuglinge  beziehen,  so 
begehen  wir  sicherlich  keinen  erheblichen  Fehler,  wenn  wir  dieselben 
als  Vergleich smaterial  für  unseren  vorliegenden  Fall  benutzen. 
Denn  wir  wissen  zwar,  dass  sich  im  Laufe  der  Wachstumsperiode 
das  Verhältnis  der  festen  Bestandteile  untereinander  und  dieser 
zum  Wasser  nicht  unerheblich  ändert,  doch  erfolgt  die  Umsetzung 
so  allmählich,  dass  man  die  grob  chemische  Zusammensetzung 
eines  ein  Jahr  alten,  als  nahezu  identisch  mit  der  eines  vier 
Monate  alten  Kindes  ansehen  kann. 

Was  den  Wassergehalt  anlangt,  so  ist  derselbe  gegenüber 
dem  des  gesunden  Neugeborenen,  bei  dem  er  71,8  pCt.  beträgt,  mit 
79,71  pCt.  erheblich  erhöht.  Da  aber  der  Fettgehalt  des  tuber- 
kulösen Kindes  nur  4,03  pCt.  gegenüber  12,3  pCt.  beim  Neu- 
geborenen beträgt,  was  ja  nach  dem  Überstehen  einer  konsump- 
tiven  Krankheit  nicht  verwunderlich  ist,  so  wird  der  Unterschied 
gering,  wenn  der  Wassergehalt  auf  fettfreie  Leibessubstanz  be- 
rechnet wird:  Wassergehalt  des  fettfreien  Neugeborenen  81,9  pCt., 
Wassergehalt  des  fettfreien  tuberkulösen  Kindes  83,06  pCt.  A  priori 
wäre  anzunehmen  gewesen,  dass  der  Wassergehalt  des  ein  Jahr 
alten  Kindes  kleiner  oder  zum  mindesten  nicht  grösser  sein 
würde,  als  der  des  Neugeborenen.  Dass  dies  nicht  der  Fall  ist, 
könnte  begründet  sein  in  dem  Vorhandensein  von  Ödemen,  dann 
aber  auch  in  Veränderungen,  die  die  Tuberkulose  in  der  Zu- 
sammensetzung des  Organismus  hervorgerufen  haben  könnte, 
Veränderungen,  die  allerdings  von  Steinitz  bei  den  Analysen 
magendarmkranker  Kinder  nicht  gefunden  wurden. 

Da  sowohl  der  Fettgehalt  des  Organismus  in  weiten  Grenzen 
wie  auch  der  Wassergehalt,  wenn  vielleicht  auch  nur  in  geringerem 
Masse,  schwanken  kann,  so  sind  Schlüsse  auf  das  Verhältnis 
zwischen  organischer  und  anorganischer  Substanz  —  also  auf  eine 
eventuelle  Demineralisation  —  nur  durch  Berechnung  auf  fett- 
freie Trockensubstanz  möglich. 

Wir  stellen  deswegen  die  bezüglichen  Zahlen  des  Durch- 
schnittkindes von  Camerer  und  Söldner,  des  ältesten  von 
Steinitz  und  des  von  Sommerfeld  untersuchten  Kindes  in 
folgender  Tabelle  zusammen. 


154 


Steinitz-Weigert,  Über  Demineralisation 
100  g  fettfreie  Trockensabstanz  enthalten: 


Ge- 
samt- 
ascii« 


CaO 


P1O5 


K,0 


Na,0 


Gl 


MgO 


Fe,0, 


Gamerer  a.   Söld- 
ner: Neageb. 
Gewicht:  2821  g 

Steinitz:  4monatl. 
magendarmkrankes 
Kind.  Gew.  :3190  g 

S  0  m  m  e  r  f  e  I  d :  3  mon. 
magen  darmkrankes 
Kind.  Gew.  :4340  g 

Steinitz  nnd  Wei- 
gert: Tuberkalöses 
Kind  IJ.  alt.  Gew.: 
4519  g 


16,8 

18,44 

16,5 

17,94 


6,4 
6,97 


6,443 
6,88 


1,206 


1,263 


1,445 


1,434 


1,114 


1,087 


0,1745 


0,2437 


0,1163 


fehlt 


6,43 


6,2-24 


1,284 


1,62 


1,824 


0,1769 


0,0762 


Aus  dieser  Tabelle  ergibt  sich,  dass  der  Gesamtaschengehalt 
des  an  Tuberkulose  zugrunde  gegangenen  Kindes  ca.  18  pCt. 
der  fettfreien  Trockensubstanz  beträgt.  Er  ist  also  nur  um  Wenig 
geringer  als  der  des  viermonatlichen  magendarmkranken  Kindes 
und  deutlich  vermehrt  gegenüber  dem  der  Neugeborenen  und 
des  dreimonatlichen  Kindes  von  Sommerfeld.  Dieser  letztere 
Unterschied  scheint  uns  um  so  bedeutungsvoller,  als  das  Gewicht 
unseres  Kindes  und  des  Kindes  von  Sommerfeld  ungefähr 
gleich  ist. 

Die  Werte  der  Einzelaschen  haben  für  die  Frage  der  all- 
gemeinen Demineralisation  keine  grosse  Bedeutung,  insofern  als  sie, 
verglichen  mit  den  Zahlen  des  Neugeborenen  und  des  magen- 
darmkranken Kindes,  nicht  gleichsinnig  laufen,  d.  h.  z.  T.  ver- 
mehrt, z.  T.  vermindert  sind. 

So  ist  der  Gehalt  an  Kalk,  Phosphor  und  Magnesia  bei  dem 
tuberkulösen  Kinde  etwas  niedriger  als  erwartet  werden  musste. 
Es  handelt  sich  hier  aber  nicht  um  eine  für  Tuberkulose  spezi- 
fische Verarmung  an  diesen  Mineralbestandteilen,  sondern  um 
eine  Folge  der  nicht  unbeträchtlichen  Rachitis  des  Kindes,  die 
jedenfalls  den  Minderbetrag  an  phosphorsaurem  Kalk  und 
Magnesia  erklärt. 

Hingegen  besteht  eine  Vermehrung  von  Chlor  und  Natrium. 

Der  Gehalt  an  Kalium  ist  unverändert,  der  Eisengehalt 
spielt  wegen  der  geringen  Menge  des  überhaupt  vorhandenen 
Eisens  bei  der  Erörterung  unserer  Frage  keine  Rolle. 


and  Fietschtherapie  bei  Taberkalose.  155 

Wenn  sich  demnach  die  von  den  Franzosen  supponierte 
Theorie  der  Demineralisation  bei  Tuberkulose  nicht  als  stichhaltig 
erwiesen  hat,  so  soll  damit  nicht  gesagt  sein,  dass  die  Disposition 
zur  Tuberkulose  nicht  in  einer  anders  gearteten  chemischen  Um- 
Stimmung  des  Kqrpers  begründet  sein  könnte,  deren  Natur  wir 
allerdings  nicht  kennen.  So  gibt  es  einige  klinische  Erfahrungen, 
durch  die  der  Zusammenhang  zwischen  Tuberkulosedisposition  und 
chemischer  Zusammensetzung  des  Körpers  wahrscheinlich  gemacht 
wird.  Wir  weisen  auf  die  Tatsache  hin,  dass  Gichtiker  gegen 
Tuberkulose  relativ  immun  sind,  und  dass  eine  grosse  Reihe  von 
Fleischfressern  schwer  oder  garnicht  mit  Tuberkulose  zu  infizieren 
ist.  Auch  diese  Beobachtungen  wurden  darauf  zurückgeführt, 
dass  hauptsächlich  von  animalischer  Kost  lebende  Individuen  reich 
an  Mineralien  sein  sollen. 

Einer  der  eifrigsten  Verfechter  dieser  Ansicht  ist  Le  Coat 
de  Kerv^guen^),  der  zum  Zweck  einer  zielbewussten  Prophylaxe 
der  Tuberkulose  vorschlug,  durch  Ernährung  ev.  mit  Unter- 
stützung '  einer  medikamentösen  Therapie  den  Organismus  he^ 
drohter  Individuen  chemisch  umzustimmen  und  an  Mineralien  an- 
zureichern. 

Diese  durch  eine  Therapie  erreichbare  Übermineralisierung 
des  Organismus  und  deren  günstigen  Einfluss  auf  den  Verlauf 
von  Tuberkulose  nachzuprüfen,  war  der  Zweck  einiger  Versuche, 
in  denen  in  der  Breslauer  pädiatrischen  Klinik  und  Poliklinik 
tuberkulöse  Kinder  einer  Behandlung  mit  rohem  Fleisch  unter- 
zogen wurden.  Dass  wir  rohes  und  nicht  gekochtes  Fleisch,  das 
in  demselben  Masse  eine  Übermineralisierung  hätte  bewirken 
mQssen,  verabreichten,  hatte  seinen  Grund  darin,  dass  eine  grosse 
Reihe  französischer  Autoren  in  neuester  Zeit  gleichfalls  solche 
Versuche  angestellt'  und  nur  mit  rohem  Fleisch  Erfolge  erzielt 
hatten. 

Diese  letzteren  Versuche  gingen  allerdings  nicht  von  theo- 
retischen Erwägungen  aus,  sondern  verdankten  ihre  Entstehung 
dem  Zufall. 

Riebet^)  ernährte  bei  Versuchen  über  medikamentöse  Be- 
handlung experimenteller  Tuberkulose  zufällig  eines  der  geimpften 
Tiere  mit  rohem  Fleisch,  und  gerade  dieses  Tier  war  das  einzige, 

0  1.  c. 

')  Zitiert  nach  Raison ni er,  La  Zomotherapie  etc.  These  de  Paris. 
1902.  S.  22. 


156  Steinitz-Weigert,  Über  Demineralisation 

das  die  Infektion  überstand.  Daher  stellte  er  im  Verein  mit  Hiri- 
court^)  nunmehr  systematische  Versuche  über  die  Behandlung  der 
Tuberkulose  mit  rohem  Fleich  an.  Das  Resultat  der  Experimente  war 
völlig  eindeutig.  Die  mit  rohem  Fleich  oder  mit  Fleischsaft  ge- 
fütterten Tiere  überstanden  zum  grössten  Teil  die  Infektion, 
während  die  mit  gekochtem  Fleisch  ernährten  Tiere  ausnahmslos 
zugrunde  gingen.  In  besonderen  Versuchsserien  stellte  \[lich et 
fest,  dass  zum  Schutz  gegen  Tuberkulose  für  1  kg  Gewicht 
10 — 15  g  rohes  Fleich  erforderlich  seien. 

Die  sehr  ermutigenden  Erfolge  an  Tieren  waren  die  Ver- 
anlassung, die  Heilversuche  mit  rohem  Fleisch  auch  auf  den 
Menschen  zu  übertragen.  Das  Resultat  dieser  Versuche  war  ein 
glänzendes').  Selbst  bei  ausgedehnten  Zerstörungen  beider  Lungen 
und  bei  aufs  äusserste  reduziertem  Allgemeinzustande  wurden 
staunenswerte  Besserungen  berichtet,  die  lediglich  der  Fleisch- 
therapie zugeschrieben  wurden. 

Auch  die  Mitteilungen  über  die  Fleischbehandlung  der 
Lungentuberkulose  bei  Kindern  lauten  durchweg  günstig:. 

Durchaus  bestechend  sind  die  Resultate,  die  Josias*)  be- 
richtet. Er  behandelte  24  tuberkulöse  Kinder  mit  rohem  Fleisch* 
Der  besseren  Übersicht  wegen  teilte  er  seine  Fälle  je  nach  der 
Schwere  der  Krankheit  in  drei  Gruppen.  Von  6  Kindern  im 
}.  Stadium  der  Tuberkulose  wurden  4  geheilt,  2  gebessert,  von 
6  Kranken  des  2.  Stadiums  1  geheilt,  2  gebessert,  und  von  12 
Kindern  des  3.  Stadiums  1  geheilt  und  2  gebessert. 

Gleichfalls  unter  der  Leitung  von  Josias  berichtet  Rai- 
sonnier*)  über  vier  Kinder  (1.,  2.  und  3.  Stadium),  deren  Lungen- 
tuberkulose durch  die  Fleischtherapie  in  durchwegs  günstiger 
Weise  beeinfiusst  wurde. 

Wenn  wir  diese  Berichte  kritisch  betrachten,  so  müssen  wir 
zugeben,  dass  die  Gewichtszunahmen  in  allen  geheilten  oder  ge- 
besserten Fällen  auffallend  gute  sind  und  überhaupt  der  Prozent- 
satz der  Heilungen  und  Besserungen  als  ausserordentlich  günstig 
zu  bezeichnen  ist.     Die  Diagnose   der  Tuberkulose  wurde  nur  in 


1)  Riebet  und  Hericonrt,  Gompt.  rend.  de  la  societe  de  biologie. 
Bd.  52.  S.  527. 

Dieselben,  Bulletins  de  Pacad.  de  medec.  Paris,  November  1899. 

>)  Literatur,  siebe  bei  Pertik  in  Lubarscb-Ostertag,  Ergebnisse  der 
allgemeinen  Patbologie.  1904.  Bd.  VIII,  2.  S.  439. 

*)  Josias,  Revue  d'bygiene  et  de  medecine  infantiles.  Bd.  I.  S.  1. 

*)  1.  c. 


und  Fieischtherapie  bei  Tuberkulose.  157 

4eT  Minderzahl  der  Fälle  (7  von  28)  durch  den  Nachweis  von 
Tuberkelbazillen  erbracht.  Bei  den  übrigen  Kranken  war  deip 
Lungenbefand  derartig,  dass  die  Diagnose  einer  Tuberkulose,  die 
überdies  noch  durch  die  positive  Tuberkulinreaktion  gestützt 
wurde,  nicht  bestritten  werden  kann. 

Gegenüber  diesen  Resultaten  sind  folgende  Bedenken  geltend 
zu  machen.  Einmal  muss  aus  der  Betrachtung  des  Prozentsatzes 
der  Heilungen  die  von  Raisonnier  mitgeteilte  Serie  von  vier 
Fällen  eliminiert  werden,  weil  sie  nur  eine  Auslese  von  Fällen 
—  und  gewiss  nicht  der  schlechtesten  —  aus  einer  grossen  Zahl 
von  Beobachtungen  darstellt,  während  über  das  Schicksal  der 
übrigen  nichts  erwähnt  wird.  Fernerhin  sind  auch  die  von 
Josias  berichteten  günstigen  Erfahrungen  (25  pCt.  Heilungen, 
25  pCt.  Besserungen)  nicht  geeignet,  die  Fleischtherapie  als 
spezifisches  Heilmittel  der  Tuberkulose  erscheinen  zu  lassen; 
denn  damit  würden  nicht  im  Einklang  stehen  die  von  Raisonnier 
mitgeteilten  Misserfolge  der  Zomotherapie  bei  Peritonitis  tuber- 
ciilosa  und  ihr  gänzliches  Versagen  bei  Meningitis  tuberculosa, 
das  von  Josias  und  Roux^  in  fünf  Fällen  beobachtet  wurde. 

Wie  soll  sich  ferner  eine  spezifische  Therapie  der  Tuber- 
kulose vereinigen  lassen  mit  der  Tatsache,  dass  im  Verlaufe 
einer  Kur  mit  rohem  Fleisch  ein  neuer  tuberkulöser  Knochenherd 
auftrat  bei  einer  Patientin,  bei  der  gleichzeitig  der  Lungenprozess 
günstig  beeinflusst  wurde?  Ein  solcher  Fall  findet  sich  aber 
unter  den  Krankenberichten  von  J-osias.  (Derselbe  findet  sich 
auch  in  extenso  bei  Raisonnier.)  Ein  zehnjähriges  Mädchen 
wurde  in  sehr  abgemagertem  Zustande  mit  intensiver  Diarrhoe 
und  Infiltration  der  rechten  Lungenspitze  dem  Hospital  Bretonneau 
zugeführt.  Die  eingeleitete  Fleischkur  hatte  den  Effekt,  dass  der 
Durchfall  sofort  aufhörte,  die  Lungenerscheinungen  erheblich 
zurückgingen,  das  Fieber  verschwand  und  das  Gewicht  rapid  — 
um  fast  7  kg  : —  anstieg.  Dann  aber  erschien  an  der  Mitte  der 
linken  Tibia  eine  Osteomyelitis  tuberculosa,  die  bei  der  Entlassung 
des  Kindes  noch  vorhanden  war. 

Abgesehen  von  den  eben  geltend  gemachten  Einwänden 
sind  es  auch  die  nun  mitzuteilenden,  in  unserer  Klinik  gemachten 
Erfahrungen,  die  uns  gegenüber  dem  uneingeschränkten  Lobe 
der  Fleischtherapie  seitens  der  erwähnten  Autoren  zur  Skepsis 
zwingen. 

^)  Societe  de  therapeutique,  ferner  1901.     Zit.  n.  RaisoDuier. 


168  Steinitz-Weigert,  Über  Demineralisation 

Das  uns  zur  Verfügung  stehende  Material  ist  zwar  geringe 
jedoch  ist  in  allen  Fallen  der  Misserfolg  der  Fleischtherapie  so 
eklatant,  dass  die  Resultate  absolut  eindeutig  und  daher  mitteilens- 
wert  sind;  andererseits  machen  sie  es  erklärlich,  dass  diese  Be- 
handlungsart wieder  von  uns  verlassen  wurde. 

In  keinem  Falle  hat  die  Zomotherapie  die  tuberkulöse 
Affektion,  wo  auch  immer  ihr  Sitz  war  —  in  den  Lungen  oder 
in  anderen  Organen  —  irgendwie  günstig  beeinflusst. 

Fall  I.  Martha  St.,  12  Jahre  alt,  warde  am  13.  I.  1903  der  Klinik 
zugeführt.  Gut  genährtes  Kind  mit  blasser  Farbe,  flachem  Thorax  und 
schlechter,  nicht  yoUständig  korrigierbarer  Körperhaltung.  Am  linken  Kiefer- 
rande und  unter  dem  Kiun  stark  vergrösserte,  z.  T.  exulzerierte  Drusen. 
Auch  sonst  sind  am  Kieferrande  und  längs  des  Muse,  sternocleidomastoideus 
bis  in  die  Snpraclaviculargruben  zahlreiche,  grosse,  harte  Drüsen  zu  tasten. 
Im  Intrascapularraum  deutlich  verbreitertes,  scharfes  bronchiales  Atmen. 
Ad  basim  beiderseits,  besonders  deutlich  L.  H.  und  R.  V.  über  der  Leber 
kleinblasiges,  klingendes  Rasseln. 

Keine  Temperatursteigerung.    Körpergewicht  24,6  kg. 

Am  5.  Tage  des  Aufenthaltes  in  der  Klinik  ist  das  Gewicht  24,9  kg, 
am  selben  Tage  wird  die  Verabreichung  des  rohen  Fleisches  begonnen  und 
bis  zum  8.  III.,  also  durch  51  Tage,  fortgesetzt.  Während  dieser  ganzen 
Zeit  bekommt  das  Kind  täglich  500  g  rohes,  gehacktes  Rindfleisch.  Daneben 
isst  es  mit  massigem  Appetit  die  übliche  Krankenhauskost,  die  gleichfalls 
täglich  ca.  125  g  gekochtes  Fleisch  enthält.  Das  Körpergewicht  steigt  in 
den  ersten  12  Tagen  auf  26  600  g,  um  dann  bis  zur  Entlassung  unter  genügen 
Schwankungen  auf  25  600  g  herunter  zu  gehen.  Die  Temperatur  ist  in  den 
ersten  2  Wochen  normal  und  bewegt  sich  dann  andauernd  remittierend 
zwischen  37,0  und  38,8 <^  C.  Der  Erweichungsprozess  der  Drüsen  am  linken 
Kieferrande  und  am  Kinn  schreitet  weiter  fort,  und  die  Abszesshöhlen  zeigen 
trotz  Behandlung  mit  Perubalsam  keine  Tendenz  zur  Heilung.  Der  Lungen- 
befund  bleibt  gänzlich  unverändert.  Nach  der  am  10.  III.  1903  erfolgten 
Entlassung  wird  das  Kind  weiter  poliklinisch  beobachtet. 

Am  15.  V.  1903  ist  das  Gewicht  weiter  auf  23,2  kg  heruntergegangen; 
der  Drüsenbefund  ist  unverändert,  trotzdem  das  Kind  sich  seit  der  Entlassung 
in  chirurgischer  Behandlung  befindet.    Es  besteht  Fieber. 

Dieser  selbe  Befund  wird  auch  noch  am  28.  VII.  1904  erhoben.  Das 
Körpergewicht  ist  auf  26,9  kg  gestiegen,  das  Fieber  besteht  weiter. 

Fall  II.  Elisabeth  Fl.  Hereditär  mit  Tuberkulose  belastet.  Wurde 
drei  Jahre  lang  wegen  tuberkulöser  Drüsen  und  Ohrenleiden  in  einem  hiesigen 
Hospital  chirurgisch  behandelt. 

Das  Kind  wurde  im  Alter  von  9  Jahren  in  unsere  Poliklinik  gebracht ; 
damals  bestand  bereits  eine  Verdichtung  in  der  linken  Lungenspitze  und  ^ine 
diffuse  trockene  Bronchitis.  Zwei  Jahre  später  wurde  das  Kind  mit  folgendem 
Status  zur  Einleitang  einer  Fleischkur  aufgenommen.  Mageres,  blasses  Kind. 
Thorax  lang  und  schmal,  links  abgeflacht.  L.  V.  und-  H.  0.  deutliche 
Dämpfung,  lautes  Bronchialatmen  und  zahlreiche  klingende  und  knarrende 
Geräusche.    Es    besteht   eine    sternale   Dämpfung.     Am  Halse    befinden  sich 


aod  Fleischtherapie  bei  Tuberkulose.  150 

zahlreiche  grosse  Drüsen  und  allenthalben  am  Körper  zahlreiche  flache, 
strahlige  oder  kreisförmige  Narben.     Körpergewicht  22,4  kg. 

Vom  8.  Juni  bis  10.  August  1902  bekommt  es  ausser  der  gewöhnlichen 
Kraukenhaaskost  t&glich  250  g  rohes  Fleisch.  Das  Gewicht  steigt  w&hrend 
dieser  Zeit  um  1,3  kg,  die  Temperatur  ist,  abgesehen  Ton  eiozelnen  geringen 
abendlichen  Steigerungen,  in  der  Klinik  normal.  Im  Spatum  dauernd  Tuberkel- 
bazillen. 

Bei  der  Entlassung  hat  sich  der  Lungenbefnnd  absolut  nicht  geändert 
und  auch  im  übrigen  Befinden  ist  eine  Besseru'ng  nicht  eingetreten. 

Die  Zomotherapie  wird  in  der  Poliklinik  in  der  Weise  fortgesetzt,  dass 
das  Kind  dreimal  wöchentlich  in  der  Klinik  250  g  rohes  Fleisch  verabreicht 
erhält.  Trotzdem  diese  Kur  bis  zum  Dezember  weiter  geführt  wird,  yer- 
schlimmert  sich  der  Lungenprozess  derartig,  dass  Fat.,  da  eine  ambulante 
Behandlung  unmöglich  wird,  dem  städtischen  Hospital  überwiesen  wird. 

Fall  III.  Kind  Mari^  J.  Die  Mutter  des  Kindes  ist  nach  der  Ent- 
bindung an  Schwindsucht  gestorben,  der  Vater  ist  chronisch  lungenkrank. 
Das  Kind  selbst  soll  yon  Geburt  an  blass  und  kränklich  sein;  es  besteht 
schon  seit  Jahren  Husten.  Es  wird  im  Alter  yon  3  Jahren  4  Monaten  der 
Klinik  zugeführt. 

Aufnahmestatus:  Sehr  kleines,  kachektisch  aussehendes  Kind.  Es 
besteht  beiderseits  starke  Otorrhoe.  An  den  Lungen  ist  beiderseits  H.  0. 
dichte  Dämpfung  zu  konstatieren;  L.  H.  0.  bestehen  deutliche  Kavernen- 
sjmptome;  allenthalben  hört  man  grossblasiges,  feinstes  Rasseln.  Gewicht 
6,890  kg,  Temperatur  39,4  o  C. 

Die  sofort  auf  der  Klinik  eingeleitete  Fleischkur  (250  g  täglich)  vermag 
den  Lnngenprozess  nicht  aufzuhalten.  Es  besteht  dauernd  remittierendes 
Fieber  bis  40^  C,  das  Gewicht  sinkt  kontinuierlich  und  am  3.  IX.,  d.  h.  am 
43.  Tage  der  Fleischkur,  erfolgt  bei  einem  Körpergewicht  von  5,640  kg  der 
Exitus  letalis. 

Die  Obduktion  ergibt  ausgebreitete  Lungentuberkulose  mit  Kayemeh- 
bildnng. 

Fall  IV.  Martha  K.,  2V4  Jahre  alt,  mit  generalisierter  Tuberkulose, 
(Lungen-,  Drüsen-,  Mittelohrtuberkulose)  starb  bereits  8  Tage  nach  Beginn 
der  eingeleiteten  Fleischtherapie,  so  dass  auf  eine  ausführliche  Wiedergabe 
des  Krankenjonrnals  verzichtet  wird. 

Abgesehen  von  den  mitgeteilten  klinischen  Fällen  verfugen 
wir  über  eine  Reihe  poliklinisch  behandelter  Patienten,  die  gleich- 
falls während  eines  Zeitraumes  von  je  1*/,  bis  5  Monaten  rohes 
Fleisch  erhielten.  Die  Kur  wurde  so  durchgeführt,  dass  die  Kinder 
drei-  bis  viermal  wöchentlich  250  resp.  500  g  rohes  Fleisch  in 
der  Klinik  in  Gegenwart  des  Arztes  oder  der  Wärterin  verzehrten. 
Dabei  wurde  den  Eltern  aufgegeben,  nach  Massgabe  der  Mittel 
den  Kindern  auch  zu  Hause  möglichst  viel  rohes  oder  gekochtes 
Fleisch  zuzuführen. 

Wir  möchten  an  dieser  Stelle  dem  Einwand  begegnen,  dass 
die  Kur  nicht  als  ausreichend  angesehen  werden  könnte,  weil  die 
Kinder  nur  jeden  zweiten  Tag  ihr  Fleischquantum  erhielten.    Wir 


160  Steinitz-Weigert,  Über  DemiDeralisation 

wollen  deswegen  erwähnen,  dass  auch  mit  diesem  Modus  der 
Forderung  von  Josias,  den  Patienten  täglich  10 — 12  g  Fleisch 
pro  Kilogramm  Körpergewicht  zuzuführen,  in  den  meisten  Fällen 
genügt  wurde. 

Vier  von  diesen  Kindern  waren  sicher  tuberkulös;  es  sind 
die  folgenden  Fälle: 

Fall  V.  Klara  W.,  11  Vi  Jahre,  hereditär  mit  Tuberkulose  belastet. 
An  beiden  Oberschenkelknochen  besteht  tuberkulöse  Osteomyelitis.  Die 
Fleischkur  erstreckt  sich  über  4  Monate,  während  deren  eine  Besserung 
nicht  erfolgt.  Hingegen  tritt  während  dieser  Zeit  eine  Spondylitis  tuber- 
culosa  auf,  die  die  Überweisung  des  Kindes  an  eine  chirurgische  Klinik  er- 
forderlich macht. 

Fall  VI.  Elisabeth  0.,  4^1  Jahre,  Spondylitis  tuberculosa«  Die  Fleisch- 
kur wird  5  Monate  durchgeführt.  Der  tuberkulöse  Prozess  wird  nicht 
beeinflusst  —  Eineinhalb  Jahre  später  erfolgt  der  Exitus,  nachdem  lozwischeD 
eine  Lungentuberkulose  hinzugetreten  ist. 

Fall  VIT.  Walter  6.,  d^i  Jahre.  Lupus  an  der  rechten  Hand.  Drusen- 
tuberkulose (kalte  Abszesse  am  Halse  und  ii^  den  Supraclayiculargruben). 
Dauer  der  Fleischtherapie  drei  Monate.  Während  der  Kur  tritt  ein  neuer 
Drüsenabszoss  auf.  Alle  Abszesse  heilen  erst,  als  nach  Beendigung  der 
Fleischkur  eine  chirurgische  Behandlung  eingeleitet  wird.  Der  Lupus  wird 
durch  die  Lichttherapie  nach  Finsen  beseitigt.  Gegenwärtig  (nach  1  Vs  Jahren) 
sind  auf  dem  Boden  der  alten  Narben  neue  Abszesse  entstanden,  trotz  guten 
Allgemeinbefindens. 

Fall  VIII.  Meta  W.,  5^/3  Jahre, ist  wegen  Tuberkulose  der  linken  Lungen- 
spitze mit  Kavernenbildung  seit  4  Jahren  in  Beobachtung  der  Poliklinik. 
Die  Zomotherapie  dauerte  3^/s  Monate,  nach  denen  der  Lungenbefund  un- 
verändert ist.  —  Am  20.  VII.  1904  ist  der  tuberkulöse  Prozess  über  die  ganze 
linke  Lunge  ausgebreitet. 

Wir  berichten  nunmehr  noch  über  sechs  weitere  Fälle,  bei 
denen  ein  chronischer  Liingenprozess  bestand,  dessen  tuberkulöse 
Natur  zwar  sehr  wahrscheinliche  aber  nicht  mit  Sicherheit  nach- 
gewiesen war.  Der  leichteren  Übersicht  wegen  bringen  wir  den 
Befund  und  Verlauf  in  Form  einer  Tabelle. 

(Hier  folgt  Tabelle  auf  Seite  161.) 

Von  diesen  sechs  Fällen  ist  nur  in  einem  einzigen  Falle 
(No.  XIV)  Verschwinden  eines  Lungenbefundes  zu  konstatieren, 
aber  auch  in  diesem  Falle  ist  der  tuberkulöse  Prozess  mit  grösster 
Wahrscheinlichkeit  als  nicht  erloschen  zu  betrachten,  da  das  Kind 
auch  monatelang  nachher  noch  fieberte. 

Bei  diesen  wie  auch  dem  grössten  Teile  der  vorher  be- 
sprochenen Patienten  konnten  wir  eine  Erscheinung  beobachten, 
die  auch  Josias  bei  seinen  Fällen  hervorhebt.  Es  ist  dies  eine 
z.  T.  nicht  unbeträchtliche  KörpergewLchtszunahme,  die  zumeist 
im  Beginne  der  Fleischkur  zu  konstatieren  war.  Wir  sind  aber 
weit  entfernt,  diese  als  spezifisch  therapeutischen  Effekt  der  Fleisch- 


und  Fieischtherapie  bei  Tuberkulose. 


161 


::      Name  u.  Alter 
S,         des  Kindes 


IX  , 

X 

XI 


Elsbeth  D., 
8V4  Jftbre 

Richard  ü., 
5  Jahre 

Herbert  H., 
IOV4  Jahre 

Herbert  R., 
8^4  Jahre 


III  I  Magdalone  R., 
i      7V2  Jahre 


IV      Ma^arete  H., 
4'/j  Jahre 


Heredit. 
Belastung 


Vor- 
handen 

Vor- 
handen 

Vor- 
handen 

Keine 
hereditär. 
Belastung 

Kbine 
hereditär. 
Belastung 


Heredit. 
Belastung 
Yorhand. 


Lnngenbefund 


Rechtsseitiger 
Spitzenkatarrh 

Rechtsseitiger 
Spitzenkatarrh 

Rechtsseitiger 
Spitzenkatarrh  ^ 

Infiltration  der 
rechten  Lungen- 
spitze 

Zirkumskripter, 

chron.  Katarrh  der 

Lingula  mit  kling. 

Geräuschen 

Rechtsseitiger 
Spitzenkatarrh 


Temperatur 


Dauer  der 
Fleisch- 
therapie 


Lungenbefund 
nach  Beendigung 
der  Fleischkur 


Dauernd  sub-  7  Wochen 
febril.  Temp. 


Daaemd  nor- 
male Temp. 

Subfebrile 
Temperatur. 

Dauernd 
Fieber 


Subfebrile 
Tempe- 
raturen 


Dauernd 
Fieber 


2  Moni 


51/3  MoD. 


5  Mon. 


5  Mon. 


4  Mon. 


Unverändert 
Unverändert 
Unverändert 
Unverändert 

Unverändert 


Kein  Langenbef. 
mehrnachweisb.; 
Fieber  dauert  an 


therapie  auf  die  Tuberkulose  zu  deuten.  Wir  glauben  vielmehr, 
dass  sie  yerursacht  ist  durch  den  Wechsel  des  Ernährungsregimes. 
Denn  die  meisten  unserer  Patienten  stammten  aus  ärmlichen  Ver- 
hältnissen, und  Fleisch  dürfte  in  der  vorangegangenen  Ernährung 
eine  nur  untergeordnete  Rolle  gespielt  haben.  Dafür  spricht  auch 
der  Umstand,  dass  die  Gewichtszunahmen  hauptsächlich  in  die  erste 
Zeit  der  Fleischbehandlung  fielen. 

Abgesehen  davon  kommt  für  die  in  der  Klinik  behandelten 
Patienten  noch  der  Umstand  hinzu,  dass  der  Wechsel  der  Um- 
gebung, die  bessere  Pflege,  die  Gesellschaft  gleichalteriger  Spiel- 
genossen, die  durch  den  Aufenthalt  im  Krankenhause  bedingt  ist, 
an  und  für  sich  einen  Faktor  darstellt,  der  das  Allgemeinbefinden 
und  den  Ernährungszustand  von  Patienten  jeder  Art  günstig  zu 
beeinflussen  pflegt. 

Schliesslich  möchten  wir  noch  betonen,  dass  auch  wir  die 
Erfolge  von  Josias  als  günstig  bezeichnen  müssen,  wir  glauben 
aber,  dass  sie  bedingt  sind  durch  die  eben  erörterten  Faktoren. 
In  diesem  Sinne  mag  die  Verabreichung  von  rohem  Fleisch  oder 
Fleischsaft  ein  Glied  in  der  Kette  der  Heilfaktoren  sein.  In 
keinem  Falle  berechtigen  uns  aber  die  bisher  vorliegenden  Er- 
fahrungen, die  Fleischtherapie  als  ein  spezifisches  Heilmittel  der 
Tuberkulose  anzusehen.        


P*  IC«   X-- 

;!  -^  "^ 


+  500  g 
+  500  g 
+  900  g 
+  1500  g 

+  1300  g 
+  1000  g 


.lAbrbaeh  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    TJCf,  Heft  1. 


11 


XII. 

Beitrag  zur  Frage  der  Thymushypertrophle. 

Von 
Dr.  G.  TADA 

aus  Nagoya  (Japan). 

Zahlreiche  Berichte  sind  über  den  plötzlichen  Tod  sowohl 
im  kindlichen  als  im  spateren  Lebensalter  veröffentlicht  worden, 
der  auf  eine  Thymushypertrophie  zurückgeführt  wird.  Trotzdem 
ist  das  Wesen  der  genannten  Todesursache  noch  von  einem 
Schleier  umhüllt 

Wir  können  darüber  vom  pathologisch-anatomischen  Stand- 
punkte wenigstens  keine  bestimmte  Erklärung  erhalten.  Die  einen 
[Grawitz  (1),  Nordmann  (2),  Pott  (13)  Siegel  (3)  u.  A.  m.} 
behaupten,  dass  eine  vergrösserte  Thymus  sowohl  bei  Kindern 
als  auch  bei  Erwachsenen  einen  plötzlichen  Tod  durch  Erstickung 
infolge  der  Kompression  der  Trachea  durch  die  vergrösserte  Drüse 
herbeiführen  kann.  Die  anderen,  an  Zahl  grösseren  Autoren  aber 
erklären  diesen  plötzlichen  Tod  durch  die  infolge  der  Kompression 
der  grösseren  Gefässe  bezw.  Nervenstämme  erfolgte  Herzlähmung 
[Paltauf  (5),  Kohn  (4),  Richter  (6)  u.  A.  m.].  Svehla  (7) 
dagegen  versuchte  diesen  Tod  auf  Grund  eines  Tierexperimentes 
durch  Intoxikation  eines  übermässig  produzierten  Thymusgiftes 
zu  erklären.  Eine  präzise  Beweisführung  über  diese  Frage  liegt 
jedoch  noch  nicht  vor.  Abgesehen  von  Svehlas  Ansicht  können 
wir  also  die  zur  Erklärung  des  plötzlichen  Todes  durch  Thymus- 
hypertrophie aufgestellte  Theorie  als  eine  mechanische  bezeichnen, 
von  denen  bei  der  einen  eine  Druckwirkung  auf  die  Trachea,  bei 
der  anderen  ein  Einfluss  auf  die  Gefässe  und  Nervenstämme  an- 
genommen wird.  Trotzdem  über  diese  Frage  in  der  Literatur 
vielfach  gestritten  worden  ist,  konnte  ich,  soweit  ich  es  übersehe, 
eine  spezielle  Beschreibung  über  die  topographischen  Verhältnisse 
der  in  Frage  kommenden  Organe  nicht  finden,  die  dazu  geeignet 
wäre,    um    mit    einem  Blicke    übersehen  zu  können,  wie  sich  die 


Tada,  Beitrag  zui*  Frage  der  Thjmushypertrophie.  163 

hypertrophierte  Thymus  zu  ihren  benachbarten  Organen  verhält. 
Je  nach  der  Grösse  der  Thymus  werden  ihre  topographischen 
Verhältnisse  selbstverständlich  mehr  oder  weniger  verschiedene 
sein.  Wenn  erst  mehrere  genaue  Beschreibungen  der  topo- 
graphischen Verhältnisse  vorliegen  werden,  so  glaube  ich,  dass 
dieselben  eventuell  mit  Vorteil  zum  Studium  des  rätselhaften 
Thymustodes  benutzt  werden  können.  Ich  hatte  Gelegenheit,  an 
der  königlichen  Kinderklinik  zu  Breslau  einen  Fall  von  Thymus- 
hypertrophie  sowohl  im  Leben  zu  beobachten,  als  auch  nach  dem 
Tode  die  topographischen  Verhältnisse  der  vergrösserten  Drüse 
genau  zu  studieren. 

Ich  werde  zunächst  die  Krankengeschichte  des  Falles  hier 
folgen  lassen. 

Erich  L.,  10  Monate.  Das  yod  Geburt  an  künstlich  ernährte  Kind 
kam  im  Alter  von  6  Monaten  in  poliklinische  Beobachtung.  Zur  Ernährung 
hatte  es  in  letzter  Zeit  zweistündlich  ca.  200  g  ^/s  Milch  +  V>  Haferschleim 
mit  je  2  Teelöffeln  Zucker  erhalten.  Täglich  war  5  mal  Stuhl;  früher  soll  es 
Krämpfe  gehabt  haben.  Das  5200  g  schwere  Kind  sitzt  mit  Unterstützung 
hat  leidliche  Farben  und  einen  guten,  eher  etwas  erhöhten  Muskeltonus.  Es 
besteht  zur  Zeit  eine  massige  Pharyngitis  ohne  Fieber;  am  hinteren  Rande 
der  Sterno-Gleidomastoidei  sind  zahlreiche  kleine  harte  Lymphdrüsen  zu 
tasten.  Lingua  geographica.  Innere  Organe  ohne  Befund.  Reflexe  normal. 
Kein  Facialisphänomen.  Als  Ernährung  wurden  5  Mahlzeiten  a  200  g 
Va  Milch  4- V>  Haferschleim  mit  je  1  Teelöffel  Zucker  verordnet.  Bei  dieser 
Ernährung  nahm  die  Zahl  der  Stühle  bald  ab,  es  wurden  täglich  zwei 
homogene  gelbe  Stühle  entleert.  Das  Körpergewicht  hielt  sich  ungefähr  um 
5000  g  herum.  Zeitweise  wurde  ein  Facialisphänomen  beobachtet.  Hautfarbe 
und  Muskeltonus  waren  immer  gut.  Letzterer  wurde  manchmal  als  erhöht 
bezeichnet  notiert. 

Im  Alter  von  7  Monaten  wurde  links  vorn  oben  auf  und  neben  dem 
Sternum  und  unterhalb  der  Glavicula  eine  deutliche  Dämpfung  konstatiert. 
Ein  Auskultationsbefnnd  über  der  Dämpfung  konnte  dagegen  nicht  erhoben 
werden.  Die  linke  Pupille  war  weiter  als  die  rechte.  Diese  Pupillendifferenz 
war  jedoch  nicht  konstant  nachweisbar.  Da  das  Kind  mit  der  Zeit  blässer 
wurde  und  das  Körpergewicht  abnahm,  wurde  es  am  20.  X.  1903  in  die 
stationäre  Abteilung  zur  genaueren  Beobachtung  aufgenommen.  Es  bekam 
zunächst  dieselbe  Ernährung  wie  in  der  Poliklinik.  Es  bestand  leichte 
Hypertonie  der  Muskulatur.  Da  das  Körpergewicht  nicht  zunahm,  wurde 
statt  i/s  Milch -f- Va  Haferschleim  V*  Milch  +  Va  Mondaminabkochung  mit 
1  Teelöffel  Zucker  gegeben.  Auch  dabei  wurde  keine  Zunahme  erzielt,  des- 
wegen wurde  der  Zucker  durch  einen,  später  zwei  Teelöffel  Malzsuppenextrakt 
ersetzt.  Mit  dieser  Ernährung  wurde  eine  Körpergewichtszunahme  von 
4600  g  am  4.  XI.  auf  5380  g  am  15.  XII.  erzielt.  Der  erwähnte  Perkassions- 
befund  über  dem  Manubrium  sterni  und  links  davon  unterhalb  der  Clavicuia 
wurde  dauernd,  wenn  auch  in  wechselnder  Intensität  und  Ausdehnung,  beob- 
achtet.    Ein  Auskultationsbefund    über    dieser  Dämpfung  konute  jedoch  nie- 


164  Tada,  Beitrag  zur  Frage  der  Thymushypertrophie. 

mala  gefanden  werden.  Ebenso  wurde  niemals  eine  Temperatursteigerung 
beobachtet,  mit  Ausnahme  an  einigen  Tagen  am  Ende  des  Monats  November, 
die  auf  eine  Pharyngitis  mit  stark  schleimig-eitriger  Sekretion  im  Nasen- 
rachenraum zurückgeführt  werden  konnte.  Die  am  Anfang  beobachtete  leichte 
Hypertonie  der  Muskulatur  verschwand  allmählich,  ebenso  das  mitunter  beob- 
achtete Facialisphänomen.  Yergrösserung  der  Milz  war  niemals  vorhanden. 
Das  Kind  wurde  mit  der  Zeit  sehr  agil,  sass  allein  und  stellte  die  Beine  auf. 
Dagegen  blieb  die  Hautfarbe  immer  etwas  blass.  Am  14.  XU.  wurde  das 
Kind  wieder  in  poliklinische  Beobachtung  entlassen.  Es  bekam  dieselbe 
Ernährung  weiter  und  entwickelte  sich  dabei  sehr  gut.  Das  Körpergewicht 
nahm  bis  auf  6150  g  am  7.  I.  1904  fast  regelmässig  zu.  Der  Perkussions- 
befund wurde  weiterhin  ebenso  wechselnd  wie  auf  der  Klinik  beobachtet. 
Ein  Facialisphänomen  und  eine  Pupillen differenz  war  niemals  vorhanden. 
Am  10.  I.  1004  erkrankte  das  Kind  unter  Fieber  und  bekam  Krämpfe.  Als 
das  Kind  deswegen  in  die  Poliklinik  gebracht  wurde,  konnte  nur  ein  schwaches 
Facialisphänomen  und  eine  Temperatur  von39oC.  festgestellt  werden.  Darm- 
erscheinungen bestanden  nicht.  Trotzdem  wurde  das  Kin^  auf  Teediät  gesetzt, 
worauf  die  Krämpfe  sistierten.  Am  anderen  Tage  war  die  Temperatur  normal; 
ausser  einer  etwas  vermehrten  Blässe  der  Hautdecke  wurde  kein  Befund 
konstatiert.  Das  Facialisphänomen  war  nicht  mehr  nachweisbar.  Zur 
Nahrung  bekam  das  Kind  zunächst  Haferschleim  ohne  Milchzusatz.  Am 
nächsten  Tage  waren  zwar  keine  Krämpfe  mehr  aufgetreten,  aber  hin  und 
wieder  leichte  lary ngospastische  Anfälle.  Die  Dämpfung  blieb  unverändert. 
Als  Ernährung  wurde  5  mal  200  g  */j  Milch  -|-  V«  Haferschleim  verordnet. 
Tags  darauf  wurde  das  Kind  spät  am  Abend  unter  Krämpfen  wieder  ein- 
gebracht, die  jedoch  hier  nicht  mehr  zur  Beobachtung  kamen.  Es  bestand 
nur  eine  gewisse  Steifigkeit  der  Extremitäten.  Am  Tage  sollte  das  Kind 
schlecht  getrunken  haben.  Es  wurde  dem  Kinde  0,5  g  Ghloral  per  Klysma 
verabfolgt,  worauf  es  bald  einschlief.  Gegen  Morgen  des  folgenden  Tages 
traten  wieder  Krämpfe  auf,  unter  denen  der  Exitus  letalis  eintrat. 

Um  eine  möglichst  genaue  Aufklärung  des  seltsamen  Per- 
kussionsbefundes zu  erhalten  und  zum  besseren  Studium  der 
topographischen  Verhältnisse  des  eventuell  zu  erwartenden  Sektions- 
ergebnisses wurde  die  Leiche  nicht  nach  der  gewöhnlichen  Ob- 
duktionsmethode seziert,  sondern  sie  wurde  von  der  Vena  cava 
inferior  aus  mit  lOproz.  Formalinlösung  injiziert,  wie  es  Gregor  (8) 
zur  Konservierung  der  Brustorgane  in  situ  angegeben  hat.  Bei 
der  Herausnahme  der  gehärteten  Brustorgane  in  toto  konnte 
zunächst  von  aussen  an  den  Lungen  nichts  Abnormes  konstatiert 
werden.  Zwischen  den  beiden  freien  Lungenrändem  war  vorn 
die  persistente  Thymus  sichtbar.  Zur  Nachhärtung  wurden  die 
gesamten  Brustorgane  in  Sublimat,  später  in  Alkohol  gebracht. 
Nach  vollendeter  Härtung  wurden  dieselben  durch  horizontale 
Schnitte  in  Lamellen  von  je  1  cm  Stärke  ungefähr  zerlegt  Auf 
diesen  Durchschnitten  wurde  eine  hypertrophierte  Thymusdrüse 
sichtbar,  die  einen  grossen  sterno-vertebralen  Durchmesser  zeigte, 


Tada,  Beitrag  zur  Frage  der  Thjmushypertrophie. 


165 


während  an  den  Lungen  makroskopisch  kein  pathologischer  Be- 
fund sichtbar  war.  Zum  weiteren  Studium  wurden  die  einzelnen 
Scheiben  der  gesamten  Brustorgane  in  Celloidin  eingebettet  und 
mittelst  eines  grossen  Jungschen  Mikrotoms  in  mikroskopische 
Schnitte  zerlegt  und  die  einzelnen  Schnitte  mit  Alaunkarmin  ge- 
erbt. Auf  diese  Weise  konnten  die  topographischen  Verhältnisse 
an  mikroskopischen  Schnitten  durch  die  ganzen  Brustorgane 
genau  studiert  werden.  Zum  Verständnis  derselben  genügt  es, 
vier  Durchschnitte  herauszugreifen,  die  in  verschiedenen  Höhen 
angelegt  worden  waren.  Die  Abbildungen  derselben  sind  nach 
Photographien  der  mikroskopischen  Schnitte  in  natürlicher  Grösse 
hergestellt.  Zunächst  soll  hier  eine  genaue  Beschreibung  der 
einzelnen  Bilder  folgen. 


vagus 


N,  recurrens 
Fig.  1. 


Figur  1  stellt  einen  Horizontalschnitt  ungefähr  in  der  Höhe 
des  dritten  Brustwirbels  vor;  derselbe  geht  durch  die  höchste 
Spitze  des  Aortenbogens.  Zwischen  den  beiden  Lungen  (das 
Loch  der  rechten  Lunge  ist  ein  Kunstprodukt  infolge  fehlerhafter 
Einbettung)  springt  zunächst  die  hypertrophische  Thymus  in  die 
Augen,  welche  hauptsächlich  links  von  der  Medianlinie  gelegen 
ist.  Ihre  grösste  Breite  beträgt  3,3  cm  und  ihr  grösster  sterno- 
vertebrale  Durchmesser  des  linken  Teiles  der  Drüse  beträgt 
3,3  cm,  während  der  rechte  Teil  der  Drüse,  der  die  Vena  cava 
superior  zum  Teil  umfasst,   eine  Dicke  Aion  nur  1,0  cm  aufweist. 


166 


Tada,  Beitrag  zur  Frage  der  Thymushypertrophie. 


Links  hinten  von  der  Vena  caya  sup.  befindet  sich  die  Trachea. 
Links  hinten  von  dieser  liegt  der  Oesophagus;  zwischen  Trachea 
und  Vena  cava  sup.  liegt  eine  etwas  abgeplattete  grössere  Lymph- 
drüse, welche  in  dieser  Gegend  fast  konstant  auch  an  anderen 
von  mir  untersuchten  Brustorganen  gefunden  wurde.  Vergrössert 
sich  dieselbe  erheblich,  so  wäre  eine  Druckwirkung  auf  die  Vena 
oder  die  Trachea  denkbar.  Dass  in  unserem  vorliegenden  Falle 
die  erheblich  vergrösserte  Thymus  eine  Eompressionswirkung  auf 
die  Trachea    ausgeübt    hat,    ist    nicht  ersichtlich  und  auch  nicht 


Fig.  2. 

recht  verständlich,  da  die  grossen  Gefässe  —  von  hinten  nach 
vorn  der  Reihe  nach  aufgezählt  —  Vena  anonyma  sin.,  Art. 
subclavia  sin.,  Art.  vertebralis  sin.,  die  hier  direkt  aus  dem 
Aortenbogen  abgeht,  Art.  carotis  sin.  und  Art.  anonyma  gerade 
an  der  Abgangsstellc  von  der  Aorta  getroffen  und  Vena  cava 
sup.  gewissermassen  eine  halbkreisförmige  Schutzmauer  gegen 
die  Thymus  um  die  Trachea  bilden.  In  einem  dreieckigen,  mit 
lockerem  Binde-  und  Fettgewebe  ausgefüllten  Räume  zwischen 
Oesophagus  und  Trachea  und  den  von  dem  Aortenbogen  ab- 
gehenden Gefässen  finden  wir  eine  Anzahl  von  Nerven querschnitten, 
welche  wohl  zum  Teil  als  Äste  des  N.  recurrens  vagi  an- 
zusprechen   sind.     Zwischen  Art.  subclavia    sin.,  Vena    anonyma 


Tada,  Beitrag  zur  Frage  der  Thymushypertrophie. 


167 


sin.  und  dem  hinteren  Teile  der  vergrösserten  Thymus  sieht 
man  in  einem  Räume,  der  von  lockerem  Binde-  und  Fettgewebe 
•erfüllt  ist,  den  Querschnitt  eines  grösseren  Nervenstammes, 
<]er  den  Hauptstamm  des  N.  vagus  darstellt.  Auch  hier  ist  von 
einer  Kompression  der  Nerven  durch  die  Thymus  keine  Rede. 

Der  Schnitt,  welcher  durch  Figur  2  wiedergegeben  wird, 
liegt  ungefähr  5  mm  unterhalb  des  ersten.  Er  geht  durch  die 
Bifurkationsstelle  der  Trachea  und  ungefähr  in  halber  Höhe 
-durch    den    Aortenbogen.     Die    Thymus    weist    hier    eine    Breite 


Fig.  3. 

von  3,2  cm  und  in  ihrem  linken  Lappen  eine  Dicke  von  4,2  cm 
auf.  Auch  hier  liegt  der  grösste  Teil  der  Thymus  links  von  der 
Medianlinie.  Zwischen  Oesophagus,  Trachea  und  Aortenbogen 
sind  wie  in  dem  ersten  Schnitte  die  Äste  der  N.  recurrens  vagi 
sichtbar,  während  der  Hauptstamm  des  N.  vagus  an  der  linken 
hinteren  Wand  des  Aortenbogens  sichtbar  ist.  Im  übrigen  ist 
4ie  Topographie  dieselbe  wie  im  ersten  Schnitte.  Von  einer 
Druckwirkung  der  Thymus  auf  Trachea,  Gefässe  und  Nerven- 
stämme ist  auch  hier  nichts  zu  sehen. 

Figur  3  stellt  einen  horizontalen  Schnitt  vor,  welcher  8  mm 
unter  dem  zweiten,  etwas  unterhalb  der  Bifurkation  der  Trachea 
gelegen  ist.  Die  Dimensionen  der  Thymus  haben  wesentlich  ab- 
genommen.   Der  zwischen  den  vorderen  Lungenrändem  sichtbare 


168 


Tada,  Beitrag  zur  Frage  der  Thjmnahjpertrophie. 


Teil  der  Drüse  beträgt  1,2  cm.  Der  linke  Teil  der  Thymus 
zieht  als  ein  schmales  Band  von  wenigen  Millimetern  Durch- 
messer an  dem  konkaven  Teile  der  linken  Lunge  halbkreisförmig 
um  die  von  dem  Herzen  abgehenden  grossen  Gefässe  nach  hinten 
bis  fast  an  die  Wirbelsäule  reichend  herum.  Die  beiden  Haupt- 
bronchi  liegen  dicht  nebeneinander.  Unmittelbar  hinter  dem 
linken  Bronchus  liegt  der  Oesophagus.  Zwischen  und  um  diese 
drei  Organe  sieht  man  mehrere  kleine  Lymphdrüsen.  Rechts 
neben  dem  Oesophagus  von  ihm  durch  eiiiige  kleine  Lymphdrüsen 


Fig.  4. 

getrennt  sind  die  Aste  des  N.  recurrens  vagi  getroffen.  Links 
neben  dem  Oesophagus  und  dem  linken  Bronchus  liegt  die  Aorta 
descendens,  während  die  Aorta  ascendens  vor  dem  linken  Bronchus 
und  Aorta  descendens  gelegen  ist.  Rechts  neben  der  Aorta 
ascendens  liegt  die  Vena  cava  sup.,  vom  begrenzt  durch  den 
rechten  Thymuslappen,  hinten  durch  den  rechten  Bronchus. 
Links  von  der  Aorta  ascendens  liegt  die  Art.  pulmonalis,  während 
die  Spitze  des  rechten  Vorhofes  vor  diesen  beiden  Gefassen  zu 
sehen  ist.  Die  Thymus  zieht  also  in  einem  ovalen  Bogen,  voü 
der  Vena  cava  ausgehend,  um  die  Aorta  ascendens,  Ventriculus 
dexter,  Arteria  pulmonalis  und  Aorta  descendens  herum. 


Tada,  Beitrag  zur  Frage  der  Tbymushypertrophie.  189 

Figur  4  entspricht  einem  Horizontalschnitt,  welcher  ungefähr 
6  mm  unterhalb  von  Figur  3  angelegt  ist.  Auf  diesem  Bilde 
finden  wir  nur  noch  einen  2 — 3  mm  dicken  Streifen  der  Thymus, 
der  sich  bogenförmig  um  den  rechten  Ventrikel  und  linken  Vor- 
hof herumzieht.  Der  rechte  Thymuslappen  reicht  nicht  mehr  in 
diese  Schnittebene  herunter.  Die  weitere  Topographie  des  Schnittes 
gestaltet  sich  folgendermassen:  Links  hinten  vom  Oesophagus 
liegt  die  Aorta  descendens,  zu  beiden  Seiten  des  Oesophagus  die 
beiden  Bronchien.  Der  linke,  schräg  getroffene,  zeigt  eine  ellipsen- 
förmige  Gestalt.  Der  rechte  dagegen,  senkrecht  getroffen,  ist  rund 
und  vom  Oesophagus  durch  einige  Bronchialdrüsen  getrennt. 
Vor  diesen  vier  Organen  liegt  quer  ziemlich  an  der  Basis  durch- 
schnitten die  Arteria  pulmonalis.  Sic  weist  ein  langes,  fast  spalt- 
förmiges  Lumen  auf.  Vor  der  Art.  pulmonalis  liegt  rechts  die 
Vena  cava  sup.,  links  die  Aorta  ascendens;  vor  diesen  beiden 
wieder  der  rechte  Vorhof;  links  davon  der  rechte  Ventrikel  und 
links  hinter  diesem  ist  der  linke  Vorhof  getroffen,  der  eine  ovale 
Gestalt  zeigt. 

Als  grösste  Dimensionen  der  Thymus  ergeben  sich  3,5  cm 
Länge,  3,2  cm  Breite  und  4,2  cm  Dicke.  Das  Gewicht  der 
Thymus  konnte  naturlich  nicht  bestimmt  werden.  Die  weitere 
genaue  histologische  Untersuchung  der  Thymus  ergab  nur  eine 
reine  Hypertrophie. 

Über  die  normale  Grösse  der  Thymus  liegen  in  der  Literatur 
verschiedene  Angaben  vor.  Friedjung  (10),  der  die  Thymus- 
literatur  in  einem  Sammelreferat  zusammengestellt  hat,  berichtet 
darüber: 

„Die  Thymus  ist  nach  Hyrtl  ein  drüsiges  Organ  des 
vorderen  Mittelfellraumes,  das  sich  nur  im  Embryonalzustande 
und  im  frühen  Kindesalter  nachweisen  lässt,  zur  Zeit  der 
Pubertät  aber  schon  ganz  oder  bis  auf  kleine  Reste  geschwunden 
ist.  Nach  Friedleben  nimmt  das  Organ  von  der  Entstehung 
bis  zum  25.  Jahre  an  Umfang  wohl  zu,  während  das  Gewicht 
schon  früher  infolge  einer  fettigen  Umwandlung  des  Drusen- 
körpers abnimmt;  bis  zum  35.  Jahre  jedoch  lassen  sich  be- 
deutende Reste  noch  nachweisen,  erst  dann  kommt  es  zum 
völligen  Sehwunde.  Waldeyer,  einer  der  gründlichsten  Forscher 
in  dieser  Frage,  findet  Thymusreste  sogar  bis  in  das  höhere 
Lebensalter.  Wir  wollen  die  Zahlen  Friedlebens,  mit  denen 
die  Befunde  Paltaufs  und  v.  Mettenheimers  gut  überein- 
stimmen, festhalten. 


170  Tftdft,  Beitrag  zar  Frage  der  Thymoshypertrophie. 

Das  Gewicht  der  Thymus  vom 

1.—  9.  Monate  20,7  g, 

9.-24.        „        27,3  g, 

2.— 14.  Jahre      27,0  g, 

15.-25.       „         22,1  g, 

25.-35.  yy  3,1    g. 

Das  sind  Durchschnittszahlen,  die  den  grössten  Schwankungen 
unterliegen.^ 

Angaben  über  die  Grössenmasse  der  Thymus  gibt  Fried- 
leben (12): 

Alter  von  der  Geburt  —  9  Monate     Länge  der  Thymus  30,1  mm 
„        „       9  Monaten —  2  Jahre  r»         v  n        6Ö,6     „ 

„        „       3  Jahren    —14       „  »         »  »        84,4     „ 

Diese  Zahlen  hat  er  an  Leichen  plötzlich  verstorbener 
Individuen  gewonnen.  Monti  (11)  hat  Normal-Masse  für  die 
Thymusdrüse  bei  Neugeborenen  aufgestellt.  Im  Durchschnitt 
beträgt 

das  Gewicht  der  Thymus  14  g, 

die  Länge         „  „  3 — 9  cm, 

die  Breite         „  „         2 — 4     „ 

Die  Ausdehnung  in  die  Tiefe,  d.  h.  die  Dicke,  ist  jedoch 
nicht  angegeben. 

Aus  diesen  Zahlen  geht  hervor,  dass  die  Masse  und  das 
Gewicht  der  Thymus  auffallend  grossen  Schwankungen  unter- 
worfen ist,  so  dass  sich  normale  Grössen  für  die  einzelnen  Alters- 
stufen nicht  aufstellen  lassen.  Vergleichen  wir  die  Dimensionen 
der  Thymus  an  unserem  Falle,  was  Breite  und  Länge  anbetri£Pt, 
mit  denen  der  vorliegenden  Zahlen,  so  ist  dieselbe  keineswegs 
als  besonders  gross  zu  bezeichnen.  Um  nochmals  auf  die 
mechanische  Druckwirkung  der  vergrösserten  Thymus  einzugehen, 
so  liegt  bei  unserem  Falle,  wie  schon  erwähnt,  kein  Anhalt  für 
eine  derartige  Kompression  vor.  Auch  ist  mir  nach  den  Ver- 
suchen von  Scheele  (14)  die  Möglichkeit  einer  Druckwirkung 
auf  die  Trachea  kaum  vorstellbar.  Um  nach  Scheele  die  Trachea 
eines  1jährigen  Kindes  zu  komprimieren  bezw.  zum  vollständigen 
Verschlusse  zu  bringen,  ist  eine  Belastung  von  750 — 1000  g  er- 
forderlich. Aus  den  topographischen  Verhältnissen  ergibt  sich 
aber,  dass  zwischen  Thymus  und  Trachea  die  Wurzeln  der 
grossen  Gefässe  gewissermassen  als  eine  Schutzmauer  gelegen 
sind.  Es  wäre  also  eine  um  vieles  grössere  Belastung  als  die  von 
Scheele  angegebene  erforderlich,  um   die  Trachea  hinter  diesem 


Tada,  Beitrag  zar  Frage  der  Thymashjpertrophie.  171 

Schutzwall  komprimieren  zu  können.  Eher  können  wir  eine 
Druckwirkung  der  Thymus  auf  die  grösseren  Gefässe  und 
namentlich  auf  den  Vagusstamm  zugeben,  wie  aus  den  topo- 
graphischen Verhältnissen  von  Fig.  I  und  II  ersichtlich  ist. 

Trotzdem  die  Thymus  in  unserem  Falle  den  Massen  nach 
keine  besonders  abnorme  Grösse  erreichte,  so  hat  dieselbe  doch 
in  vivo  eine  ausgedehnte  intensive  Dämpfung  hervorgerufen. 
Eine  Thymusdämpfung  wird  normaler  Weise  in  der  Literatur 
zum  Teil  geleugnet,  zum  Teil  flüchtig  erwähnt  und  keine  be- 
stimmten Angaben  darüber  gemacht.  Blumenreich  (9)  dagegen 
will  in  jedem  Falle  durch  leise  Perkussion  sowohl  am  lebenden 
als  am  toten  Kinde  eine  Thymusdämpfung  erhalten  haben.  Die 
von  ihm  erhaltenen  Dämpfungsfiguren  stimmten  mit  dem  nach 
Herausnahme  des  Sternums  aufgezeichneten  Situs  der  Thymus 
meist  gut  überein.  Auf  Grund  von  22  im  1.  Lebensjahre  genau 
untersuchten  Fällen  stellt  er  folgende  Norm  auf:  Die  Form  der 
Thymusdämpfung  stellt  ein  ungleichseitiges  Dreieck  dar,  dessen 
Basis  die  Verbindung  der  beiden  Sterno-Claviculargelenke  bildet, 
dessen  abgestumpfte  Spitze  in  der  Höhe  der  zweiten  Rippe  oder 
etwas  unterhalb  derselben  liegt  und  dessen  Schenkel  die  Sternal- 
Linien  ungleichmässig  überragen,  so  zwar,  dass  die  grössere 
Hälfte  des  Dreiecks  nach  links  hia  zu  liegen  kommt  Nach  ihm 
können  also  Dämpfungen,  welche  die  oben  genannten  seitlichen 
Grenzen  um  1  cm  oder  mehr  überschreiten,  eine  Vergrösserung 
der  Thymus  anzeigen.  Eine  Vergrösserung  der  Thymus  erfolgt 
meist  nach  links  hin.  In  unserem  vorliegenden  Falle  überschritt 
die  gefundene  Dämpfung  die  angegebene  Grenze  nach  links  ganz 
erheblich.  Fragen  wir  uns,  wodurch  diese  ausgedehnte  Dämpfung 
hervorgerufen  wird,  so  geben  uns  unsere  Bilder  ebenfalls  Auf- 
schluss  darüber.  In  Figur  I  und  II  liegt  der  grösste  Teil  der  Drüse 
links  bis  2  cm  von  der  Medianlinie.  Femer  infolge  des  grossen 
sterno - vertebralen  Durchmessers  der  Drüse,  der  bis  4,2  cm 
beträgt,  während  Blumenreich  bei  55  Fällen  denselben  nie 
mehr  als  6 — 9  mm  mass,  müsste  die  Perkussion  bis  2  cm  nach 
links  von  der  Medianlinie  absolut  gedämpften  Schall  ergeben. 
Links  vorn  aussen  ist  die  Thymus  von  einem  verhältnismässig 
schmalen  Teile  des  vorderen  linken  Lungenrandes  überlagert, 
wie  die  Fig.  I  und  II  ergibt.  In  diesen  Präparaten  nehmen  die 
Lungen  die  maximalste  Inspirationsstellung  ein.  Normalerweise 
wird  der  vordere  Lungenrand  weiter  zurückweichen.  Durch  die 
Wölbung  des  Thorax  ist  die  Perkussionsrichtung  mehr  oder 
minder  von  links  vorn  aussen  nach  rechts  hinten  innen  gerichtet. 


172  Tada,  Beitrag  zur  Frage  der  Thymashypertropliie. 

Ein  Blick  auf  unsere  Bilder  zeigt  dann,  dass  auch  bei  ziemlich 
weit  nach  aussen  einwirkender  Perkussion  die  Thymus  von  einem 
verhältnismässig  schmalen  Streifen  lufthaltigen  Lungengewebes 
überlagert  ist.  Dadurch  muss  also  namentlich  bei  etwas  stärkerer 
Perkussion  eine  ausgedehnte  Dämpfung  zustande  kommen.  —  Die 
Form  und  die  Ausdehnung  der  Dämpfung  in  unserem  Falle  ent- 
sprach derjenigen,  welche  durch  vergrösserte  verkäste  Bronchial- 
drüsen und  durch  tuberkulöse  Eäseherde  im  linken  Oberlappen 
—  einem  Lieblingssitz  der  Lungentuberkulose  im  Eindesalter  — 
hervorgerufen  werden.  Auch  in  unserem  Falle  wurde  viel  eher 
an  diese  Möglichkeit  gedacht,  wenn  auch  sonst  keine  Symptome 
dafür  sprachen,  als  an  eine  vergrösserte  Thymus.  Die  Differential- 
diagnose zwischen  Thymushypertrophie  und  Lungen-  oder  Bron- 
chial- und  Mediastinal  -  Drüsentuberkulose  ist  natürlich  von 
eminenter  Wichtigkeit.  Die  eine  Erkrankung  stellt  vielleicht 
nur  eine  gewisse  Gefahr  für  das  betreffende  Individuum  dar,  die 
andere  dagegen  lässt  mehr  oder  minder  bald  eine  infauste 
Prognose  in  Aussicht  stellen. 

Selbst  bei  ausgedehnter  Lungentuberkulose  bei  Säuglingen 
können  die  charakteristischen  Symptome  —  bronchiales  Atem- 
geräusch und  klingendes  Rasseln  —  fehlen,  sogar,  wenn  es  schon 
zur  Cavernenbildung  gekommen  ist,  höchstens  ist  eine  leichte 
Dämpfung  im  Oberlappen  nachweisbar,  ja  es  können  sogar  aus- 
gebreitete tuberkulöse  Herde  in  den  Lungen  von  Säuglingen 
unseren  physikalischen  üntersuchungsmethoden  der  Perkussion 
und  Auskultation  vollständig,  entgehen  und  erst  bei  der  Ob- 
duktion zutage  treten,  wenn  vielleicht  auch  schon  in  vivo 
ein  Verdacht  auf  Tuberkulose  aus  anderen  Symptomen  ab- 
geleitet worden  war.  Für  die  Differentialdiagnose  sind  daher 
die  anderen  Symptome  als  wesentlich  heranzuziehen.  In  erster 
Linie  käme  das  Fieber  in  Betracht;  im  Verlaufe  der  Lungen- 
tuberkulose bei  jungen  Kindern  sehen  wir  oft  wochenlang,  ja 
monatelang  erhöhte  Temperaturen  nur  mit  kurzen  Unterbrechungen 
bestehen,  oder  es  treten  öfters  Fiebertemperaturen  auf,  die  einige 
Tage  anhalten  und  sonst  nicht  erklärt  werden  können.  Zugegeben 
muss  allerdings  werden,  dass  es  auch  Tuberkulosen  bei  Säug- 
lingen gibt,  die  ohne  Temperatursteigerungen  verlaufen,  und  sind 
solche  Fälle  auch  schon  in  der  Literatur  mitgeteilt  worden. 
Einen  weiteren  Anhaltspunkt  für  die  Diagnose  bietet  der  Er- 
nährungszustand der  betreffenden  Kinder.  Bei  der  Thymushyper- 
trophie handelt  es  sich  oft  um  wohlgenährte  eher  fette  Kinder. 
Die    tuberkulösen  Kinder  dagegen  siechen  meist    langsam  dahin; 


Tada,  Beitrag  zur  Frage  der  Thymushypertrophie.  173 

ihr  Ernährungszustand  ist  ein  schlechter  und  verschlechtert  sich 
immer  mehr;  selbst  bei  sonst  richtig  gewählter  Nahrung,  ja  selbst 
bei  der  idealsten  Ernährung,  der  Ernährung  mit  Frauenmilch, 
lässt  sich  oft  eine  Körpergewichtszunahme  und  normale  Ent- 
wicklung bei  ihnen  nicht  erreichen;  diese  Kinder  widersprechen 
oft  in  ihrem  Verhalten  jeglicher  Erfahrung  auf  dem  Gebiete  der 
Ernährungstherapie. 

.  Sonst  sind  differentialdiagnostisch  noch  zu  erwähnen  Aorten- 
aneurysmen und  Mediastinaltumoren.  Erstere  kommen  als  Rarität 
kaum  in  Betracht  und  dürften  wohl  auch  noch  andere  Symptome 
bieten,  die  eine  Diagnose  sichern.  Tumoren  des  Mediastinum 
sind  ebenfalls  selten  und  zeigen  meist  einen  raschen  Verlauf  und 
starkes  Wachstum. 

Aus  unseren  Betrachtungen  können  wir  also  den  Schluss 
ziehen,  dass  bei  jungen  Kindern  sternale  und  parasternale 
Dämpfungen,  die  namentlich  links  vom  Sternum  auftreten,  beim 
Fehlen  sonstiger  Symptome  nicht  ohne  weiteres  auf  eine  Tuber- 
kulose der  Bronchialdrusen  oder  der  Lunge  zu  beziehen  sind. 
Nur  eine  fortgesetzte  genaueste  Beobachtung  kann  hier  eine  Ent- 
scheidung bringen. 

1.  Grawitz,  Über    plötzliche    Todesfälle    im    S&uglingsalter.      Zitiert  nach 

Ziegler:    Lehrb.  d.  spez.  pathol.  Anat.     1902. 

2.  Nord  mann,  Zitiert    nach    Siegel:     Pathologie  der  Thymusdrüsen.  Berl. 

klio.  Wochenschr.  No.  40.     1896.     p.  889. 

3.  Siegel,  Über  die  Pathologie  der  Thymusdrüse,     Berl.  klin.  Wochenschr. 

No.  40.     1896. 

4.  Kohn,  H.,  Zum  Thymastod.     Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  2.     1901. 

5.  Pal  tauf,  Beziehung  der  Thymus  zum  plötzlichen  Tode.      Wiener  klin. 

Wochenschr.     1889.     Zitiert  nach  Zieglers  Lehrb. 

6.  Richter,  Plötzliche  Todesfälle  im  kindlichen  Alter.      Yerhandl.  d.  6e- 

sellsch.  f.  Kinderheilk.     1902. 

7.  Svehla,   a)  Die   Rolle    der   Thymusdrüse.     Münch.    med.    Wochenschr. 

1900.     No.  42.     p.  1476. 

b)  Experimentelle  Beiträge  zur  Kenntnis  der  inneren  Sekretion  der 
Thymus,  der  Schilddrüse  und  der  Nebennieren  von  Embryonen  und 
Kindern.  Arch.  f.  experim.  Pathologie  u.  Pharmakologie.  Bd.  48. 5.  u.  6.  H. 

8.  Gregor,  Über  die  Lokalisation  der  Lungenerkrankungen  bei  Säuglingen. 

Yerhandl.  d.  Gesellsch.  f.  Kinderheilk.     1908. 

9.  Blumenreich,    Über  Thymusdämpfungen.      Yirchows    Arch.     Bd.    161. 

10.  Friedjung,  J.  K.,  Der  Status  lymphaticus.     Gentralbl.  f.  die  Grenzgebiete 

der  Medizin  u.  Chirurgie.    IIL  Bd.     1900. 

11.  Monti,  Kinderheilkunde  in  einzelnen  Darstellungen. 

12.  Friedleben,  Zitiert  nach  Sah  li.  Topographische  Perkussion  im  Kindesalcer. 

13.  Pott,  Über  Thymnsdämpfung    und    die   dadurch  bedingte  Lebensgefahr. 

Jahrb.  f.  Kinderheilk.     Bd.  34.     1892. 

14.  Scheele,  Zitiert  nach  Pott.     cfr.  13. 


XIII. 

über  die  Herkunft  des  fötalen  Fettes. 

Von 
Privatdozent  Dr.  MARTIN  THIEMICH. 

In  einer  früheren  Mitteilung^)  habe  ich  über  zwei  Tier- 
versuche berichtet,  welche  derart  angestellt  worden  waren,  dass 
ich  eine  Handin  während  zweier  aufeinanderfolgender  Tragzeiten 
mit  zwei  sehr  verschiedenen  Fetten  fütterte  und  das  Fett  der 
neugeborenen  Hunde  untersuchte,  indem  ich  die  Jodzahl  der  rein 
dargestellten  Fettsäuren  bestimmte. 

Dabei  ergab  sich,  dass  trotz  der  grossen  DiflFerenz  der  ver- 
fütterten Fette  —  einmal  Palmin  mit  der  Jodzahl  8,  das  andere 
Mal  Leinöl  mit  der  Jodzahl  120  —  die  Fejttsäuren  der  neu- 
geborenen Hündchen  in  beiden  Yersuchen  fast  die  gleiche  Zu- 
sammensetzung mit  einer  Jodzahl  von  rund  70  darboten. 

Aus  diesem  Befunde  durfte  ich  den  Schluss  ableiten,  dass 
das  Nahrungsfett  des  Muttertieres  während  der  Tragzeit  keinen 
mit  der  verwendeten  Methode  nachweisbaren  Einfluss  auf  die 
Beschaffenheit  des  fötalen  Fettes  ausübt.  Es  blieben  aber  danach 
noch  zwei  Möglichkeiten  bestehen:  entweder  konnte  das  Fett  des 
Fötus  selbständig  von  diesem  gebildet  sein  oder  es  konnte  aus 
den  Fettdepots  des  Muttertieres  abstammen.  Eine  Entscheidung 
dieser  Alternative  war  bei  der  Anordnung  meiner  bezeichneten 
Versuche  nicht  zu  treffen,  weil  ich  das  Fett  des  Muttertieres 
nicht  gleichzeitig  untersucht  und  wahrscheinlich  durch  die  während 
der  Tragzeit  erfolgten  Fütterungen  garnicht  beeinflusst  hatte,  da 
ich  damals  das  Tier  vor  dem  Beginne  des  Experimentes  nicht 
abmagern  Hess,  sondern  mit  reichlich  gefüllten  Fettdepots  benutzte. 

Zur  Klarstellung  war  ein  neuer  Versuch  nötig,  in  welchem 
die  Fettdepots  des  Muttertieres  in  ihrer  Zusammensetzung  ver- 
ändert   und  kontrolliert  werden    mussten.     Diesen  Versuch    habe 


1)  Ccntnilbl.  f.  Physiol.     Bd.  XII,     No.  26. 


Thiemich,  Über  die  Herkunft  des  fötalen  Fettes.  175 

ich  nun  im  vorigen  Jahre  angestellt  und  will  karz  über  sein  Er- 
gebnis berichten. 

Eine  gelbe,  9100  g  schwere  Hündin  wurde  am  27.  und 
28.  Oktober  belegt  und  von  da  an  auf  absolute  Wasserdiät  ge- 
setzt   bis    zum  3.  November,    an  dem    sie  8300  g  wog;    bis  zum 

9.  November  erhielt  sie  darauf  nur  täglich  etwa  1  Liter  ab- 
gerahmte Milch  (mit  ca.  0,1  pCt.  Fett),  wobei  sie  am  9.  November 
8200  g  erreichte.  Yon  diesem  Tage  ab  bekam  das  Tier  mageres 
Pferdefleisch,  Brot,  Kartoffeln,  meist  —  aber  nicht  täglich  — 
abgerahmte  Milch  und  täglich  das  schon  in  dem  früheren  Versuch 
verwendete  Kokosfett  „Palmin"  (mit  nur  8  pCt.  Jodverbindungs- 
vermögen) in  so  grossen  Mengen,  als  es  fressen  wollte.  Bei  dieser 
Kost    stieg  das  Körpergewicht    rasch  wieder    an  und    betrug  am 

10.  XII.  1903  10,9  kg.  Anfang  Januar  1904  warf  die  Hündin 
4  Junge,  welche  sofort  nach  der  Geburt  getötet  wurden.  Die 
Köpfe  und  Lebern  habe  ich  abgeschnitten  und  weggetan,  um 
nicht  unnötig  grosse  Mengen  von  Cholesterin  und  Lecithin  in  das 
Ätherextrakt  hineinzubekommen.  Der  feingeschnittene  und  zer- 
hackte Gewebsbrei  aller  Tiere  wurde  darauf  vereinigt  und  —  da 
ich  ihn  aus  äusseren  Gründen  nicht  sofort  verarbeiten  konnte  — 
mit  Alkohol  übergössen  stehen  gelassen.  Immer  nach  einigen 
Tagen  wurde  der  Alkohol  abgegossen  und  in  einer  grossen  Schale 
verdampft,  der  Brei  mit  neuen  Alkoholmengen  überschichtet. 
Später  wurden  die  Trockenrückstände  der  vereinigten  Alkohol- 
extrakte, sowie  die  auf  dem  Wasserbade  getrockneten  Gewebs- 
bröckel  im  Soxhletschen  Extraktionsapparate  mehrere  Tage  lang 
entfettet.  Die  weitere  Bearbeitung  des  gesammelten  Äther- 
extraktes —  Verseifung,  Abspaltung  und  Reinigung  der  Fett- 
säuren, sowie  Bestimmung  der  Jodzahlen  —  geschah  nach  der- 
selben Methode,  deren  ich  mich  früher  bedient  habe^). 

Zur  Kontrolle  des  mütterlichen  Fettes  habe  ich  am  Tage 
nach  dem  Wurfe  dem  Tiere  in  Chloroformnarkose  einige  Gramm 
IJnterhautfettgewebe  aus  der  unteren  Halsgegend  in  der  Nähe 
des  Jugulums  weggenommen  und  ebenso  wie  die  Föten  verarbeitet. 
Die  Fettsäuren  des  Unterhautfettes  waren  nur  leicht  gelblich 
gefärbt,  während  diejenigen  der  neugeborenen  Tiere  trotz  wieder- 
holter Waschung  der  Seifen  mit  reichlichen  Äthermengen  dunkel- 
braun gefärbt  blieben. 

Das  Resultat  der  Jodadditionsbestimmungen  nach  der 
Hübischen  Methode  war  nun  folgendes: 

»)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie.     Bd.  XXVI.     S.  189  flf. 


176  T hie  mich,  Über  die  Herkunft  des  fötalen  Fettes. 

Jodzahl 
des  Muttertieres        der  Neugeborenen ') 
31,7,  45,9, 

30,9.  47,4. 

Lassen  nun  diese  Zahlen  eine  Deutung  über  die  Herkunft 
des  Fettes  der  neugeborenen  Tiere  zu? 

Zunächst  ist  festzustellen,  dass  durch  die  Palminfütterung 
des  Muttertieres  tatsächlich  das  Unter  hautfett  desselben  verändert 
worden  ist.  Zwar  beträgt  die  Jodzahl  des  Palmin  nur  8, 
während  die  der  Hundefettsäuren  in  meinem  Versuche  etwa  31 
beträgt,  doch  besitzen  die  Fettsäuren  des  Hundefettes  normaler- 
weise, das  heisst  bei  einem  mit  gewöhnlichem  Hundefutter  ge- 
nährten Tiere,  im  Durchschnitte  etwa  die  Jodzahl  50^).  Die 
Veränderung  des  Jodbindungsvermögens  ist  also  bei  unserem 
Palmin-Tiere  in  dem  erwarteten  Sinne  einer  Herabsetzung  erfolgt, 
und  dass  dieselbe  nicht  weiter  gegangen  ist  und  zu  völliger 
Übereinstimmung  des  Nahrungs-  und  des  Depotfettes  gefuhrt  hat, 
erklärt  sich  leicht  daraus,  dass  erstens  keine  vollkommene  A.b- 
magerung  des  Versuchstieres  vor  der  Palminfütterung  stattgefunden 
hat,  und  dass  zweitens  bei  der  Darmverdauung  die  oleinreichen, 
leicht  schmelzenden  Anteile  besser  resorbiert  werden  als  die  hart- 
schmelzenden oleinarmen  Triglyceride  des  verfütterten  Fettes. 

In  derselben  Weise,  wie  wir  beim  Muttertiere  eine  Beein- 
flussung der  Fettzusammensetzung  durch  die  Nahrung  aus  dem 
Herabgehen  des  Jodbindungsvermögens  erschliessen,  dürfen  wir 
dies  hinsichtlich  der  Fettsäuren  der  neugeborenen  Tiere  tun.  An 
und  für  sich  besteht  keine  Übereinstimmung  zwischen  dem  Depot- 
fette der  Hündin  und  dem  der  Neugeborenen;  wenn  wir  aber  in 
Betracht  ziehen,  dass  in  den  früheren  Versuchen  die  Jodzahl  der 
Fettsäuren  bei  den  neugeborenen  Welpen  etwa  70  betragen  hat, 
so  bedeutet  das  Herabgehen  der  Jodzahl  in  dem  oben  mitgeteilten 
Versuche  auf  46,6  im  Mittel  eine  Annäherung  an  die  Beschaffen- 
heit des  mütterlichen  Fettes.  Dieses  Ergebnis  lässt  wohl  den 
Schluss  zu,  dass  die  neugeborenen  Tiere  ihr  während  der  intra- 
uterinen Entwicklung  angesammeltes  Fett  wenigstens  zum  Teil 
aus  dem  mütterlichen  Organismus  erhalten  haben. 

Ob  neben  dieser  Fettaufnahme  noch  eine  eigene  Fettbildung 


1)  Die  starke  Eigeofärbung  erschwert  die  genaue  Bestimmung  der  End- 
reaktion beim  Titrieren. 

')  Nach  Benedict-Ulzer. 


Thiemich,  Über  die  Herkunft  des  fötalen  Fettes.  177 

im  fötalen  Organismas  stattfindet  und  welchen  Umfang  dieselbe 
erreicht,  das  ist  aus  dem  mitgeteilten  Versuche  aus  mehreren 
Gründen  nicht  zu  entscheiden. 

Denn  erstens  ist  nicht  bekannt,  ob  das  mütterliche  Fett  bei 
seinem  Transport  zum  Fötus  irgend  welche  Veränderungen  er- 
leidet, und  zweitens  sind  die  miteinander  in  Vergleich  gebrachten 
Fettsäuren  nicht  völlig  gleichartig.  Vom  Muttertiere  ist  nur  das 
Unterhautfett  untersucht,  bei  den  Welpen  musste,  um  genügendes 
Material  zu  erhalten,  das  gesamte  Fett  —  hnr  mit  Ausschluss 
des  Leberfettes  *--  verarbeitet  werden,  sodass  die  von  den 
Welpen  erhaltenen  Fettsäuren  ein  Gemisch  von  verschiedener 
Herkunft  (und  wahrscheinlich  auch  nicht  ganz  übereinstimmender 
Zusammensetzung)  darstellen. 

Die  Lücke,  die  mein  Versuch  offen  lässt,  könnte  nur  durch 
Verwendung  grösserer  Tiere  ausgefüllt  werden,  bei  denen  auch 
an  den  Neugeborenen  eine  getrennte  Verarbeitung  der  verschiedenen 
Fettdepots  möglich  ist. 

Falls  ein  Transport  unveränderten  Fettes  aas  einem  be-i 
stimmten  Fettdepot  der  Mutter  zum  Fötus  erfolgt,  so  müsste 
sich  dies  auch  beim  Menschen  nachweisen  lassen  durch  sorg- 
faltige Untersuchung  in  denjenigen  Fällen,  in  denen  Mutter  und 
Kind  intra  partum  zugrunde  gehen.  Erleidet  aber  das  mütter- 
liche Fett  beim  Transporte  oder  bei  der  Aufspeicherung  inl 
Fötus  Veränderungen,  so  werden  voraussichtlich  die  konstatier^ 
baren  Schwankungen  in  der  Zusammensetzung  zu  gering  seitif, 
um  sichere  Schlüsse  zu  gestatten.  Wir  sind  dann  auf  das  Tier- 
experiment angewiesen,  bei  dem  wir  durch  Herbeiführung  extremer 
Veränderungen  leichter  Klarheit  herbeiführen  können. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  darauf  aufmerksam  machen, 
dass  nach  den  bisher  vorliegenden  Untersuchungen  von  Knöpfel- 
macher, mir  und  Siegert  das  Unterhautfett  des  menschlichen 
Neugeborenen  ol einärmer  ist  (niedrigere  Jodzahlen  aufweist),  als 
das  des  Erwachsenen,  während  in  meinen  Tierversuchen  die  Jod- 
zahlen der  gesamten  Fettsäuren  der  neugeborenen  Tiere  stets 
höher  lagen,  als  die  der  erwachsenen  Tiere.  Eine  Erklärung 
dafür  vermag  ich  bisher  nicht  zu  geben. 


Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    K.  F.    LXI,  Heft  1-  12 


XIV. 

über  den  Einfluss  der  Ernährung  auf  die  chemische 
Zusammensetzung  des  Organismus. 

Von 

Dr.  RICHARD  WEIGERT, 

Assistenten  der  Klinik. 

Der  tierische  Organismus  besteht  zum  grossen  Teile  aus 
Wasser.  Die  Grösse  des  Anteils  des  Wassers  an  den  chemischen 
Bestandteilen  des  Körpers  ist  durch  mehrere  Faktoren  bedingt. 
Diese  sind,  soweit  uns  bekannt  ist,  beim  gesunden  Organismus 
in  der  Hauptsache  das  Alter  und  die  Ernährung  des  betreffenden 
Individuums. 

Inwieweit  Krankheiten  imstande  sind,  den  Wassergehalt 
des  Körpers  zu  verändern,  ist  nicht  bekannt,  denn  die  bei 
kranken  Individuen  vorgenommenen  Untersuchungen  ^)  von 
Einzelorganen  gestatten  kein  ruckschliessendes  Urteil  auf  den 
Wassergehalt  des  Gesamtkörpers.  Abgesehen  davon,  ist  auch 
nicht  festzustellen,  welche  chemische  Zusammensetzung  der 
Körper  vor  dem  Einsetzen  der  Erkrankung  hatte.  Demnach 
bleibt  die  Frage  offen,  ob  etwa  eine  vorausgegangene  Ver- 
änderung der  chemischen  Zusammensetzung  des  Körpers  die 
Bedingungen  für  das  Entstehen  der  Krankheit  gunstig  gestaltete, 
oder  ob  erst  der  Einfluss  der  Krankheit  eine  Alteration  der 
chemischen  Komponenten  des  Organismus  nach  sich  gezogen  habe. 

Bezuglich  des  Einflusses  des  Alters  liegen  Analysen  über 
den  Wasser-  und  Aschegehalt  des  Tierkörpers  von  Bezold*) 
vor.  Dieser  fasst  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  [folgender- 
massen  zusammen  : 

„1.  Jedes  Tierindividuum  besitzt  einen  für  seine  Art  und 
für  sein  Alter  typischen  normalen  Gehalt  von  Wasser,  organischer 

I)  V.  HössHd,  Deutsches  Archiv  f.  kiin.  Medizin.  Bd.  38.  1883. 
S.  600. 

')  y.  Bezold,  Zeitschrift  f.  wissenschaftl.  Zoologie.    1857.  Bd.  8.  S.  487. 


Weigert,  Über  den  Einflass  der  Ernährung  etc.  179 

Materie  and  anorganischen  Salzen,  der  entweder  nahezu  konstant 
ist  (die  höheren  Wirbeltiere)  oder  zwischen  engeren  oder 
weiteren  Grenzen  schwankt  .... 

3.  Die  Entwicklang  und  das  Wachstum  eines  jeden  Tieres 
ist  durch  gewisse,  für  die  Art  oder  Gattung  derselben  typische 
Veränderungen  in  dieser  Zusammensetzung  charakterisiert. 

4.  Der  Typus  dieser  Veränderungen  ist  für  die  drei  ersten 
grossen  Gruppen  des  Wirbeltierreiches,  für  Säugetiere,  Vögel 
und  Amphibien,  im  wesentlichen  ein  und  derselbe.  Die  Haupt- 
momente dieser  Veränderungen  sind: 

a)  Abnahme  im  Gehalte  des  Organismus  an  Wasser  und 
flüchtigen  Bestandteilen  von  der  Entwicklung  des  Keimes 
bis  zur  Höhe  des  freien  Wachstums; 

b)  Zunahme  im  Gehalte  an  anorganischem  festem  Material, 
welche  in  der  ersten  Periode  nach  der  Geburt  die  grösste 
Schnelligkeit  besitzt; 

c)  stetiges  und  gerade  in  den  ersten  Zeiträumen  des  freien 
Lebens  mit  der  grössten  Langsamkeit  vor  sich  gehendes 
Wachstum  des  Aschengehaltes  bis  zur  Vollendung  der  pro- 
gressiven Entwicklungsperiode." 

Der  nach  Abschluss  der  Entwicklung  lange  konstant 
bleibende  Wassergehalt  des  Organismus  scheint  im  Alter  wieder 
zuzunehmen^). 

Grosse,  dem  Organismus  zugeführte  Wassermengen  können 
nur  dann  retiniert  werden  und  den  Wassergehalt  des  Körpers 
beeinflussen,  wenn  sie  durch  andere  Bestandteile  der  Nahrung 
im  Körper  gebunden  und  festgehalten  werden. 

Eine  Wasserentziehung  vermögen  Tiere  nur  kurze  Zeit 
zu  ertragen^). 

Während  die  eben  zitierten  Anschauungen  unbestritten  in 
der  Literatur  dastehen  und  auch  durch  zahlreiche  Analysen  ge- 
stützt sind,  ist  die  Bedeutung  der  Ernährung  für  den  Wasser- 
gehalt des  Körpers  durchaus  nicht  allseitig  anerkannt. 

Die  bedeutsamsten  Untersuchungen  für  diese  Frage  stammen 
von  Bischoff  und  Voit.  Voit^)  schreibt  hierüber  in  Herrmanns 
Handbuch  der  Physiologie:  „Bei  schlechter  Ernährung  wird  der 
ganze  Körper    wässriger;    ein    wohlgenährter  Organismus  enthält 

1)  Herr  mann,  Handb.  der  Physiol.     1881.    Bd.  6,  1.     S.  347. 
')  Rabner     in    Leydens    Handb.     der     Ernährungstherapie.       1897. 
£(d.  1.    S.  58. 

s)  Herrmann,   Handbach  der  Physiologie.     1881.    Bd.  6,   1.     S.  347. 

12* 


180  Weigert,  Über  den  Einfloss  der  Emihrang  aaf  die 

dagegen  mehr  Trockensubstanz,  da  in  ihm  mehr  Fettgewebe  mit 
geringem  Wassergehalt  abgelagert  ist  und  auch  die  übrigen 
Organe,  die  Muskeln  u.  s.  w.,  weniger  Wasser  einschliessen. 
Bischoff  und  ich')  haben  bemerkt,  dass  ein  Hund,  der  während 
einer  41  tagigen  Fütterung  mit  Brot  eine  3717  g  Fleisch  ent- 
sprechende Stickstoffmenge  abgegeben,  jedoch  nur  531  g  an  Ge- 
wicht verloren  hatte,  W^asser  im  Körper  zurückbehielt,  wodurch 
eine  starke  Tränkung  desselben  mit  Wasser  stattfand.'' 

Um  diesen  während  einer  Fütterungsperiode  mit  Kohle- 
hydraten eintretenden,  im  Stoffwechselversuch  sich  ergebenden 
Wasseransatz  sicherzustellen,  fütterten  Bischoff  und  Yoit  zwei 
Katzen  mit  Brot.  Die  Analysen  von  Muskeln  und  Gehirn- 
substanz ergaben  bei  den  mit  Brot  gefütterten  Tieren  einen 
Wassergehalt,  der  3 — 4  pCt.  höher  war,  als  der  einer  Katze^ 
die,  wie  gewöhnlich,  mit  gemischter  Kost  gefüttert  wurde. 

Gegenüber  diesen  Anschauungen,  nach  denen  eine  Änderung 
des  Wassergehaltes  durch  die  Ernährung  erzielt  werden  könne, 
steht  folgende  Ansicht  Rubners'):  „Zahlen  über  den  Wasser- 
gehalt des  Menschen  hängen  ganz  von  dem  Umstände  ab,  ob  der 
betreffende  viel  oder  wenig  Fett  abgelagert  hat.  Bei  Tieren 
sieht  man  mit  der  Zeit  der  Mast  den  prozentigen  Wassergehalt 
sinken  und  mit  der  Magerkeit  steigen.  Am  häufigsten  begegnet 
man  grosser  Magerkeit,  also  wasserreichen  Organen,  bei  Tuberkulose. 

Wenn  in  ein  normales  fettarmes  Gewebe  Fett  eingelagert 
wird,  so  muss,  weil  letztere  Substanz  wasserfrei  ist,  der  prozentige 
Wassergehalt  sinken,  ohne  dass  der  Organismus  selbst  auch  nur 
die  geringste  Wassermenge  verloren  zu  haben  braucht." 

Gegen  diese  Anschauung  Rubners,  die  der  Stütze  durch 
Analysen  von  Gesamtorganismen  entbehrt,  führt  in  jüngster 
Zeit  Steinitz^)  das  Ergebnis  zweier  (noch  nicht  publizierter) 
Versuchsreihen  an,  die  sich  mit  der  Feststellung  des  Wasser- 
gehaltes wachsender  Kaninchen  beschäftigen.  Er  fand,  dass  der 
Wassergehalt  wachsender  Kaninchen    ab-,    der  Fettgehalt  gleich- 


1)  Bischoffund  Voit,  Die  Gesetze  der  Ernährung  des  Fleischfressers. 
1860.     (Leipzig,  Heidelberg.) 

')  Ruh n er,  Lehrbuch  der  Hygiene.  1900.  S.  440.  Derselbe,  Leydens 
Handbuch  der  Ernährungstherapie.     1897.     Bd.  1.     S.  M). 

^)  Steinitz,  Über  den  Einfluss  von  Ernährungsstörungen  auf  die 
chemische  Zusammensetzung  des  Säuglingskörpers.  Jahrb.  f.  KinderheÜk. 
N.  F.     LIX.    fl.  4.     S.  450. 


chemische  Zasammensetzang  des  Organisinas.  181 

zeitig  zunehme,  dass  sich  aber  auch  bei  der  Berechnung  auf  fett- 
freies  Tier  ein  Sinken  des  Wassergehaltes  konstatieren  lasse. 

Bei  Untersuchungen  pathologisch  veränderter  Organe  konnte 
Hösslin*)  feststellen,  dass  Wasser-  und  Fettgehalt  dieser  Organe 
in  Ab-  bezw.  Zunahme  durchaus  nicht  im  umgekehrten  Verhältnis 
zu  einander  stehen. 

Auch  die  in  der  Literatur  vorliegenden  Analysen  ganzer 
Organismen  sind  nicht  geeignet,  die  Anschauungen  Rubners  zu 
bestätigen,  wenn  auch  die  mangelhafte  Technik  der  älteren 
Untersuchungen  keine  absolute  Gewähr  für  die  Richtigkeit  der 
Zahlen  bietet. 

Die  ältesten  und  meist  zitierten  Daten  stammen  von  Law  es 
und  Gilbert^),  die  folgende  prozentige  Zusammensetzung  für  das 
ganze  Tier  angeben: 

Prozent  Wasser     Prozent  Fett 


Halbfetter  Ochs 

51,5 

19,1 

Fetter  Ochs 

45,5 

30,1 

Mageres  Schaf 

57,3 

18,7 

Halbfettes  Schaf 

50,2 

23,5 

Fettes  Schaf 

43,4 

86,6 

Sehr  fettes  Schaf 

35,2 

46,8 

Mageres  Schwein 

55,2 

23,3 

Fettes  Schwein 

41,3 

42,2. 

Wurden  die  Schwankungen  im  Wassergehalt  der  Tiere  ledig- 
lich durch  Schwankungen  des  Fettgehaltes  bedingt  sein,  so  müsste 
die  Summe  des  Wasser-  und  Fettgehaltes  bei  Tieren  derselben 
Art  stets  gleich  sein;  dass  dies  in  der  eben  zitierten  Zahlenreihe 
nicht  zutrifft,  ist  ohne  weiteres  ersichtlich.  Hierbei  ist  jedoch  zu 
bemerken,  dass  einige  der  Zahlen  als  Yergleichswerte  ausfallen, 
weil  das  Alter  der  Tiere  nicht  gleich  war^.) 

Für  die  von  Fr.  Hoffmann*)  gelieferten  Werte  eines  nach 
•einer  längeren  Hungerperiode  mit  Speck  gefutterten  Hundes  fehlen 
leider  Yergleichszahlen. 

0  Hösslin,  Arch.  f.  klio.  Medizin.     1888.    Bd.  83.    S.  600. 

>)  Lawes  and  Gilbert,  Experimental  inquirj  into  the  composition  of 
some  of  the  animals  fed  and  slaaghtered  as  haman  food.  Philosoph.  Trans- 
actions  Part.  II,  1859.  Zitiert  nach  Herrmann,  Handbuch  der  Physiol.  1881. 
Bd.  VI,  1.    S.  348. 

*)  Joam.  f.  Landwirtschaft.     1878.    XXVI.    S.  602. 

0  Zeitschr.  f.  Biologie.     1872.    Bd.  VIII.    S.  176. 


182  Weigert,  Cber  den  Einflass  der  Eroäbrang  aaf  die 

Ebenso  sind  die  von  Weiske  und  Wildt*)  aasgeführten 
Analysen  gemasteter  und  nicht  gemästeter  Ferkel  für  unsere  Zwecke 
nicht  verwertbar,  weil  es  sich  um  junge  Tiere  verschiedenen 
Alters  handelt. 

Forster')  analysierte  drei  ausgewachsene  Tauben,  von  denen 
die  eine  mehrere  Tage  mit  fettfrei  gemachtem  Fleisch  ernährt 
und  dann  getötet  wurde  (Hungertaube),  während  die  anderen  nach 
der  „Hnngerperiode^   mit  Speck  bezw.  Stärke  gemästet  wurden. 

Die  Werte  des  Wasser-  und  Fettgehaltes  gestalteten  sich 
danach  folgend ermassen: 

Prozentische  Zasammensetznog  der  Tauben 

^  ;     Trocken-      i  ^  ^^  j  Fett  in  Prozent 

^"*"'       i       8ubsUnz      ;  ^^"  der  Trocken- 

sabstanz 


Hanger  73,8  26,2 

Speck  66,3  33,7 

Stärke  69,1  30,9 


1,04  '  3,97 

6,48  '         19,19 

6,04  !         19,58 


Auch  hier  genügen  die  Differenzen  des  Fettgehaltes  der 
Tiere  nicht,  um  die  Unterschiede  im  Wassergehalte  zu  begrQnden. 

Henneberg,  Kern  und  Wattenberg')  bestimmten  bei 
gemästeten  Hammeln  den  Gehalt  des  Fleisches  an  Fett  und 
fettfreier  Trockensubstanz.  Sie  konstatierten  hierbei  einen  erheb- 
lichen Zuwachs  an  Fett,  daneben  auch  einen  geringen  Ansatz  voa 
fettfreier  Fleischtrockensubstanz,  den  sie  aber  als  Zunahme  nur  des- 
„löslichen  Eiweisses^  ansehen. 

Soxhlet^)  fütterte  3  annähernd  gleichalterige  Schweine  durch 
mehrere  Monate  mit  Gerstenschrot;  zwei  dieser  Tiere  (II  und  HI) 
wurden  danach  noch  durch  75  bezw.  82  Tage  mit  Reis  gemästet 
und  dann  analysiert,  während  eines  (I)  sogleich  nach  Beendigung 
der  Gerstenfütterung  getötet  wurde.  Der  Versuch  erreichte  seinen 
Zweck  insofern  nicht,  als  das  vor  der  Mastperiode  getötete  Tier  I 
fetter  war  als  das  gemästete  Schwein  U  (siehe  folgende  Tabelle). 


»)  Zeitechr.  f.  Biologie.     1874.    Bd.  X.    S.  14. 

>)  Forst  er.  Über  den  Ort  des  Fettansatzes  im  Tiere  bei  verschiedener 
Fütterangsweise.     ZeiUchr.  f.  Biologie.     1876.    Bd.  XII.    S.  458. 

»)  Journ.  f.  Landwirtschaft.     1878.    Jahrg.  XXVI.     S.  549. 

^)  Zeitschr.  d.  landwirtechaftl.  Vereins  in  Bayern.  1881.  LXXI.  Jahrg. 
Angustheft     S.  428. 


chemische  ZusammensetzoDg  des  Organismus. 
Zusammensetzung  der  Schweine: 


183 


In  Prozent 

ten  des  Reingewichts 

I 

II 

III 

Reingewicht 

95,88 

98,63 

99,0 

Fleisch 

34,10 

41,46 

37,36 

Trockensabstanz 

56,11 

51,56 

58,55 

Wasser 

48,89 

48,44 

41,45 

Fett 

40,56 

35,69 

44,59 

Fettfreie  Trockensubstanz 

15,54 

15,87 

14,00 

Eiweiss 

12,71 

12,92 

10,88 

Stickstoff 

2,033 

2,068 

1,741 

Asche 

2,630 

2,442 

2,170 

Chaniewski^)  mästete  drei  Gänse,  II,  III  und  IIb  (der 
folgenden  Tabelle).  Die  mitgeteilten  Zahlen  demonstrieren  deutlich, 
dass  auch  in  diesen  Versuchen  die  Fettzunahme  auf  der  einen 
Seite  nicht  gleich  ist  der  Wasserabnahme  auf  der  anderen  Seite, 
und  dass  also  auch  die  Grösse  der  fettfreien  Trockensubstanz  durch 
die  Mästung  verändert  lYurde. 


Versuchstier 


Lebend- 
gewicht 
g 


In  Prozent  des  Lebendgew. 
Wasser      Protein         Fett 


Gans  I,  Normalzustand 

Gans  II    K,  ,,         ,  ,  f 

Gans  III  I  ™-"^  ^^°^  Normalzustands 

Gans  Ib,  Hnngerzustand 

Gans  IIb,  Mast  vom  Hungerzustand 


3219 
3816 
4471 
2838 
3390 


67,52 
63,62 
58,79 
70,21 
60,17 


21,22 
18,64 
16,22 
16,19 
14,43 


6,68 
12,81 
19,9 

3,25 
16,00 


Die  übrigen  in  der  Literatur  vorliegenden  Analysen  ganzer 
Tiere  sind  für  die  Entscheidung  unserer  Frage  nicht  verwertbar, 
weil  entweder  der  Fettgehalt  oder  die  Grösse  der  Trockensubstanz 
nicht  bestimmt  würde. 

Die  Veranlassung,  mich  mit  der  Frage  nach  der  Grösse  des 
Wassergehaltes  des  Organismus  zu  beschäftigen,  war  für  mich 
das  Resultat  einer  Keihe  *)  von  Versuchen ,  die  die  Wichtigkeit 
des  Wassergehaltes  künstlicher  Nährböden  für  das  Bakterien- 
wachstum gezeigt  hatten.    Es  hatte  sich  herausgestellt,  dass  sich 


^)  Chaniewski,  Über  Fettbildung  aus  Kohlehydraten  im  Tierkörper. 
Zeitschr.  f.  Biologie.     1884.    Bd.  XX.     S.  192. 

')  Weigert,  Richard,  Über  das  Bakterienwachstum  auf  wasserarmen 
Nährböden.  Ein  Beitrag  zur  Frage  der  natürlichen  Immunität.  Centralbl. 
f.  Bakteriol.  1904.    Bd.  XXXVl.  (Originale).    S.  112. 


184  Weigert,  Über  deo  EiDflass  der  Eroihmag  auf  die 

das  Wachstum  der  Bakterien  verschlechtert,  sobald  der  Wasser- 
gehalt der  beschickten  Nährböden  geringer  wird,  und  dass 
schliesslich  das  Fortkommen  von  Bakterien  ganz  aufhört,  wenn 
der  Wassergehalt  so  niedrig  wird,  dass  er  fast  gleich  dem  mittleren 
Wassergehalt  des  Menschen  wird.  Es  entspricht  das  einem 
Wassergehalt  von  65  pCt. 

Danach  lag  es  nahe,  die  Frage  zu  stellen,  ob  der  tierische 
Organismus  in  der  Höhe  seines  Wassergehaltes  eine  Waffe  gegen 
die  Ansiedinng  von  Bakterien  habe. 

Um  der  Beantwortung  dieser  Frage  näher  zu  kommen, 
schien  es  vorerst  erforderlich,  über  folgende  Gesichtspunkte  durch 
Analysen  von  Tieren  und  Tierversuche  Klarheit  zu  schaffen: 

1.  Welchen  Wassergehalt  hat  ein  ausgewachsenes  Tier  einer 
bestimmten  Spezies  bei  seiner  gewöhnlichen  Lebensweise  ? 

2.  Ist  es  möglich,  den  Wassergehalt  dieses  Tieres  durch 
gewisse  Faktoren  —  insbesondere  durch  die  Ernährung  —  nach 
Belieben  zu  vermehren  oder  zu  vermindern? 

3.  Erweisen  sich  Tiere,  deren  Wassergehalt  in  dieser  Weise 
kunstlich  vermehrt  oder  vermindert  ist,  gegenüber  Infektionen 
(Impfungen  mit  infektiösem  Material)  anders  als  Tiere  derselben 
Spezies  mit  dem  normalen  Wassergehalt? 

Die  voriiegende  Mitteilung  ist  in  der  Hauptsache  der  Be- 
antwortung der  ersten  beiden  Fragen  gewidmet. 

Zunächst  versuchte  ich  den  Körperbestand  dadurch  zu  be- 
einflussen, dass  die  Tiere  neben  der  erforderlichen  Menge  Stick- 
stoff nur  Eiweiss  oder  Kohlehydrate  oder  Fett  erhielten,  also 
einseitig  ernährt  wurden. 

Die  Versuche  wurden  an  Mäusen  begonnen.  Diese  Tiere 
erwiesen  sich  aber  als  ungeeignet,  da  sie  die  einseitige  Ernährung 
nicht  vertrugen  und  sämtlich  eingingen.  Daher  wählte  ich  nun- 
mehr Hunde  zu  Versuchstieren,  von  denen  der  erste  (A,  3  Monate 
alt)  nur  rohes  Fleisch,  der  zweite  (B,  2  Monate  alt)  wenig  Brot 
mit  viel  Butter,  der  dritte  (C,  2  Monate  alt)  trocknes  Brot  be- 
kam. Die  Menge  der  Nahrung  wurde  dem  Appetit  der  Tiere 
angepasst.  Da  auch  diese  Tiere  in  der  ersten  Zeit  nicht  gut 
fortkamen,  so  bekamen  sie  nebenher  täglich  eine  Schüssel  Fleisch- 
brühe. 

Die  Tiere  wogen  bei  Beginn  des  Versuches  am  15.  I.  1903 
A.  =  7400  g,  ß.  =  3040  g,  C.  =  3400  g,  am  Ende  des  Versuches 
am  24.  III.  1903  wog  A.  =  8250  g,  B.  =  4150  g,  C.  =  4200  g. 


chemische  Zasammensetzaog  des  Organismus. 


185 


Eine  zweite  Serie  Hunde  (annähernd  gleichaltrige,  aus- 
gewachsene Tiere  vom  Typus  der  Dachshunde)  wurde  am  6.  IV.  03 
eingestellt  und  in  derselben  Weise  ernährt.  Sie  wogen  bei 
Beginn  des  Versuches  D.  =  3000  g,  E.  =  3500  g,  F.  =  3700  g,  am 
Ende  des  Versuches,  den  2.  VI.  03  D.  =  6400  g,  E.  =  6320  g, 
F.  =  3935  g. 

Die  Tiere  wurden  durch  Chloroforminbalationen  getötet  und 
auf  ihren  Gehalt  an  Trockensubstanz  und  Asche  untersucht.  (Die 
Methodik  wird  weiter  unten  beschrieben  werden.) 

Die  Analysen  ergaben  folgende  Werte: 


Trocken- 

Wasser- 

substanz 

gehalt 

pOt. 

pCt. 

pCt. 

A.  Fleisch  und  Brahe  ^) 

43,847 

56,653 

4,22 

B.  Butter,  Brot,  Brühe  >) 

42,37 

57,63 

3,39 

C.  Brot  and  Brühe 

88,64 

61,36 

5,05 

D.  Fleisch  und  Brühe 

87,497 

62,503 

3,421 

£.  Botter,  Brot  und  Brühe  >) 

47,421 

52,579 

3,267 

F.  Brot  und  Brühe 

84,416 

65,584 

2,2137 

Das  Resultat  dieser  Versuche  ist  nicht  eindeutig.  Den 
höchsten  Gehalt  an  Trockensubstanz,  also  den  niedrigsten  Wasser- 
gehalt, haben  die  in  der  Hauptsache  mit  Fett  ernährten  Tiere. 
Ihnen  am  nächsten  stehen  die  mit  Fleisch  gefutterten  Hunde. 
Da  jedoch  das  verfutterte  Fleisch  (gehacktes  Kindfleisch,  das 
möglichst  gut  von  Sehnen  und  Fett  befreit  war)  noch  2 — 7  pCt. 
Fett  enthielt,  so  ist  auch  hier  der  hohe  Gehalt  des  Tieres  an 
Trockensubstanz  eventuell  dem  Fettgehalt  der  Nahrung  zuzu- 
schreiben. 

Die  Yersuchsanordnung  wurde  daher  nun  in  anderer  Weise 
gewählt  und  das  Hauptgewicht  darauf  gelegt,  eine  Serie  Tiere 
mit  möglichst  fettfreier  und  eine  zweite  Serie  mit  fettreicher 
Nahrung  zu  füttern. 

Die  Tiere  wurden  in  grossen  Stallkäfigen  gehalten,  in  denen 
sie  sich  ausgiebig  bewegen  konnten. 

Jede  der  drei  angestellten  Yersuchsserien  bestand  aus 
Tieren  desselben  Wurfes.     Es  handelte  sich    also    stets  um  Ver- 


0  Das  Fleisch  warde  zar  Hälfte  roh,  zur  Hälfte  gekocht  verfüttert. 

>)  ca.  150  g  Butter,  50  g  Brot. 

')  £.  erhielt  als  zweite  Mahlzeit  nachmittags  ca.  50  g  Speck. 


186  Weigert,  Über  den  Einfluss  der  ErnähruDg  auf  die 

gleichstiere  derselben  Art  und  desselben  Alters.  Die  Hunde  waren 
sämtlich  im  Tierstalle  der  Klinik  geboren  und  wurden  bis  zum  Beginn 
der  Verabreichung  der  Versuchsnahrung  vom  Muttertier  gesäugt. 

Es  wurden  im  ganzen  drei  Versuchsreihen  mit  sieben  Hunden 
eingestellt.  Die  Fütterung  und  die  Körpergewichtskurve  verlief 
folgen dermassen:  Serie  I.  Beginn  der  künstlichen  Ernährung 
6  Wochen  nach  der  Geburt  der  Hunde. 

Hund  A.,  1750  g  schwer,  erhielt  zweimal  täglich  eine  Schüssel 
ca.  7 — 8  proz.  Sahne  ^),  die  gut  genommen  wurde. 

B.,  löOO  g  schwer,  bekam  zweimal  täglich  eine  Schüssel 
durch  Zentrifugieren  erhaltener  Magermilch;  der  Fettgehalt 
dieser  Nahrung  betrug  0,2—0,6  pCt.  ^). 

C,  1400  g  schwer,  wurde  während  der  ersten  16  Tage  mit 
derselben  Magermilch  wie  Tier  B.  unter  Zugabe  von  Semmel 
gefüttert.  Von  da  ab  erhielt  er  Fleischbrühe  mit  Semmel  und 
täglich  5 — 6  Stückchen  Zucker  (ca.  50  g). 

Verlauf  der  Gewichtskurve: 

Datum  A.                         B.                           C. 

10.      VI.  03  1750  g  1600  g  1400  g 

26.      VI.  03  2100  „  1550  „  1650  „ 

16.    VII.  03  2500  „  2200  „  1700  „ 

20.    Vn.  03  2630  „  2280  „  1630  „ 

31.    VII.  03  2600  „  2500  „  1600  „ 

7.  VIII.  03  2700  „  2450  „  1550 


» 


14.  VlII.  03  2850  „  2800  „  1450  „ 

21.  Vin.  03  3000  „  3000  „  1400  „ 

30.  VIII.  03  2800  „  2750  „  1300  „ 

8.  IX.  03  2250  „  8.  IX.  2660  „  10.  IX.  1300  „ 

Die  mit  Sahne  bezw.  Brühe  und  Semmel  ernährten  Tiere 
zeigten  in  den  ersten  Tagen  des  Septembers  wenig  Appetit,  waren 
dauernd  nass  und  neigten  zu  Durchfällen.  Daher  wurde  der  Versuch 
am  8.  bezw.  10.  September  abgebrochen.  Alle  drei  Tiere  wurden 
durch  Chloroforminhalationen  getötet,  gewogen  und  dann  in  einer 
gut  schliessenden  Blechbüchse,  die  in  eine  Kältemischung  gebracht 
wurde,  gefroren.  Nach  24  bis  36  Stunden  wurde  sodann  an  die 
Aufarbeitung    der    Tiere    gegangen,    die    bei    diesen  wie  bei  den 


1)  Die    Fettbestimmungen    wurden    nach    der    Methode    von    Gerber 
ausgeführt. 


chemische  ZasammensetzuDg  des  Organismus.  187 

früheren  und  noch  folgenden  Tieren  nach  folgender  Methode*) 
vorgenommen  wurde: 

Das  vollkommen  hart  gefroreoe  Tier  wurde  in  einer  grossen 
Porzellanschüssel  mit  Messer  und  Schere  zerkleinert  und  der 
Magen  und  Darmkanal,  sowie  die  Blase  von  ihrem  Inhalte  befreit.^) 
Dieser  Hess  sich  als  Eis  sehr  gut  ausstreichen,  wurde  schnell  gewogen 
und  von  dem  Gesamtgewicht  des  Tieres  in  Abzug  gebracht.*  Als- 
dann wurden  die  einzelnen  Stücke  und  Organe  in  eine  Fleisch- 
hackmaschine gebracht  und  mit  Fell,  Knochen  und  Zähnen  zer- 
mahlen.  Die  sehr  stark  gebaute  und  mit  Zahnradübertragung 
versehene  Maschine  überwand  alle  diese  Hindernisse  spielend. 
So  wurde  ein  homogener  Brei  von  der  Konsistenz  gehackten 
rohen  Fleisches  erhalten.  In  der  Maschine  blieben  einige  grössere 
Stückchen  von  Knochen,  Knorpeln  und  Haut  zurück,  diese  wurden 
später  mit  der  Schere  vollends  zerkleinert  und  mit  der  Haupt- 
masse vereinigt.  Die  einzelnen  Teile  der  Maschine,  die  leicht 
auseinanderzunehmen  ist,  wurden  alsdann  mit  Alkohol  abgespült^ 
ebenso  die  zum  Zerkleinern  gebrauchten  Instrumente  (Messer  und 
Schere)  und  meine  eigenen  Hände.  Der  ganze  Brei  wurde  in  einen 
hohen  glattwandigen  Glaszylinder  gebracht,  mit  circa  der  drei* 
fachen  Menge  Alkohol  übergössen  und  mehrere  Tage  stehen  ge- 
lassen. Dabei  wurde  durch  wiederholtes  Umrühren  mit  einem 
grossen  Glasstabe  dafür  gesorgt,  dass  keine  Fäulnisprozesse  ein- 
traten, und  dass  die  Extraktion  möglichst  gründlich  war. 
Schliesslich  Hess  ich  die  Masse  sich  gut  absetzen  und  heberte 
den  Alkohol  ab,  Diese  Prozedur  wurde  darauf  n.och  zweimal 
mit  demselben  Quantum  Alkohol  und  danach  dreimal  mit  der 
gleichen  Menge  Äther  vorgenommen.  Jede  dieser  fünf  Extraktionen 
dauerte  24  Stunden. 

Der  Alkoholextrakt  wurde  in  einer  Porzellanschüssel  auf 
ojSPenem  Wasserbade  eingeengt.  Die  in  einer  grossen  Flasche 
vereinigten  Atherextrakte  wurden  in  eine  Wasserwanne  von 
ca.  30^  G.  gebracht  und  alsdann  an  eine  Wasserstrahlsaugpumpe 
angeschlossen.  Hierdurch  wurden  die  Ätherextrakte  auf  ca.  l — P/j  1 
eingeengt,    danach    mit    den  Alkoholextrakten  vereinigt    und    ihr 

1)  of.  Camerer  and  Söldner,  Zeitschr.  f.  Bioi.  Bd.  39.  Steinitz^ 
Über  den  Einflass  der  Ernährungsstörungen  auf  die  chemische  Zusammen- 
setzung des  Säuglingskörpers.  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  1904,  N.  F.  LIX, 
H.  4,  S.  451. 

>)  Um  möglichst  wenig  Magen-  und  Darminhalt  zu  erhalten,  Hess  ich 
die  Tiere  am  letzten  Tage  des  Versuches  hungern. 


188  Weigert,  Über  den  Einiluss  der  ErnähruDg  auf  die 

Volumen  auf  dem  Wasserbade  möglichst  vermindert.  Nunmehr 
wurden  die  Extrakte  in  ein  Glasgefass  mit  eingeschliffenem  Deckel 
gebracht  und  ihr  Gewicht  festgestellt.  In  diesen  Gefässen  hielt 
sich  das  Gewicht  der  Substanz  ziemlich  konstant;  kam  eine  Zu- 
oder  Abnahme  infolge  Wasseraufnahme  oder  -Abgabe  vor,  so 
wurde  sie  vor  der  Entnahme  von  Substanz  für  die  Analysen 
durch.  Wägung  festgestellt  und  in  Anrechnung  gebracht.  Der 
Extrakt  hatte  etwa  die  Konsistenz  von  Marmelade. 

Der  mit  Alkohol  und  Äther  extrahierte  Brei  wurde  in  grosse 
Porzellanschüsseln  gebracht,  und  es  wurde  durch  Erhitzen  auf 
dem  Wasserbade  der  zurückgebliebene  Alkohol  und  Äther  voU- 
ko9inien  aus  ihm  vertrieben.  Dadurch  wurde  ein  grobes,  trockenes, 
hartes  Pulver  erhalten,  das  nach  Feststellung  seines  Gewichtes 
gleichfalls  in  einem  Glasgefass  mit  eingeschliffenem  Deckel  auf- 
bewahrt wurde. 

Ein  Teil  dieses  Pulvers  wurde  sogleich  in  einer  Pfeffermühle 
mit  feinster  Einstellung  staubfein  zermahlen. 

Nunmehr  wurden  abgewogene  Mengen  des  groben  und  des 
feinen  Pulvers  im  Yakuumapparat  bei  98^  C.  bis  zur  Gewichts- 
konstanz getrocknet. 

Aus  der  Menge  des  nicht  getrockneten  groben  Pulvers  und 
aus  dem  Wassergehalt  des  groben  und  des  feinen  Pulvers  wurde 
festgestellt,  wie  gross  die  Menge  des  feinen  Pulvers  gewesen 
wäre,  wenn  alles  grobe  Pulver  verlustlos' in  feines  Pulver  zermahlen 
worden  wäre. 

Der  vereinigte  Alkohol-  und  Ätherextrakt  wurde  bei  60 — 70®  C. 
im  Trockenschrank  bis  zur  Konstanz  getrocknet. 

Im  feinen  Pulver  und  im  ;Extrakt  wurde  ausserdem  Asche-, 
Stickstoff-  und  Fettgehalt  bestimmt. 

Die  Stickstoff  bestimm  ungen  erfolgten  nach  der  Methode 
von  Kjeldahl;  die  Fettbestimmungen  wurden  im  Äther- 
extraktionsapparat nach  Soxhlet  ausgeführt.  Die  Substanz  wurde 
zunächst  mit  gewöhnlichem  Äther  24  Stunden  extrahiert,  der  so 
erhaltene  Extrakt  darauf  im  Trockenschrank  bei  60 — 70*  C. 
bis  zur  Konstanz  getrocknet,  mit  wasserfreiem  Äther  aufgenommen, 
filtriert,  nochmals  24  Stunden  getrocknet  und  dann  gewogen. 

Von  allen  vorgenommenen  Bestimmungen  wurden  Kontroll- 
bestimmungen gemacht. 

Die  nach  diesem  Verfahren  analysierten  Tiere  der  Serie  I 
ergaben  folgende  Werte: 


chemische  ZusammensetzuDg  des  Organismas. 


189 


Gewicht  des  Tieres  abzüglich  | 
Magen-,  Darm-  u.  Blaseninhalt 


Trocken- 
subst, g 


Äther- 
oxtrakt   g 


Äsche  g 


N.  g 


A.  2111  g  (Sahne)  867,78 

B.  2642  .  (Magermilch)  781,39 

C.  1297  „  (Semmel  u.  Zucker)       362,96 


210,91 
62,60 
56,18 


122,67 
144,62 
72,809 


84,677 
107,80 
29,681 


Auf  100  g  des  Gesamttieres,  bzw.  auf  100  g  der  Trocken- 
substanz des  fettfreien  Tieres  umgerechnet,  gestalten  sich  die 
Vergleichszahlen  folgendermassen : 

100  g  Leibessubstanz  enthalten 


Ern&hrongsweise 

Trocken- 
sabstanz 

Äther- 
extrakt 

Asche 

N 

A.  Sahne                         ' 

B.  Magermilch 

C.  Semmel  a.  Zucker 

41,107 

29,58 

•27,985 

9,99 

2,369 

4,393 

5,811 
4,348 
5,613 

4,011 
8,510   ' 
2,29 

Auf  fettfreie  Leibessubstanz  berechnet  enthalten  100  g 


Ernfthrangsweise 

Trocken- 
substan/. 

Asche 

N 

100  g  Trockensubstanz 
enthalt.  Ätherextrakte 

A.  Sahne 

B.  Magermilch 

C.  Semmel  u.  Zacker 

34,57 
28,51 
24,73 

6,456 
5,607 
5,868 

3,927 
3,595 
2,392 

24,306 
8,011 
15,48 

Hieraus  geht  hervor,  dass  das  mit  Sahne  gefütterte  Tier  A 
bei  dem  grössten  Gehalt  an  Trockensubstanz  zwar  auch  den 
höchsten  Gehalt  an  Fett  besitzt,  dass  sich  aber  daneben  auch 
ein  beträchtlicher  Ansatz  an  sonstiger  Trockensubstanz  konstatieren 
lässt,  der  sich  auch  in  der  Vermehrung  des  prozentischen  Ge- 
haltes an  StickstofF  und  Asche  ausspricht. 

Dies  ist  schon  deutlich  genug,  wenn  die  Werte  der  mit 
Magermilch  und  Sahne  gefütterten  Hunde  verglichen  werden,  und 
wird  noch  auffälliger  an  den  Werten  des  Tieres  C;  bezüglich 
des  letzteren  ist  jedoch  zu  bemerken,  dass  die  Zahlen  nicht  als 
absolut  eindeutig  angesehen  werden  können,  weil  das  Tier  kaum 
seinen  Körperbestand  zu  erhalten  vermochte:  Anfangsgewicht 
1400  g,  Endgewicht  1300  g.  Dies  legt  die  Vermutung  nahe,  dass 
die  Stickstoffzufuhr  zeitweise    gar  nicht  ausreichend  gewesen  ist. 

Serie  II.     Hund  No.  3  und  4. 
Beide  Tiere  wurden    am    20.  I.   1904  geboren  und  bis  An- 
fang März   vom  Muttertier    gesäugt,    alsdann    erhielten    sie    zum 


190 


Weigert,  Über  den  Einflass  der  Ernährang  auf  die 


Zweck    des    Abstillens    bis    zum    20.  III*    reine    Kuhmilch.      An 
diesem  Tage  wurde  der  Versuch  begonnen. 

No.  4  erhielt  7 — 8  proz.  Sahne.  No.  3  wurde  bis  zum 
8.  März  mit  Magermilch  ernährt,  die  ca.  0,2 — 0,6  pCt.  Fett  ent- 
hielt und  nach  dem  Rezept  von  Teixeira  de  Mattos^)  mit  1  Ess- 
löffel Weizenmehl  und  2  Esslöffeln  Rohrzucker  pro  Liter  zurecht- 
gemacht wurde.  Da  No.  3  diese  Nahrung  schlecht  nahm, 
schlechter  Stimmung  war,  sein  Fell  nass  und  sein  Stuhl  dünn 
und  hell  wurde,  so  bekam  dieses  Tier  von  nun  ab  nach  dem- 
selben Rezept  zubereitete  Buttermilch.  Diese  hatte  einen  durch- 
schnittlichen Fettgehalt  von  0,1—0,7  pCt.  Die  Buttermilch 
wurde  gut  genommen.  Das  Tier  wurde  wieder  trocken,  munterer 
und  agiler,  die  Durchfälle  hörten  auf.  Trotzdem  war  andauernd  ein 
grosser  Unterschied  im  Verhalten  beider  Tiere  zu  bemerken, 
indem  die  Agilität  des  mit  Sahne  gefutterten  Hundes  bei  weitem 
besser  und  überhaupt  auffallend  gut  war.  Ebenso  war  das  Aus- 
sehen dieses  Tieres  besser,  das  Fell  glatt,  glänzend  und  sauber, 
die  Beine  gerade  und  schlank. 

Der  mit  Buttermilch  ernährte  Hund  zeigte  dagegen  nur 
massige  Agilität,  sein  Fell  war  zwar  trocken,  aber  struppig  und 
schmutzig.  Am  Anfang  April  waren  seine  Beine  hochgradig 
verkrümmt. 

Am  8.  IV.  wurden  beide  Tiere  getötet. 

Körper- Gewicht  während  der  Fütterung 
Datum  No.  4  Sahne  No.  3  Buttermilch 

4.  in.  04  2020  g  1095  g 

8.  III.  04  1880  „  1190  „ 

11.  III.  04  1975  „  1060  „ 

14.  III.  04  2080  „  1110  „ 

21.  III.  04  2390  „  1200  „ 

30.  III.  04  2830  „  1685  „ 

8.  IV.  04  2775  „^)  1647  J) 

Analyse  der  Serie  U  (Hund  4  und  3). 


Gewicht  des  Tieres  abzüglich 
Magen-,  Darm-  und  Blaseninhalt 

g 

Trocken- 
8 abstanz 

g 

Ätherextrakt 
g 

1 
Asche 

g 

N 
g 

Sahne             No.  4  =  2753 
Battermilch  No.  3=1621 

1081,03 
399,262 

511,5 
60,829 

98,64 
60,459 

104,31 
41,94 

0  Teixeira  de  Mattos,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.    1902.     Bd.  55.    S.  1. 
')  Gewicht  des  toten  Tieres. 


chemische  ZasammeosetzuDg  des  Organismas. 

Serie  II. 
100  g  Leibesaubstanz  enthalten 


191 


Ernährungsweise 

Trockensubstanz 

Ätherextrat 

Asche 

Stickstoff 

4.  Sahne 

3.  Buttermilch 

89,27 
24,63 

18,58 
3,752 

3,588 
8,73 

1 

8,79 
2,587 

Auf  fettfrei 

e  Leibessubstanz  berechnet  enthalten  100  g 

Ernährungsweise 

Trockensubstanz 

Asche 

N 

100  g  Trockensubstanz 
enthalten  Ätherextrakt 

4.  Sahne 

3.  Buttermilch 

25,41 
21,69 

4,40 
3,875 

4,654 
2,688 

47,32 
15,28 

Es  stellt  sich  also  auch  in  dieser  Reihe  bei  dem  mit  fett- 
reicher Nahrung  gefütterten  Tiere  eine  Zunahme  von  Trocken- 
substanz heraus,  die  durch  das  Mehr  an  Fettgehalt  allein  nicht 
erklärt  wird.  Es  bleibt  in  der  Trockensubstanz  auch  nach  Ab- 
zug des  Fettes  ein  Plus  von  3,72  pCt.  zugunsten  des  mit  Sahne 
ernährten  Hundes.  Der  Zuwachs  an  Trockensubstanz  spricht 
sich  auch  in  der  beträchtlichen  Zunahme  des  Tieres  4  an  Stick- 
stoff- und  Aschegehalt  aus. 

Serie  UI. 
Die  sechs  Wochen  alten  Hunde  12  und  11  wurden  wie  die 
Serie  H  am  4.  HI.  04  in  den  Versuch  eingestellt  und  mit  dem- 
selben Futter  ernährt:  12  mit  Sahne,  11  erst  mit  Magermilch, 
vom  8.  III.  mit  Buttermilch.  Bezuglich  des  Gedeihens  verhielten 
sich  die  Tiere  völlig  analog  den  Tieren  der  Serie  II,  d.  h.  der 
mit  Sahne  gefütterte  Hund  (12)  war  dem  mit  Buttermilch  er- 
nährten (11)  in  jeder  Beziehung  weit  überlegen.  No.  11  hatte 
Ende  April  einen  wallnussgrossen  Abszess  an  der  Bauchwand, 
der  spontan  abheilte.  Verkrümmungen  der  Extremitäten  zeigten 
sich  bei  beiden  Tieren  nicht.  Die  Fütterung  dieser  Hunde  wurde 
bis  zum  30.  VI.  04  in  derselben  Weise  durchgeführt. 

Körpergewicht  während  des  Versuches: 


Datum 

No. 

12  (Sahne) 

No. 

11  (Buttermilch) 

4.  III. 

1130  g 

1090  g 

8.  III. 

1040  „ 

1150  „ 

11.  m. 

1230  „ 

1140  „ 

14.  m. 

1000  „ 

1230  „ 

21.  m. 

1140  „ 

1360  „ 

192 


Weigert,  Über  den  EinilasB  der  Ernfthrong  auf  die 
Körpergewicht  während  des  Versuches: 


Datum 

No. 

12  (Sahne) 

No. 

11  (Battermilch) 

80.  m. 

1340  g 

1790  g 

8.  IV. 

1530  „ 

1760  „ 

15.  IV. 

1590  „ 

1810  „ 

28.  IV. 

1750  „ 

1880  „ 

10.  V. 

1970  „ 

2150  „ 

25.  V. 

2100  „ 

1950  „ 

30.  VI. 

2360  „ 

1960  „ 

Analysen  der  Serie  III  (Hund  12  und  11). 


Gewicht  des  Tieres  absüglich 
Magen-,  Darm-  a.  Blaseninhalt 

g 

Trocken- 
substanz 

g 

Ätherextrakt 
g 

Asche 
g 

N 
g 

Sahne            No.  12^2294 
Buttermilch  No.  11  =  1897 

836,8 
559,43 

331,95 
284,16 

97,03 
105,41 

69,34 
55,67 

100  g  Leibessubstanz  enthalten 


Ernährungsweise 

Trockensubstanz 

Ätherextrakt 

Asche 

N 

12  Sahne 

11  Buttermilch 

36,46 
29,49 

14,47 
12,35 

4,23 
5,56 

3,02 
2,93 

Auf  fettfreie  Leibessnbstanz  berechnet,  enthalten  100  g 


Ernährungsweise 

Trocken- 
substanz 

Asche 

N 

100  g  Trockensubstanz 
enthalten  Ätherextrakt 

12  Sahne 

11  Bttttermilcli 

25,71 
19,55 

;     4,94 
1     6,34 

3,53 
3,35 

39,69 
41,86 

Der  Vergleich  der  Analysen  dieser  beiden  Tiere  ist  be- 
sonders interessant  dadurch,  dass  der  mit  fettreicher  Nahrung 
gefütterte  Hund  nur  wenig  mehr  Prozentgebalt  Fett  besitzt,  wie 
der  mit  fettarmer  Nahrung  ernährte.  Dabei  zeigt  es  sich,  dass 
auch  hier  der  Trockengehalt  des  Sahnetieres  (12)  beträchtlich 
grösser  ist  als  der  des  Buttermilclitieres  (11),  und  es  wird  nun 
besonders  deutlich  ersichtlich,  dass  das  Plus  an  Trockensubstanz 
auch  einen  wirklichen  Ansatz  fettfreier  Trockensubstanz  darstellt 
und  nicht  nur  in  einem  Mehr  an  Fettansatz  begründet  ist. 

Als  Ausdruck  der  Zunahme  der  fettfreien  Trockensubstanz 
des  Tieres  12  zeigt  sich  eine  Vermehrung  des  Prozentgehaltes 
an  Asche  sowohl  wie  an  StickstoflF. 


ohemisohe  ZusammensetzuDg  des  Organismus. 


193 


Bei  den  mit  Buttermilch  ernährten  Tieren  der  Serie  II 
und  m  (Hunde  11  und  3)  besteht  gegenüber  den  Sahnehunden 
{12  und  4)  eine  Verschiebung  in  dem  Verhältnis  des  Stickstoff- 
zam  Aschegehalte  und  zwar  zugunsten  des  Aschegehaltes.  Dieses 
scheint  darauf  hinzudeuten,  dass  die  wasserreichen  Tiere  zur 
Bindung  des  Wassers  einer  grossen  Salzmenge  bedürfen,  die 
darin  ihren  Ausdruck  findet,  dass  der  Aschegehalt  der  Tiere  ver- 
mehrt ist,  während  doch  die  gesamte  Trockensubstanz  gegenüber 
der  der  Sahnehunde  zurückbleibt. 


No. 

Alter  und 
Flitter  an  gsart 

Ge- 
wicht 

a    a 

H    • 

i 

Fett 

i| 

1 1 

Asche 

ll 

N 

2 

g 

pCt. 

pCt. 

pCt. 

pCt. 

pCt. 

pCt. 

pCt. 

pCt. 

pCt. 

A 

4>/,  Mon. 
SahDe 

^111 

41,107 

58,893 

9,99 

24,306 

34,57 

5,811 

6,456 

4,011 

3,927 

B 

4>/,  Mon. 
Magermilch 

2642 

29,58 

70,492 

2,869 

8,011 

28,51 

4,348 

5.607 

3,510 

3,595 

0 

4V>  Mon. 

Semmel  nnd 

Zucker 

1297 

27,985 

72,015 

4,394 

15,48 

24,73 

5,613 

5,868 

2,29 

2,392 

4 

3Vi  Mon. 
Sahne 

2753 

39,27 

60,73 

18,58 

47,32 

25,41 

3.583 

4,40 

3,79 

4,654 

3 

3V»  Mon. 
Buttermilch 

1621 

24,63 

75,37 

3,752 

15,23 

21,69 

3,73 

3,875 

2,587 

2,688 

12 

5«/,  Mon. 
Sahne 

2294 

36,48 

63,52 

14,47 

39,69 

25,71 

4,23 

4,94 

3,02 

3.53 

11 

5Va  Mon. 
Buttermilch 

1897 

29,49 

70,51 

12,35 

41,86 

19,55 

5,56 

6,34 

2,93 

3,35 

Ansgewachs.^) 
Meer- 

424 

32,92 

67,08 

10,013 

30,4 

25,46 

4,348 

4,832 

3,187 

3,542 

schweinchen  A 

Meer- 
schweinchen B») 

248,8 

27,27 

72,73 

4,82 

17,7 

23,58 

4,18 

4,39 

2,889 

3,035 

2—3  Monate 

alt 

Leider  ist  es  nicht  statthaft,  die  erhaltenen  Werte  aller 
Tieranalysen  untereinander  zu  vergleichen,  sondern  nur  die  der 
Tiere  der  einzelnen  Serien  unter  sich.  Um  ersteres  tun  zu 
können,  müssten  ausgewachsene  Hunde   derselben  Rasse   für    die 

')  Die  Besprechung  der  Analysen  der  Meerschweinchen  folgt  weiter  unten. 
Jahrbuch  f.  Kinderhellkunde.    N.  f.    LXI,  Heft  1.  13 


194 


Weigert,  Über  den  Einfluss  der  Ernährnng  auf  die 


Versuche  ausgewählt  werden,  da  Wachstum  und  Ernährungs- 
weise die  chemische  Zusammensetzung  der  Trockensubstanz 
vielleicht  in  verschiedener  Kichtung  beeinflussen,  selbst  wenn  die 
Ernährung  so  gewählt  ist,  dass  sie  ebenso  wie  das  Wachstum 
den  Wassergehalt  vermindert. 

Immerhin  seien  in  vorstehender  Tabelle  (S.  193)  der  besseren 
Übersicht  wegen  die  Analysen  derjenigen  Tiere  zusammengestellt, 
bei  denen  neben  dem  Wassergehalt  auch  der  Fett-,  Asche-  und 
StickstoflFgehalt  des  Organismus  bestimmt  wurde. 

Um  auch  Vergleichszahlen  von  einem  Hunde  zu  haben,  der 
in  der  üblichen  Weise  ernährt  wurde,  analysierte  ich  einen  aus- 
gewachsenen Hund  (C),  der  einem  Restaurateur  gehört  hatte 
und  hauptsächlich  mit  Eüchenabfällen  gefuttert  worden  sein  soll. 
Das  Tier  schien  ziemlich  mager  zu  sein. 

Analyse  des  Hundes  C. 


Gew.  des  Tieres 

(abzügl.  Blasen-, 

Magen-  und 

Darm  inh  alt) 

g 

Trocken- 
substanz 

g 

Fett 
g 

Fett 
pCt 

Fett  der 
Trocken- 
substanz 

pOt. 

Trocken- 
substanz 

pCt. 

Troeken- 

■atetuii 

des  feU- 

freien 

Tieres 

8 

8915 

1483,05 

428,81 

10,953 

28,91 

37,88 

80,24 

Wir  sehen,  dass  auch  dieses  Tier  denjenigen  Hunden,  die 
einen  geringeren  Fettgehalt  haben  als  er  selbst,  an  Prozentgehalt 
der  fettfreien  Trockensubstanz  erheblich  überlegen  ist. 

Da  der  Hund  ein  Carnivore  ist  und  speziell  die  Versuchs- 
tiere mit  Milch,  also  mit  einer  sehr  eiweissreichen  Kost  gefüttert 
waren,  so  musste  es  interessieren,  auch  Vergleichszahlen  über 
solche  Ti^re  zu  erhalten,  die  vegetarisch,  also  überwiegend  von 
Kohlehydraten  leben.  Daher  wurden  in  der  gleichen  Weise  wie 
die  Hunde  zwei  Meerschweinchen  verarbeitet  ^)  und  analysiert. 

Ich  wählte  ein  ausgewachsenes,  gut  genährtes  Tier  (A)  und 
eines  von  2 — 3  Monaten  (B). 

Analysen  der  Meerschweinchen  A  und  B. 


Gewicht  des  Tieres  ab- 
züglich Magen-,  Darm- 
und  Blaseninhalt 

g 


Trocken- 
substanz 


Ather- 
extrakt 

g 


Asche 

g  I 


N 
g 


A. 
B. 


424 
243,8 


139,59 
66,47 


42,455 

11,754 


18,484 
10,190 


13,514 
7,044 


»;  Die  Zerkleinerung  wurde  nicht  in  der  Fleischmaschine,  sondern  mit 
Messer    und   Schere   vorgenommen,    wobei   ein  Brei    Ton    ca.    erbsengrosscn 


chemisohe  Zasammensetenng  des  OrguDismas. 
100  g  Leibessubstanz  enthalten 


195 


Trockensubstanz 

Ätherextrakt 

Asche 

N 

A 
B 

32,92 
27,27 

10,013 
4,82 

4,348 
4,18 

3,187 
2,889 

Auf  fettfreie  Leibessabstanz  berechnet  enthalten  100  g 

Trockensubstanz 

Asche 

N 

100  g  Trockensubstanz 
enthalten  Ätherextrakt 

A 
B 

25,46 
23,58 

4,832 
4,39 

3,542 
3,0355 

30,4 
17,7 

Es  bestätigt  sich  an  diesen  Tieren  die  auch  von  Steinitz^) 
gefundene  Tatsache,  dass  wachsende  Tiere  an  Wassergehalt  er- 
heblich abnehmen,  dass  jedoch  diese  Abnahme  nicht  durch  den 
Fettansatz  allein  ausgeglichen  wird;  es  ist  yielmehr  auch,  vom 
Fett  abgesehen,  eine  Zunahme  der  Trockensubstanz  zu  kon- 
statieren. 

Das  Ergebnis  der  mitgeteilten  Untersuchungen  ist  demnach 
folgendes: 

1.  Der  Wassergehalt  der  Tiere  ist  abhängig  von  ihrem 
Alter  und  von  der  Ernährungsweise; 

2.  die  Schwankungen  des  Wassergehaltes  sind  nicht  allein 
bedingt  durch  die  Zunahme  oder  Abnahme  des  Fettgehaltes 
des  Tierkörpers,  sie  sind  auch  begründet  in  einem  verschieden 
grossen  Gehalt  an  fettfreier  Trockensubstanz; 

3.  die  Zunahme  an  fettfreier  Trockensubstanz  bezieht  sich 
in  gleicher  Weise  auf  den  Gehalt  an  Stickstoff  und  Asche; 

4.  von  den  Tieren,  die  mit  eiweiss-  und  fettreicher  Kost 
(Sahne),  eiweiss-  und  kohlehydratreicher,  aber  fettarmer  Kost 
(Buttermilch),  kohlehydratreicher,  aber  eiweiss-  und  fettarmer 
Kost  (Fleischbrühe  mit  Semmel  und  Zuckerzugabe,  vegetabilische 
Nahrung  s.  die  Analysen  der  Meerschweinchen)  ernährt  wurden, 
zeigen  diejenigen  den  höchsten  Gehalt  an  fettfreier  Trockensubstanz, 
die  mit  eiweiss-  und  fettreicher  Nahrung  aufgezogen  wurden. 

Die  Beantwortung  der  dritten  eingangs  gestellten  Frage,  ob 
nämlich  durch  Verschiebungen  im  Wassergehalt  des  Körpers  die 
Bedingungen  für   das  Verhalten  der  Tiere  gegenüber  Infektionen 


Stücken  gewonnen  wurde.   Das  feine  Pulver  wurde  hieraus,  wie  sonst,  in  der 
Pulverniühle  hergestellt. 
1)  Steinitz,  1.  c. 

13» 


196  Weigert,  Über  deo  Eiofluss  der  Ern&hrang  aaf  die 

geändert  werden,  muss  leider  vorerst  unterbleiben,  da  die  zur 
Klärung  dieser  Angelegenheit  eingeleiteten  Versuche  aus  äusseren 
Granden  während  mehrerer  Monate  unterbrochen  werden  mussten. 
Trotzdem  will  ich  es  nicht  unterlassen,  am  Schlüsse  dieser  Aus- 
fuhrungen auf  einige  klinische  Erfahrungen  hinzuweisen,  die  mit 
der  diskutierten  Frage  einen  Zusammenhang  zu  besitzen  scheinen. 

In  meiner  Mitteilung  über  den  Wassergehalt  kunstlicher 
Nährböden  habe  ich  bereits  darauf  hingewiesen,  dass  die  Mor- 
talitäts-  und  Morbid itätszahlen  vom  Säuglingsalter  bis  zur  Ent- 
wicklung sich  in  absteigender  Linie  bewegen,  und  dass  fast  mit 
gleicher  Gesetzmässigkeit  der  Wassergehalt  des  Organismus  von 
der  Geburt  bis  zur  beendigten  Entwicklung  abnimmt.  Es  kann 
hier  weiter  hinzugefügt  werden,  dass  die  Mortalität  und  Morbidität 
der  frühgeborenen  Kinder  noch  eine  entsprechend  grössere  ist, 
als  die  der  ausgetragenen.  Dies  fallt  wiederum  mit  der  Tatsache 
zusammen,  dass  von  der  Geburt  bis  zum  Beginn  des  embryonalen 
Lebens^)  zurückgerechnet  der  Wassergehalt  des  Embryo  dauernd 
zunimmt. 

Ein  deutlicher  und  allseitig  anerkannter  Einfluss  der  Er- 
nährung auf  die  Morbidität  und  Mortalität  lässt  sich  beim 
Menschen  im  Säuglingsalter  konstatieren,  je  nachdem  die  Er- 
nährung mit  Muttermilch  oder  „künstlich"  durchgeführt  wird. 
Wir  wissen,  dass  das  gesunde  Brustkind  mit  einer  hohen  Immu- 
nität gegen  Infektionen  ausgestattet  ist,  die  es  erlaubt,  es  mitten 
zwischen  kranken  Kindern  in  der  Klinik  aufzuziehen,  ohne  dass 
es  selbst  erkrankt.  Es  erscheint  daher  erforderlich,  nachzu- 
forschen, welcher  Teil  der  Brustnahrung  es  ist,  der  diesen 
günstigen  Einfluss  auf  die  Immunität  des  Kindes  ausübt. 

Die  Versuche,  die  künstliche  Säuglingsnahrung  der  natür- 
lichen möglichst  gleichwertig  zu  gestalten,  sind  bisher  nicht  zum 
wenigsten  daran  gescheitert,  dass  das  Tiermilchfett  von  dem 
Säugling  schlechter  ausgenützt  wird,  als  das  Frauenmilchfett,  ja 
dass  das  Kuhmilchfett  oft  eine  Schädigung  für  ihn  bedeutet. 
Daher  datieren  die  Versuche,  das  Fett  in  der  Säuglingsnahrung 
auf  ein  Minimum  zu  reduzieren  und  durch  Kohlehydratgaben  zu 
ersetzen  (Kindermehle,  Malzsuppe,  Buttermilch).  Wir  sehen  also, 
dass  die  Frauenmilch  der  künstlichen  Nahrung  überlegen  ist  durch 
einen  hohen  Gehalt  an  Fett,  das  gut  vertragen  und  ausgenutzt 
wird.     Da  sich  nun  in  den    mitgeteilten  Untersuchungen  heraus- 


^)  T.  Bezold,  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie.  Bd.  VIII.  1857. 


chemische  ZuBammensetzuDg  des  Organifmas.  197 

gestellt  hat,  dass  bei  Hunden  eine  fettreiche  Kost  eine  Ver- 
minderung des  Wassergehaltes  und  neben  einem  Ansatz  von  Fett 
auch  einen  solchen  an  fettfreier  Trockensubstanz  zur  Folge  hat, 
so  dürfen  wir  annehmen,  dass  Brustkinder  infolge  des  Reichtums 
der  Frauenmilch  an  Fett  relativ  wasserärmer  sind,  als  künstlich 
ernährte  Kinder. 

Wir  sehen  also  auch  hier  einen  mit  viel  Wahrscheinlichkeit 
anzunehmenden  geringen  Wasseirgehalt  des  Organismus  zusammen- 
treffen mit  einer  vermehrten  Widerstandskraft  gegen  Infektionen^ 
und  es  liegt  nahe  zu  vermuten,  dass  dieses  Moment  einen  der 
Faktoren  ausmacht,  die  die  hohe  Immunität  der  Brustkinder  zur 
Folge  haben. 

Im  Gegensatz  zu  den  Brustkindern  sind  von  den  künstlich 
genährten  Säuglingen  diejenigen  am  wenigsten  resistent  gegen 
Infektionen,  die  durch  längere  Zeit  in  der  Hauptsache  oder  gar  aus- 
schliesslich mit  Kohlehydraten  (Mehl-  oder  Schleimabkochungen) 
ernährt  wurden. 

Wir  wissen  aus  vielen  Stoffwechselversuchen  und  sehen  es 
auch  aus  meinen  oben  mitgeteilten  Analysen,  dass  die  mit  Kohle- 
hydraten ernährten  Tiere  viel  Wasser  retinieren,  und  dass 
ihr  Organismus  bei  der  Analyse  einen  grossen  Wassereichtum 
aufweist. 

Bischoff  und  Voit*)  ernährten,  wie  schon  oben  erwähnt, 
einen  Hund  lange  Zeit  mit  Brot  und  machten  an  ihm  folgende 
Beobachtung:  „Interessant  ist  auch  hier  wieder  die  starke  Trän- 
kung des  Körpers  des  Tieres  mit  Wasser,  während  er  Fleisch  und 
Fett  verlor.  Als  er  darauf  mit  1800  g  Fleisch  täglich  gefüttert 
wurde,  liess  er  das  Wasser,  so  zu  sagen,  in  Strömen  fahren. 
Er  verlor  trotz  der  1800  g  Fleisch,  von  denen  er  600  g  ansetzte, 
am  ersten  Tage  300  g  an  Gewicht,  gab  also  900  g- Wasser  ab. 
Im  Harn  allein  waren  120  g  Wasser  mehr,  als  er  eingenommen 
hatte.  Am  zweiten  Tage  ergab  sich  noch  ein  ähnliches  Verhältnis, 
bis  die  Zunahme  an  Fleisch  so  gross  war,  dass  wieder  alle  1800  g 
umgesetzt  wurden." 

Eine  ähnliche  Beobachtung  können  wir  an  Säuglingen 
machen,  die  lange  Zeit  mit  grossen  Mengen  von  Kohlehydraten 
ernährt  wurden.  Wir  sehen  bei  ihnen  bei  Beginn  einer  Er- 
krankung oder  bei  Überführung  zu  einer  anderen  —  mehr  Eiweiss 
und  Fett  enthaltenden   —  Nahrung  in  24  bis  48  Stunden  immense 


0  Ern&hruDg  des  Fleischfressers.  1860.  S.  213. 


198  Wcig^ert,  Über  den  Einfluss  der  Ernährung  etc. 

Yerlaste  an  Körpergewicht  eintreten,  die  in  Anbetracht  der  Kurze 
der  Zeit  vorwiegend  auf  Wasser  bezogen  werden  können.  Und 
gerade  diese  Säuglinge  sind,  wie  erwähnt,  nach  unseren  Erfah- 
rangen  gegenüber  Infektionen  äusserst  gefährdet,  und  erreichen 
—  wenn  die  ausschliessliche  Kohlehydraternährung  eine  gewisse 
Zeit  überschreitet  —  zumeist  nicht  das  Ende  des  ersten  Lebens- 
jahres. 

Auch  bei  Erwachsenen  ist  der  Zusammenhang  zwischen 
Wassergehalt  und  Immunität  lange  vermutet  worden.  So  nimmt 
Pettenkofer^)  an,  dass  die  karge  Kost  der  armen  Yalksklassen 
eine  Anreicherung  der  Organ«  mit  Wasser  veranlasse,  und  daes 
dies  zusammenhänge  mit  der  Erfahrung,  dass  die  in  ihrem 
Körperbestand  so  veränderten  Individnen  eine,  geringere  Wider- 
standskraft gegenüber  krankmachenden  Einflüssen  besitzen. 


1)  Zitiert  nach   Forsterr  hl>  Handbnoh   der  Bygkne   und    Gewerbe- 
krankheiten  von  Pettenkofer  and  Ziemssen.  1882.  Bd.  l.  S.  60. 


XV. 
Die  exsudative  Dtathese. 

Von 
Prof.  AE>.  CZERNY 

in  BreilAO. 

Unter  dieser  Bezeichnung' will  ich  eine  Anzahl  von  Krank heits- 
syDi^ptoiaen  zu  ein^m  einheitlichen  Krankheitsbilde  zusammenfassen 
and  besprechen,  welche  mir  nach  der  klinischen  Beobachtung 
zusammenzugehören  scheinen.  Ein  Teil  derselben  wurde  bisher 
der  Skrophialose  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  zugezahlt  Es 
wäre  möglich  gewesen,  der  alten  Nomenklatur  treu  zu  bleiben, 
und  den  Symptomenkomplex,  den  ich  hier  analysieren  will,  als 
«ine  Form  der  Skrophulose  darzustellen.  Dies  will  ich  aber  mit 
Absicht  vermeiden.  Denn  mit  dem  Worte  Skrophulose  provoziert 
n^an  sofort  die  Frage  nach  der  Beziehung  oder  Identität  mit  der 
Tuberkulose  und  verliert  sich  dabei,  wie  die  Literatur  lehrt,  in 
«ine  vom  Standpunkte  des  Klinikers  ganz  unfruchtbare  Kontroverse. 
Das  Krankheitsbild,  das  den  Gegenstand  meiner  Besprechung 
bildet,  steht  aber  in  keinem  Zusammenhange  mit  Tuberkulose. 
Die  Darstellung  wird  deshalb  leichter,  wenn  ich  durch  die  Wahl 
«iaes  neuen  Naniens  a  priori  diese  Diskussionsmöglichkeit  ver- 
meide. 

Mit  dem  Namen  exsudative  Diathese  will  ich  zunächst  an- 
•deuten,  dass  ea  sich  um  eine  kongenitale  Anomalie  des  Organis- 
mus handelt,  welche  n^eist  alle  Kinder  einer  Familie  betrifft,  sich 
aber  in  sehr  verschiedenen  Graden  und  Formen  bei  den  einzelnen 
Familienmitgliedern  äussern  kann.  Vielfach  lässt  sich  die  Erblich- 
keit leicht  nachweisen.  Manchmal  geben  aber  die  Eltern  an, 
atets  gesund  gewesen  zu  sein.  Solche  Angaben  müssen  mit 
grosaer  Reserve  aufgenommen  werden.  Die  exsudative  Diathese 
macht  sich  meist  nur  in  den  Kinderjahren  geltend.  Sind  die 
GrosseKern  nicht  alt  geworden,  so  wissen  viele  Eltern  über  ihre 
eigenen  Kinderjahre    keine  Angaben    zu  machen.     Überdies  hat. 


200  Czerny,  Die  exsudative  Diathese. 

wie  später  noch  zu  besprechen  sein  wird,  die  Lebensweise  einen 
wesentlichen  Einfluss  auf  die  durch  die  exsudative  Diathese  be- 
dingten Erankheitssymptome ,  worauf  bei  der  Anamnese  sehr 
geachtet  werden  muss.  Lebten  die  Eltern  in  ihren  Kinderjahren 
beispielsweise  auf  dem  Lande  und  hatten  sie  nur  wenige  und 
sehr  leichte  Erankheitssymptome,  so  können  dennoch  ihre  Kinder^ 
wenn  dieselben  in  einer  Grossstadt  aufgezogen  werden,  schwer 
unter  der  hereditären  Belastung  zu  leiden  haben. 

Die  Erblichkeit  macht  sich  in  der  Regel  am  wenigsten 
geltend,  wenn  sie  sich  vom  Vater,  mehr,  wenn  sie  sich  von  der 
Mutter,  am  schwersten,  wenn  sie  sich  von  beiden  Eltern  ableitet. 
Doch  gibt  es  auch  Ausnahmen. 

Sehr  oft  zeigen  sich  die  Krankheitssymptome  der  exsudativen 
Diathese  bereits  im  ersten  Lebensjahre,  manchmal  sogar  schon 
in  den  ersten  Lebenswochen.  Bald  handelt  es  sich  um  schwache,, 
zarte,  bald  um  grosse,  scheinbar  kräftige  Kinder.  Bei  genauerer 
Beobachtung  ergeben  sich  aber  stets  Anhaltspunkte  für  eine  be- 
sondere Einschätzung  dieser  Kinder.  Bei  den  zarten  Kindern 
fallt  zumeist  der  Kontrast  zwischen  Mutter  und  Kind  oder  beiden 
Eltern  und  Kind  auf:  die  Mutter,  anscheinend  eine  blühende,, 
üppige  Erscheinung,  oder  beide  Eltern  grosse,  rüstige  Menschen 
und  das  Kind  oder  die  Kinder  so  zart  und  schwächlich,  dass  die 
Zusammengehörigkeit  geradezu  überraschend  wirkt.  Bei  der 
Untersuchung  der  starken  Kinder  ergibt  sich  wiederum,  dass 
dieselben  eine  mächtige  Adipositas  aufweisen,  während  die 
Muskulatur,,  besonders  der  oberen  Körperhälfte,  sehr  wenig  ent« 
wickelt  ist 

Gleich  von  Anfang  an  zeigen  sich  meist  bei  diesen  Kindern 
von  der  Norm  abweichende  Ernährungserfolge.  Diese  sind 
besonders  dann  klar  zu  beurteilen,  wenn  die  Kinder  an  der 
Brust  ernährt  werden.  Dabei  lassen  sich  zwei  Typen  unter- 
scheiden, welche  aber  keinesfalls  Gegensätze  darstellen.  Der  ein& 
Typus  ist  dadurch  charakterisiert,  dass  die  Kinder  trotz  der  Er- 
nährung an  einer  milchreichen  Brust  in  ihren  Körpergewichts- 
zunahmen hinter  der  Norm  zurückbleiben,  auch  dann,  wenn  keiner- 
lei Störungen  der  Magendarmfunktionen  vorhanden  sind.  Der 
zweite  Typus  von  Kindern  erreicht  dagegen  selbst  bei  Ernährung 
an  milcharmer  Brust  und  kleinsten  Nahrungsmengen,  noch  mehr 
aber  unter  gegenteiligen  Bedingungen  stark  über  den  Durchschnitt 
hinausgehende,  extreme  Körpergewichtszunahmen,  die  durch  einen 
starken    Fettansatz    bei    mangelhafter   Muskulatur    bedingt    sind. 


Czerny,  Die  exsadatWe  Diathese.  201 

Nach  meinen  Beobachtungen  handelt  es  sich  in  beiden  Fällen  um 
eine  Störung  der  Fettausnutzung  der  Nahrung. 

Was  den  ersten  Typus  anbelangt,  so  ist  dessen  Kenntnis 
für  den  Arzt  von  grosser  Wichtigkeit.  Ich  bin  überzeugt,  dass 
die  Beobachtung  zugehöriger  Fälle  viele  Ärzte  zu  der  irrigen 
Ansicht  von  der  Existenz  einer  guten  und  schlechten  Frauen- 
milch veranlasst  hat,  und  was  noch  bedauernswerter  ist,  zu  der 
Folgerung,  dass  die 'künstliche  Ernährung  für  viele  Kinder  zweck- 
mässiger sei  als  die  natürliche.  Ich  habe  mehrfach  gesehen,  dass 
Mütter,  welche  ihr  eigenes  Kind  stillten,  veranlasst  wurden,  eine 
Amme  zu  nehmen,  oder  dass  Ammen  beständig  gewechselt  wurden^ 
in  der  Meinung,  man  müsste  endlich  die  richtige  finden.  Der 
Zufall  bringt  es  manchmal  mit  sich,  dass  nach  einem  Ammen- 
wechsel das  Kind  vorübergehend  besser  zunimmt,  als  dies  vorher  der 
Fall  war.  Dieser  Erfolg  hält  aber  nie  lange  an.  Wer  sich  nicht 
so  leicht  entschliesst,  einen  Ammenwechsel  vorzunehmen,  der 
wird  beobachten  können,  dass  auch  bei  Ernährung  durch  die 
Mutter  oder  eine  einzige  Amme  Perioden  besserer  und  schlechterer 
Zunahmen  zu  verzeichnen  sind,  doch  bleiben  die  Kinder  gegen 
gleichaltrige  gesunde  im  ganzen  an  Körpergewicht  zurück.  Diese 
an  der  Brust  unbefriedigend  gedeihenden  Kinder  weisen  oft 
bei  fettärmerer  künstlicher  Ernährung  starke  Körpergewichts- 
zunahmen auf.  Die  meisten  Ärzte  und  Laien  betrachten  dies 
als  das  einzig  Notwendige  und  Wünschenswerte  und  sind  zu- 
nächst von  dem  Erfolge  erfreut,  bis  anderweitige  Krankheits- 
symptome diese  Freude  allmählich  herabstimmen. 

Unter  dem  Gesichtspunkte,  dass  eine  starke  Körpergewichts- 
zunahme unter  allen  Umständen  bei  Säuglingen  erreicht  werden 
müsste  und  der  Ausdruck  guten  Gedeihens  sei,  geben  natürlich 
die  Kinder,  welche  den  erwähnten  zweiten  Typus  repräsentieren^ 
niemals  früher  zur  Unzufriedenheit  Veranlassung,  ehe  sich  nicht 
die  exsudative  Diathese  in  Form  schwerer  Symptome  geltend 
macht.  Dazu  möchte  ich  schon  hier  hervorheben,  dass  diese 
Kinder,  bei  denen  sich  die  Stoffwechselanomalie  durch  den  starken 
Fettansatz  kennzeichnet,  mehr  gefährdet  sind,  als  die  Kinder, 
welche  ich  als  ereten  Typus  angeführt  habe. 

Eines  der  ersten  Symptome  der  exsudativen  Diathese  kann 
die  Landkarten  Zunge  sein.  Sie  ist  manchmal  schon  bei  Säug- 
lingen der  ersten  Lebensmonate  zu  beobachten.  Die  Landkarten- 
zunge lässt  sich  nur  klinisch  studieren.  Post  mortem  verschwinden 
die  Erscheinungen,  so  dass  sie  weder  makro-  noch  mikroskopisch 


202  Gzeroy,  Die  exsudative  Diathese. 

nachgewiesen  werden  können.  Sie  sind  bedingt  durch  streifen- 
förmig und  schmerzlos  auftretende  Exsudationen  in  der  Zongeni- 
schleimhaut,  wodurch  die  betroffenen  Papillen  vergrössert  und 
prominent  erscheinen.  Stärkere  Desquamation  lässt  die  affiziarten 
Schleimhautstellen  weiss  erscheinen.  Das  Bemerkenswerteste  an 
dar  Landkartenzunge  ist  die  FliLchtigkeit  ihrer  Erscheinung. 
Heute  sind  zahlreich»  Streifen  vorhanden,  morgen  sind  dieselben 
verschwunden  und  neue  an  anderen  Stellen  angetreten.  So, 
wiederholen  sich  oft  die  Eruptionen  tagelang.  Dann  kommen 
Tage  oder  Wochen,  in  denen  an  der  Zunge  nichts  wahrzunehmen 
ist.  Yon  neuem  zeigen  sieh  wieder  die  charakteristischen 
Zeichnungen,  ohne  dass  es  gelingt,  die  Ursache  fuj  das  Aus- 
treten und  Verschwinden  derselben  festzustellen,  selbst  dann, 
wenn  man  sich  Monate  odar  Jahre  lang  darum  bemüht. 

Beim  besten  Wohlbefinden  der  Kinder  können  die  Symptome 
der  Laodkartenzunge  auftreten  u^üd  umgekehrt  gerade  in  Zeiten, 
wo  anderweitige  Erankheitszustände  das  Befinden  der  Kinder 
ungünstig  beeinflussen,  fehlen. 

Dia  Landkartenzunge  ist  ganz  besonders  geeignet,  die  Er- 
kenntnis des  Wesantlichen  an  den  Symptomen  der  exsndativen 
Diathese  zu  erleichtern,  da  sie  stets  ohne  Komplikationen  ab- 
läuft. Bei  den  meisten  anderen  Erscheinungen  der  e:¥;sudativen 
Diathese  ist  dies  nicht  der  Fall.  Die  betroffenen. Haut*  oder 
ScUeimhautstellen  wevden  vielmehr  rasch  durch  sekundär  hin-^ 
zutretende  Infektionan  so  verändert,  dass  das  Primäre  leicht 
übersehen  werden  kann.  Dass  die  Zunge  ganz  besonders  gut 
gegen  Infektionen  geschützt  ist,  ist  genügend  durch  die  Er- 
fahrung der  glatten  Heilung  von  Verletzungen  oder  chirurgischen 
Wunden  an  der  Zunge  verbürgt. 

Nicht  jedes  Kind  mit  exsudativer  Diathese  hat  eine  Land- 
kartenzunge. Doch  kommt  dieselbe  viel  häufiger  vor,  als  jene 
glauben,  welche  nicht  regelmässig  nach  derselben  suchen.  Nicht 
selten  ist  sie  auch  bei  mehreren  Kindern  einer  Familie  zu  beob- 
achten. Die  Landkartenzunge  bleibt  niemals  das  einzige  Symptom 
d«r  exsudativen  Diathese.  Gerade  deshalb  ist  sie  beachtenswert. 
Denn  sie  ermöglicht  rechtzeitig,  prophylaktische  Massregeln  zu 
treffen,  welche  später  besprochen  werden  sollen. 

Die  Exsudationen  in  der  Zungenschleimhaut,  welche  die 
Lingua  geographica  charakterisieren,  bleiben  stets  nur  auf  die 
Zunge  beschränkt.  Niemals  zeigen  sich  dieselben  an  der  Lippen-, 
Wangen-    oder    Gaumenschleimhaut.       Dieses    Verhalten    zwingt 


Czerny,  Die  exsudative  Diatheee.  203 

uns  zu  der  Annahme  einer  besonderen    lokaleii  Veranlagung^  für  , 
deren  Erklärung  aber  bisher  keine  Befunde  vorliegen. 

Eine  ähnliche  lokale  Disposition  der  Gewebe  macht  sich 
auch  bei  anderen  Erscheinungen  der  exsudativen  Diathese  geltend: 
Sehr  deutlich  zeigt  sich  dies  beispielsweise  beim  Gneis  ujad  dem 
Milchschorf  der  Säuglinge. 

Der  Gneis  macht  sich  nur  im  Säaglingsalter,  dab^ei  aber  oft 
schon  in  den  ersten  Lebenswochen  bemerkbar.  Er  ist  auf  der 
behaarten  Kopfhaut  lokalisiert,  aber  nicht  derart,  dass  die  ganze 
Kopfhaut  in  MiÜeidenachaft  gezogen  wird.  Die  Prädilektions- 
stelle ist  die  Höhe  des  Schädeldaches,  also  Scheitel,  Umgebung 
der  Sagittalnaht  und  der  grossen  Fontanelle.  An  diesen  Stehen 
bilden  sich  sehr  festhaftende  Schuppen  voa  schmutziggrauer 
oder  bräunlicher  Farbe,  deren  Bilduoig  besonders  dann  sehr  auf- 
fallend ist,  wenn  es  sich  um  Kinder  handelt,  filr  deren  Rein- 
haltung ängstlich  gesorgt  wird.  So  lange  die  Schuppen  auf  der 
Haut  bleiben,  erscheint  dieselbe  äusserliok  normal.  Dass  dies 
aber  nicht  der  Fall  ist,  zeigt  sich  bei  Yersuchen,  die  Schuppen 
zu  entfernen.  Werden  letztere  durch  Fett  odftr  Salben  auf- 
gelockert und  abgßhoben,  so  bleibt  die  Haut  an  den  af&zierten 
Stellen  hyperämisch  und  bedeckt  sich  bald  von  neuenii  mit 
Schuppen.  Geschieht  die  Ablösung  der  Schuppen  nickt  sehr 
schonend,  so  beginnen  die  gereinigten  Hautstellen  au  nässen. 
Dieses  Nässen  gibt  einerseits  YeranlassuBg  zur  Bildung  von 
Krusten,  andejrerseits  ermöglicht  es  das  Zustandekommen  von 
Infektionen  und  dadurch  die  Entstehung  von  Kopfekaemen. 
Das  Nässen  beweist  aber  vor  allem,  dass  die  Kopfhaut  nicht 
normal  war.  Denn  dasselbe  zeigt  sich  nur  dort,  wo  eine  Exsndatiion 
in  die  Haut  stattgefnuden  hat.  Eine  Yerletzang  intakter  Haut 
führt  niemals  zu  einer  ähnlichen  Ausscheidung  von  Gewebs- 
flüssigkeit an  die  Oberfläche.  Tritt  sekuu^är  Ekzem  zum  Gnei^ 
hinzu,  so  nimmt  die  Exsudation  in  die  Haut  und  damit  auch 
das  Nässen  immer  stärker  zu. 

Gneis  beobachtet  man  bei  mageren  und  fetten  Kindern. 
Bei  letzteren  ist  aber  die  Tendenz  zum  Nässen  nach  Entfernung 
der  Schuppen  bedeutend  grösser  und  damit  der  Ausbruch  eines 
Ekzems  mehr  zu  befürchten.  Nach  meinen  Ausführungen  ist  es 
verständlich,  dass  ein  Kind  mit  Gneis  doch  kein  Kopfekzem  zu 
bekommen  braucht.  Es  muss  nur  bei  der  Entfernung  desselben 
sehr  vorsichtig  vorgegangen  werden,  insbesondere  bei  rapid 
stunehmenden    fetten  Kindern,    bei    welchen  zweckmässig    gleich- 


204  Czerny,  Die  exsudative  Diathese. 

•zeitig  eine  Änderung  des  Ernähr  angsmodus  vorgenommen 
werden  soll. 

In  mehrfacher  Beziehang  ähnlich  dem  Gneis  verhält  sich 
eine  andere  Erscheinung  der  exsudativen  Dinthese,  der  Milchschorf. 
Er  ist  dadurch  gekennzeichnet,  dass  bald  früher,  bald  später  im 
Säuglingsalter,  aber  nur  in  diesem  und  nie  nach  dem  ersten 
Lebensjahre,  eine  auffallende  Rötung  der  Haut  auf  der  Höhe 
der  Wangen  oder  mehr  in  der  Nähe  der.  Ohrmuscheln  auftritt. 
Diese  Rötung  unterscheidet  sich  von  der,  welche  normale  Kinder 
auszeichnet,  dass  sie  sich  nicht  allmählich  in  die  Farbe  der 
Haut  in  der  Umgebung  verliert,  sondern  ziemlich  scharf  von  der 
im  übrigen  weissen  Körperhaut  abhebt.  Ausserdem  ist  bald  an 
den  geröteten  Hautstellen  eine  Abschuppung  wahrnehmbar. 
Die  Schuppen  sind  aber  klein,  bleiben  stets  weiss  und  sind 
leicht  zu  entfernen.  Diese  Rötung  tritt  ohne  nachweisbare 
Ursache  auf,  besteht  oft  tagelang,  verschwindet  wieder,  auch 
ohne  Therapie,  auf  kürzere  oder  längere  Zeit,  kehrt  wieder,  um 
nach  einiger  Zeit  wieder  abzublassen.  So  kann  sich  der 
Wechsel  wochen-  und  selbst  monatelang  wiederholen.  In  diesem 
Stadium  hat  der  Milchschorf  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  der 
Landkartenzunge,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  die  Haut- 
affektion nicht  so  flüchtiger  Natur  ist,   wie  die   der  Schleimhaut. 

Der  Milchschorf  bleibt  aber  nicht  immer  in  dem  beschriebenen 
Stadium,  sondern  gibt  noch  viel  häufiger  als  der  Gneis  zur  Ent- 
stehung von  Ekzemen  Veranlassung.  In  den  meisten  Fällen  wird 
die  dazu  notwendige  Infektion  durch  Epitheldefekte  vermittelt, 
welche  sich  die  Kinder  durch  Kratzen  beibringen.  Nicht  in  jedem 
Falle  von  Milchschorf  besteht  Juckreiz.  Manche  davon  betroffenen 
Kinder  kratzen  nicht,  auch  wenn  sie  über  volle  Beweglichkeit  ihrer 
Hände  verfügen.  Bei  anderen  geht  die  Entwicklung  desMilchschorfes 
von  Anfang  an  mit  einem  solchen  Juckreiz  einher,  dass  sie  jede  Ge- 
legenheit benutzen,  um  mit  ihren  Händen  an  die  Gesicbtshaut  zu 
gelangen  und  sich  sichtbare  Kratzwunden  beizubringen.  Wird 
das  Kratzen  mit  den  Händen  verhindert,  dann  versuchen  sie  durch 
Reiben  der  Wangen  an  der  Unterlage  oder  jedem  erreichbaren 
Gegenstand  den  Juckreiz  zu  mildern.  Der  Juckreiz  ist  also 
individuell  verschieden  und  von  dem  Grade  der  Erregbarkeit  des 
Nervensystems  abhängig.  Wir  werden  noch  bei  der  Besprechung 
anderweitiger  Symptome  der  exsudativen  Diathese  zu  erörtern 
haben,  welchen  wichtigen  Einfluss  der  Zustand  des  Nervensystems 
auf  die  Form  und  den  Verlauf  derselben  hat.     Beim  Milchschorf 


Czerny,  Die  ezsadative  Diathese.  205 

ist  nun  die  Komplikation  mit  Jackreiz  eine  ganz  fatale,  da  sich 
dabei  kaum  für  längere  Zeit  die  Möglichkeit  einer  sekundären 
Infektion  mit  Entstehung  von  Ekzem  und  Drusenschwellungen 
vermeiden  lässt. 

Der  Milchschorf  zeigt  sich  überdies  in  eklatantester  Weise 
in  seinem  Verlaufe  abhängig  von  dem  Ernährungszustande  der 
Kinder.  Während  man  ihn  bei  mageren  Kindern  nur  angedeutet, 
in  leichten  Formen  beobachtet,  erreicht  er  bei  fetten  Kindern 
die  höchsten  Grade.  Es  besteht  eine  oft  ausgesprochene  Meinung, 
dass  seine  Entstehung  lediglich  die  Folge  zu  fetter  Milchnahrung 
sei.  Diese  Meinung  ist  unhaltbar,  denn  Kinder,  welche  durch 
reichliche  Kohlehydratemährung  fett  werden,  leiden  ebenso  sehr 
unter  Milchschorf,  wie  jene,  welche  bei  Milchernährung  Fett  an- 
setzen. Am  deutlichsten  tritt  die  Beziehung  zwischen  Adipositas 
und  Milchschorf  hervor,  wenn  bei  einem  Kinde  durch  Ernährungs- 
störungen oder  interkurrente  Infektionskrankheiten  grosse 
Schwankungen  des  Körperbestandes  auftreten.  Bestehender  Milch- 
schorf geht  rasch  zurück  oder  verschwindet  sogar  vollständig  bei 
Abmagerung  aus  jeglicher  Ursache  und  tritt  manchmal  sofort 
wieder  auf,  wenn  auf  die  Abnahme  des  Körpergewichtes  rasche 
Zunahme  folgt.  Dieser  Umstand  lässt  sich  mit  gleichem  Ei-folge 
therapeutisch  ausnutzen.  Da  wir  aber  bei  therapeutischen  Mass- 
nahmen bei  Säuglingen  niemals  so  gewaltsame  Eingriffe  in  den 
Körperbestand  vornehmen  können,  wie  sie  die  pathologischen 
Prozesse  mit  sich  bringen,  so  sind  die  Erfolge  auch  nicht  so 
schnell  zu  erzielen. 

Der  nicht  komplizierte  Milchschorf  stört  die  Kinder  wenig 
in  ihrem  Allgemeinbefinden.  Der  mit  Ekzem  verlaufende  muss 
dagegen  als  eine  schwere,  selbst  lebensgefährliche  Erkrankung 
aufgefasst  werden.  Von  den  nässenden  Ekzemstellen  aus  können 
septische  Infektionen  erfolgen,  welche  durch  Fieber,  Drüsen- 
vereiterungen,  schwere  Anämie,  septische  Hämophilie  das  Leben 
der  Kinder  bedrohen.  Mancher  Fall  von  sogenanntem  Ekzemtod 
gehört  hierzu. 

Eine  merkwürdige  Tatsache  ist  es,  dass  die  Kinder,  welche 
im  ersten  Lebensjahre  an  Milchschorf  mit  oder  ohne  Ekzem  ge- 
litten haben,  im  späteren  Alter  nichts  an  ihrer  Gesichtshaut 
zeigen,  was  auch  nur  im  entferntesten  auf  die  im  ersten  Lebens- 
jahre vorhanden  gewesene  lokale  Disposition  der  Haut  hinweisen 
würde. 


^06  Czerny,  Die  exsadative  Diathese. 

Noch  in  einer  dritten  Form  äussei*t  sich  die  exsudative 
Diathese  oft  schon  bei  Säuglingen.  Sie  findet  sich  unter  sehr 
verschiedenen  Namen  in  der  Literatur  beschrieben.  Ich  selbst 
gebrauche  die  Bezeichnung  Prurigo,  andere  ziehen  den  Namen 
Strophulus  vor.  Auf  die  ganze  Nomenclatur  einzugehen,  erscheint 
mir  unnötig.  Nur  die  Bezeichnung  Urticaria  möchte  ich  noch 
erwähnen,  weil  mit  derselben  die  Beziehung  der  Hauta£Pektion 
zum  Nervensystem  und  zu  einer  besonderen  Disposition  ange- 
deutet wird. 

Die  Prurigo  zeigt  sich  manchmal  schon  bei  Säuglingen  der 
ersten  Lebensmonate.  Meist  tritt  sie  aber  zum  erstenmale  nach 
dem  sechsten  Monat  oder  gegen  Ende  des  ersten  Lebensjahres  auf. 
Sie  ist  aber  nicht  wie  der  Gneis  oderMilchschorf  auf  dieses  Lebensjahr 
beschränkt,  sondern  kann  sich  jahrelang  in  küi%eren  oder  längeren 
Pausen  immer  wieder  geltend  machen.  Wie  lange  dies  dauert, 
hängt  nach  meiner  Erfahrung  nur  von  der  Art  der  Ernährung  ab. 
Bei  andauernder  Mästung  kann  Prurigo  noch  bei  6-  und  8jährigen 
Kindern  beobachtet  werden.  Bei  Kindern,  welche  nach  dem 
Säuglingsalter  bei  zweckmässiger  Ernährung  und  ausreichender 
körperlicher  Betätigung  nicht  in  die  Lage  kommen,  übermässig 
fett  zu  werden,  erlischt  die  Prurigo  schon  im  zweiten  oder  dritten 
Lebensjahre. 

Aber  nicht  nur  die  Dauer  der  Prurigo  steht  in  so  enger 
Beziehung  zu  der  Art  der  Ernährung,  sondern  auch  die  Litensität 
der  einzelnen  Eruptionen  derselben.  Das  verschiedene  Aussehen 
der  einzelnen  Effloreszenzen  bei  Kindern  in  magerem  oder  fettem 
Zustande  gab  offenbar  die  Veranlassung  zu  den  mannigfaltigen 
Bezeichnungen.  Bei  fetten  Kindern  äussert  sich  die  Prurigo 
derart,  dass  zumeist  ohne  nachweisbare  Ursache  eine  Gruppe  von 
Quaddeln  an  irgend  einer  Stelle  des  Rumpfes  aufschiesst,  welche 
im  ersten  Stadium  die  grösste  Ähnlichkeit  mit  Mückenstichen 
haben.  Sie  sind  deutlich  prominent  und  gerötet.  Die  Rötung 
betrifft  auch  die  Umgebung  der  Quaddeln.  Nach  24 — 48  Stunden 
verschwindet  zum  grössten  Teil  die  Rötung  und  Schwellung,  und 
es  bleiben  derbe,  knötchenförmige  Infiltrate  in  der  Haut  viele 
Tage  lang  bestehen,  welche  unverletzt  niemals  vereitern  und 
langsam  ohne  Narben  sich  zurückbilden.  Die  Prädilektionsstelle 
ist  am  Rumpfe  die  Lendengegend,  aber  vielfach  sind  die 
*  Effloreszenzen  an  verschiedenen  Stellen  des  Rumpfes  zerstreut, 
manchmal  finden  sie  sich  auch  an  den  Extremitäten,  mehr  an 
den  Beinen  als  an    den  Armen    und   am    seltensten  im  Gesichte. 


Czerny,  Die  exsudative  Diathese.  207 

Bei  mageren  Kindern  treten  an  den  gleichen  Stellen  kleine 
derbe,  prominente,  knötchenförmige  Hautinfiltrate  auf,  ohne  oder 
mit  nur  sehr  geringer,  kurz  andauernder  Rötung.  Es  fehlt  also 
die  intensive  Reaktion  im  Beginne  der  Affektion,  welche  bei 
fetten  Kindern  zu  beobachten  ist.  Die  Hautinfiltrate  sind  kleiner 
und  derber. 

Wie  beim  Milchschorf,  so  beobachtet  man  auch  bei  Prurigo 
bald  schwächeren,  bald  stärkeren  Juckreiz.  Dieser  bringt,  wenn 
er  nicht  beherrscht  werden  kann,  Komplikationen  mit  sich.  Die 
beschriebenen  Hautinfiltrate  werden  zerkratzt  und  weisen  infolge- 
dessen Borken  auf,  oder  es  entstehen  durch  Infektion  von  Kratz- 
wunden aus  Pusteln  oder  Ekzeme.  Vielfach  wird  auch  angegeben, 
dass  der  Juckreiz  den  Schlaf  der  Kinder  stört. 

Die  Prurigo  tritt  in  ganz  unregelmässigen  Intervallen  auf. 
In  der  Zwischenzeit  erscheint  die  Haut  der  betroffenen  Kinder 
ganz  normal.  Die  Pausen  zwischen  den  einzelnen  Eruptionen 
können  selbst  mehrere  Monate  betragen,  aber  andererseits  so 
kurz  sein,  dass  neue  Effloreszenzen  auftreten,  ehe  die  letzten 
vollständig  verschwunden  sind.  Wie  für  die  Landkartenzunge, 
so  ist  es  auch  für  die  Prurigo  bisher  nicht  gelungen,  das  aus- 
lösende Moment  zu  eruieren.  Vorgänge  im  Darmtraktus,  an 
welche  wegen  der  Ähnlichkeit  mit  Urticaria  zu  denken  wäre, 
sind  es  nach  meinen  Beobachtungen  nicht.  Manchmal  tritt 
Prurigo  das  erstemal  nach  der  Vaccination  in  Erscheinung.  Dass 
in  solchen  Fällen  Laien  geneigt  sind,  sofort  die  Prurigo  als  eine 
Folge  der  Impfung  aufzufassen,  ist  leicht  verständlich. 

Ob  dies  Berechtigung  hat,  lässt  sich  leider  ärztlicherseits 
weder  beweisen  noch  widerlegen.  Auch  mit  dem  Durchbruch 
der  Zähne  wurde  das  Auftreten  von  Prurigo  in  Verbindung  ge- 
bracht (Zahnpocken).  Die  zweite  Hälfte  des  ersten  Lebensjahres 
ist  aber  meist  die  Zeit  des  Ausbruchs  von  Prurigo,  auch  wenn 
die  Kinder  nicht  geimpft  werden  oder  wenn  sie  wegen  gleich- 
zeitig bestehender  Rachitis  im  ersten  Lebensjahre  gar  nicht  zahnen. 

Die  beschriebenen  Hautaffektionen  kommen  auch  in  ver- 
schiedener Kombination  an  einzelnen  Kindern  gleichzeitig  zur 
Beobachtung.  Vor  dem  Auftreten,  sowie  nach  dem  Abheilen  der- 
selben, ebenso  in  den  freien  Intervallen  ist  an  der  Haut  durch 
Inspektion  und  Palpation  nichts  Abnormes  nachweisbar.  Und 
dennoch  müssen  vorläufig  nicht  definierbare  Eigenschaften  der 
Haut  bei  Kindern  mit  exsudativer  Diathese  vorhanden  sein,  welche 
sich  durch  das  leichte  Wundwerden  von  Halsfalten  verraten.     Es 


208  Czemj,  Die  exsadative  Diathese. 

genügen  bei  solchen  Kindern  ofiPenbar  Schädlichkeiten,  um  Infil- 
tration der  Haat  und  Exsudation  auszulösen,  welche  bei  normalen 
Kindern  die  Haut  noch  nicht  zu  irritieren  Vermögen. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  nicht  jedes  Wundsein  der 
Säuglinge  auf  exsudative  Diathese  bezogen  werden  darf.  Das 
Wundsein  der  Säuglinge  bei  Ernährungsstörungen  und  mangel- 
hafter Sauberkeit  ist  auf  die  Umgebung  des  Anus  und  des  Geni- 
tales lokalisiert. 

Bei  den  Kindern  mit  exsudativer  Diathese  zeigt  sich  aber 
das  Wundsein  mit  Vorliebe  auch  hinter  den  Ohrmuscheln,  in  den 
Halsfalten,  in  der  Achselhöhle,  also  an  Körperstellen,  die  nicht 
solchen  äusseren  Reizen  ausgesetzt  sind,  wie  die  Genitocrural- 
falten,  und  ist  auch  zu  Zeiten  zu  beobachten,  in  welchen  keine 
Ernährungsstörungen  bestehen. 

Glucklicherweise  nur  bei  einer  kleinen  Zahl  von  Kindern 
bleibt  die  Disposition  zum  Wundwerden  auch  nach  dem  Säug- 
lingsalter erhalten.  Bei  diesen  macht  sie  sich  nach  dem  zweiten 
Lebensjahre  bis  in  das  spätere  Kindesalter  hinein  besonders  in 
der  Ellbogenbeuge,  der  Kniekehle  und  den  Genitocruralfalten  sehr 
störend  geltend.  Denn  nicht  nur,  dass  an  den  genannten  Stellen 
die  Haut  zeitweilig  wund  wird,  so  lässt  es  sich  auch  kaum  verhüten, 
dass  durch  hinzutretende  Infektionen  Ekzeme  entstehen,  welche  sehr 
langwierige  Behandlung  erfordern.  Bemerkenswert  scheint  mir 
der  Hinweis  auf  die  Erfahrung,  dass  man  mit  äusserer  Behand- 
lung allein  in  solchen  Fällen  keinen  Dauererfolg  erzielen  kann. 
Nach  erfolgter  Heilung  zeigt  sich  nach  kürzerer  oder  längerer 
Pause  immer  wieder  Rötung  und  Nässen  an  den  erwähnten  Haut- 
stellen und  früher  oder  später  auch  Ekzem. 

In  ähnlicher  Weise  wie  an  der  Haut  macht  sich  die  exsu- 
dative Diathese  an  der  Schleimhaut  des  Respirationstraktes 
geltend.  Die  Kenntnis  der  Krankheitssymptome,  welche  sich  an 
letzterer  abspielen,  ist  nach  meiner  Erfahrung  weniger  verbreitet, 
obzwar  alle  Kinder  mit  exsudativer  Diathese  pathologische  Er- 
scheinungen der  Luftwege  aufweisen  und  nur  ein  Teil  derselben 
gleichzeitig  an  den  besprochenen  Hautkrankheiten  leidet.  Ein 
Zusammenhang  zwischen  der  Disposition  zu  Ekzemen  und  Er- 
krankungen des  Respirationsapparates  wurde  bisher  nur  für  das 
sogenannte  Asthma  der  Kinder  angenommen.  Namentlich  haben 
französische    Ärzte^)    auf    das    häufige     Zusammentreffen    dieser 

^)  Literatur  bei  Markel,  Tasthme  chez  les  enfants.  These  de  Paris 
1901  und  bei  Lemonnyer,  These  de  Paris  1902. 


Cz&rny,  Dio  exsudative  Diathese.  20 •) 

Krankheitszustände  hingewiesen.  Nach  meiner  Erfahrung  kann 
ich    dies    bestätigen,  obzwar  mir  auch  Ausnahmen  bekannt  sind. 

Das  sogenannte  Asthma  der  Kinder  ist  nichts  anderes,  als 
eine  akut  einsetzende  diffuse  Bronchitis,  welche  ein  häufig  vor- 
kommendes Krankheitsbild  bei  Kindern  mit  exsudativer  Diathese 
darstellt.  Der  Befund  einer  über  beide  Lungen  ausgebreiteten 
Bronchitis  sollte  immer  Veranlassung  geben,  an  den  Bestand 
dieser  Diathese  zu  denken.  Sie  beginnt  derart,  dass  zunächst  bei 
beschleunigter  und  verkürzter  Atmung  ein  Giemen  und  Pfeifen  über 
den  Lungen  hörbar  wird,  welches  so  laut  ist,  dass  es  selbst  Laien 
nicht  entgeht.  Auf  dieses  Stadium,  welches  manchmal  nur 
Stunden,  manchmal  einen  oder  zwei  Tage  anhält,  folgt  das  zweite, 
gekennzeichnet  durch  das  Auftreten  von  mehr  oder  weniger 
dichtem  Rasseln  in  den  grösseren  Bronchien.  Je  nach  der  Inten- 
sität des  Anfalles  verliert  sich  dieses  nach  wenigen  Tagen  oder 
ein  bis  zwei  Wochen,  selten  später.  Ob  nun  ein  Kind  bei  einer 
solchen  diffusen  Bronchitis  asthmaartige  Erscheinungen  von  Be- 
klemmung, Atemnot,  Angst  u.  s.  w.  zeigt,  hängt  nicht  von  der 
Bronchitis,  sondern  vielmehr  von  der  Erregbarkeit  des  Nerven- 
systems des  erkrankten  Kindes  ab.  Die  Asthmaerscheinungen 
stehen  zu  der  Bronchitis  in  gleicher  Beziehung,  wie  das  Jucken  zu 
der  Prurigo  oder  dem  Milchschorf.  Sie  beeinflussen  das  Krank- 
heitsbild, müssen  aber  nicht  obligat  vorhanden  sein.  Dem  ent- 
sprechend sieht  man  Kinder,  welche  in  Abständen  von  Wochen 
oder  Monaten  immer  wieder  Anfälle  von  Bronchitis  bekommen, 
ohne  jemals  Asthmaerscheinungen  zu  haben,  während  andere,  in 
gleicher  Weise  erkrankt,  oft  in  immer  zunehmendem  Grade  asth- 
matisch werden.  Mir  erscheint  es  deshalb  richtiger,  nicht  das 
Asthma,  sondern  die  diffuse  Bronchitis  mit  der  exsudativen 
Diathese  in  Zusammenhang  zu  bringen. 

Die  Krankheitssymptome  an  den  Luftwegen,  durch  welche 
sich  diese  Diathese  kennzeichnet,  haben  in  mehrfacher  Beziehung 
Ähnlichkeit  mit  den  Hautaffektionen.  So  fällt  zunächst  auf,  dass 
bei  einem  Teile  der  Kinder  bestimmte,  engbegrenzte  Schleimhaut- 
partien wiederholt  in  gleichartiger  Weise  erkranken.  Ein  Kind 
macht  jedes  Jahr  mehrmals  eine  Pharyngitis,  ein  anderes  folli- 
kuläre Angina,  ein  drittes  Infektionen  der  Rachenmandel,  ein 
viertes  Pseudocroup,  ein  fünftes  diffuse  Bronchitis  durch.  Die 
einzelnen  Attacken  sind  so  gleichartig,  dass  die  Eltern  der  Kinder 
bei  den  späteren  häufig  nicht  mehr  den  Arzt  zu  Rate  ziehen, 
weil  ihnen  Kraukheitsbild  und  Therapie  schon  bekannt  sind.    Es 

Jahrbach  f.  Kinderheilkunde.    N.  K.    LXI,  Heft  1.  14 


210  Czernj,  Die  ezsadaÜTe  Diathese. 

tnass  demnach  eine  gleiche  lokale  Disposition  TorUegen,  wie  es 
fQr  den  Gneis  oder  den  Milchschorf  der  Fall  ist.  Das  wieder- 
holte Auftreten  nach  verschieden  grossen  Intervallen  ist  identisch 
mit  dem  Verlauf  der  Prurigo.  Die  Unterschiede  zwischen  den 
Krankheitserscheinungen  an  den  Schleimhäuten  und  der  äusseren 
Hautdecke  sind  nur  durch  die  verschiedene  Reaktion  der  beiden 
gegenfiber  gleichwertigen  pathologischen  Reizen  bedingt.  Ver- 
ständlicher wird  dies  vielleicht,  wenn  ich  auf  die  analogen  Ver- 
hältnisse bei  den  Morbillen  hinweise.  Auf  der  Haut  das  Exan- 
them, an  der  Schleimhaut  das  Enanthem.  Letzteres  ermöglicht 
sehr  leicht  sekundäre  Infektionen,  welche  Bronchitis  und  Pneu- 
monie zur  Folge  haben  können. 

In  gleicher  Weise  glaube  ich,  das  Zustandekommen  der  viel- 
fachen Infektionen  der  Luftwege  bei  Kindern  mit  exsudativer 
Diathese  auffassen  zu  müssen.  Erst  entwickelt  sich  ein  Reiz- 
zustand, wie  es  beim  Wundwerden  in  den  Hautfalten  der  Fall 
ist,  und  dieser  schafft  erst  die  Infektionsmöglichkeit.  Wer  Ge- 
legenheit hat,  Kinder  mit  exsudativer  Diathese  lange  und  genau 
zu  beobachten,  der  wird  sich  leicht  überzeugen  können,  dass 
solche  Reizzustände  sehr  oft  vorhanden  sein  können,  ohne  dass 
Infektionen  hinzutreten.  Wenn  Kinder  beispielsweise  in  staab- 
und  rauchfreier  Luft  leben,  wie  dies  in  kleinen  Orten  und  auf 
Landgütern  zutrifft,  so  bleiben  dieselben  oft  jahrelang  von  In- 
fektionen verschont.  Werden  diese  Kinder  wegen  der  Schule 
oder  wegen  Ortswechsel  der  Eltern  in  eine  grosse  Stadt  mit 
schlechterer  Luftqualitat  gebracht,  so  geht  kein  Reizzustand  ohne 
Infektion  vorbei,  und  die  Kinder,  die  sich  vorher  befriedigend 
entwickelten,  leiden  durch  die  Infektionen  in  ihrem  ganzen 
Allgemeinzustande.  Umgekehrt  kann  man  Kinder  seltener  er- 
kranken sehen,  wenn  man  sie  aus  ungünstigeren  Luftverhältnissen 
in  bessere  versetzt,  wovon  therapeutisch  vielseitig  Gebrauch 
gemacht  wird.  Dass  dadurch  aber  nicht  die  exsudative  Diatbese 
verschwindet,  beweist  die  Erfahrung,  dass  mit  der  Rückkehr  in 
die  alten  Verhältnisse  die  Infektionen  in  unveränderter  Form 
wieder  einsetzen. 

Die  Reizzustände  in  den  obersten  Luftwegen  machen  sich 
durch  Zunahme  des  lymphoiden  Gewebes  in  den  Tonsillen  geltend. 
Auch  bei  Kindern,  welche  von  Infektionen  verschont  bleiben, 
können  letztere  infolgedessen  eine  Grösse  erreichen,  dass  sie 
mechanische  Hindernisse  abgeben.  Häufiger  und  zumeist  schneller 
ist  dies  bei  Kindern  zu  beobachten,  welche  wiederholt  Infektionen 


Czeroj,  Die  exsudative  Diathese.  211 

«rleiden.  Diese  Erfahrung  gab  zu  der  Ansicht  Veranlassung, 
dass  die  Disposition  zu  den  Infektionen  der  Nasen-  und  Rachen- 
Schleimhaut  von  den  grossen  Tonsillen  abhängig  sei.  Die  Un- 
haltbarkeit  dieser  Anschauung  lässt  sich  schon  ans  den  Miss- 
erfolgen der  operativen  Eingriffe  zur  Entfernung  der  vergrösserten 
Tonsillen  demonstrieren.  In  den  Lebensjahren,  in  denen  sich  die 
exsudative  Diathese  an  den  Luftwegen  hauptsächlich  geltend 
macht,  das  ist  meist  bis  zum  10.  oder  12.  Lebensjahre,  ist  durch 
Entfernung  der  Tonsillen  allein  die  Disposition  zu  Infektionen 
nicht  zu  beheben.  Die  Effekte  der  Operationen  nach  dem  ge- 
nannten Alter  sind  leicht  verständlich,  da  sich  in  den  folgenden 
Jahren  die  exsudative  Diathese  unter  allen  umständen  weniger 
geltend  macht,  als  im  ersten  Lebensdezennium.  Dass  der  Nutzen 
der  Entfernung  der  Tonsillen  im  allgemeinen  überschätzt  wird, 
beruht  auf  der  Zersplitterung  der  Medizin  in  Spezialftcher.  Viele 
halten  offenbar  jedes  Kind  für  geheilt,  dem  sie  die  Tonsillen  ent- 
fernt haben,  wenn  es  nicht  wieder  vorgestellt  wird.  Die  Eltern 
gehen  aber  mit  dem  Kinde,  das  nach  den  Operationen  weiter 
durch  Infektionen  zu  leiden  hat,  nicht  zu  demselben  Spezialarzt, 
sondern  zum  Kinderarzt.  Die  Rachenmandel  ist  bereits  entfernt, 
das  Kind  leidet  aber  nach  wie  vor  an  Infektionen,  was  sollen 
wir  nun  mit  dem  Kinde  vornehmen?  Diese  Angabe  hört  gewiss 
jeder  Kinderarzt  ebenso  häufig  wie  ich. 

Die  für  die  Kinder  sehr  nachteiligen  Infektionen  gehen  nicht 
von  dem  lymphoiden  Gewebe  aus,  sondern  von  der  Schleimhaut 
in  der  Umgebung  der  Tonsillen  und  über  denselben,  und  diese 
behält  bei  exsudativer  Diathese  ihre  Reizbarkeit  bei,  ob  das 
lymphoide  Gewebe  entfernt  wird,  oder  nicht. 

Ein  Krankheitsbild,  welches  durch  pathologische  Vorgänge 
an  den  Schleimhäuten  der  obersten  Luftwege  bei  bestehender 
exsudativer  Diathese  ausgelost  wird,  scheint  mir  nicht  genügend 
bekannt  zu  sein.  Ich  möchte  mich  deshalb  mit  demselben  hier 
ausführlicher  beschäftigen.  Viele  Kinder  werden  mit  der  Angabe 
vorgestellt,  dass  sie  appetitlos  seien.  Manchmal  widerspricht 
•dieser  anamnestischen  Angabe  der  ziemlich  gute  Ernährungs- 
zustand der  Kinder.  In  anderen  Fällen  sind  es  zarte,  blasse 
Kinder,  bei  deren  Aussehen  den  Eltern  Appetitlosigkeit  ein  be- 
unruhigendes Symptom  erscheint.  Bei  Feststellung  der  Anamnese 
•ergibt  sich  nun,  dass  es  sich  nickt  um  eine  andauernde,  sondern 
«m  eine  in  längeren  oder  kürzeren  Pausen  auftretende  Anorexie 
handelt,  auf  welche  immer  Zeiten  folgen,  in  welchen  die  Nahrungs- 


212  Czemj,  Die  exsudative  Diathese. 

aufnähme  eine  befriedigende  ist,  oder  sogar  als  „Heisshunger^ 
auffällt.  Die  Zunge  ist  in  den  Tagen  der  Anorexie  belegt.  Oft 
wird  dabei  auch  Foetor  ex  ore  bemerkt,  welcher  vielfach  als 
„Geruch  aus  dem  Magen"  bezeichnet  wird.  Die  Funktionen  de» 
Darmes  sind  dabei  normal,  manchmal  besteht  Obstipation. 
Einzelne  Kinder  fiebern  wenigstens  im  Anfangsstadium  der 
Störung  jedesmal  so  hoch,  dass  das  Fieber  auch  ohne  Messung 
nicht  zu  übersehen  ist.  Das  Fieber  hält  einen  oder  mehrere 
Tage,  selten  eine  Woche  oder  länger  an.  Andere  Kinder  fiebern 
angeblich  bei  denselben  Krankheitserscheinungen  niemals,  oder 
nur  ausnahmsweise  einmal.  Ich  zweifle  aber  an  der  Richtigkeit 
dieser  Angabe,  da  in  solchen  Fällen  die  Temperatur  nicht  ge- 
messen wird,  und  deshalb  geringe  Temperatursteigerungen  unbe> 
achtet  bleiben  können. 

Ein  Teil  der  Kinder  mit  den  in  Rede  stehenden  Symptomen 
ist  bei  jeder  Attaque  in  seinem  Allgemeinbefinden  schwer  alteriert^ 
während  bei  einer  anderen  Zahl  von  Kindern  trotz  der  be- 
stehenden  Blässe  und  Anorexie  das  subjektive  Befinden  nicht 
nennenswert  gestört  ist.  Die  Störung  des  Allgemeinbefindens  ist 
nicht  von  der  Höhe  der  Temperatursteigerung,  auch  nicht  von  dem 
Grade  der  Anorexie  abhängig,  sondern  von  der  individuell  ver- 
schiedeneu Erregbarkeit  des  Nervensystems  der  Kinder. 

Wie  ich  aus  eigener  Erfahrung  weiss,  werden  solche  Kinder 
sowohl  von  ihren  Eltern,  als  auch  von  den  behandelnden  Ärzten 
für  magenkrank  gehalten.  Man  bemüht  sich  immer,  die  Ursache 
herauszufinden,  wodurch  sich  die  Kinder  den  Magen  verderben,, 
gestaltet  die  Diät  immer  strenger  und  behandelt  die  Kinder  er- 
folglos mit  appetitanregenden  oder  die  Verdauung  befördernden 
Mitteln.  Schon  die  Beobachtung,  dass  die  Kinder  nach  Ablauf 
der  Störung  alles  vertragen,  was  man  ihnen  zu  essen  gibt,  auch 
wenn  man  nicht  ängstlich  auswählt,  weist  darauf  hin,  dass  hier 
die  Ursache  der  Anorexie  an  anderer  Stelle  als  im  Magen  zu 
suchen  ist.  Tatsächlich  handelt  es  sich  immer  um  Kinder  mit 
hypertrophischer  Rachenmandel.  Der  Foetor  ex  ore  ist,  wie  leicht 
nachzuweisen  ist,  bedingt  durch  Zersetzung  von  Exsudatmassen 
in  den  Krypten  der  adenoiden  Wucherungen.  Zu  den  Zeiten  des 
Bestandes  von  Anorexie  ist,  wenn  überhaupt  die  Aufmerksamkeit 
darauf  gerichtet  wird,  stets  eine  erschwerte  Nasenatmung  und 
nasale  Sprache  bemerkbar,  selbst  dann,  wenn  auch  in  den  freien 
Intervallen  bezüglich  der  Nasenatmung  und  Sprache  nicht  normale^ 
Verhältnisse  vorliegen.     Meist,  hauptsächlich  aber  dann,  wenn  di& 


Czerny,  Die  exsudative  Diathese.  213 

Attaqaen  mit  hohem  Fieber  verlaufen,  sind  am  Nacken  ge- 
schwellte Lymphknoten  nachweisbar.  Auch  aus  diesem  Befunde 
muss  der  Sitz  der  Erkrankung  im  Nasenrachenraum  erschlossen 
werden.  Die  Anorexie  ist  eine  Folge  der  Vorgänge  an  dieser 
Stelle.  Ich  beziehe  sie  auf  Resorption  toxisch  wirkender  Zer- 
setzungsprodukte in  den  Krypten  der  Rachenmandel.  Diese 
wird  noch  durch  den  Umstand  begünstigt,  dass  bei  den  be- 
sprochenen Prozessen  meist  eine  gesteigerte  Sekretion  der 
Schleimhaute  des  Nasenrachenraums,  durch  welche  ein  Teil  der 
Zersetzungsprodukte  entfernt  werden  konnte,  fehlt. 

Die  Rachenmandel  lässt  sich  als  Locus  minoris  resistentiae 
manchmal  schon  bei  Säuglingen  der  ersten  Lebenswochen  erkennen. 
Yerringerte  Nahrungsaufnahme  und  geringe  Temperatursteige- 
rungen, bei  Ausschluss  anderer  Krankheitssymptome,  sollten  auch 
bei  Säuglingen  immer  die  Aufmerksamkeit  auf  den  Zustand  des 
Nasenrachenraums  lenken.  Drusenschwellungen  am  Nacken  und 
das  Offenhalten  des  Mundes  erleichtern  dabei  schon  in  den  ersten 
Lebenswochen  der  Kinder  nicht  selten  die  Diagnose.  Manche 
Otitis  media  der  Säuglinge  würde  weniger  überraschendes  bieten, 
wenn  die  besprochenen  Symptome  die  gebührende  Beachtung 
finden  würden. 

Vielfach  machen  sich  die  periodisch  auftretenden  Schwel- 
lungen und  Infektionen  der  Rachenmandelregion  erst  vom  Ende 
des  ersten  oder  zweiten  Lebensjahres  geltend,  manchmal  sogar 
erst  viel  später.  In  letzteren  Fällen  werden  sie  oft  anscheinend 
durch  eine  Infektionskrankheit  ausgelöst.  So  wird  in  der  Anam- 
nese berichtet,  dass  das  Kind,  seitdem  es  Diphtherie,  Masern 
oder  Scharlach  gehabt  habe,  anfallig  sei.  Es  ist  sicher,  dass 
nach  Infektionskrankheiten  die  Symptome  der  exsudativen  Diathese 
sich  in  schwereren  Graden  bemerkbar  machen.  Dass  sie  aber 
durch  die  Infektionskrankheiten  direkt  ausgelöst  werden,  bezweifle 
ich  nach  meinen  Beobachtungen.  Leichte  Erscheinungen  der 
exsudativen  Diathese  sind  in  solchen  Fällen  immer  vorher  vor- 
handen gewesen,  sie  wurden  nur  nicht  beachtet. 

Äussert  sich  die  exsudative  Diathese  an  einer  anderen  Stelle 
des  Respirationstraktus  als  in  der  Region  der  Rachenmandel,  so 
weisen  ihre  Symptome  so  deutlich  auf  die  Ursprungsstelle  hin, 
dass  Fehldiagnosen  nicht  vorkommen.  Die  leicht  nachweisbaren 
pathologischen  Befunde  verleiten  nur  dazu,  sich  mit  diesen  zu- 
frieden zu  geben  und  nur  nach  einer  lokalen,  nicht  aber  einer 
Allgemeinen  Disposition  zu  suchen. 


214  Czerny,  Die  exsudative  Diathese. 

Dies  ist  nach  der  Literatur  häufig  der  Fall  gewesen  bev 
der  Beuiieilung  der  Disposition  zu  folliculäi^er  Angina.  Die  Be- 
funde an  den  Tonsillen  werden  in  ihrer  Bedeutung  überschätzt, 
und  die  ursächliche  Erkrankung  der  Schleimhaut,  welche  sich  in 
der  Rötung,  Schwellung  und  Hyperästhesie  geltend  macht,  wenig 
beachtet.  Letztere  ist  aber  bei  Kindern  mit  exsudativer  Diathese 
viel  häufiger  vorhanden,  ohne  dass  es  zu  den  Erscheinungen  der 
folliculären  Angina  kommt,  und  stellt  dann  ein  ganz  gleich- 
wertiges Krankheitsbild  dar.  Erwähnenswert  erscheint  mir,  dass 
sich  in  einem  Teil  dieser  Fälle  von  Pharyngitis  fast  jedesmal 
Husten  einstellt,  während  in  anderen  Fällen  die  Kinder  bei 
gleichen  Befunden  nicht  husten.  Es  handelt  sich  dabei  nicht  um 
verschiedene  Krankheitsprozesse,  sondern  nur  um  eine  individuell 
verschiedene  lieaktionsföhigkeit  der  Nerven  der  Pharynxschleim- 
haut.  Bei  manchen  Kindern  genügen  kleinste  pathologische  Reize,, 
um  eine  Hustenreflexerregbavkeit  der  Pharynxschleimhaut  aus- 
zulösen, bei  anderen  Kindern  beoabachtet  man  diese  nur  unter 
ganz  besonderen  Umständen,  wie  z.  B.  bei  Keuchhasten. 

Ebenso  wie  sich  die  exsudative  Diathese  an  der  Haut  eines 
Kindes  in  verschiedenen  Formen  äussern  kann,  kann  dies  auch 
an  der  Schleimhaut  der  Kespirationstraktus  der  Fall  sein.  So 
sieht  man  bei  einem  Kinde,  das  an  folliculären  Anginen  leidet,, 
ein  oder  das  anderemal  Pseudocroup,  oder  es  treten  bei  einem 
Kinde  wiederholt  Infektionen  der  Kachenmandelregion  auf  und 
nebenbei  zeitweilig  Asthma  u.  s.  w. 

Kinder,  die  an  den  Krankheitssymptomen  der  Luftwege  leiden,, 
brauchen  niemals  Zeichen  der  exsudativen  Diathese  an  der  Haut 
aufzuweisen.  Bei  Kindern  aber,  welche  an  letzteren  leiden,  fehlen 
die  Krankheitssymptome  der  Luftwege  nie.  Die  Hautkrankheiten 
charakterisieren    demnach    die   schwereren  Formen  der  Diathese. 

Ausser  an  der  Schleimhaut  der  Luftwege  macht  sich  die 
exsudative  Diathese  auch  an  der  der  Augen  als  Blepharitis  oder 
als  Phlyctäne  geltend  und  an  der  Schleimhaut  der  Urogenital- 
systems als  Vulvitis  oder  Balanitis.  Dagegen  ist  mir,  abgesehen 
von  der  Landkartenzunge,  kein  pathologischer  Zustand  der  Schleim- 
haut des  Darmtractus  bekannt,  der  sich  auf  dieselbe  Diathese 
beziehen  liesse. 

Alles,  was  ich  bisher  angeführt  habe,  gibt  kein  erschöpfendes 
Bild  der  exsudativen  Diathese.  Auf  die  atypischen  Formen  und 
die  merkwürdigen  Varianten  bei  Kindern  einer  Familie  werde 
ich  gelegentlich  an  anderer  Stelle  zurückkommen.     Mit   der  vor- 


Czerny,  Die  exsudative  Diathese.  215 

liegenden  Darstellung  handelt  es  sich  nur  zunächst  darum,  ein 
Krankheitsbild  wieder  in  die  Literatur  einzuführen,  das  aus  ihr 
zu  verschwinden  droht,  und  dies  nicht  deshalb,  weil  es  überflüssig 
geworden  ist,  sondern  lediglich  wegen  eines  aussichtslosen  Streites 
in  der  Literatur  um  die  Identität  mancher  Formen  von  Skrophu- 
lose  mit  Tuberkulose.  Ich  habe  deshalb  von  vornherein  meinen 
Standpunkt  bezüglich  der  exsudativen  Diathese  dahin  präzisiert, 
dass  dieselbe  zur  Tuberkulose  in  keiner  Beziehung  steht.  Ein 
Kind  mit  exsudativer  Diathese  kann  ebenso  tuberkulös  werden, 
wie  jedes  andere.  Bestehende  Tuberkulose  macht  sich,  wie 
Infektionskrankheiten  überhaupt,  bei  exsudativer  Diathese  so 
geltend,  dass  die  Krankheitssymptome  letzterer  in  schwereren 
Formen  auftreten.  Im  Laufe  der  Jahre  ist  an  der  unter  meiner 
Leitung  stehenden  Breslauer  Kinderklinik  mehrmals  Tuberkulose 
diagnostiziert  worden,  die  sich  bei  der  Obduktion  nicht  nach- 
weisen liess.  Diese  diagnostischen  Irrtümer  waren  immer  darauf 
zurückzuführen,  dass  aus  dem  Bestände  von  schweren  Folge- 
erscheinungen der  exsudativen  Diathese  auf  die  Möglichkeit  einer 
Tuberkulose  geschlossen  wurde. 

Die  Kenntnis  der  exsudativen  Diathese  ist  für  den  prak- 
tischen Arzt  von  grosser  Wichtigkeit,  denn  er  kommt  sicher 
täglich  in  die  Lage,  Folgeerscheinungeu  derselben  behandeln  zu 
müssen.  So  wie  wir  heute  nur  selten  eine  Familie  finden,  deren 
Kinder  frei  auch  von  leichten  Formen  der  Rachitis  %>ind,  ebenso 
so  selten  finden  wir  Familien,  deren  Kinder  keinerlei  Zeichen  der 
exsudativen  Diathese  aufweisen.  Während  sich  aber  die  Rachitis, 
abgesehen  von  wenigen  schweren  Fällen,  nur  in  den  ersten  Lebens- 
jahren bemerkbar  macht,  gibt  die  exsudative  Diathese  die  ganzen 
Kinderjahre  hindurch,  und  nicht  selten  auch  im  späteren  Leben, 
Veranlassung  zu  Krankheitserscheinungen.  Denn  wenn  auch  die 
letzteren  meist  schon  vor  den  Pubertätsjahren  an  Intensität  ab- 
nehmen, so  verschwinden  sie  doch  keineswegs  immer  vollständig. 

Der  wesentlichste  Umstand,  der  mich  aber  veranlasst,'für  die 
Rekonstruktion  des  Krankheitsbegriffes  der  exsudativen  Diathese 
einzutreten,  ist  der,  dass  wir  uns  nicht  damit  zufrieden  geben 
dürfen,  dieselbe  als  ererbten  Defekt  anzuerkennen,  sondern  dass 
wir  derselben  erfolgreich  entgegen  treten  können.  Drei  Momente 
sind  für  die  exsudative  Diathese  von  ausschlaggebender  Bedeutung: 

1.  die  Art  der  Ernährung, 

2.  der  Zustand  des  Nervensystems  und 

3.  interkurrente  Infektionen. 


216  Czemy,  Die  exsudative  Diathese. 

Wenn  wir  diese  Trias  zweckmässig  beeinflussen,  so  können 
wir  damit  zwar  nicht  die  exsudative  Diathese  vollständig  beseitigen, 
aber  doch  soviel  erzielen,  dass  ihre  Folgeerscheinungen  auf  ein 
Minimum  reduziert  werden,  welches  die  körperliche  und  psychische 
Entwicklung  der  Kinder  nicht  nennenswert  stört. 

Was  die  Art  der  Ernährung  anbelangt,  so  ist  nach  meiner 
Erfahrung  folgender  Grundsatz  massgebend:  Jede  Art  der  Er- 
nährung, welche  einer  Mästung  gleichkommt,  egal  ob  dieselbe 
tatsächlich  erreicht  wird  oder  nicht,  yerschlechtert  den  Zustand  der 
Kinder  mit  exsudativer  Diathese,  jede  Art  der  Ernährung,  bei 
welcher  Mästung  ausgeschlossen  ist,  bessert  ihn.  Nicht  theoretische 
Überlegungen,  sondern  konsequente  Beobachtung  von  gemästeten 
und  nicht  gemästeten  Kindern,  sowie  von  Kindern,  bei  welchen 
nach  zweckmässiger  Ernährung  eine  Überernährung  oder  um- 
gekehrt nach  letzterer  eine  zweckmässige  Ernährung  eingeleitet 
wurde,  geben  mir  die  Berechtigung  zu  dem  angeführten  Grundsatze. 

Die  Mästung  kann  durch  zu  grosse  Quantitäten  einer  an  sich 
brauchbaren  Nahrung  oder  durch  die  Qualität  der  Nahrung  oder 
schliesslich  durch  Kombination  beider  Faktoren  veranlasst  werden. 
Der  Arzt  muss  sich  demnach  sehr  genau  informieren,  wenn  er 
nicht  bei  neuen  Yerordnungen  Enttäuschungen  erfahren  will.  Bei 
der  Anamnese  ist  es  überdies  niemals  ausreichend,  zu  erfahren, 
was  ein  Kind  in  den  letzten  Tagen  oder  Wochen  an  Nahrung 
bekommen  hat.  Nur  derjenige  wird  den  Einfluss  der  Ernährung 
richtig  schätzen  lernen,  der  sich  in  jedem  Falle  über  die  Ernährung 
der  Kinder  von  ihrer  Geburt  an  orientiert.  Kein  körperlicher 
Zustand  lässt  sich  durch  die  Ernährung  in  wenigen  Tagen  ändern. 
Die  Folgen  einer  unzweckmässigen  Ernährung  machen  sich  erst 
nach  längerer  Zeit  bemerkbar,  sind  aber  nicht  in  Tagen,  auch 
nicht  in  wenigen  Wochen  durch  eine  richtiggestellte  Ernährung 
auszugleichen.  Yiele  Kinder  werden  beispielsweise  nur  in  den 
ersten  zwei  Lebensjahren  gemästet  und  helfen  sich  später  selbst 
durch  energische  Ablehnung  der  angebotenen  Nahrung.  Doch 
leiden  läolche  Kinder  noch  lange  Zeit  an  den  durch  die  Mästung 
provozierten  Erscheinungen  der  exsudativen  Diathese. 

Ich  muss  mich  hier  darauf  beschränken,  im  allgemeinen 
anzugeben,  was  für  eine  Art  der  Ernährung  sich  nach  meinen 
Beobachtungen  als  zweckmässig  erwies.  BeiKindern  mit  exsudativer 
Diathese  nach  dem  2.  Lebensjahre  hat  eine  vorwiegend  vegetarische 
Kost  den  gunstigsten  Einfluss.  Die  vegetarische  Kost  bedarf 
nber,      wenn     sich     nicht     Nachteile     geltend     machen     sollen. 


Czerny,  Die  exsudative  Diathese.  21/ 

einer  Ergänzung  durch  kleine  Quantitäten  Milch  und  Fleisch. 
Letzteres  wird  von  Vegetarianern  prinzipiell  vermieden,  dagegen 
Eier  gestattet.  Bei  der  Ernährung  der  Kinder  mit  exsudativer 
Diathese  handelt  es  sich  aber  nicht  darum,  den  Anforderungen 
der  Vegetarianer  zu  entsprechen.  Eier  sind  das  ungeeignetste 
Nahrungsmittel,  welches  man  Kindern  mit  exsudativer  Diathese 
geben  kann.  Fleisch  in  kleinen  Mengen  ein-  oder  zweimal  täglich 
gereicht,  hat  dagegen  keinen  nachteiligen  Einfluss.  Getränk  ist 
Wasser  in  unbeschränkter  Quantität.  Kontraindiziert  sind,  wie 
erwähnt,  Eier;  diese  sind  am  besten  vollständig  zu  vermeiden; 
ferner  Milchfett,  deshalb  wenig  Milch  (^/4,  höchstens  ^j^  Liter 
pro  die),  keine  Sahne,  wenig  Butter;  endlich  Zucker,  deshalb 
keine  süssen  Speisen,  kein  Kompott,  sondern  rohes  Obst. 

Schwieriger  ist  die  Ernährung  in  den  ersten  zwei  Lebens- 
jahren, da  in  dieser  Zeit  die  Milch  den  wesentlichsten  Bestand- 
teil der  Nahrung  bilden  muss.  Aufgabe  des  Arztes  ist  es,  die 
Ernährung  so  zu  leiten,  dass  die  Kinder  in  jedem  Lebensmonate 
mit  der  kleinsten,  zum  Gedeihen,  aber  nicht  zum  starken  Fett- 
jtnsatz  notwendigen  Milchmenge  auskommen.  Das  Aussehen  des 
Kindes  und  nicht  die  Wage  darf  für  die  Wahl  der  Nahrung  ent- 
scheidend sein.  Geringe  Körpergewichtszunahmen  dürfen  kein 
Grund  zum  Abstillen  sein.  Wenn  auch  bei  strengster  Diät  starker 
Fettansatz  nicht  zu  verhindern  ist,  so  muss  durch  Zugabe  von 
Kohlehydraten  die  Milchnahrung  schon  im  2.  Lebenshalbjahre  ein- 
geschränkt und  durch  Suppe  und  Gemüse  ergänzt  werden. 
Ausserdem  dürfen  solche  Kinder  nicht,  wie  es  sonst  angezeigt 
ist,  bis  zum  Ende  des  2.  Lebensjahres  vorwiegend  mit  Milch  gross- 
gezogen werden,  sondern  sollen  schon  im  Alter  von  1^2  oder 
sogar  1^4  Jahren  zu  der  Kost  der  älteren  Kinder  überführt 
werden.  Mit  Rücksicht  auf  die  mangelhafte  Entwicklung  des 
Oebisses  muss  die  Nahrung  nur  sorgföltig  zerkleinert  werden. 

Wie  äussert  sich  nun  der  Erfolg  der  Ernährung  von  Kindern 
mit  exsudativer  Diathese  nach  den  angegebenen  Prinzipien? 
Diese  Frage  wird  jeder  stellen,  welcher  bisher  in  mancher  Hinsicht 
widersprechende  Ernährungsmassregeln  für  indiziert  hielt.  Der 
Erfolg  besteht  darin,  dass,  falls  die  richtige  Ernährung  von  Anfang 
An  prophylaktisch  durchgeführt  wird,  die  exsudative  Diathese 
nur  in  den  mildesten  Formen  auftritt  und  die  Disposition  zu 
sekundären  Infektionen  dadurch  ganz  vermieden  wird  oder  nur 
selten  sich  geltend  machen  kann.  Die  wenigen  Infektionen  ver- 
laufen überdies  sehr  leicht.      Dies    konnte    ich    in    einer  grossen 


218  Gzeroy,  Die  exsudative  Diathese. 

Zahl  voD  Familien  darch  den  wesentlichen  Unterschied  in  der 
Morbidität  der  späteren,  nach  meinen  Forderungen  ernährten 
Kinder  im  Vergleich  zu  den  ersten,  nach  entgegengesetzten  Prin- 
zipien ernährten  Kindern  nachweisen.  Die  Zahl  meiner  Be- 
obachtungen ist  so  gross,  dass  Zufälle  durch  ungleiche  hereditäre 
Belastung  der  Kinder  einer  Familie,  die  oft  vorkommen,  aus- 
geschlossen sind. 

Aber  auch  an  Kindern,  deren  Ernährung  eine  unrichtige 
und  deren  Morbidität  infolgedessen  sehr  gross  war,  konnte  ich 
durch  jähen  Übergang  zu  dem  angeführten  Ernährungsregime 
ein  solches  Absinken  der  Folgeerscheinungen  der  exsudativen 
Diathese  erzielen,  dass  nicht  nur  für  mich,  sondern  auch  für  die 
Laien  die  Abhängigkeit  des  Erfolges  von  der  Ernährungsweise 
ausser  Zweifel  gestellt  wurde.  Der  Erfolg  ist  bei  manchen 
Krankheitsformen  der  exsudativen  Diathese  ein  überraschender. 
Prurigo  verschwindet  manchmal  sehr  rasch,  ohne  je  wieder- 
zukehren. Die  Schwellungen  der  Schleimhaut  des  Nasenrachen- 
raumes und  die  konsekutiven  Infektionen  hören  oft  bald  voll- 
ständig auf  oder  werden  immer  seltener  und  leichter.  Schon 
vorhandene  Schwellungen  der  Tonsillen  nehmen  nicht  zu  und 
bilden  sich  allmählich  zurück,  wenn  die  Infektionen  ausbleiben. 
Es  ist  erfreulich,  zu  beobachten,  wie  gemästete  Kinder^),  welche 
so  anfällig  sind,  dass  sie  aus  der  Behandlung  gar  nicht  heraus- 
kommen, nach  der  Änderung  der  Ernährung  im  ganzen  Jahre 
kaum  wenige  Tage  krank  sind.  Dies  ist  um  so  bemerkenswerter, 
als  der  Erfolg  bei  sonst  gleichbleibenden  Verhältnissen  zu  er- 
reichen ist.  Hartnäckig  trotzt  der  Ernährungstherapie  oft  das 
geschilderte  Wundwerden  der  Hautfalten.  Erst  nach  lange  Zeit 
fortgesetzter  vegetarischer  Diät  erlischt  diese  Disposition  und 
kann  sich  nach  Jahren  bei  dem  Versuch  einer  Mästung  wieder 
zeigen.  Gneis  und  Milchschorf  lassen  sich  durch  sorgfaltig 
dosierte  Nahrung  wenigstens  so  in  Schranken  halten,  dass  keine 
sekundären  Ekzeme  entstehen. 

Je  geringer  die  Morbidität  ist,  desto  besser  gestaltet  sich 
die  körperliche  und  psychische  Entwicklung  der  Kinder.  Mit 
der  Durchführung  einer  zweckmässigen  Ernährung  wird  deshalb 
mehr    erreicht,    als    das  Abnehmen  oder  Aufhören    der   mit    der 


^)  Die  mit  Kakao,  Milch  und  Eiern  gemästeten  Kinder  sind  leichter 
mit  Erfolg  zu  behandeln,  als  die  mit  Brot,  Kartoffeln  und  Mehlspeisen 
gemästeten. 


Czeray,  Die  exsudative  Diathese.  21i> 

exsudativen  Diathese    in    Zusammenhang    stehenden  Krankheits- 
symptome. 

Da  letztere  in  ihrem  Verlauf  mannigfach  abh&ngig  sind  von 
dem  Zustande  des  Nervensystems  der  Kinder,  so  muss  die  Tätig- 
keit des  Arztes  dahin  gerichtet  sein,  auch  nach  dieser  Richtung- 
möglichst normale  Verhältnisse  zu  schaffen.  Dies  ist  zurzeit  nicht 
überall  der  Fall.  Die  Kinder  mit  exsudativer  Diathese  werden 
vielmehr  als  Objekte  der  dauernden  Behandlung  betrachtet. 
Wenn  Krankheitserscheinungen  vorhanden  sind,  werden  sie  derent* 
wegen  behandelt,  wenn  keine  da  sind,  werden  sie  prophylaktisch 
behandelt.  Solche  Kinder  sind  vielfach  die  Versuchsobjekte  für 
alle  Kräftigungs-,  Stärk ungs-  und  blutbildenden  Mittel.  Ich  habe 
immer  in  derartigen  Fällen  den  Eindruck  gehabt,  dass  die  Arzte 
aus  lauter  Rücksicht  auf  den  Körper  die  Psyche  des  Kindes 
vergessen.  Ein  Kind,  das  in  dem  Bewusstsein  aufwächst,  immer 
Patient  zu  sein,  wird  stets  abnorm  reizbar,  die  Neuropathie  wird 
bei  ihm  direkt  grossgezogen.  Jede  Behandlung,  ut  aliquid  fiat^ 
jede  Polypragmasie  muss  deshalb  vermieden  werden.  Die  Eltern 
sind  dahin  zu  belehren,  dass  die  Aufmerksamkeit  des  Kindes 
stets  von  dem  eigenen  Körper  abgelenkt  werden  soll.  Es  darf 
daher  über  das  Aussehen  oder  körperliche  Funktionen  der  Kinder 
nicht  in  deren  Gegenwart  gesprochen  werden.  Den  Kindern 
darf  nicht  das  Bewusstsein,  krank  oder  schonungsbedürftig  zu  sein^ 
aufgezwungen  werden. 

Das  wichtigste  Mittel,  um  Neuropathien  bei  Kindern  vor» 
zubeugen,  ist,  dieselben  so  wenig  als  möglich  unter  Erwachsenen 
und  so  viel  als  möglich  unter  gleichaltrigen  Kindern  verkehren  zu 
lassen.  Der  dauernde  Verkehr  mit  Geschwistern  ist  nicht  immer 
ausreichend.  Der  Verkehr  der  Kinder  verschiedener  Familien 
untereinander  ist  stets  das  erstrebenswerteste  Ziel.  Die  Forderung 
nach  dem  Verkehr  der  Kinder  unter  möglichst  Gleichaltrigen 
ist  gegeben,  sobald  die  Sprachentwicklung  beginnt. 

Bei  Kindern  mit  exsudativer  Diathese  muss  diesen  wichtigen 
Erfahrungstatsachen  ganz  besonders  Rechnung  getragen  werden. 
Man  darf  sich  aber  niemals  mit  halben  Massregeln  begnügen. 
Ein  Besuch  von  Kindern  untereinander  einmal  in  der  Woche  oder  in 
noch  grösseren  Intervallen  ist  eher  dazu  angetan,  Kinder  über- 
mässig zu  erregen,  als  auf  das  Nervensystem  günstig  einzuwirken. 
Der  Verkehr,  das  Spielen  der  Kinder  darf  nicht  einen  Ausnahme- 
zustand vorstellen,  sondern  muss  etwas  Alltägliches  sein. 


220  Czerny,  Die  exsudative  Diathese. 

Bei  alteren  Eindem  ist  aus  gleichen  Gründen  der  Einzel- 
unterricht zu  vermeiden.  Wenn  der  Schulbesuch  undurchführbar 
ist,  dann  soll  wenigstens  dafür  gesorgt  werden,  dass  mehrere 
Kinder  gemeinschaftlich  unterrichtet  werden. 

Das  äussere  Zeichen,  welches  Eltern  und  Arzt  aufmerksam 
machen  sollte,  sich  um  das  psychische  Verhalten  der  Kinder  zu 
interessieren,  ist  rascher  Farbenwechsel  oder  andauernde  Blässe 
der  Kinder.  Letztere  lässt  die  Kinder  mit  exsudativer  Diathese 
oft  schlechter  aussehen,  als  durch  eine  Untersuchung  des  Körpers 
gerechtfertigt  erscheint.  Die  Blässe  ist  niemals  durch  Anämie, 
sondern  durch  vasomotorische  Störungen  bedingt  und  nicht  au 
medikamentösem  Wege,  sondern  nur  durch  geeignete  psychische 
Behandlung  zu  bessern  oder  zu  heilen. 

Wenn  Kinder  krank  sind,  hört  die  Erziehung  auf.  Dieser 
Fall  tritt  nun  bei  Kindern  mit  exsudativer  Diathese  sehr  oft  ein. 
Das  Unterbrechen  der  Erziehung  begünstigt  aber  bei  Kindern 
das  Auftreten  neuropathischer  Erscheinungen.  Diese  komplizieren 
sodann  das  Krankheitsbild  der  exsudativen  Diathese  in  mannig- 
faltigster Form.  Um  diesem  Übel  vorzubeugen,  gibt  es  keinen 
anderen  Weg  als  den,  sich  rechtzeitig  um  die  Erziehung  und  das 
psychische  Verhalten  der  Kinder  zu  kümmern. 

Noch  in  einer  dritten  Richtung  können  wir  erfolgreich  in 
den  Verlauf  der  exsudativen  Diathese  eingreifen,  indem  wir  das 
Zustandekommen  von  interkurrenten  Infektionen  einzuschränken 
trachten.  Wie  bereits  erwähnt,  ist  in  dieser  Beziehung  die  Er- 
nährung das  wesentlichste  Hilfsmittel.  Ausserdem  lässt  sich  die 
Zahl  der  Infektionen  der  Luftwege  noch  herabsetzen  durch  Auf- 
enthalt in  staub-  und  rauchfreier  Luft.  Soweit  dies  in  unserer 
Macht  steht,  müssten  wir  dies  zu  erreichen  trachten.  In  manchen 
Fällen  nützt  es  bereits,  wenn  Eltern  mit  ihren  Kindern  aus  dem 
Zentrum  einer  Grossstadt  an  die  Peripherie  ziehen.  Im  Sommer 
ist  das  Reisen  mit  Kindern  nach  klimatisch  gutgelegenen  Orten 
«ine  zweckmässige  Massregel,  von  der  allenthalben  viel  Gebrauch 
gemacht  wird.  Sie  Hesse  sich  noch  häufiger  erreichen,  wenn  ein 
Landaufenthalt  für  genügend  erklärt  und  nicht  immer  ein  kost- 
spieliger Kurort  überflüssigerweise  in  Vorschlag  gebracht  werden 
würde.  Als  ein  Miss  Verständnis  muss  ich  es  aber  auffassen, 
wenn  Kinder,  welche  auf  Landgütern  oder  in  kleinen  Ortschaften 
mit  ausgezeichneten  Luftverhältnissen  leben,  in  Sommerkurorte 
verschickt  werden.  In  diesen  Fällen  ist  natürlich  kein  Erfolg  zu 
verzeichnen.     Solchen  Kindern    ist    nur    mit    einer  Verlängerung 


Czerny,  Die  exBadatire  Diathese.  221 

des  Sommers  durch  Aufenthalt  im  Süden  während  des  Frühjahrs 
oder  des  Herbstes  oder  beider  Jahreszeiten  zu  nützen. 

Die  Sommer-,  Frühjahrs-  und  Herbstreisen  sind  nicht  gleich- 
wertig. Mit  den  Sommerreisen  ist  hauptsächlich  ein  Schutz  der 
Kinder  durch  staub-  und  rauchfreie  Luft  zu  erzielen.  Bei  den 
Frühjahrs-  und  Herbstreisen  können  überdies  noch  Schädigungen 
der  Schleimhäute  durch  Erkältungen  vermieden  werden.  Bezüglich 
der  letzteren  möchte  ich  noch  erwähnen^  dass  ich  die  sogenannten 
Abhärtungsmassregeln  für  vollständig  wirkungslos  halte. 

Die  Gefahr  der  Erkältung  liegt  am  meisten  bei  körperlicher 
Ruhe  vor,  bei  der  leicht  die  Wärmeabgabe  die  Wärmeproduktion 
übertrifft.  In  einer  solchen  Situation  befinden  sich  Eindier  oft 
beim  Fahren  oder  Getragenwerden.  Durch  die  Wärmeproduktion 
beim  Gehen  oder  Laufen  wird  die  Möglichkeit  der  Erkältung 
herabgesetzt.  Für  Kinder  mit  exsudativer  Diathese  bedeutet  es 
somit  keine  Schonung,  wenn  sie  in  einem  Alter,  in  welchem  sie 
sich  selbständig  bewegen  können,  noch  getragen  oder  gefahren 
werden. 

Bei  den  Infektionen  der  Luftwege  sind  noch  mehr  als  die 
angeführten  Veranlassungen  die  direkten  Übertragungen  zu  be- 
achten. Wenn  Mutter,  Kindermädchen,  Erzieherin  oder  wer 
sonst  sehr  viel  in  unmittelbarster  Nähe  der  Kinder  weilt,  oft 
an  Anginen  oder  Nasenrachenkatarrhen  leiden,  so  infizieren  sie 
auch  häufig  die  Kinder.  Die  Erwachsenen  werden  manchmal 
durch  die  Infektionen  nur  wenig  in  ihrem  Allgemeinbefinden  ge- 
stört und  unterschätzen  deshalb  die  Gefahr  der  Übertragung. 
Ein  Arzt,  der  dieselbe  aber  beachtet,  kann  leicht  erfolgreich  ein- 
greifen. 

Ich  musste  mich  in  meiner  Darstellung  mit  Rücksicht  auf 
den  verfügbaren  Raum  auf  eine  Skizze  beschränken.  Dieselbe 
kann  aber  genügen,  der  modernen  artifiziellen  Züchtung  schwerer 
Formen  der  exsudativen  Diathese  und  ihrer  Folgen  entgegenzu- 
treten. Wer  sich  davon  überzeugen  wird,  der  wird  mir  zustimmen, 
dass  es  dankbarer  ist,  nach  klinischen  Beobachtungen  an  der 
Zusammengehörigkeit  von  Krankheitssymptomen  festzuhalten,  als 
sich  in  theoretischen  Erörterungen  über  Identität  von  Skrophulose 
und  Tuberkulose  zu  verlieren. 


Literatarbericht 

Zauunmengestellt  tod  Dr.  B.  SALGE, 

Obcnnt  •■  4er  Cairenfiits-KliidcikljBlk  In  BrUb. 

?•  TnterfcoloM  luid  9TptülM. 

Benurkumgen  über  KmkmUchgemtus  mttd  TmierkmiasetierMckkäi.  Tod  W. 
X,  Stftrelu  MoDaUtchr.  L  KioderheÜk.  1904.  Bd.  3.  p.  106. 
Aaf  Grond  too  Tabelleo,  die  die  Zahl  des  Viehbestaadeft,  der  Vieh- 
toberkolose  oodMeDficbeotaberkoIofie  in  den  eiDzeiaen  preuaftlscheDRegiernngs- 
bezirken  aszeigeo^  kommt  V.  zo  dem  Scblasse,  daas  nach  der  Statistik  ein 
Weotlieber  ZaaammeDbaog  zwischen  Yiehreichtam  and  grossem  Milchgeniiss 
»owie  hoher  Viehtoberkalose  asd  der  Taberkalosesterblichkeit  beim  Mensehen 
in  Preossen  nicht  za  beUeben  scheint.  Wahrscheinlich  ist  die  Vimlenz  der 
Rindertaberkolosebazillen  dem  Menschen  gegenüber  ähnlich  verschieden, 
wie  die  der  Menschentoberkolosebazillen  gegenüber  dem  Rind. 

Sehleissner. 
Di€  Behandlung  der   Skrofulöse   und    Tuberkulose   mit  Soleirinkkttren.    Von 
R.  Weigert.    Monatsschr.  f.  Kinderheilk.     1904.    Bd.  3.     p.  57. 
Weigert  gelangt  zu  folgenden  Resultaten : 

1.  Die  Behandlang  toberkalöser  Individuen  mit  Soletrinkkaren  ergab 
«inen  vollkommenen  Misserfolg,  vielleicht  ist  den  Pat.  darch  sie  sogar  eine 
Schädigung  entstandeo. 

2.  Die  Soletrinkkoren  wurden  von  skrofulösen  Kindern  gut  ver- 
tragen. Alle  so  behandelten  Pat.  zeigten  eine  Besserung  des  Allgemein- 
tiefindens,  einige  auch  eine  Abnahme  der  Neigung  zu  Schleimhautkatarrhen 
tiud  eine  Verkleinerung  der  Ivmphatischen  Organe  des  Nasenrachenraumes; 
bei  anderen    blieben    die'  Symptome   der    Skrofulöse   gänzlich    unbeeinflnsst. 

8.  Die  von  Rosen  berger  versuchte  wissenschaftliche  Begründang 
der  Erfolge  der  Soletrinkknren  ist  nicht  genügend  gestützt;  die  von  diesem 
Autor  beobachtete,  während  der  Kur  eintretende  Vermehrung  der  Leukozyten 
des  Mundspeichels  wurde  bei  W.'s  Patienten  nicht  gefunden. 

Sehleissner. 
jye  la   necessUe   de   rendre   obligaioire   l'isoletneni  des   tuberculeux   dans   les 
hopitaux.     Von  Armaingaud.     Tuberculosis.     1904.     No.  3. 

Über  das  im  Titel  genannte  Thema  erstattete  A.  am  19.  Dezember 
1908  in  einer  Sitzung  der  permanenten  Tuberkalose-Kommission  zu  Paris  im 
Auftrage  der  7.  Unterkommission  Bericht.  Folgende  Resolution  wurde 
schliesslich  angenommen  und  der  Regierung  übersandt: 

1.  In  allen  ufTentlichcn  Krankenhäusern  sollen  die  zuständigen  Behörden 
<len  direkten  und  indirekten  Verkehr  zwischen  den  tuberkulösen  und  nicht- 
4uberknlöson  Kranken  verbieten. 


y.  Tnberkalose  und  Syphilis.  223 

2.  Die  Taberkalösen  m&ssen  io  besondereD,  aa98chlie88lich  für  sie  be- 
stimmten Krankenhftusern  verpflegt  werden;  sie  dürfen  aach  in  andere  An- 
stalten nicht  aufgenommen  werden.  Städte,  welche  mehrere  Krankenhäuser 
besitzen,  sollen  aufgefordert  werden,  in  Zukunft  eine  oder  mehrere  von  diesen 
Anstalten  nur  für  Tuberkulöse  zu  bestimmen. 

3.  Da,  wo  ein  ganzes  Krankenhaus  dafür  nicht  zur  Verfügung  steht, 
«ollen  getrennte  Abteilungen  ausschliesslich  für  die  Tuberkulösen  reserviert 
werden. 

4.  Aber  selbst  wenn  man  weder  ein  besonderes  Krankenhans  noch  eine 
besondere  Abteilung  einrichten  kann,  dürfen  Tuberkulöse  nie  in  den  all- 
gemeinen Krankensälen  untergebracht  werden. 

Boye-Halle  a.  S. 

Deux  cas  de  iympkadenie  dans  renfance.     Von  P.  Haushalter  und  Richon. 
Archives  de  medecine  des  enfants.    Tome  7.    No.  5.     1904. 

Vorwiegend  kasuistische  Mitteilungen. 

Ein  Knabe  von  10  Jahren,  mit  Tuberkulose  behaftet,  macht  einen 
Lnngen-Rippenfellprozess  durch,  der  zur  relativen  Heilung  gelangt.  Nach 
«tner  nicht  spezifischen  Dermatose  im  Gefolge  von  Scabies  multiple  Drüsen- 
schwellnngen,  besonders  in  der  Halsregion  und  im  Mediastinum;  Kom- 
pressionserscheinungen, rasch  fortschreitende,  endlich  extreme  Anämie,  Leuko- 
penie. Exitus  nach  einem  Jahre  unter  Erscheinungen  einer  Bronchopneumonie. 
Autopsie:  Allgemeine  Hypertrophie  der  blntbereitenden  Organe,  Sklerose  der 
Drüsen,  Lymphombildnng  in  der  Leber,  im  Magen  und  Darm,  Herde  von 
fettiger  Degeneration  in  der  Leber  und  von  Zellwucherung  im  Knochenmark, 
involvierte  Reste  von  Tuberkulose  in  der  Lunge  und  in  der  Pleura. 

Diskussion  der  nosologischen  Stellung  dieser  Type  zwischen  der  Psendo- 
lenkämie  und  der  tuberkulösen  Lymphomatose. 

Ein  zweiter  Fall  ist  nur  kürzer  beobachtet  und  nicht  obduziert. 

Pfaundler. 
^ur  Frage   der  Vererbung  der  Syphilis.     Von  H.  Napp.    Arch.  f.  Dermat. 
u.  Syph.     1904.    LXX.     p.  263. 

Das  Dogma,  nach  dem  die  Vererbung  der  Syphilis  des  Vaters  eine 
obligatorische  ist,  nicht  eine  fakultative,  ist  jedenfalls  durch  eine 
nicht  geringe  Anzahl  von  genauen  Beobachtungen  gesunder  Nachkommen- 
schaft rezent  syphilitischer  Väter  bestimmt  widerlegt  worden.  V.  publiziert 
ebenfalls  einige  Fälle  eigener  Beobachtung,  in  denen  trotz  rezenter  Lues  des 
Vaters  gesunde  Kinder  geboren  wurden;  in  zwei  dieser  Fälle  war  die  Lues 
des  Vaters  besonders  heftig  und  oft  rezidivierend,  sodass  eine  paterne 
Vererbung  ganz  besonders  leicht  zustande  kommen  und  erwartet  werden 
konnte. 

Ebenso  bringt  N.  auch  4  eigene  Beobachtungen,  in  denen  die  Kinder 
rezent  syphilitischer  Mütter  gesund  geboren  wurden  und  gesund  blieben; 
eine  genügende  Erklärung  für  diese  Tatsachen  steht  noch  aus. 

Jedenfalls  sind  nach  des  Verfassers  Anschauung  bei  graviden  Frauen 
Präventivkuren  absolut  indiziert;  nur  sie  sind  imstande,  Placentarerkrankungen 
zu  verhüten  und  zu  heilen.  Schleissner. 


224  Literaturbericht. 

VI.  Konstitationskrankheiten. 

Ein  Fall  van  Gichterkrankung  bei  einem  yjäkrigen  Kinde,    Von  Roman  Lanz. 
Deutsche  med.  Wochenschr.    No.  33.     1904. 

Seit  dem  zweiten  Lebenshalbjahr  erkrankte  das  Kind  zwei-  bis  dreimal 
monatlich,  immer  plötzlich  des  Nachts,  an  Schmerzen  in  allen  Gliedern,  be- 
sonders den  Händen  und  Fassen.  Am  Morgen  nach  einem  starken  Anfall 
konnte  man  „an  den  distalen  Phalangealgelenken  der  Finger  beider  Hände 
typische,  ungefähr  erbsengrosse  Ablagerungen  bemerken,  wie  sie  bei  der 
subchronisch  verlaufenden  Gicht  beobachtet  worden^.  Die  Haut  der  be- 
troffenen Gelenke  ist  normal;  fühlt  sich  nicht  heiss  an.  An  den  Zehen  nichts 
Abnormes.  Die  Ablagerungen  verschwanden  nach  1^/2  Wochen  und  wurden 
nicht  mehr  beobachtet.  Der  Urin  enthielt  sehr  viel  harnsaures  Natron  und 
Oxalsäuren  Kalk.  Misch. 

LextincHon  du  rackiüsme  par  les  Gouttes  de  lait    Von  Variot     La  Clinique 
infantile.     1.  Aug.  1904. 

Schon  vor  2  Jahren  hat  Variot  über  Rachitis  und  kunstliche  Er- 
nährung  gesprochen  und  glaubte  durch  sein  damaliges  Material  zur  Be- 
urteilung der  Frage  besonders  berufen  zu  sein,  da  er  in  zehnjähriger  Tätig- 
keit an  der  Goutte  de  lait  von  Belle  ville  dieErnährung  und  Entwicklang  von  rund 
1000  Säuglingen  regelmässig  mit  Wage  und  Beobachtung  verfolgt  hatte.  Seine 
Resultate  fasste  er  dahin  znsammen:  dass  die  ausschliessliche  Ernährung  mit 
sterilisierter  Milch,  selbst  von  Geburt  an,  keine  Rachitis  herbeiführt,  wenn 
Überernährung  vermieden  werde,  dass  die  Kinder  der  Goutte  de  lait,  i^cnn 
sie  nicht  zu  spät  gebracht  werden,  nie  schwerere  Rachitis  zeigen  nnd  jeden- 
falls keine  schwerere  als  die  Kinder  der  wohlhabenden  Klassen,  und  dass, 
wenn  bei  den  Kindern,  die  durch  die  Goutte  versorgt  werden,  Rachitis  'auf- 
tritt, man  stets  Fehler  der  Mutter  gegen  die  Vorschrift  nachweisen  kann. 

Inzwischen  hat  sich  Variots  Material  weiter  vermehrt»  in  seiner 
Goutte  hat  er  wöchentlich  ca.  200  Säuglinge  zu  kontrollieren;  es  werden 
ihm  Kinder  gebracht,  die  ganz  an  der  Brust  ernährt  werden,  solche  mit  ge- 
mischter Ernährung,  solche,  die  von  Geburt  an  die  Flasche  bekommen  und 
zum  grössten  Teil  solche  in  einem  mehr  weniger  schweren  Znstand  von 
Atrophie. 

An  diesem  Material  hat  er  immer  wieder  konstatiert,  dass  nur  Er- 
nährungsfehler die  Rachitis  herbeiführen,  dass  eine  richtige  Ernährung  mit 
sterilisierter  Milch  die  Rachitis  verhütet  und  schon  begonnene  aufhält,  dass 
also  diese  Milch  das  beste  und  einzige  Schutz-  und  Heilmittel  ist. 

Phosphor  oder  Phosphoröl  werden  in  seiner  Goutte  nicht  gegeben. 

Mit  diesem  Regime,  dessen  Grundlage  die  sterilisierte  Mikh  in  ca.  1  1 
Menge  ist,  gelingt  es,  nicht  nur  die  Rachitis,  sondern  auch  die  schwerste 
Atrophie  zu  bekämpfen.  Sioli-Haile. 

Üöer  Protylin  und  seinen  Wert  als  Nähr-  und  Heilmittel,  insbesondere  bei 
rachitischen  Zuständen  im  Kindesalter.  Von  Max  Bürger.  Therap. 
Monatsh.     1904.     H.   6. 

Das  Protylin  ist  eine  Pbosphor-Eiweissverbindung  mit  einem  Gehalt 
von  2,7  pCt.  Phosphor  in  molekularer  Bindung  in  Form  von  Phosphorsäure- 
anhydrid ;  es  ist  in  Wasser  unlöslich,  löslich  dagegen  in  Alkalien,  auch  in  starken 


VI.  Kon^itutionskraDkheiteD.  225 

Lösangen    von   MiDeralafturen.     Es    wird   vom  Magensäfte  nicht  angegriffen» 
unterliegt  aber  der  verdanenden  Wirkung  des  Pankreassaftes. 

Bei  18  mit  Rachitis  behafteten  Kindern  im  Alter  von  7  Monaten  bis 
2u  2  Jahren  gab  Verf.  das  Protylin,  and  zwar  in  Dosen  von  i/i  Teelöffel 
zweimal  und  öfter  täglich,  der  Nahrung  zugesetzt. 

Verf.  will  in  allen  Fällen  einen  günstigen  Einfluss  haben  konstatieren 
können,  indem  sowohl  die  örtlichen  Symptome  der  Rachitis  sich  besserten, 
a\8  auch  das  Allgemeinbefinden  sich  schnell  hob. 

Verf.  begnügt  sich  mit  solchen  allgemeinen  Bemerkungen,  eine  genauere 
Kasuistik  der    behandelten  Erkrankungen  liegt  nicht  vor. 

R.  Rosen. 

JSmi  J^a//  vofi  pseudoracktHscher  hätnorrhagischer  Skeletterkrankung  bei  einem 
hingen  Hunde.  Von  W.  Stoeltzner.  Virchows  Archiv,  177,  8. 
Ein  einjähriger  Bernhardinerhund  wurde  wegen  Erschwerung  im 
Liaufen  und  lebhaften  Schmerzäusserungen,  neben  einem  bestimmten  Unter- 
sachungsbefunde,  in  der  tierärztlichen  Hochschule  zu  Dresden  als  mit 
Rachitis  behaftet  getötet,  dem  Verfasser  kamen  mehrere  Rippen  und  eine 
ganze  Vorderextremität  zur  Untersuchung.  An  den  Rippen  befanden  sich 
rosenkranzartige  Auftreibungen.  An  den  Extremitätenknochen  unregel- 
massige,  zum  Teil  sehr  bedeutende  Verdickungen,  bedingt  durch  Blutergüsse 
in  und  unter  das  Periost,  zum  Teil  auch  ins  Mark,  so  war  in  der  Fossa 
«upraspinata  das  Periost  durch  ein  Hämatom  abgehoben,  am  Humerus  be- 
fanden sich  in  der  aufgetriebenen  Diaphyse  und  an  der  Epiphysen grenze 
blutgerinnselerfüllte  Hohlräume,  abgekapselt  und  durch  solide  Knochen- 
platten von  einander  und  gegen  Rinde  wie  Mark  abgetrennt;  ähnliche  Er- 
güsse waren  im  oberen  Drhtel  des  Radius,  geringere  Veränderungen  in  der 
Ulna.  Die  knöcherne  Rinde  war  stellenweise  geschwunden,  zwischen  ab- 
gehobenem Periost  und  Knochen  Neubildung  zu  beobachten,  woraus  auf 
-eine  längere  Dauer  der  Vorgänge  zu  schliessen  war.  Mikroskopisch  handelte 
es  sich  um  Atrophie  der  Corticalis  und  Spongiosa,  Arrosion  der  Knochen- 
bälkchen.  Das  Mark  war  in  den  Epiphysen  fettzellig,  sonst  im  allgemeinen 
^ellarm,  faserig,  bis  auf  den  Bereich  der  Spongiosa,  wo  es  splenoid  erschien. 
Der  Vorgang  hatte  mit  Rachitis  gar  nichts  zu  tun,  dagegen  grosse 
Ähnlichkeit  mit  Barlowscher  Krankheit,  wovon  nur  der  Markbefund  der 
"Spongiosa  ihn  unterschied.  Spiegelberg. 

Myxödem,  Von  Magnus  Levy.  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin.  Bd.  52.  H.  3 
und  4.     S.  201. 

Analyse  von  10  Fällen  von  Myxoedema  adultorum  (Straesburg). 

Analyse  von  1  Fall  von  Kachexia  stramipriva. 

Analyse  von  9  Fällen  \on  sporadischem  Kretinismus  (4  Berlin, 
•h  Strassburg)  und 

Analyse  von  14  Fällen  von  endemischem  Kretinismus  (Münsterthal)  nach 
Ätiologie,  Symptomatologie  und  Behandlung,  wobei  die  verschiedenen 
Präparate  gewürdigt  werden.  Die  mit  vorzüglichen  Tafeln  a  la  Hertoghe 
versehene  Arbeit  ist  nur  im  Original  wertvoll;  herauszugreifen  sind  die  Er- 
gebnisse der  Respirationsversuche,  nämlich:  die  geringe  Höhe  des 
•Gaswechsels  bei  schweren  Fällen  von  Myxödem  ist  nicht  bedingt  dnrch  die 
geringe  Mepge  funktionierenden  Protoplasmas,  sondern  dnrch  dessen  geringe 
Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    Heft  1.  15 


22ß  Literatarberieht. 

Lebenseaergie  ^50^60  pCu  der  bei  GesondenK     Die  OrgftnUierapie  hai  hier 
»och  eise  ^eonaUtiTe*  Wirkaog.  Spiegelbe i^. 

AmaiamiscJU  Befunde  in  emem  Faäe  von  Myxödem,    Von  A.  J.  Abrikossoff» 

Virehowt  ArehiT,  177,  3. 
Die  wichtigsten  Veränderangen  betreffeo  Schilddrüse,  in  welcher  yoIU 
standige  Abwesenheit  aller  Drosenelemente,  an  deren  Stelle  Fett  and  Binde- 
gewebe   im  Verlauf    des  Lebeos    getreten  war,  and  Hjpophysis,   in    welcher 
Vermehrane  der  Dräseozellen  aod  Colloideotartang  gefanden  warde. 

Spiegelberg. 
Ober  amgeblicke  ver/rükU  Synostasem   bei  Krehmeu   und  die  iypaikeiisckem  Be- 

siekungem  der  Ckondrodysiropfda  foetaiis  sur  Atkyreasis,    Von  P.  6.  B  a  y  o  d. 

Zieglers  Beiträge  zar  pathol.  Anatomie  ii.  s.  w.     Bd.  36,  1. 

Entgegen  der  verbreiteten  Ansicht,  dass  fröhzeitigc  Sjnostoseo  zwischci> 
Keilbein  and  Hinterhauptsbein  bei  Kretinen  eine  Wichtigkeit  in  Anatomie 
des  endemischen  Hjrpothjreodismas  besitzen,  trennt  Verfasser  diese  Srnostosen,. 
die  der  Chondrodjstrophia  foetalis  hrpo plastica  zagehören  —  einer  Er- 
krankung, die  mit  Kretinismus  nichts  gemein  hat  —  and  auch  hier  nur  aU 
Störung  des  enchondralen  Wachstums  anzusprechen  sind,  Ton  jeder  fie- 
ziehuog  zum  Kretinismus.  Verfasser  stützt  sich  auf  die  Untersuchung  ilterer 
Präparate  von  Neugeborenen  and  älterer  Kretinen.  Spiegelberg. 

Ober  Pirckcws   Kretinentkeorie.      Von    W.    Wcygandt.       Neurol.    Centralbl. 
No.  7,  8,  9.     1904. 

In  der  übergrossen  Arbeit  des  Altmeisters  der  pathologischen  Anatomie 
hat  da»  Studium  des  Kretinismus  einen  nicht  unbeträchtlichen  Kaum  ein- 
genommen. Zuerst  im  Jahre  1851,  seither  zji  wiederholten  Malen  hat 
Vircho  w  in  Vorträgen  and  Publikationen  die  Pathogenese  des  Kretinismus  be- 
handelt und  hierbei  namentlich  den  Standpunkt  vertreten,  „dass  die  vor- 
zeitige Verknöchernng  der  drei  Schädelwirbel  (Os  basilare,  Sphenoides- 
posterius  und  anterius)  den  Mittelpunkt  der  ganzen  Störuog  bildet**.  Da- 
durch werde  nicht  nur  die  Veränderung  des  Gesichtsskeletts  bedingt,  sondern» 
auch  das  Gehirn  Wachstum  gehemmt. 

Allerdings  hat  Virchow  diese  nach  ihm  bezeichnete  Kretinentheorle 
nicht  verallgemeinert  und  vorwiegend  auf  das  unter^achte  Material  be- 
schränkt, aber  immerhin  waren  doch  seine  Äusserungen  darüber  so  be- 
stimmt, dass  die  Pathogenese  des  Kretinismus  durch  lange  Zeit  anter  dem 
Zeichen  der  frühzeitigen  Verknöcherung  der  Schädelbasis  stand.  Selbst 
Vertreter  der  pathologischen  Anatomie  suchten  ihre  nicht  immer  ganz  ein- 
deatigen  Befunde  unter  die  Theorie  des  allgewaltigen  Meisters  aaterza- 
bringen.  Allerdings  fehlte  es  auch  nicht  an  skeptischen  und  gegoerischen 
Bemerkungen  (Rindfleisch, Merkel,  Kirchberg,  Ziegler,  Paltauf  etc.), 
aber  erst  die  Sonderstellung  einer  Gruppe  angeborener  Skelettveränderongen 
als  Chondodjstrophia  foetalis  durch  Kaufmann  macht  es  wahr- 
scheinlich, dass  Vircho  WS  Musterfall  kein  Kretin,  sondern  ein  Beispiel 
dieser  Krankheit  gewesen,  die  eine  angeborene  Skelettanomalie  darstellt, 
ohne  mit  Kretinismus  und  Rachitis  etwas  zu  tun  za  haben.  Von  den 
Kaufmannschen  Fällen  hatten  einige  einen  eingezogenen  Nasenrücken  ohne 
Tribasilarsynostose,  so  dass  auch  dieses  Symptom  an  Bedeutung  verlor.  Seit 
dieser    Zeit    ist    die    Trennung    des  Kretinismus    und    der  Mikromelie  oder 


VIII.  Krankheiten  des  NeryensjstemB.  227 

Chondrodystrophie  immer  mehr  fortgeschritten.  Vor  allem  hat  die  Kr- 
fahmng  gelehrt,  dass  wirklicher  Kretinismus  nicht  angeboren  vorkomme, 
sondern  sich  erst  innerhalb  des  Sftaglingsalters  entwickele;  ferner  ergaben 
klinische  Untersuchungen  nur  ganz  änsserliche  Ähnlichkeiten  zwischeo 
Kretinen  (id  est  Mjxodemkranken)  und  Mikromelen,  hingegen  eine  Fülle 
von  unterschieden,  endlich  sind  auch  die  derzeit  durch  Röntgenunter- 
suchungen darstellbaren  Verknöcherungsverhältnisse  beider  Krankheiten  ver- 
schieden. Auch  die  Annahme,  dass  bei  der  kretinistischen  Idiotie  frühzeitige 
Nahtverwachsung  des  Schädels  die  Gehiment wicklang  hemme,  ist  einerseits 
durch  unsere  genauere  Kenntnis  der  Gehimver&nderungen  hei  Idiotie,  anderer- 
seits durch  die  Erfolglosigkeit  der  eine  Zeit  lang  sehr  gepriesenen  Craniek- 
tomie  als  widerlegt  anzusehen.  Das  letzte  Glied  in  der  Kette  der  Gegen- 
beweise liefert  Weygand  dadurch,  dass  er  den  seinerzeit  von  Virchow 
studierten  „Kretinenfötus*'  aus  der  Würzburger  Sammlung  entnahm  und 
histologisch  bearbeitete.  Es  besteht  kein  Zweifel,  dass  dieser  Fall  der 
Kaufmann  sehen  Chondrodystrophie  zugehört  nnd  mit  Kretinismus,  „der 
endemischen  athyreoiden  Degeneration**,  nichts  zu  tun  hat.  Zappert 

Ober  die  Ätiologie  der  SchÜddrüseHSckwunde  bei  Kretinismus  und  lAyxödetn, 
Von  Bayon.    Neurol.  Centralbl.     1.  Sept.  1904. 

Dass  sowohl  sporadischer  als  endemischer  Kretinismus  thyreogeneu 
Ursprungs  sind,  ist  heutzutage  wohl  kaum  mehr  zu  bezweifeln.  Wie  kommt 
aber  der  Schwund  der  Schilddrüse  zustande?  Für  einen  Teil  der  Fälle  sind 
antenatale  Ätiologien  massgebend  —  das  Kind  kommt  ohne  Schilddrüse  zur 
Welt.  Für  einen  anderen  Teil  gelten  postnatale  Ursachen,  die  nach  des  Verf.s 
Ansichten  in  Entzündungen  der  Schilddrüse  zu  suchen  sind,  die  zur  Ent- 
artung  der  Drüse  und  den  Symptomen  der  Hypothyreosis  führen.  Gelegenheit 
za  einer  solchen  Thyreoiditis  bietet  „fast  jede  schwerere  infektiöse  Krankheit*' 
ohne  dass  die  Erkrankung  allerdings  anders  als  histologisch  erkennbar  wäre. 
Meist  erfolgt  Regeneration  der  durch  die  Entzündung  geschädigten  Partien, 
manchmal  entstehen  schwere  Schädigangen,  wie  sie  in  der  Schilddrüse  Myx- 
ödematöser  mikroskopisch  nachweisbar  sind. 

Ein  Urteil  über  diese  überraschende  Theorie  des  Kretinismus  lässt 
sich  erst  ffLilen,  wenn  die  versprochenen  genaueren  Untersuchnngen  des 
Autors  vorliegen  (Ref.),  Zappert. 

Vlil.  Krankheiten  des  Nervensystems. 

Der  heutige  Stand  der  Erblichkeitsfrage  in  der  Neuro-  und  Psychopathologie, 
Von  Hahn le.  Neurol.  Centralbl.  1904.  No.  18  u.  19. 
Die  Frage  der  Vererbung  erworbener  Eigenschaften  ist  noch  immer 
ein  Streitobjekt  der  Biologen.  Doch  hat  Weis  mann  ,  der  bedeutende  Gegner 
dieser  Vererbnngsmöglichkeit,  seinen  stramm  negierenden  Standpunkt  etwas 
gemildert,  and  man  kann  wohl  heutzutage  mit  Orth  annehmen,  dass  eine 
Vererbung  erworbener  Eigenschaften  besteht,  soweit  die  letzteren  den  ganzen 
Körper  des  Elternteiles,  also  auch  die  Keimzellen  verändern  können,  dass 
hingegen  eine  Vererbung  anderer  direkt  erworbener  Eigenschaften,  also 
namentlich  von  Veränderungen  einzelner  Körperteile  abzulehnen  sei. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  ist  auch  an  der  erblichen  Übertragung 
von  nervösen  Erkrankungen    nicht  zu    zweifeln.    Prüft   man  aber   die   dafür 

15* 


228  Literaturberichu 

vorliegenden  Beweise,  so  niuäs  man  zugeben,  dass  die  lediglich  statistischen 
Resultate  durchaus  nicht  eindeutig  sind,  sondern  viele  Widersprüche  in 
sich  scbliessen.  Als  sicher  vorhanden  gilt  die  Vererbbarkeit  einer  neuro- 
psychopathischen  Disposition,  aber  anch  hier  ist  es  bereits  kontrovers, 
ob,  wie  wahrscheinlich,  der  Polymorphismus  und  die  Trans  form  ation,  d.  i.  der 
wechselweise  Ersatz  von  nervösen  Störungen  in  verschiedenen  Generationen, 
oder  ob  die  gleichartige  Vererbung  im  Vordergrund  steht.  Als  belastende 
bezw.  vererbbare  Zustände  gelten  Geisteskrankheiten,  Psychopathien,  Nerven- 
krankheiten, Alkoholismns,  Apoplexie,  Selbstmord,  doch  werden  auch  be- 
züglich der  Vererbbarkeit  dieser  Zustände  Zweifel  laut  (z.  B.  über  die  be- 
lastende Bedeutung  des  Alkoholismus).  Am  besten  studiert  sind  die  heredi- 
tären Verhältnisse  bei  den  Geisteskrankheiten,  aber  ein  Eingehen  in  die  vor- 
liegenden Zahlen  ergibt  mannigfache  Widersprüche.  Auch  mahnen  die 
hohen  Zahlen  nervöser  Belastung  bei  Gesunden,  wie  sie  Koller  angegeben, 
zur  Vorsicht  bei  Verwertung  statistischer  Ergebnisse.  Kontrovers  wird  ferner 
die  Frage,  ob  mehr  Männer  oder  Frauen  auf  Grund  erblicher  Belastung  er- 
kranken, ob  eine  nervöse  Affektion  des  Vaters  oder  der  Mutter  für  die  Nach- 
kommenschaft bedenklicher  ist.  Nach  Sommer  würden  auch  die  Stigmata 
faereditaria  eine  Einschränkung  erfahren.  Von  Interesse  ist  ferner  die  Mög- 
lichkeit einer  Degeneration  hereditär  entarteter  Familien. 

In  den  Schlusssätzen  der  mit  reichem  Zahlenmaterial  belegten  kritischen 
Arbeit  kommt  Verf.  zu  dem  Resultat,  dass  etwa  in  der  Hälfte  der  Geistes- 
krankheiten ererbte  neuropathische  Disposition  als  Ursache  anzusehen  ist, 
dass  auch  erworbene  Krankheiten  ererbt  werden  können,  dass  aber  verläss- 
liehe  Zahlen  über  diese  Verhältnisse  ebenso  fehlen  wie  klinische  Unter- 
scheidungsmerkmale zwischen  erworbenen  und  ererbten  Geistes-  bezw.  Nerven 
Störungen.  Zappert. 

Über  familiäres  Auftreten  der  progressiven  Paralyse,    Von  Alexander  Mare. 
Alig.  Zeitschr.  f.  Psychiatrie.     61.  Bd.    5.  Heft. 

Die  heutzutage  fast  allgemein  —  ausser  von  der  Schule  Krafft-Ebings 
—  ausgesprochene  Annahme,  dass  progressive  Paralyse  durch  Syphilis  bedingt 
sei,  findet  in  vorliegender  Arbeit  eine  Gegnerschaft.  Verf.  stützt  dieselbe  auf 
das  Vorkommen  von  Paralyse  bei  mehreren  Generationen  einer  Familie.  Er 
hält  es  iür  wahrscheinlich,  dass  die  Paralyse  als  endogene  Geistesstörung 
auftreten  kann  und  dass  exogene  Ursachen,  als  welche  die  Syphilis  anzusehen 
wäre,  nicht  vorhanden  sein  müssen. 

Ob  die  Anhänger  der  Syphilisätiologie  der  Paralyse  alle  angeführten 
Fälle  als  progressive  Paralyse  gelten  lassen  werden,  muss  dahingestellt 
bleiben.  Ebenso  wird  der  Kinderarzt  wenigstens  dort,  wo  nur  zwei 
Generationen  befallen  werden,  den  Hinweis  auf  die  hereditäre  Syphilis  ver- 
missen. Zappert. 

Einiges   über  die   anatomischen   Grundlagen   der  Idiotie,    Von    Alzheimer. 
Centralbl.  f.  Nervenheilk.  und  Psychiatrie.     August  1904. 

Idiotie  ist  ein  Sammelbegriff,  unter  den  eine  Anzahl  von  krankhaften 
Zuständen  eingereiht  sind,  die  sowohl  ätiologisch  als  anatomisch  sich  unter- 
scheiden. Nur  bei  wenigen  Formen  der  Idiotie  ist  man,  wie  etwa  beim  Myx- 
ödem, imstande,  ein  ätiologisch  zweifelloses  Krankheitsbild  aufzustelleki,  meist 
wird  man  auf  die  Ergründung  der  ursächlichen  Momente  verzichten  und  sich 
einstweilen  damit  begnügen  müssen,    anatomisch   die  Grundlagen  der  Idiotie 


VIII.  Krankheiten  des  Nervensystems.  229 

zu  fixieren,  um  damit  einen  Ausgangspunkt  für  weitere  Studien  über  Ätiologie, 
Heredität  etc.  zu  gewinnen.  Eine  gut '  bekannte  Form  der  Idiotie  ist  die 
paralytische,  wenn  auch  bei  jugendlichen  Individuen  die  nAofpfropfang^ 
der  Paralyse  auf  angeborenen  Schwachsinn  nicht  selten  ist.  Von  der  Paralyse 
wären  anatomisch  auch  jene  F&lle  von  meningitischer  Idiotie  abza- 
grebzen,  die  wohl  auf  derselben  Grundlage  beruhen  durften,  aber  manchmal 
im  Verlauf  sowie  im  dem  anatomischen  Befunde  sich  von  diesem  Leiden 
unterscheiden.  Eine  wettere  gut  bekannte  Art  der  Idiotie  ist  die  aman- 
rotisch-e  Idiotie  kleiner  Kinder,  deren  sehr  charakteristischer  Abiauf  und 
eigentümlicher,  wenn  auch  noch  nicht  genügend  geklärter  anatomischer 
Befand  eine  Verwechselung  mit  anderen  Idiotieformen  aasschliessen  lässt. 
Als  besonderes  Krankheitsbild  wurde  die  hypertrophische  tuberöse 
Sklerose  angesehen,  bei  welcher  sich  unter  epileptischen  Anfällen  Be- 
wegungsstörungen, Idiotie,  ein  langsam  progredientes  Leiden  entwickelt 
und  anatomisch  derbe  Gliaanhäufungen  im  Gehirn  sich  vorfinden.  .Eine 
weitere  Gruppe  repräsentieren  jene  Fälle,  bei  denen  Herderkrankungen  im 
Gehirn,  namentlich  auf  Grund  frühzeitig  entstandener  Encephalitis,  eine 
Idiotie  bedingen.  Am  schwierigsten  abzugrenzen  sind  jene  Fälle  von  Idiotie, 
denen  eine  Entwicklungshemmung  des  Gehirns  zugrunde  liegen  soll. 
Die  früher  oft  ausgesprochene  Auffassung,  dass  es  sich  hierbei  um  ein  Ver- 
harren des  Gehirnes  auf  embryonaler  Stufe  handele,  dürfte  nach  genauen 
Untersuchungen  solcher  angeblich  fötalen  Idiotengehime  doch  nur  für  eine 
Minderzahl  von  Fällen  gelten.  Häufiger  sind  Veränderungen  an  den  Gehirnen 
vorhanden,  die  als  Reste  einer  alten  Erkrankung  anzusehen  sind.  Jedenfalls 
sind  diese  Gehirne  mit  geringen  oder  unklaren  Befunden  noch  weiterer 
Untersuchungen  wert,  um  die  hierher  gehörigen  Fälle  von  Idiotie  genauer 
zu  differenzieren.  Zappert. 

Über  CysHcerkeu   im  Gehirn   des   Menschen,     Von  Tsuneji  Sato.     Deutsche 

Zeitschr.  f.  Nervenheilk.     27.  Bd.     1.  und  2.  H. 

Auf  Grund  eigener  sowie  aus  der  Literatur  gesammelter  128  Fälle 
bringt  Verf.  eine  auch  für  den  Kinderarzt  interessante  Beschreibung  dieses 
Krankheitsbildes.  Die  aus  dem  Darminhalt  in  die  Pfortader  gelangenden 
Finnen  der  Taenia  solium  setzen  sich  nächst  der  Muskulatur  mit  Vorliebe  im 
Gehirn  an,  wo  bis  200  an  einem  Individuum  gefunden  wurden.  Sie  sollen 
nach  3 — 6  Jahren  absterben  und  pflegen  dann  zu  verkalken.  Oft  machen  sie 
keinerlei  Symptome  und  sind  ein  zufälliger  Sektionsbefund,  manchmal  er- 
zengen  sie  Epilepsie,  die  nicht  selten  mit  psychischen  Störungen  vereint  ist, 
nfeist  besteht  anfallsweiser  Kopfschmerz.  Verf.  sucht  klinisch  die  Fälle  von 
Cysticerken  an  den  Gehirnhäuten,  der  Hirnrinde,  an  den  Ventrikeln  und  an 
der  Gehirnbasis  zu  trennen.  Namentlich  der  Sitz  in  den  Ventrikeln  ist  be- 
denklich nnd  führt  manchmal  plötzlichen  Tod  herbei.  Die  Diagnose  ist  fast 
immer  anbestimmt  und  könnte  nur  auf  Grnnd  von  Cysticerkenbefunden  an 
anderen  Organen  gestutzt  werden.  Im  jugendlichen  Alter  ist  das  Leiden 
relativ  selten.  7appert. 

Über  familiäre  spastische  Paraplegie,     Von  L.  New  mark.    Deutsche  Zeitschr, 

f.  Nervenheilk.    27.  Bd.     1.  und  2.  H. 

,  Die  übergrosse  Kasuistik  familiärer  spastischer  Lähmungen  findet  iiy 
vorliegender  Arbeit  eine  interessante  Bereicherung.  Die  in  zwei  Familien 
beobachteten  Fälle  zeigten  den  Charakter  der  rein  spastischen  Paraplegie  ohne 


2lW  LiteratarberichU 

sensible  oder  cerebrale  Symptome.  Anatomisch  ergab  sich  in  einem  obdu- 
zierten Falle  eine  Degeneration  der  Gol Ischen  and  Pyramidenstränge,  die 
Verf.  als  endogen  auffasst,  sowie  eine  hy dropische  Quellang  in  den  Hinter- 
str&ngen,  welche  Verf.  für  sekundär  entstanden  h&lt  Die  Zellen  der  Clarke- 
echen  Säalen  sind  vermindert.  In  eingehender  Weise  bespricht  Verf.  die 
Beziehungen  dieser  F&Ue  zu  anderen  anatomischen  Befanden  bei  familiirer 
Paraplegie.  Zappe  rt. 

Ober  den  „Pseudo-Teianus'^  der  Kinder  und  seine  Beaiekungen  xum  Tetanus 
iranmaücus.  Von  M.  Pfaundler.  Monatsscbr.  f.  Kinderheiik.  1904. 
Bd.  3.    p.  198. 

Ein  lOjähriger  Knabe  erkrankte  4  Tage,  nachdem  ihm  ein  Kanalgitter 
auf  die  blossen  Fasse  gefallen  war,  unter  Hals-  und  Kopfschmerzen,  Kiefer- 
sperre, schliesslich  heftigen  Krampfan  fällen  mit  Strecken  der  Arme  und 
Beine.  Bei  der  darauf  erfolgten  Spitalsaufnahme  traten  in  kurzen  Zeit- 
interrallen  heftige  tonische  Krämpfe  auf,  die  etwa  20  Sekunden  dauerten. 
Betroffen  waren  insbesondors  die  Masseteren,  die  Nacken-  and  Rnckenmuskeln, 
die  Addnktoren  and  Strecker  der  unteren  Extremitäten;  in  etwas  geringerem 
Orade  manche  mimische  Muskeln  und  die  Bauchpresse;  nahezn  frei  waren 
die  Muskeln  der  oberen  Extremitäten,  die  äusseren  Augenmuskeln  und  das 
Zwerchfell.  Das  Schlucken  erfolgte  anstandslos:  das  Bewusstsein  war  voll- 
kommen erhalten.  Da  die  Möglichkeit  eines  traumatischen  Tetanus  bestand, 
wurde  die  Wunde  am  Fusse  lokal  behandelt  und  ausserdem  100  Einheiten 
Behrings  Tetanus-Antitoxin  subkutan  injiziert. 

Der  Zustand  bestand  nahezu  unverändert  14  Tage,  worauf  langsam  die 
Kontrakturen  nachliessen:  in  der  vierten  Woche  kehrte  die  normale  Be- 
weglichkeit der  einzelnen  Extremitäten  wieder. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  mitgeteilten  bakteriologischen 
Untersuchungen:  Im  Eiter  der  Wunde  und  im  kranken  Gewebe  konnten  trotz 
sorgfältiger  und  eingehender  Nachforschung  keine  Tetannsbazillen,  im  Blate 
auf  der  Höhe  der  Erkrankung  kein  überschüssiges  Tetannstoxin  und  4  Monate 
nach  Ablauf  der  Erkrankung  kein  überschüssiges  Tetanusantitoxin  nach- 
gewiesen werden. 

Trotzdem  neigt  Pf.  auf  Grund  der  klinischen  Beobachtung  zu  der  An 
nähme,  dass  der  „Pseudotetanus"  der  Kinder    dem  Tetanus  tranmaticus  ätio- 
logisch  sehr   nahe    steht  und  von  der  Gruppe  der  Tetanieerkrankungen  los- 
zulösen sei.  Schleissner. 

Un  cas  d*atrophie  musculaire  progressive  ckez  un  enfani  de  cinq  ans.  Von 
M.  L.  Barbonneix.  Archives  de  medecinc  des  cnfants.  Tome  7.  No.  6. 
Juin   1904. 

Die  eingehende  Analyse  eines  interessanten,  atypischen  Falles  von 
progressiver  Muskelatrophic  (seit  unbekannter  Zeit  bestehen  bei  dem  fünf 
jährigen  Knaben  Zeichen  fortschreitender  Muskelatrophie,  besonders  an  den 
kleinen  Muskeln  der  Hand,  aber  auch  angedeutet  an  Armen  und  Beinen; 
dabei  sind  alle  Sehnenreflexe  erhöht,  es  bestehen  anderweitige  trophische 
Störungen  und  Nystagmus;  Intellekt  normal,  keine  choreatischen  Bewegungen, 
keine  fibrillären  Zuckungen)  lässt  den  Verf.  zur  Annahme  gelangen,  dass 
dem  Krankheitsbilde  eine  disseminierte  Sklerose  (amyotrophischer  Typus) 
zugrunde  liege.  Pfaundler. 


IX.  Krankheiten  des  Auges,  des  Ohres  and  der  Nase  otc.  231 

IX.  Krankheiten  des  Ausres,  des  Ohres  und  der  Nase. 

SemerkmigeH  über  Häufigkeii  und  VerküHmg^  der  Biennarrkoea  tuonatorufH, 
Von  Winterst  ein  er.     Wiener  klin.  Wocheoschr.    No.  37.     1904. 

Unter  2483  aagenkranken  Kindern  fanden  sich  122  (5  pCt.)  blennor- 
rhoiaohe.  Nicht  bei  allen  hätte  das  G  rede  sehe  Verfahren  die •  Krankheit 
Terhindem  können;  denn  einerseits  brachten  zwei  Kinder  die  Krankheit  be- 
reits mit  auf  die  Welt,  andererseits  war  bei  40  Kindern  die  Blennorrhoe  erst 
nach  dem  5.  Tage  aafgetroten,  war  also  durch  Infektion  (durch  das  Lochial- 
Sekret)  nach  der  Geburt  zustande  gekommen.  Für  solche  Fälle  ist  natür- 
lich die  prophylaktische  Instillation  von  Silbernitrat  nutzlos;  die  Prophylaxe 
jnüsste  sich  auf  die  ganze  Zeit  des  Wochenbettes  erstrecken. 

Was  die  Therapie  anbelangt,  so  hat  sich  1 — Sstündliche  Ausspülung  des 
Bindehautsackes  mit  einer  hellweinroten  Kalium-hypermanganicum-Lösung, 
sowie  1 — 2 mal  täglich  zu  wiederholende  Tuschierung  der  Bindehaut  mit 
2proz.  Höllensteinlösung  vorzüglich  bewährt  Neurath. 


X.  Krankheiten  der  Respirationsorgane. 

/Fremdkörper  im  Sinus  pyri/ormis.  Von  G.  Singer.  Kinderheilkunde  1904. 
Der  4jährige  Knabe  schluckte  aus  Versehen  im  Wasser  eine  Nadel 
und  hat  seither  Schluckbeschwerden  und  blutig  schleimigen  Auswurf.  Die 
Nadel  war  um  ein  Geringes  tiefer  als  der  Kehlkopfeingang,  links  horizontal 
im  Sinns  pyriformis,  mit  dem  Kopfe  an  der  Basis  der  Epiglottis  anlehnend. 
Ein  Röntgenbild  machte  die  Lage  ersichtlich.  Extraktion  gelang  leicht  in 
Ohloroform-Narkose  mit  einer  krummen  Komzange.  Torday. 


XL  Krankheiten  der  Zirkulationsorgane. 
^ur  Lehre  von  den  angeborenen  Herzkrankheiten,  Von  Herrn.  Müller. 
Correspondenzbl.  f.  Schweizer  Arzte.  1904.  No.  12  und  13. 
Verf.  stellt  aus  seiner  eigenen  Beobachtung  9  Fälle  von  angeborener 
Lücke  der  Kammerscheidewand  zusammen,  einer  Diagnose,  die  er  mit 
•einer  Ausnahme  in  vivo  stellen  konnte,  und  erörtert  Diagnose  und  Prognose, 
wobei  er  im  wesentlichen  zu  übereinstimmender  Ansicht  mit  Henri  Roger 
kommt,  der  zuerst  das  klinische  Bild  der  Krankheit  scharf  gezeichnet  hat 
(Maladie  de  Roger).  Wesentlich  für  die  Diagnose  ist  vor  allem  der  Ans- 
kaltationsbefund:  ein  lautes,  eigentümlich  rauschendes  oder  brausendes,  lang- 
gezogenes Geräusch  ist  überall  über  dem  Herzen  im  ganzen  Verlauf  der 
Systole  hörbar,  oft  zugleich  mit  dem  systolischen  Ton,  der  besonders  deut- 
lich hervortritt,  wenn  das  Ohr  sich  ein  wenig  vom  Stethoskop  abhebt;  auch 
■auf  dem  Rücken  ist  das  Geräusch  hörbar,  besonders  deutlich  im  linken 
Interskapularraum.  Am  lautesten  hört  man  das  Geräusch,  und  das  ist  von 
grösster  diagnostischer  Wichtigkeit,  über  der  Herzmitte,  am  linken  Sternal- 
rand,  etwas  unterhalb  der  3.  Rippe,  da  wo  die  Projektionsstelle  der  Kammer- 
scheidewand und  die  Lücke  im  Septum  liegt.  Über  den  Stellen  dagegen, 
wo  man  die  Auskultation  der  verschiedenen  Klappen  vernimmt,  ist  das  Ge- 
räusch weniger  stark  als  an  der  oben  bezeichneten  Stelle  der  Herzmitte. 
In  den  meisten  Fällen  ist  gleichzeitig  ein  systolisches  Schwirren  an  der- 
selben Stelle  zu  fühlen.  Die  Perkussion  ergibt  nichts  Konstantes,  in  den 
späteren  Jahren  bildet  sich  bei  solchen  Kranken  mit  offenem  Kammerseptum 


232  Literatttrbericbt. 

meistens  eine  massige  YergrösseroDg  heraus.  Gyaoose,  Ödeme  oder  sonstig» 
Beschwerden  fehlen  meistens,  die  Prognose  ist  überhaupt  ziemliQh  gut;. 
Verf.  hat  mehrere  Kranke  jahrelang  in  seiner  Beobachtung,  darunter  eine 
Dame  von  28  Jahren,  die  bereits  geboren  bat.  Wesentlich  erleichtert  wird 
natürlich  die  Diagnose,  wenn  der  Patient  bald  nach  der  Geburt  zur.  Unter- 
suchung  kommt.  R.  Rosen. 

Ein  Fali  von   <iHgeborener  KomtnunikoHon   zwischen  Aorta   und  Arieria  pul-- 

monoHs  fnit gleichgeiüger  AneurysmMldung  des  gemeinschaßlicken  Sepiums, 

Von  Oberwinter.  Münch.  med.  Wochenschr.  No.  36.  1904. 
Es  handelte  sich  um  eine  aneurjsmatische  Ausbuchtung  der  der  Aorta 
und  Pulmonalis  gemeinschaftlichen  Wand  nach  der  Seite  der  Pulmonalis  hin^ 
an  deren  tiefster  Stelle  eine  Öffnung  Ton  Vi  cm  Durchmesser  eine  direkte 
Kommunikation  beider  Gefässe  vermittelt.  Obwohl  die  vorhandene  Kommuni- 
kationsöffnung als  kongenital  aufgefasst  werden  muss,  waren  irgend  welch» 
Symptome  während  des  40  jährigen  Bestehens  des  Vitiums  nicht  zu  eruieren.. 
Mitteilung  der  crhobcnon  klinischen  Daten  mit.  ausführlichem  Sektions- 
protokoli.  Misch. 

Üier  vier  Fälle  von  Herakomplikation  ( Bndocarditis)  Sei  epidemischer  Parotitis 

(Mumps).  Von  R u  d o  1  f  Ta t s c h  n  e r.    Wiener  med.  Wochenschr.    No.  31. 

1904. 
Die    Fälle    betrafen    vier    Geschwister.     Die    Herzkomplikation    wurde^ 
erst  längere  Zeit  nach  Ablauf  der  Parotitis  konstatiert.  Neurath. 

Idiopatkiscke    Pulsarhythmie   im    Kindesalter,      Demonstr.     von    Escherich. 

Mitteilungen    der  Gesellschaft    für  innere  Medizin   und  Kinderheilkunde.^ 

No.  11.     1904. 

Im  Anschluas  an  eiuen  demonstrierten  Fall  erörtert  £.  die  idiopathische 
Pulsarhjthmie,  die  ohne  sonstige  Symptome  bei  5 — r2jährigen  Kindern  vor- 
kommt und  später  verschwindet.  Meistens  lässt  sich  insofern  eine  abnorme 
Verschieblichkeit  der  oberen  Grenze  der  absoluten  Herzdämpfung  und  des 
Spitzenstosses  nachweisen,  als  erstere  beim  Übergang  vom  Stehen  zum  Liegen 
aus  der  Höhe  des  oberen  Randes  der  4.  Rippe  zum  unteren  Rand  der  5.  Rippe 
und  letztere  vom  4.  Interkostalraum  hinter  die  5.  Rippe  sich  verschiebt. 

Neurath. 
ÜSer  die  Hersarhythmie  der  Rekonvalessenten     Von  S.  Salaghi.  Monatsschr. 

f.  Kinderheilk.     Bd.  IlT.     1904.     p.  1. 
Die    Details    der    Arbeit,    der    zahlreiche   Pulskurven    beigefügt   sindr 
müssen  im  Original  eingesehen  werden.  Schleissner. 

XII.  Krankheiten  der  Verdauungsorgane. 

Taenia   cucumerina    bei  einem  Kinde,     Von  B.  Freriks  und  C.  W.  Broers. 
Weekblad  Nederl.  Tijdschrift  voor  Geneeskunde.     No.  1.     II.     1904. 
Kasuistische    Mitteilung.      Das    zweijährige    Kind    war    wahrscheinlich 
vom    Haushuude,    der    auch    eiue    Taenia    cucumerina    beherbergte,    infiziert 
worden. 

Der  Parasit  kommt  beim  Menschen  nur  ausnahmsweise  vor.  Im  ganzen 
fiudet  man  in  der  Literatur  etwa  25  Fälle. 

Cornelia  de  Lange -Amsterdam. 
Durch  B,  coli  hervorgerufene  Appetidicitis,   Von  Schwoner.    Demonstr.  Mitt^ 
der  Gesellsch.  f.  inn.  Med.  n.  Kinderheilk.  in  Wien.     No.  11.     1904. 
Der  Fall,    ein  12 jähriges  Mädchen  betreffend,  setzte  unter  fieberhafter 


XII.  Krankheiten  der  Verdaliungsorgane.  23$ 

Angina  ein  and  entwierkeite  sich  ssum  vollen  Bilde  der  Appendicitis. 
Der  nach  der  Operation  antersuohte  Appendix  zeigte  von  aussen  normalen 
Befand,  bakteriologisch  und  histologisch  ergab  sich  B.  coli  in  und  nnter  der 
Mocosa  als  Erreger;  eine  Darch Wanderung  der  Darmschichten  hatte  nicht 
stattgefunden.  Bs  müssen  daher  die  Toxine  den  entzündlichen  Reiz  gesetzt 
haben.  Nearath. 

Über  die  akute  DarminvagifuUum  im  Kindesalier.  Von  S.  Kreide!.  Die- 
Heilkunde.    Sept.  1904. 

Die  Diagnose  der  akuten  Invagination  ist  leicht,  schwerer  der  Befund 
des  Tumors.  Die  Prädilektionsstellen  Flexur,  Rectum,  Coecum,  die  drei 
Colonstrecken.  Naturheilung  durch  Abstossung  ist  im  1.  Lebensjahre  nur  in. 
2  pCt.,  vom  2. — 5.  in  6  pGt.  der  Fälle  beobachtet  worden.  Daraus  ergibt  sich 
die  Dringlichkeit  der  Behandlung.  Die  Operationsprognose  ist  schlecht  für 
Kinder,  noch  schlechter  aber  bei  zu  langem  Zuwarten  (über  24  Stunden),, 
namentlich  ist  hier  der  postoperative  Shok  zu  fürchten.  Luft-  und  Wasser- 
einblasungen sind  von  wenig  Nutzen.  Von  12  Fällen  (10  im  ersten  Lebens- 
jahre, 2  wenig  darüber)  wurden  9  operiert  (genesen  1),  3  nicht  (genesen  1),. 
ein  Todesfall  erfolgte  an  Perforation,  9  im  Gollaps.  Spiegel b erg. 

Über  einen  Fall  von  Laennecscher  Leber-Cirrhose  bei  einem  13 jährigen  Knaben, 
Von  J.  F.  Ph.  Hers.  Weekblad.  Nederl.  Tijdschrift  voor  Geneeskunde. 
No.  6.     n.     1904. 

Unter  den  Augen  Verfassers  entwickelte  sich  das  klassische  Bild  der 
L.^8chen  Girrhose.  Im  Anfang  war  die  Leber  gross,  glatt  mit  scharfem  Rande, 
die  Milz  aber  nicht  vergrössert.  Allmählich  vergrössert  sich  die  Milz,  ea 
erscheint  ein  starker  Ascites,  die  Bauchvenen  erweitern  sich,  die  Leber  wird 
kleiner  mit  höckriger  Oberfläche.  Ikterus  hat  immer  gefehlt.  Der  Knab» 
war  während  1^«  Jahre  unter  Verfassers  Beobachtung;  im  ersten  Jahre  fühlte 
er  sich  subjektiv  sehr  wohl.  Der  Exitus  letalis  erfolgte  unter  dem  Bilde  tiefster 
Erschöpfung,  nachdem  der  Ascites  6  mal  punktiert  worden  war.  Keir» 
Abusus  spirituosorum  in  der  Anamnese. 

Gornelia  de  Lange- Amsterdam. 
Ein  Beitrag  sur  Kenntnis  der  primären  Peritonitis  im  Säuglingsalter.  Von 
E.  Do  bei  i.  Gorrespondenzblatt  für  Schweizer  Ärzte.  1904.  No.  14. 
Es  wird  die  Krankengeschichte  eines  11  wöchigen,  männlichen  Kindes 
mitgeteilt,  das  an  Peritonitis  erkrankte  und  nach  wenigen  Tagen  starb; 
die  Sektion  ergab  allgemeine  eitrige  Peritonitis  ohne  irgend  welche  besondere 
Herderkran kung,  speziell  Wurmfortsatz,  ebenso  Nabel  normal;  Magendarm- 
kanal ohne  Besonderheiten.  Die  bakteriologische  Untersuchung  des  Eiter» 
ergab  nur  Streptokokken.  Verf.  ist  der  Meinung,  dass  als  wahrscheinliche 
Eintrittspforte  des  Virus  die  Darmschleimhaut  anzusehen  ist,  die  im  Säuglings- 
alter für  Bakterveu  leicht  durchgängig  ist.  Das  Kind  hatte  schon  vor  der 
ärztlichen  Beobachtung  nach  Angaben  der  Mutter  an  Magendarmstörungen 
gelitten.  R.  Rosen. 

XIU.  Krankheiten Mer  Harn-  und  Gesehleehtsorgrane. 

Ober    die    Beekscke    Methode    der    ffypospadieoperation.      Von    Bottiche r. 
Deutsch,  med.  Wochenschr.     No.  36.     1904. 
Das  Prinzip  derBeckschen  Methode  besteht  in  Freipräparierung  und 
Vorwärtsdislozierung  der  Urethra;    sie  ergibt  so   gute  Endresultate,  dass  sie 


234  Liuratarbericht. 

aJle  anderen  für  die  Hypoapadie  empfohlenen  Methoden  entbehrlich  macht; 
sie  kann  schon  in  den  ersten  Lebensmonaten  der  Kinder  gUniende 
Resnltate  liefern;  doch  ist  es  in  der  Giessener  Klinik  die  Regel,  die  Kinder 
«rst  im  dritten  Lebensjahr,  als  unterer  Altersgrenze,  za  operieren. 

Misch. 
Ein  typischer  Fali  von  MenstruaHo  praecox.    Von  Adolf  Stein.     Deutsch, 
med.  Wochenschr.    No.  35.     1904. 
Vierzehn  Monate    altes   Mädchen,    bei    dem    seit  dem    sechsten  Monat 
Tierwöchentliche    Blutungen    beobachtet   werden.    Beide  Mammae    als  Fett- 
brüste  entwickelt:  Genitalien  gross  und  behaart.     Mit  Abbildung. 

Misch. 
Mensiruaiio  praecox  und Ovarialsarkom,  Von  Hermann  Riedl.  Wiener  klin. 
Wochenschr.  No.  35.  1904. 
Der  Fall  betraf  ein  4  jähriges  Mädchen  mit  regelmässiger  4  monat- 
licher Menstruation  und  allen  körperlichen  Symptomen  der  Reife.  Ein  vom 
linken  Ovarinm  ausgehendes  medulläres  Rundzellensarkom  mit  Erweichungs- 
zyston  wurde  per  Inparotomiam  entfernt.     Nach  vier  Monatcu  Rezidive. 

Neurath. 

XIV.  Krankheiten  der  Haut. 
Vmügo  Sei  einem    drei  Tage  alten  Neugeborenen.    Von  P.  W.  Schukowski. 
Monatsschr.  f.  Kinderheilkunde.     1904.     Bd.  III,  p.  68. 

Bei  einem  kräftigen,  neugeborenen  Mädchen  bemerkte  Seh.  am  dritten 
Lebenstage  10  bis  12  Flecke,  die  über  die  obere  Körperbälfte  zerstreut 
waren,  in  hohem  Masse  an  typische  Vitiligoflecke  erinnerten  und  sich  von 
diesen  letzteren  nur  dadurch  unterschieden,  dass  sie  nicht  hellweiss  oder 
silberfarben,  sondern  gelblich  waren,  und  zwar  infolge  des  bestehenden 
Icterus  neonatornm;  auf  dem  dunkelroten  Untergrunde  traten  die  Flecke 
ausserordentlich  deutlich  hervor,  besonders  beim  Schreien  des  Kindes.  Ob 
die  Flecke  schon  bei  der  Geburt  bestanden,  oder  erst  am  zweiten  Lebens- 
tage plötzlich  auftraten,  lässt  sich,  da  das  Kind  vorher  nicht  genau  unter 
sucht  wurde,  nicht  entscheiden.  Im  Alter  von  11  Monaten  zeigten  sich  die 
Flecke  typisch  milch  weiss.  Schleissner. 

Ein  Versuch,  die  Frequenz  von  Favus  capitis,  Trichophytia  capitis  und  Mikro- 
sporie bei  Schulkindern  au  beschränken.  Von  J.  A.  van  der  Wijk. 
Weekblad  Nederl.  Tijdschrift  voor  Geneeskunde.    No.  17.     I.     1904. 

Nach  Verfassers  Untersuchungen  gab  es  in  Amsterdam  im  Jahre  1901 
mindestens  1000  Kinder  mit  Favus.  Bei  diesen  wurden  nur  6  bis  7  pCt. 
Heilungen  erreicht. 

1903  hat  die  Stadt  Amsterdam  unter  Leitung  van  der  Wijks  eine 
gut  eingerichtete  Favuspoliklinik  eröffnet. 

Die  Diagnose  der  Pilzkrankheiten  wurde  stets  makroskopisch  und 
mikroskopisch  gestellt.  Die  Kinder,  welche  unter  poliklinischer  Behandlung 
standen,  durften  nur  mit  einem  gut  abschliessenden  Kopfverbande  die  Schule 
besuchen. 

Vom  15.  Februar  bis  15.  Dezember  1908  wurden  eingeschrieben 
305  Favuspatienten,  bei  welchen  in  60  bis  80  pCt.  die  Heilang  erreicht 
wurde  nach  einer  Behandlung  von  8  bis  10  Monaten.  Die  kürzeste  Dauer 
einer  Behandlung,  in  welcher  die  Heilung  gelang,  war  2  Monate.  Die 
mittlere  Zahl  der  Konsultationen  für  jedes  Kind  bis  zur  Heilung  betrug  43. 

Der    Fortschritt    gegen    früher    ist    schon    bedeutend,    aber   Verfasser 


XIV.  Krankheiten  der  Haat.  235 

wönseht  die  Errichtang  Ton  noch  mehreren  Favaspolikliniken  ao  anderen  Orten 
der  Stadt  and  von  einer  FaTusschale  im  Sinne  der  „Ecole  Lailier**  in  Paris. 

Cornelia  de  Lange -Amsterdam. 
Oh4r  Hauidipkikerien  im  KUuLesalUr.    Von  Emerich  Adler.    Wiener  med. 
Wochenschr.    No.  25  ff. 

Unter  Hautdiphtherien  sind  alle  aaf  der  äusseren  Haut  auftretenden 
entzündlichen  Affektionen  zu  verstehen,  die  durch  Diphtheriebazilleu  und 
deren  Produkte  hervorgerufen  werden.  Sie  können  als  echte  Diphtherie  auf 
der  Haut  entstanden  oder  von  benachbarten  Schleimhäuten  her  fortgeleitet 
sein.    Verf.  bringt  vier  selbst  beobachtete  Fälle. 

Als  primäre  Hautdiphtherie  wären  die  Fälle  zu  bezeichnen,  in  denen 
ausser  der  typischen  Hautaffektion  keine  anderen,  mit  Schleimhaut  bekleideten 
Organe  an  Diphtherie  erkrankt  sind,  eine  nicht  immer  leichte  Konstatierung. 
Die  , echten"  Hautdiphtherien  können  primäre  oder  sekundäre  sein,  die  ,fort- 
geleiteten**  sind  immer  sekundäre  Erkrankungen. 

Die  Übertragung  der  Diphtheriebazillen  auf  die  Hautober fläche  kaun 
erfolgen:  durch  Autoinoknlation,  durch  Übertragung  von  leblosen  Gegen- 
ständen mittelst  direkter  Kontaktwirkung,  endlich  durch  Übertragung  von 
Individuum  zu  Individuum.  Je  nach  dem  Alter  des  betr.  Patienten  kommt 
bald  der  eine,  bald  der  andere  Modus  in  Betracht. 

Die  Autoinokulation  kommt  am  häufigsten  im  Säuglingsalter  und  in 
den  ersten  Lebensjahren  zur  Beobachtung. 

Klinische  Erfahrungen  und  Tierezperimente  berechtigen  zu  folgenden 
Scb  lassen: 

Die  Hautdiphtherien  sind  spezifische  Erkrankungen,  hervorgerufen 
durch  die  Klebs-Loefflerschen  Diphtberiebazillen  und  deren  Stoffwechsel- 
produkte. Nur  diejenigen  Erkrankungen  der  Haut,  wo  nebst  dem  klinischen 
Bilde  auch  echte  Diphtheriebazillen  nachgewiesen  werden,  können  als  Haut- 
diphtherien bezeichnet  werden;  die  Hautdiphtherien  können  auch  als  idio- 
pathische Erkrankungen  auf  intakter  Huutoberfiäche  entstehen,  obwohl  in  den 
meisten  Fällen  eine  krankhaft  veränderte  Haut  (Kontinuitutbstörungen, 
Wunden,  Ekzeme,  Impfpusteln  etc.)  den  Boden  zur  Entstehung  von  Haut- 
diphtherien abgibt;  da  Bakterientoxine  von  der  Haut  aus  resorbiert  werden, 
so  können  auch  bei  primären  Hautdiphtherien  ohne  Mitbetoiligung  der 
Schleimhäute  als  Folgeerscheinungen  postdiphtheritische  Lähmungen  auf- 
treten, und  infolge  von  Herzlähmung  der  Tod.  Es  sind  daher  alle  Fälle  von 
Hantdiphtherie  rechtzeitig  mit  Diphtherieheilscrum  zu  behandeln. 

Neurath. 
Liehen   des   scrofuleux   ( Tuberculides   cutaneesj.     Von  J.  Comby.     Archives 
de  medecine  des  enfants.     Tome  7.     No.  4.     April  1904. 

C.  beschreibt  an  der  Hand  von  5  Fällen  eigener  Beobachtung  die  im 
Titel  genannte  Affektion.  Der  Liehen  scrophulosorum  ist  der  Kindheit  eigen- 
tümlich. Er  tritt  bei  Kindern  mit  älteren  latenten  Tnberkuloseherden  auf, 
wenn  irgendwelcher  interkurrente  Infekt  —  sehr  häufig  handelt  es  sich  um 
Masern,  seltener  um  Keuchhusten  —  den  Anstoss  zu  neuerlicher  Propagation 
des  Prozesses  gegeben  hat.  Auf  Grund  vereiuzelter  positiver  Befunde 
(Hauahalter)  und  des  anatomischen  Bildes  hält  C.  die  Lichen-Effioreszensen 
für  echte  Hauttaberkel,  deren  bazilläre  Natur  nicht  mehr  anzuzweifeln 
sei.  Der  Liehen  scrophulosorum  entsteht  zumeist  plötzlich  in  einem  oder 
mehreren  Schüben.  Die  Krankheit  setzt  keine  subjektiven  Erscheinungen 
und    wird    daher    meist    zufällig    entdeckt.       Man    findet    an    den    Extremi- 


236  Literaturbeficht. 

täten  oder  im  Gesichte  kleine,  stark  pigmentierte,  rötliche  oder  schwärzliche, 
rnnde  oder  ovale,  etwas  vorragende,  zumeist  isolierte,  manchmal  gruppierte 
papuläre  Effloreszenzen.  Dieselben  sind  teils  mehr  flach,  teils  konisch,  be- 
deckt von  einem  Itrüstchen,  einem  verhornten  Knöpfchen  oder  einem  rasch 
austrocknenden  Bläschen.  Die  Eruption  kann  durch  Monate  bestehen  bleiben. 
Die  Effloreszenzen  sind  der  spontanen  spurlosen  Rückbildung  fähig;  Rezidiv» 
werden  häufig  gesehen.  An  den  unteren  Extremitäten  Werden  die  Knötchen 
bei  nicht  bettlägerigen  Kranken  häufig  hämorrhagisch.  Die  Prognose  des 
Liehen  scrophulosorum  als  solchen  ist  günstig.  C.  wendet  örtlich  Ichthyol- 
Vaselin  (lOproz.)  an  und  legt  im  übrigen  den  Hanptwert  auf  die  Behandlung 
des  zugrundeliegenden  Allgemcinleidens. 

Pfaundler. 

De  lä  dermatiU  kerpeüforme  de  Duhring-Brocq  chez  i*en/aut.  Von  J.  Halle. 
Archives  de  medecine  des  enfants.     Tome  7.    No.  7.    Jnli  1904. 

Auf  Grund  persönlicher  Erfahrungen  und  Studien  der  einschlägigen 
Literatur  beschreibt  der  Verf.  die  im  Titel  genannte,  in  der  ganzen  Kindheit, 
zumal  jenseits  des  3.  Lebensjahres  allenthalben  ziemlich  häufige,  niemals 
angeborene,  mitunter  aber  familiär  auftretende  Dermatose.  Sie  wird  ins- 
besondere bei  neuropathischen  Individuen  oder  Belasteten  angetroffen,  nicht 
selten  bald  nach  dem  Überstehen  eines  Infektes  (z.B.  des  Vaccinationsprozesses). 

Im  Beginne  zeigen  sich  schmerzhafte,  erythematöse,  urticaria-ähnliche 
Papeln  oder  Blasen  mit  klarem  Inhalte  an  verschiedenen  Körperstellen 
(Vorderarmen, Händen, Füssen, Unterleib,  Gesicht, mitunter  auch  auf  den  Schleim- 
häuten von  Mund,  Nase,  Bindehaut  und  Scheide).  Die  Eruption  ist  aus- 
gesprochen polymorph  und  erfolgt  in  Schüben  oder  Anfällen.  Die  genannten 
primären  Effloreszenzen  wandeln  sich  weiterhin  in  Pusteln,  Schuppen,  Pigment- 
flecke,  Narben  etc.  um.  Begleit-  und  Folgeerscheinungen  sind  Erysipel,^ 
Abszesse,  Furunkel.  Von  subjektiven  und  Allgeniein-Erscheinungen  nennt 
Verf.  Jucken,  brennende  Schmerzen  der  Haut,  Erbrechen,  Abführen,  Fieber, 
Hypazoturie,  Albuminurie,  Asthma.  Asthma  und  Bronchitiden,  sowie  nervöse 
Erscheinungen  verschiedener  Natur  scheinen  aber  auch  gewissermassen  als 
Äquivalente  der  Anfälle  und  mit  diesen  alternierend  aufzutreten.  Der  Verlauf 
der  Krankheit  ist  ein  intermittierender,  ihre  Dauer  ist  meist  eine  sehr  lange. 
Sehr  selten  kommt  die  Erkrankung  im  Kindesalter,  manchmal  in  der  Pubertät 
zur  Ausheilung.  Die  aufeinanderfolgenden  Anfalle  nehmen  in  solchen  Fällen 
successiv  an  Intensität  ab.  Selten  führt  die  Krankheit  zum  Tode  bei  ausser- 
ordentlich schweren  Hautlusionen  oder  auf  dem  Wege  einer  eigenartigen 
Kachexie.  Interkurrente  Krankheiten  (wie  z.  B.  Masern)  scheinen  auf  den 
Verlauf  oft  günstig  einzuwirken. 

Was  die  Pathogenese  betrifft,  so  hat  man  die  bakterielle  Theorie  auf- 
gegeben, vermag  die  nervöse  Theorie  nicht  zu  stützen  und  neigt  heute  meist 
zur  Annahme  eines  toxischen  Ursprunges  der  Erkrankung  (Analogie  mit 
gewissen  medikamentösen  Intoxikationen). 

Die  Diagnose  wird  gemacht  auf  Grund  der  Beobachtung  der  äuilserst 
polymorphen  Hauterscheinungen,  der  begleitenden  Schmerzen,  des  anfalls- 
weisen Auftretens  und  der  langen  Dauer  der  Erkrankung.  Im  einzelnen  An- 
falle kommen  differential-diagnostisch  in  Betracht:  Skabies,  Prurigo,  Varicellen, 
Pemphigus,  medikamentöse  Ausschläge  (Jod,  Brom),  Urticaria,  insbesondere 
aber  gewisse  polymorphe,  blasige  Erytheme. 

Therapie:  Bäder,  einfache  Salben,  Brandliniment,  Puder.  Im  übrigen 
allgemeine  hygienische  Massnahmen.  Pfaundler. 


XV.  Krankheiten  der  Bewegungsorgane.     Verletzungen.  237 

XV.  Krankheiten  der  Bewegangsorgane.    Verletzungen. 
Chlrargisehe  Krankheiten. 

Ober  die  Fortsckriiie   in   der  Behandlung  schwerer  Kinderlähmung  und  ihrer 

Folgesustände,     Von    0.    Vulpius.     Monatsschr.    f.    Kinderbeilk.      1904. 

Bd.  3.    p.  193. 

Der   Vortrag    bespricht    die    Leistungsfähigkeit    der   Arthrodese    und 

Sehnenplastik    bei    ausgedehnten  Lähmungen.     Vier  Illustrationen  zeigen  die 

erhaltenen  schönen  Resultate  der  Operationen  bei  schweren  Fällen. 

Schleissner. 

XVI.  Hygiene.    Statistik. 

Vorläufige    Mitteilung  über   die   Impfung   unter    rotem    Lichte,      Von    Hugo 

Goldmann.  Wiener  klin.  Wochenschr.  No.  36.  1904. 
Die  Impfungen  wurden  in  einer  photographischen  Dunkelkammer  bei 
Rotlichtlampe  yorgenommen,  und  die  Impfstellen  sofort  unter  Einlegung  von 
lichtempfindlichem  Papier  (zur  Kontrolle)  mit  dichten  roten  Binden  ver- 
banden. Von  40  Kindern  wurden  20  unter  Kotlicht  geimpft  und  bis  zu  drei 
Wochen  mit  dem  uneröffneten  Verbände  belassen.  Bei  zehn  wurde  ein  Arm 
unter  Rotlicht,  der  andere  bei  Tageslicht  geimpft,  bei  fünf  Kindern  blieb 
der  Rotiichtverband  nur  zwei  Tage  liegen,  bei  fünf  Kindern  wurde  erst  drei 
Tage  nach  der  Impfung  der  Verband  angelegt. 

Bei  unter  Rotlichtverband  gehaltenen  Impfpusteln,  sei  e«,  dass  der 
Verband  sofort  oder  erst  nach  drei  Tagen  angelegt  wurde,  Hessen  sich  alle 
entzündlichen  Erscheinungen,  Eitrigwerden  des  Inhaltes,  Schwellung  and 
Rötung  des  Armes,  Drüsenschwellung  vermissen.  Wenn  jedoch  einige  Tage 
nach  der  Impfang  der  Verband  entfernt  wurde,  Hess  sich  keine  Änderung 
des  gewöhnlichen  Impfverlaufs  konstatieren.  Die  Rotlichtimpfung  hatte,  wie 
Kontrollimpfungen,  nach  wenigen  Wochen  vorgenommen,  zeigten,  eine  voll- 
ständige Immunisierung  im  Gefolge.  Neurath. 
^ur    ^Impfung    unter    rotem    Lichte".      Von    Gustav    Hay.      Wiener    klin. 

Wochenschr.     No.  38.     1904. 
Autor   bezweifelt   die  Wirksamkeit    der  unter   rotem  Lichte  gesetzten 
Impfpusteln    und    sieht    gerade    in    der  Reaktionslosigkeit    der    Pusteln    den 
Beweis  für  die  mangelhafte  oder  nur   vorübergehende  Immunität. 

Neurath. 
Theorie   und   Praxis   der   Karenz    des  Schulbesuches   nach  akuten  InfekÜoms- 

kränkkeUen,     Von  Rudolf  Fi  seh  1.     Monatsschr.  f.  Kinderheilkunde.    1904. 

Bd.  III,  p.  105. 
Die  bisherigen  Massnahmen  zur  Verhütung  der  Weiterverbreitung  der 
Infektionskrankheiten  in  der  Schule  sind  nicht  absolut  ausreichend,  selbst 
wenn  die  verschiedenen  Verordnungen,  welche  die  Wiederaufnahme  der 
Schaler  nach  überstandener  Infektionskrankheit  regeln  sollen,  eingehalten 
werden.  In  praxi  aber  wird  nicht  immer  mit  der  erforderlichen  Strenge 
vorgegangen,  so  dass  viele  Kinder  noch  infektionstüchtig  die  Schule  wieder 
besuchen.  F.  zeigt  an  anschaulichen  Tabellen  für  eine  Prager  Schule  das 
Verhalten  für  die  einzelnen  Krankheiten ;  danach  nimmt  mehr  als  die 
Hälfte  der  Schüler  am  Unterrichte  wieder  teil  zu  einer  Zeit,  da  die 
Infektiosität  noch  nicht  erloschen  ist.  F.  fordert  gegen  diesen  Übelstand 
•entschiedene  Massnahmen:  Regelung  der  Karenztermine  und  strenge  Ein- 
haltung derselben;  bei  jedem  Erkrankungsfall  eine  ärztliche  Bescheinigung 
über  die  Art  der  Erkrankung.  Schleissner. 


Besprechungen. 


Sehmidt,  H-  B.,  Kompendium  der  RdnigeHikerapU,    Berlio.    1904.    Hirachwald. 

Eine  kurz  und  popnUr  gehaltene,  übersichtliche,  auch  die  neuesten 
Errangenschaftea  der  Technik  berücksichtigende  Darstellung  desSöntgen- 
instramentarinms,  seiner  Handhabung  nnd  der  sieh  daraus  ergebenden 
Pachansdröcke  bildet  die  erste  H&lfte  des  kleinen,  lesenswerten  Bnches. 

Der  zweite,  gleich  umfangreiche  Teil  gibt  zunächst  einen  kurzen 
Überblick  über  den  Entwicklungsgang  der  Röntgentherapie.  Dem  an- 
fönglichen  Enthusiasmus  über  die  allgemeine  Anwendbarkeit  der  Röntgen- 
strahlen zu  therapeutischen  Zwecken  folgte  die  ernächtemde  Einschränkung 
auf  ein  engumgrenztes  Gebiet,  gemäss  der  selektiven  Wirkung  des  Röntgen- 
lichtes  auf  bestimmte  zellige  Gebilde. 

Eine  eingehende  Schilderung  erßihrt  dann  die  Röntgendermatitis 
in  ihrer  akuten  nnd  chronischen  Form  mit  deren  yerschiedenen  Stadien; 
wenn  dieselbe  bei  den  heutigen  Schutzvorrichtungen  auch  seltener  als  an- 
fangs beobachtet  wird,  so  verdient  sie  schon  deshalb  eine  besondere 
Würdigung,  weil  sie  der  Ausgangspunkt  f&r  die  rein  empirische  Methode 
der  Röntgentherapie  wurde  und  bei  falscher  Anwendung  derselben  auch 
heute  noch  entstehen  kann. 

Der  Behandlungsmethode  ist  naturgemäss  ein  grosser  Teil  dieses 
Abschnitts  eingeräumt;. die  beiden  Methoden  der  täglichen  Bestrahlung  mit 
wenig  wirksamen  und  der  seltenen  Bestrahlung  mit  wirksamen  Röhren 
werden  kritisch  gegeneinander  abgewogen,  letzterer  der  Vorzug  gegeben 
und  die  eyentuellen  Schädigungen  bei  zu  langer  Exposition  eingehend  be- 
sprochen; wenn  man  hier  sieht,  welche  Unmenge  von  Faktoren  (Qualität, 
Quantität  des  Lichtes  —  Dauer  und  Stärke  der  Belichtung  —  Art,  Stellung 
und  Entfernung  der  Röhre  —  Schutzvorrichtungen)  erwogen  werden  müssen^ 
um  den  erwünschten  therapeutischen  Effekt  —  nicht  mehr  nnd  nicht 
weniger  —  zu  erzielen,  so  teilt  man  die  Ansicht  Lessers  in  dem  Vorwort 
zn  vorliegendem  W^erkchen,  dass  dieses  Gebiet,  da  es  eine  ungemein  ge- 
naue Beherrschung  der  Technik  erfordert,  nur  in  den  Händen  des  geübten 
Spezialisten  segenbringend  wirken  kann.  Ja,  selbst  diesem  kann  das 
tückische  Röntgenlicht  mitunter  ein  Schnippchen  schlagen,  weswegen  eine 
vorherige  Benachrichtigung  des  Patienten  über  eventuelle  kleine  Haut- 
verändernngen  angeraten  wird. 

In  einem  letzten  Abschnitt  werden  die  Indikationen  für  die  An- 
wendung des  Köntgenlichtes  bei  den  verschiedenen  Krankheiten  gegeben 
Neben  den  Erkrankungen  des  Haarbodens  (Favus,  Sjkosis,  Trichophytie, 
Hjpertrichosis)  sind  es  hauptsächlich  die  bösartigen  epithelialen  Gebilde 
welche  unser  Interesse  in  Anspruch  nehmen.     Leider   hilft  das  Röntgenlicht 


Besprechangeo.  239 

bis  jetzt  nur  bei  oberflächlichen  Carcinomen,  bei  Lapas  ist  die  angenehmere 
Finsenbehandlang  vorzuziehen,  und  bei  Sarkomen  ist  es,  gemäss  der  geringen 
Affinität    zu    den    bindegewebigen   Elementen,    leider    ganz    erfolglos.     Die 
neueste  Anwendnng   bei  inneren  Krankheiten  (Leukämie,    Hodentuberkulose 
wird  zum  Schlnss  nur  ganz  kurz  gestreift. 

Anfänger  wie  auch  Eingeweihte  dürften  nicht  bereuen,  diesem 
Werkohen  einige  Augenblicke  gewidmet  zu  haben. 

A.  H.  Kettner- Berlin. 

NoMeoarty  P.,  Les  infectUms  digesiifoes  des  naurrissons.  Medecine  pratique. 
I.  Teil.     Paris.     1904.     A.  Joanin  &  Cie. 

Das  kleine,  handliche,  210  Seiten  umfassende  Werkchen  ist  der 
1.  Teil  einer  Serie,  die  unter  dem  Namen  von  Prof.  Hut  ine  1  herausgegeben 
und  in  der  Absicht  geschrieben  ist,  in  klarer  and  präziser  Weise  das  zu- 
sammenzufassen, was  man  in  den  einzelnen  Krankheitsgebieten  heute  weiss.. 
Die  einzelnen  Autoren  gehen  dabei  von  wesentlich  praktischen  Gesichts- 
punkten aus.  Das  ganze  Werk  soll  nach  seiner  Vollendung  ca.  52  Bände 
umfassen. 

In  einer  Einleitung  gibt  N.  eine  kurze  Übersicht  über  die  Entwicklung 
der  modernen  Lehre  von  den  Magen-Darmstörungen  der  Säuglinge  und 
eine  Statistik  über  die  Mortalität  der  Säuglinge  in  Frankreich  bei  Darm- 
erkranknngen,  woraus  hervorgeht,  dass  die  Sterblichkeit  gegen  fAiher  fast  die- 
selbe geblieben  ist.  Die  Ursachen  dieser  entmutigenden  Erscheinung  findet  K. 
hauptsächlich  in  der  noch  viel  zu  wenig  verbreiteten  Kenntnis  der  Er- 
nährnogsprinzipien  und  der  Behandlung  der  Verdauungsstörungen,  und  or 
sieht  den  Beweis  hierfür  in  den  guten  Resultaten  der  Krippen  und  ver- 
schiedener Säuglingspolikliniken.  —  Hierin  wird  man  dem  Verf.  gerne  bei- 
stimmen, wenn  auch  ohne  Zweifel  noch  andere  Faktoren  hier  mitspielen 
(bjgienische  Zustände  verschiedenster  Art,  Abnahme  des  Stillens  in  den 
grösseren  Städten,  erhöhte  Disposition  auf  hereditärer  Basis  etc.). 

In  folgenden  Kapiteln  spricht  Verf.  über  die  Disposition  der  Säuglinge 
zu  den  Verdauungskrankheiten  und  den  Apparat  chemisch-physikalischer 
Schatzmittel,  über  welche  der  Organismus  des  Säuglings  verfügt  (Chemismus 
der  Verdauung,  Mechanismus  der  Drüsentätigkeit  und  Einfluss  des  Reaktions- 
modus der  Gewebsarten  und  Säfte  auf  die  Widerstandsfähigkeit  des  Magen- 
Darmkanals). 

Daran  anschliessend  werden  die  phjsiologischeu  und  pathologischen 
Darmmikroben  ausführlicher  in  gesonderten  Abschnitten  behandelt.  Hier 
sei  kurz  N.'s  Stellungnahme  zur  Bedeutung  des  Coli-Bazillus  des  Interesse» 
halber  wiedergegeben.  Er  schreibt  am  Schluss:  „Keine  der  bakteriologischen 
Untersuchungsmethoden  erlaubt  uns  zur  Zeit,  die  Rolle  der  Golibazillen  in 
der  Genese  der  Magen-Darminfektionen  sicher  zu  stellen.  Gleichwohl 
glauben  wir,  dass  ihre  Mitwirkung  nicht  absolut  von  der  Hand  zu  weisen 
ist  und  dass,  wenn  der  Beweis  dafür  nicht  erbracht  ist,  sie  dennoch  wie 
andere  Keime  im  Darm  beteiligt  sein  können.  Jedenfalls  ist  der  Coli- 
bazillus  ein  ziemlich  häufiger  Erreger  von  Sekundärinfektionen. "  Ätiologie 
und  Pathogenie,  klinische  und  anatomische  Formen  der  Magen-Darm ~ 
infektionen  beschäftigen  Verf.  in  Kap.  5  und  6. 


240  Be«precliiiJigea. 

EnUproeheod  den  bekannten  {nrnzöBischen  Anschaanngen  ist  auch 
hier  an  der  Einteilang  der  Krankheitaformen  nach  dem  kliniaehen  Bild« 
festgehalten.  Bei  den  ahnten  nod  anbaknten  Erkrankungen  unterscheidet 
N.  eine  leichte  Form  (Dyspepsie),  eine  fieberhafte  (ButerokatarrhX  eine 
algide  (Cholera  infantum)  und  eine  dybenteroide  oder  mnco-membranöse 
(Enteritis  follicularis).  —  Die  Schilderung  der  klinischen  Bilder  ist  wohl 
etwas  magerer  ansgefalleo,  als  wir  wüuschen  möchten.  Jedoch  ist  alles 
Wichtigste  erw&hnt. 

Kapitel  7  bringt  eine  Analyse  der  Symptome,  eine  kurze  Schilderung 
<ler  KomplikatioDen  und  der  L&sionen  der  wichtigsten  Organe  in  ausführ- 
licherer Form.  Den  Abschlnss  bilden  Diagnose,  Prognose  und  Therapie, 
▼on  denen  die  letzte  nicht  nach  den  Krankheitsformen,  sondern  nach  den 
Mitteln  zur  Behandlung  geordnet  ist  und  mit  der  nötigen  Gründlichkeit  und 
kritischen  Würdigung  ihres  Wertes  besprochen. 

Alles  in  allem  hat  Verf.  eine  dankenswerte  Aufgabe  erfüllt,  und  ich 
zweifle  nicht,  dass  auch  mancher  deutsche  Arzt,  der  sich  für  Säuglings- 
krankheiten  interessiert,  dieses  kleine  Buch  gerne  in  seinen  Bibliothekschatz 
aufnimmt,  da  es  ihm  ermöglicht,  sich  rasch  über  diese  und  jene  wichtigere 
Frage  zu  orientieren.  Teuf  fei. 


Notiz  zu  dem  Referat  über:  »W.  Pransnitz»  Physiologische  und  soMiaihygioniscke 
Shtdiom  über  Säugüngsemährunfr  und  SäMghngssierbRchkeit,'*^  (Dieses  Jahr- 
bach, Bd.  58.) 
Sowohl    in    dem    oben    zitierten    Referate    haben    sich  leider  Angriffe 
persönlicher  Natur,  die  auf  irriger  Auffassung  beruhen,  als  auch  in  den  sich 
anschliessenden,    an    anderem    Orte   (Mitteilungen   des  Vereins  der  Arzte  io 
Steiermark)  von  beiden  Teilen  publizierten  polemischen  Erörterungen   leicht 
missdeutbare  Äusserungen  eingeschlichen,  welche  einen  sehr  beklagenswerten 
persönlichen  Zwiespalt    zur   Folge    hatten.     Diesen    Zwiespalt   erachten    die 
Unterfertigten  nach  aufklärender  Rücksprache  bei  gegenseitiger  Anerkennung 
voller  persönlicher   und   wissenschaftlicher  Zuverlfissigkeit,   unter  Wahrung 
ihrer  sachlichen  Standpunkte,  für  beigelegt. 
Graz,  im  Dezember  1904. 

Prof.  M.  Pfaundler.       Prof.  W.  Prausnitz. 


Jahrbach  far  KinderheilkaDde.    N.  F.    Bd. 


T»f.  VII. 


Kurve  des  Lebenspotentiales  und  der  Mortalität  nach  Lebensjahren. 


f  1     2    3     4     5     6     7     8     9    10    12  14  16   20  30  40  50   60  70  80  90  100 

6 

•*  Lebensjahre. 

— ^—  Ideelle  Kurve  des  Lebenspotentiales. 

IC  D  Yerbraaoh  desselben  durch  die  dem  Lebensunterhalt  dienenden 
Vorgänge.  A  B  Verbrauch  desselben  durch  die  Wachstumsvorgänge 
ausgedruckt  in  Prozenten  der  auf  das  jeweilige  Körpergewicht  be- 
rechneten Gewichtszunahme. 

IAbsterbeordnune,  graphisch  dargestellt  auf  Grund  der  im  November- 
heft der  Monatsnefte  zur  Statistik  des  deutschen  Reiches  1887  mit- 
geteilten deutschen  Sterbetafel  1871/81. 
Die  über  den  Säulen  befindlichen  Zahlen  bedeuten  die  Anzahl  der  Todesfälle  in 
den  betreffenden  Altersklassen  auf  100 Lebende  derselben  Altersklasse  berechnet. 


Escherich,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der 
modernen  Pädiatrie. 


Verlag  von  S.  Karger  in  Berlin  NW.  6. 


XVI. 

Die  Grundlagen  und  Zic^^e  der  modernen  Pädiatrie'). 

Von 

THEODOR  ESCHERICH 

in  Wien. 
(Hierzu  Taf.  VIT.)^ 

Die  Kinderheilkunde  gehört,  insofern  sie  die  Vorschriften 
für  die  Pflege  des  Neugeborenen  und  Säuglings  umfasst,  mit  der 
Geburtshilfe  zu  den  ältesten,  ihrer  wissenschaftlichen  Entwicklung 
nach  zu  den  jüngsten  Kapiteln  der  gesamten  Medizin.  Erst  zu 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  löst  sie  sich  soweit  aus  der  Be- 
vormundung der  Geburtshilfe,  dass  das  erste  selbständige  Werk 
über  die  Krankheiten  der  Neugeborenen  und  Kinder,  das  bekannte 
Lehrbuch  von  Kosenstein,  erscheint.  Dasselbe  enthält  ebenso, 
wie  die  in  der  nächstfolgenden  Zeit  erschienenen  ähnlichen  Werke 
eine  systemlose  Aufzählung  der  bei  Kindern  vorkommenden  und 
ihnen  angeblich  eigentümlichen  Krankheitszustände,  unter  denen 
die  mit  sinnenfälligen  Veränderungen  einhergehenden  besondere 
Beachtung  gefunden  haben.  Erst  auf  dem  blutgetränkten  Boden 
der  französischen  Revolution  entstand  die  neue  medizinische 
Schule,  welcher  wir  mit  der  Geburt  der  modernen  Medizin  auch 
die  Schöpfung  der  wissenschaftlichen  Kinderheilkunde  verdanken. 

Wir  werden  versuchen,  in  kurzen  Worten  die  Entstehung 
und  den  Wechsel  der  leitenden  Ideen  bis  zur  Gegenwart  zu 
skizzieren,  da  sich  daraus  am  besten  die  Richtungslinie  ergibt, 
in  welcher  die  weitere  Entwicklung  in  der  nächsten  Zukunft  er- 
folgen dürfte. 

Die  Erlösung  von  dem  Banne  naturphilosophischer  und 
humoralpathologi scher  Anschauungen  erfolgte  unter  dem  er- 
nüchternden Einflüsse  der  pathologischen  Anatomie,  welche  in 
unzweideutiger  Weise  auf  die  sichtbaren  Veränderungen  einzelner 

')  Vortrag,  gehalten  in  der  pädiatrischen  Sektion  des  internationaien 
Kongresses  für  Kanst  ond  Wissenschaft  in  der  Weltausstellnng  von  Saint 
Louis  am  21.  September  1904. 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    Hpft  2.  ](i 


242     Escherieh,  Die  Grundlagen  onr]  Ziele  der  modernen  Pädiatrie. 

Organe  als  Ursache  uud  Sitz  der  Erkrank angen  hinwies.  Billard 
ist  der  glänzende  Vertreter  der  Schale,  welche,  gestützt  aaf  über- 
aus zahlreiche  and  sorgfaltige  Sektionen,  ein  klinisches  Lehr- 
gebäude {gleichsam  als  Kommentar  zu  den  gefundenen  anatomischen 
Veränderungen  errichtete.  Die  letzteren  selbst  fasste  er  ganz 
im  Sinne  Broussais  nur  als  verschiedene  Grade  der  Ent- 
zündung aaf.  Noch  heute  ist  dieses  Werk  eine  Fundgrube 
wichtiger  and  verwertbarer  Tatsachen.  Allein  es  ist  klar,  dass 
diese  kühne  Konzeption  nicht  ohne  weiteres  den  praktischen 
Bedürfnissen  entsprechen  konnte,  am  wenigsten  im  kindlichen 
Alter,  wo  die  kurze  Dauer  der  Krankheiten  es  in  der  Regel  nicht 
zu  hochgradigen  anatomischen  Veränderungen  kommen  lässt  und 
wo  wir  heute  noch  mit  Zuhilfenahme  der  mikroskopischen  und 
bakteriologischen  Hilfsmittel  uns  so  oft  ausserstande  sehen,  den 
klinischen  Verlauf  mit  den  Sektionsbefnnden  in  Übereinstimmung 
zu  bringen. 

Am  deutlichsten  tritt  dieses  Miss  Verhältnis  auf  dem  Gebiete 
der  Magendarmerkrankungen  des  Säuglingsalters  zutage,  und  hier 
setzte  auch  die  von  Barrier  mit  scharfen  Waffen  geführte 
Opposition  ein,  die  mit  der  „Diakrisenlehre^  wieder  in  das  Fahr- 
wasser humoralpathologischer  Anschauungen  zurücksteuerte. 

Unbefinflusst  von  diesem  theoretischen  Streite  bearbeiteten 
aber  beide  Parteien  mit  den  neu  entdeckten  Methoden  der 
exakten  Krankenuntersuehung  und  der  Statistik  das  jungfräuliche 
Gebiet  und  schufen  so  die  Fundamente  einer  speziellen  Pathologie 
und  Therapie  des  Kindesalters,  die  in  dem  Werke  von  Rilliet 
und  Barthez  eine  das  ganze  Gebiet  umfassende,  mustergültige 
Darstellung  fanden.  Damit  endete  auch  die  führende  Stellung, 
welche  die  französische  Pädiatrie  innehatte. 

Ihr  Erbe  wurde  wie  auch  auf  dem  Gebiete  der  inneren 
Medizin  die  Wiener  Schule,  wo  unter  dem  mächtigen  Einflüsse 
Rokitanski's  und  Skoda's  ähnliche  günstige  Entwicklungs< 
bedingungen  vorlagen.  Auch  hier  baut  sich  die  Klinik  zumeist 
auf  dem  Grunde  der  pathologischen  Anatomie  auf,  wie  das  aus- 
gezeichnete Werk  von  Bednar  „Über  die  Krankheiten  des  Neu- 
geborenen und  Säuglings"  und  die  bedeutungsvollen  Studien  von 
Kitter  (Prag)  erkennen  lassen. 

Daneben  wurde  in  der  neu  errichteten  Klinik  im  St.  Anna- 
Kinderspitale  in  Wien  unter  Mayr  und  seinemSchüler  Widerhofer 
die  klinische  Semiotik  und  Kasuistik  ausgebildet  und  an  dem 
reich    zufliessonden    Materiiile   die   klinischen    Krankheitstypen   in 


Escherieb,  Die  Gnindlagen  uud  Ziele  der  modernen  Pädialrie.     243 

abschliessender  Form  festgelegt.  In  ähnlichem  Sinne  wirkte 
Henoch  in  Berlin,  West  in  London,  Filatow  in  Moskau,  so 
dass  am  Schiasse  dieser  Periode  die  Klinik  und  Semiotik  der 
Einderheilkunde,  soweit  sie  den  einfacheren  Untersuchnngs- 
methoden  zugänglich  war,  wesentlicher  ausgebaut  war. 

So  wichtig  diese  glänzende  klinische  Entfaltung  und  die 
scharfe  Betonung  ihrer  Besonderheit  für  die  Anerkennung  der 
Pädiatrie  als  selbständige  Wissenschaft  war,  so  gelangte  man 
doch  in  der  Verfolgung  dieser  Richtung  bald  an  einen  toten  Punkte 
über  welchen  hinaus  ein  neuer  Weg  eingeschlagen  werden  musste, 
wenn  nicht  Yerflachung  und  Routine  an  die  Stelle  der  wissenschaft- 
lichen Forschung  treten  sollte.  Damit  ruckt  die  im  engeren  Sinne 
des  Wortes  deutsche  Pädiatrie  in  den  Vordergrund.  Dieselbe 
hatte  anfangs  bei  dem  Mangel  selbständiger  Einderkrankenhäuser 
und  staatlicher  Förderung  mit  grossen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen 
und  stand  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  fast  ganz  unter 
französischem  Einfluss.  Später  brachte  es  die  eigentumliche  Organi- 
sation der  Universitäts*  Polikliniken,  welchen  der  Unterricht  in 
der  Einderheilkunde  oblag,  mit  sich,  dass  zunächst  den  Ver- 
tretern der  inneren  Medizin  —  ich  nenne  hier  nur  den  Namen 
Gerhardts,  des  Begründers  der  deutschen  Pädiatrie  —  die 
Pflege  der  Einderheilkunde  zufiel. 

Es  liegt  in  der  Natur  dieser  Verhältnisse  begründet,  dass 
von  dieser  Seite  in  einem  gewissen  Gegensatze  zur  französischen 
und  zur  österreichischen  Schule  die  gemeinsamen  Berührungs- 
punkte mit  der  inneren  Medizin  und  die  derselben  näher  steh^iden 
Erkrankungen  des  späteren  Kindesalters  mit  Vorliebe  studiert 
wurden. 

Wenn  durch  diese  Verhältnisse  auch  die  Ereierung  selbst- 
ständiger Lehrkanzeln  für  Einderheilkunde  in  den  deutschen 
Universitäten  ungebührlich  verzögert  wurde,  so  hatte  dies  doch 
den  Vorteil,  dass  die  gerade  in  dieser  Zeit  unter  dem  Einflüsse 
der  deutschen  Internisten  sich  vollziehende  Einführung  der 
mächtig  aufblühenden  Naturwissenschaften  in  die  Elinik  auf  diesem 
Wege  der  Einderheilkunde  rasch  und  unmittelbar  zugute  kam. 
Die  dadurch  ermöglichte  klarere  Erkenntnis  der  Erankheits- 
vorgänge  führte  mehr  und  mehr  dazu,  die  Wesenseinheit  der 
meisten  beim  Einde,  wie  beim  Erwachsenen  vorkommenden 
Erankheitszustände  zu  betonen  und  die  Ursache  ihrer  Verschieden- 
heiten in  der  abweichenden  Beschaffenheit  des  kindlichen 
Organismus  zu  suchen.     Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  in  dieser 


244     Kscberich,  Die  GruDdiagen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie. 

Hinsicht  das  von  deutschen  Autoren  (Biedert)  mit  so  grossem 
Nachdrucke  betriebene  Studium  der  künstlichen  Ernährung,  welche 

!  die  Unfertigkeit  der  kindlichen  Yerdauungsorgane  und  die  daraus 

sich  ergebenden  Konsequenzen  in  eindringlichster  Weise  demon- 
striert. Auf  dieser  Grundlage  entwickelte  sich  die  jüngere 
deutsche    Schule,    welche    unter  Ausnützung    der  speziell  in   der 

'  internen  Medizin  ausgebildeten  Hülfsmittel  das  Ziel  der  modernen 

Kinderheilkunde  in  der  Erforschung  derjenigen  physiologischen 
Besonderheiten  des  kindlichen  Organismus  erblickte,  welche  zu 
einem  abweichenden  Verhalten  desselben  gegenüber  dem  beim 
Erwachsenen    beobachteten  Verhalten   unter  physiologischen   und 

J  pathologischen    Bedingungen    Veranlassung    gegeben.      Man    hat 

dafür  in  jüngster  Zeit  die  Bezeichnung  der  pathologischen  Physio- 
logie des  Kindesalters  gebraucht.  In  derselben  Richtung  bewegt 
sich  die  Entwicklung  der  mächtig  ^aufstrebenden  amerikanischen 
Pädiatrie,   die   unter   dem  führenden  Einflüsse   Jacobis   sich  der 

[  deutschen  Schule  anschloss. 

Wir    sehen    so    die   Aufgabe    der  Kinderheilkunde   von   der 

'  Erforschung  der  speziell  dem  Kindesalter  eigentümlichen  Krankheits- 

prozesse, wie  sie  die  ältere  Kinderheilkunde  anstrebte,  erweitert 
zur    generellen    Betrachtung   aller  im  Kindesalter  vorkommenden 

I  pathologischen  Zustände. 

j  Wenn  ich  damit  die  gegenwärtig  herrschende  Strömung  und 

I  die  zunächst  vorliegende  Aufgabe  der  Kinderheilkunde  charakte- 

I  risiere,    so    sei    zugleich   hervorgehoben,    dass   die    Durchführung 

diesA  in  das  Gebiet  der  Physiologie  oder  allgemeinen  Pathologie 
einschlagenden  Fragen   nicht  Aufgabe    der  Kinderärzte  allein  ist, 

i  sondern    nur    im   Zusammenwirken    mit    den    betreffenden   Fach- 

i  männern  mit  Erfolg  in  Angriff  genommen  werden  können.    Über- 

dies hat  die  Kinderheilkunde  an  dem  Ausbau  der  Gesamtmedizin 

:  und    an    der  Bearbeitung    spezieller  klinischer  Fragen  seit  jeher 

•   tätig  und  erfolgreich  Anteil  genommen,  wozu  sie  durch  die  Eigen- 
art   ihres   Beobachtungsmateriales   in   hervorragendem  Masse    be- 

;  fähigt  ist. 

Von  grösster  Bedeutung  für  die  Entwicklung  der  modernen 
Pädiatrie  ist  die  Einführung  der  exakten  klinisch- diagnostischen 
Methoden,  wie  sie  unter  dem  mächtigen  Aulblühen  der  exakten  Natur- 
wissenschaften in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  sich  ent- 
wickelten. Bildet  das  dadurch  erschlossene  Gebiet  schon  für  die 
innere  Medizin  einen  mächtigen  Zuwachs,  wie  vielmehr  für  das 
frühe  Kindesalter,    in    welchem   subjektive  Angaben  und  so  viele 


Escherich,  Die  Grundlagen  and  Ziele  der  modernen  Pädiatrie.     245 

andere  diagnostische  Behelfe  fehlen  und  der  Arzt  fast  ausschliess- 
lich auf  das  Ergebnis  objektiver  Zeichen  angewiesen  ist.  Die 
Einführung  der  für  die  Erkenntnis  der  Lungen-  und  Herzkrank- 
heiten so  wichtigen  Perkussion  und  Auskultation  erfolgte  relativ 
spät  und  zögernd.  Erst  in  den  40er  Jahren  wurde  sie  in 
systematischer  Weise  speziell  von  den  deutschen  Klinikern  ge- 
pflegt, denen  auch  das  einzige,  speziell  der  Perkussion  des  Kindes- 
alters gewidmete  Werk  (Sahli)  zu  verdanken  ist. 

Von  kaum  geringerer  Bedeutung  für  die  Diagnostik  war  die 
Verwendung  des  Thermometers,  das  insbesondere  in  Form  der 
Kektalmessungen  beim  Kinde  so  leicht  und  auch  von  Laienhand 
benutzt  werden  kann.  Durch  diesen  letzteren  Umstand  ist  es 
ein  überaus  wichtiges  und  verlässliches  Hülfsmittel  geworden. 
Wenn  auch  die  ersten  thermometrischen  Versuche  von  Roger 
stammen,  so  ist  doch  die  Ausbildung  der  Technik  und  die  Auf- 
stellung typischer  Fieberkurven  ein  Verdienst  der  Deutschen, 
speziell  der  Leipziger  Schule.  Verbunden  mit  der  von  altersher 
geübten  Inspektion  und  Palpation  bildet  die  Perkussion,  die  Aus- 
kultation und  die  Thermometrie,  die  Trias,  welche  für  die  Unter- 
suchung jedes  Kindes  unerlässlich  ist  und  die  sichere  Diagnose 
zahlreicher  früher  nicht  erkannter  Krankheiten  ermöglicht. 

Die  endoskopischen  Methoden  kommen  in  dem  Masse  zur 
Geltung,  als  ihre  technische  Durchführbarkeit  beim  Kinde  möglich 
ist.  Weitaus  am  wichtigsten  ist  die  Inspektion  des  Rachens  und 
des  Mundes,  sowie  die  Untersuchung  des  Ohres,  die  relativ  leicht 
durchzuführen  sind,  während  die  laryngoskopischen  und  ophthal- 
moskopischen Methoden  seltener  in  Verwendung  kommen.  Zu  den 
nur  unter  besonderen  Umständen  zur  Verwendung  kommenden 
physikalischen  Untersuchungsmethoden  zählt  auch  die  elektrische 
Untersuchung,  die  insbesondere  durch  die  Feststellung  der  so 
häufig  erhöhten  elektrischen  Erregbarkeit  für  das  früheste  Kindes- 
alter  Bedeutung  genommen  hat,  und  die  radiologische  Unter- 
suchung, welche  einen  ungeahnten  Einblick  in  die  Verhältnisse 
der  Knochenentwicklung,  sowie  auch  der  tiefliegenden  Herz-  und 
Lungenveränderungen  gestattet. 

Eine  für  das  Kindesalter  besonders  verwendbare  und  wert- 
volle Methode  ist  die  von  Dienlafoy  eingeführte  Technik  der 
Punktion  pathologischer  Flüssigkeiten,  welcher  sich  dann  die  von 
Quincke  erdachte  Lumbalpunktion  angeschlossen  hat.  Man  kann 
sagen,  dass  erst  durch  die  letztere  uns  die  Mannigfaltigkeit  der 
an  den  Meningen  ablaufenden  Prozesse  erschlossen  wurde.  Andere, 


246     Es  che  rieh,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie. 

insbesondere  die  graphischen  Methoden  werden  aus  naheliegenden 
Gründen  bei  Kindern  weniger  geübt,  wenn  es  auch  einzelnen 
Autoren  (Rauchfuss)  gelungen  ist,  diese  Schwierigkeiten  zu 
überwinden.  Dagegen  sind  die  histologischen  Untersuch ungs- 
methoden  bei  der  Häufigkeit  und  V^erschiedenartigkeit  der  anä- 
mischen Zustände  von  grosser  diagnostischer  Bedeutung,  ohne 
dass  die  Kenntnis  der  Pathogenese  dieser  Krankheiten  dadurch 
wesentlich  gefördert  wurde. 

Im  Gegensatze  zu  den  physikalischen  Methoden,  deren 
Technik  zumeist  eine  einfache  ist  und  deshalb  einen  relativ  raschen 
Abbau  der  dadurch  erschlossenen  Wissensgebiete  ermöglichte,  sind 
die  chemischen  Methoden  trotz  der  hohen  Entwicklung  der  orga- 
nischen Chemie  noch  in  ihrer  Ausgestaltung  begriffen. 

Gegenstände  der  chemischen  Untersuchung  sind  in  erster 
Linie  die  Exkrete  des  Körpers:  der  Harn  und  die  Faeces. 

Die  Harnuntersuchung  ist  lange  Zeit,  wenigstens  für  die 
jüngsten  Altersstufen  wegen  der  Schwierigkeit  der  Gewinnung 
desselben  in  ungebührlicher  Weise  vernachlässigt  worden  Der 
Anregung  Kjelbergs  ist  es  zu  danken,  dass  der  Katheter  für 
die  Harn  gewinnung  häufiger  angewendet  wird,  in  erster  Linie  bei 
Mädchen,  während  wir  uns  bei  Knaben  des  Raudnitzschen  Harn- 
fängers bedienen.  Es  ergab  sich  dabei  eine  unerwartete  Häufig- 
keit und  Mannigfaltigkeit  der  r Albuminurien,  um  deren  Kenntnis 
sich  besonders  Heubner  Verdienste  erworben  hat.  Aber  auch 
die  Anwesenheit  anderer  diagnostisch  verwertbarer  Stoffe:  des 
Ehrlichschen  durch  die  Diazoreaktion  charakterisierten  Körpers, 
des  Aceton,  der  Diacetessigsäure  u.  a.  wurde  bei  Kindeni  aller 
Altersstufen  nachgewiesen. 

Bezüglich  der  morphologischen  Elemente  sei,  abgesehen  von 
dem  sehr  häufigen  Befunde  von  Blut  und  Zylindern,  auf  das  Vor- 
kommen von  Blasen-  und  Nierenepithelien,  sowie  von  Bakterien 
(meist  Kolibazillen)  als  Ausdruck  einer  besonders  bei  Mädchen 
häufigen  Infektion  der  Harnwege  hingewiesen.  Der  Gebrauch 
der  Zentrifuge  erweist  sich  für  alle  diese  Untersuchungen  sehr 
vorteilhaft.  Als  einer  vielversprechenden  Methode  sei  auch  der 
von  Koranyi  in  die  klinische  Medizin  eingeführten  Gefrierpunkts- 
bestimmungen Erwähnung  getan,  die  auch  in  der  Pädiatrie  für 
die  Untersuchung  des  Harnes  wne  der  Milch  schon  mehrfach  an- 
gewendet worden  ist. 

Ungleich  günstiger  als  beim  Harne,  liegen  die  Verhältnisse 
bei    der    Gewinnung    des  Stuhles,   wenigstens    im    Säuglingsalter. 


Escherich,  Die  Gruadlftgen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie*     247 

Derselbe  bietet  aber  auch  der  Diagnostik  und  Analyse  sehr  viel 
günstigere  Verhältnisse  als  bei  den  Erwachsenen.  Während  er 
bei  diesen  eine  in  stinkende  Fäulnis  übergegangene,  zu  ^/g  aus 
Bakterien  bestehende  Masse  darstellt,  ist  der  Stuhl  des  Säuglings 
infolge  der  absolut  viel  geringeren  Länge  des  Darmtraktes  dem 
Verhalten  bei  einer  Dünndarmfistel  vergleichbar  und  zeigt  gleich 
iem  Dünn d arminhalte  saure  Reaktion,  keine  Fäulnis  und  relativ 
spärliche  Bakterien;  Nahrungsbestandteile  werden  darin,  wenn 
überhaupt  in  relativ  wenig  verändertem  Zustande  gefunden.  Ein 
weiterer  Umstand,  welche  die  diagnostische  Bedeutung  des 
Säaglingsstuhles  wesentlich  erhöht,  ist  die  Gleichartigkeit  oder 
doch  der  sehr  beschränkte  Wechsel  der  Nahrung,  wodurch  die 
Aufstellung  eines  Normalkotes  in  Bezug  auf  Farbe,  Menge,  chemische 
Zusammensetzung  möglich  ist.  Dementsprechend  hat  man  sich 
schon  frühzeitig  mit  der  chemischen  Analyse  des  Säuglingskotes, 
in  erster  Linie  des  Brustkindstuhles,  beschäftigt  (Wegscheider). 
Die  Verhältnisse  der  Bakterien- Vegetation  w^urden  von  mir  und 
jüngst  von  Tissier  studiert,  welch  letzterer  mit  Recht  auf  die 
Bedeutung  der  Anäroben  hinweist.  Dank  dieser  Verhältnisse  ist 
man  imstande,  im  Säuglingsalter  krankhafte  Veränderungen  des 
Verdauungsvorganges  mit  Hilfe  der  chemischen  und  bakterio- 
logischen Stuhluntersuchung  viel  früher  und  exakter  zu  beurteilen, 
ja  in  einer  nicht  geringen  Zahl  von  Fällen  daraus  die  klinische 
Diagnose  abzuleiten. 

Besondere  Bedeutung  gewinnt  die  Untersuchung  dieser 
Exkrete  dadurch,  dass  ihre  Analyse  uns  ermöglicht,  einen  Einblick 
in  die  Stoffwechselvorgänge  zu  gewinnen,  jene  geheimnisvollen 
Prozesse,  die,  wenn  auch  nicht  das  Leben  selbst,  so  doch  die 
Quelle  seiner  Kräfte  und  die  unmittelbarste  Äusserung  seiner 
Tätigkeit  sind.  So  bedeutungsvoll  auch  diese  Frage  für  das 
Wachstum  und  die  gerade  im  Kindesalter  so  häufigen  Dyskrasien 
ist,  so  hat  man  sich  doch  erst  in  den  letzten  Jahren,  angeregt 
durch  die  Breslauer  Schule  (Czerny),  mit  der  systematischen  Er- 
forschung dieses  Gebietes  beschäftigt.  Trotz  der  mühevollen 
Untersuchungen,  die  von  C  am  er  er  und  Heubner  auf  das  Gebiet 
der  Energetik  hinübergeleitet  wurden,  sind  noch  nicht  mehr  nis 
die  ersten  Schritte  getan  zur  Klarlegung  dieser  Verhältnisse,  deren 
Studium  durch  die  ungewöhnlichen  technischen  Schwierigkeiten 
und  die  Vulnerabilität  des  kindlichen  Organismus  sehr  erschwert  ist. 

Den  grössten  Einfluss  auf  die  Ausgestaltung  der  Pädiatrie 
hatte    aber  jene  Wissenschaft,    die  vor  kaum  25  Jahren  aus  den 


248     Escberich,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie. 

bescheidenen  Arbeitsstätten  Pasteurs  und  Kochs  hervorgegangen, 
und  die  in  dieser'  kurzen  Zeit  einen  so  übermächtigen  Einfluss  auf 
das  medizinische  Denken  und  Forschen  genommen  hat.  Der  Grund, 
weshalb  die  Bakteriologie  gerade  auf  die  Kinderheilkunde  eine  so 
hervorragende  Bedeutung  hatte,  liegt  darin,  dass  in  keinem  Lebens- 
alter die  Infektionskrankheiten  eine  so  grosse  Rolle  spielen.  Am 
ergiebigsten  erwies  sich  in  dieser  Hinsicht  das  jüngste  Kindesalter, 
dessen  Pathologie  von  den  durch  die  verbreiteten  Eiterbakterien 
hervorgerufenen  septischen  Erkrankungen  beherrscht  wird.  Die 
Natur  dieser  Erkrankungen  ist  zumeist  erst  durch  den  Nachweis 
dieser  leicht  züchtbaren  Krankheitserregern  erkannt  worden,  um 
die  sich  Hutinel  und  Fischl  besondere  Verdienste  erworben 
haben.  Weniger  erfolgreich  war  die  Forschung  auf  dem  Gebiete 
der  eigentlich  epidemischen  Erkrankungen  der  akuten  Exantheme 
und  Schleimhaut-Infekte.  Aber  das  Beispiel  des  durch  L off  1er 
entdeckten  Diphteriebazillus  zeigt,  welch  eminente  Förderung  die 
Klinik  und  die  Therapie  von  der  Entdeckung  des  Krankheits- 
erregers zu  erwarten  hat.  Auch  die  Tatsache,  dass  nicht  wenige 
Infekte,  die  früher  nur  bei  Erwachsenen  beobachtet  worden  waren, 
so  Tetanus,  Typhus,  Cerebrospinalmeningitis,  Dysenterie  schon  im 
kindlichen  Alter  vorkommen,  ist  erst  durch  den  bakteriologischen 
Nachweis  der  betreffenden  Bakterien  erkannt  worden. 

Eine  wesentliche  Bereicherung  erfuhr  die  bakterio  ogische 
Diagnostik  durch  die  Verwendung  der  durch  den  Krankheits- 
prozess  hervorgerufenen  Keaktionsprodukte  des  Organismus,  z.  ß. 
der  Agglutinine  des  Typhus  (Gruber,  Widal).  Die  Methode 
kann  nicht  nur  zu  diagnostischen  Zwecken,  sondern  auch  zur 
Entdeckung  noch  unbekannter  Krankheitserreger  dienen,  so  der 
Koliinfekte  und  der  Dysenterie.  Je  hie  hat  an  meiner  Klinik 
die  Agglutination  der  Pneumokokken  durch  das  Serum  von 
Pneumoniepatienten  schon  in  den  ersten  Krankheitstagen  nach- 
gewiesen, und  jüngst  ist  es  auch  gelungen,  aus  der  Scharlach- 
angina Streptokokken  zu  isolieren,  welche  durch  das  Scharlach- 
immunserum in  sehr  hoher  Verdünnung  agglutiniert  wurden. 

Abgesehen  davon,  erhalten  wir  dadurch  einen  ungeahnten 
Einblick  in  den  Mechanismus  der  Naturheilprozesse  und  der 
Kenntnis  der  schon  im  Kindesalter  vorhandenen  Schutzvor- 
richtungen des  Organismus,  deren  weiteres  Studium  wichtige 
Aufklärungen  über  die  Eigenart  der  Kinderkrankheiten  verspricht. 

Diese  im  Laufe  der  letzten  Jahrzehnte  durch  Verwendung 
der  naturwissenschaftlichen  Hilfsmethoden   gefundenen  Tatsachen 


Escherich,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie.     249 

haben  das  Gebiet  der  Pädiatrie  ganz  wesentlich  erweitert  und 
geklärt.  An  Stelle  der  relativ  geringen  Zahl  vorwiegend  darch 
sinnfällige  Merkmale  kenntlicher  Krankheitsbilder,  welche  den 
Inhalt  der  ersten  Lehrbücher  ausmachten,  stellt  die  moderne 
Pädiatrie  ein  alle  Störungen  der  Lebensvorgänge  um- 
fassendes, nach  wissenschaftlichen  Grundsätzen  ge- 
ordnetes und  in  seiner  Universalität  von  keinem  anderen 
Spezialgebiete  der  Medizin  erreichtes  Lehrgebäude  dar 
Die  Ursachen  der  Erkrankungen  sind,  soweit  sie  in  von  aussen 
kommenden  Schädlichkeiten  begründet  sind,  bei  Kindern  die 
gleichen  wie  bei  Erwachsenen.  Speziell  die  bakteriologische 
Forschung,  welche  in  der  Lage  ist,  den  Krankheitserreger  als 
solchen  nachzuweisen,  hat  wesentlich  dazu  beigetragen,  die  An- 
schauung von  der  Wesenseinheit  der  klinisch  oft  recht  differenten 
Krankheitsbilder  zur  Anerkennung  zu  bringen.  Leider  sind 
unsere  Kenntnisse  noch  nicht  so  weit  vorgeschritten,  um  die 
ätiologische  Gruppierung  der  Systematik  durchaus  zugrunde  zu 
legen.  Nur  eine  kleine  Zahl  von  Krankheitszuständen  kann  im 
Sinne  der  Ätiologie  als  dem  kindlichen  Alter  eigentümlich  be- 
zeichnet werden,  weil  durch  Momente  veranlasst,  welche  im 
Leben  des  Erwachsenen  nicht  vorkommen  können.  Es  sind  die 
an  den  Geburtsakt  und  den  Übergang  des  intra-  in  das  extra- 
uterine Leben  sich  anschliessenden,  sowie  die  das  Wachstum, 
resp.  die  Entwicklung  treffenden  Störungen.  In  gewissem  Sinne, 
etwa  analog  den  Berufskrankheiten  der  Erwachsenen,  wären  auch 
die  während  des  Schulbesuches  einwirkenden  Schädlichkeiten, 
sowie  die  akuten,  dauernde  Immunität  zurücklassenden  In- 
fektionskrankheiten hierher  zu  rechnen.  Wenn  trotzdem,  wie  die 
tägliche  Erfahrung  und  die  medizinische  Statistik  lehrt,  die  Er- 
krankungen des  Kindesalters  sowohl  in  der  Zahl  und  Art  ihres 
Auftretens,  wie  in  ihrem  Verlaufe  und  Ausgange  so  grosse 
Unterschiede  aufweisen,  so  kann  dies  nur  darin  begründet  sein, 
dass  zwischen  dem  wachsenden  Organismus  des  Kindes 
und  dem  fertig  entwick:elten  Erwachsenen  bezüglich  der 
durch  den  Krankheitsprozess  hervorgerufenen  Re- 
aktionen grosse  und  im  Laufe  des  Kindesalters  fort- 
während wechselnde  Verschiedenheiten  bestehen.  Die 
nachfolgende  Betrachtung  wird  zeigen,  welch  innige  Beziehungen 
zwischen  dem  jeweiligen  Stande  der  Entwicklung  einerseits,  der 
Art  und  Verlaufsweise  der  krankhaften  Zustände  andererseits 
sich  nachweisen  lassen. 


^50     Escherich,  Die  (iruDdlagea  uud  Zielo  der  muderuen  Pädiatrie. 

Überblicken  wir  zunächst  einmal  gleichsam  von  der  Vogel- 
perspektive das  ganze  Gebiet,  so  fallen  uns  folgende  besondere 
Eigentümlichkeiten  der  im  Kindesalter  ablaufenden  Krankheits- 
prozesse auf. 

1.  Die  überraschende  Häufigkeit  der  Todesfälle  und  Er- 
krankungen, insbesondere  der  funktionellen  Störungen,  woraus 
sich  auch  der  in  so  vielen  Fällen  unbefriedigende  Sektions- 
befund erklärt. 

2.  Die  Geringfügigkeit  der  die  Krankheiten  hervorrufenden 
Schädlichkeiten,  die  graduell  weit  hinter  dem  für  Erwachsene 
notwendigen  Schwellwerte  zurückbleiben.  Sie  entgehen  daher 
leicht  der  Beobachtung,  und  so  erklärt  es  sich,  dass  man  zu 
allerhand  phantastischen  Vorstellungen  (Beeinflussung  der  Milch- 
absonderung, Durchbruch  der  Zähne,  Auftreten  von  Würmern  etc.) 
seine  Zuflucht  genommen    hatte. 

3.  Der  raschere,  teils  zum  Tode,  teils  zur  Genesung 
führende  Ablauf,  der  zumeist  typisch  und  unkompliziert,  weil  in 
einem  intakten  Körper  ablaufenden  Krankheitsprozesse.  (Eine 
Ausnahme  bilden  die  im  frühesten  Lebensalter  auftretenden  Er- 
krankungen, bei  welchen  eine  raschere  Ausbreitung  des  Prozesses 
auf  die  anderen  Organe  infolge  des  frühzeitigen  Versagens  der 
Funktionen  beobachtet  wird.)  Besonders  hervorzuheben  ist  eine 
im  späteren  Leben  nicht  mehr  in  gleichem  Masse  vorhandene 
Reparationsfähigkeit  gesetzter  anatomischer  Läsionen  (Aufstellung 
von  Hornhautnarben,  Fuchs). 

4.  Abgesehen  von  diesen  generellen  Unterschieden  zeigt  der 
Verlauf  jeder  einzelnen  Erkrankung  je  nach  dem  Entwicklungs- 
grade und  der  Leistungsfähigkeit  der  in  Frage  kommenden 
Organe  besondere  Eigentümlichkeiten  und  Abweichungen  gegen- 
über dem  beim  Erwachsenen  beobachteten  Verlaufe,  die  omso 
grösser  sind,  je  jünger  das  Individuum  ist. 

Schon  dieser  letztere  Umstand  zeigt,  dass  es  sich  um  Vor- 
gänge handelt,  die  mit  der  Entwicklung  des  Organismus  zu- 
sammenhängen, und  so  werden  wir  auch  auf  diesem  Wege  zu 
dem  Schlüsse  geführt,  dass  der  Schlüssel  zu  dem  Verständ- 
nisse der  speziellenPathologiedes  kindlichen  Organismus 
in  dem  Studium  der  Entwicklungsvorgänge  gelegen  ist. 
Trotz  des  grossen  darüber  vorliegenden  Tatsachenmaterials  liegt, 
abgesehen  von  einer  wenig  beachteten  Studie  von  Barrier  noch 
kein  Versuch  vor,  allgemeine  Gesichtspunkte  und  Gesetze  für  die 
Entwicklung  des  kindlichen  Organismus  zu  formulieren  und  ihre 
Beziehung  zur  Pathogenese  der  kindlichen  Erkrankungen  klar  zu 
legen,  wie  dies  im  folgenden  versucht  wird. 


Kschericii,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie.     251 

Das  Wachstum,  insoferu  man  darunter  die  einseitige  Ver- 
ivendung  der  Nährstoffe  zum  Zwecke  der  Neubildung  und  des 
Wachstums  der  Zellen  versteht  (G  am  er  er),  stellt  sich  dar  als 
•eine  Funktion  des  vegetativen  Lebens,  genauer  ausgedruckt,  der 
den  Körperzellen  innewohnenden  spezifischen  Lebenskraft,  oder  um 
dies  viel  missbrauchte  Wort  zu  vermeiden,  des  Lebenspoten- 
tials^).  Wenn  wir,  der  Anschauung  von  R.  Hertwig  und 
S.  Exner  folgend  in  der  geschlechtlichen  Befruchtung  resp.  dem 
Zusammentreten  der  männlichen  und  weiblichen  Eizelle  das  aus- 
lösende Moment  für  eine  neue  begrenzte  Reihe  von  ungeschlecht- 
lichen Zellteilungen  sehen,  so  müssen  wir  uns  vorstellen,  dass 
die  Fähigkeit  des  Wachstums  eine  den  jüngsten  und  jüngeren 
Zellgenerationen  eigentümliche  Funktion  ist.  Wir  erblicken  als- 
dann in  der  Keimzelle  den  Träger  des  noch  unverbrauchten 
Lebenspotentiales,  das  sich  zunächst  in  einem  stürmischen^  dann 
aber  allmählich  sich  verlangsamenden  Massenwachstum  des  Keimes 
äussert.  Leider  fehlt  uns  ein  brauchbares  Mass  für  die  Intensität 
dieser  Vorgänge.  Am  ehesten  werden  wir,  wie  dies  bereits  der. 
Physiologe  Haller  getan,  die  Zunahme  des  Längen-  resp.  Massen- 
Wachstums  als  solches  verwenden  können;  zweckmässiger  wohl 
das  erstere,  weil  es  als  das  grösste  aller  Körpermasse  Fort- 
schritte im  Wachstum  am  ersten  erkennen  lässt  und  Schwankungen 
im  negativen  Sinne  ausgeschlossen  sind. 

Die  dem  Werke  von  Quetelet  entnommenen  Längen- 
und  Gewichtskurven  zeigen  insofern  einen  übereinstimmen- 
den Verlauf,  als  ihr  steilster  Anstieg  in  die  intrauterine 
Periode  fällt.  Vom  4.  bis  5.  Jahre  tritt  eine  Abflachung  ein, 
die  wenigstens  bei  der  Längenkurve  im  Alter  von  20  Jahren  in 
die  Horizontale  übergeht.  Eigentlich  sollte  dann,  wenn  wir  die 
Intensität  der  Lebensvorgänge  darstellen  wollen,  ein  allmähliches 
Absinken  der  Kurve  eintreten,  so  dass  sie,  den  von  äusseren 
Schädlichkeiten  nicht  beeinflussten  Ablauf  des  Lebens  voraus- 
gesetzt, mit  zirka  100  Jahren  (als  äusserste  Lebensgrenze)  wieder 
zur  Grundlinie  herabgesunken  ist.  Dieser  an  die  Flugbahn  eines 
in  die  Höhe  geschleuderten  Geschosses  erinnernde  Verlauf  der 
Kurve  hat  zusammen  mit  der  erst  in  den  30er  Jahren  erreichten 
Reife-    und    Blütenperiode     des    Individuums     manche    Autoren 

I)  Ich  verdaDke  den  Ausdruck  „Lebeospotential*',  welcher  mir  die  jedem 
Lebewesen  zakommende  Fähigkeit,  sich  mittels  Assimilation  und  Energie- 
umsatz in  seiner  Eigenart  zu  erhalten,  za  wachsen  und  fortzupflanzen,  iu 
ztitreffender  Weise  aaszudrücken  scheint,  einer  gesprächsweise  erfolgten 
Änssernnj;  des  Herrn  Geheirorates  Ostwald. 


262     Escherich,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie. 

(Burdach)  zu  der  Annahme  verfuhrt,  dass  die  grösste  Lebens- 
energie  zugleich  mit  der  höchsten  funktionellen  Entwicklung  und 
Leistungsfähigkeit  auf  die  mittlere  Lebenszeit,  das  ist  die  höchste 
Erhebung  dieser  gedachten  Kurve  falle.  Gewiss  mit  Unrecht, 
denn  sowohl  die  einfache  Überlegung,  als  auch  das  genaue 
physiologische  Studium  der  einzelnen  Funktionen  zeigt  in  un- 
zweideutiger Weise,  dass  die  Intensität  der  Stoffwechsel- 
Vorgänge,  auf  die  vorhandenen  Körpermasse  berechnet, 
um  so  grösser  ist,  je  kleiner  sc.  je  jünger  der  Organismus 
ist  und  dass  sie  von  der  Keimzelle  an  im  Laufe  des 
Lebens  kontinuierlich  sich  vermindert.  Ich  habe  dies 
auf  Tabelle  I  dargestellt.  Die  gerade  punktierte  Linie  CD  stellt 
schematisch  die  im  Laufe  des  Lebens  durch  Aufwand  für  die 
Lebenserhaltung  eintretende  Verminderung  des  Lebenspotentiales 
dar.  Sie  ist  der  Einfachheit  halber  in  allen  Lebensjahren  als 
gleichmässig  angenommen. 

In  dem  der  Wachstumsperiode  entsprechenden  Abschnitt 
.findet  überdies  der  durch  die  reelle  Massen-  und  Längenzunahme 
des  Körpers  bedingte  Energie- Verlust  des  in  der  Keimzelle  auf- 
gehäuften Lebenspotentiales  seinen  Ausdruck  in  dem  proportionalen 
Absinken  der  Kurve  AB.  Ich  habe  als  das  Mass  dieses  Ver- 
lustes hier  nicht,  wie  ich  es  ursprünglich  getan,  das  Längen- 
wachstum, sondern,  einem  Vorschlage  S.  Exners  folgend,  den 
jährlichen  Anwuchs,  ausgedrückt  in  Prozenten  des  jeweiligen 
Körpergewichtes,  gewählt,  der  mir  ein  besseres  Mass  dieser  Arbeits- 
leistung darzustellen  scheint  —  vollkommen  normale  Verhältnisse 
vorausgesetzt.  Auf  Grund  der  Qu eteletschen  Zahlen  berechnet, 
beträgt  derselbe  im  ersten  Lebensjahr  200  pCt.,  im  1. — 2.  20  pCt, 
im  2. — 3.  nurmehr  lOpCt.  des  jeweiligen  Körpergewichtes  u.  s.  w. 
Eine  Berechnung  des  dem  Fötalleben  entsprechenden  Teiles  ist 
nicht  möglich.  Diese  Werte  auf  die  Linie  CD  aufgetragen, 
ergaben  die  Linie  ABD,  welche  das  gesetzmässige  Gefall  des 
Lebenspotentiales  von  der  Keimzelle  bis  zur  spontanen  Erschöpfung 
am  physiologischen  Abschluss  des  Lebens  darstellen  soll.  Ich  bin 
mir  dabei  wohl  bewusst,  nur  eine  ganz  schematische,  approximative 
Darstellung  dieses  für  unsere  Betrachtung  sehr  wichtigen  Gesetzes 
zu  geben,  welche  lediglich  die  Aufgabe  hat,  zu  zeigen,  dass  zu 
keiner  Zeit  die  Lebenskraft  und  die  Lebensberechtigung  des  In- 
dividuums eine  so  grosse  ist  als  in  der  ersten  Kindheit. 

In  grellem  Widerspruche  zu  dieser  Vorstellung  steht  aber 
die  bekannte  Tatsache,    dass  keine  Lebensperiode  eine  so  grosse 


Escherich,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie.     263 

Zahl  von  Erkrankungen  und  Todesfallen  aufweist,  als  die  ersten 
Lebensjahre,  in  welchen  zirka  ^/4  der  Geborenen  wieder  dem 
Tode  verfilUt.  Diese  Erscheinung  kommt,  wie  schon  Lichten- 
staedt  bei  der  Beantwortung  der  von  der  Freien  ökonomischen 
Gesellschaft  in  Petersburg  gestellten  Preisfrage  ausgeführt  hat, 
in  gleicher  Weise  sowohl  im  Pflanzen-  wie  im  Tierreiche  zur 
Beobachtung.  Wir  haben  täglich  Gelegenheit,  zu  sehen,  dass 
nur  ein  verschwindend  kleiner  Teil  der  ausgestreuten  Samen  zur 
Entwicklung,  nur  einige  wenige  der  befruchteten  Eier  zur  vollen 
Reifung  gelangen.  Die  Ursache  dieses  unnatürlichen  Sterbens 
trotz  des  Überschusses  an  Lebensenergie  ist  darin  gelegen,  dass 
die  zur  Unterhaltung  und  zum  Schutze  der  Lebens- 
vorgänge notwendigen  Organe  in  dieser  Zeit  noch  so 
unentwickelt  sind,  dass  schon  die  geringfügigsten  Schädlich- 
keiten hinreichen,  um  eine  irreparable  Störung  ihrer  Funktionen 
und  damit  Vernichtung  des  Lebens  hervorzurufen.  In  dem  Masse, 
in  welchem  diese  Organe  im  Laufe  der  Entwicklung  wachsen 
und  erstarken,  nimmt  die  Sterblichkeit  schon  im  2.  und  3.  Jahre 
erheblich  ab  und  erreicht  in  der  Periode  zwischen  dem  6.  und 
10.  Lebensjahr  den  günstigsten  Stand.  Die  Berufstätigkeit  des 
Mannes,  die  Geschlechtsfunktion  des'  Weibes  bedingen  dann 
vom  20.  Jahre  ab  ein  Ansteigen  der  Mortalität.  Li  den  höheren 
Altersstufen  kommt  dann  das  physiologische  Absinken  und  Er- 
löschen der  Lebensenergie  zum  Ausdruck.  Hall  er  hat  dieses 
Verhalten  mit  den  charakteristischen  Worten  ausgedrückt: 
Infantes  mori  possunt,  senes  vivere  non  possunt. 

Auf  Tafel  Vn  ist  neben  der  Kurve  der  absinkenden  Lebens- 
energie die  Absterbeordnung  einer  geschlossenen  Bevölkerungs- 
gruppe   auf  Grund  der  amtlichen  deutschen  Statistik  dargestellt. 

Es  führt  uns  diese  Betrachtung  zu  dem,  was  ich  als  das 
zweite  Wachstumsgesetz  bezeichnen  möchte:  die  funktionelle 
Entwicklung  jedes  einzelnen  Organes,  gemessen  an  der 
absoluten  Höhe  seiner  Leistung,  erfolgt  während  des 
Kindesalters  in  einer  aufsteigenden  Linie,  die  jedoch 
für  jedes  einzelne  Organ  einen  besonderen  und  im  all- 
gemeinen einen  viel  steileren  Verlauf  zeigt  als  die 
Wachstumskurve.  Leider  fehlen  uns  die  wissenschaftlichen 
Daten,  welche  es  ermöglichen  würden,  das  Anwachsen  der  Ent- 
wicklung und  der  funktionellen  Leistung  der  wichtigsten  Organe 
des  Zirkulations-,  des  Respirations-,  des  Verdauungstraktes  etc. 
graphisch  darzustellen.     Im    allgemeinen    dürfen    wir    aber    wohl 


254     Escherich,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen  P&diatrie. 

auf  Grund  der  auatomischen  und  physiologischen  Daten  an- 
nehmen, dass  dieselbe  relativ  rasch  erfolgt,  während  andere 
Funktionen,  wie  die  Muskelkraft  erst  sehr  viel  später  ihr  Maximum 
erreichen.  Als  die  gemeinsamen  Resultate  aller  dieser  Leistungen 
können  wir  aber  die  Überwindung  der  auf  den  Organismus  ein- 
wirkenden Schädlichkeiten,  mit  anderen  Worten  den  Grad 
seiner  Widerstandsfähigkeit  betrachten,  der  statistisch  in 
der  Häufigkeit  der  Erkrankungen  und  Todesfälle  zum 
Ausdruck  kommt.  Dass  damit  nur  ein  relativer  und  nur 
unter  bestimmten  gleichbleibenden  Voraussetzungen  brauchbarer 
Massstab  gewonnen  wird,  ergibt  sich  schon  aus  der  Betrachtung 
des  ersten  intrauterinen  Lebensabschnittes.  Obgleich  hier  die 
Organe  die  geringste  Leistungsfähigkeit  aufweisen,  so  kommt  es 
doch  infolge  der  geschützten  Lage  des  Fötus  nur  selten  zu  Er- 
krankungen. Dagegen  erfordert  schon  der  Übergang  in  das 
extrauterine  Leben  eine  ganz  wunderbare  Präzision  vorgebildeter 
Mechanismen.  Das  geringste  Versagen  derselben  hat  die 
schwersten  Gefahren  für  das  Leben  des  Kindes  im  Gefolge,  und 
so  erklärt  sich  die  hohe,  dem  Geburtsakte  und  der  nachfolgenden 
Periode  eigentumlichen  Sterblichkeit.  Dazu  kommt,  dass  die 
Verhältnisse  des  extrauterinen  Lebens  von  dem  Neugeborenen 
zunächst  als  direkter  Reiz  empfunden  werden,  deren  schädlicher 
Einfluss  nur  durch  sorgfältige  und  zielbewusste  Pflege  gemildert 
wird.  Je  ruckständiger  die  Entwicklung  des  Kindes  (Frühgeburt), 
je  ungünstiger  sich  das  Pflegemoment  gestaltet  (Armut,  Ille- 
gitimität, unzweckmässige  Ernährung),  desto  geringer  sind  die 
Aussichten,  das  Leben  des  Kindes  zu  erhalten.  Unter  sozial 
ungünstigen  Verhältnissen  steigt  die  Sterblichkeit  bis  auf  70  pCt. 
der  Geborenen,  während  sie  in  wohlhabenden  Familien  bis  auf 
lOpOt.  und  weniger  herabsinken  kann.  Sehr  viel  wirksamer  als 
diese  äusseren  Einflüsse  erweist  sich  die  in  diese  Zeit  fallende 
rasche  Entwicklung  der  Organe,  insbesondere  des  Verdauungs- 
traktes, der  nach  den  Untersuchungen  von  Bloch  im  3.  bis 
4.  Lebensjahre  seine  volle  histologische  Entwicklung  erreicht  hat. 
Dieses  rapide  Anwachsen  der  Widerstandsfähigkeit  bei  hoher 
Lebensenergie  zusammen  mit  der  Schonung  und  dem  Schutze, 
welchen  das  Kind  im  elterlichen  Hause  geniesst,- führt  die  bis 
gegen  das  Ende  des  Kindesalters  reichende  Periode  höchster  Ge- 
sundheit herbei,  in  welcher  die  Erkrankungen  und  Todesfalle  auf 
ein  Minimum  herabsinken. 

Allein    die   funktionelle   Entwicklung  ist  damit  noch  keines- 


Esc  her  ich,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie.     255- 

wegs  abgeschlossen.  Vielmehr  beginnt  jetzt,  nachdem  die  Er- 
haltung und  der  Schatz  des  Lebens  unter  normalen  Verhält- 
nissen  gesichert  ist,  die  Erwerbung  jener  Fähigkeiten  und 
Reservekräfte,  welche  es  dem  Erwachsenen  ermöglichen,  den 
Kampf  ums  Dasein  und  die  Sorge  für  die  Erhaltung  der  Art 
unter  den  bestmöglichsten  Bedingungen  aufzunehmen:  die  Aus- 
bildung der  Kraft  und  Gewandtheit  der  Muskulatur,  die  Ge- 
wohnung an  Strapazen,  an  klimatische  Schädlichkeiten,  an  ver- 
schiedene Ernährungsweisen,  insbesondere  aber  die  Entwicklung 
und  Schulung  der  geistigen  Fähigkeiten.  Hierher  wäre  auch  die 
Kräftigung  der  für  das  Überstehen  von  Infektionskrankheiten 
notwendigen  Schutzvorrichtungen  die  Erwerbung  der  Immun- 
Stoffe  etc.  zu  rechnen. 

Die  Einschaltung  dieser  langen,  der  sogenannten  Pueritia 
entsprechenden  Epoche,  die  wesentlich  der  funktionellen  Ent- 
wicklung bei  relativ  geringer  Zunahme  des  Massen-  und  Längen - 
wachstumes  gewidmet  ist,  gehört  ebenso  wie  die  lange  Dauer 
der  Kindheit  überhaupt  zu  den  hervorstechenden  Eigentümlich- 
keiten der  Entwicklung  des  Menschengeschlechtes.  Es  ist  kein 
Zweifel,  dass  der  Mensch  gerade  dieser  langsamen  Entwicklung 
und  Reifung  nicht  nur  den  hohen  Stand  seiner  •  geistigen  und 
körperlichen  Leistungen,  sondern  auch  die  enorme  Akkommo- 
dationsfähigkeit und  die  funktionelle  Anpassung  verdankt, 
welche  es  ihm  im  Gegensatze  zu  den  niedriger  stehenden  Lebe- 
wesen ermöglichen,  unter  den  grössten  Extremenan  Klima,  Nahrung 
and  Lebensführung  zu  existieren  und  sich  dadurch  faktisch  zum 
Herrn  der  Welt  zu  machen. 

Es  wäre  aber  ein  fundamentaler  Irrtum,  zu  glauben,  dass 
diese  die  Kindheit  charakterisierende  progressive  Entwicklung 
der  Organe  und  Funktionen  sich  auf  allen  Gebieten  in  gleich- 
massiger  Weise  vollzieht,  etwa  wie  das  Wachstum  eines 
Krystalles,  der  durch  Anlagerung  gleichartig  gerichteter  Teilchen 
an  die  gegebenen  Grundflächen  des  Kernes  sich  vergrössert. 

Vor  dieser  leider  noch  immer  verbreiteten  Meinung,  welche 
in  dem  Kinde  gleichsam  die  Duodezausgabe  des  Erwachsenen 
erblickt,  schützt  uns  zur  Genüge  die  Kenntnis  der  Entwicklungs- 
geschichte, welche  die  erstaunlichsten  Wandlungen  in  der  Form 
des  Embryo  konstatiert  hat.  Die  von  Langer^)  entworfene 
Tafel  zeigt  die   grossen  Unterschiede,    welche    bei  genauerer  Be- 


')  Anatomie    der    äusseren  Formen    des    menschlichen  Körpers.     1884 


256     £8cherich,  Die  Grundlagen  und  Ziele  der  modernen  Pädiatrie. 

trachtung  zwischen  der  Gestalt  des  Kindes  und  des  Erwachsenen 
bestehen.  Dass  aber  nicht  nur  die  äussere  Form,  sondern  auch 
die  inneren  Organe  im  Laufe  des  Wachstums  eine  fortwährende 
Veränderung  ihrer  gegenseitigen  Grössenverhältnisse  erfahren, 
geht  aus  der  über  meine  Anregung  von  Oppenheimer^)  aus- 
geführten Tafel  hervor,  welche  das  Gewicht  der  Organe  in  den 
verschiedenen  Lebensjahren  (berechnet  auf  das  Organgewicht 
des  Neugeborenen)  vorführt.  Die  Betrachtung  dieser  Verhält- 
nisse zusammen  mit  den  schon  früher  angedeuteten  Beob- 
achtungen ergibt,  dass  das  Wachstum  der  einzelnen  Organe 
ungleichzeitig  und  mit  wechselnder  Intensität,  also 
gleichsam  ruckweise  erfolgt,  und  dass  die  Reihenfolge 
bedingt  ist  durch  die  grössere  oder  geringere  Bedeutung 
der  sich  entwickelnden  Organe  für  die  Erhaltung  resp. 
den  Schutz  des  kindlichen  Lebens.  Ich  bezeichne  dies  als 
das  dritte  Wacbstumsgesetz. 

Das  Leben  des  Kindes  in  utero  und  am  Beginne  seines 
extrauterinen  Daseins  ist  ein  rein  vegetatives,  so  dass  Plato 
allen  Ernstes  die  Frage  erwog,  ob  der  Neugeborene  wirklich  als 
Mensch  zu  betrachten  sei.  Aber  so  wie  das  geistige  Leben  an 
die  Entwicklung  und  Funktion  des  Hirnes,  so  ist  das  vegetative 
an  die  Entwicklung  und  die  Funktion  gewisser  dem  Stoffwechsel 
dienender  Organe  gebunden.  Das  wichtigste  ist  in  diesem 
Sinne  das  Zirkulationssystem  mit  Leber,  Nieren,  Blutgefäss- 
drüsen,  die  im  Intrauterinleben  eine  besonders  frühzeitige  Ent- 
wicklung erfahren.  Ausser  diesen  sind  beim  Neugeborenen  nur 
jene  Organe  gut  entwickelt,  welche  dem  Assimilationsprozesse 
dienen  sollen:  die  Lungen  und  der  mächtige  Verdauungstrakt, 
während  das  schwach  entwickelte  Skelett  und  die  Muskeln  nur 
eine  dünne,  verletzbare  Hülle  um  diese  lebenswichtigen  Organe 
bilden.  Nach  der  gewaltigen  Massenzunahme  des  Körpers 
während  des  ersten  Lebensjahres,  setzt  die  Periode  der  Skelett- 
entwicklung ein,  an  welche  sich  vom  J5.  bis  6.  Jahre  an  die 
Ausbildung  der  Muskulatur  und  der  geistigen  Fähigkeiten 
anschliesst. 

Es  zerfällt  demnach,  wie  schon  diese  kurze  Skizze  er- 
kennen lässt,  die  Kindheit  in  eine  Reihe  von  physiologisch 
durch       die      Entwicklung      bestimmter      Organsysteme 


^)  Über    die    Wachstumsverhältnisse    des    Körpers    uod    der    Organe 
Inaug.-DisB.     München.     1888. 


Escherich,  Die  Gmndlagen  and  Ziele  der  modernen  Pädiatrie.    257 

charakterisierte  Phasen  oder  Perioden.  Die  Unter 
Scheidung  derselben  ist  nicht  nur  vom  wissenschaftlichen,  sondern 
in  noch  höherem  Grade  vom  praktischen  Standpunkte  aus  ge- 
rechtfertigt; denn  die  für  jede  dieser  Perioden  notwendigen 
Lebensbedingungen  und  -bedürfnisse  sind  so  verschieden,  dass 
die  Art  der  Pflege  und  Behandlung  so  gut  wie  ausschliesslich 
dadurch,  resp.  durch  das  Alter  des  Individuums  bestimmt  wird. 
Mit  der  Ruckständigkeit  der  Entwicklung  und  der  dadurch  be- 
dingten geringeren  Variabilität  der  Lebensbedingungen  hängt  es 
auch  zusammen,  dass  die  Lebensführung  um  so  gleichmässiger 
und  um  so  sorgfältiger  geschützt  sein  muss,  je  jünger  das 
Individuum  ist.  Erst  in  späteren  Jahren  können  individuelle 
Verschiedenheiten  und  der  Einfluss  der  sozialen  Verhältnisse 
stärker  hervortreten. 

Als  die  brauchbarste  Einteilung  des  Kindesalters  hat  sich 
sowohl  für  die  wissenschaftlichen  als  für  die  praktischen  Be- 
dürfnisse die  auch  von  Vierordt  angenommene  Dreiteilung  be- 
währt: 

I.  Kindheit:  Infantia. 

1.  Neugeborenenperiode  (1.  Lebenswoche).  Charakterisiert 
durch  den  Übergang  von  intra-  zum  extrauterinen  Leben,  der 
sich  in  Bezug  auf  die  äusseren  Lebensbedingungen  sehr  plötzlich, 
in  Bezug  auf  die  Körpergewebe  und  -  Säfte  nur  sehr  allmählich 
vollzieht.  Rückbildung  der  fötalen  Organe.  Hyperämie  und 
Desquamation  der  äusseren  Decken. 

2.  Säuglingsperiode  (1.  Lebensjahr).  Charakterisiert  durch 
die  Notwendigkeit  ausschliesslicher  Milchnahrung  infolge  der 
funktionellen  Schwäche  des  Verdauungstraktes,  dabei  reichliche 
Nahrungszufuhr  und  mächtiger  Körperansatz  (Verdreifachung  des 
Geburtsgewichtes),  starkes  Wachstum  des  Hirnes.  Alle  anderen 
Funktionen  treten  zurück. 

3.  Milchzahnperiode  (2.  —  5.  Lebensjahr).  Charakterisiert 
durch  rasches  Wachstum  und  Ausbildung  des  Skeletts,  Durch- 
bruch  der  Milchzähne,    Erlernung   des  Gehens   und  der  Sprache. 

n.  Kindheit:  Pueritia  (6.  Jahr  bis  Pubertät).  Charakterisiert 
durch  besondere  Entwicklung  und  Übung  der  Muskulatur,  durch 
Steigerung  aller  funktionellen  Leistungen  bei  nur  langsam  fort- 
schreitendem Körperwachstum.  Übertritt  des  Kindes  aus  der 
Familie  in  das  soziale  Leben  (Schule),  beginnende  Differenzierung 
der  Geschlechter. 

Jahrbuch  f.  KIrderheilknDde.    S.  F.    LXI,  Heft  1.  17 


258    EschBriohi  Die  Grandla^en  und  Zi«l«  der  nodernefi  Pädiatrie. 

III.  Pubertatsalter.  Bei  Knaben  Tom  16.,  bei  Mädchen 
(germanischer  Abstammang)  vom  13.  Jahre  an.  Bei  letzteren  Ein- 
tritt der  Menstruation.  Erwachen  des  Geschlechtstriebes  und  Ent- 
wicklang der  sekundären  Geschlechtscharaktere. 

Ich  beschränke  mich  darauf,  die  physiologische  Charakteri- 
sierung dieser  Perioden  nur  in  Schlagworten  zu  geben.  Dagegen 
werde  ich  versuchen,  die  innigen  und  wichtigen  Beziehungen 
derselben  zur  Patholagie  etwas  ausführlicher  zu  schildern.  Wenn 
wir  die  Krankheit  als  die  physiologische  Reaktion  und  Abwehr 
des  Organismus  gegenüber  der  krankmachenden  Schädlichkeit 
auffassen,  so  ist  es  einleuchtend,  dass  die  jeweilige  physiologische 
Beschaffenheit  massgebend  ist  für  die  Art  und  den  Ablauf  des 
Prozesses.  Sowie  dies  für  das  Kindesalter  im  allgemeinen  gegen- 
über dem  Erwachsenen  gilt,  so  trifft  es  in  gleicher  Weise  für 
die  verschiedenen  Wachstumsperioden  zu,  die  je  nach  dem  Ent- 
wicklungsgrade so  grosse  physiologische  Verschiedenheiten  auf- 
weisen. Dieselben  sind  namentlich  für  die  erste  Lebensperiode 
so  beträchtlich,  dass  sich  unter  dem  Einflüsse  lokaler  Verhältnisse 
innerhalb  der  Kinderheilkunde  bereits  eine  weitere  Spezialisierung 
solcher  Arzte,  Spitäler  und  Kliniken  herausgebildet  hat,  welche 
sich  speziell  mit  der  Pflege  und  den  Erkrankungen  des  Säuglings- 
alters befassen.  Wenn  ich  auch  diese  separatistischen  Bestrebungen 
nicht  für  berechtigt  halte,  so  sind  sie  doch  geeignet,  den  grossen 
Umfang  und  die  Mannigfaltigkeit  der  Kinderheilkunde  ad  oculus 
zu  demonstrieren. 

Die  Beziehung  der  Wachstumsperioden  zur  Pathologie  be- 
ruhen darauf,  dass,  wie  schon  oben  erwähnt,  die  besonderen 
physiologischen  Verhältnisse  in  jeder  Periode  eine  Gleichartigkeit 
der  Lebensführung  und  damit  auch  der  Gelegenheitsursachen  zu 
Erkrankungen  mit  sich  bringen,  wie  sie  zu  keiner  anderen  Zeit 
bestehen.  Dazu  kommt,  dass  die  Rückständigkeit  der  Organe  im 
allgemeinen  eine  geringe  Widerstandsfähigkeit  gegen  Störungen 
im  allgemeinen  bedingt  und  dass  weiterhin  die  in  lebhaftem 
Wachstume  begriffenen  Organe  in  besonders  hohem  Grade  zu 
Erkrankungen  geneigt  sind.  Endlich  besteht  für  eine  geringe 
Zahl  von  Erkrankungen  eine  teils  auf  äusseren  Ursachen,  teils 
in  der  Gewebsbeschaffenheit  selbst  beruhenden  Altersdisposition. 
Alle  diese  Momente  vereinigen  sich  bei  den  einer  und  derselben 
Wachstumsperiode  angehörigen  Individuen  und  bedingen,  dass 
bei  diesen  eine  bestimmte  Gruppe  von  Erkrankungen  mit  be- 
sonderer  Häufigkeit    beobachtet   wird,    die  in  anderen  Perioden 


Bfteherieh,  Die  Grandlageh  «nd  Ziel«  «kr  modAintn  P&difttrt6.    269 

nicht   oder   sehr    viel  seliener  vorkommen.     So  hat  jede  dieser 
Wachstumsperioden  nicht  nar  eine  physiologische,    sondern  auch 
•eine  nicht  minder  ausgeprägte  pathologische  Physiognomie. 
I.  Infantia. 

1.  Neugeborenenperiode:  Missbildungen,  angeborene  oder 
•ererbte  Erkrankungen  (Lues),  GeschwAlste,  Geburtstraumen 
{Frakturen,  Zerreissungen,  Blutergüsse,  Himschädigung),  Störung 
in  der  Rückbildung  der  fötalen  Wege  (Nabelerkrankungen), 
Icterus  neonatorum,  Reizung  und  L&sionen  der  zarten  Haut  und 
Schleimhautdecke,  dadurch  begünstigte  bakterielle  Invasion  des 
der  Schutzstoffe  noch  entbehrenden  Körpers,  lokale  und  allgemeine 
«Sepsis,  gonorrhoische  Infektion. 

2.  Säuglingsperiode:  Störungen  durch  die  bezüglich  der 
Intervalle  oder  Mengenverhältnisse  fehlerhaften  Nahrungsaufnahme; 
relative  oder  absolute  Insuffizienz  der  Verdauung  gegenüber  der 
aufgenommenen,  insbesondere  der  künstlichen  Nahrung;  Reizung 
der  Darm  Schleimhaut  durch  bakterielle  Zersetzungsprodukte  oder 
Invasion  der  Darmwand  führen  zu  chronischer  Intoxikation  und 
Atrophie;  das  rasche  Wachstum  des  Hirnes  ist  nicht  selten  von 
Übererregbarkeit  des  Nervensystemes  (Tetanie),  Eklampsie  und 
Hydrocephalie  begleitet;  dabei  besteht  die  Empfindlichkeit  der 
Haut-  und  Schleimhäute  (Bronchialerkrankungen,  Pneumonien) 
sowie  eine  grosse  Neigung  zu  pyogenen  Erkrankungen  jeder  Art 
fort,  wogegen  spezifische  Infekte  relativ  selten  vorkommen. 

3.  Milchzahnperiode:  Störung  der Ossifikationsvorgänge (schon 
im  Ablaufe  des  1.  Lebensjahres  beginnend)  mit  ihren  Folge- 
zuständen (Verkrümmungen  des  Thorax  und  der  Extremitäten 
Bronchopneumonien  etc.)  durch  Rachitis.  Gleichzeitig  damit  er- 
scheinen auch  andere  Dyskrasien  (Status  lymphaticus,  skrofulöse, 
Anämische  Zustände).  Das  Kriechen  des  Kindes  auf  unreinem 
Boden,  die  Gewohnheit,  alles  in  den  Mund  zu  stecken,  bringen 
zusammen  mit  dem  mangelnden  Reinlichkeitssinne  die  sogenannten 
Schmierinfektionen  hervor:  zahlreiche  Mund-  und  Rachen- 
Erkrankungen,  Diphterie,  kontagiöse  Hauterkrankungen,  Helmin- 
thiasis,  Pertussis,  auch  tuberkulöse  Infektion  des  oberen  Respirations- 
resp.  Yerdauungstraktes  und  damit  zusammenhängend  Lymph- 
drüsentuberkulose, insbesondere  der  Hals-  und  Bronchialdrüsen.  Von 
letzterer  nimmt  die  diesem  Alter  eigentümliche  Form  der  Hilus- 
pthise  ihren  Ausgang.  Häufiges  Vorkommen  der  lokalen  und  der 
miliaren  Tuberkulose.  Defekte  der  Intelligenz  treten  in  aus- 
bleibender   oder    verspäteter    Erlernung    der    Sprache,    schwere 

17* 


260    Escherieh,  Die  Gmndlagen  and  Ziele  der  modernen  Pädiatrie. 

Läsionen  des  Gehirnes  als  Idiotie  oder  Epilepsie  zutage.  Be- 
sondere Haa£gkeit  der  akaten  Poliomyelitis. 

IL  Poeritia.  .  Der  Eintritt  in  die  Schule  bringt  die  damit 
verbundenen  Schädigongen:  Skoliose,  Myopie,  nervöse  Störangen 
der  verschiedensten  Art  and  mannigfaltige  Kontaktinfektionen, 
anter  denen  die  akaten  Exantheme  mit  ihren  Folgezostanden 
Nephritis,  Myokarditis  die  weitaas  wichtigsten  sind.  Der  leb- 
haftere Bewegangsdrang  erzeugt  traumatische  Erkrankungen,  viel- 
leicht auch  die  nunmehr  einsetzende  Appendicitis.  Tuberkulose, 
insbesondere  die  Drnsentaberkulose  ist  seltener,  nähert  sich  dem 
Typus  der  Erwachsenen,  dagegen  erscheint  als  neue  und  gefahr- 
liche Infektionskrankheit  der  akute  Gelenkrheumatismus  mit 
Elndocarditis  und  Chorea. 

ni.  Pubertät.  Liefert  vorwiegend  beim  weiblichen  Ge- 
schlechte charakteristische  Erankheitsbilder:  Chlorose,  Hysterie, 
Psychosen,  Herzerkranknngen.  Im  übrigen  gehen  die  Morbiditäts- 
verhältnisse  in  diejenigen  der  Erwachsenen  über. 

Diese  Gruppierung  der  häufigsten  Krankheiten  des  Eindes- 
alters ist  jedem  erfahrenen  Pädiater  geläufig  und  trägt  dadurch, 
dass  der  Kreis  der  in  Betracht  kommenden  Erkrankungen  für 
jede  Periode  ein  relativ  beschränkter  ist,  wesentlich  zur  Er- 
leichterung der  Orientierung  und  der  Diagnosen  stellang  bei.  Sie 
muss  auch  jeder  Besprechung  der  Therapie  zugrunde  gelegt 
werden,  da  ja  auch  die  in  Anwendung  gezogenen  Massnahmen 
genau  so  wie  die  Pflege  des  gesunden  Kindes  für  jede  Wachstums- 
periode  verschieden  sind.  Vorher  mögen  jedoch  einige  Worte 
über  die  Therapie  der  Kinderkrankheiten  im  allgemeinen  voraus- 
geschickt werden. 

Wenn  auch  die  allgemeinen  Prinzipien  der  Arzneibehandlung 
für  das  Kindesalter  selbstverständlich  die  gleichen  sind,  wie  für 
den  Erwachsenen,  so  gestaltet  sich  doch  die  praktische  Durch- 
führung derselben  zu  einer  wesentlich  verschiedenen  je  nach  dem 
Lebensalter  des  Kindes.  So  genügt  es,  um  ein  Beispiel  heraus- 
zugreifen, durchaus  nicht,  die  dem  Erwachsenen  in  einem  ge- 
gebenen Falle  zu  verordnende  Dose  eines  Medikamentes  auf  das 
Körpergewicht  des  Kindes  zu  reduzieren.  Vielmehr  bringt  die 
physiologische  Eigenart  des  kindlichen  Organismus,  die 
Verschiedenheiten  im  Wachstum  der  einzelnen  Organe,  seine 
Intoleranz  gegen  die  einen,  die  Toleranz  gegen  andere  Mittel, 
sowie  die  Rücksicht  auf  die  dem  Kinde  zusagende  Dispensierung 
es  mit  sich,  dass  die  Auswahl  und  Versohreibung  der  beim  Kinde 


£8  che  rieh,  Die  Graodlagen  und  Ziele  der  moderneo  P&diatrie.    261 

7.a  verweDdenden  Medikamente  selbst  fQr  die  gleichen  Indikationen 
in  fast  allen  Fällen  yon  der  beim  Erwachsenen  üblichen  abweicht. 
£s  kann  also  dem  in  der  Einderprazis  tätigen  Arzte  nicht 
erspart  bleiben,  dass  er  sich  mit  der  für  die  einzelnen  Wachstums- 
perioden üblichen  Therapie  durch  ein  spezielles  Studium  vertraut 
macht. 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  den  physikalischen  Behandlungs- 
methoden. Auch  diese  gerade  in  jüngster  Zeit  mehr  und  mehr 
gewürdigten  Methoden  verlangen  eine  weitgehende  Anpassung  an 
die  geringere  Widerstandsfähigkeit,  an  das  mangelnde  Entgegen- 
kommen resp.  den  Widerstand,  welchen  die  kleinen  Patienten  der 
Vornahme  derselben  entgegensetzen.  Dagegen  gewähren  die 
Kleinheit  und  Transportfähigkeit  des  kindlichen  Körpers,  der 
relativ  leicht  zu  überwindende  Widerstand  und  das  Fehlen 
suggerierter  Angst  Vorstellungen  in  manchen  Fällen  eine  erwünschte 
Erleichterung. 

Auf  Einzelheiten  der  Therapie  kann  nicht  eingegangen  werden. 
Nur  im  allgemeinen  sei  erwähnt,  dass  von  der  Hochflut  der 
Medikamente,  welche  die  chemische  Industrie  in  letzter  Zeit  auf 
den  Markt  geworfen  hat,  nur  wenige  sich  in  der  Pädiatrie  einen 
dauernden  Platz  errungen  haben.  Mit  Recht  wird  der  Gebrauch 
der  Arzneien  mehr  und  mehr  eingeschränkt  und  nach  Möglichkeit 
durch  diätetische  und  physikalische  Behandlungsmethoden  ersetzt, 
die  bei  langer  und  konsequenter  Anwendung  überraschende 
Resultate  ergeben. 

Nur  von  jenen  Mitteln  können  wir  einen  wirklichen  kurativen 
Erfolg  erwarten,  welche  den  gerade  im  kindlichen  Organismus  so 
mächtigen  Naturheilprozess  anregen,  fördern  oder  ersetzen,  wie 
dies  in  glänzendster  Weise  durch  das  von  Behring  hergestellte 
Diphterieheilserum  geschieht.  Hier  waren  die  Pädiater,  welche 
sonst  in  den  von  der  internen  Medizin  eingeschlagenen  Wegen 
zu  wandeln  gezwungen  sind,  in  der  Lage,  in  der  Erprobung  und 
Empfehlung  dieses  hervorragenden  Heilmittels  die  führende  Rolle 
zu  übernehmen.  Es  sei  hier  gleich  eines  zweiten,  ebenfalls  bei' 
Diphterie  zur  Verwendung  kommenden  Heilverfahrens  erwähnt, 
dessen  Einführung  ausschliesslich  den  Pädiatern  zu  danken  ist, 
ich  meine  die  von  Ihrem  ebenso  genialen,  als  bescheidenen  Lands- 
manne  O'Dwyer  empfohlene  Intubation,  welche  die  Verwendung 
der  blutigen  Tracheotomie  in  der  grössten  Zahl  der  Fälle  über- 
flüssig gemacht  hat. 


382    Escherick,  Die  Gnindlageii  imd  Ziele  der  modernen  Pädiatrie. 

Der  grösste  Unterschied  in  der  therapeatischen 
Aufgabe  des  Kinderarztes  gegenüber  derjenigen  des 
Internisten  liegt  aber  in  der  überwiegenden  Bedeutang 
and  Aasgestaltang  der  Prophyllaxe.  Das  Wort  Prophyllaxe 
ist  in  diesem  Sinne  bis  zu  einem  gewissen  Orade  identisch  mit 
Pflege,  insofern  bei  der  Erziehung  des  Kindes,  dem  Selbst- 
bestimmung, Erfahrung  und  regulierende  Apparate  fehlen,  die 
Pflege  nicht  nur  seine  körperlichen  Bedarfnisse  befriedigen, 
sondern  auch  alle  ihm  drohenden  Gefahren  verhüten  muss.  Dazu 
reichen  aber  die  dem  Erwachsenen  zu  Gebote  stehende  Erfahrung 
und  die  Regeln  der  allgemeinen  Hygiene  nicht  aus,  es  bedarf 
dazu  einer  speziellen, individualisierendenUnterweisung, 
welche  nur  yon  einem  mit  den  Gesetzen  der  Entwicklung 
des  Kindes  yertrauten  Pädiater  gegeben  und  von  dafür 
ausgebildeten  Personen  durchgeführt  werden  kann.  Die 
klinische  Erfahrung  wie  die  medizinische  Statistik  zeigt,  das^ 
kein  anderes  Moment  die  Morbidität  und  Mortalität  des  Kindes- 
alters so  mächtig  beeinflusst,  als  eine  sorgfaltige  und  sach- 
Terständig  geleitete  Pflege,  und  dass  es  auf  diesem  Wege 
wenigstens  beim  jungen  KJnde  gelingt,  wenn  nicht  alle,  so  doch 
die  meisten  Erkrankungen  fem  zu  halten.  Die  Pädiater  sind 
sich  auch  Ton  allem  Anfange  an  der  grossen  Bedeutung  der  vor- 
beugenden Pflege,  der  ProphyUaxe,  bewasst  gewesen,  wenn  auch 
erst  die  grossartigen  Elrrungenschaften  der  letzten  Jahrzehnte 
ihnen  den  rechten  Weg  gewiesen  haben.  Wir  werden  versuchen, 
die  wichtigsten  Grundsätze  derselben  für  die  verschiedenen 
Perioden  mit  kurzen  Worten  zu  skizzieren  und  damit  gleich- 
zeitig einige  der  gerade  jetzt  im  Flosse  befindlichen  Fragen  be- 
rühren. 

Die  Prophylaxe  bezüglich  der  Geburtsschädigungen  fallt  der 
Geburtshilfe  zu.  Ich  will  hier  nar  den  originellen  Gedanken 
Prof.  Gärtners  erwähnen,  den  schweren  asphyktischen  Zustand 
des  Neugeborenen  durch  Einführung  von  Saaerstoffgas  in  die 
Nabelvene  zu  beheben.  Im  übrigen  wird  die  Aufgabe  des  Kinder- 
arztes darauf  gerichtet  sein,  die  den  Neugeborenen  umgebenden 
Medien  nach  Möglichkeit  im  Sinne  der  in  utero  bestehenden  Ver- 
hältnisse umzuwandeln,  wozu  man  zweckmässig  eine  Couveuse  oder 
Brutkammer  verwendet.  Die  Zartheit  der  Haut  und  Schleimhäute 
verlangt  besondere  Sorgfalt  bezüglich  der  Kleidung  und  Reinigung 
des  Kindes.  Es  ist  bekannt,  dass  die  meisten  der  in  den  ersten 
Lebensjahren  auftretenden  Munderkrankungen  durch  mechanische 


JSacbericti,  Die  Orondlag^Q  and  Ziele  der  modertieD  Pftdiatrie-    263 

losalte  hervorgerufen  oder  doch  begünstigt  werden.  Freilich  muss 
noch  ein  weiterer  Faktor  hinzutreten:  die  Infektion.  Es  genftgen 
jedoch  zu  deren  Zustandekommen  schon  die  gewohnlichen  stets 
in  der  Umgebung  des  Menschen  verbreiteten  Eiterbakterien  und 
die  geringsten  Läsionen  der  Decke.  Von  der  Häufigkeit  und 
Gefahr  derselben  sprechen  die  älteren  Findelhausstatistiken  und 
die  Krankenhausberichte,  nach  denen  80 — 100  pCt.  der  ein- 
gebrachten Säuglinge  zagrunde  gingen.  Durch  die  Einfuhrung  der 
Antisepsis  und  Asepsis  in  der  Pflege  des  Säuglings  ist  ein  hochbedeut- 
samer Umschwung  dieser  Verhältnisse  und  ein  Rückgang  der 
septischen  Erkrankungen  eingetreten,  welcher  der  Beseitigung  des 
Puerperalfiebers  der  Wöchnerinnen  durch  Semmelweiss  gleich- 
zustellen ist. 

Die  grösste  und  schwierigste  Aufgabe  dieser  Lebensperiode 
ist  aber  die  Ernährung.  Der  Darmkanal  des  Säuglings  hat  trotz 
seiner  rückständigen  Entwicklung  die  zur  Yerdreifachung  des 
Körpergewichts  notwendige  Nahrungsmenge  zu  assimilieren.  Die 
Bewältigung  dieser  Aufgabe  gelingt  relativ  leicht,  wenn  dem 
Säuglinge  die  natürliche,  seinen  Bedürfnissen  so  wunderbar  an- 
gepasste  Nahrung,  die  Muttermilch,  zur  Verfügung  steht.  Die 
Schwierigkeit  wächst  aber  ins  Ungemessene,  wenn  die  Mutter,  wie 
dies  in  immer  steigendem  Masse  der  Fall  ist,  wegen  Mangel  an 
Milch  oder  aus  sozialen  Gründen  nicht  imstande  ist,  zu  stillen. 
Da  die  Kenntnis  der  Stoffwechsel  Vorgänge  trotz  der  grossen  dar- 
auf verwendeten  Arbeit  noch  nicht  soweit  vorgeschritten  ist,  die 
Aufstellung  experimentell  ermittelter  Werte  zu  ermöglichen,  so  sind 
wir  heute  wie  in  früherer  Zeit  darauf  angewiesen,  uns  an  das  Vor- 
bild der  Muttermilch  zu  halten  und  die  zur  künstlichen  Ernährung 
benutzte  Kuhmilch  derselben  nach  Möglichkeit  ähnlich  zu  machen. 
Die  Unterschiede  der  prozentischen  Zusammensetzung,  denen 
man  anfangs  die  grösste  Bedeutung  beilegte,  hat  man  gelernt,  durch 
entsprechende  Verdünnung  und  Zusatz  von  entsprechenden  Mengen 
von  Fett  und  Kohlehydraten  in  recht  vollkommener  Weise  aus- 
zugleichen. Dagegen  hat  sich  im  Laufe  der  Forschung  die  Kluft, 
welche  bezüglich  der  Qualität  der  einzelnen  Nährstoffe  besteht, 
noch  erweitert.  Wenigstens  gilt  dies  bezüglich  des  wichtigsten 
derselben,  des  Eiweisses.  Dasselbe  weist  nicht  nur  in  seiner 
elementaren  Zusammensetzung  und  den  chemischen  Reaktionen, 
sondern,  da  es  einem  artfremden  Lebewesen  entstammt,  auch  in 
seinem  biologischen  Verhalten  wesentliche  und  unüberbrückbare 
Unterschiede    gegenüber    dem   Frauenmilcheiweiss   auf.     Auf  die 


264    Escherich,  Die  Grand  lagen  and  Ziele  der  modernen  Pädiatrie. 

Bedeutung  dieser  Frage  für  die  SäuglingsemähruDg  haben  Wasser- 
mann und  Hamburger  hingewiesen. 

Zu  den  qualitativ  yerschiedenen  Bestandteilen  gehört  auch 
die  Gruppe  der  in  der  Frauenmilch  enthaltenen  thermolabilen 
fermentartigen  Körper,  auf  deren  Vorkommen  ich  selbst  die 
Aufmerksamkeit  gelenkt  habe.  Dieselben  vermitteln,  da  sie  dem 
Blute  der  Mutter  entstammen,  dem  Brustkinde  einen  Teil  der  in 
dieser  enthaltenen  Schutzstoffe  und  Stoffwechselfermente,  während 
die  analogen  in  der  rohen  Kuhmilch  enthaltenen  Körper  für  den 
Säugling  keinen  oder  doch  einen  sehr  viel  geringeren  Wert  be- 
sitzen. Es  scheint  mir  deshalb  vorläufig  nicht  berechtigt,  die 
Hitzesterilisierung  der  Kuhmilch,  die  ich  für  eine  der  grössten 
Errungenschaften  auf  diesem  Gebiete  betrachte,  aus  diesem  Grunde 
zu  verlassen,  wenn  man  auch  im  allgemeinen  geneigt  ist,  in  Rück- 
sicht auf  die  dadurch  gesetzte  chemische  Veränderung  die  Dauer 
und  Höhe  derselben  möglichst  einzuschränken.  Es  wird  dies  umso 
eher  möglich,  je  reiner  die  Milch  gewonnen  und  je  sorgfaltiger  sie 
bis  zur  Vornahme  der  Steril isierung  behandelt  wird.  Es  scheint  aber 
sehr  fraglich,  ob  der  in  jüngster  Zeit  aufgetauchte  Vorschlag  des 
Formalinzusatzes  (Behring)  oder  der  elektrischen  Durchstrahlung 
(Seiffert)  imstande  sein  werden,  die  Hitzesterilisierung  zu  ersetzen. 

Ein  wesentlicher  Unterschied  der  künstlichen  und  natürlichen 
Ernährung  liegt  auch  in  der  Art  der  Nahrungsaufnahme.  Dos 
Brustkind  erhält  die  Milch  durch  aktives  Saugen  und  —  die  Er- 
nährung an  der  Mutterbrust  vorausgesetzt  —  in  einer  seinen 
Bedürfnissen  angepassten  Menge  und  Zusammensetzung.  Dem 
künstlich  genährten  Kinde  steht  dieselbe  in  unbegrenzter  Menge 
zur  Verfügung  und  wird  ihm  zumeist  in  einer  seine  Verdauungs- 
kräfte übersteigenden  Menge  eingeflösst.  An  der  strengen  Ein- 
haltung der  Grösse  und  Zahl  der  Einzelmahlzeiten,  in  der  Fest- 
stellung der  nach  der  volumetrischen  Methode  oder  dem  Kalorien- 
gehalte berechneten  Nährstoffmenge,  mit  einem  Worte  in  der 
Vermeidung  der  habituellen  Uberf  ütterung  der  Flaschen- 
kinder liegt  ein  weiterer  praktisch  bedeutsamer  Fortschritt  der 
künstlichen  Ernährung. 

Trotz  der  grossen,  in  den  letzten  Jahrzehnten  auf  diesem 
Gebiete  geleisteten  Arbeit  müssen  wir  aber  gestehen,  dass 
wir  von  dem  Ziele  unserer  Bestrebungen,  einen  Ersatz  der 
Muttermilch  zu  finden,  noch  weit  entfernt  sind  und  dass 
diese  insbesondere  bei  in  der  Entwicklung  rückständigen  oder 
durch  Erkrankung  geschwächten  Kindern  durch  nichts  zu  ersetzen 


Escherich,  Die  GrandlageD  und  Ziele  der  modernen  P&diatrie. 

ist.  Dagegen  können  wir  mit  Recht  darauf  hinweisen,  dass  es 
gelangen  ist,  der  Emährang  mit  Kuhmilch  einen  grossen  Teil  der 
früher  damit  verbundenen  Gefahren  zu  benehmen,  so  dass,  wo 
die  Assimilationsfahigkeit  für  Kuhmilch  überhaupt  vorhanden  ist, 
die  künstliche  Ernährung  mit  Aussicht  auf  Erfolg  in  Angriff  ge- 
nommen werden  kann.  Freilich  gehört  zur  richtigen  Durchführung 
derselben  ein  sehr  viel  grösseres  Mass  von  Sorgfalt,  Zeitaufwand 
und  pekuniären  Mitteln  als  zur  Brusternährung,  so  dass  diese 
Verbesserung  gerade  der  armen  Bevölkerung,  wo  sie  am  wichtigsten 
wäre,  nicht,  oder  nur  in  beschränktem  Masse  zugute  kommt. 
Dieselbe  Schwierigkeit  besteht  auch  gegenüber  den  Forderungen 
nach  Pflege,  Reinlichkeit,  Licht  und  Luft  in   den  Wohnräumen. 

Diese  letzteren  Punkte  sind  von  besonderer  Wichtigkeit 
in  der  Periode  der  Skelettentwicklung.  Unhygienische 
Wohnungsverhältnisse,  ungenügende  Ventilation,  enges  Zusammen- 
wohnen der  Menschen,  wie  es  insbesondere  bei  der  armen  Be- 
völkerung und  in  der  kalten  Jahreszeit  vorkommt,  haben,  wie 
Kassowitz  nachgewiesen,  einen  unzweifelhaften  Einfluss  auf  die 
Entstehung  und  die  Schwere  der  Rhachitis.  Bei  der  enormen 
Häufigkeit  und  dem  schleichenden  Beginne  dieser  Krankheit  ist 
•es  nicht  überflüssig  zu  mahnen,  die  Entstehung  schwerer  Formen 
und  rhachitischer  Verkrümmungen  rechtzeitig  zu  verhüten.  In 
«iner  sorgfältig  geregelten  Diät,  der  Verwendung  von  Luft-,  Bade-, 
Bewegungskuren  erst  in  zweiter  Linie  in  der  Verabreichung  von 
Nährpräparaten  und  Medikamenten  (Phosphor,  Eisen,  Arsen)  be- 
sitzen wir  gegenüber  der  Entwicklung  der  in  dieser  Periode  so 
häufigen  Dyskrasien  mächtige  Behelfe.  Angesichts  der  in  dieser 
Zeit  vor  sich  gehenden  Umwandlung  des  Skelettes  aus  dem 
infantilen  in  den  erwachsenen  Typus  könnte  man  auch  daran 
denken,  diesen  Prozess  in  günstigem  Sinne  zu  beeinflussen  und 
beispielsweise  die  Entstehung  der  gefürchteten  paralytischen 
Thorax  durch  entsprechende  Massnahmen  zu  verhüten.  Die  Ge- 
fahren der  Schmierinfektion  sind  durch  sorgfältige  Vermeidung  von 
Infektionsangelegenheiten,  Reinlichkeit  eventuell  durch  Ver- 
wendung des  Schutzpferches  (Fe er)  zu  vermeiden.  Ich  habe  die 
Anschauung  gewonnen,  dass  nicht  wenige,  der  in  diesem  Alter 
so  häufigen  Fälle  von  Meningitis  tuberculosa  auf  Infektion  durch 
Wohnungsstaub  zurückzuführen  sind. 

In  der  der  funktionellen  Ausbildung  gewidmeten  Periode  der 
IL  Kindheit  ist  es  Aufgabe  des  Arztes,  einerseits  die  in  dem 
Kinde    vorhandenen    Kräfte    und    Fähigkeiten    zu    harmonischer 


266    Bteh^ricky  Pi«  GroBdlagta  nnd  Zi«U  der  modernen  PftdUlrie. 

Entwickloiig  za  brisgen,  andererseits  durch  passende  Auswahl 
ond  Anleitung  der  körperlichen  Uebnngen,  durch  richtige  Ein- 
teilung der  Arbeitsstunden  Übermüdung  nnd  Schädigung  hintan- 
zuhalten. Nach  welcher  Seite  hin  der  Eiufluss  des  Arztes  sich 
geltend  zu  machen  hat,  hängt  von  der  Individualität  des  Kindes 
und  seiner  Erzieher,  aber  auch  Yon  den  Sitten  und  Gebräuchen 
des  Landes  ab.  In  den  deutschen  und  romanischen  Ländern 
macht  sich  erst  das  allgemeine  Streben  nach  einer  intensiveren 
körperlichen  Ausbildung  geltend,  während  diese  bei  den  unter 
englischem  Einflüsse  stehenden  Völkern  schon  längst  in  Übung  ist. 

Ein  neuer  Faktor  tritt  mit  der  Schule  in  das  Leben 
des  Eandes.  Die  heute  übliche  Form  des  Massen  Unterrichtes 
in  geschlossenen  Bäumen  und  mit  einem  relativ  grossen  Auf- 
wände von  Unterrichtstunden  ist  im  Sinne  der  Hygiene  als  ein 
notwendiges  Übel  zu  betrachten.  Umsomehr  müssen  wir  bestrebt 
sein,  die  damit  verbundenen  Schäden  durch  Yerbesserung  der 
Schuleinrichtungen  einerseits  durch  entsprechende  Ruhestunden 
ausserhalb  derselben  zu  kompensieren.  Yon  mancher  Seite  wird 
die  Hauptaufgabe  des  Arztes  in  dieser  Periode  darin  gesehen, 
durch  rigorose  Absperrungsmassregeln  die  Kinder  vor  den  während 
des  Schulbesuches  drohenden  akuten  Exanthemen  zu  schützen» 
Ich  kann  diesen  Standpunkt  nicht  unter  allen  Umständen 
und  nicht  für  alle  Erkrankungen  dieser  Gruppe  anerkennen. 
Wenn  auch  bezüglich  einzelner  Erkrankungen,  wie  Scharlach 
oder  Diphterie,  jede  zur  Verhütung  geeignete  Massregel  (pro- 
phylaktische Immunisierung)  zu  empfehlen  ist,  so  kann  dies* 
bezüglich  der  sehr  viel  leichteren  und  fast  alle  Menschen  be- 
fallenden Masern  und  Yaricellen  doch  nur  in  dem  Sinne  zu 
gelten,  als  man  nach  Möglichkeit  zu  V^erhüten  trachtet,  dass  das 
Individuum  zu  einer  Zeit  und  in  einem  Alter  von  diesen  Krank- 
heiten befallen  werde,  in  welchem  eine  verminderte  Widerstands- 
fühigkeit  oder  Neigung  zu  Komplikationen  bestehen.  Das  ist 
aber  jenseits  des  6.  und  7.  Jahres  in  der  Regel  nicht  mehr  der 
Fall,  während  im  Gegenteile  die  im  erwachsenen  Alter  auf- 
tretenden Masern  nicht  selten  einen  schweren  Yerlauf  nehmen 
(Biedert).  Die  durch  Überstehen  gewisser  Infektionskrankheiten 
erworbene  Immunität  ist  ein  intregrierender  Bestandteil  jener 
Widerstandskraft,  welche  sich  der  Mensch  im  Laufe  der  Kind- 
heit erwerben  soll.  Hierher  ist  auch  die  obligatorische  Vornahme 
der  Yaccination  zu  rechnen. 

So    bietet  jede    Wachstumsperiode    des    Kindesalters    neue 


Escheriob,  Die  Grandlagea  und  Ziele  der  modernen  P&diatrie.    267 

un4  bedeutsame  ABgriffspankte  für  die  Darchfübrong  der  in- 
diyidaellen  Prophylaxe,  die  sich  ohne  Schwierigkeit  noch 
vermehren  liessen.  Grundgedanke  ist  die  andauernde 
und  sorgfältige  Überwachung  der  Lebensführung  des 
Kindes  während  der  ganzen,  insbesondere  während  der 
ersten  Zeit  des  Wachstumes,  Schutz  und  Förderung  der 
normalen  Entwicklung  nach  dem  Satze:  medicus  non  sit 
magister  sed  minister  naturae.  Im  einzelnen  also:  Schonung 
der  in  der  Entwicklung  rückständigen,  Ausbildung  der  bereits 
entwickelten  Funktionen,  spezielle  Überwachung  der  jeweilig  in 
besonderem  Wachstume  begriffenen  Organe,  Verhütung  sich 
bildender  oder  ererbter  Erankheitsanlagen,  Schutz  yor  Schädlich- 
keiten, insbesondere  Infektionen.  Die  Erkrankung,  mit  der 
sonst  das  Eingreifen  des  Arztes  erst  einsetzt,  ist  hier  gewisser- 
massen  ein  Misserfolg  der  vorbeugenden  Pflege,  ein  den  normalen 
Gang  der  Entwicklung  störender  Zwischenfall.  In  diesem  Sinne 
wird  der  das  Eind  betreuende  Arzt  zum  Freund  und  un- 
entbehrlichen Berater  der  Familie  in  allen  die  Lebensführung  des 
Kindes  betreffenden  Angelegenheiten,  vorausgesetzt,  dass  diese 
die  selbstlose  Art  seines  Wirkens  zu  schätzen  weiss.  Ich  gebe 
zu,  dass  diese  Art  der  Betätigung  des  Kinderarztes  derzeit  nur 
ausnahmsweise,  unter  besonders  günstigen  Verhältnissen  und  auch 
in  Zukunft  nur  einer  beschränkten  Zahl  von  Familien  errreichbar 
sein  wird.  Aber  warum  sollte  es  verwehrt  sein,  am  Ab- 
schlüsse eines  Jahrhunderts,  das  so  ungeahnte  Erfolge 
gezeitigt  hat,  die  auf  Erhöhung  der  Widerstands-  und 
Leistungsfähigkeit  und  die  Vermeidung  derErkrankungen 
abzielende,  individuelle  Prophylaxe  als  das  ideale  Ziel 
unserer  Bestrebungen  aufzustellen? 

Das  Bild  der  modernen  Pädiatrie  wäre  unvollständig,  wenn 
ich  nicht  auch  der  Bestrebungen  und  Erfolge  gedenken  würder 
welche  sie  auf  dem  Gebiete  des  Kinderschutzes  aufzuweisen 
hat.  Es  war  dies  um  so  notwendiger,  als  in  vielen,  insbesondere 
den  anglogermanischen  Staaten  die  Fürsorge  für  die  armen, 
kranken  und  verlassenen  Kinder  von  vorneherein  der  Privat- 
wohltätigkeit überlassen  wurde,  während  in  den  romanischen 
Ländern  die  Findelanstalten  für  die  bedürftigste  Gruppe  dieser 
Kinder  versorgen.  So  entstanden  die  aus  privaten  Mitteln  ge- 
gründeten Kinderspitäler  und  -Ambulatorien,  die  heute  in  keinem 
grösseren  Gemeinwesen  fehlen.  Diese  Anstalten  gewinnen  eine 
besondere    Bedeutung  dadurch,    dass  sie  die  natürlichen  Zentren 


268     Escherich,  Die  Grandlagen  und  Ziele  der  modernen  P&diatrie. 

für  die  praktische  Aasbildung  und  wissenschaftlichen  Arbeiten 
der  Kinderärzte  darstellten,  aus  denen  sich  dann  die  klinischen 
Institute  entwickelten. 

Die  Mitwirkung  der  Kinderärzte  in  der  Reform  des  Findel- 
and Haltekinderwesens,  in  der  Schalarztfrage,  in  den  zahllosen 
Vereinen,  welche  der  Kräftigung  und  Gesundung  der  heran- 
wachsenden Jagend  dienen  (Schülerhorte,  Ferienkolonien,  See- 
hospize etc.)  ist  selbstverständlich.  Sind  doch  die  Kinderärzte 
diejenigen,  welche  die  Notwendigkeit  dieser  Einrichtungen  zuerst 
erkannt  und  den  Weg  zur  Abhilfe  gezeigt  haben. 

Die  jüngste  Bewegung  hat  sich  den  Schutz  der  Säug- 
linge zum  Ziele  gesetzt,  deren  erschreckende  Sterblichkeit  schon 
oben  besprochen  wurde.  Auf  diesem  Gebiete  gebührt  wie  auf 
dem  des  Kinderschutzes  überhaupt,  wenigstens  soweit  die  staat- 
liche Mitwirkung  in  Betracht  kommt,  Frankreich  der  unbestrittene 
Vorrang.  In  den  meisten  anderen  Ländern  liegen  nur  private 
Unternehmungen  vor:  Krippen,  Milch  Verteilungsanstalten  (sog. 
gouttes  de  lait),  Wöchnerinnenasyle,  Säuglingsheime.  Die  letzteren 
dienen  zumeist  auch  zur  Ausbildung  ärztlich  geschulter  Pflegerinnen. 
In  dieser  Hinsicht  sind  die  in  den  Vereinigten  Staaten  bestehenden 
Einrichtungen,  von  denen  ich  speziell  das  von  Dr.  Shaw  ge- 
leitete St.  Margarethshouse  in  Albany,  näher  kennen  gelernt  habe, 
mustergiltig. 

Alle  diese  Einrichtungen  sind  von  Kinderärzten  angeregt, 
zum  Teile  durchgeführt  und  durch  ihre  freiwillige  Mitwirkung  er- 
halten. So  kommt  es,  dass  jährlich  hunderttausende  von  Personen, 
deren  wirtschaftliche  Lage  dies  sonst  nicht  gestatten  würde,  die 
Wohltat  einer  spezialistischen  ärztlichen  Beratung  und  Behandlung 
geniessen  und  dass  die  so  notwendigen  Kenntnisse  einer  rationellen 
Kinderpflege  mehr  nnd  mehr  im  Volke  Verbreitung  finden.  Das 
warme  Interesse  und  die  Förderung,  welche  diese  Bestrebungen 
in  allen  Kreisen  der  Bevölkerung  finden,  beweist,  dass  man  die 
Nützlichkeit  und  die  Humanität  dieser  Bestrebungen  in  vollem 
Masse  würdigt.  Auch  seitens  der  staatlichen  Behörde  wird  die 
hervorragendeBedeutung  derselben  für  dieErhaltung  undKräftigung 
der  kommenden  Generation  mehr  und  mehr  anerkannt. 

So  kann  unsere  junge  Wissenschaft  mit  voller  Berechtigung 
das  Verdienst  in  Anspruch  nehmen,  der  wichtigen  Aufgabe 
gerecht  geworden  zu  sein,  welche  ihr  auf  sozialem  Gebiet  zu- 
gefallen ist. 


Jahrbuch  fflr  KindJjrheilkunde.    Bd.  61. 


id^l 


Taf.  I. 


Fig.  1. 


Fig.  2. 


FiR    5. 


^ 


Flg.  3. 


Fig.  i. 


LöTeg^ren.     Zur  Kenntnis   der  Poliomyelitis 
anterior  acuta  etc. 


Verlag  von  S.  Karger  in  Berlin  NW.  6. 


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Verlag  von  S.  Karger  T7t  Berlai    A  W  r^ 


XVII. 

Aas  dem  pathologischen  Institate  (Prof.  Dr.  E.  A.  Homen)  and  der 
UnWersiUts-Kinderklinik  (Prof.  Dr.  W.  Pipping)  in  Helsingfors  (Finland). 

Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 
und  subacuta  s.  chronica. 

Klinische  and  pathologisch-anatomische  Studien 

Ton 

Dr.  ELIS  LÖVEGREN, 

iJeUingron. 
(Hierza  Tafel  I  u.  II.) 

I, 

Poliomyelitis  anterior  aeuta. 

Einleitende  Literatarübersicbt. 

Der  englische  Kliniker  Michael  Underwood(l)i8t  der  erste, 
welcher  auf  das  Krankheitsbild,  das  wir  nunmehr  unter  dem 
Namen  Poliomyelitis  anterior  acuta  kennen,  aufmerksam  geworden 
zu  sein  scheint.  Gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts^)  beschrieb 
Underwood  eine  Lähmung  der  unteren  Extremitäten,  die  seiner 
Angabe  nach  früher  nicht  in  der  Literatur  erwähnt  worden  war. 
Die  Beschreibung  ist  äusserst  unvollständig.  Man  sieht  zwar, 
dass  Underwood  Fälle  von  Poliomyelitis  beobachtet  hat,  aber 
man  findet  gleichwohl,  dass  seine  Beschreibung  auch  Lähmungen 
ganz  anderer  Natur  umfasst.  Underwood  sagt  jedoch,  dass 
die  Krankheit,  speziell  in  London,  selten  sei  und  er  daher  nur 
einige  wenige  Fälle  zu  beobachten  in  der  Lage  war;  sein  Zweck 
bei  der  Mitteilung  dieser  Krankheitsform  sei  nur  gewesen,  zu 
weiterer  Forschung  anzuregen.  Underwood  will  auf  Grund  des 
geringen  Materials  keine  bestimmte  Ansicht  über  Ursache  und 
Natur  der  Krankheit  äussern,  doch  fand  er,  dass  der  Dentitions- 
prozess  und  intestinale  Störungen  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
eine  Rolle  bei  der  Entstehung  derselben  spielen. 

In  Deutschland  teilte  Jörg  (2)  im  Jahre  1810  einen 
Krankheitsfall  mit,  der  allem  Anscheine  nach  eine  Poliomyelitis 
vorstellte.  Es  dürfte  dies  der  erste  einigermassen  eingehend  ge- 
schilderte Fall  dieser  Krankheit  sein,  der  zur  Veröffentlichung 
gekommen  ist.     Da  es  mir  scheint,   als  ob   die  Mitteilung  Jörgs 

1}  Einer  io  der  diesbezQglicheD  Literatur  stets  wiederkehrenden  Angabe 
nach  fund  hich  diese  Beschreibung  schon  in  der  Aul  läge  des  Juhres  1784 
▼on  Underwood  H  Handbuch  der  Kinderkrankheiten.  Ich  hatte  keine  Ge- 
legenheit, diese  Aufluge  im  Originale  zu  ieuen,  sundern  nur  eine  im  Jahre  1786 
▼on  Lefebvre  ile  Villebrune  herausgegebene  franzönische  Übersetzung 
derselben.    Hier  ündet  sich  die  erwähnte  Beschreibung  nicht. 


270        LöTegren,  Zar  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

weniger  beobachtet  worden  ist,  als  sie  verdiept,  so  erlaube  ich 
mir,  ihr  einige  Zeilen  zu  widmen. 

Der  Fall  betrifft  ein  sechsjähriges  Mädchen,  das  mit  dner 
ausgeprägten  Lordose,  Flexionskontraktur  beider  Hüft-  und 
Kniegelenke,  sowie  doppelseitigem  Elumpfusse  zu  Jörg  gebracht 
wurde.  Über  die  Entstehung  und  den  Verlauf  der  Krankheit 
berichtet  Jörg  folgendes:  „Dieses  Mädchen  wurde  gesund  und 
munter  geboren,  obgleich  die  Mutter  desselben  eine  kränkliche  und 
schwache  Frau  ist.  Kaum  waren  indes  die  ersten  Wochen  gesund  hin- 
gebracht, so  verfiel  dasselbe  in  ein  heftiges  Fieber,  dessen  Natur 
und  spezieller  Name  mir  zwar  von  den  Eltern  nicht  genau  an- 
gegeben werden  konnte,  welches  aber  ohne  Zweifel  von  Erkältung 
herrührte  und  zu  den  typhösen  Fiebern,  welche  bei  so  zarten 
Geschöpfen  leicht  und  tief  in  alle  Funktionen  eingreifen,  und  die 
ganze  Ökonomie  so  sehr  beeinträchtigen,  gezählt  werden  musste. 
Das  etwa  sechs  Wochen  alte  Kind  litt  lange  und  wurde  von 
Eltern  und  Ärzten  für  verloren  gehalten.  Dessen  ungeachtet 
entwand  sich  dasselbe  nach  mehreren  Wochen  diesem  Fieber, 
blieb  aber  längere  Zeit  in  einem  nicht  geringen  Grade  elend  und 
hager.  Zu  gleicher  Zeit  war  auch  die  Mutter  desselben  durch 
eine  schwere  Krankheit  dem  Tode  nahe  gebracht;  daher  wurde 
die  kleine  Kranke  meistenteils  fremden  Leuten  überlassen. 
Nachdem  die  Mutter  so  weit  in  der  Genesung  vorgeschritten  war, 
dass  sie  sich  den  Mutterpflichten  nur  einigermassen  wieder  unter- 
^isiehen  konnte,  will  sie  gefunden  haben,  dass  die  Kleine  ihre 
Füsse  nicht  gehörig  brauchen  konnte.  Nach  und  nach  wurde 
es  jedoch  merklicher,  dass  sich  die  Füsse  in  Klumpfüsse  ver- 
wandelten.^ 

Weiterhin  schreibt  Jörg:  „Fragen  wir  hier  nach  der 
Ursache  aller  dieser  Gebrechen,  so  können  wir  nicht  anders,  als 
wir  müssen  sie  in  jener  frühereu  Krankheit  suchen.  Aber  auf 
welche  Weise  konnte  dieselbe  wohl  so  nachteiUg  auf  den  ganzen 
Körper  wirken,  dass  alle  diese  Leiden  daraus  entstanden?  Die 
Antwort  darauf  ist  nach  meinem  Dafürhalten  nicht  leicht,  aber 
sie  ist  sehr  interessant,  da  diese  Gebrechen  oft  auf  dieselbe 
Weise  entstehen.** 

Es  ist  somit  klar,  dass  Jörg  eine  recht  gute  Kenntnis  vod 
den  klinischen  Äusserungen  der  Poliomyelitis  hatte.  Zugleich 
zeigt  sich,  dass  er  eine  rationelle  Therapie  für  das  Nachstadium 
der  Krankheit  zur  Anwendung  brachte.  Aber  weder  Jörg  noch 
eine    Anzahl    anderer   Autoren    aus    den    ersten    Dezennien     des 


utid  sabaeata  ^  okroniea*  271 

19.  Jahrhunderts  fassten  die  Poliomyelitis  als  eigenartige  Krankheiten 
form  auf.  So  beschreibt  noch  im  Jahre  1839  Bartsch  (3)  nur 
als  Eurioeum  einen  Fall  mit  Ton  fr  ehester  Kindheit  an  bestehender 
hochgradiger  Atrophie  der  Muskulatur  sowohl,  als  auch  der 
Skelettteile  der  unteren  Extremitäten,  sowie  Atrophie  der  Rücken-^ 
muskeln  mit  Skoliose  und  Lordose,  ein  Fall,  der  mit  alier  Wahr- 
scheinlichkeit   zur  Poliomyelitis  anterior   2u  rechnen  sein  dürfte. 

Im  Jahre  1840  gab  Jacob  Heine  (4)  eine  Arbeit  heraus 
unter  dem  Titel:  „Beobachtungen  über  Lähmungszustände  der 
unteren  Extremitäten  und  deren  Behandlung^.  Ohne  sich  in 
nennenswertem  Grade  auf  die  Forschungen  früherer  Autoren 
stützen  zu  können,  hat  Heine  in  dieser  Arbeit  seine  eigenen 
sorgfältigen  Beobachtungen  gesammelt  und  auf  Grund  derselben 
eine  in  gewisser  Hinsicht  vollständige  Zeichnung  des  klinischen 
Bildes  der  Poliomyelitis  geliefert.  Er  kennzeichnete  in  dieser 
Monographie  die  Poliomyelitis  als  eigenartige  Krankheit  und 
sprach  zugleich  die  auf  die  klinischen  Symptome  gegründete  Ver- 
mutung aus,  dass  der  primäre  Krankheitsprozess  im  Rückenmark 
lokalisiert  sei. 

Heines  Arbeit  war  unstreitig  von  grundlegender  Bedeutung. 
Es  wurde  durch  dieselbe  nicht  nur  alles,  was  mit  den  derzeitigen 
Hilfsmitteln  in  der  Sache  zu  erforschen  war,  festgestellt,  sondern 
auch  die  zukünftigen  Forschungen  waren  auf  den  richtigen  Weg 
gelenkt. 

Heines  Forschungen  ernteten  in  Deutschland  grosse  An- 
erkennung, u.  a.  von  Komberg.  Die  grosse  Bedeutung  seiner 
Arbeit  war  gleichwohl  in  ihrer  ganzen  Tragweite  vielen  der  einfluss- 
reichen Autoren  der  nächstfolgenden  Zeit  nicht  klar.  Es  machten 
sich  leider  in  Bezug  auf  die  Natur  und  Ursache  der  Krankheit 
andere  Ansichten  als  die  «eine  geltend  und  hemmten  das  Studium 
derselben  für  lange  Zeit. 

Rilliet  und  Barthez  (5),  welche  1843  in  Frankreich  zuerst 
eine  sehr  knappe  Beschreibung  der  Poliomyelitis  gaben,  kannten 
die  Monographie  Heines  damals  nicht  einmal.  Diese  berühmten 
französischen  Kinderärzte  hatten  selbst  zwei  Fälle  von  Kinder- 
lähmung beobachtet,  von  denen  nur  der  eine  veröffentlicht  wurde. 
Dieser  Fall,  welcher  ein  zweijähriges  Mädchen  betraf,  verlief 
tödlich  infolge  einer  f anf  Wochen  nach  dem  Eintritt  der  Lähmung 
hinzutretenden  Bronchopneumonie.  Bei  der  Sektion  zeigten  das 
Gehirn  und  seine  Häute  völlig  normale  Yerhältnisse,  und  hin- 
sichtlich des  Rückenmarks  wurde  verzeichnet:   „la  moelle  a  par- 


272       Lövegren,  Zur  Kenntois  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

tottt  une  bonne  consistance,  ses  membranes  n'ofFrent  aucane  in- 
jection." 

Auf  Grund  dieses  Obdaktionsbefundes  fassten  Rilliet  und 
Barthez  die  infantile  Paralysie  als  eine  Lähmung  sine  materia 
auf  und  gaben  ihr  den  Namen  „paralysie  essentielle^. 

Im  Jahre  1851  TeröfiFentlichte  Rilliet  (6)  eine  ausfuhrliche 
klinische  Beschreibung  in  einem  Aufsatze,  der  auch  in  der  zweiten 
Auflage  des  Rilliet  und  Barthezschen  Handbuches  enthalten  ist. 
In  diesem  Artikel  wird  die  Monographie  Heines  erwähnt  und 
ihre  Yortrefflichkeit  anerkannt,  doch  will  Rilliet  die  Ansieht 
Heines,  dass  wahrscheinlich  eine  Läsion  des  Ruckenmarks  vor- 
handen sei,  nicht  gelten  lassen.  Er  hatte  noch  einen  weiteren 
Sektionsfall  mit  negativem  Befunde  und  findet  dadurch  seine 
Anschauung  über    die  Natur  der  Krankheit  noch  mehr  gefestigt. 

Rilliet  hat  in  diese  Arbeit  —  ganz  unverständlich,  weshalb 
—  einige  von  Kennedy  (6)  beschriebene  Lähmungsfälle  als 
temporäre  Form  seiner  paralysie  essentielle  aufgenommen.  Mit 
Recht  hoben  Erb  (7)  und  Seeligmüller  (8)  hervor,  dass  diese 
Fälle  ganz  anderen  Charakters  sind. 

Ausser  von  Rilliet  und  Barthez  wurde  die  in  Rede 
stehende  Kinderlähmung  unter  anderen  von  dem  englischen  Pädiater 
Ch.  West  (9)  beschrieben.  Seit  dem  Jahre  1840  machte  die 
Kenntnis  der  Poliomyelitis  indessen  keine  Fortschritte  bis  1855, 
wo  Duchenne  (10)  in  seinem  epochemachenden  Werke  „L'^lectri- 
sation  localisee^  eine  erweiterte,  ausgezeichnete  klinische  Dar- 
stellung derselben  gab. 

Duchenne  nannte  die  Krankheit  Paralysie  atrophique 
graisseuse  de  Tenfance.  Er  hatte  die  Reaktion  der  gelähmten 
Muskeln  für  den  elektris^chen  Strom,  speziell  den  faradischen, 
studiert,  und  konnte  auf  Grund  der  dabei  gemachten  Erfahrungen 
mittelst  der  elektrischen  Untersuchung  die  Diagnose  sicherstellen 
und  das  Stellen  der  Prognose  ermöglichen.  Aus  dem  klinischen 
Charakter  der  Lähmung,  speziell  der  Art  der  elektromuskulären 
Kontraktilität,  zog  Duchenne  den  Schluss,  dass  die  Krankheit 
im  Ruckenmark  lokalisiert  sein  müsse. 

Obgleich  das  Krankheitsbild  durch  die  Arbeiten  Heineb 
und  Duchennes  klinisch  wohl  begrenzt  und  charakterisiert  ist, 
findet  man  gleichwohl  in  der  folgenden  Zeit  noch  immer 
Autoren,  welche  dasselbe  mit  Paralysen  ganz  verschiedener  Art 
zusammenwerfen.  So  hat  beispielsweise  Bierbaum  (11)  unter 
dem  Namen    „idiopathische   Paralysen"    als    hierhergehörig    eine 


und  subacuta  8.  chronica.  278 

Anzahl  Falle  von  Kinderlähmungen  beschrieben,  von  denen  nicht 
ein  einziger  die  Kennzeichen  der  Poliomyelitis  trägt.  Diese  Un- 
klarheit in  der  Auffassung  der  Krankheit  dürfte  wohl,  zum  Teil 
wenigstens,  darauf  beruhen,  dass  die  grosse  Autorität  Rilliets 
und  Barthe//  ihre  Lehre  von  der  essentiellen  Paralysie  in  weiten 
Kreisen  verbreitet  hatte.  In  der  im  Jahre  1861  erschienenep 
zweiten  Auflage  ihres  „Traite  des  maladies  des  enfants^  findet 
sich  im  Kapitel  von  den  Paralysen  nicht  ein  Wort  über  die  be- 
deutungsvollen Entdeckungen  Duchennes. 

Jacob  von  Heine  (4)  gab  im  Jahre  1860  eine  zweite  Auf- 
lage seiner  Monographie  heraus  unter  dem  Titel  „Spinale 
Kinderlähmung.^  In  den  zwanzig  Jahren,  die  seit  der  ersten 
Publikation  von  Heines  verflossen  waren,  hatte  er  ein  be- 
trächtliches und  wertvolles  klinisches  Material  gesammelt  und 
hatte  energische,  wenngleich  vergebliche,  Anstrengungen  gemacht, 
einen  Sektionsfall  aufzuspüren.  Er  konnte  somit  auch  jetzt  seine 
mit  der  Zeit  immer  bestimmtere  Annahme  einer  spinalen  Lokali- 
sation des  Leidens  nicht  anders  stützen,  als  durch  eine  allerdings 
sehr  grosse  klinische  Erfahrung. 

Ohne  wesentlich  Neues  zu  bringen,  trug  auch  die  zu  dieser 
Zeit  veröffentlichte  Arbeit  von  Brünniche  (12)  zur  Klärung  der 
klinischen  Begriffe  bei. 

Im  Jahre  1861  teilte  Moritz  Meyer  (13),  der  eine  Menge 
Fälle  von  spinaler  Kinderlähmung  beobachtet  hatte,  einige  gleich- 
ürtige  Fälle  bei  Erwachsenen  mit.  Zwei  Zwillingsbrüder  hatten 
im  Alter  von  17  Jahren  gleichzeitig  Masern  durchgemacht,  und 
darauf  hatte  sich  bei  ihnen  eine  seitdem  bestehende  doppel- 
seitige Lähmung  mit  Atrophie  der  unteren  Extremitäten  ein- 
gestellt. Die  elektro-muskuläre  Kontraktilität  war  stellenweise 
herabgesetzt,  stellenweise  völlig  aufgehoben;  die  Sensibilität  war 
überall  erhalten. 

Wenngleich  die  Krankengeschichte  dieser  Brüder  in  ge- 
wisser Hinsicht  mangelhaft  ist,  so  dürften  diese  Fälle  doch  zur 
akuten  Poliomyelitis  gerechnet  werden  können,  was  hingegen  im 
dritten  Falle  (Beobachtung  19),  den  Meyer  in  diesem  Zusammen- 
hange anführt,  bestimmt  bestritten  werden  muss. 

Es  will  scheinen,  als  ob  die  Yeriasser,  trotz  des  bedeutenden, 
schon  Yorhandenen  klinischen  Materials,  bis  dahin  nicht  in  der 
Lage  gewesen  waren,  Fälle  im  akuten  Stadium  zu  beobachten* 
Erst  1864  wurden  derartige  Fälle  von  Garganico  (14),  Du- 
chenne fils  (16)  und  Laborde  (16)  publiziert. 

jAbrimch  f.  KinderbHIknnde,    N.  F.    TJCI,    Heft  2.  18 


274         Lövegren,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

Labor  de  und  Duchenne  fils  gaben  fast  gleichzeitig  ihre- 
ausgezeichneten  Monographien  über  diese  Krankheit  heraus  und 
gründeten  ihre  Darstellung  teilweise  auf  dasselbe  Material. 
Duchenne  fils  beschreibt  unter  seinen  Fällen  recht  ausführlich 
einen,  der  einen  22jährigen  Mann  betri£Ft.  Labor  de  gab  in 
seiner  grossen  Arbeit  eine  fast  erschöpfende  klinische  Darstellung 
und  kritisierte  einige  zurzeit  geltende  Ansichten,  so  z.  B.  die 
Überschätzung  der  Aussichten  der  elektrischen  Behandlung  des 
älteren  Duchenne. 

Die  Hypothese  Heines  und  Duchennes  von  der  Lokali- 
sation  des  Krankheitsprozesses  im  Rückenmark  hatto  immer  mehr 
Wahrscheinlichkeit  für  sich  gewonnen,  je  mehr  man  das  klinische 
Bild  studierte,  aber  es  fand  sich  noch  kein  Sektionsbefund,  der 
die  Sache  mit  voller  Beweiskraft  entschieden  hätte. 

Im  Jahre  1863  teilte  Cornil  (17)  in  der  Sociötö  de  Biologie 
das  Resultat  der  anatomischen  Untersuchung  eines  klinisch  nicht 
beobachteten  Falles  mit.  Er  betraf  eine  49  jährige  Frau,  die  seit 
ihrem  2.  Lebensjahr^  eine  Lähmung  mit  Atrophie  der  unteren  Ex- 
tremitäten gehabt  hatte.  Cornil  fand  die  Vorder-  und  Seiten- 
stränge des  Ruckenmarks  atrophisch  und  hielt  die  vorderen 
Hörner  für  normal.  Laborde  teilt  in  seiner  oben  erwähnten 
Arbeit  zwei  Sektionsfälle  mit.  Der  eine  betraf  ein  zweijähriges 
Mädchen,  das  mit  8  Monaten  unter  Symptomen,  die  auf  eine  akute 
Poliomyelitis  deuteten,  erkrankte.  Die  von  Cornil  und  Laborde 
ausgeführte  mikroskopische  Untersuchung  des  Ruckenmarks  zeigte 
in  den  Vorder-  und  Seitensträngen  proliferiertes  Bindegewebe, 
variköse  Nervenfäden ;  in  den  Vorderhörnern  erwiesen  sich  die 
Ganglienzellen  als  „parfaitement  saines";  keine  Gefass Verände- 
rungen. Der  zweite  Fall  betraf  einen  zweijährigen  Knaben.  Der 
Verlauf  der  Krankheit,  sowie  der  bei  der  klinischen  Untersuchung 
gefundene  Status  sprachen  keineswegs  mit  Sicherheit  dafür,  dass 
es  sich  iu  diesem  Falle  um  eine  akute  Poliomyelitis  gehandelt 
hatte.  Die  Untersuchung  des  Rückenmarks  wurde  von  Laborde 
sowie  teilweise  auch  von  Cornil  ausgeführt.  Beide  fanden  An- 
zeichen einer  „congestion  exsudative  intense"  in  der  Pia  und 
den  peripheren,  ihr  zunächst  belegenen  Partien  der  weissen 
Substanz,  eine  Verminderung  der  Anzahl  der  Nervenfasern  in  den 
Vordersträngen  des  Cervikalteils,  in  den  zentralen  Teilen  des 
Rückenmarks  keine  Veränderungen.  Dieser  zweite  Fall  von 
Laborde  wird  in  Kürze  auch   von  Duchenne  fils  beschrieben^ 


und  subaouta  8.  chronica.  27& 

der  —  im  Gegensatz  zar  Angabe  a.  a.  von  Goldscheider  und 
Brasch  (18)  —  in  seiner  oben  erwähnten  Arbeit  keine  eigenen 
anatomischen  Untersuchungen  veröfFentlicht. 

Pr^Yost  (19)  fand  1866  bei  der  Untersuchung  eines 
Falles  aus  Vulpians  Klinik  eine  Verminderung  der  Anzahl 
der  Ganglienzellen  im  Vorderhorne  der  einen  Seite,  sowie  eine 
Atrophie  der  Vorder-  und  Seitenstrange  derselben  Seite.  Eine 
ausgeprägte  Atrophie  der  Ganglienzellen  wurde  drei  Jahre  später 
auch  von  Lockhart  Clarke  (20)  konstatiert. 

Doch  erst  durch  den  Bericht  eines  klinisch  und  anatomisch 
sorgföltig  untersuchten  Falles  durch  Charcot  und  Jeffrey  (21) 
trat  die  zuerst  von  Prövost  gefundene  Atrophie  der  Ganglien- 
Zellen  in  ihrer  ganzen  grossen  Bedeutung  hervor.  Charcots  und 
Jeffreys  Fall  betraf  eine  Frau,  die  im  Alter  von  40  Jahren 
an  Schwindsucht  starb.  Sie  war  im  Alter  von  7  Jahren  und 
3  Monaten  plötzlich  an  allen  vier  Extremitäten  gelähmt  worden,, 
worauf  die  Muskulatur  derselben  atrophisch  wurde.  Späterhin 
waren  die  Extremitäten  bedeutend  in  der  Entwicklung  zurück- 
geblieben, und  es  hatten  sich  an  ihnen  Deformitäten  ausgebildet. 
Charcot  und  Jeffrey  fanden  in  diesem  Falle  die  Ganglienzellen 
der  Vorderhörner  mehr  oder  weniger  verändert,  stellenweise  war 
eine  ganze  Zellengruppe  verschwunden,  und  in  gewissen  Regionen 
liessen  sich  überhaupt  gar  keine  Ganglienzellen  nachweisen.  In 
der  Umgebung  der  veränderten  Ganglienzellen  war  die  Neuroglia 
öfters  sklerotisch,  doch  fanden  sich  Stellen,  wo  die  atrophischen 
Ganglienzellen  von  einer  wesentlich  normalen  Stutzsubstanz  um- 
geben lagen.  In  den  Vorder-  und  Seitensträngen  bestand  Atrophie 
und  eine  gewisse  Sklerose.  Die  vorderen  Wurzeln  waren  hoch- 
gradig atrophisch,  am  ausgeprägtesten  in  den  Regionen,  wo  die 
Ganglienzellenatrophie  am  grössten  war.  Die  Veränderungen  des 
Rackenmarks  waren  grösser  auf  der  linken  Seite,  und  auf  dieser 
Seite  war  auch  die  Muskelatrophie  der  Extremitäten  am  weitesten 
fortgeschritten. 

Auf  Grund  dieses  Befundes  hält  Charcot  es  für  wahr- 
scheinlich, dass  die  Ganglienzellen  der  Vorderhörner  primär 
affiziert  waren,  und  dass  die  übrigen  Veränderungen  des  Rücken- 
marks als  sekundäre  zu  betrachten  seien.  Er  stellt  zugleich  die 
Hypothese  auf,  dass  sowohl  die  Lähmung  als  die  trophischen 
Störungen  der  Muskulatur  als  Folge  der  Degeneration  dieser 
Ganglienzellen  auftreten. 

18* 


276         Luvegreo,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelttie  anterior  acuta 

Charcots  erfolgreiche  pathologisch  -  anatomischen  Unter- 
sachungen  derErankheit  undseine  geistreiche  Lehre  yon  ihrerPatho- 
genese  hatten  bezüglich  einiger  dankler  Fragen  ungeahnte  Klarheit 
gebracht.  Das  Interesse  für  die  Sache  war  geweckt,  und  in 
der  nächsten  Zeit  erschienen  mehrere  ausgezeichnete  Arbeiten, 
welche  Veränderungen  in  den  Ganglienzellen  der  Yorderhorner  als 
konstanten  Befand   bei   -ier   spinalen  Kinderlähmung   feststellten. 

Kurz  nach  der  Publikation  Charcots  und  Jeffreys  hatte 
Parrot  Gelegenheit,  im  Verein  mit  Joffroy  (22)  einen  Fall  zu 
studieren,  wo  der  Tod  etwa  ein  Jahr  nach  dem  Eintritt  der 
Lähmung  erfolgte.  Parrot  und  Joffroy  hatten  in  diesem  Falle 
Gefassveränderungen  zweifellos  entzündlicher  Natur  gefunden 
und  eine  Vermehrung  der  Kerne  in  den  Vorderhörnem  des 
Ruokenmarks,  deren  Ganglienzellen  eine  ausgeprägte  Atrophie 
zeigten.  Die  Ganglienzellen  konnten  stark  verändert  sein  an 
Stellen,  wo  keine  Gefassveränderungen  bestanden,  aber  anderer- 
seits wurden  auch  hier  und  da  Gefassveränderungen  beobachtet, 
ohne  dass  eine  wesentliche  Läsion  der  Ganglienzellen  zu  finden  war. 
Parrot  und  Jofffoy  zogen  aus  ihren  Untersuchungsresultaten 
den  Schluss,  dass  der  Krankheitsprozess  zuerst  die  Ganglienzellen 
angegriffen  haben  muss.  Sie  schlössen  sich  somit  der  Ansicht 
Charcots  an,  welche  in  der  folgenden  Zeit  viele  Anhänger  ge- 
wonnen zuhaben  scheint,  von  denen  der  hervorragende  Neurologe 
Hammond  (23)  hier  genannt  sei. 

Schon  1871  berichteten  Roger  und  Damascbino  (24) 
über  drei  Fälle,  welche  resp.  2Vsi  6^/a  und  13  Monate  nach  dem 
Eintritt  der  Lähmung  zur  Untersuchung  kamen.  Die  Ver- 
änderungen im  Ruckenmark  waren  in  diesen  Fällen  überein- 
stimmend und  bestanden  aus  Erweichungsherden  in  den  Vorder- 
hörnem mit  Körnchenzellen  und  vermehrten  Kernen  nebst  starken 
Gefassveränderungen;  die  Ganglienzellen  waren  mehr  weniger 
atrophisch,  verhältnismässig  am  stärksten  an  den  Stellen,  wo  die 
Erweichungsherde  am  meisten  ausgeprägt  waren.  Die  Vorder- 
und  Seitenstränge  zeigten  Atrophie  und  eine  gewisse  Sklerose. 
Die  \  orderwurzeln  und  die  peripheren  Nerven  waren  atrophisch. 
Weit  später  veröffentlichten  diese  Forscher  (26)  einen  weiteren 
Fall,  der  in  Kürze  in  einer  Fussnote  schon  in  ihrer  ersten  Arbeit 
erwähnt  wird;  dieser  Fall  bot  dieselben  Veränderungen  wie  die 
drei  vorhergehenden. 

Nach  Roger  und  Damaschino  liegt  das  Wesen  der 
Krnnkheit    in    einem  akuten  Entzündungsprozess  in  den  Vorder- 


und  sobacat»  8.  chronica.  277 

hörnern  des  Rückenmarks,  einer  zentralen  Myelitis  mitErweichungs^ 
herden  und  Ganglienzellen atrophie.  Ob  diese  Myelitis  ihren 
Ursprung  in  der  Stützsubstanz  oder  in  den  Ganglienzellen  nahm, 
ob  sie  also  ursprünglich  interstitieller  oder  parenchymatöser  Natur 
sei,  fanden  sie  noch  unentschieden. 

In  einem  einen  zweijährigen  Knaben  betreffenden  Falle, 
der  11  Monate  nach  einer  akuten  Poliomyelitis  starb,  fand 
Roth  (26)  wesentlich  dieselben  Veränderungen  wie  Roger  und 
Damaschino.  Roth  deutete  dieselben  als  Ausdruck  einer  inter- 
stitiellen Myelitis.  Er  hält  es  für  wahrscheinlich,  dass  eine  pri- 
märe interstitielle  Myelitis  auch  in  den  Fällen  vorgelegen  hatte, 
wo  —  wie  in  dem  von  Charcot  und  Joffroy  veröffentlichten  — 
die  viele  Jahre  nach  dem  Eintritt  der  Lähmung  vorgenommene 
Unter^chung  nur  eine  Atrophie  der  Vorderhörner  erwies. 

Mit  den  pathologisch-anatomischen  Untersuchungen  der 
sechziger  und  siebenziger  Jahre  war  die  Heinesche  und  Du- 
chenne sehe  Hypothese  über  die  Lokalisation  des  primären 
Krankheitsprozesses  im  Rückenmark  eine  völlig  feststehende 
Tatsache  geworden.  Gleichwohl  waren  diese  bedeutungsvollen 
Forschungsresultate  in  der  Mitte  der  siebenziger  Jahre  noch 
nicht  durchgedrungen  und  ins  allgemeine  Bewusstsein  übergegangen. 
In  den  pädiatrischen  Kreisen  herrschte  in  der  Frage  über  die 
Natur  der  Krankheit  noch  immer  eine  gewisse  Unsicherheit  (27), 
und  selbst  die  Lehre  Rilliets  und  Barthez'  von  der  essentiellen 
Lähmung  hatte  noch  ihre  Anhänger  (28). 

Im  Jahre  1867  hatte  Bouchut^)  einen  Sektionsfall  mit- 
geteilt, wo  die  von  Robin  ausgeführte  mikroskopische  Unter- 
suchung des  Rückenmarks  einen  vollständig  negativen  Befund 
ergab.  In  der  im  Jahre  1878  erschienenen  siebenten  Auflage 
seines  grossen  Lehrbuches  nannte  Bouchut  (30)  die  polio- 
myelitischen Lähmungen  noch  immer  „paralysies  myogt^niques*'. 
Er  hielt  die  Muskelveränderungen  für  das  Primäre  und  Wesent- 
liche und  die  Veränderungen  im  Rückenmark  für  nicht  konstant 
und,  wo  sie  vorkamen,  für  sekundär,  hervorgerufen  durch  die 
Inaktivität  der  Muskeln.  Als  idiopathische  Muskelaffektion  wurde 
diese  Krankheit  im  Jahre  1873,  auf  Grund  des  negativen  Befundes 
von  Seiten  des  Rückenmarks  in  einigen  von  Elischer  und 
Scheuthauer  untersuchten  Fällen,  auch  von  K^tli  (31)  bezeichnet. 
Fortgesetzte     pathologisch-anatomische    Untersuchungen     wider- 


*)  Git.  nach  Mary  Putnam  Jacobi  (29). 


278         LöyegreD,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  aoata 

legten  diese  Einwände,  und  im  Beginn  der  achtziger  Jahre  scheint 
sich  überall  die  Auffassung  geltend  zu  machen,  dass  diese  Krank- 
heit als  akute  Ruckenmarksaffektion  zu  betrachten  sei. 

In  den  erwähnten  Arbeiten  von  Charcot  und  Joffroy, 
Parrot  und  Joffroy,  Roger  und  Damaschino  sowie  Roth 
hatten  die  pathologisch-anatomischen  Befunde,  wie  erwähnt,  zu 
zwei  wesentlich  von  einander  abweichenden  Auffassungen  in 
Bezug  auf  die  Pathogenese  gefuhrt.  Einerseits  war  Charcot 
und  mit  ihm  Joffroy  und  Parrot  der  Ansicht,  dass  die  pri- 
mären Veränderungen  des  Rückenmarks  in  einer  Affektion  der 
Ganglienzellen  der  Vorderhörner  bestanden,  einer  „t^phromydite 
antörieure  aigug  parenchymateuse**.  Andererseits  hielten  Roger 
und  Damaschino  dafQr,  dass  der  krankhafte  Prozess  von  Anfang 
an  nicht  nur  in  einer  Atrophie  der  Ganglienzellen  bestand^,  wie 
dies  beispielsweise  bei  der  spinalen  progressiven  Muskelatrophie 
der  Fall  ist,  sondern  dass ,  ursprünglich  eine  zentrale  Myelitis 
mit  Gefäss Veränderungen  vorgelegen  habe.  Für  den  primär 
interstitiellen  Charakter  dieser  Myelitis  spricht  sich  Roth  un- 
bedingt aus. 

Bis  in  unsere  Tage  zieht  sich  wie  ein  roter  Faden  durch 
die  Diskussion  der  Poliomyelitis  die  Frage,  was  bei  diesem 
Krankheitsprozess  das  Primäre,  was  das  Sekundäre  sei.  Es  ist 
klar,  dass  eine  Entscheidung  nur  durch  die  Untersuchung  ganz 
frischer  Fälle  zu  erlangen  war.  Doch  dauerte  es  lange,  ehe  sich 
die  Gelegenheit  dazu  bot. 

Die  gegen  Ende  der  1870er  und  Anfang  der  1880er  Jalire 
veröffentlichten  Untersuchungen  beziehen  sich  auf  Fälle,  in  denen 
•die  Lähmung  schon  mehr  weniger  lange  Zeit  bestanden  hatte, 
und  die  gefundenen  Veränderungen  stimmen  im  wesentlichen  mit 
<len  früher  konstatierten  überein. 

Leyden  (32)  hielt  die  Befunde,  auf  denen  die  beiden 
Theorien  aufgebaut  waren,  für  gar  zu  verschiedenartiger  Natur,  als 
dass  sie  sich  als  Ausdruck  verschiedener  Stadien  eines  und  des- 
iselben  ursprünglichen  Prozesses  denken  liessen.  Er  veröffentlicht 
vier  pathologisch-anatomisch  untersuchte  Fälle,  in  denen  die 
knappen  anamnestischen  Angaben  die  Diagnose  etwas  unsicher 
machen,  und  hält  es  für  bewiesen,  „dass  der  Kinderlähmung  ver- 
schiedene Prozesse  zugrunde  liegen  können,  deren  gemein- 
schaftliche Eigenschaften  darin  bestehen,  dass  sie  bei  Kindern 
im  frühesten  Alter  auftreten,  sich  akut  entwickeln  und  die  graue 
Substanz     der     Vorderhörner     ausschliesslich     oder     gleichzeitig 


and  sabacuta  8.  chronica.  279 

betreffen.*'  In  einem  seiner  Fälle,  dem  relativ  frischesten,  fand 
Leyden  ein  Jahr  nach  dem  Eintritt  der  Lähmung  in  den  Vorder- 
hörnern des  RQckenmarks  stellenweise  Anhäufungen  „grosser, 
blasser,  rander  Zellen,  mit  ziemlich  scharfen  Konturen,  ziemlich 
klarem  Inhalt  und  deutlichem  grossen  Kern^.  Diese  Zellen,  deren 
Kerne  hier  und  da  in  Teilang  begriffen  waren,  kamen  gruppen- 
weise, wenngleich  in  geringerer  Zahl,  auch  in  der  weissen  Substanz 
vor.  Leyden  ist  der  Ansicht,  dass  diese  endothelartigen  Zellen 
wahrscheinlich  durch  Schwellung  und  Teilung  von  Neuroglia- 
jsellen  entstanden  und  Fettkörnchenzellen  analog  sind.  Spätere 
Forschungen  haben  die  Ansicht  Leydens  über  das  Vorhandensein 
verschiedenartiger  pathologischer  Prozesse  im  Kückenmark  als 
-Grundlage  für  das  einheitliche  klinische  Bild  der  Kinderlähmung 
nicht  bestätigt. 

Eisenlohr  (33)  fand  in  zwei  Fällen  -  der  eine  6,  der 
andere  14  Monate  nach  Eintritt  der  Lähmung  —  diffuse  Ver- 
Jknderungen  der  Yorderhörner,  die  in  Atrophie  der  Ganglienzellen, 
Vermehrung  der  Kerne  sowie  in  Fettkörnchenzellen  in  der  Um- 
gebung der  Gefässe  bestanden.  Er  sah  das  Wesen  des  Prozesses 
in  einer  sämtliche  Gewebe  und  speziell  die  Gefasse  der  Yorder- 
Jhömer  umfassenden  Myelitis  und  stellte  sich  in  bestimmte 
Opposition    zur  Lehre    von  der    primären  Ganglienzellenatrophie. 

Stadelmanns  (34)  Untersuchung  eines  Falles  2^4  Jahre  nach 
Eintritt  der  Lähmung  ergab  als  wesentlichen  Befund  eine  diffus 
ausgebreitete  Atrophie  der  Ganglienzellen  der  Yorderhörner; 
sklerotische  Herde  waren  nicht  zu  entdecken,  ebensowenig  Zellen- 
einlagerungen von  irgend  nennenswerter  Zahl.  Stadelmann 
schliesst  sich  der  Gharcotschen  Theorie  an. 

Einen  höchst  bedeutungsvollen  Beitrag  zur  Kenntnis  der 
patbologischranatomischen  Yeränderungen  bei  der  Poliomyelitis 
anterior  acuta  lieferte  John  Rissler  (35)  im  Jabre  1888. 
Rissler  war  in  der  Lage,  fünf  Fälle  zu  untersuchen,  von  denen 
drei    im    akuten  Stadium    zur  Untersuchung    kamen,    zwei    resp. 

7  Wochen  und  8  Jahre  nach  der  Erkrankung.  Yon  den  Fällen 
ans  dem  akuten  Stadium  betraf  Fall  1  ein  4*/s  jähriges  Kind,  das 
am  sechsten  Krankheitstage  starb;  Fall  2  ein  fünfmonatliches 
ELind,  das  gleichfalls  am  sechsten  Tage  starb,  und  Fall  3  eine 
21jährige  Frau,    die  6  Tage    nach    Eintritt    der    Lähmung    und 

8  Tage  nach  Beginn  des  Initialfiebers  starb. 

Rissler  fand  in  den  drei  Fällen  aus    dem    akuten  Stadium 
übereinstimmende,    gleichartige    Yeränderungen.      Die    Ganglien- 


280         LöTegroD,  Zur  Kenntnis  dor  Poliomyelitis  anterior  acuta 

Zellen  zeigten  eine  mehr  weniger  ausgeprägte  Atrophie,  und  hu- 
erwieg  sich,  „dass  die  Krankheit  in  der  näheren  oder  ferneren 
Umgebung  der  Zellen  keine  so  konstanten  oder  so  beschaffenei» 
sichtbaren  Veränderungen  hervorgerufen  hat,  dass  dieselben  als 
für  die  Erzeugung  der  respektiven  Degenerationsformen  allein 
ausreichende  oder  doch  wenigstens  als  bei  denselben  mitwirkende 
Causalmomente  aufgestellt  werden  könnten^.  In  den  Rückenmarks- 
segmenten, wo  die  Veränderungen  stärker  entwickelt  waren,, 
konnte  man  einige  Ganglienzellen  von  einer  grösseren  oder 
geringeren  Menge  Zellen  umgeben  finden,  die  lüs  Leukozyten 
erschienen.  Die  Veränderungen  der  Ganglienzellen  waren  am  so- 
stärker,  je  grösser  die  Zahl  der  umgebenden  Leukosiyten  war. 
Sowohl  die  Gefasswände  und  ihre  Lymphscheiden  als  auch  die 
Grundsubstaoz  zeigten  meist  einen  grossen  Reichtum  an  Kernen. 
Die  Gefässe  waren  stark  erweitert,  die  Lymphräume  von  einem 
Exsudat  erfüllt,  das  weisse  und,  wenn  auch  in  geringerer  Menge, 
rote  Blutkörperchen  enthielt.  Blutergüsse  aus  rupturierten  Ge- 
lassen fanden  sich  nur  selten  und  nur  dort,  wo  das  Gewebe  von 
Leukozyten  überschwemmt  und  aufgelockert  erschien. 

Besonders  bedeutungsvoll  für  die  Deutung  des  Verhältnisses- 
zwischen  der  Ganglienzellenatrophie  und  den  Veränderungen  der 
Gefasse  und  der  Neuroglia  ist  speziell  Risslers  Fall  3.  Hier 
wurde  nämlich  überall  in  den  Vorderhörnern  des  Rückenmarks 
die  ausgeprägteste  Ganglienzellendegeneration  beobachtet,  wogegen 
die  Veränderungen  der  Stützsubstanz  höchst   unbedeutend  waren. 

Risslers  auf  ein  ungewöhnlich  wertvolles  Material  gegründete 
Arbeit  hat  uns  die  erste  Kenntnis  von  den  pathologisch- 
anatomischen  Veränderungen  des  Rückenmarks  im  akuten  Stadium 
der  Poliomyelitis  gebracht.  Die  Kenntnis  dieser  Veränderungen 
ist  selbstverständlich  besonders  geeignet,  die  Frage  nach  der  Art 
des  primären  Krankheitsprozesses  zu  beleuchten.  Rissler  ist 
der  Ansicht,  dass  seine  Befunde  am  besten  durch  die  Annahme 
einer  primären  Ganglienzellendegeneration  ihre  Erklärung  finden. 
Es  muss  zugegeben  werden,  dass  Risslers  Fälle  für  eine  der- 
artige Deutung  sprechen,  und  speziell  dürfte  sein  Fall  3  sich 
schwerlich  anders  aufiPassen  lassen. 

Im  Jahre  1889  teilte  Leegaard  (36)  unter  anderen  einen 
äusserst  akut  verlaufenden  Fall  mit;  er  betraf  eine  27jährige 
Frau,  die  eine  Woche  nach  dem  Beginn  der  Krankheit  starb. 
Die  Vorderhömer  des  Rückenmarks  erwiesen  sich  geschrumpft, 
die    graue    Substanz    in    ihnen    —    teilweise    aber    auch    in    den 


und  snbaottU  s.  cbronio».  281 

Hinterhömern  —  war  von  zahlreichen  Kernen  und  Uundzellen 
erfüllt,  die  Gefässe  waren  stark  erweitert,  and,  was  Leegaard 
am  charakteristischsten  erschien,  es  war  nirgends  eine  Ganglien- 
zelle nachzuweisen.  Gleichzeitig  gab  Leegaard  auch  das 
Resultat  der  mikroskopischen  Untersuchung  des  Rückenmarks 
eines  Knaben,  der  etwas  über  ein  halbes  Jahr  nach  dem  Eintritt 
der  Krankheit  gestorben  war.  Die  Vorderhörner  waren  kleiner 
als  gewohnlich,  und  zum  grossen  Teil  von  feinem  Bindegewebe 
erfüllt.  Nur  hier  und  da  sah  man  schmale  Achsenzylinder, 
welche  die  graue  Substanz  in  verschiedenen  Richtungen  durch» 
kreuzten.  In  den  meisten  Präparaten  fanden  sich  Ganglienzellen, 
aber  in  bedeutend  geringerer  Menge  als  normal.  Diese  Ganglien- 
zellen zeigten  sich  sehr  wenig  färbbar,  waren  klein,  abgerundet 
und  besassen  nur  einen  undeutlichen  oder  gar  keinen  Kern 
einigen  derselben  fehlten  Ausläufer.  Die  weisse  Substanz  war 
völlig  normal.  Inbezug  auf  das  Verhalten  der  Gefösse  fehlen 
die  Angaben. 

Wesentliche  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie  der 
akuten  Poliomyelitis  wurden  1893 — 94  von  Dauber  (37),  Gold- 
scheider  (38),  Siemerling  (39)  und  Redlich  (40)  geliefert. 

Daubers  Fall  betrifft  einen  8^/s  Monate  alten  Knaben, 
welcher  nach  5tägiger  Krankheit  unter  den  Symptomen  all- 
gemeiner Lähmung  starb.  Der  mikroskopische  Befund  von  seiten 
des  Rückenmarks  war  folgender.  In  den  Vorderkölnern,  aber 
auch  —  wenngleich  weniger  ausgeprägt  —  in  den  Hinterhömern: 
Hyperämie  und  Rundzelleninfiitration;  eine  meistenteils  hoch- 
gradige Infiltration  der  Gefasswände;  perivaskuläre  Exsudate;  in 
gewissen  Segmenten  grössere  und  kleinere  Exsudatansammlungen 
mit  zentraler  Erweichung,  frei  in  der  grauen  Substanz  oder  im 
Anschlnss  an  Gefasse  gelegen;  eine  ausgeprägte  Ganglienzellen- 
atrophie; die  atrophischen  Ganglienzellen  von  Leukozyten  um- 
geben, zwischen  ihnen  auch  das  eine  oder  andere  rote  Blut- 
körperchen; Rarefikation  der  NervenfUden  der  Vorderwurzeln; 
die  Vaskularisation  in  gewissen  Segmenten  von  der  grauen 
Substanz  auf  die  weisse  übergehend,  so  dass  die  Grenzen 
zwischen  der  grauen  und  weissen  Substanz  undeutlich  erseheinen;, 
eine  recht  starke  Infiltration  der  Pia.  Die  entzündlichen  Ver- 
änderungen waren  am  intensivsten  in  den  Cervikal-  und  Lumbal* 
teilen.  Anch  iip  Bulbus  rhachiticus  fand  sich  Hyperämie,  die 
am  meisten  in  der  Umgebung  der  motorischen  Kerne  hervortrat, 
aber   auch  in    ihnen    selbst  vorhanden  war.     Von    den  Ganglien- 


Lövegreo,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

jsellen  dieser  Kerne  waren  einige  mehr  weniger  degeneriert, 
■andere  ganz  normal;  die  Adventitia  der  grösseren  Gefasse  war 
durch  Einlagerung  einer  Menge  Rundzellen  stark  verdickt;  die 
Pia  war  in  hohem  Grade  infiltriert.  —  Bakterien  Hessen  sich 
nirgends  in  den  Schnitten  nachweisen. 

Die  von  D au  her  gefundenen  Veränderungen  des  Rucken- 
marks müssen,  sowohl  hinsichtlich  der  Intensität  als  der  Ver- 
breitung, als  ungewöhnliche  bezeichnet  werden.  Dass  die  weisse 
Substanz  in  der  Nachbarschaft  der  am  stärksten  affizierten  Partien 
der  Vorderhömer  in  den  entzündlichen  Prozess  mit  hineingezogen 
wurde,  erscheint  weniger  bemerkenswert,  als  der  Umstand,  dass 
dieser  Prozess  mit  bedeutender  Intensität  sich  auf  die  Hinter- 
hörner  erstreckt 

Bezuglich  der  Art  des  vorliegenden  pathologischen  Prozesses 
spricht  sich  Daubev  für  den  interstitiellen  Charakter  desselben 
41U8,  meint  aber  doch,  dass  bei  dieser  „primär  entzündlichen 
Affektion  der  grauen  RQckenmarksubstanz  eine  gleichzeitige 
Schädigung  der  Stutzsubstanz  wie  der  Ganglienzellen  durch  das 
entzundungserregende  Agens  wohl  zugegeben  werden  kann*'. 

Goldscheiders  Arbeit  über  Poliomyelitis  ist  von  besonders 
grossem  Interesse  durch  die  Auffassung  der  Pathogenese,  zu 
welcher  der  hervorragende  Forscher  gelangte.  Goldscheiders 
Untersuchung  betrifft  einen  Fall  vod  akuter  Poliomyelitis  bei 
•einem  2VtJAhrigrn  Mädchen,  das  12  Tage  nach  dem  Eintritt  der 
Krankheit  starb.  Die  Rückenmarksveränderungen  waren  am 
deutlichsten  im  Lumbaiteile  ausgeprägt.  Verfasser  fand  hier  die 
Gefässe  der  Pia  —  besonders  vorn,  vor  und  neben  dem  Snlcus 
4uiterior  —  auffallend  stark  gefüllt.  Die  Pia  war  mit  einkernigen 
Rundzellen  massig  infiltriert.  Die  Gefässe  des  Sulcus  anterior 
zeigten  eine  gegen  die  vordere  Kommissur  hin  zunehmende 
Infiltration  sowohl  in  ihren  Wänden  wie  in  ihrer  Umgebung. 
Auch  einige  der  sog.  peripheren  Gefasse  waren  mit  Rundzellen 
bedeckt.  Die .  veränderten  Gefässe  waren  hauptsächlich  Venen 
und  Kapillaren,  doch  teilweise  auch  Arterien.  Der  Hauptherd 
für  die  Veränderungen  war  das  Vorderhorn,  aber  auch  in  den 
Vorderseitensträngen  fand  man  stellenweise  mehr,  stellenweise 
weniger  Gefässe  mit  denselben  Veränderungen;  vereinzelte  der- 
artige Gefässe  waren  auch  in  den  Hinterhörnern  und  in  den 
Hintersträngen  anzutreffen.  Thrombosen  waren  nirgends  nach- 
zuweisen. Die  Vorderhörner  waren  beinahe  übersät  mit  Rund- 
zellen.    Die    von    Leyden    beschriebenen    ^epitheloiden^    Zellen 


and  sobacata  8.  chronica.  288 

fanden  sich  in  grosser  Menge.  Die  Ganglienzellen  waren  meistens 
hochgradig  degeneriert,  vielfach  von  Rundzellen  dicht  umlagert 
nnd  bedeckt.  Die  feinen  Nervenfasern  der  vorderen  grauen 
Substanz  waren  erheblich  gelichtet,  aber  keineswegs  völlig 
zerstört.  —  Im  ganzen  Dorsalmark  und  in  der  Halsanschwellung 
bestanden  im  wesentlichen  dieselben  Alterationen,  wie  im  Lenden- 
mark, nur  an  Intensität  geringer. 

Goldscheider  stellt  sich  in  bezug  auf  die  Pathogenese  in 
bestimmte  Opposition  zur  Lehre  von  einer  primären  Ganglien- 
zellendegeneration und  legt  das  Hauptgewicht  auf  das  Verhalten 
<]er  Gefasse.  Er  ist  der  Ansicht,  „dass  ein  Keizzustand  in  den 
Gefässwänden  sich  etabliert  habe,  welcher  zu  starker  Dilatation 
der  Gefasse  und  lebhafter  Proliferation  adventitieller  bezw. 
endothelialer  Elemente  gefQhrt  hat.  Von  hier  aus  hat  sich  der 
Prozess  weiter  auf  die  Neuroglia  erstreckt  und  eine  Proliferation 
-der  Neurogliazellen  veranlasst**.  Inwieweit  noch  Wanderzellen 
im  Spiele  sind,  ob  ausserdem  noch  eine  Emigration  stattgefunden 
iiat,  über  diesen  Punkt  wagt  Goldscheider  kein  bestimmtes 
Urteil  abzugeben.  Was*die  Ganglienzellen  betrifft,  so  ist  er  der 
Ansicht,  dass  der  von  den  Gefässen  ausgehende  EntzQndungs- 
prozess  auch  auf  sie  übergegangen  ist,  und  dass  zugleich  die 
-durch  die  Gefassveränderungen  verursachte  Störung  der  Nutritions- 
verhältnisse  die  nervösen  Elemente  zur  Nekrobiose  bringen  konnte 
Die  Ganglienzellendegeneration  gestaltet  sich  also  dieser  Auffassung 
nach  als  eine  rein  sekundäre  Erscheinung. 

Goldscheider  hebt  hervor,  dass  die  bei  Poliomyelitis  anterior 
acuta  gefundenen  Lokalisationen  dem  Verbreitungsgebiet  der 
Zentralarterien  entsprechen.  Um  weiter  zu  erfahren,  in  welchem 
Verhältnisse  die  degenerativen  Veränderungen  zu  den  Gefässen 
stehen,  studierte  Goldscheider  im  Verein  mit  Eohnstamm(42) 
Schnittserien  von  einem  alten  Falle  von  Poliomyelitis.  Dabei 
zeigte  es  sich,  dass  die  Degenerationsherde  überall  um  veränderte 
Gefösse  gruppiert  waren,  und  es  schienen  nicht  die  Ganglien- 
zellengruppen als  solche  gewesen  zu  sein,  die  das  Schicksal  der 
Ganglienzellen  bestimmt  hatten,  sondern  die  Gefäss Verzweigungen. 

Der  Anschluss  der  poliomyelitischen  Herde  an  Gefasse  und 
ihre  Unabhängigkeit  von  bestimmten  Ganglienzellengruppen  war 
früher  an  fortlaufenden  Schnittserien  auch  von  Kawka  (43) 
nachgewiesen  worden.  Dieser  fand  die  Ganglienzellen  auch  an 
solchen  Stellen  angegriffen«  wo  keine  eigentlichen  Herde  vor- 
handen waren. 


284         Lovegren,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

Wesentlich  dieselben  Befunde  wie  Goldscb eider  hatten 
Siem erlin g  und  Redlich,  welche  auch  zur  selben  Auffassung 
von  der  Bedeutung  der  Gef&sse  für  die  Entstehung  des  Prozesses 
gelangten.  In  bezug  auf  die  Affektion  der  Ganglienzellen  sprach 
Redlich  (40,  41)  die  Ansicht  aus,  dass  sie  nicht  durch  die 
deletare  Einwirkung  des  Exsudats  allein  verursacht  sein  kann^ 
sondern,  teilweise  wenigstens,  als  durch  direkte  Noxenwirkung 
entstanden  aufzufassen  ist.  Dabei  gab  Redlich  die  Möglichkeit 
zu,  dass  es  leichte  Fälle  mit  dem  klinischen  Bilde  der  akuten 
Poliomyelitis  geben  könnte,  in  denen  der  anatomische  Prozess 
parenchymatöser  Art  wäre.  Doch  ist  er  der  Meinung,  dass  sich 
keine  beweisenden  Fälle  finden. 

Die  Auffassung  von  Goldscheider  vertreten  auch  Bülow- 
Hansen  und  Harbitz  (44),  Matthes(46),  sowie  Praetorius  (46). 

Schon  1892  hatte  Pierre  Marie  (47)  klar  die  Umstände 
hervorgehoben,  welche  für  den  vaskulären  Ursprung  des  polio- 
myelitischen Prozesses  sprechen.  Er  verfugte  aber  auch  nicht 
über  eigene  Untersuchungen,  auf  die  er  sich  stützen  konnte. 

Wie  aus  dem  Angeführten  hervergeht,  haben  sich,  mit 
Ausnahme  Risslers,  alle  Forscher,  die  in  der  Lage  waren, 
frische  Fälle  von  Poliomyelitis  zu  untersuchen,  gegen  die  Charcot- 
sehe  Theorie  ausgesprochen.  Für  diese  Theorie  ist  in  letzterer 
Zeit  von  Eahlden  (48,  49)  eingetreten.  Seine  anatomischen 
Untersuchungen  betreffen  fünf  abgelaufene  Fälle,  welche  selbst- 
verständlich nicht  ohne  weiteres  in  eine  Reihe  mit  Beobachtungen 
aus  dem  akuten  Stadium  gestellt  werden  können,  von  Eahlden 
findet,  dass  die  Gefässverzweigung  in  den  Vorderhömern  nicht 
den  Umstand  erklären  kann,  dass  die  Atrophie  meistens  in  ge- 
wissen Ganglienzellengruppen  lokalisiert  ist.  Die  Yeränderungeu 
des  Zwischengewebes  hält  er  nicht  für  derartige,  dass  sie  zur 
Annahme  eines  primären  interstitiellen  Prozesses  nötigten-,  sie 
zeigen  in  den  meisten  Fällen  ungefähr  dasselbe  Bild,  wie  man  es 
beispielsweise  nach  Amputationen  finde,  wo  ja  eine  primäre 
Affektion  der  Ganglienzellen  angenommen  werden  müsse.  Gegen 
die  Annahme  primär  interstitieller  Veränderungen  führt  von 
Kahlden  ferner  das  Verhalten  der  Nervenfasern  in  den  Vorder- 
hörnern  bei  dreien  seiner  Fälle  an.  Die  Nervenfasern  erwiesen 
«ich  nämlich  zum  verhältnismässig  sehr  grossen  Teil  wohl  er- 
halten. Nur  die  Nervenfasern,  welche  in  direkter  Verbindung 
mit  den  Ganglienzellen  stehen  —  somit  hauptsächlich  die  zu 
den    vorderen   Wurzeln    gehenden    —    waren     atrophisch.       Das 


and  sabacata  s.  chronica.  285 

väre  nicht  möglich,  wenn  die  Atrophie  als  Folge  primär  inter- 
stitieller Yeranderangen  aufgetreten  w&re,  in  welchem  Falle  auch 
andere  Nerrenfasem  zerstört  sein  müssten. 

Von  Kahldens  Auffassung  der  Poliomyelitis  ist  wesentlich 
beeinflusst  von  seiner  Ansicht  über  die  Entzündung  im  allgemeinen. 
Bei  der  Diskussion  der  Frage  der  akuten  Myelitis  auf  dem 
Kongresse  für  innere  Medizin  im  Jahre  1001  äusserte  er  unter 
anderem:  ^Für  mich  gibt  es  überhaupt  keine  Entzündung,  die 
für  unsere  jetzigen  optischen  Mittel  am  Gefässapparate  anfilngt, 
sondern  wir  sehen  immer  die  ersten  Veränderungen  am  Parenchyme.^ 

Fälle  von  akuter  Poliomyelitis  bei  Erwachsenen  waren,  wie  schon 
oben  hervorgehoben  wurde,  schon  im  Beginn  der  1860er  Jahre  von 
Meyer  (18)  und  Duchenne  fils  (15)  beschrieben  worden.  Aber 
erst  seitdem  der  ältere  Duchenne  (10)  im  Jahre  1872  fest- 
gestellt hatte,  dass  der  Symptomenkomplex  der  spinalen  Kinder- 
lähmung uns  auch*  bei  Erwachsenen  begegnen  kann,  wurde  die 
Aufmerksamkeit  allgemeiner  hierauf  gerichtet.  In  der  darauf- 
folgenden Zeit  wurden  verhältnismässig  viele  Fälle  veröffentlicht, 
unter  anderen  von  Erb  (7)  und  Charcot  (50). 

Franz  Müller  (51)  gab  im  Jahre  1880  eine  Monographie 
heraus,  in  der  er  diese  Fälle  sammelte  und  vier  eigene  sorg&ltige 
Beobachtungen  hinzufügte.  Geht  man  Müllers  Kasuistik  durch, 
so  findet  man,  mit  der  Sachkenntnis,  die  wir  gegenwärtig  be- 
sitzen, dass  die  meisten  der  von  ihm  referierten  Fälle,  wie  auch 
seine  eigenen,  nicht  das  Bild  der  akuten  Poliomyelitis  darbieten, 
sondern  mehr  oder  weniger  das  Gepräge  der  Polyneuritis  tragen. 
Eine  zweite  Zusammenstellung  wurde  im  selben  Jahre  von 
Rank  (52)  gemacht,  der  selbst  zwei  Fälle  beschreibt,  die  als 
Poliomyelitiden  anerkannt  werden  mussten.  Auch  in  der  Be- 
schreibung, die  Sa  uze  (58)  ein  Jahr  später  über  die  akute 
Spinallähmung  der  Erwachsenen  gab,  sind  unverkennbar  die 
Poliomyelitis  und  die  Polyneuritis  zusammengeworfen. 

Gerade  um  diese  Zeit  war  es,  wo  die  multiple  Neuritis  durch 
die  Untersuchungen  Leydens  bekannt  und  anerkannt  wurde. 
Es  erwies  sich,  dass  das  Krankheitsbild,  welches  man  vorher 
stets  als  Ausdruck  einer  Poliomyelitis  gedeutet  hatte,  in  vielen 
Fällen  unwiderleglich  auf  einer  peripheren  Neuritis  beruhte. 

Nach  dieser  Entdeckung  schien  das  vorher  lebhafte  Interesse 
für  die  Poliomyelitis  Erwachsener  plötzlich  abgekühlt  zu  sein. 
Da  die  multiple  Neuritis  mit  in  Betracht  zu  ziehen  war,  so  stellte 
sich    die  Diagnose    der  Poliomyelitis    nicht    mehr  so  einfach  wie 


286         LövegreD,  Zur  Kesntoia  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

fr&her.  Es muss  sich  jetzt  auch  gezeigt  haben,  wie  selten  das  Leiden 
tatsächlich  ist.  Genug,  seit  dieser  Zeit  sind  nur  sehr  spärliche- 
klinische  Beobachtungen  desselben  publiziert  worden. 

Der  erste  pathologisch-anatomische  Beweis  für  die  Existenz 
der  Duchenneschen  Paralysie  spinale  aigu€  de  Padulte  wurde 
1878  von  Schnitze  (54)  erbracht,  der  in  einem  auch  klinisch 
sorgfaltig  beobachteten  Falle  anatomische  Veränderungen  kon- 
statierte, die  völlig  denen  bei  der  spinalen  Kinderlähmung  ent- 
sprachen. Früher  hatte  allerdings  schon  Gombault  (55)  einen 
Fall  veröffentlicht,  der  jedoch  nicht  als  ganz  einwandfrei  anzusehen 
ist.  Ein  zweiter,  sicherer  Sektionsfall  ist  der  Friedländers  (56). 
Risslers  (35)  bemerkenswerter  Fall  3,  sowie  der  Fall 
Leegaards  (36)  sind  schon  oben  besprochen  worden.  Patho- 
logisch-anatomisch untersuchte  Fälle  sind  ferner  mitgeteilt  worden 
von  Williamson  (57),  v.  Kahlden  (48),  Middleton  (58), 
Jagic  (59),  Reeder  und  Bickel  (60),  Sherman  und  Spiller  (61)» 
Taylor  (62),  van  Gebuchten  (63). 

In  der  Mehrzahl  dieser  Fälle  trat  der  Tod  sehr  kurze  Zeit 
nach  Beginn  der  Krankheit  ein.  So  war  in  den  Fällen  Risslers 
Leegaards,  Reeders  und  Bickels  etwa  eine  Woche  nach  dem 
Eintritt  der  Lähmung  vergangen,  in  dem  Falle  Shermans  und 
S pillers  starb  Patient  nur  22  Stunden  nach  Eintritt  der  Lähmung,, 
ungefähr  5  Tage  nach  Beginn  der  allgemeinen  Symptome.  Die 
gefundenen  Veränderungen  stimmen  mit  denen  überein,  welche  man 
im  akuten  Stadium  der  spinalen  Kinderlähmung    konstatiert  hat. 

Nur  klinisch  beobachtete  Fälle,  in  denen  die  Diagnose  als 
sicher  anzusehen  ist,  sind  von  ^Raymond  (64),  Grawitz  (65),^ 
Niedner  (66),  Gumpertz  (67),  sowie  von  Strümpell  und 
Barthelmes  (68)  beschrieben  worden. 

Durch  diese  im  ganzen  nicht  sehr  zahlreichen,  aber  völUg 
beweisenden  Fälle  steht  es  fest,  dass  Poliomyelitis  anterior  acuta 
auch  bei  Erwachsenen  vorkommt. 

Vom  Ende  der  1860er  Jahre  bis  zur  gegenwärtigen  Zeit 
hat  das  Studium  der  akuten  Poliomyelitis  im  Zeichen  der  patho- 
logischen Anatomie  gestanden.  Die  schon  recht  gute  Kenntnis  der 
klinischen  Äusserungen  des  Leidens,  die  man  durch  die  Forschungen 
der  vorhergehenden  Zeit  gewonnen,  wurde  im  Beginn  dieser  Periode 
durch  einige  bedeutungsvolle  Erfahrungen  über  die  Reaktion  der 
Muskeln  und  Nerven  auf  den  galvanischen  Strom  bereichert. 
Salomon  (69)  und  speciell  Erb  (7)  wiesen  das  Vorhandensein 
der  charakteristischen  Veränderungen  der  elektrischen  Erregbarkeit 


und  Bubaouta  s.  chronica.  287 

nach,  die  Letzterer  unter  dem  Namen  Entartangsreaktion  zusammen- 
gefasst  hat.  Im  übrigen  wurde  während  einer  langen  Reihe 
▼on  Jahren  das  klinische  Studium  der  akuten  Poliomyelitis  nicht 
wesentlicli  gefördert. 

In  letzterer  Zeit  ist  der  Frage  nach  der  Ätiologie  der 
Poliomyelitis  immer  mehr  Aufmerksamkeit  zugewandt  worden. 
Schon  im  Beginn  der  1880er  Jahre  hatten  Seeligmüller  (70) 
und  Strümpell  (71)  auf  die  Ähnlichkeit  des  klinischen  Ver- 
laufes hingewiesen,  welche  zwischen  der  Poliomyelitis  und  den 
akuten  Infektionskrankheiten  besteht.  Diese  Ähnlichkeit  ist 
noch  deutlicher  geworden,  seitdem  man  die  Erfahrung  gemacht 
hat,  doss  die  Poliomyelitis  epidemisch  auftreten  kann. 

Epidemien  von  Poliomyelitis  sind  an  mehreren  Orten  be- 
obachtet worden,  speziell  in  Skandinavien.  Schon  ibSl  wurde^ 
eine  solche  von  Bergenholtz  in  Nordschweden  beobachtet, 
obwohl  sie  erst  viel  später  durch  Medin  bekannt  wurde. 
Medin  (72)  hat  ausführlich  zwei  grosse  Epidemien  beschrieben,, 
welche  in  den  Jahren  1887  und  1896  in  Stockholm  zur  Beobachtung 
kamen.  Im  Jahre  1899  trat  in  Bratsberg  in  Norwegen  eine 
bedeutende  Epidemie  auf,  über  die  Leegaard  (73)  berichtet  hat. 
Ausserdem  sind  aus  Norwegen  einige  kleinere  Epidemien  bekannt 
geworden  (die  Mandalsche  Epidemie  1886  u.  A.).  Vereinzelte 
kleinere  Epidemien  sind  auch  in  Frankreich  und  Italien  beschrieben 
worden.  In  Amerika  scheint  die  epidemische  Poliomyelitis  relativ 
häufig  vorzukommen.  In  mehreren  Orten  hat  man  ein  gehäuftes 
Auftreten  der  Poliomyelitis  bemerkt,  ohne  dass  eigentlich  von 
wirklichen  Epidemien  die  Rede  sein  konnte  [Auerbach  (74),. 
Zappert  (76),  Bülow-Hansen  und  Harbitz  (44),  Johan- 
nessen (76)]. 

Die  Versuche,  Bakterien  in  Deckglas-  und  Schnittpräparaten 
vom  Rückenmark  nachzuweisen,  welche  von  Dauber,  Gold- 
scheider  und  Siemerling  gemacht  wurden,  fielen  —  wie  schon 
früher  erwähnt  —  negativ  aus.  Im  Jahre  1898  glückte  es 
Schnitze  (77)  in  einem  Falle  von  akuter  Poliomyelitis  mit  wahr- 
scheinlich gleichzeitig  bestehender  nicht  diffuser  Meningitis  bei 
einem  5jährigen  Knaben,  der  die  Krankheit  überlebte,  aus  der 
Cerebrospinalflüssigkeit  einen  Diploeoccus  zu  züchten,  welcher 
völlig  dem  Weichselbaum- Jägerschen  Meningococcus  glich. 
In  demselben  Jahre  fanden  Bülow-Hansen  und  Harbitz  (44)  in 
einem  Falle  in  einer  Serumagarkultur  aus  der  bei  postmortaler 
Spinalpunktion   gewonnenen  Cerebrospinalflüssigkeit  einen  Diplo- 


^88  Lövegreo,  Zur  Kenntnis  der  Polioinyelitis  anterior  acata 

coccus  oder  ein  kurzes  DoppelstäbcheD ,  das  sich  nocli  Gram 
f&rbte.  Aach  in  Deckglaspräparaten  wurde  dieser  Diplococcos 
gesehen,  wenngleich  spärlich  and  andeatlich.  In  Schnittpraparaten 
vom  Rückenmark  waren  keine  Bakterien  nachzuweisen.  Da 
sieben  andere  Kulturen  steril  blieben  und  die  gefundenen  Diplo- 
kokken sich  nicht  virulent  für  Tiere  erwiesen,  so  wollten  die 
Verfasser  ihrem  Befunde  keine  grössere  Bedeutung  zuschreiben. 
Später  wurden  die  Befunde  in  einigen  Fällen  bestätigt,  u.  a.  von 
Looft  und  Dethloff  (78),  welche  bei  der  bakteriologischen 
Untersuchung  von  Spinalflüssigkeit  einen  nach  Gram  farbbaren 
Diplococcus  nachwiesen,  den  sie  mit  dem  „Meningococcus- 
typus  Heubner"  identifizieren. 

Diese  positiven  Resultate  der  bakteriologischen  Untersuchung 
bieten  eine  weitere  Stütze  für  die  Auffassung  der  akuten  Polio- 
myelitis als  einer  Infektionskrankheit.  Jedoch  sind  ihrer  bis  auf 
weiteres  durchaus  zu  wenig,  um  Klarheit  in  die  Frage  zu  bringen, 
ob  diese  Krankheit  in  ätiologischer  Hinsicht  einheitlich  ist  oder 
nicht.  Zahlreiche  bakteriologische  Untersuchungen  sind  erforder- 
lich^ um  diese  Frage  beantworten  zu  können.  Doch  ist  es  klar, 
dass  die  Schwierigkeiten  sehr  bedeutende  sind.  Vor  allem  ist 
die  Gelegenheit  zur  Untersuchung  von  Fällen,  die  im  aller- 
frühesten  Stadium  der  Krankheit  tödlich  endeten,  selten.  Gleich- 
wohl durften  nur  in  diesem  Stadium  Chancen  für  positive  bak- 
teriologische Befunde  vorhanden  sein.  Wie  Hom^n  (79)  u.  a. 
hervorgehoben,  scheinen  sich  nämlich  die  Bakterien  nur  eine  kurze 
Zeit  im  Rückenmark  zu  erhalten.  Es  ist  in  letzter  Zeit  die 
möglichst  weitgehende  Anwendung  der  Lumbalpunktion  zu  dia- 
gnostischen Zwecken  befürwortet  worden.  Abgesehen  davon,  dass 
diese  Methode  aus  vielen  Gründen  nur  in  vereinzelten  Fällen 
<lurchführbar  sein  kann,  so  ist  wohl  ihren  Resultaten  nur  eine 
relative  Beweiskraft  zuzuschreiben. 

Von  grossem  Interesse  sind  die  Erfahrungen,  welche 
Roger  (80),  Thoinot  und  Masselin  (81)  u.  A.  in  Bezug  auf 
experimentell  erzeugte  Poliomyelitiden  machten.  Durch  subkutane 
Einspritzung  verschiedener  Bakterienkulturen  (Bacterium  coli 
commune,  Staphylococcus  pyogenes  aureus,  Streptokokken  u.  a.) 
gelang  es  ihnen,  bei  den  Versuchstieren  einen  Krankheitszustand 
hervorzurufen,  der  in  vielen  Beziehungen  eine  Ähnlichkeit  mit 
dem  Symptomenkomplex  der  akuten  Poliomyelitis  zeigt.  Bei  der 
Untersuchung  des  Rückenmarks  in  diesen  Fällen  fand  man  Ver* 
ändeningen  der  grauen  Substanz  —  meist  nur  in  dieser  — ,  aber 


und  subacata  s.  chronica. 

in  einigeu  Fällen  zugleich  auch  in  der  weissen  Substanz.  Diese 
Veränderungen  waren  wesentlich  parenchymatösen  Charakters. 
Neben  einer  ausgeprägten  Ganglienzellendegeneration  konstatierte 
Gombault  in  den  Fällen  Thoinots  und  Masselins  unbedeutende 
oder  gar  keine  interstitiellen  Veränderungen.  Roger  fand  in 
frühen  Stadien  die  Ganglienzellen  deutlich  affiziert,  während 
Gefassveränderungen  fehlten.  Erst  in  späteren  Stadien  der  Krank- 
heit traten  diese  hervor.  Die  Untersuchung  des  Rückenmarks 
auf  Bakterien  gab  verschiedene  Resaltate.  So  konnten  Thoinot 
und  Masselin  virulente  Bakterien  nachweisen,  während  Roger 
und  Andere  negative  Befunde  hatten. 

So  wertvoll  und  aufklärend  diese  Resultate  der  experimen- 
tellen Forschung  auch  sind,  so  können  sie  doch  selbstredend  nicht 
ohne  weiteres  auf  die  menschliche  Pathologie  übertragen  werden. 

Wie  die  Poliomyelitisfrage  gegenwärtig  steht,  richtet  sich 
das  Hauptinteresse  auf  die  Aufgabe,  die  Art  der  Infektion  näher 
zu  erforschen,  welche  —  nach  allem  zu  urteilen  —  der  Krank- 
heit zu  Grunde  liegt.  Wie  oben  hervorgehoben  worden  ist,  sind 
wir  noch  weit  entfernt  von  der  endgültigen  Lösung  der  Frage. 
Aber  wenn  uns  auch  der  oder  die  Mikroorganismen,  die  hierbei 
tätig  sind,  bekannt  wären,  so  erübrigte  uns  gleichwohl  immer 
noch  festzustellen,  unter  welchen  Umständen  überhaupt  eine  zur 
Poliomyelitis  führende  Infektion  zustande  kommt,  und  auf  welchen 
Wegen  der  Infektionsstoff  in  den  Organismus  gelangt.  Auf  diese 
wichtigen  Fragen  kann  die  Bakteriologie  allein  keine  Antwort 
geben.  Es  bleibt  noch  immer  zunächst  der  klinischen  und  patho- 
logisch-anatomischen Forschung  vorbehalten,  zu  versuchen,  Klar- 
heit in  diese  Fragen  zu  bringen. 

Klinische  Beobachtungen  von  Poliomyelitis  anterior 
acuta   bei  Erwachsenen. 

Wesentlich  eine  Krankheit  des  frühen  Kindesalters,  kommt 
die  akute  Poliomyelitis,  wie  schon  erwähnt,  in  seltenen  Fällen 
auch  bei  Erwachsenen  vor.  Die  Kasuistik,  welche  über  Polio* 
myelitis  anterior  acuta  adultorum  vorliegt,  ist  recht  arm.  Die 
Existenz  einer  akuten  Poliomyelitis  bei  Erwachsenen  wird  sogar 
noch  in  gegenwärtiger  Zeit  von  einem  so  erfahrenen  und  hervor- 
ragenden Neurologen  wie  Dejerine  (82)  überhaupt  in  Zweifel 
gezogen.  Für  eine  erweiterte  und  sichere  Kenntnis  dieser  Krank- 
faeitsform  ist  es  notwendig,    in  Zukunft,    mehr  als   es  bisher  ge* 

Jahrbneh  f.  Kinderheillninde.    N.  F.    LXI,  Heft  2.  19 


290         Lövegren,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

schehen  ist,  hierhergehörige  Fälle,  auch  solche,  die  nur  klinisch 
beobachtet  werden,  zu  verwerten.  Folgende  von  mir  beobachtete 
Fälle,  in  denen  die  Diagnose  sichergestellt  zu  sein  scheint,  dürften 
somit  nicht  ohne  Interesse  sein. 


Beobaehtung  I  (s.  Fig.  1  und  2). 
Julias  P.,  IGjähriger  Käthnerssohn  aus  Orihvesi. 
Aufnahme  in   Prof.  Homeus  Nerven  abteilang  am  3.  September  1901. 

Anamnese. 
Pat.    ist    nicht    neuropathisch     belastet      Beide    Eltern     leben     und 
sind    stets    gesund    gewesen.     Pat    hat    drei    Schwestern   und    drei    Brüder^ 
alle  gesund;  mehr  Geschwister  haben  nicht  existiert.     Bis   zum  Eintritt  des 
gegenwärtigen  Leidens  ist  Pat.  nie  krank  gewesen. 

Am  Morgen  des  24.  Juni  1899    erwachte  Pat    mit   starken  Schmerzen 
im  Kreuz.     Er  war  steif  im  Rücken    und    konnte    sich  vor  Schmerzen    nicht 

aufsetzen.  Amvorhergehenden 
Tage  hatte  er  sich  völlig  ge- 
sund gefühlt  und  in  der  Nacht 
ruhig  und  gut  geschlafen.  Die 
starken     Schmerzen     hielten 
zwei  Tage  lang  an  und  waren 
in  der  Nacht    auf  den  25.  so 
heftig,  dass  Pat.  nicht  schlafen 
konnte.     Drei  oder  vier  Tage 
hatte  er  Fiebersymptome  und 
leichte    Kopfschmerzen.     Am 
26.  Juni  (dem  dritten  Krank- 
heitstage)    morgens     merkte 
Pat  beim  Erwachen,  dass  beide 
Beine  völlig    gelähmt  waren. 
Die  Beweglichkeit  der  Arme 
war  unverändert.  Die  Schmer- 
zen im  Kreuz  hatten  sich  ge- 
mildert, dauerten  aber  in  leich- 
terem Grade  noch  etwa  zwei 
Wochen  fort,  worauf  sie  auf- 
hörten. Eine  Woche  nach  dem 
Beginn  der  Krankheit  wurde  beobachtet,    dass  die  Beine  anfingen  stark  ab- 
zumagern,  und  nach  Verlauf  einiger  Tage  hatten  sie  schon   den  Zustand  er- 
reicht,   in    welchem    sie    sich  seitdem  befunden   haben.    Eine  Woche  später 
wurde  eine  hochgradige  seitliche  Krümmung  der  Wirbelsäule  bemerkt.     Diese 
Krümmung  hat  sich,  der  Aussage  des  Patienten  nach,  allmählich  vermindert. 
In    der  4«  Krankheitswoche  wurde  ein  Arzt  zu  Rate  gezogen,  welcher 
ein  Nervenleiden    diagnostizierte    und  Massage    verordnete.     Etwa  9  Monate 
später   befragte  Pat.    einen    anderen   Arzt,    welcher   derselben  Meinung  war. 
Die  Lähmung    der    Beine  hielt    sich    etwa    einen    Monat    unverändert, 
worauf  allmähliche  Besserung  eintrat.     Pat.  lag  vier  Monate  zu  Bett.     Nach 


Fig.  1. 


and  subacuta  8.  chronica. 


291 


dieser  Zeit  konnte  er  sich  mit  Hilfe  eines  Stockes  umherbewegen.  Die 
Besserung  in  der  Beweglichkeit  der  Beine  ist  seitdem  langsam  fortge- 
schritten bis  zum  gegenwärtigen  Zustande. 

Im  ganzen  Verlauf  der  Krankheit  war  das  Bewusstsein  ungetrübt, 
bestanden  nie  Störnngen  yon  Seiten  der  Sprache,  des  Gesichts-  und  Gehörs- 
sinns, kamen  nie  Schlingbeschwerden  vor. 

In  den  ersten  Tagen  wurden  leichte  Schmerzen  in  den  Beinen  yer- 
spürt,  hernach  aber  weder  Schmerzen  noch  irgendwelche  ungewöhnliche 
Empfindungen.  Das  Gefühl  in  den  Beinen  soll  in  jeder  Beziehung  unver- 
ändert gewesen   sein. 

Die  Respiration  war  un- 
gestört. In  den  ersten  Tagen 
war  die  Darmtätigkeit  etwas 
träger  gewesen  als  gewöhnlich. 
Sonst  hatten  keinerlei  Störungen 
vonseiten  der  Digestionsorgane 
bestanden.  Die  Defäkation  und 
Blasentätigkeit  sind  die  ganze 
Zeit  über  völlig  normal  vor 
sich  gegangen. 

«  Pat.  kann  keinerlei  Ur- 
sache für  das  Entstehen  der 
Krankheit  angeben.  Er  war  in 
der  Zeit  vor  der  Erkrankung 
weder  Erkältungen  noch  einem 
Trauma  ausgesetzt  gewesen, 
hatte  keinen  kranken  Hals, 
keine  Verletzungen  noch  Eiter- 
bildnngen  gehabt.  In  der  Um- 
gebung waren  keine  ähnlichen 
Krankheitsfälle    vorgekommen. 

Es  liegt  kein  Grund  zur 
Annahme  vor,  dass  Pat.  Alko- 
holist sei.  Er  hat  keine  Lues 
gehabt. 

Status  praesens. 

Pat.  ist  für  sein  Alter  sehr  gut  entwickelt.  Der  Knochenbau  ist 
robust,  die  Muskulatur  der  Arme  sehr  kräftig.  Der  allgemeine  Ernährungs- 
znstand gut.  Die  Gesichtsfarbe  etwas  blass.  Nirgends  Ödem  oder  Exanthem. 
Temperatur  normal.     Pols  88  in  der  Min. 

Von  Seiten  der  Lungen,  des  Herzens  und  der  Bauchorgane  völlig 
normale  Befunde.     Der  Harn  eiweiss-  und  zuckerfrei. 

Die  Psyche  klar.    Die  Cerebralnerven  funktionieren  ungestört. 

Die  Arme  sind  frei  und  kräftig  beweglich. 

Bei  der  Untersuchung  der  Wirbelsäule  findet  man  eine  starke 
Skoliose  mit  der  Konvexität  nach  rechts.  Die  Skoliose  nimmt  .oben  ihren 
Anfang  ungefähr  beim  dritten  Rückenwirbel,  erreicht  ihren  Höhepunkt  beim 

19* 


Fig.  2. 


292         Löyegren,  Zar  Keontois  der  Poliomyelitis  anterior  acata 

zehnten  Dorsalwirbel  und  hört  unten  beim  dritten  Lendenwirbel  auf.  Die 
Processus  spinosi  der  oberen  Lendenwirbel  etwas  hervortretend,  gewisser- 
massen  eine  nnbedeatende  Kyphose  bildend.  Der  Erector  trunci  beider- 
seits stark  atrophisch,  rechts  mehr  als  links.  Keine  Druckempfindlichkeit. 
Der  Rücken  wird  ohne  merkliche  Schwierigkeit  gebeugt  und  gestreckt 

Bei  Anwendung  der  Bauchpresse  wölben  sich  die  mittleren,  unteren 
und  Seitenteile  passiv  vor,  während  nur  der  obere  Teil  fest  kontrahiert  ao- 
zufühlen  ist,  fester  links  als  rechts.  Dabei  wird  der  Nabel  nach  oben  und 
links  gezogen.  Bei  Kontraktion  der  Muse,  recti  abdom.  wird  beobachtet, 
dass  nur  die  oberhalb  des  Nabels  befindlichen  Partien  dieser  Muskeln  aktiv 
wirken,  die  unteren  Teile  werden  nur  passiv  gespannt.  Der  Nabel  wird 
dabei  stark  nach  oben  gezogen.  Pat.  kann  sich  nicht  ohne  Hilfe  der  Arme 
aus  der  Rückenlage  in  sitzende  Stellang  erheben.  Exspiration,  auch  forcierte, 
geht  unbehindert  vor  sich. 

Beide  Beine  sind  im  hohen  Grade  abgemagert,  besonders  die  Ober- 
schenkel und  speziell  der  linke.  Die  Patellae  etwas  hervorstehend,  infolge 
von  Atrophie  der  umgebenden  Muskeln.  Die  Haut  ist  etwas  livid  und 
fühlt  sich  kühl  an.  Keine  Kontraktur.  S&mtliche  passiven  Bewegungen  in 
normalen  Exkursionen  in  allen  Gelenken  ohne  Schmerz  möglich. 

Umfang   des    Schenkels    15  cm    oberhalb  1  rechts  35,0  cm 

der  Basis  patellae:  {links  32,0  „ 

Umfang    des    Schenkels    10   cm  oberhalb )  rechts  32,5  „ 

der  Basis  patellae:  )  links  30,0  „ 

(rechts  32,0  „ 

li  ks  30  0 

Abstand    zwischen   der  Spina   iliaca  ant. )  rechts  51,0  „ 

sup.  und  dem  Capit.  fibalae:  /links  51,0  „ 

Abstand    zwischen   der  Spina   iliaca  ant. )  rechts  87,0  „ 

sup.  und  der  Spitze  des  äusserenMalleolus:  J  links  87,0  , 

Alle  Bewegungen  der  0  berschenkel  kraftlos  und  etwas  langsam, 
besonders  links.  Flexion  und  Extension  in  beiden  Hüftgelenken  möglich. 
Abdaktion  und  Adduktion  desgleichen ;  Abduktion  des  linken  Oberschenkels 
lässt  sich  verhältnismässig  gut  ausführen.  Rotation  nach  aussen  und  innen 
beiderseits  möglich. 

Extension  des  Kniegelenks  sowohl  rechts  als  links  unmöglich. 
Flexion  desselben  Gelenks  auf  beiden  Seiten  ausführbar,  rechts  i-echt  kräftig, 
links  mit  äusserst  geringer  Stärke. 

Der  rechte  Fuss  führt  unbehindert  die  Plantar-  und  Dorsalflexion, 
Tibial-  und  Fibularflexion  sowie  Rotation  mit  gleichzeitiger  Flantarflexion 
aus.  Plantar-  und  Dorsalflexion  der  Zehen  in  den  Metatarso-Phalangeal- 
gelenken  und  Flexion  der  Interphalangealgelenke  ausführbar.  Desgleichen 
Ab-  und  Adduktion  der  Zehen. 

Der  linke  Fass  wird  passiv  in  Halb-Plantarflexion  gehalten.  Er  kann 
eine  recht  kräftige  Plantarflexion,  aber  fast  keine  Dorsalflexion  ausführen. 
Tibialflexion  ganz  unbedeutend.  Fibularflexion  recht  gat.  Rotation  (bei  der 
halbplaotarflektierten  Lage  des  Fasses)  nach  aussen  möglich,  nach  innen 
ganz  unbedeuteud. 


und  sabacuta  s.  chronica.  293 

In  den  Metatarso-Phalangealgelenken  wird  Dorsalflexion  aosgeführt. 
Piantarflexion  in  diesen  Gelenken  geschieht  bei  gestreckten  Zehen  und  ist 
besonders  schwach;  gleichzeitig  mit  dieser  Bewegung  kann  keine  Flexion 
der  Interphaiangealgelenke  zustande  gebracht  werden.  Flexion  der  Inter- 
phalangealgetenke  ist  möglich,  wenn  die  Zehen  sich  in  Mittelstellung  be- 
finden und  noch  besser,  wenn  sie  dorsalflektiert  sind.  Abduktion  und 
Addoktion  der  Zehen  unbehindert. 

Reflexe  von  den  Bauchdecken  treten  nur  in  den  oberen,  aktiy 
t&tigen  Teilen  hervor,  und  zwar  deutlicher  auf  der  linken  Seite.  Gremaster- 
reflex  auf  beiden  Seiten  yorhanden. 

Die  Patellarreflexe  rechts  und  links  erloschen,  desgleichen  die 
Reflexe  der  Achillessehne.  Bei  Reizung  der  Haut  an  der  Fusssohle 
tritt  rasch  Plantarflexion  aller  Zehen  in  den  Metatarso-Phalangealgelenken 
an  beiden  Füssen  ein,  in  den  Interphalangealgelenken  nur  am  rechten  Fusse. 

Sehnen-  und  Periostreflexe  an  den  Armen  lebhaft. 

Die  Nervenstftmme  und  Mjskeln  zeigen  nirgends  Drnckempfindlichkeit ; 
keine  Muskelspannungen;  nirgends  fibrilläres  Muskelzittem.  Die  Pupillen 
Ton  gleicher  Grösse.     Pupillenreflexe  normal. 

Bei  Untersuchung  der  Sensibilität  erweisen  sich  Tast-  und  Schmerz- 
empfindung, E&lte-  und  W&rmesinn  yöllig  ungestört.  Bei  Prüfung  der 
faradocutanen  Sensibilit&t  mittelst  der  yon  Erb  für  diesen  Zweck 
konstruierten  Kabelelektroden  findet  man  eine  ganz  unbedeutende,  aber 
zweifellose  Herabsetzung  derselben  am  unteren  Teile  des  Rumpfes  und  an 
den  Beinen,  wobei  die  Herabsetzung  am  Rumpfe  rechts  grösser  ist  als  links 
und  am  linken  Beine  st&rker  als  am  rechten.  Das  Gefühl  für  passive  Be- 
wegungen ist  völlig  erhalten. 

Der  Gang  ist  beschwerlich,  etwas  paretisch,  hinkend,  so  dass  der 
£örper  sich  länger  auf  das  linke  Bein  stützte  als  auf  das  rechte.  Die  Ex- 
kursionen des  rechten  Beines  sind  freier,  die  Beweglichkeit  grösser  als  die 
des  linken.  Die  Zehen  schleppen  nicht  auf  der  Diele.  Auf  ebener  Erde 
behilft  sich  Patient  ohne  Stock,  beim  Treppensteigen  muss  er  eine  Stütze 
haben.  Keine  spastischen  Erscheinungen.  Keine  Ataxie.  Er  steht  sicher, 
aach  mit  geschlossenen  Augen. 

Elektrische  Untersuchung. 

Diese  Untersuchung  wurde  in  mehreren  Sitzungen  vorgenommen.  Als 
differente  Elektrode  wurde  die  von  Stintzing  angegebene  mit  einem  Flächen- 
inhalt von  8  qcm  benutzt,  die  indifferente  Elektrode  hatte  eine  Grösse  von 
50  qcm. 

Um  die  Erregbarkeit  zu  bestimmen,  wurde  der  kleinste  Wert  fest- 
gestellt, den  der  elektrische  Strom  haben  musste,  um  eine  minimale  Reaktion 
hervorzurufen.  Der  Charakter  der  Muskelkontraktionen  wurde  bei  etwas 
stärkeren  Strömen  studiert. 

Bei  der  Untersuchung  mit  dem  faradischen  Strome  wurde  der  Strom 
der  sekundären  Rolle  angewandt  und  der  Wert  in  Millimetern  Rollenabstand 
(mm  RA)  augegeben.  Der  galvanische  Strom  wurde  mit  einem  absoluten 
Galvanometer  gemessen  und  in  Milliampere  (MA)  ausgedrückt. 


294         Lövegren,  Zar  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 
Die   Bauch-   und   Rückenmuskeln. 


Stintzings 
Normal- 
elektrode 


Rechts 


farad. 


galyan. 


Links 


farad. 


galvan. 


M.  rectos  ab- 
dominis:  '  im 
Epigastrium 


in  der  Regio 
umbilicalis 
a.  dem  Hypo- 
gastrium 

Die  breiten 
Bauch- 
muskeln 


M.  erector 
trunci 


79  mm  RA 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 


keine  Reaktion 
bei    35  mm  RA 


70—65  mm   RA 


KaSZ  5,0  MA 
AnSZ  14,0  MA 
Kontraktionen 
etwas  langsam 

keine  KaSZ,   keine 

AnSZ  bei  stärksten 

Strömen 


KaSZ  12,0  MA 
AnSZ  9,0  MA 
Kontraktionen  lang- 
sam a.  langgezogen, 
nur  in  den  obersten, 

den  Rippenbögen 
anliegenden    Teilen 
hervortretend,  in  d. 
übrigen  Teilen    bei 
stärksten     Strömen 

keine  Zuckungen 

KaSZ  8,0  MA 
AnSZ  12,0  MA 
langsame    Kontrak- 
tionen 


79  mm  RA 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 


bei  40  mm  RA 
Kontraktionen  in 
den  obersten,  den 
Rippenbögen  an- 
liegenden Teilen, 
sonst  bei  35  mm 
RA  keine  Reakt. 


85—80  mm  RA 


KaSZ  7,0  MA, 

AnSZ  12,0MA, 

Kontrakti  onen  rasch 

und  kurz 

keine  KaSZ,   keine 

AnSZ  bei  stärksten 

Strömen 


KaSZ  4,0  MA, 

AnSZ  8,0  MA, 
Kontraktionen  rasch 
and  kurz,  nur  in  den 
obersten,  d.  Rippen- 
bögen   anliegenden 

Teilen  hervor- 
tretend, in  d.  übrigen 
Teilen  bei  stärksten 

Strömen  keine 
Zuckungen 

KaSZ  7,0  MA, 

AnSZ  7,0  MA, 
sehr  langsame,  lang- 
gezogene   Kontrak- 
tionen 


Untere  Extremitäten. 


Indirekt: 
N.  cruralis 


N.  ischiad. 

N.  tibialis 
N.  peroneus 


90  mm  RA 


80  mm  RA 
(direkte  Reizung 
d.   benachbarten 

Muskeln?) 

88  mm  RA 
92  mm  RA 


erste  KaSZ  3,5  bis 
4.0  MA 


keine  Reaktion  bei 
stärksten  Strömen 


erste  KaSZ  1,5  MA 
erste  KaSZ  1,0  MA 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 

67  mm  RA 
(direkte  Reizung 
d.  benachbarten 

Muskeln?) 

82  mm  RA 
93  mm  RA 


keine  Reaktion  bei 
6,0  MA 


keine  Reaktion  bei 
stärksten  Strömen 


erste  KaSZ  2,4  MA 
erste  KaSZ  1,25 MA 


Direkt: 

M.  yastus 

internus 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 


KaSZ  6,5  MA, 

AnSZ  9,0  MA, 

'       Kontraktionen 

langsam   und  etwas 

langgezogen 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 


KaSZ  8,0  MA, 

AnSZ  6,0  MA, 

Kontraktionen 

typisch  träge 


und  subacuta  s.  chronica. 


295 


Stintzings 
Normal- 
elektrode 


Links 


farad. 


gaivan. 


M.  rectus 
femoris 


M.  Yastos 
externus 


M.  sartorins 


M.  tensor 
laaciae  latae 


M.  addnctor 
magnus 


JA.  addactor 
loBgus 


M*  gintaeus 
maximus 


M.  biceps 
femoris 


Mm.  semi- 
tendinoBQS  et 

semi- 
membranosus 


M.  tibialis 
anticus 


55  mm  KA 


50  mm  KA 

(Kontraktion 

langsam) 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 


76  mm  RA 


70  mm  RA 

(Kontraktion 

etwas  langsam) 


65  mm  RA 

(Kontraktion 

langsam) 

94  mm  RA 


76  mm  RA 


82  mm  RA 


82  mm  RA 


KaSZ  8,5  MA, 
AnSZ12,0MA, 
Kontraktionen  lang- 
sam,    etwas     lang- 
gezogen 

KaSZ  7,0  MA, 
AnSZl0,0MA, 
Kontraktionen  lang- 
sam,    etwas     lang- 
gezogen 

KaSZ  3,7  MA, 

AnSZl2,0MA, 

Kontraktionen 

schwach,  langsam 

und  langgezogen 

KaSZ  4,0  MA, 

AnSZ  8,0  MA, 

Kontraktionen    fast 

normal    rasch    and 

kurz 

KaSZ  7,5  MA, 

AnSZ  8,0  MA, 

Kontraktionen 

langsam 

keine  KaSZ,    keine 
AnSZ   bei   8,0  MA 


KaSZ  8,0  MA, 

AnSZ  8,0  MA, 

Kontraktionen  kurz 

KaSZ  10,0  MA, 
AnSZ  12,0  MA, 
Kontraktionen  lang- 
sam and  etwas  lang- 
gezogen 

KaSZ  4,5  MA, 

AnSZ  8,5  MA, 

Kontraktionen    fast 

normal    rasch    und 

kurz 

KaSZ  5,0  MA, 

AnSZ  6,0  MA, 

Kontraktionen  rasch 

und  kurz 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 


keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 


54  mm  RA 

(Kontraktionen 

äusserst 

langsam) 

58  mm  RA 

(Kontraktion 

langsam) 

65  mm  RA 


74  mm  RA 


77  mm  RA 


70  mm  RA 


KaSZ  7,0  MA, 
AnSZ  12,0  MA, 
Kontraktionen  deut- 
lich träge 


KaSZ  8,0  MA, 

AnSZ  12,0  MA, 

Kontraktionen  träge 


keine  KaSZ  bei 
12,0  MA,  AnSZ 
9,0   MA.     Kontrak- 
tionen äusserst 
schwach,  träge 

keine  KaSZ,   keine 
AnSZ  bei  10,0  MA 


keine  KaSZ,    keine 

AnSZ  bei  stärksten 

Strömen 


keine  KaSZ,   keine 
AnSZ   bei   8,0  MA 


KaSZ  8,0  MA, 

AnSZ  8,0  MA, 

Kontraktionen  kurz 

keine  KaSZ,    keine 
AnSZ   bei    8,0  MA 

(bei  stärkeren 
Strömen  Schmerzen) 


keine  KaSZ,    keine 
AnSZ    bei   8,0  MA 


KaSZ  7,0  MA, 
AnSZ  7,0  MA, 
Kontraktionen 
langsam    und  lang- 
gezogen 


296         Löyegren,  Zar  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 


Stintzings 
Normal- 
elektrode 


M.  extensor 

digit   comm. 

longas 


M.  peroneus 
loogns 


M.  extensor 
hallaeis 
longas 


M.  gastro- 
cnemias 
extemus 


M.  gastro- 
cnemias 
internus 


M.  soleus 


}L  flexor 
hallucis 
longas 


M.  flexor 

digit.    comm. 

longus 


lim.  int  er- 
ossei dorsales 


Mm.abductor 
digit.  minim. 

M.  extensor 

digit.    comm. 

brevis 


85  mm  RA 


87  mm  KA 


95  mm  RA 


86  mm  RA 


85  mm  RA 


91  mm  RA 


87  mm  RA 


86  mm  RA 


90  mm  RA 


80  mm  RA 


86  mm  RA 


KaSZ  8,0  MA, 
AnSZ  6,0  MA, 

Kontraktionen  rasch 
and  kurz 

KaSZ  8,0  MA, 

AnSZ  5,0  MA, 

Kontraktionen  rasch 

and  karz 

KaSZ  4,5  MA,  > 
AnSZ  8,0  MA, 
Kontraktionen  rasch 
und  kurz 

KaSZ  4,0  MA, 

AnSZ  4,0  MA, 

Kontraktionen  rasch 

and  kurz 

KaSZ  2,5  MA, 

AnSZ  5,0  MA, 

Kontraktionen  rasch 

und  karz 


KaSZ  8,0  MA, 

AnSZ  4,5  MA, 

Kontraktionen  rasch 

und  kurz 

KaSZ  2,0  MA, 

AnSZ  4,0  MA, 

Kontraktionen  rasch 

und  karz 

KaSZ  4,0  MA, 

AnSZ  6,0  MA, 

Kontraktionen  rasch 

und  kurz 

KaSZ   1,0  MA, 

AnSZ    i,7  MA, 

Kontraktionen  rasch 

and  karz 

nicht  hervortretend 


KaSZ  2,0  MA, 

AnSZ  2,0  MA, 

Kontraktionen  rasch 

nnd  kurz 


78  mm  RA 


78  mm  RA 


87  mm  RA   - 


86  mm  RA 


72  mm  RA 


91  mm  RA 


77  mm  RA 


86  mm  RA 


90  mm  RA 


80  mm  RA 


90  mm  RA 


KaSZ  8,0  MA, 

AnSZ  5,0  MA, 

Kontraktionen  nicht 

ganz  rasch  und  kon 

KaSZ  4,0  MA, 
AnSZ  9,0  MA, 

Kontraktionen  nicht 
ganz  rasch  und  kan 

KaSZ  4,0  MA, 

AnSZ  5,0  MA, 

Kontraktionen  rasch 

and  karz 

KaSZ  5,0  MA, 

AnSZ  9,0  MA, 

Kontraktionen  nicht 

ganz  rasch  und  kars 

KaSZ  4,0  MA, 

AnSZ  4,3  MA, 

Kontraktionen 

etwas  langsam  and 

langgezogen 

KaSZ  6,0  MA, 

AnSZ  9,0  MA, 

Kontraktionen  nicht 

ganz  rasch  und  kan: 

KaSZ  5,0  MA, 

AnSZ  8,0  MA, 

Kontraktionen  nicht 

ganz  rasch  und  kars 

KaSZ  5,0  MA, 
AnSZ  6,0  MA, 
Kontraktionen 
etwas  langsam 

KaSZ  3,6  MA, 

AnSZ  8,0  MA, 

Kontraktionen  nicht 

ganz  rasch  and  kari 

nicht  hervortretend 


KaSZ  2,5  MA, 
AnSZ  4,5  MA, 
Kontraktionen 
etwas  langsam 


und  sabacata  s.  chronica.  297 

Fat.  lag  im  Krankenhanse  bis  zam  26.  Januar  1902.  Br  wurde  mit 
Massage,  Salzb&dem  und  Elektrizität  behandelt  und  erhielt  eine  Zeitlang 
innerlich  Eisen  und  Jodkalium. 

Sein  Allgemeinbefinden  war  die  ganze  Zeit  über  das  beste.  Der  Gang 
wurde  allmählich  weniger  beschwerlieh  and  weniger  paretiseh. 

Der  Zustand  des  Rumpfes  und  der  unteren  Extremitäten  verblieb 
wesentlich  unverändert,  doch  war  die  Haut  der  unteren  Extremitäten  nicht 
mehr  so  k&hl  und  zyanotisch  wie  vorher,  und  bei  wiederholten  Untersnchungen 
Uess  sich  weder  an  den  Beinen  noch  sonstwo  eine  Herabsetzung  der  farado- 
entanen  Sensibilität  nachweisen. 

Als  Fat.  im  Sommer  1902  eine  Zeitlang  (2^.  VI.  bis  15.  VII.)  im 
Krankenhause  war,  wurde  konstatiert,  dass  der  Zustand  keine  Veränderung 
erlitten  hatte. 

Vom  1.  V.  bis  19.  VI.  1903  war  Fat.  wieder  in  der  Klinik,  und  jetzt 
fand  man  bei  der  üntersuchnng  folgendes: 

Die  Skoliose  hat  etwas  zugenommen,  auch  der  oberste  Dorsalteil  ist 
in  dieselbe  hineingezogen. 

Umfang  des  Schenkels  15  cm  oberhalb  der  Basis  patellae 
rechts      31,0  cm 
links       30,0    „ 
Umfang  des  Schenkels  10  cm  oberhalb  der  Basis  patellae 
rechts      29,5  cm 
links       28,5    „ 
Grösster  Umfang  des  Unterschenkels 

rechts     81,0  cm 
links        28,0    » 
Abstand  zwischen  der  Spina  iliaca  ant.  snp.  und  der  Spitze  des  äusseren 

Malleolus 

rechts      87,0  cm 

links       87,0    ,  . 

Bewegungen  im  Hftftgelenk:  Rechts  Flexion  und  Extension  recht 
gut;  links  Flexion  ganz  minimal^  Extension  schwach. 

Bewegungen  im  Kniegelenk:  Rechts  Flexion  kräftig,  eine  schwache 
Extension  möglich;  links  sowohl  Flexion  als  Extension  äusserst  schwach. 

Die  Bewegungen  des  rechten  Fusses  frei  und  kräftig. 

LinkerFuss:  Flantarflexion  recht  kräftig,  Dorsalflexion  sehr  schwach. 
Fibularflexion  recht  gut,  Tibialüexien  höchst  unbedeutend. 

Alle  passiven  Bewegungen  der  unteren  Extremitäten  frei;  nirgends 
Kontrakturen.     Keine  fibrillären  Zuckungen. 

Bauchdecken refl exe  nicht  nachweisbar.  Der  Gremasterreflex  tritt 
unbedeutend  hervor.  Die  Fatellarreflexe  erloschen.  Sehnen-  und  Feriost- 
reflexe  an  den  Armen  deutlich,  schwach. 

Die  Sensibilität  in  jeglicher  Hinsicht  ungestört.  Der  Gang  wie  früher. 
Fat.  selbst  meint,  jetzt  etwas  besser  zu  gehen  als  vor  einem  Jahre. 

Im  übrigen  derselbe  Befund  wie  im  Sommer  1902.  —  Das  Allgemein- 
befinden ist  fortdauernd  vortrefflich  gewesen. 

Der  wesentliche  Inhalt  dieser  Krankengeschichte  ist  folgender: 
Ein  vorher  völlig  gesunder  14  jähriger  Knabe    erkrankt  ohne  be- 


298         Löyegren,  Zar  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

kannte  Veranlassung  plötzlich  mit  schweren  Ereuzschmerzen, 
Fiebersymptomen  und  leichten  Kopfschmerzen.  Am  dritten  Tage 
der  Erkrankung  tritt  völlige  Lähmung  beider  Beine  ein,  deren 
Muskulatur  binnen  kurzem  sichtlich  atrophisch  wird. 

Im  Beginn  der  dritten  Erankenwoche  wird  eine  starke  seit- 
liche Krümmung  der  Wirbelsäule  bemerkt,  die  entstanden  war, 
während  der  Kranke  ununterbrochen  zu  Bette  gelegen  hatte.  Die 
Schmerzen  im  Kreuz  hielten  einige  Tage  an,  verminderten  sich 
hierauf  bedeutend  und  hörten  nach  etwa  zwei  Wochen  ganz  auf. 
In  den  ersten  Tagen  hatte  Fat.  auch  leichte  Schmerzen  in  den 
Beinen;  dieselben  verschwanden  bald  und  kehrten  später  nicht 
mehr  wieder.  Einen  Monat  nach  der  Erkrankung  wird  eine 
allmählich  fortschreitende  Besserung  der  Beinlähmung  bemerkt, 
aber  ein  grosser  Teil  der  Muskeln  bleibt  mehr  weniger  gelähmt 
und  die  Atrophie  besteht  fort.  Der  Zustand  verbleibt  hierauf 
im  wesentlichen  stationär. 

Bei  der  Aufnahme  zeigt  Fat.  eine  hochgradige  Skoliose  und 
mehr  weniger  ausgeprägte  Lähmung  und  Atrophie  der  Bauch- 
und  Rückenmuskeln  und  der  Muskeln  der  unteren  Extremitäten. 
Besonders  stark  hat  an  den  unteren  Extremitäten  die  Muskulatur 
der  Oberschenkel  gelitten.  Die  Lähmung  ist  schlaff;  keine  fibrillären 
Zuckungen. 

Bei  der  elektrischen  Untersuchung  zeigen  die  Bauch- 
muskeln zum  giössten  Teile  eine  völlig  erloschene  Erregbarkeit 
—  In  den  Fartien,  wo  sich  Kontraktionen  auslösen  lassen,  ist  die 
Erregbarkeit  in  hohem  Grade  herabgesetzt  —  für  den  faradischen 
Strom  teilweise  aufgehoben  —  und  rechts  die  Zuckungen  für  den 
galvanischen  Strom  langsam  und  langgezogen  (EaR). 

Die  gelähmten  Rückenmuskeln  zeigen  gleichfalls  eine  herab- 
gesetzte Erregbarkeit  für  beide  Stromarten  und  langsame  Kon- 
traktionen bei  galvanischer  Reizung  (EaR). 

An  den  unteren  Extremitäten  ist  der  N.  cruralis  links  völlig 
unerregbar,  rechts  ist  die  Erregbarkeit  bedeutend  herabgesetzt. 
Der  N.  tibialis  und  N.  peroneus  beiderseits  etwa  normal  erregbar. 

Die  Muskeln  der  Oberschenkel  —  besonders  links  —  sind 
für  direkte  faradische  Reizung  teils  völlig  unerregbar,  teils  ist 
ihre  Erregbarkeit  stark  herabgesetzt.  Bei  direkter  galvanischer 
Reizung  auch  hochgradige  quantitative  Herabsetzung;  die  Zuckungen 
mehr  weniger  ausgeprägt  träge  (EaR).  Auch  beim  faradischen 
Strom  tritt  in  dem  einen  oder  anderen  Muskel  eine  deutlich 
langsame  Kontraktion  hervor  (faradische  EaR). 


and  subacuta  b.  chronica.  299 

Bei  direkter  Reizung  der  Muskeln  der  Unterschenkel  findet 
man,  speziell  am  linken  Beine,  eine  quantitative  Abnahme  der 
Erregbarkeit  sowohl  für  den  faradischen  als  den  galvanischen 
Strom.  Rechts  sind  die  Zuckungen  ganz  normal,  links  hingegen 
etwas  langsam  und  langgezogen,  was  besonders  in  den  Mm. 
tibialis  ant.  und  flexor  dig.  comm.  long,  hervortritt  (EaR). 

Die  Sensibilität  ist  ungestört;  eine  Herabsetzung  der  farado- 
<^utanen  Sensibilität,  welche  in  der  ersten  Zeit  des  klinischen 
Aufenthaltes  bestand,  verschwand  später  ganz  und  gar. 

Die  Hautreflexe  von  selten  der  Bauchdecken  und  Fasssohlen 
treten  hervor.  Der  Cremasterreflex  ist  nachweisbar.  Die  Patellar- 
reflexe  sind  erloschen. 

Beobaehtung  IL 

Augusta  S.,  19  jährige  Kätnerstochter  aus  SDappertaoa. 
Aufnahme  in  Prof.  Ho  mens  Nervenabteilang  am  15.  März  1901. 

Anamnese: 

Die  Bitern  der  Patientin  leben.  Die  Matter  ist  gesund.  Der  Vater 
leidet  an  allgemeiner  Schwäche  und  rheumatoiden  Schmerzen.  Eine  ältere 
und  eine  jüngere  Schwester  der  Pat.  sind  beide  gesund.  In  der  Verwandtschaft 
£nden  sich  keine  Fälle  von  Geisteskrankheit,  Epilepsie  oder  Tuberkalose. 
-Fat.  Entwicklung  im  Kindesalter  war  normal.  Mit  12  Jahren  machte  sie  di« 
Masern  durch,  nach  denen  sie  yollständig  genas.  Im  übrigen  hat  sie  sich 
bis  zum  Eintritt  ihres  gegenwärtigen  Leidens  einer  ungestörten  Gesundheit 
erfreut. 

Am  7.  Oktober  1900  hatte  Pat.  eine  Fahrt  von  etwa  6  km  zum  be- 
nachbarten Gehöft  unternommen.  Bei  der  Rückfahrt  am  folgenden  Morgen 
hatte  ein  etwas  kalter  Wind  geweht.  Noch  am  selben  Morgen,  den  8.  Oktober, 
um  9  Uhr,  erkrankte  sie  mit  heftigen  Frostschauern,  Kopfschmerzen,  sowie 
Schmerzen  im  Rücken,  in  den  Schultern,  Armen  and  Beinen.  Sie  hatte  etwas 
Schnupfen,  aber  weder  Husten  noch  Halsschmerzen.  Etwa  um  2  Uhr  be- 
merkte Pat.,  dass  die  Finger  der  linken  Hand  steif,  kalt  und  unbeweglich 
waren.  Im  Laufe  des  Nachmittags  erstreckte  sich  die  Lähmung  stetig  auf- 
wärts, so  dass  um  9  Uhr  abends  der  ganze  linke  Arm  völlig  gelähmt  war. 
Die  Schmerzen  in  den  Armen  hörten  schon  am  Vormittage  auf,  und  nachher 
hatte  Pat.  keinerlei  schmerzhafte  Empfindungen  im  linken  Arme.  Die 
-Schmerzen  im  Kopfe,  in  den  Schultern  und  Knien  hingegen  hielten  etwa 
2  Wochen  lang  an.  Die  Frostschauer  kehrten  einige  Tage  wieder,  worauf 
Pat.  noch  etwa  eine  Woche  lang  Fiebersymptome  hatte.  Zwei  oder  drei  Tage 
nach  der  Erkrankung  trat  eine  so  hochgradige  Schwäche  des  rechten  Beines 
auf,  dass  Pat.  nicht  gehen  konnte.  Sie  hatte  weder  Kälte  noch  Steifheit  im 
Beine  empfunden  und  Schmerzen  nur  im  Knie,  nicht  in  den  übrigen  Teilen 
des  Beines  gefühlt.  In  den  ersten  Tagen  nach  der  Erkrankung  erschien  auch 
^er  rechte  Arm  etwas  schwach,  dech  konnte  Pat.  unbehindert  alle  Bewegungen 
mit  demselben  ausführen.  Sie  soll  anfangs  auch  leichte  Atembeschwerden 
gehabt  haben. 


300         Lövegren,  Zar  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

Fat.  kam  zwei  Wochen  nach  Eintritt  der  Krankheit  in  ärztliche  Be- 
handlang (Dr.  Salt  in),  und  damals  wurde  die  Sensibilit&t  überall  vollkommen 
normal  gefunden;  der  Patellarreflex  war  rechts  erloschen,  links  gesteigert. 
Fat.  erhielt  8  Wochen  lang  Natrium  salicjlicum  8,0  pro  die.  Hierauf  folgte 
eine  Schmierknr  (32  Einreibungen  mit  Ungt.  einer.  4,0)  und  Jodkalium 
innerlich. 

Durch  diese  Behandlung  wurde  Fat*  ihrer  eigenen  und  der  Ansicht 
des  behandelnden  Arztes  nach  nicht  gebessert. 

Sie  lag  sieben  Wochen  lang  zu  Bett  und  konnte  sich  in  dieser  Zeit 
nicht  einmal  im  Bette  aufsetzen,  zum  Teil  wegen  eines  Gefühls  von  Schwere 
in  den  Schultern,  zum  Teil  weil  sie  bei  jedem  derartigen  Versudhe 
Schmerzen  in  der  linken  Schulter  und  der  linken  H&lfte  der  Brust  empfand. 

Allmfthlich  besserte  sich  der  Zustand.  Die  Kraft  im  rechten  Beine 
nahm  zu,  so  dass  Fat.  sich  mit  einer  Stütze  bewegen  konnte,  und  schon  um 
die  Weihnachtszeit  ging  sie  auch  ohne  Stütze.  Kachher  hat  Fat.  ohne 
sonderliche  Schwierigkeit,  selbst  mehrere  Stunden  hintereinander,  gehen 
können.  Der  Zustand  des  linken  Armes  hingegen  ist  unverändert  geblieben, 
er  verblieb  völlig  gelähmt. 

Während  des  ganzen  Verlaufes  der  Krankheit  bestanden  weder 
Sprachstörungen  noch  Schlingbeschwerden.  Das  Bewusstsein  war  stets  klar. 
Die  Funktion  der  Blase  war  nie  gestört. 

Vor  der  Erkrankung  war  Fat.  keinem  Trauma  ausgesetzt  gewesen, 
auch  hatte  sie  keine  Verletzung  oder  Eiterungen  gehabt«  In  der  Umgegend 
war  kein  ähnlicher  Krankheitsfall  vorgekommen.  Keine  Spur  von  Lues 
konstatierbar. 

Status  praesens: 

Fat.  ist  von  mittlerem  Körperbau  und  etwas  ma^er.  Die  Haut  zeigt 
überall  eine  gewöhnliche  Beschaffenheit,  die  Temperatur  ist  nicht  gesteigert. 

Die  Untersuchung  der  Lungen,  des  Herzens  und  der  Bauchorgane 
ergibt  normale  Verhältnisse. 

Der  Harn  ei  weiss-  und  zackerfrei. 

Die  psychischen  Funktionen  klar.  Fat.  ist  von  gleichmässiger  and 
guter  Laune. 

Die  Cerebralnerven  funktionieren  ungestört. 

Die  linke  Schulter  ist  herabgesunken,  und  der  linke  Arm  hangt 
schlaff  nieder.  Die  linke  Scapula  ist  ans  ihrer  normalen  Lage  um  eine 
vertikale  Achse  gedreht,  so  die  Basis  heraussteht  und  ein  ffügelartiges 
Relief  bildet  Der  Abstand  zwischen  der  Basis  scapulae  und  der  nicht- 
deformierten  Wiibelsäule  beträgt  an  der  Spina  scapulae: 

links      9,2  cm 
rechts    8,8    „ 
am  Angultts  scapulae 

links       9,0  cm 
rechts    8,8    « 

Die  Fossa  infraclavicularis  links  weniger  gefüllt  als  auf  der  rechten 
Seite.  Das  Relief  des  linken  Deltoideus  völlig  aufgehoben.  Unter  dem 
Acromion  sieht  man  hinten  eine  tiefe  Einsenknng.  Der  M.  trapezius  sin., 
besonders  in  seiner  oberen  Hälfte*  atrophisch.  Die  Fossae  supra-  et  infraspin» 
links  etwas  eingesunken.   —  Der  linke  Oberarm    von  einer    gleichmässig- 


uod  subacuta  s.  chronica.  301 

zylindrischen  Form;  keine  Muskelreliefs  zu  sehen.  Die  Maskalatur  des 
linken  Unterarmes  hochgradig  atrophisch.  Die  Sehne  des  M.  flexor. 
€arpi  ulnar,  bildet  ein  kleines  Relief,  sonst  treten  weder  Muskel-  noch 
Sehnenreliefs  hervor.  —  An  der  linken  Hand  sind  der  Thenar  und 
Hjpothenar  ganz  und  gar  abgeplattet.  Der  A.dductor  pollicis  ist  stark 
«trophisch.  Eine  stärkere  Ein  Senkung  der  Spatia  interossea  ist  nicht  zu 
▼erspören.  Die  Muskulatur  des  linken  Armes  fühlt  sich  überall  schlaff  an. 
Die  Haut  ist  stellenweise  leicht  cjanotisch,  marmoriert  und  von  etwas  herab- 
esetzter Temperatur. 

Alle  aktiven  Bewegungen  in  der  linken  Schulter  und  dem  linken 
Arm  Yöllig  aufgehoben«    Die  passiven  Bewegungen  sind  frei. 

Aussehen  und  Funktionen  des  rechten  Armes  normal. 

An  der  Bauch muskulatur  keinerlei  Veränderungen.  Desgleichen  sind 
die  Rnckenmuskeln,  mit  Ausnahme  des  M.  trapezius  sin.,  unverändert. 

Das  rechte  Bein  zeigt  keine  sichtbare  Muskelatrophie.  Alle  aktiven 
Bewegungen  ausführbar,  aber  mit  geringerer  Kraft  als  im  linken  Beine, 
welches  ungestört  funktioniert. 

Fat.  geht  ohne  Stütze  recht  gut^  gleichwohl  verrät  sich  die  Parese 
des  rechten  Beines  durch  ein  leichtes  Kachschleppen  des  rechten  Fusses. 

Die  Sensibilität  ist  überall  in  jeglicher  Hinsicht  erhalten.  Nirgends 
Druckempfindlichkeit  der  Nervenstämme  und  Muskeln.  Keine  Hbrillären 
Musketzuckungen. 

Die  Pupillen  von  gewöhnlicher  Weite  reagieren  gut  auf  Licht.  Die 
Sehnen-  und  Periostreflexe  am  rechten  Arme  schwach  hervortretend,  am 
linken  Anne  erloschen.  Der  Patellarreflex  links  stark  gesteigert, 
rechts  gewöhnlich. 

Elektrische  Untersuchung  (Anfang  Juni  1901).  Die  Muskeln 
der  linken  oberen  Extremität  sind  direkt  und  indirekt  sowohl  für 
den  faradischen  als  für  den  galvanischen  Strom  völlig  unerregbar 
(vollständige  EaR).  Die  Muskeln  des  rechten  Unterschenkels  zeigen 
für  den  faradischen  Strom  bei  direkter  Reizung  eine  leichte  Herabsetzung 
der  Erregbarkeit.  Die  Ertegbarkeit  für  den  galvanischen  Strom  ist  sowohl 
bei  direkter  als  bei  indirekter  Reizung  bedeutend  herabgesetzt;  die 
Zuckungen  überhaupt  ungefähr  normal  kurz,  in  einzelnen  Muskeln  etwas 
langsam. 

Die  Patientin  wurde  mit  Faradisation  und  Massage  behandelt  und  be- 
kam dreimal  wöchentlich  ein  Salzbad.  Zugleich  erhielt  sie  täglich  eine 
Strychnininjektion,  die  allmählich  von  0.001  auf  0,004  gesteigerc  wurde. 
Kräftige  Diät. 

Pat.  blieb  bis  zum  18.  Juni  1901  in  klinischer  Beobachtung.  Der 
Ernährungsznstand  wurde  allmählich  erhöht.  Die  Parese  des  rechten  Beines 
besserte  sich  etwas;  der  Zustand  der  linken  oberen  Extremität  blieb  voll- 
ständig unverändert. 

Brieflicher  Mitteilung  nach  vom  August  1904  ist  der  Znstand  des 
linken  Armes  ganz  derselbe  wie  im  Jahre  1901 ;  die  Beweglichkeit  des  rechten 
Beines  ist  etwas  gebessert. 

BMbaehtung  UI. 

Kustaa,    K.,    16   Jahre    alt,   Käthnerssohn    aus    Kuru.      Aufnahme   in  Prof. 
Ho  mens  Abteilung  für  Nervenkranke  am  6.  XT.  1903. 


302  Lövegren,  Zur  Kenntois  der  Poliomjelitis  anterior  acuta 

Anamoese. 

Eltern  and  Geschwister  des  Patienten  sind  gesund.  Die  Grossmntter 
ist  seit  ibrem  40.  Jahre  zeitweise  geisteskrank  gewesen.  Sonst  weder  Nerven- 
noch  Geisteskrankheiten  in  der  Verwandtschaft.  Patient  selbst  hat  sich  bis 
zum  Sp&tsommer  1903  ungestörter  Gesundheit  erfreat. 

Eines  Abends,  Mitte  August  des  erw&hnten  Jahres,  erkrankte  Pat. 
plötzlich  mit  Frostschauern  und  Kopfschmerzen.  Nachdem  er  die  Nacht 
recht  ruhig  geschlafen  hatte,  erwachte  er  am  folgenden  Morgen  mit  massigen 
Schmerzen  im  Rumpf  und  in  den  Beinen.  Die  Schmerzen  nahmen  in  deo 
n&chsten  beiden  Tagen  zu  und  hielten  dann  etwa  eine  Woche  an,  worauf  sie 
sich  allmählich  yerminderten,  um  zwei  Wochen  nach  der  Erkrankung  TÖllig 
aufzuhören.  Nur  beim  Versuch  zu  sitzen  fühlte  Pat.  noch  anderthalb  Wochen 
später  Schmerzen  im  Kreuz  und  im  Gesäss.  Etwa  zwei  Wochen  nach  der 
Erkrankung,  als  die  spontanen  Schmerzen  schon  aufgehört  hatten,  trat  eine 
rasch  zunehmende  Schwäche  des  linken  Beines  auf,  welches  nach  Verlauf 
von  drei  Tagen  fast  vollständig  gelähmt  war;  nur  eine  schwache  Beugung 
der  Zehen  erwies  sich  noch  als  möglich.  Etwa  zwei  Wochen  nachdem  die 
Lähmung  des  linken  Beines  ihren  Anfang  genommen  hatte,  wurde  eine 
Lähmung  der  Streckmuskeln  des  rechten  Oberschenkels  bemerkt,  welche  bis 
dahin  ungestört  funktioniert  haben  sollten.  Gleichzeitig  mit  der  Lähmung 
trat  rasch  eine  beträchtliche  Abmagerung  des  linken  Beines  ein.  Am  rechten 
Beine  wurde  nie  Abmagerung  bemerkt. 

Sobald  die  Schmerzen  aufgehört  hatten,  begann  man,  ohne  ärztlichen 
iiat  einzuholen,  den  Kranken  zu  massieren.  Zwei  Monate  nach  der  Er- 
krankung trat  eine  Besserung  der  Lähmung  des  rechten  Beines  ein,  welches 
einige  Wochen  darauf  seine  Kraft  zurückerhielt;  gleichzeitig  wurde  auch 
am  linken  Bein  eine  kleine  Besserung  beobachtet,  es  konnten  schwache 
aktive  Bewegungen  im  Hüft-  und  Kniegelenke  ausgeführt  werden ;  im  übrigen 
verblieb  die  Lähmung  des  linken  Beines  unverändert.  Pat.  hat  sich  seitdem 
auf  das  rechte  Bein  stützen  und  mit  Hilfe  zweier  Krücken  bewegen  können. 

Im  Verlauf  der  Krankheit  war  das  Bewusstsein  nie  getrübt;  es  kamen 
keine  Sprach-,  Gesichts-  und  Gehörsstöinngen  oder  Schlingbeschwerden  vor. 
Nachdem  die  Schmerzen  verschwunden  waren,  kehrten  sie  nicht  mehr  wieder» 
Das  Gefühl  in  den  Beinen  soll  ungestört  gewesen  sein;  ungewöhnliche 
Empfindungen  hat  Pat.  in  ihnen  nicht  gehabt.  Muskelzittern  ist  nicht 
bemerkt  worden.  Solange  die  Schmerzen  bestanden,  fand  sich  an  den  Beinen 
eine  gewisse  Druckempfindlichkeit.  Defäkation  und  Funktion  der  Blase 
waren  ungestört 

In  der  ?eit  vor  und  während  der  Erkrankung  hat  Pat.  keinen  kranken 
Hals  gehabt,  keinen  Ausschlag  und  keine  Verletzungen  oder  Eiterungen. 
Trauma  und  Erkältung  waren  der  Erkrankung  nicht  vorausgegangen.  Es 
findet  sich  nichts,  was  auf  die  Möglichkeit  von  Lues  oder  Alkoholmissbrauch 
hindeuten  könnte.  Im  Juni  war  in  der  Nachbarschaft  eine  ganze  Familie 
an  einer  akuten  Ausschlagskrankheit  (Scarlatina?)  schwer  erkrankt.  Ende 
Juni  hatte  Pat.  diese  Familie  besucht. 

Status  im  Januar  1904. 
Pat.  ist  gut  entwickelt    und  gut   genährt.    Von  Seiten  der  Brust-  und 
Bauchorgane    keine    nachweisbaren    Veränderungen.     Harn    frei    von    Zucker 


and  sabacata  8.  chronica.  803* 

und   Eiweiss.  —  Psyche  klar.    Die  Cerebralnerven    funktionieren   nngestört. 
Pupillen  von  gleicher  Ghrösse,  reagieren  normal. 

Die  Arme  frei  and  kräftig  beweglich.  Die  Baachmuskeln  werden 
normal  kontrahiert.  Pat.  kann  sich  aas  der  Rückenlage  ohne  Hilfe  der 
Arme  aufsetzen.  Die  Wirbels&ale  zeigt  eine  leichte  Skoliose  mit  der 
KonTCzit&t  im  Lumbal-  and  unteren  Dorsal  teile  nach  rechts,  im  obereU' 
Dorsal  teile  nach  links.  Der  Rücken  wird  kräftig  gestreckt.  Keine  Atrophie 
der  Rucken  muskeln. 

An  der  rechten  unteren  Extremität  ist  keine  Muskelatrophie  zu  be- 
merken; alle  Bewegungen«  sind  frei  und  kräftig. 

Die  Muskulatur  der  linken  unteren  Extremität  sowohl  in  der 
Glntaealregion  als  am  Ober-  und  Unterschenkel  atrophisch.  Die  Haut  leicht 
fleckig  cjanotisch  und  bedeutend  kühler  als  am  rechten  Beine.  Die  passiven 
Bewegungen  sind  frei  bis  auf  die  Dorsalflexion  des  Fusses,  welche  einem 
gewissen  Widerstände  begegnet  (beginnende  Kontraktur  der  Flexorengruppe 
des  Unterschenkels). 

Umfang  des  Oberschenkels  15  cm  oberhalb  der  Basis  patellae: 
rechts  39,5  cm, 
links     34,5  cm. 

Umfang  des  Oberschenkels  10  cm  oberhalb  der  Basis  patellae: 
rechts  36,0  cm, 
links    81,0  cm. 

Grösster  Umfang  des  Unterschenkels: 

rechts  29,0  cm, 
links     26,5  cm. 

Abstand  zwischen  der  Spina  iliaca  ant.  sup.  und  der  Spitze  dea 
äusseren  Malleolus: 

rechts  87,0  cm, 
links     87,0  cm. 

Aktive  Bewegungen  im  Hüftgelenk:  Flexion  schwach.  Extension 
anmöglich.  Weder  Abduktion  noch  Adduktion.  Rotation  nach  aussen  schwach: 
Rotation  nach  innen  unausführbar. 

Im  Kniegelenk:  Flexion  äusserst  schwach;  Extension  ein  klein 
wenig  kräftiger. 

Alle  Bewegungen  des  Fusses  aufgehoben  ausser  einer  geringen 
Plantarflexion  der  Zehen. 

Reflexe  von  Seiten  der  Banchdecken  deutlich  vorhanden.  Der 
Cremasterreflex  rechts  sehr  deutlich,  links  tritt  er  nicht  hervor.  Patellar- 
reflex  auf  der  rechten  Seite  schwach,  auf  der  linken  Seite  erloschen.  Reflex 
der  Achillessehne  fehlt  auf  beiden  Seiten.  Plantarreflex:  links  nicht  hervor- 
tretend; rechts  Dorsalflexion   sämtlicher  Zehen  (Babinskisches  Phänomen)» 

Nirgends  Drackempfindlichkeit  der  Nervenstämme  und  Muskeln. 
Nirgends  flbrilläre  Zuckungen. 

Die  Sensibilitäc  für  sämtliche  Qualitäten  intakt.  Auch  die  farado- 
eutane  Sensibilität  überall  erhalten. 

Pat.  stützt  sich  auf  das  rechte  Bein  und  bewegt  sich  mit  Hilfe  zweier 
Krücken. 

Die  elektrische  Untersuchung  wird  dadurch  erschwert,  dass  Pat.. 
schon    bei    massig  starkem   galvanischen    Strom  Schmerzen    empfindet.    Die 


304         LövegroD,  Zur  KenotDU  der  PoliomjeUtis  anterior  ucnta 

Maskeln  des  rechten  Beines  reagieren  auf  den  galvanischen  wie  faradischen 
Strom  sowohl  qualitativ  als  quantitativ  normal.  Am  linken  Beine  ist  die 
Erregbarkeit  für  den  faradischen  Strom  in  einigen  Muskeln  herabgesetzt,  in 
den  meisten  YÖllig  erloschen.  Bei  galvanischer  Reizung  erhält  man  mit  der 
grössten  Stromstärke,  die  zur  Anwendung  kommen  kann,  meistens  keine 
Reaktion;  in  den  Muskeln,  wo  Kontraktionen  hervortreten,  sind  dieselben 
deutlich  träge  und  An  SZ  =  oder>KaSZ  (£a  R). 

Fat.  befand  sich  2'/s  Monate  unter  Beobachtung  und  wurde  mit 
Massage,  Elektrizität  and  Toniois  behandelt.    Der  Zustand  blieb  unverändert. 

Brieflicher  Mitteilung  nach  vom  August  1904  ist  der  Zustand  fort- 
während ganz  unverändert  geblieben. 

Beobaehtang  IV. 

Taay,  A.,  30jähriger  Schutzmann  aus  Yiborg;  wurde  am  28.  No> 
Tember  1901  in  die  Kervenabteilung  des  Prof.  Hom^n  aufgenommen. 

Anamnese: 

Der  Vater  des  Patienten,  ein  rüstiger  Sechziger,  ist  starker  Trinker 
gewesen.  Die  Mutter,  die  im  allgemeinen  gesund  und  kräftig  gewesen  war, 
starb,  nachdem  sie  einige  Jahre  gekränkelt  hatte,  an  einem  unbekannten 
Leiden.  Von  fünf  Geschwistern  hat  die  j&ngste  Schwester  seit  lange  an 
Schmerzen  in  der  Hüfte  gelitten,  der  älteste  Bruder  starb  an  einer  akuten 
Krankheit,  die  übrigen  sind  gesnnd.  In  der  Verwandtschaft  findet  sich  kein 
Fall  Yon  Geisteskrankheit  noch  Epilepsie.  In  der  Verwandtschaft  der 
Mutter  sind  mehrere  Fälle  von  Tuberkulose  vorgekommen.  Pat  ist  seit 
3  Jahren  verheiratet.  Die  Frau  ist  gesund,  hat  kein  Kind  gehabt,  auch 
nicht  abortiert. 

Pat.  hat  sich  fast  nie  völlig  gesnnd  gefühlt.  Er  hat  häufig  an  lang- 
wierigem Schnupfen  und  Husten  gelitten  und  ist  seit  seinen  Jünglingsjahren 
oft  von  Schmerzen  in  der  linken  Brustbälfte  belästigt  worden.  Als  Kind 
(etwa  im  Alter  von  2  Jahren)  machte  er  die  Pocken  durch.  Mit  16  Jahren 
soll  Pat.  im  Sommer  gegen  2  Monate  an  einer  akuten  Fieberkrankheit  mit 
Halsbeschwerden  gelitten  haben.  Den  darauffolgenden  Herbst  lag  er  vier 
Wochen  zu  Bette  mit  Fieber,  Kopfschmerzen  und  Diarrhoe  (Typhus?).  Seit 
dieser  Zeit  hat  Pat.  zeitweise  ein  plötzlich  eintretendes,  unbestimmte«  Gefühl 
von  Müdigkeit  und  Schläfrigkeit. 

Ais  Pat.  seine  Wehrpflicht  als  Dragoner  abdiente,  hat  er  im 
Jahre  1894  3  Monate  im  Regimentskrankenhause  gelegen  unter  der 
Diagnose  Influenza.  Die  Natur  der  Krankheit  soll  etwas  dunkel  gewesen 
sein  und  der  behandelnde  Arzt  im  Verlauf  derselben  an  die  Möglichkeit  einer 
etwaigen  Tuberkulose  gedacht  haben.  Pat.  genas  gleichwohl,  und  die  Krank- 
heit hinterliess  weiter  keine  Folgen.  Der  Kranke,  welcher  1898  Schutzmann 
wurde,  war  bis  zum  Beginn  seiner  jetzigen  Krankheit  im  allgemeinen  völlig 
arbeitsfähig. 

Am  9.  August  1901  morgens  empfand  PaL  bei  Bewegung  Schmerzen 
in  beiden  Seiten  der  Brust;  bei  Ruhe  hatte  er  keine  schmerzhaften 
Empfindungen.  Er  konnte  am  Tage  noch  seine  Arbeit  Terrichten.  Etwa  nm 
3  oder  4  Uhr  nachmittags  stellten  sich  Fiebersjmptome  ein,  und  die  Schmerzen 
wurden  im  ganzen  Umkreise  des  Brustkorbes  empfunden,  weshalb  sieh  Pat. 
nur    mit    äusserster  Vorsicht   bewegen   konnte   und   tiefere  Respiration    mit 


aod  sobacota  8.  ciironica.  305 

«ntensiven  Schmerzen  verbanden  war.  Als  er  sich  aui  aadereu  Morgen  nicht 
besser  fühlte,  begab  sich  Pat.,  trotz  schwerer  Schmerzen  and  Zittern  im 
ganzen  Körper,  allein  za  Fass  zum  Arzte,  welcher  annahm,  dass  eine  Langen- 
entzändang  vorliege.  Pat.,  der  häufig  an  Hasten  litt,  hastete  etwas  mehr 
als  gewöhnlich,  aber  kraftlos  und  ohne  Spata  herausbefördern  zu  können. 
Er  war  genötigt,  am  selben  Tage  das  Bett  einzunehmen.  Es  bestand 
kein  Erbrechen  noch  Störungen  beim  Urinieren,  wohl  aber  eine  leichte 
Obstipation. 

Am  12.  August  gegen  8  Uhr  abends  trat  ein  starker  Schmerz  im  Kreuz 
auf;  auch  bestand  ein  gewisser  Schmerz  an  der  Aussenseite  beider  Beine  bis 
etwas  anterhalb  des  Knies.  In  der  Nacht  beobachtete  Pat.  kleine  Zuckungen 
in  den  Muskeln  des  Oberschenkels;  unfreiwillige  Bewegungen  der  Hüft-  und 
Kniegelenke  kamen  nicht  vor.  Am  folgenden  Morgen  konnte  Pat.  sich  nicht 
auf  seine  Beine  stützen,  die  völlig  schlaff  waren.  Im  Liegen  konnte  er  die 
Beine  unbedeutend  bewegen,  das  linke  verhältnismässig  besser.  Gleichzeitig 
erwiesen  sich  die  Bewegungen  des  linken  Armes  im  Schultergelenk  be- 
schränkt. Der  Arm  konnte  nur  ganz  wenig  nach  vorne  und  aussen  bewegt 
werden,  nach  hinten  garnicht.  Die  Bewegungen  des  Ellenbogen-  und  Hand- 
gelenkes waren  frei.  Schmerzen  waren  im  Arme  nicht  verspürt  worden. 
Nach  Verlauf  eines  Tages  waren  die  Schmerzen  im  Kreuz  und  in  den 
Beinen  verschwunden,  und  gleichzeitig  hatten  auch  die  Schmerzen  um  die 
Brust  aufgehört. 

Am  15.  August  konnte  Pat.  seinen  Harn  nicht  lassen,  sondern  musste 
einmal  kathcterisiert  werden.  Am  folgenden  Tage  ging  das  Urinieren  schon 
von  selbst,  nur  sehr  träge.  Zeitweise  entleerten  sich  einige  Tropfen  Harn 
gegen  den  Willen  des  Pat. 

Pat.  lag  fortdauernd  mit  Fieber,  und  die  Lähmung  der  Beine  war  so 
vollständig,  dass  nur  die  rechte  Fnssspitze  etwas  bewegt  werden  konnte. 
Am  17.  August  etwa  hatten  sich  die  Fiebersymptome  gegeben.  Ungefähr 
am  21.  AugQst  stellte  sich  der  Sehmerz  in  den  Oberschenkeln  intensiv  wieder 
ein  nnd  dauerte  zwei  Wochen.  Im  Beginn  dieser  Periode  bestanden  auch 
Fiebersymptome.  In  dieser  Zeit  bemerkte  Pat.  einen  stets  zunehmenden 
Schwund  der  Muskeln  des  Gesässes  und  der  Beine,  besonders  des  linken 
Beines,  sowie  des  linken  Oberarmes.  Die  Atrophie  schritt  einige  Wochen 
fort,  um  dann  die  Muskeln  in  dem  Zustande  zu  belassen,  in  dem  sie  sich 
gegenwärtig  befinden. 

Die  Lähmung  hielt  sich  gegen  zwui  Monate  ganz  unverändert,  und  Pat. 
musste  ununterbrochen  stille  liegen.  Hierauf  besserte  sich  die  Beweglichkeit 
der  Beine  und  des  linken  Armes,  und  Pat.  konnte  zuerst  im  Bette  sitzen 
und    dann    allmählich    immer  leichter  mit  Hilfe  von  Krücken  sich  bewegen. 

Während  der  Krankheit  hatte  Pat.  keine  Halssehmerzen  und  keine 
Schlingbeschwerden.  Das  Bewasstsein  war  stets  klar.  Von  Seiten  der  Sinnes- 
organe und  der  Sprache  bestanden  keine  Störungen. 

Pat.  nimmt  an,  dass  er  sich  das  Leiden  durch  Erkältung  zugezogen 
haben  könnte.  Er  hatte  nämlich  an  den  Tagen  vor  der  Erkrankung  trotz 
der  kalten  und  rauhen  Witterung  seiner  Gewohnheit  gemäss  kalt  gebadet. 
In  der  Umgebung  des  Pat.  war,  soviel  ihm  bekannt,  kein  ähnlicher  Krank- 
heitsfall vorgekommen.  Es  ging  kein  Trauma,  keine  Verletzung  voraus. 
Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI,  Heft  2.  20 


306  LöTegren,  Znr  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acata 

Pat.    hat   sich    seit  vier  Jahren  TÖilig  des  Genasses  von  Alkohol  ent- 
halten and  ist  seit  derselben  Zeit  aach  im  Gebrauch  des  Tabaks  m&ssig  ge* 
wesen.    Vorher    hatte   er  zeitweise  Tiel  getranken  ond  war  starker  Raucher 
gewesen.     Lues  und  Gonorrhoe  bestimmt  verneint 
Status  praesens: 

Pat.  ist  Ton  gewöhnlichem  Körperbau  und  massiger  Em&hrang.  Ge- 
sichtsfarbe etwas  blass.  Die  Haut  zeigt  weder  Ödem  noch  Exanthem.  Im 
Gesicht  finden  sich  einige  Pockennarben,  sonst  von  Seiten  der  Haut  nichts 
Bemerkenswertes. 

Temperatur  nicht  erhöht.  Der  Puls  von  normaler  Frequenz,  regelm&ssig,. 
gnt  gefüllt. 

Lungen,  Herz  and  Baochorgane  geben  normale  Befunde. 
Anffassnng  klar,  Gedächtnis  gnt. 

Die  Funktionen  der  Gerebrainerven  ungestört.  Die  Sprache  fehlerfrei. 
Keine  Kopfschmerzen.  Pat  hat  zeitweise  ein  nnbestimmtes  Gefühl  von 
Müdigkeit  ^im  Kopfe",  ein  Gefühl,  das  er  nicht  näher  beschreiben  kann. 

Die  Muskulatur  der  Arme  zeigt  keine  deutliche  Atrophie,  sie  scheint 
aber  links  etwas  weniger  fest  zu  sein  als  rechts.  Bei  der  Messung  erweist 
sich  der  Umkreis  der  Arme,  in  der  Mitte  des  Oberarmes: 

rechts     25,5—26,0  cm 
links       24,0--24,5    „ 
10  cm  unterhalb  des  Olecranon: 

rechts    24,5—35,0  cm 
links      23,0—23,5    „ 
Beide  Arme  sind  frei  beweglich.     Alle  Bewegungen  des  linken   Armes 
werden  mit  bedeutend  geringerer  Kraft  ausgeführt  als  die  des  rechten.    Der 
Handdruck  beträgt: 

rechts     60  kg 
links      46  kg. 
Die     Bauch-      und     Rückenmuskeln      zeigen      keine     Atrophien     und 
funktionieren  ungestört. 

Die  Muskeln  beider  Beine  atrophisch,  von  schlaffer  Konsistenz*  am 
auffallendsten  am  Unterschenkel,  ganz  besonders  an  der  linken  Wade.  Die 
rechte  Glutaealregion  weniger  gefüllt  als  die  linke.  Der  rechte  Oberschenkel 
dünner  als  der  linke.  Der  linke  Unterschenkel  dünner  als  der  rechte. 
Die  Skelettteile  zeigen  keine  nachweisbaren  Veränderungen.  Der  Umkreis 
des  Oberschenkels  15  cm  oberhalb  der  Patella: 

rechts     33,5—34,0  cm 
links       34,5—35,0    „ 
der    Umkreis    des  Unterschenkels    (ungefähr    auf   der  Grenze    zwischen   dem 
oberen  und  mittleren  Drittel): 

rechts     29,0-30,0  cm 
links       27,0-28,0    , 
Die     Bewegungen     im    Hüftgelenke     beiderseits     möglich.     Die 
Extension  und  Rotation  nach  aussen  links  schwach,  sonst  sind  die  Bewegungen 
ziemlich  kräftig. 

Im  Kniegelenk  wird  die  Extension  rechts  äusserst  schwach  sus- 
geführt,  links  geschieht  die  Bewegung  mit  recht  guter  Kraft.  Die  Flexion 
dagegen  ist  rechts  bedeutend  kräftiger  als  links. 


und  «ubaouta  s.  chronica.  307 

Alle  Bewdgangeo  des  rechteu  Fasses  siod  frei  und  verh&ltnis- 
m&ssig  krftftig. 

Dorsalflezion  des  linken  Fasses  unmöglich,  Plantarflexion  höchst 
unbedeutend  und  nar  durch  gleichzeitige  Flexion  der  Zehen  ausfahrbar. 
Tibialflexion  sehr  schwach,  Fibularflexion  unmöglich.  Plantarflexion  der 
Zehen  Iftsst  sich  schwach  ansffihren,  Dorsalflexion  fast  gar  nicht.  Ab-  und 
Adduction    der    Zehen    sehr    schwach. 

Keine  Empfindlichkeit  der  Nervenstämme  und  Muskeln,  weder  an  den 
oberen  noch  unteren  Extremitäten  noch  sonstwo. 

Die  Pupillen  rund,  die  rechte  Tietleicht  etwas  grösser  als  die  linke. 
Beide  reagieren  auf  Licht,  die  linke  zieht  sich  dabei  stärker  zusammen  als 
die  rechte. 

Die  Patellarref lexe  sind  beiderseits  erloschen. 

Die  Sensibilität  zeigt  keine  Störungen  bis  auf  die  vordere  äussere 
Seite  des  linken  Unterschenkels,  auf  einem  Gebiete,  das  sich  von  der  Höbe 
des  Capitulum  fibalae  bis  zam  äusseren  Malleolus  erstreckt,  Tome  ungef&hr 
▼on  der  Grista  tibiae  begrenzt  wird  and  hinten  ohne  scharfe  Grenze  etwas 
auf  den  hinteren  Teil  der  Wade  übergeht;  auf  diesem  Gebiete  besteht  eine 
deutliche,  wenngleich  geringe  Herabsetzung  der  Schmerzempfindung. 

Die  Parese  der  Beine  tritt  deutlich  hervor  beim  Gehen,  was  nur  mit 
Hilfe  zweier  Krücken  geschehen  kann.  Der  linke  Fass  schleppt  dabei  teil- 
weise aaf  dem  Boden  und  führt  eine  schleudernde  Bewqgung  nach  aussen  aus. 

Pat.  wurde  mit  einer  Schmierkar  (8X^  g  Ungt.  einer.)  und  Jodkalium 
(8  g  pro  die)  behandelt.  Dabei  bekam  er  eine  Furunculosis.  Die  Schmierkur 
wurde    unterbrochen    und  eine  Injektion  von  Hydrarg.  salicyl.  0,20  gemacht. 

Am  20.  Dezember  warde  wieder  mit  der  Sehmierkur  begonnen,  and 
Fat.  erhielt  jetzt  18X^  g  Ungt.  einer.  Daneben  wurden  warme  Bäder  ver- 
ordnet  und  Pat.  mit  dem  faradischen  Strome  behandelt. 

Der  Allgemeinzustand  besserte  sich«  und  allmählich  konnte  Pat.  sioh 
auch  freier  bewegen. 

Bei    der   Untersuchung    am    10.  März   1902  erwies  sich  folgendes: 

Der  Allgemeinzustand  etwas  gebessert. 

Von  Seiten  der  Brust-  iind  Bauchorgane  wie  früher  normale  Befunde. 
Harn  eiweiss-  und  zuckerfrei. 

Die  psychischen  Funktionen  klar.  Desgleichen  von  Seiten  der  Cerebral- 
nerven  keine  Funktionsstörungen. 

Das  Gefühl  von  sonderbarer  Müdigkeit  im  Kopfe  stellt  sich  nur  selten 
ein.    Keine  Kopfschmerzen. 

Die  oberen  und  unteren  Extremitäten  zeigen  im  Wesentlichen  dieselben 
Verhältnisse  wie  früher,  doch  hat  ihr  Umfang  einigermassen  und  ziemlich 
gleichförmig  zugenommen.     (Pannicnlus  adiposusi)     Umfang 

in  der  Mitte  des  Oberarmes: 

rechts    28,0—28,5  cm 
links      27,5—28,0    „ 

10  Centimeter  unterhalb  des  Olecranou : 

rechts    25,5—26,0  cm 
links      23,5—24,0    , 

20» 


308  LövegreD,  Zar  KenntaiB  der  Poliomyelitis  anterior  acata 

des  Oberschenkels  15  cm  oberhalb  der  Patella: 
rechts    86,5—37,0  cm 
links      38,0-88,5    . 

des    Unterschenkels    (etwa    aaf    der     Grenze     zwischen    dem    oberen 

und  mittleren  Drittel): 

rechts    81,0—81,5  cm 
links      29,0—29,5    , 

Die  Konsistenz  def'Moskalatur  und  die  Ausdehnang  der  Atrophien 
dieselbe  wie  bei  der  ersten  Üntersachnng.  Desgleichen  sind  die  Funktionen 
der  verschiedenen  Maskelgrnppen  wesentlich  unver&ndert. 

Nirgends  besteht  Empfindlichkeit  über  den  Nerven  oder  Maskeln. 
Nirgends  fibrilläre  Zncknngen. 

Die  Grösse  der  Pupillen  erscheint  auf  beiden  Seiten  gleich,  die 
Reaktion  auf  Licht  ist  gut;  es  l&sst  sich  kein  deutlicher  Unterschied  zwischen 
der  rechten  und  Unken  nachweisen. 

Periost-  und  Sehnenreflexe  au  beiden  Unterarmen  nachweisbar. 
Reflex  von  den  Baachdecken  auf  beiden  Seiten  vorhanden.  Der  Cremaster- 
reflex etwas  undeutlich.  Der  Patellarreflex  links  schwach,  aber  deutlich 
(sichtbare  Kontraktion  des  M.  quadriceps  femoris),  auf  der  rechten  Seite 
«rloschen.    Bei  Reizung  der  Haut  der  Planta  pedis  tritt  Flexion  der  Zehen  ein. 

DieBerührnngs-  undTe m per atnrempfindung  sowie  die  faradocu- 
tane  Sensibilit&t  sind  überall  völlig  ungestört.  Das  Schmerz- 
gefühl auf  der  vorderen  äusseren  Seite  des  linken  Unterschenkels  ungef&hr 
in  derselben  Ausdehnung  und  mit  derselben  unbestimmten  Begrenzung  nach 
hinten  wie  vorher,  ganz  unbedeutend  herabgesetzt.  Im  übrigen  ist  die 
Schmerzempfindung  völlig  erhalten.  Das  Gefühl  fürpassiveBewegnogen 
unver&ndert. 

Einer  brieflichen  Mitteilung  nach  yom  August  1904  ist  der  Znstand  im 
Wesentlichen  unverändert  geblieben;  doch  sind  die  Beine  jetzt  etwas  kräftiger 
und  Pat.  g«ht  ohne  Krücken,  obgleich  hinkend  und  vom  gel&hmten  linken 
Fusse  belästigt. 

(Hier  folgen  die  Tabellen  auf  S.  309  u.  310) 

Im  wesentlichen  enthält  diese  Krankengeschichte  folgendes: 
£in  SOjähriger  Mann,  in  dessen  As>cendenz  Nervenkrankheiten 
nicht  vorgekommen  sind,  wohl  aber  Tuberkulose  und  Alkoholismus, 
und  welcher  selbst  früher  nicht  völlig  gesund  war,  erkrankte  im 
August  1901  plötzlich  mit  Brustschmerzen,  Fiebersymptomen  und 
etwas  Husten  (Pneumonie?).  Drei  Tage  später  heftige  Kreuz- 
schmerzen und  leichte  Schmerzen  sowie  fibrilläre  Muskelzuckungen 
in  den  Oberschenkeln;  am  folgenden  Tage  fast  vollständige,  schlaffe 
Lähmung  der  unteren  Extremitäten  und  teilweise  auch  der  linken 
Schultermuskulatur.  Die  Schmerzen  im  Kreuze  und  in  den  Beinen 
dauern  nur  einen  Tag,  und  gleichzeitig  mit  ihnen  verschwinden 
auch  die  Brustschmerzen.  Etwa  acht  Tage  nach  dem  Auftreten 
der  Lähmung,  als  die  Fiebererscheinungen  schon  seit  einigen 
Tagen   vorüber  waren,  treten  aufs  neue  Schmerzen  in  den  Ober- 


und  snbacotft  8.  chronica. 


309 


Elektrische  Untersnchnng  (April  1902). 
Obere  Extremitäten. 


Stintzings 

Normal - 

elek  trode 


Rechts 


Farad. 


galvan. 


Links 


farad. 


galvan. 


Indirekt: 
N.  medianus 

N.  ulnaris 


80  mm  RA      '  erste  KaSZ  2,5  MA 


100  mm  RA 


erste  KaSZ  2,0 MA 


82  mm  RA 
100  mm  RA 


erste  KaSZ  8,5  MA 
erste  KaSZ  4,0  MA 


Direkt: 
M.  biceps 


M.  flezor 
citrpi  radialiä 


Indirekt: 
N.  cmralis 


N.  tibialis 


N.  peroneus 


100  mm  RA 


91  mm  RA 


65mm  RA  (im M. 
rect.  fem.  keine 
Reaktion,  aneh  b. 
etwas  stärkeren 
Strömen) 

60  mm  RA 


88  mm  RA 


KaSZ  23  MA, 

AnSZ  8,0  MA, 

blitzart  Zuckungen 

KaSZ  4,5  MA, 

AnSZ  10,0  MA, 

blitzart.  Zackungen 


105  mm  RA 


96  mm  RA 


Untere  Eltremit&ten. 


erste  KaSZ  8,0  MA 


erste  KaSZ  1,5  MA 


orste  KaSZ  1,0  MA 


74mmRA(imM. 
rect.  fem.  keine 
Reaktion,  auch  b. 
etwas  stärkeren 
Strömen) 

keine  Reaktion 
bei  40  mm  RA 


60  mm  RA 


KaSZ  2,5  MA, 

AnSZ  6,0 MA, 

blitzart.  Zuckungen 

KaSZ  4,5  MA, 

AnSZ  9,0 MA, 

blitzart.  Zuckungen 


erste  KaSZ,  2,5  MA 


erste  KaSZ  3,5  MA 

(minimale  Flexion  d. 

Zehen,    sonst    kein 

Bewegnngseffekt) 

erste  KaSZ  2,5  MA 

(m  inimaleEztension 

d.  Zehen,  sonst  kein 

Bewegnngseffekt) 


Direkt: 

M.  vastus 

internus 


M.  rectus 
femoris 


M.  Tastus 
«extern  US 


72  mm  RA      | 

(Kontraktion     j 

langsam) 


65  mm  RA 

.(Kontraktion 

langsam) 

keine  Reaktion 
bei  40  mm  RA 


M.  sartorius 


55  mm  RA 

(Kontraktion 

langsam) 


keine  KaSZ  und 

keine  AnSZ  bei 

5,0M  A,  bei  stärkeren 

Strömen  Schmerzen 


keine  KaSZ  und 

keine  AnSZ  bei 

6,0  MA 

KaSZ  4,0  MA, 

AnSZ  3,0 MA, 

Zuckungen  träge 


KaSZ  3,5MA,  AnSZ 

3,5  MA,  Kontrakt. 

äusserst  träge 


75  mm  RA 


70  mm  RA 

(Kontraktion 

langsam) 

bei  50  mm  RA 
langsame  Zuck- 
ungen in  den 
oberen  Teilen  d. 
Muskels,  in  den 
unteren      Teilen 

keine  Kontrakt. 

67  mm  RA 


keine  KaSZ  bei 
4,0MA,  bei  stärkeren 
Strömen  Schmerzen. 
AnSZ  1,5 MA,  Kon- 
traktion langsam 

KaSZ  5,0MA,  AnSZ 
4,5MA,  Kontraktio- 
nen sehr  langsam 

keine  KaSZ, 

keine  AnSZ  bei 

6,0  MA 


KaSZ  3,0 MA, 

AnSZ  3,5 MA, 

Kontraktionen  träge 


310 


LövegreD,  Zur  Kevntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acata 


Stintzings 
Normal - 
elektrode 


M.  addacror 
magnas 


M.  bloepi  fem., 

M  iemitefldlno- 

msi  M.  leml* 

membranoBui 

M.  tibialis 
anticos 


M.  extensor 
digitor.  com- 
man.  longas 

M.  perooeas 
loDgas 


M..  extensor 
hallacis  long. 


M.  extensor 
digitor.  com- 
monis  brevis 

Mm.  inter- 
ossei  dorsales 


M.  gastro- 
cnemius 
extern  US 

M.  gastro- 
cnemias 
internus 

M.  soleus 


M.  flexor 

digitor. 

comm.  long. 

M.  flexor 
baUnois  long. 


82  mm  RA 


KaSZ  3,0MA,  AnSZ 

3,5  MA,  Kontrakt 

langsamer  als 

normal 


98  mm  RA 


KaSZ  3,0MA,AbSZ 

3,5  MA,  Kontrakt 

fast  normal  rasch 

und  kurz 


nicht  zu  bestimmen;  schon  bei  relativ  schwachen  Strömen  intensiTe 

Schmerzen 


80  mm  RA 


mm  RA 


72  mm  RA 


61  mm  RA 


65  mm  RA 


78  mm  RA 


70  mm  RA 


82  mm  RA 


63  mm  RA 


68  mm  RA 


65  mm  RA 


KaSZ  1,5  MA, 

AnSZ  3,0 MA, 

Kontraktionen  rasch 

und  kurz 

KaSZ  2,5MA,  AnSZ 

2,5  MA,  Kontrakt. 

rasch  nnd  kurz 

KaSZ  1,5  MA, 

AnSZ  3,0 MA, 

Kontraktionen 

rasch  nnd  kurz 

KaSZ  2,0  MA, 

AnSZ  3,0 MA, 

Kontraktionen 

rasch  und  kurz 


KaSZ  2,0MA,  AnSZ 
2,0  MA,  Kontrakt, 
schwach  u.  langsam 

KaSZ  2,5  MA, 

AnSZ  3,5 MA, 

Zuckungen  träge 

KaSZ  1,5MA,  AnSZ 

2,5  MA,   Kontrakt. 

etwas  langsam 


keine  Reaktion 
bei  stärksten 

Strömen 
(20  mm  RA) 

keine  Reaktion 

bei  stärksten 

Strömen 

keine  Reaktion 
bei  stärksten 

Strömen 
(20  mm  RA) 

keine  Reaktion 
bei  stärksten 

Strömen 
(35  mm  RA) 

43  mm  RA 

(Kontraktionen 

schwach) 

M.  inteross.  IV 
56  mm  RA.    Die 

übrigen  Mm. 
interossei:  keine 

Reaktion  bei 
stärkst.  Strömen 

keine  Reaktion 
bei  45  mm  RA 


keine  Reaktion 
bei  45  mm  RA 


keine  Reaktion 
bei  45  mm  RA 


keine  Reaktion 
bei  45  mm  RA 


keine  Reaktion 
bei  45  mm  RA 


keine  KaSZ,  keine 
AnSZ  bei  5,0 MA 


keine  KaSZ,  keine 
AnSZ  bei  8,0 MA 


keine  KaSZ,  keine 

AnSZ  bei  stärksten 

Strömen 


keine  KaSZ,  keine 
AnSZ  bei  5,0 MA 


keine  KaSZ,  keine 
AnSZ  bei  5,0 MA 


keine  KaSZ,  keine 
AnSZ  bei  5,0 MA 


keine  KaSZ,  keine 
AnSZ  bei  5,0 MA 


und  subacuta  8.  chronica.  311 

Schenkeln  uDd  Fieber  auf.  Diese  Schmerzen  sind  sehr  intensiv 
und  dauern  zwei  Wochen  an.  Eine  schnell  zunehmende  Muskel- 
atrophie tritt  während  dieser  Zeit  ein.  Nach  zwei  Monaten  wird 
«ine  Besserung  der  Beweglichkeit  der  Beine  und  des  linken  Armes 
bemerkt.  Aber  ausgedehnte  Lähmungen  und  eine  bedeutende 
Muskelatrophie  bleiben  zurück;  der  Zustand  bleibt  späterhin  im 
wesentlichen  stationär. 

Bei  der  Untersuchung  findet  man  eine  leichte  Analgesie  an 
der  vorderen  äusseren  Seite  des  linken  Unterschenkels;  sonst  ist 
die  Sensibilität  erhalten.  Nirgends  besteht  Druckempfindlichkeit 
der  Nerven  oder  Muskeln.  Patellarreflexe  im  November  1901 
beiderseits  erloschen;  im  März  1902  lässt  sich  ein  ganz  minimaler 
Reflex  links  auslösen,  rechts  bleibt  der  Reflex  aufgehoben. 

Die  elektrische  Exploration  ergibt  im  April  1902 
folgendes: 

An  der  rechten  oberen  Extremität  ist  die  Reaktion 
normal. 

An  der  linken  oberen  Extremität  ist  die  Erregbarkeit 
der  Nerven  für  den  galvanischen  Strom  etwas  herabgesetzt;  bei 
direkter  Reizung  keine  qualitativen  Veränderungen ;  die  faradische 
Erregbarkeit  normal. 

An  den  unteren  Extremitäten  zeigen  die  Nerven  links 
eine  deutlich  herabgesetzte  Erregbarkeit  für  beide  Stromesarten; 
rechts  verhält  sich  N.  cruralis  ebenso,  N.  peroneus  und  N.  tibialis 
sind  normal  erregbar  für  den  galvanischen  Strom,  N.  peroneus 
ist  auch  faradisch  normal  erregbar,  N.  tibialis  zeigt  eine  etwas 
herabgesetzte  faradische  Erregbarkeit. 

Bei  direkter  Reizung  der  Muskeln  der  Oberschenkel  zeigt  sich 
rechts  und  links  teils  eine  mehr  oder  weniger  bedeutende  Herab- 
setzung, teils  ein  Erloschensein  der  Erregbarkeit  für  den  faradischen 
Strom;  die  Eontraktionen  in  einigen  Muskeln  langsam  (faradische 
EaR).  M.  adductor  magnus  reagiert  beiderseits  normal.  Auch 
bei  galvanischer  Reizung  zeigt  sich  die  Erregbarkeit  herabgesetzt 
(ob  sie  in  einigen  Muskeln  ganz  aufgehoben  ist,  kann  nicht  ent- 
schieden werden,  da  Pat.  starke  Ströme  nicht  verträgt).  Die 
Eontraktionen  sind  mehr  oder  weniger  träge;  nur  M.  adductor 
magnus  reagiert  ziemlich  normal.     An  SZ  >  oder  •=^  EaSZ  (EaR). 

Die  Muskeln  an  der  Vorderseite  des  rechten  Unterschenkels 
zeigen    eine    leicht   oder    massig    herabgesetzte    Erregbarkeit   für 


312         Lövegren,  Zur  KeDotois  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

den  faradischen  Strom;  bei  galvanischer  Reizung  normale  Kon- 
traktionen. 

Die  Wadenmuskeln  verhalten  sich  gegen  den  faradischen 
Strom  wie  die  Muskeln  der  Vorderseite;  die  galvanischen 
Kontraktionen  sind  dagegen  langsam,  im  M.  gastrocnemius  int. 
sogar  exquisit  träge  (£aR). 

Die  Muskeln  des  linken  Unterschenkels  sind  unerregbar  für 
die  stärksten  faradischen  und  galvanischen  Ströme,  die  zur  An- 
wendung kommen  können  (EaR). 

Am  Fussrücken  zeigt  M.  extensor  digit.  commun.  brev.  bei 
faradischer  Prüfung  rechts  eine  massige,  links  eine  bedeutende 
Herabsetzung  der  Erregbarkeit.  Mm.  interossei  dors.  rechts^ 
etwa  normal  erregbar,  links  bei  starkem  Strome  Reaktion  im 
Jnterosseus  lY,  die  übrigen  Interossei  unerregbar. 

Die  Diagnose  Poliomyelitis  anterior  acuta  scheint  mir  in 
den  oben  angeführten  Fällen  völlig  berechtigt.  Die  beiden  ersten 
Beobachtungen  zeigen  bis  ins  einzelne  den  typischen  Verlauf,  der 
sowohl  die  gewöhnliche,  im  Kindesalter  vorkommende  als  auch 
die  bei  Erwachsenen  beschriebene  akute  Poliomyelitis  kennzeichnet. 
Die  in  diesen  Fällen  beobachteten  Schmerzen  sind  bei  der  Kinder« 
lähmung  allerdings  nicht  unbekannt,  aber  im  allgemeinen  weniger 
hervortretend,  was  jedoch  auf  der  Unmöglichkeit  beruhen  kann,, 
bei  kleinen  Kindern  die  Art  der  subjektiven  Empfindungen  fest- 
zustellen. Schmerzen  im  Rücken  und  mitunter  auch  in  den  Ex- 
tremitäten sind  nicht  nur  in  sicheren  klinischen  Fällen  von  akuter 
Poliomyelitis  bei  Erwachsenen  angegeben  worden  (Raymond, 
Strümpell  und  Barthelmes),  sondern  auch  in  Fällen,  in  denen 
die  Diagnose  durch  die  Sektion  bestätigt  worden  war  (Rissler, 
Bickel,  Williamson,  Sherman    und   Spiller). 

In  den  Beobachtungen  III  und  IV  war  der  Verlauf  der 
Krankheit  nicht  in  allen  Beziehungen  der  gewöhnliche.  Im 
ersteren  Falle  dauerten  die  Schmerzen  und  Allgemeinsymptome 
zwei  Wochen  an;  nach  Aufhören  derselben  trat  Lähmung  des 
linken  Beines  ein,  und  nach  weiteren  zwei  Wochen  gesellte  sich 
eine  Lähmung  des  rechten  Quadriceps  femoris  hinzu.  Diese  lange 
Dauer  der  der  Lähmung  vorausgehenden  Störungen  des  Allgemein- 
befindens findet  sich  in  den  übrigen  Fällen  nicht  wieder,  und  im 
allgemeinen  auch  nicht  in  den  früher  veröffentlichten,  genau  be- 
schriebenen Beobachtungen.  Oppenheim  (83)  hebt  jedoch  her- 
vor, dass  diese  Periode  bei  Erwachsenen  sogar  in  der  Regel 
länger  dauert  als  bei   Kindern   und  sich  über  einen  Zeitraum  von 


and  subacuta  b.  chronica.  313^ 

ein  bis  zwei  Wochen  erstreckt.  Noch  mehr  abweichend  von  der 
gewöhnlichen  Entwicklang  der  Krankheit  war  die  schubweise  Ent- 
stehung der  Lähmung.  Das  ist  bei  der  Poliomyelitis  etwas 
ganz  Exzeptionelles.  Eine  ähnliche  Beobachtung  ist  gleichwohl 
in  Bezug  auf  die  Poliomyelitis  anterior  acuta  des  Kindesalters  von 
Auerbach  (74)  gemacht  worden;  auch  Gowers  (84)  gibt  an^ 
dass  unter  116  Fällen  einer  einen  zweiten    Anfall  zeigte. 

In  der  Beobachtung  IV  ist  der  Verlauf  wesentlich  der 
typische,  bis  gegen  Ende  der  zweiten  Krankheitswoche  ein  neuer 
Fieberanfall  mit  schweren,  recht  lange  anhaltenden  Schmerzen  in 
den  Beinen  eintrat.  Drei  Monate  darauf  Hess  sich  eine  leichte^ 
aber  deutliche  Hypalgesie  der  vorderen  äusseren  Seite  des  linken 
Unterschenkels  konstatieren;  diese  Hypalgesie  bestand  noch 
sieben  Monate  nach  der  Erkrankung.  Im  übrigen  erweist  die 
objektive  Untersuchung  und  der  Ausgang  der  Krankheit  dieselben 
Verhältnisse  wie  diejenigen,  denen  man  bei  der  akuten  Poliomyelitia 
begegnet.  ^ 

In  differentialdiagnostischer  Hinsicht  kommt  eigentlich 
nur  die  Polyneuritis  in  Frage. 

Wie  Raymond  (64),  Edwards  (85)  u.  A.  betonen,  kann 
dieses  Leiden  mit  seinen  verschiedenartigen  Formen  nicht  selten 
einen  Symptomenkomplex  zeigen,  der  dem  der  Poliomyelitis  zum 
Verwechseln  ähnlich  ist  (polynövrite  ä  forme  de  poliomy^lite  an- 
t^rieure).  Da  man  weis»,  dass  bei  Erwachsenen  Polyneuritis  eine 
verhältnismässig  häufig  vorkommende  Krankheit  ist,  die  Polio- 
myelitis hingegen  sehr  selten,  so  muss  man  mit  der  Diagnose  der 
letzteren  sehr  zurückhaltend  sein.  Es  genügt  nicht,  dass  im 
Einzelfalle  das  Krankheitsbild  in  grossen  Zügen  dem  der  Polio* 
myelitis  gleicht,  die  Möglichkeit  einer  bestehenden  Polyneuritis 
muss  ausgeschlossen  werden. 

Analysiert  man  das  Krankheitsbild  in  den  oben  beschriebenen 
vier  Fällen,  so  findet  man  vor  allem  in  Bezug  auf  die  Entstehung 
der  Lähmung  und  ihrer  Lokalisation  folgendes:  In  einer  Nacht 
entwickelte  sich  eine  fast  vollständige  Paraplegie  in  Beobachtung  I, 
Paraplegie  und  Lähmung  der  linken  Schultermuskulatur  in  Be- 
obachtung IV,  innerhalb  zweier  oder  dreier  Tage  eine  totale 
Paralyse  des  linken  Armes  und  Parese  des  rechten  Beines  in  Be- 
obachtung II,  desgleichen  innerhalb  dreier  Tage  fast  vollständige 
Lähmung  des  linken  Beines  in  Beobachtung  HI;  im  letzteren 
Falle  trat  zwei  Wochen  später  eine  Lähmung  des  rechten 
Quadriceps  femoris  hinzu.    Ein  bis  zwei  Monate  lang  erhielt  sich 


314         LöTegreo,  Zar  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

die  Lähmung  unverändert,  hierauf  ging  sie  teilweise  zurück. 
Später  entwickelte  sich  ein  stationärer  Zustand  mit  meist  hoch- 
gradiger Muskelatrophie  und  ausgebreiteten  Lähmungen.  Diese 
waren  lokalisiert:  in  beiden  Oberschenkeln,  dem  linken  Unter- 
schenkel, den  Bauch-  und  Rückenmuskeln  in  Beobachtung  I;  in 
beiden  Oberschenkeln,  dem  linken  Unterschenkel  und  dem  linken 
Arme  (paretisch)  in  Beobachtung  lY;  in  der  linken  Schulter  und 
dem  linken  Arme  sowie  rechten  Beine  (paretisch)  in  Beobachtung  II; 
im  ganzen  linken  Beine  und  der  linken  Beckenmuskulatur  in 
Beobachtung  III. 

Eine  Lähmung,  welche  so  rasch  ihre  maximale  Verbreitung 
erreicht,  ist  im  allgemeinen  etwas  der  Polyneuritis  fremdes,  während 
es  für  die  akute  Poliomyelitis  typisch  ist.  Bei  der  multiplen  Neu- 
ritis tritt  die  Lähmung  fast  stets  bedeutend  langsamer  ein  und 
häufig  schubweise  [Remak  (86),  Oppenheim,  Kaymond  u.  A.]. 
In  Beobachtung  III  entstand  die  Lähmung  allerdings  in  zwei 
^chüben,  aber  wie  erwähnt,  ist  in  vereinzelten  Fällen  ein  der- 
artiges Verhalten  bei  akuter  Poliomyelitis  auch  früher  beobachtet 
worden.  Das  beweist  jedoch  nichts  für  den  vorliegenden  Fiall. 
An  und  für  sich  ist  dieser  Umstand  geeignet,  den  Gedanken  an 
die  Möglichkeit  einer  Polyneuritis  zu  wecken.  Es  findet  sich 
jedoch  in  dieser  Krankengeschichte  sonst  nichts,  was  eine  solche 
Annahme  bestätigen  könnte.  Im  Gegenteil,  das  Krankheitsbild 
trägt  in  allem  übrigen  das  Gepräge  der  akuten  Poliomyelitis. 
Gegen  eine  Polyneuritis  spricht  hier  unter  anderm  die  Lokalisation 
in  der  ganzen  linken  unteren  Extremität  und  im  rechten  Ober- 
schenkel. Es  ist  äusserst  ungewöhnlich,  dass  eine  Polyneuritis 
im  Oberschenkel  beginnt,  sie  hält  sich  mit  Vorliebe  an  die  distalen 
Teile  der  Extremitäten  und  ist  ausserdem  häufig  symmetrisch 
[Dejerine  (82),  Oppenheim  (83)  u.  A.].  In  Bezug  auf  die 
ursprüngliche  Lokalisation  der  Lähmungen,  spricht  dieselbe  auch 
in  den  Beobachtungen  II  und  IV  durchaus  zugunsten  der  Polio- 
myelitis und  gegen  Polyneuritis.  Mehr  als  alles  dieses  ist  jedoch 
in  Beobachtung  III  sowie  den  übrigen  der  schliessliche  Ai^sgang 
einBeweis  gegen  Polyneuritis  und  für  Poliomyelitis.  Eine  Polyneuritis 
endet  in  der  Kegel  in  einigen  Monaten  mit  Heilung,  und  wenn  einige 
Residuen  zurückbleiben,  sind  sie  fast  immer  leicht  (Remak, 
Oppenheim,  Raymond  u.  A.).  Dagegen  geht  eine  Poliomyelitis 
fast  nie  spurlos  vorüber,  und  die  zurückbleibenden  Defekte  sind 
meist  recht  bedeutend. 

Für  die  Diagnose    ist    ferner    das  Resultat  der  elektrischen 


and  subacuta  8.  chronica.  315 

Exploration  von  wesentlicher  Bedeatang.  Kosenberg  (87)  hat 
nämlich  in  seiner  aus  der  Erbschen  Klinik  hervorgegangenen 
Arbeit  dargelegt,  dass  bei  der  Poliomyelitis  ein  vollständiger 
Parallelismus  zwischen  dem  Funktionsvermögen  der  Muskeln  und 
ihrer  elekti'ischen  Reaktion  herrscht,  während  bei  der  Polyneuritis 
das  Verhältnis  sehr  oft  ein  anderes  ist.  Die  elektrische  Reaktion 
kann  hier  in  Muskeln,  deren  Eontraktions  vermögen  fast  ungestört 
ist,  hochgradig  verändert  sein,  und  zugleich  kann  man  eine  normale 
•elektrische  Reaktion  in  Muskeln  finden,  deren  Funktionsvermögen 
bedeutend  herabgesetzt  ist.  Schon  Duchenne^)  hatte  gewisser- 
massen  diesen  Unterschied  zwischen  Lähmungen  peripherer  Natur 
und  der  Poliomyelitis  beobachtet. 

Vergleicht  man  in  meinen  Beobachtungen  das  Resultat  der 
Motilitätsuntersuchung  mit  den  elektrischen  Befunden,  so  findet 
man  im  grossen  und  ganzen  einen  vollständigen  Parallelismus. 
Wo  ein  totaler  Verlust  der  aktiven  Beweglichkeit  vorliegt,  wird 
vollständige  EaR  konstatiert,  wo  die  Beweglichkeit  nur  herab- 
gesetzt ist,  findet  man  auch  die  Veränderung  der  elektrischen 
Reaktion  weniger  ausgeprägt  und  im  wesentlichen  in  direktem  Ver- 
hältnis zum  Grade  der  Motilitätsstörungen  stehend. 

In  differentialdiagnostischer  Beziehung  kommt  dem  Verhalten 
der  Sensibilität  eine  sehr  grosse  Bedeutung  zu.  Bei  Poliomyelitis 
anterior  acuta  dürfte  nie  eine  dauernde  Herabsetzung  der  Sensi- 
1)ilität  vorkommen;  nur  im  Beginn  der  Krankheit  ist  bisweilen 
eine  leichte  Abstumpfung  des  Gefühls  zu  beobachten  (Labor de, 
Seeligmüller,  Oppenhei^  u.  A.).  Es  ist  schon  darauf  hin- 
gewiesen worden,  dass  in  den  ersten  Tagen  oder  Wochen  einer 
akuten  Poliomyelitis  nicht  selten  subjektive  Sensibilitätsstörungen 
in  Form  von  Schmerzen  im  Rücken  und  in  geringerem  Grade 
auch  in  den  Extremitäten  beobachtet  wurden.  Dageg('n  fehlen 
bei  Polyneuritis  selten  objektiv  nachweisbare  Störungen  der 
Sensibilität.  Die  besonders  in  den  Extremitäten  und  speziell  dem 
peripheren  Teil  derselben  fühlbaren  Schmerzen  sind  mehr  hervor- 
tretend und  langwieriger.  Nerven  und  Muskeln  sind  druck- 
empfindlich. 

In  meinen  Beobachtungen  kamen,  wie  erwähnt,  anfangs  recht 
intensive  Schmerzen  im  Rücken  oder  in  der  Schulter,  sowie  in  den 
Beinen  vor.  Diese  Schmerzen  dauerten  nur  einige  Stunden  oder  einige 
Tage,  um  dann  allmählich  abzunehmen  und  spätestens  nach  zirka 


^)  Duchenne,  L'^lectrisation  localisee,  3.  edition.     1872.     S.  899. 


316         LOvegren,  Zar  KeDDtDU  der  PolionajelitU  anterior  acata 

zwei  Wochen  ganz  aafzojliören.  In  allen  diesen  Fällen,  aasser  in 
Beob.  IV,  kehrten  die  Schmerzen  später  nicht  mehr  wieder.  In 
der  Beob.  IV  traten  gegen  zwei  Wochen  nach  der  Erkrankimg 
von  neuem  äusserst  heftige  Schmerzen  in  den  Beinen  auf.  Diese 
Schmerzen  hielten  zwei  Wochen  an  und  waren  in  den  ersten 
Tagen  mit  Fiebersymptomen  verbunden.  Bei  der  objektiven  Unter- 
suchung wurde  in  diesem  Fülle  eine  leichte  Hypalgesie  der  vorderen 
äusseren  Seite  des  linken  Unterschenkels  konstatiert.  In  den 
übrigen  Beobachtungen  zeigte  sich  die  Sensibilität  (Berührung, 
Schmerz,  Wärme,  Kälte,  Lagegefühl)  vollständig  erhalten.  In 
Beobachtung  I  fand  sich  allerdings  eine  Zeitlang  im  Lähmungs- 
gebiet eine  geringe  Herabsetzung  derfaradokutanen  Sensibilität^)  vor^ 
welche  sich  aber  bei  späterer  Untersuchung  völlig  ungestört  zeigte» 
Druckempfindlichkeit  der  Nerven  und  Muskeln  war  in  keinem  der 
Fälle  nachzuweisen. 

Aus  dieser  detaillieilen  Prüfung  der  für  die  Differential- 
diagnose zwischen  der  akuten  Poliomyelitis  und  der  multiplen 
Neuritis  verwertbaren  Symptome  geht  hervor,  dass  für  die 
Beobachtungen  I,  II  und  III  eine  Polyneuritis  mit  Sicherheit  aus- 
geschlossen ist.  In  Bezug  auf  die  Beob.  IV  stellt  sich  die  Sache 
anders.  Der  in  diesem  Falle  beobachtete  zweite  Fieberanfall  mit 
den  von  neuem  auftretenden  Schmerzen  im  Verein  mit  der 
objektiv  nachweisbaren  Sensibilitätsveränderung  gestattet  uns  hier 
nicht,  die  Polyneuritis  ausser  Acht  zu  lassen.  Man  ist  um  so  mehr 
geneigt,  an  die  Möglichkeit  einer  Polyneuritis  in  diesem  Falle  zu 
denken,  als  die  Anamnese  über  früheren  Alkoholismus  aufklärt. 
Es  lässt  sich  jedoch  nicht  mit  Fug  behaupten,  dass  das  klinische 
Bild  im  ganzen  der  Ausdruck  einer  multiplen  Neuritis  wäre.  Das 
Krankheitsbild  weicht  im  übrigen,  wie  schon  hervorgehoben  wurde,^ 
wesentlich  von  dem  dieser  Krankheit  ab  und  zeigt  im  ganzen  den 
Charakter,  der  die  Poliomyelitis  kennzeichnet.  Auch  in  diesem 
Falle  dürfte  die  Diagnose  aus  vollgültigen  Gründen  auf  Polio- 
myelitis anterior  acuta  gestellt  werden  dürfen.  Es  fragt  sich  nur, 
ob  man  es  hier  mit  Poliomyelitis  allein  zu  tun  hat  oder  mit 
Poliomyelitis,  kombiniert  mit  Polyneuritis.    Wäre  das  erstere  der 


^)  Vielleicht  ist  die  Ursache  dieser  unbedeutenden  Veränderung  der 
faradokutanen  Sensibilität  in  den  Zirkulationsverhältnissen  zu  suchen.  Für 
eine  solche  Deutung  scheint  der  Umstand  zu  sprechen,  dass  die  erwähnte 
Sensibilitätsstörung  verschwand,  sobald  die  Cyanose  und  Kühle  der  Haut 
sich  unter  der  Behandlung  mit  Massage,  Bädern  und  Elektrizität  ver- 
mindert  hatte. 


und  subacuta  8.  chronica.  317 

Fall,  so  würde  eine  Affektion  der  Hinterhörner  vorauszasetzen 
sein.  An  and  für  sich  liesse  sich  die  nachgewiesene  Sensibilit&ts- 
störung  hierdurch  erklären.  Aber  die  oben  diskutierten,  für  eine 
Polyneuritis  sprechenden  Momente  in  der  Anamnese  scheinen  mir 
ziemlich  bestimmt  darauf  hinzudeuten,  dass  in  Beob.  IV  ein  Fall  von 
akuter  Poliomyelitis,  kompliziert  mit  Polyneuritis,  vorliegt.  Die 
Poliomyelitis  ist  dabei  die  wesentlich  dominierende  Affektion,  die 
Polyneuritis  hat  für  die  Entstehung  des  Krankheitsbildes  eine 
ganz  untergeordnete  Bedeutung  gehabt. 

Ausser  dem,  was  mit  Hinsicht  auf  die  Diagnose  zunächst 
von  Interesse  war,  verdienen  gewisse  Einzelheiten  in  der 
Symptomatologie    dieser  Fälle    eine    nähere  Berücksichtigung. 

Die  Verbreitung  sowohl  der  Initiallähmungen  als  der 
zurückgebliebenen  stationären  Defekte  ist  oben  angeführt  worden. 
Die  Form  der  Lähmung  ist  besonders  interessant  in  Beob- 
achtung I.  Neben  einer  Lähmung  der  unteren  Extremitäten 
bestand  in  diesem  Falle  eine  Lähmung  sowohl  der  Bauch- 
muskulatur als  der  Kückenmuskeln.  Infolge  dessen  hatte  sich 
•eine  hochgradige,  bleibende  Deformität  der  Wirbelsäule,  eine 
Skoliose  und  zugleich  eine  leichte  Kyphose  ausgebildet.  Diese 
Deformität  entstand,  zuverlässigen  Angaben  nach,  am  Anfange 
der  dritten  Krankheitswoche  und  war  schon  im  Beginn  sehr 
hochgradig;  sie  soll  sich  später  etwas  vermindert  haben. 

Ein  leichter  Grad  von  Skoliose  kommt  nicht  selten  nach 
«iner  akuten  Poliomyelitis  vor.  Bei  zurückbleibender  Lähmung 
und  noch  mehr  bei  gleichzeitiger  Verkürzung  einer  unteren 
Extremität  ist  sie  eine  gewöhnliche  Erscheinung.  In  Beob.  III 
fand  sich  eine  solche  leichte  Skoliose.  In  derartigen  Fällen  ist 
die  Skoliose  eine  selbstverständliche  Folge  der  durch  die  Defekte 
in  den  Beinen  veränderten  statischen  Verhältnisse,  sie  ist  nur 
«ine  Kompensationserscheinung.  Was  die  Deviation  der  Wirbel- 
säule in  Beobachtung  I  betrifft,  so  ist  sie  ganz  sicher  anderer 
Natur.  Sie  ist  zweifellos  als  Folge  der  Lähmung  der  Rücken- 
muskeln entstanden,  welche  ursprünglich  auf  der  rechten  Seite 
stärker  ausgeprägt  gewesen  sein  muss  und  so  die  Veranlassung 
einer  linksseitigen  Kontraktur  wurde.  Für  diese  Auffassung 
spricht  ganz  bestimmt  sowohl  die  Art  der  Entstehung,  als  der 
Befund  bei  der  objektiven  Untersuchung.  Schon  Heine ^)  kannte 
das  Vorkommen  von  Deformitäten  der  Wirbelsäule  (Lordose)  bei 


0  Y.  Heioc,  Spinale  Kinderlähmung.     3.  Aufl.     1860.     S.  86. 


S18  Löyegren,  Zar  KeDntms  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

Kinderlähmung  and  stellte  sie  in  direkte  Abhängigkeit  vod 
Paralyse  der  Raekenmaskeln.  Labor  de  (16)  hob  hervor,  das& 
die  Initiallähmungen  häufig  auch  die  Muskeln  des  Rumpfes  be- 
treffen, dass  sie  aber  nur  in  äusserst  exzeptionellen  Fällen 
definitiv  in  diesen  lokalisiert  sind.  Er  betonte  mit  Recht,  dass 
die  als  paralytisch  angesehenen  Deformitäten  der  Wirbelsäule 
tatsächlich  fast  stets  nur  kompensatorisch  sind.  Die  paralytische 
Skoliose  bei  Poliomyelitis  ist  von  Duchenne  (88)  beobachtet 
und  hinsichtlich  der  Art  ihrer  Entstehung  sorgfaltig  studiert 
worden.  Vereinzelte,  bei  Kindern  vorkommende  Fälle  derselben 
wurden  auch  in  letzterer  Zeit  beobachtet  [Johannessen  (76), 
Oppenheim  (83)].  Marie  (89)  hat  auf  eine  in  seltenen 
Fällen  vorkommende  Skoliose  au&nerksam  gemacht,  welche  sich 
lange  Zeit  nach  einer  abgelaufenen  akuten  Poliomyelitis  im  An- 
schluss  an  eine  von  neuem  eintretende  Muskelatrophie  einstellt. 
Eine  ungewöhnliche  Lähmungsform,  eine  sog.  Hemiplegia 
cruciata,  zeigt  Beob.  II.  Unter  den  Fällen  von  akuter  Polio- 
myelitis bei  Erwachsenen,  die  in  der  Literatur  beschrieben  sind, 
kenne  ich  nur  einen  mit  dieser  Lokalisation,  es  ist  dies  Ray- 
monds Fall.  Auch  bei  Poliomyelitis  im  Kindesalter  ist  dieses 
Lähmungsbild  selten.  Unter  75  Fällen  fand  Seeligmüller  zwei 
mit  Hemiplegia  cruciata. 

Das  Verbreitungsgebiet  der  Lähmungen  ist  in  den  von 
mir  beschriebenen  Fällen  im  ganzen  recht  gross.  Der  Unter- 
schied zwischen  den  Initiallähmungen  und  den  bleibenden 
Lähmungen  ist  in  dieser  Hinsicht  nicht  besonders  bedeutend. 
Dieses  Verhältnis  ergibt  sich  auch  bei  Prüfung  der  in  der 
Literatur  vorhandenen  früheren  Beobachtungen.  In  fünfzehn 
Fällen  von  Poliomyelitis  anterior  acuta  adultorum,  in  denen  die 
Diagnose  durch  die  Sektion  (9  Fälle)  oder  eine  ausführliche 
klinische  Untersuchung  sichergestellt  ist,  hat  die  Lähmung  im 
Beginn  folgende  Verbreitung: 

Über  alle  vier  Extremitäten  in  6  Fällen 

„        alle  vier  Extremitäten  und  die  Rumpfmuskeln   „2        „ 

„        beide  unteren  Extremitäten  „5        „ 

„        den  linken  Arm  und  das  rechte  Bein  „    1   Fall 

„        den  linken  Arm  und  das  linke  Bein  „    1      „ 

In    sechs  von    diesen  Fällen    konnte   das    weitere  Schicksal 

der  Lähmungen    nicht  verfolgt  werden,  da  der  Tod  entweder  im 

akuten    Stadium    oder    in     einigen    Monaten    nach    Beginn    der 

Krankheit    eintrat.     In    den  übrigen    neun  Fällen   zeigte  es  sich^ 


und  sabacuta  s.  chronica.  31^ 

dass  eine  grössere  oder  geringere  Besserung  des  Fanktions* 
Vermögens  einzelner  Maskeln  oder  Muskelgrappen  in  den  meisten 
der  angegriffenen  Regionen  eintrat,  aber  nar  in  einem  Fall  wurde 
eine  ganze  Extremität  von  der  Lähmung  befreit.  In  diesen 
Fällen  war  die  Verteilung  der  zurückgebliebenen  Lähmungen« 
folgende: 

Über  beide  untere  Extremitäten  in  5  Fällen 

jf       beide    untere  Extremitäten,    die    linke    obere 

Extremität  und  die  Rumpfmuskeln  „    1  Fall 

„       alle  vier  Extremitäten  „    1     „ 

„  die  linke  obere  und  die  rechte  untere  Extremität  „  1  „ 
„  die  linke  obere  und  die  linke  untere  Extremität  »  1  „ 
Diese  Angaben  umfassen  nur  eine  geringe  Anzahl  Fälle. 
Selbstverständlich  wäre  eine  viel  grössere  Statistik  ffir  die  Be- 
leuchtung der  in  Rede  stehenden  Verhältnisse  erwönscht.  Aber 
eine  solche  lässt  sich  gegenwärtig  nicht  zusammenbringen.  Wie 
erwähnt,  ist  die  Anzahl  der  veröffentlichten  sicheren  Fälle  dieser 
seltenen  Krankheitsform  sehr  gering.  Das  Material  für  die  obigen 
Angaben  stammt  aus  verschiedenen  Ländern  und  von  verschiedenen 
Verfassern  her,  von  denen  jeder  nur  über  einen  oder  zwei  Fälle 
verfügte.  Es  kann  somit  nicht  völlig  dem  gleichförmig  ge- 
sammelten, relativ  reichen  Material  gleichgestellt  werden,  welches 
für  die  Beurteilung  der  spinalen  Kinderlähmung  vorliegt.  Indem 
ich  diese  Einschränkung  vorausschicke,  werde  ich  hier  auf  Grund 
der  angeführten  Angaben  in  Kürze  auf  einen  Vergleich  der 
Lähmungsbilder  bei  der  akuten  Poliomyelitis  bei  Erwachsenen 
und  derselben  Krankheit  bei  Kindern  eingehen. 

In  21  Fällen  von  Poliomyelitis  anterior  acuta  des  Kindes- 
alters, von  denen  19  auf  der  Üniversitäts-Kinderklinik  zu  Helsing^ 
fors  in  der  zehnjährigen  Periode  1893 — 1902  beobachtet  wurden 
und  zwei  eigene  Beobachtungen  aus  dem  Jahre  1902  darstellen,, 
war  die  Lähmungsform  folgende: 

Initiallähmung: 

Rechte  untere  Extremität      . 5  Fälle   | 

linke  „  „  3      „      I  8  Fälle 

Beide  unteren  Extremitäten 6      „ 

Beide  unteren  Extremitäten,  linke  obere  Extre- 
mität, rechtes  Hypoglossus-  und  Facialisgebiet  1   Fall 

Rechte  obere  Extremität 3  Fälle  \ 

Unke  ,  „  1  Fall     (  *  ^^^ 


320         Lövegren,  Zar  KenDtnU  der  Poliomyelitis  aDterior  acuta 

Alle  vier  Extremitäten 1  Fall 

Linksseitiere  Hemiplegie 1     „ 

Bleibende  Lähmung: 

Rechte  antere  Extremität 5  Fälle   | 

linke  ,  „  4      .      r  ^'"^ 

Beide  unteren  Extremitäten 6       „ 

Beide  unteren  Extremitäten,  linke  obere  Extre- 
mität, rechtes  Hypoglossus  und  Facialisgebiet     1  Fall 

Rechte  obere  Extremität 3  Fälle   j 

linke  „  „ .     2      „      /  5  Fälle 

Lähmung  der  Rumpfmuskeln  war  in  keinem  dieser  Fälle 
beobachtet  worden.  In  einem  Falle,  der  einen  Knaben  von  6^/s 
Jahren  betraf,  trat  im  Beginn  eine  Lähmung  beider  Beine  und 
des  linken  Armes  und  zugleich  des  rechten  Hypoglossus  und 
Facialis  ein;  diese  Lähmung  verblieb  in  höherem  oder  geringerem 
Grade  in  den  ursprunglich  angegriffenen  Gebieten.  Einer  der 
Fälle  zeigte  anfangs  die  für  Poliomyelitis  ungewöhnliche  hemi- 
plegische  Form. 

Es  ist  offenbar  die  Monoplegie,  welche  in  obiger  Zu- 
äammenstellnng  sich  als  das  gewöhnlichste  erweist  (^/^  der  blei- 
benden Lähmungen).  Dieselbe  Erfahrung  hat  man  in  Bezug  auf 
die  spinale  Kinderlähmung  stets  und  überall  gemacht  [v.  Heine, 
Duchenne  iils,  Seeligmüller,  Leegaard,  Kirschbaum  (90), 
Johannessen  u.  A.]. 

Während  die  monoplegische  Form  bei  Kinderlähmung  am 
häufigsten  beobachtet  wird,  scheint  sie  bei  der  akuten  Polio- 
myelitis Erwachsener  kaum  vorzukommen  oder  zum  mindesten 
äusserst  selten  zu  sein.  In  den  von  mir  aus  der  Literatur  an- 
geführten Fällen  findet  sie  sich  gar  nicht.  Und  als  Initiallähmung 
findet  sie  sich  auch  in  den  vier  Fällen  aus  Hom^ns  Klinik  nicht. 
Nur  in  Beobachtung  III  hatte  die  bleibende  Lähmung  diese  Form. 

Aus  dem  vorliegenden  Material  geht  somit  hervor,  dass  die 
Lähmungen  bei  der  akuten  Poliomyelitis  Erwachsener  durchweg 
bedeutend  ausgebreiteter  sind  als  bei  Kindern.  Zugleich  hat  es 
den  Anschein,  dass  die  Tendenz  zur  Heilung  in  den  verschiedenen 
angegriffenen  Gebieten  im  allgemeinen  bei  Kindern  grösser  ist, 
als  bei  Erwachsenen. 

Was  die  Deformitäten  betrifft,  die  sich  bei  Kindern  so  häufig 
nach  abgelaufener  Poliomyelitis  ausbilden,  so  scheinen  sie  bei 
Erwachsenen    nur  selten  vorzukommen.     In    meinen   Fällen    fand 


uod  Mibftontft  »..  chroDiOH.  321 

mtiD  in  Beobachtung  1  die  scIjod  erwähnte  Deformität  der  Wirbel- 
säale,  welche  im  frühesten  Stadium  der  Krankheit  entstand.  Die 
Andeutung  einer  beginnenden  Kontraktur  in  der  Flexorengruppe 
des  einen  Unterschenkels  fand  sich  in  Beobachtung  III.  Im 
.abrigen  Hessen  sich  keine  Kontrakturen  nachweisen. 

In  den  von  verschiedenen  Verfassern  früher  beschriebenen 
Fällen  bei  Erwachsenen  wird  teils  ausdrucklich  angegeben,  dass 
Kontrakturen  fehlten,  teils  geht  aus  der  Beschreibung  hervor, 
dass  solche  nicht  vorhanden  waren.  Nur  in  einem  Falle  (Schnitze) 
bildete  sich  ehi  doppelseitiger  Pes  varo-equinus  aus.  In  einem 
anderen  (Strümpell  und  Barthelmes)  wurde  eine  Tendenz  zur 
Bildung  einer  Plantarflexionskontraktur  in  den  Fussgelenken  be- 
obachtet. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  nach  einer  Poliomyelitis  bei 
einem  Erwachsenen  die  Veränderungen  ausbleiben  werden,  welche 
sich  aus  einer  Hemmung  des  Wachstums  herleiten,  und  welche 
nach  einer  Kinderlähmung  oft  sehr  ausgeprägt  sind. 

Das  grosse  Verbreitungsgebiet  der  Lähmungen  und  der 
Atrophie  in  meinen  Beobachtungen  fuhrt  zur  Annahme  einer  weit 
ausgedehnten  Affektion  der  Vorderhörner  des  Rückenmarks  in  der 
Längsrichtung.  Nicht  ohne  Interesse  scheint  mir  der  Versuch, 
sich  für  die  beschriebenen  Fälle  auf  Grund  dessen,  was  wir  gegen- 
wärtig über  die  spinalen  motorischen  Zentren  wissen,  eine  Vor- 
^Stellung  über  die  wahrscheinlichen  Lokalisationen  dieser  Affektion 
zu   bilden. 

Ich  werde  hierbei  hauptsächlich  den  von  Leyden  und 
Goldscheider  (91)  tabellarisch  zusammengestellten  Angaben 
folgen,  zugleich  aber  auch  die  neuere  Zusammenstellung  Oppen> 
heims  (83)  berücksichtigen. 

In  Beobachtung  11  waren  sämtliche  Muskeln  der  linken 
Schulter  und  der  linken  oberen  Extremität  total  gelähmt.  Der 
poliomyelitische  Herd  muss  sich  somit  über  den  linken  Teil  des 
Hulsmarks  vom  III.  oder  IV.  CS  nach  unten  l)is  auf  das  I.  DS 
erstrecken. 

Die  anamnestische  Angabe  über  leichte  Respirations- 
beschwerden im  Beginn  der  Krankheit  würde  andeuten,  dass  die 
Läsion  im  Beginn  noch  etwas  weiter  über  die  oberen  Cervikal- 
segmente  (Scaleni,  Diaphragma)  verbreitet  war.  Die  fast  gleich- 
.massig  über  das  rechte  Bein  verbreitete  Parese  gestattet  nur  die 
Vermutung,  dass  sich  Residuen  im  mittelsten  und  unteren 
.Lumbaimark  und  vielleicht  dem  oberen  Sakralmark  finden. 

Juhrbnch  f.  Kiuderfaefllrande.    N.  F.    LXI,  Heft  2.  21 


322  Lövegren,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  a6uta 

In  Beobachtung  1  war  za  beiden  Seiten  der  grössere  Teil 
der  Bauchmuskeln  voliständig  gelahmt  und  der  untere  Teil  der 
Ruckenmuskeln  paretisch  —  VIII,  bis  XII.  DS.  Links  Lähmung 
des  Quadriceps  femoris,  der  Flexoren  des  Knies,  der  Dorsal- 
flexoren  des  Fusses,  der  Flexoren  der  Zehen  —  IV.  LS  bis  II.  SS:, 
Parese  des  Ileo-Psoas,  Lähmung  des  Sartorius,  Parese  der  Rota- 
toren  des  Hüftgelenks  nach  innen  —  I.  bis  III.  LS.  Die  Kerne 
der  übrigen  paretischen  Muskeln  befinden  sich  im  unteren 
Lumbal-  und  oberen  Sakralmarke.  Rechts  ist  der  Quadriceps 
femoris  gelähmt  —  IV.  LS.,  die  Muskeln  des  Hüftgelenks  sind 
paretisch  —  oberes  und  unteres  Lumbaimark.  Man  wurde  somit 
annehmen  dürfen,  dass  links  ein  poliomyelitischer  Herd  das  Dorsal- 
mark vom  VIII,  DS.  nach  unten  einnimmt  und  gleichzeitig  ein 
anderer  Herd  das  untere  Lumbaimark  sowie  in  geringerem  Grade 
das  obere  Lumbal-  und  obere  Sakralmark  betrifft.  Auf  der 
rechten  Seite  muss  sich  ein  Herd  über  das  Dorsalmark  vom 
VIII.  DS.  nach  unten  erstrecken  und  ein  zweiter  Herd  im  IV.  LS. 
befinden,  wobei  zugleich  andere  Teile  des  Lumbaimarks  leicht 
affiziert  sein  dürften. 

In  Beobachtung  III  dürften  sich  die  Veränderungen  über 
den  ganzen  linken  Teil  des  Lumbaimarks  und  auch  etwas  in  das 
obere  Sakralmark  hinein  erstrecken. 

In  Beobachtung  IV  deutet  die  Lähmung  auf  das  Bestehen 
leichter  Veränderungen  im  linken  Teile  des  Cervikalmarks 
Poliomyelitische  Herde  müssen  sich  im  Lunibalmark  befinden, 
und  links  wahrscheinlich  die  beiden  unteren  Lumbaisegmente, 
aber  auch  die  beiden  oberen  Sakralsegmente  umfassen,  rechts 
vermutlich  das  IV.  LS.  betreffen. 

Das  Verhalten  der  Reflexe  entspricht  gut  der  vermuteten 
Ausbreitung  der  Veränderungen  im  Rückenmarke  und  der  Vor- 
stellung, die  man  von  der  Lokalisation  der  spinalen  Ileflexzentren 
hat.  In  Beobachtung  III,  wo  angenommen  wurde,  dass  das 
Lumbaimark  auf  der  linken  Seite  in  seiner  ganzen  Höhen- 
ausdehnung affiziert  war,  fehlte  der  Cremasterreflex  (Zentrum  im 
oberen  Lumbaimark)  links  vollständig,  während  er  rechts  sehr 
deutlich  hervortrat.  In  den  Beobachtungen  I  und  IV,  in  denen 
das  obere  Lumbaimark  wahrscheinlich  frei  oder  nur  leicht  affiziert 
war,  liess  sich  ein  schwacher  Cremasterreflex  auslösen. 

Was  die  in  Beobachtung  IV  angegebenen  Symptome  von 
Seiten  der  linken  Pupille  angeht,  so  dürften  sie  wohl  als  Ausdrack 
einer  Parese  des  Dilatator  pupillae  zu  deuten  sein.     Die  Annahme 


und  subacuta  s.  chronica.  328 

liegt  Dahe,  doss  diese  Parese  aaf  poliomyelitischen  Yeränd eräugen 
im  linken  Teile  des  obersten  Dorsal-  und  unteren  Gervikalmarks 
(Centram  ciliospinale)  beruhte.  Ich  habe  bei  Poliomyelitis  keine 
Miosis  erwähnt  gesehen;  dass  sie  bei  einigen  anderen Kuckenmarks- 
«ffektionen  vorkommt,  ist  ja  bekannt.  Es  verdient  im  Zusammen- 
hange hiermit  bemerkt  zu  werden,  dass  sie  auch  in  einigen  Fällen 
von  progressiver  spinaler  Muskelatrophie  beobachtet  wurde  [nach 
Orasset  und  Rauzier  (92)]. 

Ein  bemerkenswertes  Verhalten  zeigte  Beobachtung  II  in 
Bezug  auf  den  Patellarreflex  der  linken  Seite.  Der  linke  Arm 
ist  völlig  gelähmt.  Das  linke  Bein  besitzt  eine  ungestörte 
Motilität,  aber  das  Eniephänomen  ist  hier  stark  gesteigert, 
während  es  rechts  normal  ist.  Diese  Erscheinung  ist  wohl  mit 
der  Lokalisation  des  grossen  poliomyelitischen  Herdes  im  Cervikal- 
mark  in  Verbindung  zu  bringen.  Wie  nicht  so  selten  beobachtet 
wurde,  geht  der  Prozess  in  einigen  Fällen  über  das  Vorderhom 
hinaus  auf  umgebende  Partien  des  Vorderseitenstranges  über. 
Zurückgebliebene  leichte  Veränderungen  nach  einer  solchen  Läsiön 
können  den  verstärkten  Patellarreflex  in  Beobachtung  II  erklären. 
Einen  ähnlichen  Fall  bei  einem  Kinde  hat  Schüll er  (93)  gesehen. 

In  Beobachtung  III  fand  sich  rechts  das  Babinskische 
Phänomen.  Dieser  seit  einigen  Jahren  bekannte  Reflex  ist  von 
mehreren  Forschern  [Oppenheim  (83),  Sc hoenborn  (94)  u.  A.] 
stets  für  eine  pathologische  Erscheinung  angesehen  worden. 

Babinski  selbst  (95),  Schoenborn  u.  A.  sind  der  Ansicht, 
dass  dieses  Symptom  pathognostisch  für  AfFektionen  der  Pyramiden- 
bahnen ist.  Richter  (96)  hat  jedoch  unzweifelhaft  nachgewiesen, 
dass  das  Babinskische  Phänomen,  wenngleich  sehr  selten,  auch 
in  Fällen  vorhanden  sein  kann,  wo  eine  Krankheit  des  Gehirns 
oder  Rückenmarks    mit  Sicherheit    ausgeschlossen   werden   kann. 

Wie  die  Erscheinung  in  Beobachtung  III  zu  deuten  ist, 
lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden.  Sie  fand  sich  auf 
der  rechten  Seite,  wo  früher  eine  Lähmung  des  Quadriceps 
femoris  bestanden  hatte.  Eine  Steigerung  der  Reflexe  im  übrigen 
war  nicht  zu  konstatieren.  Eine  Affektion  der  Pyramidenbahnen 
ist  sehr  unwahrscheinlich.  Vielleicht  gehört  dieser  Fall  zu  den 
wenigen,   wo   das  Phänomen  keine   pathologische  Bedeutung  hat. 

Ätiologische  Betrachtungen. 

Wie  früher  hervorgehoben  ist,  liegen  gegenwärtig  so 
vielfache  Grunde  für  die  Berechtigung  vor,  die  akute  Poliomyelitis 

21» 


324  LöTBgren,  Zar  Kenotnis  der  Poliomjeliti»  aoterior  acaU 

als  Infektionskrankheit  aufzufassen,  dass  in  dieser  Hinsicht  kaum 
noch  ein  Zweifel  herrschen  kann.  Die  Bakteriologie  hat  schon 
die  ersten  Eroberungen  aaf  dem  Wege  gemacht,  der  zur  Lösung 
der  Frage  nach  der  Art  dieser  Infektion  führen  wird.  Die  Be- 
dingungen ihres  Entstehens  kennt  man  nur  teilweise.  Aber  die 
Bedeutung  gewisser  Momente  ist  unverkennbar. 

So  vor  allem  die  Jahreszeit.  Die  Krankheit  beginnt  in 
der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  im  Sommer  und  Herbst. 
In  dieser  Zeitdes  Jahres  traten  die  in  der  Literatur  beschriebenen  Epi- 
demien auf  (die  Mandalsche  Epidemie,  die  beiden  Epidemien  in 
Stockholm,  die  Bratsberger  Epidemie).  Auch  die  weniger  aus- 
gesprochenen Epidemien  (Auerbach,  Zappert)  wurden  in  dieser 
Jahreszeit  beobachtet. 

Schliesslich  hat  man  in  Bezug  auf  die  gewöhnliche  sporadische 
Kinderlähmung  dieselbe  Erfahrung  gemacht  (Go wer s,  Johannes- 
sen,  Zappert  u.  A.)  Dieser  Umstand  ergibt  sich  auch  bei 
Prüfung  der  Falle  von  akuter  Poliomyelitis  im  Kindesalter,  welche 
mit  Ausnahme  zweier  eigener  Fälle  vom  Jahre  1902  auf  der 
Lniversitäts-Kinderklinik  in  Helsingfors  im  Dezennium  1893 — 1902 
beobachtet  wurden.  Unter  diesen  21  Fällen  konnten  in  17  sichere 
Angaben  über  den  Zeitpunkt  des  Beginns  der  Krankheit  erhalten 
werden. 

.    Dieser  entfiel  auf  den 

März— Mai  in    1    Fall 

Juni — August  in  9  Fällen 

September — November  in  6  Fällen 
Dezember — Februar  in  l  Fall 
Auch  bei  Erwachsenen  tritt  die  Krankheit  vorzugsweise  in 
der  warmen  Jahreszeit  auf.  Unter  den  von  mir  schon  früher  aas 
der  Literatur  angeführten  Beobachtungen  enthalten  11  zuverlässige 
Angaben  über  den  Zeitpunkt  der  Erkrankung.  Die  Krankheit 
begann  in  diesen  Fällen: 

Im  März — Mai  in   1  Fall 

im  Juni — August  in  4  Fällen 

im  September—November  in  4  Fällen 
im  Dezember — Februar       in  2  Fällen. 
In   den   von  mir  auf  der  Hom ansehen  Klinik  beobachteten 
Fällen  trat  die  Krankheit  auf: 

im  Juni  in  1  Fall 

im  August    in  2  Fälle 
im   Oktober  in   1    Fall. 


und  subacuta  s.  chronica.  325 

Stellt  man  diese  Fülle  mit  den  obigen  zusammen,  so  erhält 
man  fQr  15  Fälle  folgende  Angaben: 

März— Mai  l  Fall 

Juni— August  7  Fälle 

September — November    5  Fälle 
Dezember —  Februar       2  Fälle. 
Vier  Fünftel  sämtlicher  Fälle  traten  somit  im  Sommer  und 
Herbst  auf 

Als  prädisponierendes  Moment  für  die  Entstehung  einer 
akuten  Poliomyelitis  spielt  bekanntlich  das  Alter  eine  wesent- 
liche Rolle. 

Sowohl  in  den  vereinzelt  vorkommenden  Fällen  als  auch 
beim  epidemischen  Auftreten  der  Krankheit  ))esteht  die  weitaus 
grösste  Anzahl  derErgrifPenen  aus  Kindern  in  den  ersten  Lebens* 
Jahren.  Im  späteren  Kindesalter  ist  die  Krankheit  ungewöhnlich 
und  bei  Erwachsenen  äusserst  selten.  Soweit  mir  bekannt,  hat 
nur  Leegaard  (73)  andere  Erfahrungen  gemacht.  Während  der 
von  ihm  beschriebenen  Bratsberger  Epidemie  erkrankten  24 
im  Alter  unter  14  Jahren,  30  im  Alter  von  15 — 40  Jahren.  Wie 
Leegaard  hervorhebt,  sind  die  Angaben  in  Bezug  auf  die  meisten 
Fälle  aus  dieser  Epidemie  recht  unvollständig  und  unsicher. 
Leegaard  selbst  hatte  nur  vier  Fälle  gesehen,  diese  waren  sichere 
Poliomyelitiden.  Beim  Durchsehen  der  Beschreibungen  der 
einzelnen  Fälle  scheint  mir  ein  nicht  geringer  Teil  derselben 
ziemlich  bestimmt  das  Gepräge  von  Polyneuritiden  zu  tragen, 
während  andere  als  zweifellose  Poliomyelitiden  dastehen.  Es 
scheint  also,  als  ob  in  dieser  Epidemie  sowohl  Fälle  von  Polio- 
myelitis als  auch  von  Polyneuritis  vorgekommen  seien.  Bei  der 
Kenntnis,  die  wir  speziell  nach  den  Beobachtungen  Med  ins 
während  der  beiden  Stockholjner  Epidemien  von  der  ätiologischen 
Verwandtschaft  dieser  Affektionen  mit  einander  besitzen,  enthält 
diese  Vermutung  nichts  unwahrscheinliches.  Es  muss  im  Vor- 
äbergehen  erwähnt  werden,  dass  Leegaard  diese  Zusammen- 
gehörigkeit der  Poliomyelitis  und  der  Polyneuritis  nicht  teilt, 
sondern  letztere  für  eine  sowohl  klinisch  als  ätiologisch  von 
ersterer  abgegrenzte  Krankheit  hält.  Jedenfalls  muss  gesagt 
werden,  dass  die  Bratsberger  Epidemie  so  sehr  von  dem  abweicht, 
was  man  sonst  von  der  akuten  Poliomyelitis  kennt,  dass  die 
Erfahrungen  aus  ihr,  —  speziell  auch,  was  das  Alter  der 
Erkrankten  betrifft  —  nicht  ohne  weiteres  neben  dieses  Bild 
gestellt    werden  können.     Gleichwohl  ist  es  bemerkenswert,   dass 


LöYOgren,  Zur  Kenntnis  der  Poliomjelitis  anterior  acata 

Leegaard  (36),  der  eine  sehr  grosse  Erfahrung  in  diesen  Dingen 
besitzt,  aach  ausserhalb  dieser  Epidemie,  in  Bezug  auf  das  Alter 
ungefähr  dasselbe  Verhältnis  gefunden  hat.  Von  50  seiner  Fälle 
waren  19  unter  4  Jahren,  7  im  Alter  von  5 — 9  Jahren,  13  im 
Alter  von  10—19  Jahren  und  11  über  20  Jahre. 

Von  den  21  Fällen  aus  der  Helsingforser  LJniversitäts- 
Kinderklinik  waren  in  20  Angaben  über  das  Alter  bei  der  £r> 
krankung  zu  erhalten.  Diese  waren  auf  die  verschiedenen  Lebens- 
alter folgendermassen  verteilt: 


Alter 

Knaben 

Mädchen 

Summa 

l.    Jsihr 

l 

1 
1 

1 

2.       , 

3 

1             4 

"i 

8        . 

4 

4 

5        . 

1 

1             3 

4 

6.       . 

1 

; 

l 

7.       - 

1 

1 

8.       , 

1 

] 

13.       , 

l 

1 

Samma  12  8  20 

in  der  Mehrzahl  der  Fälle,  vier  Fünftel,  trat  somit  die 
Krankheit  im  Alter  unter  5  Jahren  ein,  drei  Fünftel  sämtlicher 
Fälle  kommt  auf  das  Alter  unter  3  Jahren ;  zwei  Fünftel  auf  das 
Alter  unter  2  Jahren. 

Die  obigen  Angaben  stimmen  fast  vollständig  mit  denen 
uberein,  die  Gowers  (84)  aus  einer  grossen  Statistik  erlangte. 
Andere  Beobachter  fanden  ihre  Fälle  am  allerhäufigsten  (*/,  oder 
*/s  sämtlicher  Fälle)  im  Alter  unter  2  Jahren. 

Das  Verhältnis  zwischen  der  Anzahl  erkrankter  Knaben 
und  Mädchen  betrug  3 : 2.  Dass  Knaben  häufiger  von 
der  Krankheit  angegriffen  werden,  ist  von  mehreren  Ver- 
fassern beobachtet  worden  [Seeligmüller,  Johannessen, 
Schiffer  (97)  u.  A.],  während  andere  (Laborde,  Leegaard^ 
Gowers  u.  A.)  fanden,  dass  Knaben  und  Mädchen  in  gleicher 
Weise  ausgesetzt  sind. 

Das  Alter,  in  welchem  die  akute  Poliomyelitis  bei  Er- 
wachsenen auftritt,  ergibt  sich  aus  folgender  Zusammenstellung 
von  18  Fällen,  von  denen  14  aus  der  Literatur  gesammelt  sind 
und  4  die  oben  beschriebenen  aus  der  Ilom^nschen  Klinik 
vorstellen. 


and  sabacata  ».  chronica.  •'^27 


16.       19.    Li 

ebensjal 

ire  2  M^ner 

1  Frau 

20.— 24. 

n 

6         . 

3  Frauen 

25.-29. 

» 

1  Mann 

1   Frau 

30.-34. 

V 

2  Munner 

— 

35.— 39. 

v 

1  Mann 

— 

40.— 44. 

ti 

— 

l  Frau 

12  Männer  6  Frauen 

Die  Hälfte  der  Fälle  kommt  somit  auf  das  Alter  von  19 — 2S 
Jahren.  Die  Anzahl  der  Männer  beträgt  zwei  Drittel  der  Gesamt- 
zahl  der  Erkrankten 

Die  Heredität  scheint  bei  der  Entstehung  des  Leidens 
keine  Rolle  zu  spielen.  Weder  die  Fälle  bei  Kindern  noch  die 
bei  Erwachsenen,  welche  als  Material  der  obigen  Zusammen- 
stellung dienten,  zeigten  irgend  etwas,  was  auf  erbliche  Belastung 
als  mitwirkendes  ursächliches  Moment  gedeutet  hätte.  Nur  in 
einzelnen  Fällen  fand  sich  Tuberkulose  in  der  Verwandtschaft, 
was  in  Anbetracht  der  Häufigkeit  dieser  Krankheit  nicht  anders 
zu  erwarten  war. 

In  Betreff  sonstiger  ursächlicher  Momente  findet  man  bei 
Prüfung  der  mir  zu  Gebote  stehenden  Fälle  recht  wenig  Anhalts- 
punkte. In  zweien  der  von  mir  beschriebenen  Fälle  ging  Er- 
kältung der  Erkrankung  voraus.  Unter  den  bei  Erwachsenen 
beobachteten  Fällen  in  der  Literatur  finde  ich  nur  einen,  wo 
dieses  Moment  angegeben  wird. 

Unter  meinen  21  Fällen  bei  Kindern  finden  sich  nur  zwei, 
bei  denen  eine  Infektionskrankheit  der  Poliomyelitis  voraus- 
gegangen war.  In  dem  einen  Falle  hatte  schon  zwei  Monate  lang 
Keuchhusten  bestanden;  im  anderen  hatte  das  Kind  zwei  Monate 
vorher  Masern  durchgemacht.  In  einer  eigenen  Beobachtung, 
die  einen  einjährigen  Knaben  betraf,  war  eine  Woche  vor  der 
Erkrankung  Vaccination  vorgenommen  worden.  In  dem  von  mir 
pathologisch-anatomisch  untersuchten  Falle  (s.  S.  69)  trat  die 
Poliomyelitis  im  Anschluss  an  eine  Pneumonie  ein.  Mehrere  der 
gewöhnlichen  Infektionskrankheiten  sind  von  den  Verfassern  als 
Vorgänger  der  Poliomyelitiden  angeführt  worden.  Kurzlich  haben 
Simonini  (98)  und  Leiner(99)  Fälle  beschrieben,  die  im  Anschluss 
au  Gelenkrheumatismen  aufgetreten  waren.  Derartige  Fälle  sind 
gleichwohl  im  ganzen  genommen  nicht  gerade  gewöhnlich, 
and  in  Anbetracht  der  grossen  Morbidität  im  Kindesalter  lässt 
sich  für  sie  sehr  wohl  ein  zufälliges  Zusammentreffen  denken 
oder  zum  mindesten  nicht  ausschliessen. 


828  Lövegren,  Zur  KenntDis  der  Poliomyelitis  anterior  acata 

Aach  in  Bezug  auf  die  akate  Poliomyelitis  bei  Erwachsenen 
ist  nar  ausnahmsweise  eine  vorhergehende  Infektionski  ankheit 
nachzuweisen.  In  einem  Falle,  bei  einem  28  jährigen  Manne,  war 
Gumpertz  (67)  der  Ansicht,  dass  eine  Typhasinfektion  der 
Poliomyelitis  zugrunde  lag.  Unter  meinen  Fällen  hatte  vielleicht 
in  Beobachtung  IV  einige  Tage  vor  Ausbruch  der  Poliomyelitis 
eine  Pneumonie  bestanden,  doch  ist  dies  allzu  ungewiss,  als  dass 
sich  daraus  eine  Schlussfolgerung  ziehen  Hesse. 

Soweitsichnachdemvorhandeoen  Material  urteilen  lässt,  scheint 
das  Entstehen  der  akuten  Poliomyelitis  eigentlich  nur  an  die 
Jahreszeit  gebunden  zu  sein  und  auch  das  nicht  gänzlich.  Das 
Alter  spielt  eine  wesentliche  Rolle.  Kinder  sind  der  Krankheit 
am  meisten  ausgesetzt,  alte  Leute  scheinen  von  ihr  verschont  zu 
sein.  In  der  Jugend  und  dem  mittleren  Lehensalter  scheint  die 
Disposition  gering;  gleichwohl  schützt  diese  Lebensperiode  nicht 
gänzlich  vor  der  Krankheit. 

Die  Infektion  —  spezifisch  oder  nicht  -  welche  mit  Not- 
wendigkeit als  Grundlage  einer  akuten  Poliomyelitis  vorauszusetzen 
ist,  scheint  somit  unter  den  erwähnten  Bedingungen  an  und  für 
sich  ansreichend  zu  sein,  um  die  Krankheit  hervorzurufen; 
wenigstens  lassen  sich  nur  in  vereinzelten  Fällen  Gelegenheits- 
ursachen nachweisen. 

Medin  (72)  und  Leegaard  (73)  schliessen  die  Möglichkeit 
nicht  aus,  dass  die  Krankheit  contagiös  ist.  Leegaard  hat  dalier 
sogar  die  Isolierung  der  Kranken  befürwortet.  Auf  welchem 
Wege  der  Ansteckungsstoff  in  den  Organismus  eindringt,  ist  uns 
unbekannt.  Bülow-Hanseo  und  Harbitz  (44)  lenkten  die 
Aufmerksamkeit  auf  die  hochgradigen  Veränderungen  det;  Darm- 
kanales,  welche  bei  der  Sektion  von  Fällen  aus  dem  akuten 
Stadium  auffallend  häufig  konstatiert  wurden.  Auf  Grund  dessen 
halten  diese  Verfasser  es  für  wahrscheinlich,  dass  zum  mindesten 
in  einem  Teil  der  Fälle  der  Darmkanal  die  Invasionsstelle  des 
Infektionsstoffes  ist.  Störungen  von  Seiten  dos  Digestions-» 
ap parates  finden  sich,  nach  mehreren  Verfassern,  nicht  ganz 
selten  vor  oder  während  einer  akuten  P9liomyelitis.  Wie  früher 
erwähnt,  war  schon  Underwood  hierauf  aufmerksam  geworden. 
Unter  den  21  Fällen  von  spinaler  Kinderlähmung,  die  ich  studiert 
habe,  fanden  sich  fünf,  in  denen  entweder  unmittelbar  vor  der 
Erkrankung  oder  etwa  eine  Woche  früher  Diarrhoe,  teilweise  im 
Verein  mit  Erbrechen,  aufgetreten  war.  Diese  Störungen  hielten 
eine  oder  zwei  Wochen  an  und   war^n    nur  in  zwei  Fällen  hochn 


nnd  Bttbftouta  8.  obronica.  329 

^radig.  Weder  in  den  Füllen  au8  der  Homensc-hen  Klinik 
noch  in  den  in  der  Literatur  beschriebenen  Fällen  bei  Erwachsenen 
sind  Darmstorungen  erwähnt.  Nur  in  drei  Fällen  kam  im  Beginn 
der  Krankheit  Erbrechen  vor. 

Obwohl  klinische  Beobachtungen  allein  nicht  zur  Aufklärung 
der  Frage  nach  der  Eingangspforte  des  Infektionsstoffes  genügen, 
so  kann  ihnen  gleichwohl  nicht  jeder  Wert  abgesprochen  werden. 
Nach  dem  Obigen  hat  es  den  Anschein,  als  ob  der  DarmkanaJ 
keine  Bedeutung  für  die  Entstehung  der  Poliomyelitis  Erwachsener 
hätte.  Was  die  Krankheit  bei  Kindern  betrifft,  so  lässt  sich  in 
einigen  Fallen  die  Möglichkeit  ein^  Infektion  durch  den  Darm- 
kanal  nicht  ausschliessen;  in  den  meisten  Fallen  findet  sich  gleich- 
wohl nichts,  was  hierauf  gedeutet  hätte.  Andere  Anhaltspunkte 
für  die  Beurteilung  der  Frage  liessen  sich  in  diesen  Fällen  auch 
nicht  auffinden.  Interessant  ist  jedoch  der  Fall  von  Sherman 
und  Spiller  (61),  einen  21  jährigen  Studenten  der  Medizin 
betreffend,  welcher  erkrankte,  nachdem  er  eine  Woche  vorher 
während  der  Sezierübungen  eine  Wunde  erhalten  hatte. 

Die  interessante  Frage,  welche  Bülow- Hansen  und 
Uarbitz  angeregt  haben,  lässt  sich  noch  nicht  entscheiden.  Dia 
von  diesen  Forschern  hervorgehobenen  Gesichtspunkte  verdienen 
y.weifellos  bei  zukünftigen  Untersuchungen  genau  beachtet  zu 
werden. 

Pathologisch-anatomische   Untersuchung   eines   Falles 

von   Poliomyelitis   anterior  acuta  gegen  Ende   des 

Reparations  Stadiums. 

E.  A.,  4jähriger  Schneiderssolin  aas  Pieksämäki;  aufgenommen  in  die 
vbirurgiscbe  Uuiyeraitätsklinik  zu  Helsingfors')  am  30.  VIII.  1903. 

Der  nicbt  erblich  belastete  Patient  war  gut  entwickelt  und  gesund  ge- 
wesen bis  zum  Alter  yon  zwei  tlabren,  wo  er  an  einer  Lungenentzündung 
erkrankte  und  sich  zwei  Monate  lang  unter  ärztlicher  Behandlung  befand. 
AU  Patient  von  dieser  Krankheit  genas,  wurde  eine  fast  völlige  Lähmung 
beider  Beine  beobachtet.     Diese  Lähmung  hat  seitdem  fortbestanden. 

Bei  der  Untersuchung  auf  der  Klinik  fand  man  folgendes:  Guter  All- 
gemeinznstand. Hechts  konvexe  Lumbal^koliose.  Der  Thorax  asymmetrisch, 
die  rechte  Seite  höher  als  die  linke.  Die  Muskulatur  der  unteren  Extremi- 
täten stark  atrophisch.  Pes  eqninns  bilateralis.  Das  linke  Bein  völlig  ge- 
lähmt.    Die  Zehen    des  rechten  Fusses  lassen  sich  ganz  unbedeutend  dorsal- 

^)  Der  Leiter  der  Klinik,  Professor  Dr.  Ali  Krogiu»,  hat  mir  freand«^ 
liehst  die  im  Krankenhause  verzeichnete  Krankengeschichte  zur  Verfügung 
Iteatellt.  aod  ich  erlaube  mir  hiermit,  üun  meinen  Dank  dafür  auszudrücken. 


330  Lövegren,  Zar  Kenntnis  der  Poiiomjelitis  anterior  atcata 

flektieren.  Im  rechten  Hüftgelenk  ist  eine  gerioge  Abdtiktion  und  Flexion 
möglich.  Die  Patellarreflexe  erloschen.  Die  Sensibilität  erbalten.  Die 
Muskeln  der  unteren  Extremitäten  reagieren  nicht  auf  den  faradischen 
Strom.  Defäkation  und  Urinieren  im  allgemeinen  angestört,  doch  geben 
mitunter  kleine  Mengen  Fäces  und  Urin  unfreiwillig  ab. 

Pat.  starb  am  20.  X.  1903  an  Bronchopneumonie  nach  Masern. 
Bei  der  am  22.  X.  im  pathologischen  Institut  vorgenommenen  Sektion 
wurde  n.  a.  folgendes  konstatiert:    Die  Muskulatar  der  unteren  Extremitäten 
I  hochgradig    reduziert,    insbesondere    links.     Die  Muskeln   von  blasser,    grau- 

I  gelber,    etwas  rötlicher  Farbe,  zum  grossen  Teil  in  Fett  umgewandelt.    Das 

subkutane    Fettgewebe    stark    entwickelt,    maskiert    dadurch    zum    Teil   die 
I  ftusserste  Atrophie  der  Muskeln.  Auch  die  Ilückenmuskeln  der  Lendenregion 

1  atrophisch.      Die    Nervenstämme    der    nnteren    Extremitäten    deutlich    yer- 

I  schmälert.    In    der   Pia    mater   der   Hirnkonvexität   reichliches  Ödem.    Von 

I  Seiten    der  RQckenmarkshäute  —  abgesehen    von   etwas  vermehrter  Blutfölle 

I  —  nichts  bemerkenswertes.     Spinalflushigkeit  von  gewöhnlicher  Menge.     Die 

vorderen  Wurzeln  im  Lumbalteile  äusserst  atrophisch,  die  zum  XII.  Dorsal- 
segment gehörenden  auch  bedeutend  verschmälert.  An  Querschnitten  dnrch 
das  Dorsal-  und  Lumbaimark  treten  keine  deutlichen  Yeränderunüen  hervor. 
Stücke  aus  verschiedenen  Höhen  des  Rückenmarks  wurden  mit  Alkohol, 
mit  Zenk erscher  Lösung  und  mit  Odmiumsäure  nach  Marchi  behandelt. 
Im  übritren  wurde  das  Rückenmark  und  das  verlängerte  Mark  in  Müller- 
scher Flüs.Higkeit  gehärtet.  In  Celloidin  eingebettet  wurden  der  ganze 
Sakral-  and  Lumbaiteil,  Stücke  ans  iedem  der  sechs  unteren  Dorsalsegniente, 
aus  dem  oberen  Dorsalmarke,  aus  dem  L — VIL  Cervikalsegmente,  wie  auch 
ans  drei  verschiedenen  Höhen  der  Medulla  oblongata.  Färbung  mit  Methylen- 
blau nach  Nissl,  mit  Hämatoxjlin,  mit  Hämatoxjlin-Pikrinsäure  nach  van 
GiesoUf  sowie  Hämatoxjlin- Markscheiden färbung  nach   Weigert. 

Zur  mikroskopischen  Untersuchung  wurden  auch  Stücke  des  N.  cruralis 
und  N.  ischiadicus  beiderseits  entnommen. .  Dieselben  wurden  iuMüllersche 
Flüssigkeit  gelegt,  auch  nach  Marc  bis  Methode  behandelt,  in  Celloidin 
eingebettet,  mit  Hämatoxylin  und  van  Giesons  Lösung,  sowie  nach  Weigert 
gefärbt. 

Ausserdem  wurden  auf  der  linken  und  rechten  Seite  Stücke  ans  den 
Kückenmuskeln  der  Lendenregion,  den  Mm.  psoas,  qnadriceps  femoris,  den 
Fioxoren  an  der  Hinterseite  der  Oberschenkel,  den  Wudenmuskeln  und  den 
Peronealmuskeln  entnommen.  Die  Muskeln  wurden  in  Formol-Müller  (Orth- 
sche  Mischung)  gehärtet,  in  Celloidin  eingebettet  und  mit  Ehrliche  saurem 
Hämatoxylin  und  nach  van  Gieson  gefärbt. 

Mikroskopischer  Befund. 
Vom  Rückenmark  und  verlängerten  Mark.  ^Betrachtet  man 
Querschnitte  vom  V.  LS ,  so  findet  man  hochgradige  Veränderungen  in  einem 
begrenzten  Felde  beider  Vorderhörner.  Links  ist  das  Feld  grösser,  betrifift 
den  vorderen  und  äusseren  Teil  des  Hornes  in  etwa  zwei  Dritteln  seiner 
Breite  und  erstreckt  sich  nach  hinten  bis  in  die  Basis  hinein.  Rechts  be- 
finden sich  die  Veränderungen  in  der  Spitze  des  Hornes  in  einem  ab- 
gerundeten Gebiet,  dessen  Durchmesser  ungefähr  die  Hälfte  der  Breite  des 
Hornes  beträgt.     In  diesen  Herden  sind  die  Ganglienzellen  zum  allergrössten 


and  sobacata  6.  ohronica.  331 

Teil  verschwanden.  Die  wenigen  zurückgebliebenen  sind  stark  verändert. 
Nach  Zenker  gehärtete  und  mit  MethylenbLn  gefärbte  Präparate  geben 
sehr  schöne  Bilder  der  Gangltenzellen.  Einige  haben  eine  abgerundete 
Form,  sind  ohne  Aasläufer,  besitzen  aber  einen  Kern,  der  peripher  liegt; 
die  Nissischen  Granula  sind  mehr  weniger  zerfallen.  Andere  zeigen  sich 
onr  als  eine  klumpige,  strukturlose  Masse.  Hier  und  da  sieht  man  in  den 
Herden  kleine  solitäre  Ganglienzellen,  die  recht  wohlerhalten  sind.  Vom 
Nerven fasernefz  ist  nur  noch  eine  geringe  Menge  feiner  Nervenfasern  yor- 
banden,  fast  alle  stark  varikös,  ein  Teil  in  reihenweise  angeordnete  Myelin- 
klumpen  zerfallen.  Das  Gliagewebe  liegt  so  fast  vollstäudig  entblösst.  Es 
ist  flecken  weise  etwas  aufgelockert,  fleckenweise  verdichtet,  in  letzterem 
Falle  meistens  mit  gleichzeitiger  Vermehrung  der  Gliakerne.  Mehrfach 
linden  sich  in  demselben  Lucken,  von  denen  ein  Teil  leer  zu  sein  scheint 
und  andere  je  ihre  mehr  weniger  stark  degenerierte  Nervenzelle  enthalten. 
In  einigen  dieser  kleinen  Hohlräume  fiodet  sich  zugleich  eine  Ansammlung 
körniger  Lymphe,  in  der  vereinzelte  runde  Zellen  beobachtet  werden,  yiel- 
fach  grösser  als  die  Gliakerne,  mit  teilweise  ungefärbtem,  teilweise  etwas 
schwach  gefärbtem,  unregelmässig  verteiltem,  körnigem  Inhalt  (Fettköruchen- 
zellen).  Die  Gefässe  sind  bedeutend  vermehrt  und  teilweise  hochgradig  er- 
weitert. Die  Gefässwände  zeigen  im  allgemeinen  keine  Verdickung,  nur 
ausnahmsweise  lässt  sich  eine  massige  Verdickung  nachweisen.  Die  peri- 
vaskulären Lympbräume  sind  hier  und  da  stark  erweitert  und  mit  körniger 
Lymphe  erfüllt,  in  der  nur  spärlich  kleine  Rundzellen  und  grössere  Zellen 
vorkommen,  welch  letztere  in  ihrem  Aussehen  an  Fettkörnchenzellen  erinnern. 
In  den  in  der  Umgebung  der  Herde  gelegenen  Partien  der  Vorder- 
hörner  sieht  man  einige  wohlerhaltene,  grössere  Nervenzellen,  andere  —  und 
sie  bilden  die  Mehrzahl  —  zeigen  mehr  weniger  ausgeprägte  degenerative 
Veränderungen.     Das  Nervenfasernetz  ist  auch  hier  etwas  gelichtet. 

Die  Zahl  der  myelinföhrenden  intramedullären  vorderen  Wurzelfasern 
ist  hochgradig  vermindert,  besonders  auf  der  linken  Seite.  Der  Vorder- 
leitenstrang  zeigt  in  der  Umgebung  des  Vorderhornes,  speziell  auf  der  linken 
Seite,  einen  deutlichen  Faserausfall,  im  übrigen  ist  die  weisse  Substanz  un- 
verändert.    An  den  Hinterhörnern  keine  nachweisbaren  Veräuderungen. 

Die  extramedullären  Vorderwurzeln  sind  äusserst  atrophisch  und  ent- 
halten nur  einige  wenige  myelinfuhrende  Nervenfabern;  speziell  sind  diese 
Veränderungen  auf  der  linken  Seite  im  höchsten  Grado  ausgeprägt. 

Die  zentralen  Gefässe  [Kadyi  (100]  sind  sowohl  in  dem  Suicus  medianns^ 
anterior  als  auch  besonders  in  den  Vorderhörnern  teilweise  stark  erweitert. 
Aber  auch  die  peripheren  Gefässe  zeigen  eine  merkbare  Erweiterung.  Die 
die  Gefässe  uiu gebenden  Lymphräume  sind  meist  stark  erweitert.  In  der 
Pia  stellenweise  Anzeichen  eines  leichten  Odems,  sonst  nichts  bemerkenswertes. 
Nissl- Präparate  eines  in  Alkohol  gehärteten  Stückes  vom  II.  LS. 
zeigen  wesentlich  dieselben  Bilder  der  Nervenzellen,  wie  oben  beschrieben. 
In  Marchi-Präparateu  vom  III.  LS.,  teils  ungefärbt  besichtigt,  teils 
nach  van  Gieson  geförbt,  treten  die  meistens  stark  gefüllten  perivaskulären 
Ljmphräume  in  den  Vorderhörnern,  im  Suicus  medianns  anterior  und  auch 
in  der  Umgebung  der  peripheren  Gefässe  besonders  deutlich  hervor.  In 
diesen  Lymphränmen    finden    sich  eine  Menge  Fettkörnchenzellen    und  auch 


^J82  LövegreD,  Zar  Kenotnis  der  Poliomyelitis  aoterior  acnta 

froie  Fettkörner.  Hier  nnd  da  sieht  man  in  den  Vurderburnern  eine  NerTan- 
xelle,  in  deren  perivasknlilren  Rfinmen  einige  Fetikörnubenxellen  liegen. 

Der  Herd  im  linken  Vorderliorne  erstreckt  siuh  nach  unten  bis  auf 
das  I.  SS.,  ist  aber  hier  schon  weniger  scharf  abgegrenzt.  Das  linke  Vorder- 
hörn  ist  in  diesem  Segment  im  ganzen  atrophiert.  Die  postero- externe 
Zellengrnppe  enthält  recht  zahlreiche  wohlerhaltene  Zellen.  Das  rechte 
Hörn  zeigt  im  oberen  Sakralmarke  keinen  eigentlichen  Herd  mehr;  die  Zeilen 
in  den  vorderen  Gruppen  sind  zum  grössten  TM  Terschwunden,  in  der 
postero-extorncn  Zellengrnppe  auch  hier  zahlreich  und  wohlerhulten;  das 
Nerven fusernetz  schon  weniger  rarefiziert  als  in  den  Lumbalsegmenten.  Die 
Vorderwnrzeln  sind  äusserst  stark  verändert;  links  findet  sich  nur  die  eine 
oder  andere  murkhultige  Nervenfaser,  rechts  ist  die  ZabP  derselben  etwas 
grösser.  Im  II.  SS.  findet  sich  weder  aaf  der  linken  noch  auf  der  rechten 
Seite  ein  deutlich  markierter  Herd.  Die  Nervenzellen  sind  spärlich  nnd 
meistens  atrophisch,  das  Nervenfaseroctz  etwas  gelichtet.  In  den  Vorder- 
wurzeln, besonders  links,  noch  ein  recht  bedeutender  Ausfall  mjel  in  führender 
Nervenfasern.  Im  unteren  Teile  des  Sakralmarks  und  im  Conus  medulUris 
keine  Veränderungen. 

Die  beschriebenen  Herde  im  V.  LS.  setzen  sich  nach  oben  bis  ins 
obere  Lumbaimark  hinein  fort.  Der  Herd  im  linken  Vordorhorne  hat  be- 
sonders im  IV.  LS.  eine  gross^e  Ausdehnung.  Der  Herd  im  rechten  Vorder- 
üorno  vermindert  sich  bedeutend  im  mittleren  und  oberen  Lumbalmarke. 
Im  I.  LS.  kann  nicht  mehr  von  abgegrenzten  Herden  die  Rede  sein.  Das 
Nerven fusernetz  der  Vordorhörner  i^t  hier  durchweg  rarefiziert,  Nervenzellen 
sind  weni^  vertreten  und  meistens  degeneriert.  In  den  Vorderseitensträngen 
FaserausfuU  in  der  Umgebung  der  Vorderhörner.  Die  Vorderwurzeln  sind 
gleich  den  übrigen  Teilen  des  Lumbaimarkes  sehr  arm  an  markhaltigen 
Nervenfasern.  Auch  die  Veränderungen  im  I.  LS.  sind  auf  der  linken  Seite 
hochgra<li;;er. 

Gleichartige  Veränderungen  wie  im  1.  LS.  lassen  sich,  wenngleich 
weniger  ausgeprägt,  auch  auf  beiden  Seiten  im  unteren  Teile  des  Dorsul- 
markes  bis  zum  VII.  DS.  hinauf  nachweisen.  Noch  in  den  oberen  Dorsal- 
segmenten erscheint  die  Anzahl  der  Nervenzellen  im  linken  Vordcrhonie 
etwas  reduziert.  Die  Gefussveränderungen,  die  schon  im  I.  LS.  recht  gering 
sind,  treten  im  Dorsalmark  fast  ganz  zurück.  Im  IV.  DS.  lassen  sich  in  den 
Vorderhörnern  mit  der  Marchischen  Methode  einige  Fettkörnchenzellen 
aufweisen.  Der  Zentralkanal  ist  überall  offen,  in  der  Umgebung  dessellten 
zeigt  sich  nirgends  etwas  bemerkenswertes. 

In  Weigert- Präparaten  vom  Dorsal-  und  Cervikaimark  sieht  man  im 
Seitenstrange  beidoräcits  ein  leicht  verblasstes  Feld,  welches  den  hinteren 
Teil  der  Seitenstranggrundbündel  einnimmt,  zugleich  aber  auch  umgebende 
Partien  des  Seitenstranges  betrifft.  In  diesem  Felde  ist  ein  geringer 
Nerven faseransfull  und  eine  gewisse  Sklerose  nachzuweitien.  Im  übrigen  zeigt 
das  Cervikaimark  normale  Verhältnisse. 

In  der  Medulla  oblongata  sind  keine  Veränderungen  nachzuweisen, 
namentlich  erscheinen  die  Pyraraidenbahnen  ganz  intakt. 

Periphere  Nerven.  Der  N.  eruralis  und  N.  ischiadicus  enthalton 
neben  einer  M««nge  normaler  Nervenbündel  einige  strophische,  in  denen  ein 
Teil  der  Nervenfasern  in  Fortfall  gekommen  ist.    Zwischen  den  verschiedenen 


and  tabAeato  s.  ehtonioa.  33«^ 

Mervenböndeln  findet  sioh  Fett  eingelagert    Verändernngen  im  interstitiellen 
Gewebe  lassen  sioh  sonst  niclit  nachweisen. 

Maskeln.  Sowohl  die  Rückenmaskeln  als  auch  die  Muskeln  der  unteren 
Extremitäten  zeigen  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  äusserst  hoch- 
gradige Veränderungen.  Hier  und  da  trifft  man  Gruppen  von  Muskelfasern 
an,  die  auf  Querschnitten  eine  polygonale  Form  und  normale  Grösse  besitzen. 
Die  überwiegende  Mehrzahl  der  Muskelfasern  ist  abgerundet  und  stark  ver- 
schmälert; in  Präparaten  von  den  Rückenmuskeln  begegnet  mau  stellenweise 
auch  hjpervoluminösen  Fasern.  Die  Muskelkerne  sind  meistenteils  ausser- 
ordentlich vermehrt,  so  dass  manche  Muskelfasern  zum  grössten  Teil  von 
ihnen  bedeckt  werden.  Nicht  selten  sieht  man  kleine,  von  Bindegewebe  be- 
grenzte Felder,  wo  von  der  Muskelsubstanz  nur  noch  eine  enorme  Anhäufung 
von  Kernen  erhalten  ist.  Vielfach  ist  die  Qnerstreifung  erhalten,  aber  an 
einem  grossen  Teil  von  Fasern  ist  sie  fleckenweise  oder  gänzlich  aufgehoben.. 
Einige  Fasern  sind  in  der  Längsrichtung  gespalten,  andere  in  der  Quer- 
richtnng  in  klumpige  Massen  zerfallen.  In  einigen  Präparaten  trifft  man 
Stellen,  wo  die  Muskelsnbstanz  in  eine  Detritusmasse  zerfallen  ist.  Die 
Bindegewebsbalken  sind  im  allgemeinen  recht  breit.  Überall  in  den  Muskeln 
ist  eine  ansserord entlich  reichliche  Menge  Fettgewebe  eingelagert,  mehrfach 
nimmt  es  den  grössten  Teil  des  Schnittes  ein,  so  dass  nur  hier  und  da 
dünne  Muskelbündelchen  in  dieser  mächtigen  Masse  verstreut  liegen.  Die 
Wände  der  intramuskulären  Blutgefässe  sind  teilweise  bedeutend  vordickt. 
Die  Verdickung  betrifft  sowohl  die  Media  als  auch  die  Adventitia.  Die  intra- 
muskulären Nerven  zeigen  einen  bedentenden  Faserausfall,  enthalten  aber 
doch  meistens  eine  nicht  ganz  geringe  Anzahl  dem  Aussehen  nach  normaler 
Fasern. 

Der  pathologisch-aDatomische  Befand  in  dem  oben  be- 
schriebenen Falle  stimmt  im  Mresentlicken  mit  dem  Qberein,  was 
Ton  einigen  früheren  Forschern  bei  der  akuten  Poliomyelitis  ih 
diesem  Stadium  gefunden  wurde. 

Klinisch  betrachtet,  ist  die  Krankheit  in  diesem  Falle  schon 
gänzlich  abgelaufen.  Die  pathologisch-anatomische  Untersuchung 
zeigt,  dass,  obgleich  eine  Zeit  von  2  Jahren  seit  dem  Eintritt  der 
Krankheit  verflossen  war,  der  Resorptionsprozess  im  Ruckenmark 
noch  nicht  zum  vollständigen  Abschlüsse  gelangt  war.  Mit  Hilfe 
von  Marchis  Methode  lassen  sich  noch  zahlreiche  Fettkörnchen- 
zellen nachweisen.  In  dieser  Hinsicht  entbehrt  der  Fall  nicht  des 
Interesses. 

In  einem  Falle  aus  demselben  Zeitpunkt  nach  dem  Auf- 
treten der  Poliomyelitis  konnten  Roger  und  Damascfaino  (25) 
das  gleiche  Verhalten  konstatieren. 

Der  leichte  Faserausfall  und  die  leichte  Sklerose  in  den 
Seitensträngen,  die  früher  von  Laborde  (16),  Charcot  und 
Joffroy  (21),  Rissl.er  (85)  n.  A.  nachgewiesen  wurden^  dürfen 
wohl    als    Folgen    ein^r    sekundären    Degeneration    longitudinal^r 


334  LöTegren,  Zur  KeoDtniB  der  Poliomyelitis  anterior  acata 

Kommissarenbahnen  and  vielleicht  teilweise  aach  einer  „retro- 
graden Degeneration^  za  den  Pyramidenbahnen  gehörender  Fasern 
gedeutet  werden. 

Das  Odem  in  der  Pia  steht  zweifellos  in  Zusammenhang  mit 
der  akuten  Krankheit,  die  den  Tod  verursachte. 

Die  degenerativ  atrophischen  Veränderungen  der  Muskeln 
sind  solche,  wie  sie  schon  von  mehreren  früheren  Autoren  und 
zuletzt  von  Lorenz  (101)  beschrieben  worden  sind.  Spezieller 
Erwähnung  verdienen  nur  die  hypervoluminösen  Fasern  in  den 
Ruckenmuskeln.  Diese  sind  hier  wohl  als  Ausdruck  einer 
kompensatorischen  Hypertrophie  zu  deuten. 

Aus  dem  oben  beschriebenen  pathologisch-anatomischen 
Befunde  des  Ruckenmarks  geht  hervor,  dass  sowohl  die 
parenchymatösen  als  auch  die  interstitiellen  Gewebselementeaffiziert 
waren.  In  den  abgegrenzten  Herden  sind  diese  Veränderungen 
beide  vorhanden.  Ausserhalb  der  Herde  werden  meist  nur  Ver- 
änderungen der  nervösen  Bestandteile  konstatiert;  ob  auch  hier 
früher  überall  interstitielle  Veränderungen  stattgefunden  hatten, 
lässt  sich  in  diesem  Falle  nicht  entscheiden,  der  schon  auf  der 
Orenze  des  Stadiums  der  stationären  Residuen  steht. 

Die  Beschaffenheit  der  'Herde  scheint  dafür  zu  sprechen, 
dass  sie  die  Folge  eines  sämtliche  Gewebe  betreffenden  Krank- 
heitsprozesses sind,  dessen  Ausdehnung  nicht  durch  die  Lage  der 
Ganglienzellengruppen  bestimmt  worden  sein  kann.  Die  Herd- 
grenze geht  stellenweise  quer  durch  eine  Ganglienzellengruppe, 
indem  sie  die  Zellen  in  ihrem  äusseren  Teile  fast  intakt  lässt, 
während  die  innerhalb  der  Herde  belegenen  Zellen  untergegangen 
sind.  In  den  Herden  ist  das  Nervenfasernetz  mehrfach  fast 
gänzlich  zerstört.  Es  kann  somit  nicht  die  Rede  davon  sein, 
dass  der  Ausfall  der  Nervenfasern  hier  nur  durch  den  Untergang 
der  Nervenzellen  verursacht  wäre.  In  den  Teilen  des  Rücken- 
marks, wo  die  Veränderungen  nicht  herdweise  begrenzt  sind, 
wird  nur  das  Fehlen  oder  die  Degeneration  einer  gewissen  An- 
zahl von  Ganglienzellen  aus  verschiedenen  Gruppen  in  den 
Vorderhörnern  konstatiert  und  eine  Rarefikation  des  Nerven- 
fasernetzes, welche  wohl  damit  in  Proportion  stehen  mag.  Wenn 
auch  hier  früher  ein  interstitieller  Prozess  bestanden  hat,  so  ist 
er  jedenfalls  leicht  gewesen,  da  er  keine  hervortretenden  Spuren 
hinterlassen  hat. 

Ob  die  Ganglienzellen  primär  affiziert  wurden  oder  ob  ein 
von  den  Gefässen  ausgehender  interstitieller  Prozess  sekundär  zu 


and  Bubacnta  s.  chronica.  335 

ihrer  Degeneration  oder  ihrem  gänzlichen  Untergange  führte,  lässt 
sich  auf  Grund  dieses  pathologisch-anatomischen  Befundes  nicht 
mit  Sicherheit  beurteilen.  Doch  scheint  es,  die  Herd  Veränderungen 
betreffend,  höchst  wahrscheinlich,  dass,  teilweise  wenigstens,  das 
letztere  der  Fall  gewesen  war.  In  Bezug  auf  die  ausgedehnten 
Veränderungen  in  den  übrigen  Teilen  des  Rückenmarks  lässt 
sich  eine  primäre  Granglienzellenaffektion  keineswegs  ausschliessen. 
Zur  Beantwortung  der  Frage  über  die  Art  der  primären 
Veränderungen  bei  der  akuten  Poliomyelitis  eignen  sich  selbst- 
verstäncllich  pathologisch-anatomische  Untersuchungen  aus  dem 
akuten  Stadium  am  besten.  Al>er  auch  die  hierbei  gemachten 
Befunde  geben  in  dieser  Hinsicht  nicht  volle  Klarheit.  Wie  aus 
meiner  früheren  Darstellung  dieser  Untersuchungen  hervorgeht, 
fanden  sich  im  akuten  Stadium  stets  gleichzeitig  sowohl 
parenchymatöse  als  interstitielle  Veränderungen.  Beim  Abwägen 
ihres  Verhältnisses  zu  einander  entschieden  sich  einige  Forscher 
zu  Gunsten  der  parenchymatösen  Veränderungen  als  der  wesent- 
lichen und  primären,  während  die  Mehrzahl  derselben  die  Gründe 
für  die  Annahme  eines  primären,  von  den  Gefässen  ausgehenden 
interstitiellen  Prozesses  für  mehr  weniger  entscheidend  hielten. 
Unantastbare  Schlüsse  in  der  einen  oder  anderen  Richtung  lassen 
sich  auf  Grundlage  des  gegenwärtig  vorhandenen  pathologisch- 
anatomischen Materials  nicht  ziehen.  Trotz  unserer  bedeutend 
erweiterten  Kenntnis  der  pathologischen  Anatomie  des  akuten 
Stadiums  stehen  wir  in  Bezug  auf  diese  pathogenetische  Frage 
noch  immer  auf  demselben  Standpunkte  wie  Roger  und 
Damaschino^). 

Mir  scheint,  Ernst  Schwalbe  (102)  hatte  vollgültige  Gründe, 
als  er  als  seine  Meinung  äusserte,  dass  diese  Frage  rein  morpho- 
logisch garnicht  zu  lösen  ist. 

.  Theoretisch  erscheint  ein  ursprünglich  von  den  Gelassen 
ausgehender  interstitieller  Prozess  recht  unerklärlich.  Man  wäre 
dann  genötigt,  bei  den  Gefässen  der  Vorderhörner  des  Rücken- 
marks einige  spezielle  Eigenheiten  vorauszusetzen,  welche  den 
Krankheitsprozess  veranlassen,  sich  gerade  hier  zu  lokalisieren. 
Soviel  man  weiss,  sind  gleichwohl  die  Gefässe  hier  ebenso  gebaut 
wie  an  anderen  Stellen.  Charcots  Hypothese  einer  primären 
Affektion  der  Ganglienzellen  ist  a  priori  bei  weitem  einfacher 
und    klarer.     Die    Ganglienzellen    sind    das   Spezifische    für    die 

«)  Vergl.  S.  16. 


3ät)  Ijövdgren,  Zar  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

Vorderhörner.  Die  ADDahme  liegt  daher  am  Dächsten,  dass  ein^ 
eloktiv  wirkende  Noxe  (Bakterien  oder  ihre  Toxine)  diese  Gewebs- 
«lemente  angreift,  welche  ein  physiologisch  and  anatomisch 
zusammengehöriges  System  bilden. 

Auch  Hie  klinische  Erfahrung  scheint  gewissermassen  die 
Fnige  über  die  Pathogenese  beleuchten  zu  können. 

Medin  (72)  hat  bei  Kindern  mehrere  Fälle  von  Poliomyelitis 
mit  gleichzeitiger  Polyneuritis  beobachtet.  Ein  solcher  Fall  ist 
auch  von  Gowers  (103)  beschrieben  worden.  Edwards  (85) 
hat  zwei  Fälle  bei  Erwachsenen  publiziert  (ßeob.  l  und  II),  die 
offenbar  dieser  Art  sind.  In  einem  meiner  Fälle  (Beob.  IV)  lag 
höchstwahrscheinlich  eine  mit  Neuritis  kombinierte  Poliomyelitis 
vor.  Derartige  Beobachtungen  scheinen  in  gewissem  Grade  darauf 
hinzudeuten,  dass  es  sowohl  in  den  Vorderhörnern  des  Rücken- 
markes als  auch  in  den  peripheren  Nerven  das  Parenchym  war, 
welches  das  bestimmende  Moment  für  die  Lokalisation  des  Krank- 
heitsprozesses bildete. 

Als  für  die  Möglichkeit  des  primär  parenchymatösen  Charakters 
der  Poliomyelitis  sprechend  lassen  sich  noch  die  fiuher  erwähnten 
Erfahrungen  der  experimentellen  Forschung  auf  diesem  Gebiete 
anfuhren  *). 

So  beachtenswei-t  diese  Gesichtspunkte  auch  erscheinen, 
einen  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  Charcotschen  Hypothese 
bilden  sie  selbstverständlich  nicht.  Doch  scheinen  sie  mir  zu  der 
Behauptung  zu  berechtigen,  dass  diese  geistreiche,  von  Rissler, 
V.  Kahlden  und  auch  von  Möbius  (104)  vertretene  Hypothese 
bis  auf  weiteres  noch   nicht  ad  acta  gelegt  werden  darf 

IL 
Poliomyelitis  anterior  subacuta  s.  chronica. 

Einleitende    Literaturubersicht. 

Wie  Duchenne  in  Bezug  auf  die  akute  Poliomyelitis  bahn- 
brechende Beiträge  geliefeii;  hat,  so  hat  dieser  scharfsinnige 
Beobachter  auch  in  der  Frage  der  subakuten  oder  chronischen 
•Poliomyelitis  klinische  Erfahrungen  von  grundlegender  Bedeutung 
gemacht.  Schon  im  Beginn  der  l850er  Jahre  hatte  Duchenne  (1) 
diese  Krankheitsform    klinisch    abgegrenzt,    namentlich  auch  von 


0  VercJ.  S.  29. 


und  subacuta  s.  chroniou.  387 

der  progressiven  Muskelatrophie,  nach  gleichzeitigem  vergleichen- 
den Stadium  beider.  Auch  für  diese  subakute  Form  suchte  er 
die  Ursache  in  einer  Affektion  des  Rückenmarks.  Trotz  des  nega- 
tiven Befundes  in  einigen  zur  Sektion  gekommenen  Fällen  hob 
er  1872  (2)  hervor,  dass  man  notwendig  annehmen  müsse,  das 
Wesen  der  Krankheit  liege  in  einer  Atrophie  der  Ganglionzellen 
der  Vorderhörner.  Es  sollte  jedoch  lange  dauern,  ehe  Duchennes 
Hypothese  von  der  pathologisch-anatomischen  Grundlage  seiner 
Paralysie  g^n^rale  spinale  ant^rieure  subaiguß  als  richtig  bewiesen 
wurde. 

Nachdem  Duchenne  diese  Krankheitsform  festgestellt  hatte 
wurden  erst  in  den  siebenziger  Jahren  von  anderen  Verfassern 
klioisch  beobachtete  Fälle  veröffentlicht,  und  das  Interesse  für 
dieselben  scheint  gerade  am  lebhaftesten  gewesen  zu  sein,  als 
die  Entdeckung  der  multiplen  Neuritis  drohte,  die  subakute 
Poliomyelitis  ihrer  Existenzberechtigung  zu  berauben. 

Vereinzelte  pathologisch-anatomisch  untersuchte  Fälle  wurden 
allerdings  schon  in  den  siebenziger  Jahren  veröffentlicht,  doch 
hielten  diese  der  Kritik  einer  späteren  Zeit  nicht  stand. 

Im  Jahre  1882  beschrieb  Eisenlohr  (3)  einen  Fall,  der 
hinsichtlich  seines  klinischen  Verlaufs  und  des  Befundes  von 
zirkumskripten  Veränderungen  am  Rückenmark  eine  Sonder- 
stellung einnimmt  und  nicht  als  typisch   betrachtet  werden  kann. 

Ein  anderer  Fall  wurde  einige  Jahre  später  von  Dresch- 
feld  (4)  veröffentlicht.  Bei  einem  36jährigen  Patienten  ent- 
wickelte sich  im  Laufe  von  drei  Jahren  allmählich  eine  Lähmung 
mit  nachfolgender  Muskelatrophie  aller  Extremitäten  und  des 
Rumpfes.  Keine  subjektiven  oder  objektiven  Sensibilitäts- 
störungen. Blase  und  Rektum  frei.  —  Bei  der  mikroskopischen 
Untersuchung  erwiesen  sich  die  vorderen  Wurzeln  und  die 
peripheren  Nerven  gesund.  In  den  Vorderhörnern  wurde  eine 
starke  Atrophie  der  Ganglienzellen  konstatiert,  stellenweise  fanden 
sich  auch  Körnchenzellen,  fettiger  Detritus  und  Deiterssche 
Zellen.  Die  Blutgefässe  in  der  Nähe  des  Zentralkanals  zeigten 
verdickte  Wände  und  eine  gewisse  perivaskuläre  Zelleniniiltration; 
in  der  Nähe  der  Gefässe  kleinere  Hämorrhagien.  Die  Seitenstränge 
zeigten  Sklerose  sowie  Blutgefässe  mit  verdickten  Wandungen  und 
perivaskuläre  Zelleninfiltration.  In  den  Vaguskernen  einige  atro- 
phische Zellen  und  eine  Hämorrhagie.  —  Die  Veränderungen  in 
den  Seitensträngen  scheinen  im  Dreschfeldschen  Falle  recht 
ausgeprägt    gewesen    zu  sein    und    durften    nicht    mit    Sicherheit 

Jfthrbnch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI,  Heft  2.*  22 


338  Lövegren,  Zar  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

nur  als  Ausdruck  einer  „retrograden  Degeneration"  gedeutet 
werden  können.  Insofern  ist  die  Reinheit  des  Falles  etwas 
zweifelhaft. 

Oppenheim  (5)  war  es  vorbehalten,  den  ersten  völlig  un- 
antastbaren Beweis  für  die  Richtigkeit  der  Duchenneschen 
Hypothese  zu  erbringen.  Im  Jahre  1888  veröfiFentlichte  er  einen 
sowohl  klinisch  als  pathologisch-anatomisch  ausserordentlich  gut 
beobachteten  Fall.  Er  betraf  eine  52jährlge  Frau,  welche  mit 
Schwäche  im  rechten  Arm  erkrankte;  diese  Schwäche  ergriflF 
nach  vierzehn  Tagen  das  linke  Bein  sowie  einige  Monate  später 
den  linken  Arm  und  das  rechte  Bein  und  steigerte  sich  allmählich. 
Die  gelähmten  Muskeln  wurden  atrophisch.  Schmerzen,  Par- 
ästhesien,  Störungen  von  Seiten  der  Blase  und  des  Mastdarms; 
Gehirnsymptome  fehlten  gänzlich.  Die  Lähmung,  welche  sich 
schliesslich  auch  über  die  Muskeln  des  Rumpfes,  Halses  und 
Nackens,  sowie  die  Kaumuskulatur  verbreitet  zeigte,  war 
schlaff  und  degenerativer  Natur.  Der  Exitus  trat  im  Au- 
schluss  an  einen  Erstickungsanfall  ein  drei  Jahre  nach  der  Er- 
krankung. —  Der  mikroskopische  Befund  von  Seiten  des  Rücken- 
marks bestand  in  einem  fast  totalen  Schwund  der  Ganglien- 
zellen der  Vorderhörner  in  allen  Höhen.  Die  noch  erhaltenen 
Zellen  waren  im  höchsten  Grade  verändert.  Die  Grundsubstanz 
bestand  aus  dichtgedrängten  Spinnenzellen  mit  sehr  zahlreichen 
Fortsätzen,  die  ein  starkes  Fasernetz  bildeten;  hier  und  da  freie 
Kerne,  an  den  Gefässen  keine  wesentliche  Veränderung.  Die 
Hypoglossus-  und  Accessoriuskerne  zeigten  in  ihren  untersten 
Abschnitten  eine  leichte  Atrophie.  Die  Hinterhörner  und  die 
Clark  eschen  Säulen  waren  normal.  In  den  Voi'derseitensträngen 
fand  sich  eine  ganz  unbedeutende  Atrophie  und  stellenweise 
geringe  Sklerose.  Auffallend  war,  dass  die  vorderen  Wurzeln 
und  besonders  die  peripheren  Nerven  nur  eine  geringe  Degeneration 
zeigten.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Muskeln  wies 
eine  beträchtliche  Entartung  auf,  die  sich  vornehmlich  durch 
bedeutende  Verschmälerung  der  Fasern  und  Kernwucherung  in 
denselben  charakterisierte  ohne  wesentliche  Veränderung  des 
interstitiellen  Gewebes.  Die  Querstreifung  war  in  den  meisten 
Fasern  erhalten,  in  vielen  wurde  aber  ein  körniger  Zerfall  des 
^luskelinhalts  konstatiert. 

Ein  anderer  klinisch  und  pathologisch- anatomisch  sorgfältig 
untersuchter  Fall  wurde  von  Nonne  (6)  beschrieben.  Bei  einer 
o6jährigen,    früher    gesunden    Frau    entwickelte    sich    allmählich 


und  snbacata  8.  chronica.  339 

eine  über  die  Extremitäten  und  teilweise  auch  den  Rumpf  und 
Hals  verbreitete  schlaffe,  degenerative  Lähmung  und  Muskel- 
atrophie. Keine  Sphinkterstörungen.  Sensibilitätsstörungen  fehlten 
bis  zu.  den  letzten  Monaten,  wo  massige  reissende  Schmerzen  in 
den  Oberarmen  und  Oberschenkeln  dazukamen.  Objektiv  waren 
keine  Sensibilitätsstörungen  nachzuweisen.  Die  Gehirn-  und 
Bulbärnerven  wurden  erst  im  letzten  Stadium  in  geringer  Inten- 
sität ergriffen.  Pat.  erlag  einer  Pneumonie  1^2  Jahre  nach  Be- 
ginn der  Krankheit.  Nonne  fand  in  den  vorderen  grauen 
Säulen  des  Ruckenmarks  die  Ganglienzellen  teils  verschwunden, 
teils  hochgradig  degeneriert  und  das  Nervenfasernetz  rarefiziert. 
Die  vorderen  Wurzeln  und  die  peripheren  Nerven  erwiesen  sich 
degeneriert.  In  den  Seiten-  und  Hintersträngen  fand  sich  eine 
gewisse  Faserrarefikation.  Der  Hypoglossuskern  war  etwas 
atrophisch. 

Oppenheim  (7)  beschrieb  1892  einen  Fall,  der  in  mehr- 
facher Hinsicht  eine  Sonderstelhmg  einnimmt.  Bei  einer  früher 
gesunden  35jährigen  Frau  entwickelte  sich,  während  sie  zum 
vierten  Male  schwanger  war,  eine  Parese  der  rechten  Schulter 
und  der  Muskulatur  des  Oberarmes,  der  hierauf  atrophisch  wurde; 
anfangs  leichte  subjektive  Sensibilitätsstörungen.  Ein  Jahr  später 
—  wieder  im  Änschluss  an  eine  Schwangerschaft  —  wurde  auch 
der  linke  Arm  ergriffen.  Die  Lähmung  schritt  hierauf  in  beiden 
Armen  fort  und  ergriff  auch  die  Nacken-  und  Halsmuskeln.  Keine 
ausgeprägten  Bulbärsymptome.  Die  Sensibilität,  die  Blasen-  und 
Mastdarmfunktion  waren  die  ganze  Zeit  über  völlig  erhalten.  Der 
Exitus  trat  infolge  einer  Bronchopneumonie  ein,  drei  Jahre  nach 
Beginn  der  Lähmung.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab 
u.  a.  folgendes:  Im  ganzen  Halsmark  sind  die  Ganglienzellen 
der  Vorderhömer  so  gut  wie  gänzlich  verschwunden,  die  wenigen 
übriggebliebenen  sind  äusserst  stark  verändert;  das  Nervenfaser- 
netz ist  hochgradig  rarefiziert.  Im  mittleren  Cer  vi  kaimark  geht 
die  Atrophie  noch  auf  den  vorderen  Teil  der  Hinterhörner  über. 
In  den  Vorderhörnern  einige  frische  Blutungen.  Ein  leichter 
Faserausfall  findet  sich  in  der  Umgebung  der  Vorderhörner.  Die 
vorderen  Wurzeln  atrophisch.  In  der  Höhe  der  Halsanschwellung 
scheinen  auch  die  hinteren  Wurzeln  leicht  degeneriert.  Die 
Atrophie  der  Vorderhörner  setzt  sich  auf  das  ganze  Brustmark 
fort.  In  den  Burdachschen  Strängen  findet  sich  im  Hals-  und 
Brustmark  ein  Degenerationsbezirk.  Im  Bulbus  wird  Degeneration 
der  Hypoglossns-    und   Accessoriuskerne    nachgewiesen.    —    Der 

22* 


341)  Lövegreu,  Zur  KunntDis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

klinische  Verlauf  ist  in  diesem  Falle  sehr  interessant.  Höchst 
bemerkenswert  ist  der  Befund  der  Veränderungen  in  den  Hinter- 
strängen und  den  hinteren  Wurzeln.  Er  lässt  sich  nicht  als  eine 
Folge  der  AflFektion  der  Vorderhörner  erklären,  welche  hier  deut- 
lich das  Dominierende  sind.  Oppenheim  hebt  die  Möglichkeit 
hervor,  dass  man  es  in  diesem  Falle  mit  einer  Art  kombinierter 
Systemerkrankung  der  Vorderhörner,  Hinterhöroer  und  Burdach- 
schen  Stränge  zu  tun   hat. 

Dutil  und  J.-B.  Charcot  (8)  teilten  einen  Fall  mit, 
welcher  einen  56  jährigen,  früher  gesunden  Mann  betraf,  der  von 
einer  in  den  oberen  Extremitäten  beginnenden,  dann  teilweise 
den  Rumpf  und  die  unteren  Extremitäten  angreifenden,  fort- 
schreitenden'Muskelschwäche  mit  nachfolgender  Atrophie  ergriffen 
wurde.  Stark  hervortretende  fibrilläre  Muskelzuckuugen.  Die 
Sensibilität  intakt.  Keine  Sphinkterstörungen.  Der  Exitus  trat 
2^/ IS  Jahre  nach  Beginn  der  Krankheit  infolge  von  Lähmung  dos 
Diaphragma  ein.  Auch  diese  Forscher  fanden  eine  auf  die  Vorder- 
hörner begrenzte  Ganglienzellenutrophie,  Rarefizierung  des  Nerven- 
fasemetzes,  Sklerose  der  Glia.  stellenweise  etwas  erweiterte 
Kapillaren,  vereinzelte  kleine  frische  Hämorrhagien.  In  den  antero- 
lateralen  Strängen  eine  ganz  leichte  Sklerose  und  unbedeutender 
Faserausfall.  Die  Wandungen  der  intramedullären  Arterien  —  nicht 
allein  in  den  Vorderhörnern,  wenngleich  in  diesen  vielleicht  mehr 
hervortretend  —  bedeutend  verdickt,  sodass  das  Lumen  vielfach 
hochgradig  verengt  ist.  Keine  Infiltration,  weder  in  den  Gefäss- 
Wandungen  noch  perivaskulär.  Die  vorderen  Wurzeln  zeigen  nur 
eine  geringe  Degeneration,  in  den  peripheren  Nerven  tritt  die- 
selbe stärker  hervor. 

In  einem  Falle,  einen  48jährigen  Mann  betreffend,  der 
3  Jahre  nach  dem  Beginn  der  fortschreitenden  Lähmung  starb, 
konstatierte  Ewald  (9)  neben  ausgeprägter  Atrophie  der  Ganglien- 
zellen der  Vorderhörner  und  einer  gewissen  Sklerose  ihrer  Grund- 
substanz ausgeprägte  vaskuläre  Veränderungen.  Die  Gefösse 
waren  in  den  Höhen,  wo  die  Veränderungen  des  Parenchym  am 
weitesten  fortgeschritten  waren,  bedeutend  erweitert  und  an- 
scheinend auch  vermehrt,  einige  zeigten  verdickte  Wandungen 
und  eine  Anhäufung  von  Kernen  in  ihrer  Umgebung.  Die  vorderen 
Wurzeln  waren  hochgradig  degeneriert.  Die  Pia  erwies  sich  in 
der  Länge  des  ganzen  Rückenmarks  erheblich  verdickt  mit  Kern- 
vermehrung und  praller  Füllung  der  zahlreich  vorhandenen  Gefasse. 

Bielpchowsky  (lO)  hat  einen    besonders   sorgfältig  unter- 


und  subacuta  8.  chronica.  341 

suchten  Fall  mitgeteilt,  wo  die  Gefäss Veränderungen  gleichfalls 
auffallend  waren.  Bei  einem  im  Alter  von  17  Jahren  verstorbenen 
Jüngling  hatte  sich  seit  seinem  9.  Lebensjahre  eine  langsam  fort- 
schreitende aufsteigende,  atrophische  Lähmung  der  Muskeln  sämt- 
licher Extremitäten,  des  Rumpfes,  Halses  und  Nackens  entwickelt. 
Bielschowsky  fand  in  den  Vorderhörnern  starke  Atrophie  der 
Ganglienzellen  und  dabei  das  Gliagewebe  stellenweise  etwas  ver- 
dichtet, im  hinteren  Teile  der  Vorderhörner  hingegen  mehrfach 
aufgelockert.  Die  Gefasse  waren  blutgefuUt  und  die  Wände  ver- 
dickt, das  Lumen  mehr  weniger,  mitunter  vollständig  verengt. 
Hier  und  da  zeigte  sich  die  Gefäss  wand  strukturlos,  homogen. 
An  mehreren  Stellen  zeigte  sich  in  der  Umgebung  der  Gefasse 
eine  spärliche  Ansammlung  von  Kundzellei).  Kleinere  und  grössere 
Blutungen  im  hinteren  Teile  der  Vorderhörner  wurden  in  ver- 
schiedenen Höhen  des  Rückenmarks  beobachtet.  Gefässverände- 
rungen  wurden  auch  in  den  Hinterhörnern  beobachtet,  aber  nicht  in 
demselben  hohen  Grade.  Die  vorderen  Wurzeln  waren  stark  degene- 
riert. In  den  atrophischen  Muskeln  wurde  gleichfalls  eine  Verdickung 
der  Gefiisswände    und  Verengerung    ihres   Lumens   nachgewiesen. 

Ein  Fall  mit  Gefässveränderungen  ist  auch  von  Grunow  (II) 
beschrieben  worden. 

Philippe  und  C  es  tan  (12)  teilten  auf  dem  internationalen 
medizinischen  Kongress  in  Paris  vor  vier  Jahren  zwei  Fälle  mit, 
die  pathologisch-anatomisch  durch  Atrophie  der  Vorderhornzellen 
sowie  eine  leichte  Sklerose  der  antero-lateralen  Stränge  charak- 
terisiert wurden.  Die  Atrophie  der  Nervenzellen  war  nicht  von 
Gefassveränderungen  abhängig,  sondern  kam  primär  vor.  Eine 
Polyneuritis  konnte  bestimmt  ausgeschlossen  werden.  Der  klinische 
V^erlauf  wurde  bezeichnet  durch  Lähmung  und  Muskelatrophie  mit 
fibrillären  Zuckungen,  EaR,  abgeschwächten  Reflexen,  Integrität 
der  subjektiven  und  objektiven  Sensibilität  sowie  der  Psyche, 
erhaltener  Funktion  der  Sphinkteren.  In  dem  einen  Falle  ent- 
stand die  Lähmung  in  den  proximalen  Teilen  der  unteren  Extremi- 
täten und  schritt  darnach  peripherwärts  fort;  später  wurden  dio 
Oberextremitäteu  auf  dieselbe  Weise  ergrifi*en.  In  dem  anderen 
Falle  setzte  die  Lähmung  in  den  Handmuskeln  ein  und  verbreitete 
sich  allmählich  über  die  Unterarme,  Oberarme,  Schultern  und 
den  Nacken.  In  beiden  Fällen  trat  der  Exitus  unter  bulbären 
Symptomen  ein,  in  dem  ersten  nach  neun,  in  dem  zweiten  nach 
sechszehn  Monaten. 


342  Lövegrea,  Zur  KeuutDi»  dtir  Polioaiyelilis  anterior  acuta 

In  der  Sociale  de  neurologie  berichteten  Raymond  und 
Philippe  (13)  im  Jahre  1902  über  einen  Fall,  der  einen 
52  jährigen  Patienten  betraf,  bei  welchem  sich  eine  in  den  Füssen 
und  Untersehenkeln  allmählich  beginnende,  dann  aufsteigende 
Lähmung  und  Muskelatrophie  entwickelte.  Die  bei  der  patho- 
logisch-anatomischen Untersuchung  gefundenen  Veränderungen 
bezogen  sich  auf  die  Ganglienzellen  der  Vorderhörner,  welche 
eine  bedeutende  Atrophie  zeigten.  In  den  vorderen  Wurzeln, 
den  peripheren  Nerven  und  Muskeln  fanden  sich  Veränderungen, 
welche  beide  Forscher  für  sekundäre  ansahen. 

Die  Zahl  der  untersuchten,  unumstösslichen  Fälle  von  Polio- 
myelitis anterior  subacuta  oder  chronica  ist  sehr  gering.  Aus 
dem  oben  Angeführten  geht  hervor,  dass  die  bei  dieser  Krankheits- 
form gefundenen  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  nicht 
in  allen  Fällen  gleichartig  waren.  Die  Krankheit  ist  auch  klinisch 
recht  wenig  studiert  worden,  und  ihre  Stellung  zu  gewissen  nahe- 
stehenden Kran kheits formen  ist  recht  unklar.  Im  folgenden 
werde  ich  auf  Grund  einer  klinischen  Beobachtung  und  eines 
pathologisch -anatomisch  untersuchten  Falles  versuchen,  einen 
Beitrag  zur  Kenntnis  dieses  seltenen  und  interessanten  Rücken- 
marksleidens zu  liefern. 

Klinische  Beobachtung. 

J.  B.,  54  jähriger  Scbiffskapitun.  Aufnahme  in  Prot'.  Hamens  Ncrven- 
klinik  am  2.  X.'  1903. 

Anamnese: 

Patient  ist,  so  viel  man  weiss,  nicht  neuropathisch  behistet.  Im  Alter 
von  25  Jahren  acquiriertc  er  Lues,  welche  unvollständig  behandelt  worden 
zu  sein  scheint;  hierauf  blieb  er  Symptomen  frei.  Mit  31  Jahren  machte  Pat. 
einen  besonders  schweren  Typhus  durch.  Nach  demselben  hat  er  zeitweise 
eigenartige  durcbschiessende  Empfindungen  längs  der  Wirbelsäule  gefühlt. 
Im  übrigen  ist  Pat.  im  allgemeinen  stets  gesund  gewesen.  Er  hat  ein  streng 
regelmässiges  Leben  geführt  und  nie  Alkohol-  oder  Tabaksmissbrauch  ge- 
trieben.    Er  ist  verheiratet  und  hat  zwei  gesunde,  erwachsene  Kinder. 

Anfangs  Dezember  1902  hat  Pat.  mit  seinem  Dampfer  eine  besonders 
beschwerliche  Fahrt  gehabt.  Er  hatte  drei  Tage  lang  in  keinem  ordentlichen 
Bette  geschlafen,  sondern  in  Kleidern  nur  einige  Stunden  geruht.  Als  er 
am  6.  Dezember  im  Hafen  anlangte,  hatte  er  fünfzehn  Stunden  lang  ununter- 
brochen selbst  das  Kommando  geführt  und  sich  in  der  ungewöhnlich  strengen 
Kälte  (200— 250C.)  auf  Deck  aufgehalten.  Dabei  war  er  in  einen  kurzen  Pelz 
gekleidet,  der  über  der  Brust  oflfen  stand,  und  darunter  hatte  er  nur  eine 
Weste  und  das  Hemd.  In  den  nächstfolgenden  Nächten  bemerkte  Pat. 
kleine  Zuckungen    in    mehreren  Muskeln    des  Körpers.     Am  Tage  war  er  in 


und  subacuta  s.  chronica.  343 

Boweflran)^  ohne  andere  Beschwerden  als  eine  allgemeine  Mattigkeit.  In  der 
Nacht  gegen  den  8.  oder  9.  Dezember  stellte  sich  ein  im  ganzen  recht 
gelinder  Schmerz  im  Kreuz  ein,  der  «sich  später  nur  zeitweilig  etwas  steigerte. 
Pat.,  der  in  diesen  Tagen  auch  von  Frostschauern  belästigt  wurde,  legte  sich 
gleichwohl  nicht  zu  Bett  nud  erhielt  keine  eigentliche  Behandlung.  Der 
leichte  Schmerz  dauerte  den  Frühling  hindurch  bis  in  den  Sommer  hinein 
fort  ond  Terschwand  dann  altmählich. 

Im  Frühling  1908  trat  in  den  Bewegungen  des  rechten  Knies  eine 
alimählich  zunehmende  Schwäche  im  Verein  mit  recht  lebhaftem  Muskel- 
zittern im  Oberschenkel  auf,  ohne  dass  Pat.  näher  angeben  kann,  wann  diese 
Störung  ihren  Anfang  nahm.  Gegen  Ende  Mai  bemerkte  Pat.,  dass  der 
rechte  Oberschenkel  bedeutend  schmäler  geworden  war  als  der  linke.  Im 
Laufe  des  Sommers  wurde  bemerkt,  dass  die  stetig  zunehmende  Schwäche 
des  rechten  Oberschenkels  auch  auf  den  Unterschenkel  überging.  Im  Spät- 
sommer wurde  das  linke  Bein  ganz  auf  dieselbe  Weise  ergriffen.  Gegen 
Ende  September  wurde  eine  unbedeutende,  dann  etwas  zunehmende  Schwäche 
zugleich  mit  kloinen  Muskelzuckungen  im  rechten  und  etwa»  später  auch  im 
linken  Arme  beobachtet.  In  letzter  Zeit  hat  Pat.  das  Gefühl  lebhafter  kleiner 
Znckangen  in  den  Seitenpartien  der  Bauchmuskeln  gehabt. 

Pat.  hat  bis  jetzt  ohne  Stütze  gehen  können,  wenngleich  mit  Schwierig- 
keit; speziell  war  das  Treppensteigen  äusserst  beschwerlich.  Er  hat  bis  zum 
Tage  seiner  Aufnahme  in  die  Klinik  seinen  Dienst  versehen. 

Pat.  hatte  Ärzte  zo  Rate  gezogen  und  war  mit  verschiedenen  inneren 
Heilmitteln  behandelt  worden,  jedoch  ohne  merkbaren  Erfolg. 

Im  ganzen  Verlauf  der  Krankheit  hat  Pat.  nie  Schmerzen  oder  un- 
gewöhnliche Empfindungen  in  den  Extremitäten  verspürt,  keine  Kopfschmerzen 
gehabt,  keine  Beschwerden  beim  Kauen  oder  Schlucken,  keine  Kespirations- 
beschwerden,  keine  Störungen  von  Seiten  des  Digestionsapparates,  keine 
Defäkations-  oder  Blasenstörungen. 

Pat.  ist  vor  der  Erkrankung  eine  lange  Zeit  keinerlei  Trauma  aus- 
gesetzt gewesen. 

Status  im  November  1903. 

Pat.  ist  von  etwas  schwächlichem  Körperbau,  der  Ernährungszustand 
anter  mitteimässig.  Gesichtsfarbe  blass.  Die  Haut  der  Extremitäten,  speziell 
der  unteren,  kühl:  sonst  an  derselben  nichts  bemerkenswertes. 

Temperatur  normal.  Puls  regelmässig,  recht  gut  gefüllt,  von  gewöhn- 
licher Frequenz.     Die  Wand  der  Radialarterie  weich. 

An  den  Brust-  und  ßauchorganen  normale  Befunde. 

Die  Gemütsstimmung  deprimiert.  Die  Erregbarkeit  gesteigert.  Auf- 
fassung klar.     Gedächtnis  recht  gut. 

Im  Funktionsgebiete  der  Cerebral  nerv  on  keine  Störungen. 

Die  Sprache  fehlerfrei. 

Pupillen  von  gleicher  Grösse,  mittel  weit,  reagieren  gut  auf  Lichteinfall. 

Die  Muskulatur  der  Arme  schwach.  Sämtliche  Bewegungen  der 
Schulter-,  Ellenbogen-,  Hand-  und  Fingergelenke  mit  verminderter  Kraft  aus- 
führbar. Ab  and  zu  fibrilläre  Zuckungen  im  Thenar  und  den  Muskeln  des 
Unterarms,  besonders  links. 

In  den  Muskeln  des  Rumpfes  ist  keine  Atrophie  zu  bemerken, 
anch  lassen  sich  objektiv  keine  fibrillären  Zuckungen  nachweisen.    Pat.  setzt 


844  Lövegreii,  Zar  KebntDis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

sich  mit  geringer  Stütze  der  Arme  recht  leicht  im  Bette  auf.  Es  wird  ihm 
schwer,  aus  nach  vorne  gebeugter  Stellung  den  Rucken  zu  strecken. 

An  den  unteren  Extremitäten,  ist  die  Muskulatur  an  beiden  Ober- 
schenkeln, speziell  der  Quadriceps  femorts,  bedeutend  atrophisch.  Tn  der- 
selben zeitweise  fibrilläre  Zuckungen.  Auch  die  Muskeln  ao  der  vorderen 
äusseren  Seite  des  rechten   Unterschenkels  merkbar  atrophisch. 

Aktiv  wird  im  Hüftgelenk  beiderseits  eine  kräftige  Extension  aus- 
geführt; die  Flexion  ist  schwach,  besonders  rechts. 

In  den  Kniegelenken  sind  die  Bewegungen  rocLt  schwach,  speziell 
die  Extension  auf  der  rechten  Seite. 

Im  rechten  Pussge lenke  ist  nur  die  Plantarflexion  recht  kr&ftig. 
Dorsalflexion,  Tibial-  und  Tibularflexion  nahezu  aufgehoben.  Plantar-  und 
Dorsalflexion  der  Zehen  erhalten. 

Im  linken  Fussgelenke  wird  kräftige  Plantarflexion  ausgeführt,  auch 
die  Dorsal-,  Tibial-  und  Fibularflexion  recht  gut.  Die  Zehen  werden  dorsal- 
und  plantarflektiert. 

Nirgends  Muskelspannung.  Alle  passiven  Bewegungen  frei  und  nicht 
mit  Schmerzen  verbunden. 

Sehnen-  und  Periostreflexe  an  den  Armen  nicht  nachweisbar. 
An  den  Bauchdecken  treteu  keine  Reflexe  hervor. 

Gremasterreflex  auf  beiden  Seiten  vorhanden.  Patellarreflexe  erloschen. 
Plantarreflexe  nicht  hervortretend. 

Auf  den  Nervonstämmen  nnd  Muskeln  ist  nirgends  eine  patholot^ische 
Druckempfindlichkeit  vorhanden. 

Die  Sensibilität  überall  für  alle  Keizqualitäten  völlig  erhalten,  des- 
gleichen das  Lagegefühl. 

Der  Gang  ist  fltark  paretisch  ohne  eine  Spur  von  spastischen  Phäno- 
menen oder  Ataxie. 

Pat.  wurde  mil  Bädern,  Massage  und  Elektrizität  behandelt.  Die 
Schwäche  in  den  Beinen  und  auch  in  den  Armen  nahm  in  den  ersten 
Monaten  des  Aufenthalts  in  der  Klinik  ganz  unbedeutend  zu.  Gegen  finde 
Dezember  und  im  «lanuar  aber  trat  eine  entschiedene  und  recht  bedeutende 
Verschlimmerung  ein. 

Bei  der  Untersuchung  am  22.  II.  1904  Hess  sich  folgendes  kon- 
statieren. 

Der  Allgcmeinzustand  etwas  heruntergegangen.  Von  Seiten  der  Brust- 
and  Bauchorgaue  keine  Veränderungen.     Psyche  wie  vorher. 

Die  Funktionen  der  Cerebralnerven  auch  jetzt  ungestört. 

In  der  Schulterni  usk  ulatur  keine  Atrophie  zu  entdecken.  Die 
Stellang  der  Skapula  bei  Armbewegungen  auf  beiden  Seiten  normal.  Die 
Muskelreliefs  des  Oberarmes  sowohl  rechts  als  links  schwach  hervortretend. 
Am  rechten  Oberarme  ist  der  M.  triceps  von  auffallend  schlaffer  Konsistenz. 
An  den  Unterarmen  und  Händen  ist  die  Muskulatur  überall  schwach, 
besondere  Atrophie  gewisser  Muskeln  oder  Muskelgruppen  tritt  nicht  hervor. 
An  den  Unterarmen  und  im  Thenar  hin  und  wieder  fibrilläre  Muskel- 
zuckungen. 

Die  Bauchmuskulatur  erscheint  etwas  schwach.  Die  Rücken- 
muskeln paretisch.     Deutliche  Atrophie  dieser  Muskeln  ist  nicht  nachweisbar. 

An  beiden  Oberschenkeln  findet  sich  eine  hochgradige,  speziell  im 
Quadriceps    femoris  hervortretende  Atrophie;  das  Relief  des  Vastus  internus 


und  subacuta  8.  chronica.  ä4& 

gänzlich  yerwischt.  —  Am  rechten  Unterschenkel  tritt  im  M.  tibiali» 
anticus  und  auch  in  den  Peronealmuskeln  eine  recht  ausgeprägte  Atrophie 
henror.  Aach  die  Wadenmuskeln  erscheinen  etwas  atrophisch;  ihre^Konsistenz 
gleichwohl  reche  fest.  Am  linken  Unterschenkel  ut  der  M.  tibiali» 
anticus  etwas  atrophisch;  der  Umfang  der  übrigen  Muskeln  vielleicht  auch 
etwas  geringer  als  früher.  \u  den  Beinen  kommen  fibrilläre  Zuckungen 
Danmehr  sehr  selten  vor. 

Weder    in    den  oberen  noch   in  den  unteren  Extremitäten  Kontraktur. 
Sämtliche  passiven  Bewegungen  unbehindert  und  schmerzfrei. 
Umfang  des  Oberarmes  17  cm  oberhalb  dos  Olecranon    rechts  24,5 — 25,0  cm 
11    „  „  „  n  links     24,5-25,0     n 

„  „    Unterarmes   8     „    unterhalb    ^  ^  rechts  24,0  cm 

S     „  „  y,  r,  links     24,0     „ 

„  „     Oberschenkels    15    cm  oberhalb  der  Basis 

patellae  rechts  35,5     ^ 

Umfang    des  Oberschenkels   15  cm  oberhalb  der  Basis 

patellae  links     37,0     „ 

Umfang    des  Oberschenkels    10  cm  oberhalb  der  Basis 

patellae  rechts  34,5     „ 

Umfang    des  Oberschenkels  10  cm  oberhalb  der  Basis 

patellae  links     35,5     ., 

Umfang     des    Unterschenkels    (etwa     an     der    Grenze 

zwischen  dem  oberen  und  mittleren  Drittel  rechts  30,5     „ 

Umfang    des     Unterschenkels    (etwa    an     der    Grenze 

zwischen  dem  oberen  und  mittleren  Drittel  links     32,0     „ 

Die  aktiven  Bewegungen  der  oberen  Extremitäten  in  allen 
Gelenken  möglich.  Im  rechten  Schultergelenk  ist  die  Abdaktion  bis  zur 
Horizontalebene  und  Elevation  darüber  hinaus  schwächer  als  auf  der  linken 
Seite.  Im  rechten  Ellenbogengelenk  ist  die  Extension  bedeutend  schwächer 
als  am  linken  Arme.  Der  stärkste  mögliche  Händedruck  ist  auf  beiden 
Seiten  bedeutend  herabgesetzt  und  entschieden  geringer  als  bei  der  Unter- 
suchung im  November.     Er  beträgt: 

rechts  38  kg 
links     37  kg. 

Bewegungen  im  Hüftgelenk.  Rechts:  Flexion  äusserst  schwach,. 
Extension  recht  kräftig,  Rotation  nach  aussen  schwach,  Rotation  nach  innen 
unausführbar.  Links:  Flexion  recht  schwach,  Extension  kräftig,  Rotation 
nach  aussen  gut,  Rotation  nach  innen  fast  aufgehoben. 

Im  Kniegelenk.  Rechts  keine  Extension,  sehr  schwache  Flexion. 
Links  sowohl  Extension  wie  Flexion  ausführbar,  aber  sehr  schwach. 

Bewegungen  des  Fusses.  Rechts:  Plan tarflexion  recht  gut,  Dorsal-, 
Tibial-  und  Fibularflexion  aufgehoben.  Dorsal-  und  Plantarflexion  der  Zehen 
ausführbar,  recht  schwach.  Links:  Plan  tarflexion  recht  kräftig,  Dorsalflexion 
äusserst  unbedeutend,  Tibial-  und  Fibularflexion  möglich.  Die  Zehen  werden 
plantar-  und  dorsalflektierf 

Keine  Empfindlichkeit  über  den  Nervenstämmen  und  Muskeln.  Sehnen- 
reflexe, Hautreflexe  und  Pupillarreflexe  wie  früher. 

Die  Sensibilität  in  jeder  Hinsicht  völlig  erhalten,  desgleichen  das 
Liigegefühl. 

Pat.    kann    nunmehr    nicht    gehen    und  nur  mit  grösster  Schwierigkeit 


34(5 


Lovegreu,  Zar  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 


mit  Hälfe  der  Arme  aus  der  Häckenlage  in  sitzende  Stellung  sich  gleichsam 
heniufwinden.     In  den  Bewegungen  der  Arme  keine  Ataxie. 

Die'elektrische  Exploration,  wie  auch  die  übrige  Uotersuchaog 
wurde  durch  die  hochgradige  Ermüdbarkeit  des  Patienten  äusserst  erschwert 
und  konnte  daher  nicht  vollständig  ausgeführt  werden.  Der  elektrische  Be- 
fund war  folgender: 


Stintzings 
Normal- 
elektrode 


r     farad. 


Rechts 

galvan. 


farad. 


Links 

galvan. 


Indirekt: 
N.  crnralis 


N.  peroneus 


40  mm      Keine  Reaktion  bei  ,   80  mm      Keine  Reaktion  bei 


RA 


97  mm 
RA 


•2,5    MA;    stärkere!!      RA         2,5    MA;    stärkere 


Ströme  verträgt 
Pat.  nicht 

Erste  KaSZ 
0,75  M  A 


50  mm 
RA 


Ströme  verträgt 
Pat.  nicht 

Erste  KaSZ 
1,5  M  A 


Direkt; 
ML.  vastus 
externus 


M.  rectus 
femoris 


M.  tibialis 
anticus 


>1.  peroneus 
longus 


M.  gastrocne- 
mius  int. 


98  mm 
RA 


94  mm 
RA 


Keine  Re- 
aktion bei 
50  mm 
RA 


98  mm 
RA 


70  mm 
RA 


KaSZ  1,25  MA 

AnSZ  3,75  M  A; 

Kontraktionen 

rasch  und  kurz 

Ka  S  Z  2,5  M  A 

AnSZ  2,0  MA; 

Kontraktionen 

trägo 

Keine    KaSZ     bei 
4,0  MA;  AnSZ 
3,0  M  A;   Kontrak- 
tionen    ausgeprägt 
träge 

Ka  S  Z  2,0     M  A 

AnSZ  1,75  M  A; 

Kontraktionen 

träge 

liaSZ  1,25  M  A 

AnSZ   1,75  MA; 

Kontraktion,    nicht 

ganz  rasch  u.  kurz 


65  mm    ■     Ka  S  Z  3,0  M  A 
RA       ;    AnSZ  3.5  M  A.- 
Kontraktionen 
träge  . 

64  mm    1    Ka  S  Z  3,5    M  A 
RA       I    AnSZ  2,25  MA; 
!      Kontraktionen 
trüge 

.50  mm    -  KaSZ  2,75  MA 

RA      i  AnSZ  2,5    MA; 

(bündelw.  Kontraktionen 

Kontrak-  träge 

tionen) 

70  mm        KaSZ  3,25  MA 
RA         AnSZ  3,0    MA; 
Kontraktionen 
träge 

80  mm    i    KaSZ   1,5  MA 
RA      i    AnSZ  2,5  MA; 
I  Kontraktion,   nicht 
I  ganz  rasch  a.  kurz 


M.  triceps 
brachii 


80  mm 
RA 


Ka  S  Z  0.5  M  A 
AnSZ  2,0  MA; 

Kontraktionen 
rasch  und  kurz 


85  mm 
RA 


Ka  S  Z  0,5  M  A 

AnSZ  1,5  MA: 

Kontraktionen 

rasch  und  kurz 


uud  subacuta  s.  chronica.  34/ 

Put.  lag  beobachtuDgshalber  bis  zum  10.  Juni  1904  auf  der  Klinik. 
Seit  dem  Februar  verblieb  der  Zustand  wesentlich  unverändert.  Eine  Tendenz 
zum  Zurückgehen  der  Lähmung  oder  der  Atrophie  war  nicht  zu  spüren,  aber 
auch  kein  entschiedenes  Fortschreiten  derselben.  Schmerzen  oder  Par&sthesien 
kiiraen  nicht  vor. 

In  Kürze  zusammengefasst  enthillt  diese  Krankengeschichte 
folgendes:  Ein  54jähriger,  neuropathisch  nicht  belasteter  Mann, 
welcher  im  allgemeinen  sich  einer  guten  Gesundheit  erfreut  hat, 
wird  von  einer  allmählich  eintretenden  Schwäche  und  Atrophie 
der  Muskeln  des  rechten  Oberschenkels  und  darauf  des  Unter- 
schenkels ergriffen,  einige  Monate  später  werden  dieselben  Ver- 
änderungen um  linken  Beine  und  dann  auch  an  den  Armen  und 
dem  Rumpfe  beobachtet.  Die  Lähmung  ist  mit  fibrillären  Muskel- 
zuckungen verbunden.  Mit  Ausnahme  eines  schon  früher  nach  einer 
schweren  Erkältung  entstandenen  Schmerzes  im  Kreuz,  welcher 
später  wieder  verschwand,  finden  sich  keine  subjektiven  Sensi- 
bilitätsstörungen. 

Die  Lähmung  ist  schlaff.  Die  Atrophie  ist  au  den  unteren 
Extremitäten  besonders  hochgradig  in  den  proximalen  Teilen;  an 
den  oberen  Extremitäten  ist  sie  weniger  hervortretend  und  gleich- 
massiger  verbreitet.  Au  den  oberen  Extremitäten  werden  fibrilläre 
Muskelzuckungen  beobachtet.  Im  allgemeinen  wird  in  den  ge- 
lähmten Muskeln  ausgeprägte  EaK  nachgewiesen.  Die  Sehnen- 
reflexe sind  aufgehoben.  Die  Sensibilität  in  jeglicher  Hinsicht 
völlig  erhalten. 

Das  oben  gezeichnete  klinische  Bild  stimmt  mit  der  Be- 
schreibung überein,  die  Duchenne  von  seiner  Paralysie  spinale 
ant^rieure  subaigue  gegeben  hat.  Alles  scheint  dafür  zu  sprechen, 
dass  in  diesem  Falle  eine  Poliomyelitis  vorliegt.  In  differeutial- 
diagnostischer  Beziehung  kommen  in  Betracht  die  multiple  Neuritis, 
die  progressive  Muskelatrophie  und  auch  die  amyotrophische 
Lateralsklerose. 

Gegen  die  Annahme  einer  multiplen  Neuritis  lässt  sich 
hier  speziell  die  Lokalisation  der  Lähmung  und  der  Atrophie  an-r 
fuhren  wie  auch  das  Fehlen  subjektiver  und  objektiver  Sensi- 
bilitatsstörungen  in  den  Extremitäten  und  der  Druckempfindlich- 
keit über  den  Nervenstämmen.  Die  Bedeutung  dieser  Momente 
ist  früher  bei  der  Besprechung  der  akuten  Poliomyelitis  hervor- 
gehoben worden,  es  wird  daher  auf  das  dort  Angeführte  ver- 
wiesen. Gegen  eine  Polyneuritis  und  zugunsten  einer  Poliomyelitis 
spricht  ferner  ziemlich  bestimmt  das  Vorkommen  fibrillärer  Muskei- 
zuckungen.     Diese  finden  sich    so    gut    wie    nie  bei  Polyneuritis. 


348  Lövegren,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

Was  die  progressive  Muskelatrop  hie  betrifft,  so  lässt 
sich  auch  gegen  sie  die  Lokalisation  der  Lähmung  und  Atrophie 
anfuhren.  Bei  dieser  Krankheit  werden  bekanntlich,  gewöhnlich 
die  oberen  Extremitäten  (meist  zuerst  die  kleinen  Handmuskeln) 
ergriffen  und  die  unteren  Extremitäten  verbleiben  in  der  grossen 
Mehrzahl  der  Fälle  frei  oder  werden  erst  spät  ergriffen.  Nur  in 
seltenen  Ausnahmen  ist  eine  in  den  unteren  Extremitäten  be- 
ginnende Atrophie  beobachtet  worden.  Ferner  ist  bei  der  pro- 
gressiven Muskelatrophie  der  Verlauf  bedeutend  schleppender,  und 
die  Atrophie  geht  der  Lähmung  voraus. 

Von  einer  typisch  verlaufenden  amyotrophischen  Lateral* 
Sklerose  unterscheidet  sich  der  oben  beschriebene  Fall  vornehm- 
lich durch  das  Fehlen  spastischer  Phänomene,  durch  das  Er- 
löschen der  Sehnenreflexe  und  auch  durch  die  Lokalisation. 

Aus  dem,  was  die  objektive  Untersuchung  in  diesem  Falle 
an  die  Hand  gibt,  verdient  das  Verhalten  der  elektrischen  Reaktion 
besondere  Erwähnung.  In  den  gelähmten  Muskeln  liessen  sich 
im  allgemeinen  ausgeprägte  qualitative  Veränderungen  (träge 
Zuckungen,  An  S  Z  >  Ka  S  Z)  nachweisen.  Jedoch  nicht  in  allen. 
So  verlief  die  Reaktion  im  rechten  M.  vastus  externus  qualitativ 
und  im  Wesentlichen  auch  quantitativ  normal.  Die  Herabsetzung  der 
Erregbarkeit  stand  auch  nicht  immer  im  Verhältnis  zur  Funktions- 
störung. Derartige  Erfahrungen  machten  auch  Oppenheim  (5,  7) 
und  Nonne  (6)  in  ihren  durch  die  Sektion  beglaubigten  Fällen. 
Das  von  Rosenberg  (19)  betonte  Verhalten,  dass  bei  der  Polio- 
myelitis die  Reaktions Veränderungen  der  Muskeln  auf  den  elek- 
trischen Strom  parallel  gehen  mit  dem  Grade  ihrer  Funktions- 
störungen, ist  somit  bei  der  subakuten  oder  chronischen  Poliomyelitis 
nicht  als  durchgängig  zutreffend  anzusehen. 

Ein    pathologisch-anatomisch    untersuchter  FalP). 

D.  V.,  68  jähriger,  ehemaliger  Kutsclior.  AufDahme  iD8  Lazarett  des 
Helningforser  Armenhauses  am   10.  XL  1900. 

Anamnese:  Pat.  ist  uicht  nenropathisch  belastet.  Er  hat  sich  stets 
einer  guten  Gesandheit  erfreut.    Lues  wird  vorneiDt.    Nie  Alkoholmissbraach. 

Gegen  den  Fröhiing  1900  begann  Pat.  ohne  bekannte  YoranlassuDg 
eine  Schwäche    in    den  Händon    zu  empfinden,    die  sich  u.  a.  darin  äusserte^ 

>)  Dieser  Fall  ist  von  Herrn  Dozenten  Dr.  Jarl  Hag  eis  tarn  beob- 
achtet worden,  der  mir  die  Krankengeschichte  zur  Verfüguag  stellte  und 
das  pathologisch -anatomische  Material  zur  Untersuchung  überliess.  Ich  er- 
laube mir  nochmals,  Herrn  Dr.  Hawelstam  meinen  verbindlichen  Dank  dafar 
auszusprechen. 


und  subacuta  s.  chronica.  349 

<la8a  es  ihm  schwer  wurde,  sich  an-  und  auszukleiden.  Im  Anfang  des  Sommers 
bemerkte  er  eine  dann  allmählich  zunehmende  Abmagerung  der  Händo,  deren 
Kraft  stetig  im  Abnehmen  begriffen  war.  Gegen  den  Spätsommer  wurde  es 
Fat.  schwierig,  deutlich  zu  sprechen.  Etwas  später  gesellten  sich  Schling- 
beschwerden hinzu;  es  stellten  sich  während  des  Essens  leicht  Hustenanfälle 
«in.  Gegen  den  Herbst  hin  begannen  auch  die  Beine  sich  etwas  schwächer 
zu  zeigen. 

Blasenstörungen  kamen  nicht  vor. 

Fat.  war  weder  Erkältung  noch  Traumen  ausgesetzt  gewesen.  Er  hat 
28  Jahre  als  Kutscher  gedient  und  hierbei  die  Arme  und  Hände  viel  an- 
strengen müssen.  Sonst  war  seine  Arbeit  nicht  anstrengend  gewesen,  und  er 
hat  keinerlei  Entbehrungen  gelitten,  sondern  sich  verhältnismässig  gut  ge- 
standen. 

Status  im  November  1900:  Fat.  ist  äusserst  abgemagert.  Haut  und 
Schleimhäute  blass. 

Von  selten  der  inneren  Organe  nichts  Bemerkenswertes.  Harn 
eiweiss-   und  zuckerfrei. 

Gesichtsausdruck  schlaff,  gedrückt.  Die  Mundwinkel  etwas  herab- 
gezogen.    Die  Lippen  dünn,  können  nicht  zum  Ffeifen  gespitzt  werden. 

Die  Zunge  kann  vorgestreckt  werden,  sie  ist  auffallend  atrophisch 
und  schlaff.  Speichelsekretion  nicht  vermehrt.  Das  Gaumensegel  kontra- 
hiert sich  normal.  Die  Sprache  äusserst  undeutlich.  Das  Schinckcn  sehr 
erschwert,  im  Anschluss  daran  häufig  Hustenparoxysmen. 

Die  Stirn  wird  gerunzelt  und  die  Augen  normal  geschlossen,  im  übrigen 
—  ausser  den  oben  erwähnten  —  auch  keine  Störungen  im  Funktionagobiete 
der  Gerebrainerven. 

Die  Fupillen  reagieren  auf  Licht. 

Die  Muskulatur  der  Schultern,  Arme  und  Hände  stark  atrophisch 
und  schlaff.  Die  Atrophie  tritt  besonders  an  den  Händen  hervor,  wo  der 
Thenar  und  Hjpothenar  nahezu  geschwunden  sind.  Die  Finger  der  rechten 
Hand  sind  im  letzten  Interphalangealgelenk  flektiert,  sie  können  nicht  ge- 
streckt werden.  —  Die  Muskulatur  der  unteren  Extremitäten  gleichfalls  be- 
deutend reduziert,  schlaff;  eine  speziell  in  einzelnen  Muskeln  oder  Muskel- 
gruppen ausgeprägte  Atrophie  ist  nicht  vorhanden. 

Die  Sehnen-  und  Feriostreflexe  tfn  den  Armen  schwach,  aber 
deutlich  hervortretend.  DieFatellarreflexe  lebhaft,  erhöht.  Kein  Fussclonus. 

Die  Sensibilität  überall  völlig  normal. 

Die  Blasen funktion  ungestört. 

Der  Gang  ist  paretisch  ohne  spastische  Fhänomene.  Die  Füsse  werden 
beim  Gehen  hoch  gehoben. 

In  den  folgenden  Monaten  schritt  die  Lähmung  und  Muskelatrophie 
stetig  fort. 

Am  10.  Februar  1901  wurde  folgendes  verzeichnet:  Hochgradiger 
Verfall  der  Kräfte.  —  Die  Sprache  fast  unverstandlich.  —  Die  Respiration 
erschwert;  die  Halsmuskeln  werden  dabei  stark  gespannt,  desgleichen  der 
M.  pectoralis  major.  —  Fat.  hat  in  den  letzten  Tagen  kaum  etwas  Nahrang 
herunterschlucken,  auch  nicht  liegen  können,  da  sich  hierbei  Hustenparoxysmen 
«instellten.  —  Fat.  kann  nicht  ohne  Unterstützung  gehen,  er  hebt  dabei  die 
Fasse    hoch    vom    Boden.     Er    sitzt    und    geht  stark  vornüber  gebeugt;  der 


350         Lövegren,  Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

Kopf  kann  nicht  aufrecht  gehalten  werden,  sondern  sinkt  auf  die  Brust  hinab. 
Die  Nackenmuskeln,  sowie  beide  Mm.  deltoidei  äusserst  atrophisch. 

Am  17.  Februar  starb  Pat.  unter  den  Symptomen  von  Pneumonie. 

Die  Sektion  wurde  25  Stunden  post  mortem  im  pathologisch-anato- 
mischen Institute  vorgenommen. 

In  beiden  unteron  Lnngenlappen  fanden  sich  mehrere  bronchopneumo- 
nische  Herde. 

Am  Aortenbogen  fanden  sich  in  der  Intima  einige  kleine  sklerotische 
Flecke.  Im  übrigen  zeigten  die  Gefässe  —  auch  die  an  der  Hirnbasis  — 
keine  bemerkenswerten  Veränderungen. 

Die  atrophischen  Muskeln  an  den  Armen  von  einer  mehr  oder  weniger 
blassen,  roten  Farbe.     Die  Nervenstfimme  nicht  merkbar  verändert. 

Die  Ruckcnniarkshäute  von  gewöhnlicher  Beschaffenheit.  Die  Vorder- 
wurzeln im  Cervikal-  und  Dorsalmark  dünn,  von  gräulicher  Farbe.  Die 
Hinterwurzeln  unverändert.  Beim  Einschnitt  ins  IV.  DS.  findet  man  die 
rechte  graue  Vordersäule  desselben  zum  grösseren  Teile  von  einem  mit  dunner, 
fast  klarer  Flüssigkeit  erfüllten  Hohlräume  eingenommen.  Das  Cervikal-  und 
Lumbalniark  zeigen  in  Querschnitten  makroskopisch  nichts  Bemerkenswertes. 

Das  Ependym  in  den  Seiten  Ventrikeln  des  Gehirns  zeigt  flecken  weise 
ein  etwas  muttos  Aussehen.  Sonst  von  Seiten  des  Gehirns  und  seiner  Häute 
nichts   Bemerkenswertes. 

Behufs  mikroskopischer  Untersuchung  wurde  das  Rückenmark  in 
Zenkcrschcr  Flüssigkeit  gehärtet.  Zugleich  wurden  Stücke  des  Cervikal-, 
Dorsal-  und  Lumbaimarks  in  Alkohol  zur  Untersuchung  nach  Nissl  und  in 
Müllersche  Flüssigkeit  gelegt.  Die  Medulla  oblongata  wurde  in  Müller- 
scher Flüssigkeit  gehärtet,  mit  Ausnahme  des  unteren  Teiles  derselben, 
welcher  nebst  verschiedenen  Partien  der  Zentralwindungen  beider  Hirn- 
hemispbären  und  des  Lobulus  paracentralis  (die  motorischen  Zentren  für  das 
Gesicht,  die  Finger,  die  Hand  und  das  Bein)  zur  Untersuchung  nach  Nissl 
mit  Alkohol  behandelt  wurde.  In  Müllerscher  Flüssigkeit  wurden  gehärtet 
die  Nn.  ulnaris,  medianus,  tibialivS  und  peroneus,  bowie  verschiedene  Muskeln 
(Thenar,  Hypothenar,  die  Flexoren  und  Extensoren  der  Unterarme,  Biccps 
und  Triceps  brachii,  die  hinteren  Muskeln  der  Schenkel,  die  Peroneal-  und 
Wadenmuskeln).  —  Die  Einbettung  geschah  in  Celloidin. 

Für  das  zentrale  Nervensystem  kam  zur  Anwendung  Färbung  mit 
Methylenblau  nach  Nissl,  mit  Hämatoxylin,  mit  Hämatoxylin- Pikrinsäure 
nach  van  Gieson,  sowie  Weigerts  Hämatoxylin-Markscheidenfärbung.  Da- 
nebon wurden  einige  Schnitte  versuchsweise  nach  der  von  Rissler*)  an* 
gewandten  Methode  mit  Tannin-Eisenchlorid  gefärbt. 

Die  peripheren  Nerven  wurden  mit  Hämatoxylin,  mit  van  Gieson  scher 
Lösung  und  nach  Weigert  gefärbt. 

Für  die  Muskeln  wurde  Färbun^^  mit  van  Gieson  scher  Lösung  und 
mit  Ehrlichs  saurem  Hämatoxylin  benutzt. 

Mikroskopischer  Befund:  Rückenmark.  Im  Cervikal-,  Dorsal-, 
dem  unteren  Lumbal-  und  oberen  Sakralmarke  findet  sich  in  der  grauen 
Vordersäule    des    Rückenmarks    besonders    rechts    ausgeprägte   Atrophie    der 

1)  llissler,  John,    Nord.  med.  arkiv.     Bd.  XX.     No.  22.     S.  30. 


and  subacuta  s.  chronica.  ^JÖl 

Ganglienzellen    und    zugleich    in    gewissen  Höhen    hochgradige   Karefikation 
des  Nerven  fasern  etzes.  (S.  Taf.  I,  Fig.  1.) 

Die  Ganglienzellen  haben  zum  grössten  Teil  nicht  nur  ihre  normale 
Grösse,  sondern  auch  ihre  polygonale  Form  und  ihre  Struktur  verloren.  Sie 
sind  abgerundet,  ohne  Kern,  oder  wenn  siü  einen  solchen  besitzen,  so  ist  er 
h&ufig  peripher  gelegen.  Die  Tigroidsubstanz  ist  mehr  weniger  voUstäodig 
zerfallen;  meist  ist  dieser  Zerfall  im  Zentrum  der  Zelle  am  stärksten  aus* 
geprägt  (s.  Taf.  11,  Fig.  6).  Die  Ausläufer  der  Zellen  sind  meistens  ver- 
schwunden. In  verschiedenen  Höhen  des  Rückenmarks,  speziell  aber  in  der 
Cervikal-  und  Lumbalaoschwellung,  finden  sich  Ganglienzellen,  deren  Substanz 
teilweise  oder  gänzlich  in  Pigment  verwandelt  ist  (s.  Taf.  II,  Fig.  6 — 12). 
In  der  LumbalanschwcUung,  wo  sich  recht  zahlreiche,  zum  grossen  Teil 
wohlerhaltone  Ganglienzellen  finden,  sieht  man  in  vielen  derselben  neben 
einer  zierlich  gezeichneten,  normalen  Tigroidsubstanz  eine  Anhäufung  von 
Pigment. 

Die  Degeneration  der  Ganglienzellen  ist  nicht  in  allen  Höhen  de» 
Ruckenmarks  gleich  hochgradig  und  gleich  verbreitet.  In  den  beiden  oberen 
Cervikalsegmenten  finden  sich  neben  einer  grossen  Zahl  degenerierter  Zellen 
Uicht  wenige  von  normalem  Aussehen.  Vom  III.  CS.  abwärts  sind  die 
Veränderungen  stark  ausgeprägt.  Ausserordentlich  hochgradig  affiziert  sind 
speziell  das  VIII.  CS.  und  das  I.  DS.  Es  sind  auffallend  wenige  und 
kleine  Zellen  vorhanden,  die  meisten  haben  ihre  Ausläufer  und  viele  uiicb 
ihren  Kern  verloren.  Von  einigen  Zellen  ist  nur  eine  strukturlose,  klumpige 
Masse  zurückgeblieben. 

Die  Atrophie  ist  nicht  uut  eine  gewisse  Gruppe  von  Ganglienzellen 
beschränkt,  so  ädern  über  das  ganze  Vorderhorn  verbreitet;  gleichwohl  findet 
man,  dass  im  oberen  Cervikalmark  speziell  die  in  der  vordersten  Partie 
der  Vorderhurner  gelegenen  Zellen  angegriffen  sind,  während  im  unteren 
Cervikalmark  die  Atrophie  vorzugsweise  die  postero-ezternen  Teile  diese» 
Hernes  betrifft.  Zwischen  stark  veränderten  Zellen  sieht  man  hier  und  da 
vereinzelte  recht  wohl  erhaltene  (s.  Taf.  II,  Fig.  8).  Im  ganzen  Dorsalmark 
finden  sich  dieselben  Veränderungen,  wenngleich  etwas  weniger  ausgeprägt. 
Im  Lumbaiteile  sind  einigoZcllen  degeneriert  (s. Taf. II,  Fig.  U  u.  12),  die  meisten 
jedoch  wohlerhalteu.  So  findet  man  in  N  i s s  1  -  Präparaten  vom  III.  LS.  zahl- 
reiche, an  Grösse  und  Form  normale  Ganglienzellen,  in  denen  die  Niss Ischen 
Zellkörperchen,  Kerne  und  Ausläufer  keine  pathologischen  Veränderungen 
zeigen.  Die  Vorderhörner  des  oberen  Sakralmarks  sind  sehr  ;irm  an 
Ganglienzellen  und  die  vorhandenen  sind  zum  grössten  Teil  beträchtlich 
degeneriert. 

Die  Rarefikation  des  Nervenfasernetzes  tritt  speziell  im  Cervikalmark 
hervor,  wo  sie  in  der  Anschwellung  besonders  hochgradig  ist  (s.  Tafel  1, 
Fig.  1).  Auch  die  vordere  Kommissur  zeigt  mehrfach  und  speziell  im  Cer- 
vikalmark deatlichen  Faserausfall  (s.  Tafel  1,  Fig.  3). 

Von  anderen  Bestandteilen  der  Vorderhörner  verdienen  die  Gefässe 
besondere  Beachtung.  Eine  Gefäss Vermehrung  findet  sich  nur  im  IV.  l)S., 
dessen  Veränderungen  unten  beschrieben  werden,  sonst  nirgends.  Die  Gefäss- 
wände  sind  im  allgemeinen  nicht  verändert.  In  verschiedenen  Höhen  de» 
Rückenmarks  und  besonders  im  oberen  Dorsalteile  begegnet  man  indessen 
sowohl  in  den  Vorder-    als  in  den  Hinterhöinern    und   der  weissen  Substanz. 


362  Lövegren,   Zur  Kenntnis  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 

-einigen  kleineren  Gefässen,  deren  Wände  gleich  massig  verdickt  nnd  in  nach 
y.  Gieson  hergestellten  Präparaten  stark  rot  gefärbt  sind,  und  die  ein  fast 
strukturloses,  homogenes  Aussehen  zeigen.  In  der  Umgebung  dieser  Gefässe 
ist  die  Gliahülle  hier  und  da  aufgelockert  und  stellenweise  in  geringer  Ans- 
ilehnung  selbst  zerfallen.  Infiltration  in  den  Gefässwänden  oder  periTaskalär 
ist  nirgends  nachzuweisen.  Mehrfach  findet  sich  in  der  Umgebung  der 
befasse  eine  recht  beträchtliche  Ansammlung  körniger  Lymphe. 
^  Die  Vorderhörner  als  Ganzes   zeigen  im  allgemeinen  keine  merkbaren 

Veränderungen  in  Bezug  auf  Form  und  Grösse.  Im  VI.  DS.  weicht  gleich- 
wohl die  Form  der  beiden  Vorderhörner  insofern  von  der  Norm  ab,  als  der 
vordere  Teil  ihres  Caput  sehr  schwach  entwickelt  ist.  Im  übrigen  lassen 
sich  keine  für  diese  Homer  spezifischen  Veränderungen  nachweisen,  die  um- 
gebende weisse  Substanz  ist  normal. 

Im  IV.  DS.  befindet  sich  der  oben  erwähnte  Hohlraum  in  der  rechtea 
Vordersäule  (s.  Tafel  I,  Fig.  5).  Auf  Querschnitten  nimmt  derselbe  fast  das 
ganze  Vorderhorn  ein  und  greift  etwas  auf  die  Basis  des  Hinterhornes  hin- 
über. Die  Höhle  wird  so  gut  wie  überall  von  grauer  Substanz  begrenzt, 
welche  sie  wie  ein  schmaler  Saum  von  der  weissen  Substanz  trennt.  Nor 
stellenweise  ist  im  Bereiche  der  Höhle  die  graue  Substanz  völlig  ausgehöhlt, 
so  dasB  hier  die  Grenze  von  der  weissen  SubvStanz  gebildet  wird.  Der  noch 
erhaltene  schmale  Streifen  der  grauen  Substanz  ist  in  dem  gegen  die  Höhle 
gerichteten  Teile  etwas  aufgelockert  und  mehrfach  blutig  infiltriert.  Stellen- 
weise geht  die  Auflockerung  durch  die  ganze  Breite  des  Streifens.  An  vielen 
Stellen  bemerkt  mau  daselbst  überhaupt  keine  Auflockerung.  Es  sind  nur 
wenige,  stark  degenerierte  Nervenzellen  vorhanden,  die  Nervenfasern  erscheinen 
in  den  Präparaten  nur  als  kurze,  gleichsam  abgehauene  Stümpfe.  In  dem  Teile 
der  grauen  Substanz,  welcher  die  hintere  Partie  der  Höhle  zunächst  umgibt, 
finden  sich  im  wesentlichen  dieselben  Veränderungen.  In  der  Gegend  Tor 
dem  Zentralkanule  und  zu  den  Seiten  desselben  finden  sich  in  gewissen  Höhen 
dieses  Segments,  aber  nicht  in  allen,  einige  beträchtlich  erweiterte  Blnt- 
gefässe  mit  dünnen  Wänden.  Im  linken  Vorderhorne  sind  alle  Nervenzellen 
mehr  oder  weniger  hochgradig  affiziert  und  das  Nervenfasernetz  rarefiziert; 
die  Nervenfasern  treten  auch  hier  als  kurze,  gleichsam  abgehauene  Stümpfe 
hervor.  In  diesem  Hörne  sind  die  Gefässe  deutlich  vermehrt,  speziell  gegen 
die  Basis  hin,  wo  sich  auch  einige  kleine  frische  Blutungen  finden.  £inige 
der  Zellen  in  den  Clark  eschen  Säulen  zu  beiden  Seiten  sind  degeneriert, 
die  meisten  erscheinen  normal.  Von  den  solitären  Zellen  der  Hinterhörner 
ist  ein  Teil  leicht  degeneriert.  —  In  den  Hinterhörnern  hier  und  da  ein 
grösseres,  erweitertes  Blutgefäss  mit  dünnen  Wänden,  sowie  vereinzelte 
kleine,  frische  Blutungen.  Die  Wände  der  kleineren  Gefässe  sind  in  diesem 
Segment,  wie  auch  sonst  stellenweise  im  Rnckenmarke,  etwas  verdickt.  Der 
Zentralkanal  ist  in  verschiedenen  Höhen  des  Segments  bald  obliteriert,  bald 
offen;  er  kommuniziert  nirgends  mit  dem  Hohlräume  im  rechten  Vorder- 
horne. —  Die  Vorderseitenstränge  zeigen  in  diesem  Segment  vor  und  zu  den 
Seiten  der  Vorderhörner  einen  gewissen  Fascrausfall;  die  Gliabalken  sind 
hier  etwas  verdickt.  Sonst  lassen  sich  in  der  weissen  Substanz  keine  Ver- 
änderungen nachweisen. 

Im  übrigen  Teile  des  Rückenmarks  sind  die  Veränderungen,  wie 
erwähnt,  ausschliesslich  auf  die  Vorderhörner  beschränkt.     Die  Hinterhörner 


dnd  subacuta  s.  chronica.  363 

zeigen  keine  krankhaften  Veränderungen.  Aach  .in  diesen  findet  sich  die 
•ine  oder  andere  Nervenzelle,  welche  zwar  Pigment  entb&lt,  aber  sonst  im 
wesentlichen  intakt  ist  In  der  weissen  Substanz  finden  sich  keine  nachweis- 
baren Veränderungen. 

Die  intramedullären  Vorderwurzeln  sind  meistenteils  atrophisch;  inehi'- 
fach  zeigen  sich  die  Myelinscheiden  in  denselben  in  Zerfall  begriffen.  —  Die 
Pia  mater  zeigt  nichts  Bemerkenswertes. 

Die  extramedallären  Vorderwurieln  des  Rückenmarks,  welche  ver- 
schmälert sind,  zeigen  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  meistens  deut- 
lichen Faserausfall.  Sie  enthalten  gleichwohl  eine  recht  grosse  Anzahl 
Nervenfasern,  von  denen  ein  Teil  stark  verschmälert  ist.  Auf  Li^ngsscbnitten 
erscheint  die  Mjelinscheide  mehrfach  in  Klumpen  zerfallen.  —  In  den  Hinter- 
wurzeln  sind  keine  Veränderongen  nachzuweisen. 

Die  untersuchten  peripheren  Nerven  zeigen  sich  im  ganzen  recht 
massig  verändert.  Im  N.  median us  fand  sich  deutlicher,  aber  nicht  hoch- 
gradiger Faserausfall;  die  Nervenfasern  sind  teilweise  verschmälert.  Im 
N.  nlnaris  ist  der  Schwund  der  Nervenfasern  bedeutend  grösser«  Der 
N.  peroneus  und  besonders  seine  Mnskelzweige  zeigen,  speziell  auf  der 
rechten  Seite,  recht  beträchtlichen  Ausfall  von  Nervenfasern.  Auch  im 
N.  tibialis  ist  ein  Teil  der  Fasern  geschwunden.  Auf  Längüschnitten  sieht  man 
in  den  verschiedenen  Nerven  mehrfach  klumpigen  Zerfall  der  Myelinscheiden. 
Zwischen  den  Nervenbündeln  findet  sich  eine  recht  grosse  Menge  Fettgewebe 
eingelagert.  Nirp^ends  iässt  sich  eine  Zellinfiltratien  konstatieren.  Die  Ge- 
fässe  zeigen  nichts  Bemerkenswertes. 

Von  den  mikroskopisch  untersuchten  Muskeln  zeigen  die  des  Thenar 
und  Hjpothenar  beträchtliche  Veränderungen.  Die  Muskellasern  sind  meistens 
hochgradig  atrophisch,  die  Muskel  kerne  vielfach  vermehrt.  Daneben  trifft 
man  speziell  in  den  Muskeln  des  Hypothenar  eine  recht  grosse  An/.ahl  im 
Querschnitt  abgerundeter,  hypervoluminöstir  Fasern.  Die  Querstreifung  ist 
meistens  erhalten,  aber  in  vielen  Fasern  gleichwohl  mehr  weniger  verwischt. 
Mehrfach  begegnet  man  Faisern,  welche  teilweise  in  eine  kömige  Masse  zer- 
fallen sind  oder  ungefärbte  Flecke  von  einem  fast  homogenen,  strukturlosen 
Aussehen  zeigen.  Der  Zerfall  der  Muskelfasern  betrifft  teils  ihren  ganzen 
Durchschnitt,  teils  nur  die  peripheren  Partien  derselben.  Stellenweise 
scheint  das  Muskelgewebe  gänzlich  untergegangen  und  durch  Fettgewebe 
oder  lockeres  Bindegewebe  ersetzt  zu  sein.  Die  Bindegewcbsbalken  sind 
im  allgemeinen  verdickt.  Die  Gefässe  bieten  nichts  Bemerken«<wertes.  Die 
intramuskulären  Nerven  zeigen  bedeutenden  Faserausfall;  in  Mehreren  der- 
selben findet  man  nur  noch  die  eine  oder  andere  Nervenfaser  erhalten.  Im 
wesentlichen  dieselben  Veränderungen  finden  sich  in  den  Muskeln  der  Unter- 
und  Oberarme,  wenngleich  sie  hier  weniger  ausgedehnt  sind.  An  den  unteren 
Extremitäten  ist  die  degenerative  Atrophie  in  der  hinteren  Muskelgruppf) 
der  Oberschenkel  nur  massig.  An  den  Unterschenkeln  sind  die  Mm.  peropei, 
speziell  der  rechten  Seite,  stark  verändert,  die  Wadenmuskeln  sind  weniger 
affiziert. 

Der  Befund  an  derMednlla  oblongata,  welche  an  grossen  Schnitt- 
serien   untersucht  wurde,    ibt  folgender:    Im    Accessoriuskerne   sind '  die 
Ganglienzellen  an  Zahl  etwas  herabgesetzt  und  zum  grossen  Teil  atröfThlsch. 
Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.  Heft  2.  23 


364         Lövegren,  Zar  Kenntnis  der  Poliomjelitis  anterior  acata 

Die  Zöllen  im  HypogloBsuskerne  sind  weniger  sahireich  als  normal  und 
im  allgemeinen  klein.  Die  meisten  dieser  Zellen  sind  abgerundet,  besitsen 
einen  Kirn,  haben  aber  spärliche  oder  gar  keine  Fortsfttze.  Vielfach  begegnet 
man  Zellen,  die  sowohl  Forts&tze  als  Kern  yerloren  haben  und  von  denen 
nor  rundliche  oder  anregelmässig  geformte  klnmpige  Massen  übrig  sind. 
Nor  recht  wenige  wohlerhaltene,  grosse  polygonale  Zellen  mit  reichlichen 
AnsläuferA  sind  vorhanden.  Das  Nerven  fasern etz  und  die  vom  Kern  aas- 
gehenden Warzelfasern  erscheinen  reduziert.  Im  oberen  Teile  des  Naclens 
ambigauA  zeigen  die  Zellen  deutliche,  wenngleich  nicht  sonderlich  hoch- 
gradige degenerativo  Veränderungen.  Der  Facialiskern  ist  in  seinem 
unteren  Teil  auffallend  arm  an  Zellen«  Nur  die  eine  oder  andere  Zelle  er- 
scheint wohlerhalten;  die  meisten  sind  mehr  oder  weniger  degeneriert,  einige 
teigen  sich  als  fortsatz-  und  kernlose  Klumpen.  Das  Nervenfasernetz  ist 
beträchtlich  rarefiziert.  -^  Die  Pyramiden  bahnen  zeigen  keine  Ver 
änderangen»  Auch  in  den  übrigen  Teilen  des  verlängerten  Marks  ist  nichts 
Pathologisches  nachzuweisen.  Die  Gefässe  sind  im  allgemeinen  normal;  hier 
und  da  begegnet  man  gleichwohl  Gefässen  mit  etwas  verdickten  Wänden.  — 
In  den  ettrameduliären  Wnrzeln  des  N.  hypoglossus  besteht  deutlicher 
FasefHusfall. 

In  den  nach  Nisslb  Methode  untersuchten  Partien  der  motorischen 
Zone  der  Gehirnrinde  zeigen  die  Nervenzellen  im  allgemeinen  ein 
normales  Ausseben.  Kinige  Pyramidenzellen  sind  teilweise  chromatoly tisch. 
Hier  und  da  trifft  man  auch  Zellen,  welche  eine  grössere  oder  geringere 
Menge  Pigment  enthalten,  sonst  aber  meistens  wohlerhalten  sind;  in  Präparaten 
vom  Lobulus  paracentralis  sieht  man  vereinzelte,  gänzlich  in  Pigment  ver- 
wandelte, kern-  nnd  fortsatzlose,  abgerundete  Zellen. 

In  mit  Gentianaviolett  und  Löfflers  Methylenblaa  gefärbten  Präpa- 
raten aus  GervikaU,  Dorsal-  und  Lumbaimark,  sowie  Medulla  oblongata 
konnten  keine  Bakterien  nachgewiesen  werden. 

Die  Hauptzüge  des  klinischen  Bildes  im  oben  be- 
schriebenen Falle  sind  folgende: 

Bei  einem  68jährigen,  hereditär  nicht  belasteten  Manne,  der 
sich  stets  einer  guten  Gesundheit  erfreut  hat,  tritt  ohne  bekannte 
Veranlassung  Schwäche  in  den  Bewegungen  der  Finger  ein.  Zwei, 
drei  Monate  darauf  beobachtet  man  beginnende  Atrophie  der 
Muskulatur  an  den  Händen.  Die  Parese  und  Atrophie  nehmen 
hierauf  stetig  zu  und  verbreiten  sich  nach  oben  über  die  Arme 
und  Schultern,  eine  Kontraktur  entwickelt  sich  in  den  letzten 
Interphalangealgelenken  der  rechten  Hand.  Vier  oder  fünf  Monate 
nach  Beginn  der  Krankheit  wird  die  Sprache  erschwert,  und  einige 
Zeit  darauf  gesellen  sich  Schlingbeschwerden  hinzu.  Im  Yer- 
breitungsgebiete  des  N.  hypoglossus  und  des  unteren  Facialis- 
zweiges  äussern  sich  Parese  und  Atrophie.  Parese  und  Atrophie 
treten  dann  auch  in  den  unteren  Extremitäten  ein,  und  schliesslich 
werden  die  Rucken-  und  Nackenmuskeln  ergriffen.  Die  Sensibilität 


and  snbacnta  8.  chronica.  So5 

ist  völlig  erhalteD.  Die  Sehnen-  und  Periostreflexe  an  den  oberen 
Extremitäten  sind  deutlich,  aber  nicht  Terstärkt.  Die  Patellar- 
reflexe  sind  erhöht.  Kein  Fussclonas.  Keine  spastischen  Phäno- 
mene. Nie  Blasen-  oder  Defäkationsstörungen.  Schliesslich 
Lähmung  der  Respirationsmuskeln,  Bronchopneumonie.  Exitus 
etwa  elf  Monate  nach  Beginn  der  Erkrankung. 

Die  klinische  Diagnose  wurde  auf  eine  subakute  Polio- 
myelitis gestellt  und  durch  die  pathologisch-anatomische 
Untersuchung  bestätigt. 

Die  wesentlichen  Veränderungen  fanden  sich  in  den  Vorder- 
hörnern  des  Ruckenmarks  und  bestanden  in  einer  in  gewissen 
Höhen  stark  ausgeprägten  Degeneration  der  Nervenzellen  und 
stellenweise  einer  Rarefikation  des  Nervenfasernetzes.  In  der 
lileduUa  oblongata  wurde  Degeneration  in  den  Accessorius-, 
Hypoglossus-  und  Facialiskernen,  wie  auch  im  vorderen  Teile  des 
Nucleus  ambiguus  nachgewiesen.  Einige  Ganglienzellen  in  den 
Vorderhörnern  waren  pigmentös  degeneriert,  desgleichen  einige 
Zellen  in  der  motorischen  Zone  der  Gehirnrinde,  die  sonst  keine 
Veränderungen  darbot.  Die  Hinterhömer  und  die  weisse  Substanz 
waren  im  allgemeinen  nicht  affiziert.  Sowohl  in  den  Vorder- 
hörnern als  auch  in  anderen  Teilen  des  Rückenmarks  Hessen  sich  hier 
und  da  Gefasse  mit  verdickten  Wänden,  mehrfach  von  homo- 
genem Aussehen,  nachweisen.  In  der  Umgebung  des  einen  oder 
anderen  Gefässes  erschien  die  Gliahülle  aufgelockert.  Eine  Ver- 
mehrung und  teilweise  Erweiterung  der  Gefässe  fand  sich  nur  in 
Teilen  des  IV.  DS.,  dessen  rechte  Vordersäule  von  einem  Zerfalls- 
herde eingenommen  war,  und  in  dem  auch  leichte  Veränderungen  der 
Hinterhömer  und  Vorderseitenstränge  vorhanden  waren.  In  diesem 
Segment  fanden  sich  auch  kleine  Blutungen.  Nirgends  war  in 
der  Umgebung  der  Gefässe  Rundzelleninfiltration  zu  sehen.  Es 
muss  speziell  hervorgehoben  werden,  dass  Gefässveränderungen 
im  grösseren  Teile  des  Rückenmarks  fehlten  oder  ganz  unbedeutend 
waren.  Die  im  VI.  DS.  gefundene  Abweichung  der  Form  der 
Vorderhömer  ist  wohl  als  eine  kongenitale  Entwicklungsanomalie 
za  betrachten.  In  den  vorderen  Wurzeln  und  Nervenstämmen 
fand  sich  deutliche,  aber  nicht  hochgradige  Atrophie.  Die  Muskeln 
zeigten  teils  einfach  atrophische,  teils  degenerativ  atrophische 
Veränderungen  und  eine  recht  geringe  Fetteinlagerung. 

Was  das  Verhältnis  zwischen  der  Affektion  des  Rückenmarks  und 
den  Veränderungen  in  den  peripheren  Nerven  und  Muskeln  betrifft, 

23* 


856         LöTegren,  ZurJC/^qnlnU  der  PolMcrny^liUs  anterior  acuta 

6)0  kann  hier  ^ohl  kein  Zweifel  darüber  herrschen,  daas  die  RueMn- 
marksaffektion  di^s  Wesentliche  und  Primäre  war.  Der  Befund. ai» 
den  peripheren  Nerven  und. dem  Rückenmark  ist  ein  derartiger, 
dass  eine  periphere  Neuritis  mit  Sicherheit  ausgeschlossen  werdeo 
kann. 

Wie  aus  der  Beschreibung  des  mikroskopischen  Befunden 
hervorgebt,  zeigt  sich  die  weisse  Substanz  im  allgemeinen  intakt^ 
und  speziell  fanden  sich  weder  im  Ruckenmark,  noch  im  ver- 
längerten Mark  nachweisbare  Veränderungen  der  Pyramidenbalinen. 
Wir  haben  es  in  diesem  Falle  mit  einer  im  wesentlichen  reinen 
Affektion  der  Vorderhörn  er,  einer  Poliomyelitis  anterior  subacuta 
zu  tun. 

Pathogenese    und  Ätiologie. 

Die  charakteristischste,  in  vielen  Fällen  die  einzige  patho- 
logisch-anatomische Alteration  im  Rfickenmarke  bei  der  subakuten 
Poliomyelitis  ist  die  ausgeprägte  Atrophie  der  Nervenzellen  der 
Vorderhörner.  Wie  ist  diese  Atrophie  entstanden?  Ist  sie  primär 
oder  ist  sie  nur  die  sekundäre  Folge  von  Veränderungen  im 
interstitiellen  Gewebe?  Wir  haben  also  hier  dieselbe  pathogenetische 
Frage  zu  beantworten,"  wie  bezüglich  der  akuten  Poliomyelitis. 
Das  spärliche  Material  zur  Lösung  der  Frage  scheint  zu  zeigen, 
dass  in  vielen  Fällen  eine  primäre  Nervenzellenaffektion  an- 
zunehmen ist,  während  in  anderen  die  Gefassveränderungen  den 
Ausgangspunkt  zu  bilden  scheinen. 

In  dem  von  mir  untersuchten  Falle  sind  die  Nervenzellen 
anscheinend  primär  ergriffen.  Die  in  den  Gefässen  hie  und  da 
gefundenen  Veränderungen  können  jedenfalls  nicht  die  ausgedehnte 
Zellenatrophie  in  den  Vorderhörnern  des  Rückenmarkes  und  der 
Mcdulla  oblongata  erklären.  Die  Alteration  der  Gefässwunde, 
die  nicht  nur  in  den  Vorderhörnern,  sondern  auch  in  den  übrigen 
Teilen  des  Rückenmarkes  vorkam,  ist  wohl  zu  den  Alters- 
veränderungen  zu  zählen.  Es  ist  möglich,  dass  diese  Gelass- 
vefänderungen  die  Entstehung  der  Zellendegeneration  ein  wenig 
begünstigt  haben.  Insbesondere  ist  die  Bedeutung  derselben  hei 
der  Beurteilung  der  im  IV.  DS.  gefundenen  Veränderungeti  nicht 
auszuschliessen. 

'^  'Der  4n  'der  rechten  grauen  Vordersäüte  hier  vorhnndene 
Hohlraum 'i»t  nllem  Anschein*  nach  die  Fd<^e  eines  Erweichirngs- 
pe^izesses-,::  dfei^  J  vv^hl  '  teüvt^ei^e  von  lokaleu  Zirkulationsstörungen 
fitibftngig'  war^/i  Db   iiiei:bei,r  wie  für  die  Artffussj^ngjde^:  s-tell^«- 


-  and  subacata  s.  ohroniea.  .  357 

wBige  nachgefwiesenen  Zerfalls  in  der  perivaskulären  Gliahülle, 
speziell  eine  Lymphstauang  in  Frage  kommen  kann,,  lässt  sich 
nicht  entscheiden«  Die  ausserste  und  wesentliche  Ursache  diesem 
Veränderungen  ist  vermatlich  dieselbe  gewesen,  die  auch  in  deii 
übrigen  Stäben  des  Rückenmarkes  der  Vorderhornläsion  zu- 
grunde lag. 

Die  kleinen  Blatüngen,  die  in  geringer  Zahl  in  der  grauen 
Substanz  vorhanden  waren,  sind  wohl  als  kurz  vor  dem  Tode 
entstanden  zu  betrachten.  Der  Tod  trat  hier  unter  schweren 
Respirationsstorungen  ein^  was  ja  das  Entstehen  dieser  kleinen 
Hämorrhagien  leicht  verständlich  macht. 

Die  in  diesem  Falle  stellenweise  stark  ausgeprägte  pigmentöse 
Degeneration  der  Nervenzellen  ist  eine  im  hohen  Alter  ge- 
w5hnliche£rscheinung,  die  von  mehrerenAutoren[Sander(14)u. A.] 
beschrieben  worden  ist. 

So  viel  ich  weiss,  ist  eine  flöhlenbildung  von  der  Art  and 
dem  Umfang,  wie  im  oben  beschriebenen  Falle,  früher  bei  der 
subakuten  oder  chronischen  Poliomyelitis  nie  beobachtet  worden. 
Einen  Fall  von  chronischer  Poliomyelitis  und  gleichzeitiger 
i^yringomyelie  publizierte  Rossolimo  (16),  der  einen  gewissem 
Zusammenhang  zwischen  diesen  beiden  Affektronen  anriimmt. 
Rossolimo  konstatierte  das  yorhandensein  eines  gliösen  Pro- 
zesse^, der  das  Gebiet  der  hinteren  Kommissur  und  Teile  der 
Hinterstränge  des  ganzen  Gervikal-  und  oberen  Dörsalmarks  umv 
fiasstei  und  mit  Höhlenbildung  einherging.  Daneben  bestand  im 
ganzem  Ruckenmarke  eine  ausgesprochene  Atrophie  der  multi- 
polaren Nervenzellen  und  des  Fasernetzes  der  Yorderhörnqr,  so- 
wie Atrophie  der  vorderen  Wurzeln;  zugleich  fand  sich  Wucherung 
der  Gliafasern  und  der  Spinnenzellen  —  Es  ist  ohne  weiteres  klar;^ 
dass  in  meinem  Falle  die  Höhlenbildung  von  ganz  anderer  Natur 
ist;  hier  kann  wohl  von  einer  wahren  Syringomyelie  nicht  die 
Rede  sein. 

Die  Ätiologie  der  subakuten  oder  chronischen  Polio- 
myelitis ist  fast  vollständig  unbekannt.  Die  Heredität  erweist 
sich  ohne  Bedeutung.  Die  Krankheit  scheint  vorzugsweise  ältere 
Personen  zu  ergreifen,  aber  auch  jüngere  und  sogar  Kinder  (Erb  [16], 
Hoffmann  [!?])•  Einige  interessante  Beobachtungen  von  Erb  (18) 
scheinen  für  eine  traumati&che  Ursache  zu  sprechen.  In  dem  von 
mir  nur  klinisch  beobachteten  Falle  war  Pät.  einige  Monate  vor  der 
Erkrankung  einer  schweren  Erkältung  ausgesetzt.  Ob  diese 
doch    mit    der   Entstehung    der  Poliomyelitis    in  Zusammenhang 


368         LöTegren,  Zar  Kenntnis  der  Poliomjelitis  anterior  acaU 

gebracht  werden  kann,  bleibt  natQrlicherweise  unentsclüedexi. 
In  dem  pathologisch-anatomisch  untersuchten  Falle  war  keine 
Ursache  zu  ermitteln.  In  Schnittpräparaten  aus  verschiedenen 
Höhen  des  Rückenmarks  und  aus  der  Medulla  oblongata  konnten 
Bakterien  nicht  nachgewiesen  werden. 

Meinem  hochverehrten  Lehrer,  Professor  Dr.  E.  A.  Hom^n, 
bitte  ich  auch  an  dieser  Stelle  meine  tiefgefühlte  Dankbarkeit 
bezeugen  zu  dürfen  für  die  Anregung  zu  dieser  Arbeit  und  für 
das  wohlwollende  Interesse,  womit  er  derselben  gefolgt  ist. 

Auch  Herrn  Prof.  Dr.  W.  Pipping  sei  es  mir  gestattet, 
meinen  ehrfurchtsvollen  Dank  auszusprechen  für  die  Erlaubnis, 
die  auf  seiner  Klinik  beobachteten  Fälle  von  Poliomyelitis  zu 
verwerten. 

Schliesslich  bin  ich  sehr  verpflichtet,  Herrn  Dozenten  Dr. 
Jarl  Hagelstam  zu  danken  für  das  Überweisen  eines  besonders 
wertvollen  Falles. 

Erklärungen  der  Figuren  auf  Taf.  I  und  11^). 

PoUomjelitis  anterior  snbacata  (S.  848). 

Fig.  1.    IV*  CS.    ReohteB  Vorderhom.    Atrophie   der  NerTenseUen.     Rarefi- 

katioD  de«  Nervenfaseroetzes.    Weigertpr&parat. 
Fig.  2.    IV.  CS.    Rechtes  Vorderhom,  Normalpr&parat  (von  einem  56jfthngenf 

an  oronpöserPnenmonie  gestorbenen, rüstigen  Arbeiter).  Weigertprftparat. 
Fig.  8.    IV.  CS.    Vordere  Kommissar.    Faserausfali.    Weigertprftparat 
Fig.  4.    IV.  CS.    Normale  vordere  Kommissar.     Weigertprftparat. 
Fig.  5.    IV.  DS.    Hinterer  Teil   des  Höhlenraames   in   der  rechten   graaeo 

Vordersftaie.     Weigertprftparat. 
Fig.  6—12.    Nach   Nissl    gefärbte  Vorderhorazellen.     Fig.  9    bei   Obj.  8,0 

Compens.  Oc.  12  (Zeiss),   alle   übrigen  bei  homog.  Im.  2,0,  Compens. 

Oc.  4  gezeichnet. 
Fig.  e,  7  and  8.    Zellen  ans  VIII.  CS. 
Fig.  9  and  10.    Zellen  aas  VI.  CS. 
Fig.  11  and  12.     Zellen  aas  III.  LS. 

Literatup. 

I.  Poliomyelitis   anterior  acuta. 

1.  Underwood,  Michael,   A  treatise  on  the  disorders  of  childhood  and 
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1814.    Vol.  IL    S.  87. 
Derselbe,  Traiti  des  maladies  des  enfants.  Tradait  de  Panglais  p.  Busebe 
de  Salle.    Paris  et  Montpellier.     1828.    S.  674. 


^)  Die  Mikrophotpgramme  in  Fig.  1  bis  Fig.  5  sind  Ton  Dr.  6.  von 
Wen  dt  freundlichst  hergestellt  Ich  spreche  ihm  hiermit  meinen  besten 
Dank  dafür  aus. 


and  sabmouta  s.  chronica.  869 

la.  UDderwood,  Michael,Traite  des  maladies  des  enfans.  Trad.  de Panglais 

par  Lefebyre  de  Yillebrune.    Paris  1786. 
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101.  Lorenz,  Heinrich,    Die  Muskelerkrankongen.     XL    Bd.     IIL   Teil 

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10.  Bielschowsky,  Max,  Zur  Histologie  der  Poliomyelitis  anterior  chronica. 
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864'     LöTegren,  Zar  Kdnntiiis  der  Poliomyelitis  anterior  acata  etc. 

11.  Granow,  Zur  Poliomyelitis  anterior  (chronica  und  acata)  der  Er- 
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12.' Philippe,  Gl.,  and  Cestan,  R.,  Deax  oas  avec  aatopsie  d'amyo- 
trophie  spinale  ant^rieare  sabaigae.  XIII.  Congr^s  *  international  de 
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15.  Rossolimo,  G«,  Über  Poliomyelitis  anterior  chronica  and  Syringomyelie. 

Nearol.  Gentralbl.     1903.    No.  9.    S.  888. 
16«  Brb,   W.,  Über  Modifikationen   der  partiellen  Entartangsreaktion  and 
über   das    Vorkommen    der    chronischen   atrophischen   Spinall&hmang 
'   beim  Kinde. '  Nearolog.  Gentralbl.  1583.    No.  8.    S.  169. 

17.  Hoffmann,   J.,   Ein   Fall    von   subakater   atrophischer   SpinaU&hmnng 
•'    bei   einem   Kinde.    Deatsohe   Zeitschr.   f.  Nervenheilk.    L  Bd.    1891. 

S.  165. 

18.  Erb,   W.,   Zar  Lehre   von   den  Unfallserkrankongen  des  R&ckenmarks: 

Über  Polioniyelitis  anterior  chronica  nach  Traama.   Deutsche  Zeitschr. 
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19^.  R^senberg*,  S.,  Die  Differentialdiagnose   der   Pol.   ant.   ac   et  ehron. 
ädalt.  and  der  Nearitis  maltiplez.    Dies.  Heidelbergl     1890. 


Tafel  III. 


Abbildung  1. 


Abbildung  2. 


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'     a  b  '  c  •    d 

Nachweis  der  Oxydase  nach  Arnold. 


Tafel  IV. 


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Nachweis  der  Oxydase  nach  Storch. 


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XVIII. 

'  Ans  dem  chemisch-bakteriologischen  lostitate  Ton  Dr.  Ph.  Blamenthal 

Id  Moskau. 

Biologisches  zur  Hilchpasteurlslerung. 

Von 

ALEXANDER  HIPPIUS. 
(Hierzu  Taf.  III -VI.) 

In  den  letzten  Jahren  haben  alle  das  Gebiet  der  Mllch- 
hygiene  streifenden  Fragen  ein  aktuelles  Interesse  gewonnen. 
Alle  wissenschaftlichen  Disziplinen,  welche  dazu  berufen  sind, 
diesen  Zweig  der  Hygiene  weiter  auszubauen,  weisen  eine  be- 
sonders rege  Tätigkeit  auf,  und  so  sehen  wir  Landwirte,  Chemiker, 
Ingenieure  und  Mediziner  eifrig  dem  gemeinsamen  Ziele  zustreben, 
die  Gewinnung  einer  reinen,  von  Schädlichkeiten  freien,  schmack- 
haften und  nahrhaften  Milch  zu  möglichst  billigem  Preise  zu 
ermöglichen.  Unter  den  praktischen  Ärzten  sind  es  besonders 
die  Kinderärzte,  die  auf  Verbesserungen  in  der  Produktion  und 
dem  Yertriebe  der  Milch  dringen,  denn  sie  müssen  für  eine  ge- 
eignete „Kindermilch^  die  allerstrengsten  Anforderungen  an  die 
Reinlichkeit  der  Milchgewinnung  und  an  die  Beseitigung  der  in 
jeder  Milch  enthaltenen  bakteriellen  Schädlichkeiten  stellen. 

Es  macht  sich  allgemein  das  Bestreben  geltend,  der  Einder- 
milch die  genuinen  Eigenschaften  der  Rohmilch  zu  erhalten. 
Bei  dem  zur  Entkeimung  der  Milch  eingeschlagenen  Sterilisatious- 
yerfahren  durch  anhaltendes  Kochen  hatte  man  die  Erfahrung 
gemacht,  dass  die  Milch  infolge  der  Einwirkung  von  hohen 
Temperaturen  wichtige  chemische  und  biologische  Veränderungen 
erleidet  und  dadurch  für  die  Ernährung  minderwertig  wird. 
Man  sah  sich  daher  gezwungen,  andere  Entkeim ungs verfahren 
auszuarbeiten,  welche  die  ursprünglichen  Eigenschaften  der  Milch 
weniger^  oder,  wenn  irgend  möglirli,  garnicht  alterierten.  So 
har^v^ih^ ,sicji  die  Paste urisierupg-  der. Milch  Balm,  die  mit  ge;i;ingereD 


366  Hipp  ins,  Biologisches  zar  Milchpas  teorisierang. 

Wärmegraden  operiert  und  daher  schonender  vorgeht.  Aber 
auch  damit  ist  man  noch  nicht  zufrieden,  und  wir  sind  Zeugen 
von  neuen  Vorschlägen  zur  Herstellung  von  keimfreier  Milch 
unter  Vermeidung  ihrer  Erhitzung.  Da  alle  Zusätze  von  Chemi- 
kalien zur  Milch  den  menschlichen  Organismus  schädigen,  falls 
sie  wirklich  in  genügender  Konzentration  der  Milch  zugesetzt 
werden,  um  keimtötend  zu  wirken,  so  sind  sie  staatlich  verpönt. 
Die  neuen  Verfahren  suchen  daher  der  Rohmilch  ihre  natürlichen 
Eigenschaften  dadurch  zu  erhalten,  dass  sie  dieselbe  auf  mehr 
oder  weniger  rein  physikalischem  Wege  keimfrei  machen  wollen. 
Hierher  gehören  das  Aussetzen  der  Milch  einem  hohen  atmo- 
sphärischen Drucke,  wie  es  der  französische  Ingenieur  Gaulin 
und  der  Petersburger  Julien  vorschlagen,  und  das  vom  Leipziger 
Pädiater  Seiffert  angekündigte  Verfahren  der  Entkeimung  der 
Milch  durch  ultraviolette  Strahlen.  Viele  gehen  noch  weiter 
und  wollen  die  mit  tadelloser  Sorgfalt  gemolkene  und  durchseihte 
Milch  sofort  der  Tiefkühlung  aussetzen  und  bis  zur  Ablieferung 
an  den  Konsumenten  sehr  kalt  halten,  um  auch  kleinen  Kindern 
ungefährdet  den  Genuss  von  roher  Milch  zu  ermöglichen. 

Im  letzten  Falle  haben  wir  es  mit  einem  Konservierungs- 
verfahren zu  tun,  welches  die  in  der  Milch  vorhandenen  Keime 
nur  in  ihrer  Vermehrung  hintanhält.  So  warm  es  auch  im 
allgemeinen  für  die  Behandlung  der  Milch  zu  empfehlen  ist, 
wird  es  daher  wol  nur  in  Ausnahmefällen  an  sich  allein,  ohne 
Kombination  mit  einem  Entkeimungsverfahren,  angewendet  werden 
können.  Was  die  übrigen  Vorschläge  betrifft,  so  wird  abzuwarten 
sein,  wie  weit  sie  sich  als  Sterilisiermethoden  in  der  Praxis  bewähren 
und  ob  sie  nicht  gleichfalls  molekulare  Veränderungen  in  der 
Milch  hervorrufen.  Jedenfalls  wird  sowohl  die  Gaulin  sehe 
als  auch  die  Seiffertsche  Milch  nicht  billig  in  den  Handel  ge- 
bracht werden  können. 

Um  so  mehr  Grund  haben  wir,  uns  darQber  genau  zu 
informieren,  ob  nicht  das  billige  und  praktisch  schon  mit  bestem 
Erfolge  erprobte  Pasteurisationsverfahren  am  Ende  doch  imstande 
ist,  den  Anforderungen  zu  genügen,  die  an  eine  gute  Kindermilch 
gestellt  werden  müssen.  Dies  zu  prüfen,  ist  der  Zweck  der 
vorliegenden  Zeilen. 


In  Bezug  auf  die  Pasteurisierung  der  Milch  sind  alle  darin 
einig,    dass    die    ganz   rein    gewonnene  Milch    möglichst   schnell, 


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Hippias,  Biologisches  zar  Milch pastearisiemng.  367 

d.  h.  entweder  unmittelbar  nach  der  Durchseihang  oder  nach 
Torhergegangener  Tiefköhlung,  eine  gewisse  Zeit  lang  auf  die 
erforderliche  Temperatur  erhitzt,  dann  aber  schnell  abgekühlt 
und  in  der  Kälte  aufbewahrt  werden  soll.  Nur  in  dem  Punkt 
des  Hitzegrades  und  der  Zeitdauer,  die  zur  Pasteurisierung  er- 
forderlich sind,  gehen  die  Meinungen  auseinander.  So  pasteurisiert 
Freeman  ^a  Stunde  bei  68^  C,  Oppenheimer  ^/^  Stunde  bei 
70—75*  C,  Monti  10—16  Minuten  bei  68— 70*  C,  F erster 
Va  Stunde  bei  höchstens  67*  C,  Gerber  (Schüttelverfahren) 
Va — 1  Stunde  bei  65®  C.  Als  die  keimtötende  Kraft  des 
Termophors  bekannt  wurde,  schlug  ich  die  Erwärmung  der  Milch 
auf  geringere  Grade  (60—66*^  C.)  während  2  Stunden  vor;  meinem 
Beispiele  folgte  Kobrak  (60— 65«  0.  während  P/j  Stunden); 
spätere  Erfinder  von  Haaspasteurisierapparaten  griffen  jedoch 
wieder  zu  höheren  Temperaturen,  so  Weichardt  zu  65 — 68*  C. 
während  IVa  Standen,  Loock  zu  85*^  C.  während  6  Minuten. 
Im  Sammelwerke  „Die  Milch"  (Hamburg,  1903)  finden  sich 
folgende  Angaben  für  die  Pastearisierung  der  Milch:  bei  Kister 
(S.  366)  öo*^  C.  und  mehr,  bei  Weigmann  (S.  883)  60—66»  C. 
während  25 — 30  Minuten  oder  70 — 75»  C.  während  15  Minuten; 
bei  Plaut  (S.  397)  60—70°  C.  während  20  Minuten.  Prof. 
Tjaden  empfiehlt  die  1  Stunde  dauernde  Erwärmung  der  Milch 
auf  63S  höchstens  65®  C.  —  Für  landwirtschaftliche  Zwecke  in 
Molkereien  ist  die  Pasteurisierung  der  Milch  bei  85 — 95*  C. 
während  1 — 2  Minuten  wol  allgemein  angenommen;  auch 
Tjaden  empfiehlt  hierfür  eine  ganz  kurzdaaernde  Erhitzung  der 
Milch  und  des  Rahmes  auf  85®  C.^). 

Wir  sehen  hier  Temperaturen  im  Abstände  von  35®  C.  und 
Zeiträume  von  1  Minute  bis  zu  2  Stunden  empfohlen  für  ein 
Verfahren,  bei  welchem  schon  2—3®  0.  und  die  Dauer  von 
5  Minuten  von  Bedeutung  sind! 

Das  musste  natürlich  die  praktischen  Resultate  der  Milch- 
pasteurisierung  trüben,  die  sich  einerseits  überzeugte  Freunde, 
andererseits  aber  auch  Gegner  erwarb.  Bald  hiess  es  von  Seiten 
der  letzteren,  sie  reiche  zur  Entkeimung  der  Milch  nicht  aus, 
bald,  sie  lasse  doch  chemische  Veränderungen  in  der  Milch  zustande 
kommen,  bald  wieder,  sie  zerstöre  die  biologischen  Eigenschaften 
der  Milch.     Nun    kann    allerdings  jeder  dieser  Einwände  gerecht 

>)  Erwähnt  muss  noch  werden,  dass  B  a  d  d  e  die  Milch  durch  eine 
Pastearisiemng  bei  bO^  C.  vollkommen  keimfrei  machen  will,  allerdings  mit 
Zusatz  von  Wasserstoffsuyeroxyd. 


388.  Hipp  ins,  Biologisches  zur  Milch  pasteiurisierang. 

seiD^  wenn  Temperatur  oder  Zeitdauer  der  Pastearisierutig  falsch 
geliandhabt  'werden.  Es  kommt  nur  darauf  an,  dass  riditig 
pasteurisiert  werde. 

Das  Ziel,  das  durch  die  Pasteurisierung  erreicht  werden 
soll,  ist  eine  praktisch  genügende  Entkeimung  der  Milch,  d.  h.  Ver- 
nichtung ihrer  nicht  sporenbildenden  Saprophyten  und  der  in  ihr 
eventuell  enthaltenen  pathogenen  Keime,  bei  Erhaltung  ihrer 
physikalischen,  chemischen  und  biologischen  Eigenschaften.  Dieses 
Ziel  'wird  erreicht,  wenn  man  die  Milch  genügend  lange  auf 
solche  Temperatüren  erwärmt,  welche  sie  einerseits  chemisch 
und  biologisch  noch  nicht  Terändern,  andererseits  jedoch  aus- 
reichen, um  sie  im  erwähnten  Sinne  zu  entkeimen. 

Theorie  und  Praxis  zeigen  übereinstimmend,  dass  diese 
Temperaturen  bei  einer  Pasteurisationsdauer  von 
V« — 1  Stunde  zwischen  60  und  65'  C.  liegen. 

Von  den  Bestandteilen  der  Milch  ist  das  Lactalbumin  der 
thermolabilste.  Zwar  findet  Sebelien,  der  es  zuerst  in  der  Kuh- 
milch nachgewiesen  hat,  dass  seine  Gerinnung  erst  bei  einer 
Erhitzung  der  Milch  auf  72 — 80*  C.  erfolge  (Zeitschr.  f.  physiolog. 
Chemie,  Bd.  9),  doch  hat  Schlossmann  (Ibidem,  Bd.  22)  schon 
bei  ca.  69®  C.  (55®  R.)  eine  geringe  Abnahme  der  Löslichkeit 
des  Albumins  in  der  Milch  bemerkt,  und  Solömin  (Arch.  f. 
Hygiene,  Bd.  28)  gibt  an,  bei  ^/4  stündiger  Erwärmung  der  Milch 
auf  60®  C.  „scheine^  die  Gerinnung  eines  Milcheiweisses  zu 
beginnen;  er  ist  jedoch  nicht  sicher,  ob  es  sich  hier  auch  wirklich 
um  das  Lactalbumin  handele.  —  Wir  werden  demnach  nicht 
fehlgehen,  wenn  wir  annehmen,  dass  bei  der  Erhitzung  auf  65®  C. 
während  ^/^  Stunde  keine  merklichen  Veränderungen  im  chemischen 
Bestände  der  Milch  Tor  sich  gehen,  und  damit  ist  die  obere 
Grenze  der  Pasteurisierunp^stemperatur  festgesetzt. 

Was  die  biologischen  Eigenschaften  der  Kuhmilch  betrifft, 
so  werde  ich  deren  Verhalten  zu  höheren  Wärmegraden  im 
Nachstehenden  detaillierter  beleuchten.  Hier  sei  vorausgeschickt, 
dass  sie  gleichfalls  der  Erwarimmg  der  Milch  >vährend  '/,  bis 
1   Stunde  auf  60—65®  C.  standlialteu. 

Als  untere  Grenze  für  eine  nicht  all/u  zeitraubende  Milch- 
pasteurisierung  muss  die  Erwrirmung  auf  60®  C.  angenommen 
werden,  denn  nach  den  üntersucliungen  von  Smith  (The  Journ. 
of  experim.  med.,  1899,  Bd.  4,  2)  und  Hesse  (Zeitschrift  für 
Hygiene,  1900,..  Bd.  34)  werdt?n  bei  dieser  Temperatur  die 
Tuberkelbazillen  in  15 — 20  Minuten  getötet,  falls  dabei  di&  Haut: 


Hipp  las,  Biologisches  zur  Milchpastearisieruog.  369 

bildung  der  Milch  verhütet  wird.  Dasselbe  geschieht,  wie  der 
letztgenannte  Forscher  gezeigt  hat,  unter  denselben  Bedingungen 
auch  mit  den  Typhus-,  Cholera-,  Diphtherie-  und  Pestbazillen. 
Die  sehr  sorgföltigen  Versuche  von  Bassenge  (Deutsche  med. 
Wochenschr.,  1903,  38  u.  39)  beweisen,  dass  der  Typhusbacillus 
bei  60®  C.  sogar  schon  nach  5  Minuten  in  der  Milch  endgültig 
zugrunde  geht.  Da  nun  bei  der  Flaschenpasteurisation,  die  ja 
allein  bei  der  Erzeugung  der  Kindermilch  in  Betracht  kommen 
sollte,  die  Häutchenbildung  auf  der  Oberfläche  der  Milch  ver- 
hindert wird  und  auch  später  bei  schneller  Abkühlung  nicht  mehr 
zustande  kommen  kann,  so  könnte  die  Pasteurisierung  der  Milch 
während  ^j — 1  Stunde  bei  60 — 65®  C.  anstandslos  angenommen 
werden,  um  so  mehr,  als  dabei  auch  die  Erreger  der  Milchsäure- 
gärung vernichtet  werden  und  die  Milch  infolgedessen  haltbar  wird. 
In  letzter  Zeit  jedoch  hat  sich  eine  Stimme  gegen  diese 
Anschauung  erhoben,  und  zwar  auf  Grund  einer  experimentellen 
Arbeit,  welche  die  Tenazität  des  wichtigsten  in  der  Milch  vor- 
kommenden Krankheitserregers,  des  Tuberkelbacillus,  zum  Vor- 
wurfe hat  Ich  meine  den  Aufsatz  von  W.  Rullmann  in  No.  12 
der  „Münch.  med.  Wochenschr.",  1904.  Der  Verfasser  hat  die 
zu.  seinen  Versuchen  verwandte  Milch  mit  tuberkulösem  Material 
infiziert  und  die  Mischung  Meerschweinchen  nach  1  stündiger  Er- 
hitzung auf  65^  C.  intraperitoneal  injiziert,  wobei  er  in  6  Ver- 
suchen 3  mal  eine  tuberkulöse  Erkrankung  der  Versuchstiere 
erzielte.  Er  kommt  zum  Schlüsse,  dass  für  die  zuverlässige 
Abtötung  der  Tuberkelbazillen  in  der  Milch  eine  Erhitzung  der- 
selben auf  68®  C.  während  1  Stunde  notwendig  sei.  Rullmann 
steht  hier  in  Widerspruch  zu  anderen  Forschern,  die  in  der 
Bearbeitung  derselben  Frage  ebenso  wie  er  tuberkulöses  Material 
zur  Infizierung  der  Versuchsmilch  benutzt  haben.  So  hat  de  Man 
in  seinen  klassischen  Versuchen  (Archiv  f.  Hygiene,  Bd.  18)  den 
Saft  aus  einem  tuberkulös  erkrankten  Euter  einer  perlsüchtigen 
Kuh  nach  1  stündiger  Pasteurisierung  bei  60®  C.  nicht  mehr 
virulent  gefunden  (Versuch  14  und  17);  wenn  er  tuberkulöse 
Sputa  der  Milch  beimischte,  so  waren  die  Tuberkelbazillen  nach 
1  Stunde  bei  60*  C.  (Versuch  21)  und  nach  15  Minuten  bei 
65*  C.  (Versuch  36)  zugrunde  gegangen.  Bang,  der  mit  der 
Milch  von  perlsüchtigen  Kühen  experimentierte  (Congres  pour 
l'^tude  de  la  tuberculose  chez  Thomme  et  chez  les  animaux, 
Paris  1888),  kommt  zum  Schlüsse,  dass  das  Erhitzen  dieser  Milch 
während  5  Minuten  bis  auf  60 — 75*  C.  eine  derartige  Schwächung 

.Ifibrbnch  f.  Kinderheilkande.    N.  F.    IJCI,  Heft  2.  24 


370  Eippias,  BiologUches  zar  Milchpastearisierang. 

des  Yirus  zar  Folge  hat,  dass  die  Gefahr  einer  Infektion  durch 
ihren  Genuss  ausgeschlossen  ist. 

Anders  liegt  die  Sache  allerdings,  'wenn  man  die  Wider- 
standsfähigkeit der  Bazillen  gegen  hohe  Temperaturen  im  tuber- 
kulösen Sputum  selbst  konstatieren  will.  Da  haben  Chauveau 
und  Arloing  schon  in  den  80er  Jahren  nachgewiesen,  dass  ein 
solches  Sputum  ^/^  Stunde  bei  lOü®  C.  gekocht  werden  müsse, 
um  seine  Virulenz  zu  verlieren,  und  Gerlach  findet  unter  diesen 
Bedingungen  sogar  nur  eine  Abschwächung  und  noch  nicht  eine 
völlige  Vernichtung  des  Virus  (s.  de  Man,  L  c).  Diese  Er- 
scheinung erklärt  sich  durch  dieselben  Bedingungen,  die  den 
pathogenen  Keimen  durch  das  beim  Erhitzen  der  Milch  sich 
bildende  Häutchen  geboten  werden:  die  Bazillen  sind  von  einer 
schützenden  Eiweisshülle  umgeben,  und  zwar  im  gegebenen  Falle 
von  dem  sehr  zähen  Mucin.  Rullmann  hat  nun  nach  Kobrak 
(Zeitschr.  f.  Hygiene,  1900,  S.  632)  zu  1  Teile  tuberkulösen 
Sputums  3  Teile  Milch  hinzugesetzt,  durch  Zerreiben  im  vor- 
gewärmten Mörser  eine  gleichmässige  Emulsion  hergestellt  und 
mit  dieser  experimentiert.  Derartige  Vorbedingungen  finden  sich 
zum  GlQck  im  praktischen  Leben  nicht.  In  dieser  zähschleimigen 
Emulsion  mussten,  wenn  nicht  alle,  so  doch  sehr  viele  Tuberkel- 
bazillen in  ihrer  SchleimhuUe  verbleiben,  und  in  den  Organismus 
der  Versuchstiere  wurden  bazillenhaltige  Schleimmassen  injiziert. 
Der  Kobrak-RuUmannsche  Versuch  beweist  daher  die  Tenazität 
der  Tuberkelbazillen  im  Auswurfe  des  Schwindsüchtigen,  aber 
nicht  ihre  Lebensfähigkeit  in  erhitzter  Milch.  Kein  Wunder 
daher,  wenn  beide  nach  dieser  Methode  arbeitenden  Beobachter 
ganz  aparte  Resultate  mit  der  „infizierten  Milch^  erhielten  (Kobrak 
fand,  dass  die  so  vorbehandelte  Milch  auch  nach  3  stündigem 
Verweilen  im  Thermophor  noch  virulent  war;  erst  in  den  Proben, 
die  4,  5  und  6  Stunden  im  Thermophor  verblieben  waren,  hatten 
die  Bazillen  ihre  Virulenz  eingebüsst). 

Um  meine  Voraussetzung  zu  kontrollieren,  untersuchte  ich 
mikroskopisch  Emulsionen  aus  tuberkulösem  Sputum  und  Milch, 
welche  peinlich  genau  nach  Rullmanns  Vorschriften  hergestellt 
waren. 

Das  mit  lOproz.  wässeriger  Formalinlösuiig  >/«  Stande  lang  fixierte 
Apsstricbpräparat  wurde  abgespült  und  getrocknet.  Nach  Färbung  derXuberkel- 
basillen  (Ziehl)  wurde  das  Präparat  von  neuem  abgespült  und  nun  zur  Tin- 
gierung  des  Fettes  auf  i  9  Stunde  in  eine  gesättigte  alkoholische  Lösung  Ton 
Sudan  No.  8  versenkt;  die  Milchkügelchen  erschienen  jetzt  in  gelber  Färbung. 


Hippius,  Biologisches  zur  Milchpastearisieruog.  871 

Um  nun  such  das  Macin  sichtbar  zu  machen,  wurde  das  wiederum  abgespülte 
Präparat  auf  J/4  Stande  in  eine  verdünote  Thionio-LösuDg  gebracht  (4  Tropfen 
einer  gesättigten  alkoholischen  Thionin-Lösung  auf  10  ecm  destillierten 
Wassers);  das  Mucin  erhielt  dadurch  eine  rötlich-violette  Färbung. 

Die  SO  erhaltenen  mikroskopischeD  Bilder  zeigten  aberein- 
stimmend, dass  die  Tuberkelbazillen  stets  in  der  Schleim- 
masse, nie  aber  in  der  Milch  lagen  (s.  Taf.  III,  Fig.  1). 

Wir  können  demnach  die  Versuche  Kullmanns  nicht  als 
beweiskräftig  für  die  uns  beschäftigende  Frage  ansehen  und 
müssen  daran  festhalten,  dass  eine  Pasteurisierung  der  Milch 
während  7« — ^  Stunde  bei  60— 65*  C.  die  Gefahr  einer  tuber- 
kulösen Infektion  beseitigt. 


Wie  verhalten  sich  nun  die  biologischen  Eigenschaften 
der  Milch  zur  Dauerpasteurisation  bei  60—65®  C.  während  ^/^ 
bis  za  1  Stunde  und  zu  der  kurzdauernden  kontinuierlichen  Pasteu- 
risiemng  bei  80®  C.  und  darüber?  Um  dieser  Frage  näher  zu  treten, 
habe  ich  das  Verhalten  einer  Reihe  dieser  Eigenschaften  zu  ver- 
schiedenen Temperaturen  geprüft,  die  ich  auf  die  Milch  ver- 
schieden lange  Zeit  einwirken  liess. 

Meine  Beobachtungen  habe  ich  mit  der  liebenswürdigen  Er- 
laubnis meines  verehrten  Freundes,  Herrn  Dr.  Ph.  Blumenthal, 
in  dessen  chemisch-bakteriologischem  Institute  zu  Moskau  angestellt, 
und  zwar  im  Verein  mit  Herrn  Dr.  med.  J.  Broustein  und  Herrn 
Mag.  pharm.  P.  Bernhardt,  denen  ich  hier  meinen  wärmsten 
Dank  sage  für  ihre  energische  Unterstützung  und  die  viele  Muhe, 
die  ich  ihnen  in   der  Verfolgung  meines  Zieles  verursacht  habe. 

Wir  suchten  zunächst  zu  entscheiden,  ob  die  Fähigkeit  der 
Milch,  die  Bildung  eines  spezifischen  Laktoserum  hervorzurufen, 
den  genannten  Temperaturen  stand  hält.  Bewogen  wurden  wir 
dazu  durch  die  Angabe  von  Wassermann  (Munch.  med. 
Wochenschr.  1901,  No.  47),  dass  die  erhitzte  Milch  die  Eigen- 
schaft, auf  ihr  Laktoserum  zu  reagieren,  verliere,  eine  Angabe,  die 
sich  bei  Schutz  (Zeitschr.  f.  Hygiene  1901,  Bd.  36)  wiederholt. 
Andrerseits  hatte  Fuld  (Beitr.  z.  ehem.  Physiol.  und  Pathol.  1902, 
Bd.  2)  gefunden,  dass  eine  auf  90 — 100®  C.  erwärmte  Milch  nicht 
im  Stande  sei,  ein  spezifisches  Laktoserum  zu  produzieren,  ein  Be- 
fund, den  er  übrigens  später  widerrufen  hat. 

Zu  unsern  Versuchen  verwandten  wir  12  Kaninchen,  denen 
in  Abständen    von   3  bis  5  Tagen  je  10  cm.   steril    gewonnener 

2i* 


372  Hippias,  Biologisches  zar  MilehpasteurisieruDg. 

Kuhmilch  8  bis  lOmal  hinter  einander  subkutan  injiziert  wurden; 
6  Tage  nach  der  letzten  Injektion  wurde  der  Carotis  der  Tiere 
das  Blut  entnommen,  welches  nach  Abstehen  das  spezifische  Serum 
lieferte.  Bei  Zusatz  dieses  Serum  zu  Kuhmilch  entstand  sehr 
bald  ein  feinf  lockiger  Niederschlag.  Die  Reaktion  liess  sich  noch 
schneller  und  deutlicher  unter  dem  Mikroskop  beobachten:  wenn 
wir  auf  dem  Objektivglase  einen  Tropfen  des  präzipitierenden 
Serum  mit  einem  Tropfen  Milch  vermischten,  schnell  mit  dem 
Deckgläschen  bedeckten  und  durch  Obj.  No.  3  betrachteten,  so 
verschwanden  in  1  bis  2  Minuten  vor  unsern  Augen  die  einzelnen 
Milchkügelchen  und  es  bildeten  sich  feinkörnige  Häufchen.  Die- 
selbe Erscheinung  trat  auch  bei  starker  Verdünnung  (1:200)  des 
präzipitierenden  Serum  deutlich  zu  Tage.  Es  war  ganz  gleich- 
gültig, ob  wir  die  Kaninchen  mit  roher,  pasteurisierter,  gekochter 
oder  1  Stunde  bei  120®  0.  im  Autoklaven  sterilisierter  Kuh- 
milch immunisierten:  ihr  Serum  gab  stets  gleich  prompt  die 
Reaktion  mit  Kuhmilch,  und  zwar  wiederum  gleichviel,  ob  wir 
dieselbe  roh  verwandten,  oder  pasteusiert,  oder  gekocht,  oder 
1  Stunde  bei  120®  0.  im  Autoklaven  sterilisiert.  —  Der  Frauen- 
milch gegenüber  blieb  jede  Reaktion  aus. 

Resultat:  Yollwirksames  Präzipitin  entsteht  bei  der 
Immunisierung  der  Versuchstiere  nicht  nur  mit  roher 
oder  pasteurisierter,  sondern  auch  mit  gekochter  Milch, 
ja  sogar  mit  Milch,  welche  1  Stunde  lang  bei  120®  C. 
im  Autoklaven  sterilisiert  wurde.  Ebenso  übt  andrer- 
seits ein  wirksames  Laktoserum  seine  Wirkung  auf  die 
entsprechende  Milch  aus,  gleichviel  ob  dieselbe  roh^ 
pasteurisiert,  einfach  gekocht  oder  bei  den  genannten 
Bedingungen  sterisiliert  worden  ist. 

Die  Präzipitinbildung  kennzeichnet  eben  nur  die  Arteigeu- 
heit  des  Milchei weisses  und  hält  daher  allen  Temperaturen  stand. 

Wir  wandten  uns  nun  der  Prüfung  der  bakteriziden  Kraft 
der  Milch  zu,  deren  Verhalten  zu  höheren  Temperaturen  von  den 
einzelnen  Beobachtern  sehr  verschieden  beurteilt  wird.  Einige, 
darunter  E.  Moro  (dieses  Jahrb.,  55.  Bd.  5.  Heft  4),  und 
Klimmer  (Arch,  f.  Kinderh.,  Bd.  5,  H.  4),  stellen  überhaupt  ihre 
Existenz  in  Abrede. 

Zu  unsern  Versuchen  verwandten  wir,  wie  auch  v.  Behring 
es  empfiehlt,  das  B.  coli  und  den  seiner  charakteristischen  Färbung 
wegen    besonders    deutliche    Bilder     ergebenden   B.    prodigiosus. 


Hippias,  Biologisches  zar  Milchpastearisierung.  373 

Nach  mehrereD  Fehlversuchen  kamen  wir  zar  Erkenntnis,  dass 
€S  praktisch  sei,  das  Untersuchungsobjekt  mit  einer  sehr  geringen 
Anzahl  von  Keimen  zu  beschicken,  um  in  der  Folge  die  Zahl  der 
entstandenen  Eolonieen  besser  kontrollieren  zu  können.  Wir  fugten 
2Q  6  cm  einer  unter  den  strengsten  Eautelen  von  3  Kühen  mög- 
lichst steril  gewonnenenMischmilch  3 Tropfen  entweder  einer  frischen 
Bouillonkultur  des  B.  coli,  oder  einer  emulgierten  Agarkultur  des 
B.  prodigiosus  hinzu.  Yon  der  so  infizierten  Milch  wurden  3  Tropfen 
zum  Beschicken  von  10  cm  verflüssigten  und  auf  40®  C.  ab- 
gekühlten Agars  verwandt,  welcher  dann  inPetri-Schalen  24Stunden 
bei  Bruttemperatur  gehalten  wurde.  Diese  Aussaat  stellte  die 
Ausgangs-  oder  Kontrollprobe  dar.  Ganz  auf  dieselbe  Weise  ver- 
fuhren wir  mit  einer  andern  Probe  derselben  Rohmilch,  mit  dem 
-einzigen  Unterschiede,  dass  wir  die  infizierte  Milch  vor  der  Aus- 
saat auf  Agar  1,  2,  3,  4,  5  und  mehr  Stunden  im  Brutschranke 
beliessen.  Ebenso  behandelten  wir  Proben  derselben  Milch,  die 
wir  vor  der  Beschickung  mit  den  Bakterien  ^/j  Stunde  bei  65®  C. 
pasteurisiert,  2  Minuten  auf  85®  C.  erhitzt  oder  einfach  aufgekocht 
hatten.^)  Nach  24stündigem  Verweilen  der  einzelnen  Platten  im 
Brutschranke  wurde  die  Zählung  der  Kolonien  vorgenommen 
4]nd  deren  Resultat  mit  der  Kontrollprobe  verglichen. 
Zur  Illustration  diene  folgendes  Beispiel^): 
In  der  KontroUprobe  sind  3252  Prodigiosus  -  Keime 
enthalten. 

Kah milch:      roh     >/>  Std.  bei  65»  G.  2  Min.  bei  8.5»  C. 

pastearisiert        p&stenrisiert        gekocht 
Nachl  Std.  im  Brutschrank  640  988  2960  7060 

„    8Vi„     „  „  58  2394  6280  Unzahlbar 

„    5     „     „  „  356  7640  Unzählbar        Unzählbar 

Wir  sehen  hier  in  der  rohen  Kuhmilch  die  Prodigiosus-Keime 
nach  3^/j  Stunden  fast  vollständig  vernichtet;  auch  nach  weiteren 
1  Vs  Stunden  haben  die  überlebenden  Keime  noch  sehr  wenig 
Kolonien  gebildet.  In  den  ^/^  Stunde  bei  65®  C.  pasteurisierten 
Milchproben  ist  nach  1  Stunde.  Aufenthalt  im  Thermostaten  nur 
noch  weniger  als  ^/a  der  Keime  lebensfähig  geblieben;  jetzt  aber 
schwächt    sich    die    bakterizide  Kraft  der  Milch  ab,    denn  nach 


1)  £b  sei  hier  ein  fär  alle  Mal  bemerkt,  dass  wir  die  Milch  stets  im 
Wasserbade  erhitzten. 

*)  Bei  dem  in  Rede  stehenden  Versuch  habe  ich  nach  der  Vorschrift 
Ton  Fr.  Betzy  Meyer  (Hospitalstidende,  1903,  Bd.  11)  gehandelt  und  die 
Milch  Ton  einer  Kah  genommen.  Dieser  Versuch  gab  mir  die  besten 
Resnltate. 


874  Hipp  ins,  Biologisches  zur  Milchpastearisiorang. 

weiteren  2^/s  Standen  ist  eine  beträchtliche  Yeimehrang  der  über* 
lebenden  Keime  zu  konstatieren,  die  wieder  Vj^  Stande  später 
schon  das  Doppelte  der  ursprünglichen  Keimzahl  in  der  Kontroll- 
probe erreicht  hat.  Aach  den  2  Minaten  bei  85®  C.  pasteurisierten 
Milchproben  wohnt  noch  eine  gewisse  bakterizide  Fähigkeit  inne^ 
denn  nach  Ablauf  einer  Stunde  ist  eine,  wenn  auch  geringe,  Ab- 
nahme der  Keime  bemerkbar;  dieselbe  ist  jedoch  von  kurzer 
Dauer,  da  schon  nach  weiteren  2Vs  Stunden  eine  starke  Ver- 
mehrung der  Kolonien  stattgefunden  hat.  In  der  gekochten 
Milch  haben  sich  die  Keime  von  vornherein  unbehindert  vermehrt. 

Resultat  (aus  8  Versuchen):  Rohe  Kuhmilch  übt  eine 
starke  bakterizide  Wirkung  auf  den  B.  coli  und  den 
B.  prodigiosus  aus.  Diese  Wirkung  ist  am  intensivsten  während 
der  ersten  3 — 4  Stunden,  nimmt  dann  allmählich  ab  und  schwindet 
ganz  nach  6—7  Stunden.  Pasteurisiert  man  die  Milch 
7s  Stunde  bei  66®  C,  so  wird  ihre  bakterizide  Fähigkeit 
nicht  aufgehoben,  sondern  nur  abgeschwächt  und  dauert 
etwa  1 — 2  Stunden  an;  sie  ist  aber  in  dieser  Zeit  noch 
recht  beträchtlich.  Die  2  Minuten  dauernde  Erhitzung 
der  Milch  auf  85*  C.  raubt  ihr  gleichfalls  noch  nicht 
ganz  ihre  bakterizide  Fähigkeit;  dieselbe  ist  jedoch  schwach 
und  von  ganz  kurzer  Dauer.  In  der  gekochten  Milch  ist 
keine  Spur  mehr  von  einer  bakteriziden  Wirkung  vor- 
handen. 

Will  man  mit  v.  Behring  (Therapie  der  Gegenwart,  1904^ 
Heft  1)  eine  volle  Übereinstimmung  im  Verhalten  der  bakteriziden 
Kraft  der  Milch  zu  hohen  Temperaturen  mit  den  ihr  eigenen 
Alexinen  annehmen,  so  gelten  dieselben  Ergebnisse  auch 
für  die  Alexine  der  Milch. 

Von  Wichtigkeit  erschien  die  Frage,  wie  die  in  der  Milch 
enthaltenen  Stoffwechselfermente  sich  zu  der  Einwirkung  von 
höheren  Temperaturen  auf  die  Milch  verhalten. 

Wir  prüften  in  dieser  Hinsicht  zunächst  das  in  der  Kuh- 
milch reichlich  vorhandene  oxydierende  Ferment.  Demselben 
muss  eine  grosse  Bedeutung  für  das  Leben  der  Zelle  zugesprochen 
werden,  da  die  Oxydasen  dazu  berufen  sind,  die  Oxydation 
schwer  zersetzbarer  Körper  zu  bewirken  und  chemische  Energie 
in  vitale  überzuführen.  Nach  Frau  Sieber-Schiimowa  spielen 
sie  ausserdem  eine  Rolle  bei  der  Entgiftung  von  Toxinen.  Den 
Nachweis    der  Miichoxydase   führten  wir  sowohl  nach  Arnold^ 


Hipp  in  8,  Biologisches  zur  Milchpasteorisierang.  875 

indem  wir  die  einzelnen  Milchproben  im  Reagenzglase  mit  einigen 
Tropfen  von  Tra.  gaajaci  ligni  überschichteten,  als  auch  nach 
Storch,  der  far  die  Farbenreaktion  eine  2prozentige  wässerige 
Lösang  von  p-Phenylendiamin  mit  einem  Zusätze  von  einigen 
Tropfen  des  me4izinischen  Wasserstoffsuperoxyd  vorschlägt. 

Zu  je  10  ccm  roher  und  1  Minute  lang  bis  zu  verschiedenen 
Wärmegraden  erhitzter  Kuhmilch  ^)  gaben  wir  in  einer  Reihe  von 
Reagenzgläschen  5  Tropfen  auf  Wirkungswert  vorgepvüfter  Guajak- 
holztinktur  hinzu,  in  einer  anderen  (genau  nach  den  Angaben 
von  Siegfeld  in  ^ Milchzeitung«,  1901,  No.  46)  3  Tropfen 
Wasserstoffsuperoxyd  -f~  ^  Tropfen  der  p-Phenylendiamin-Lösung, 
worauf  letztere  Proben  durchschüttelt  wurden.  In  beiden  Fällen 
zeigte  die  blaue  Färbung  die  Wirksamkeit  des  oxydierenden 
Fermentes  an  (s.  Taf.  III,  Fig.  2,  und  Taf.  lYy). 

In  ca.  20  Versuchen  fanden  wir  stets  folgendes  Verhalten 
der  Oxydase  zur  kurzdauernden  Erhitzung  der  Milch: 

(Positive  Reaktion  =  +,  abgeschwächte  Reaktion  =  -\ , 

Ausbleiben  der  Reaktion  =  — .) 

Arnoidsche  Probe       Storchsche  Probe 

Rohe  Milch 

Milch  1  Min.  auf  60»  G.  erw&rmt 

M  1  9)  99         6^*    0.  „ 

„       1      „      „     700  C.        „ 

99  1  99  99  '^^^  C.  „ 

99  1  19  99  "^^O  C.  „ 

99  1  t»  99  74*  C.  „ 

„  1  „  „  75»  C.  „ 

„       1     „      „     76  •  C.u.  drüber  erwärmt  —  — 

Das  Vermögen  der  Farbstoff bildung  des  oxydierenden  Fer- 
mentes der  Milch  wird  demnach  bei  einer  kurzdauernden  Er- 
wärmung derselben  auf  73^  C.  schon  etwas  abgeschwächt  und 
erlischt  endgültig  bei  78 •  C.  Da  sich  dieses  Vermögen  mit 
Zuhilfenahme  von  H^O«  bei  einer  höheren  Temperatur  nachweisen 
lässty  als  ohne  dessen  Beteiligung,  so  lässt  sich  voraussetzen ^ 
dass  wir  es  hier  mit  einem  Polyenzym  zu  tun  haben.  Dasselbe 
nimmt  auch  Raudnitz  an  (Centralbl.  f  Physiologie,  1898,  Bd.  12 


+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+ 

+  - 

+ 

+ — 

+ 

— 

++- 

1)  Hier  sei  bemerkt,  dass  sowohl  für  diese,  als  auch  für  alle  folgenden 
Versuche  die  Mischmilch  von  3  Kühen  oder  von  8  Ammen  unter  den  strengsten 
Kanteten  »steril"  gewonuen  und  sofort  mit  etwas  Toluol  versetzt  wurde,  um 
etwaige  die  Beobachtung  störende  bakterielle  Verunreinigungen  der  Milch  zu 
vermeiden. 

>)  Die  Reaktion  stellten  wir  sowohl  hier,  als  auch  in  allen  folgenden 
Versuchen  bei  Zioamertemperatur  (17 — 18*  G.)  an. 


376  Hipp  ins,  Biologisches  zar  MilchpastearisieruQg. 

No.  24,  S.  700),  indem  er  nachweist,  dass  der  auf  Wasserstoff- 
superoxyd wirkende  Stoff  in  der  Milch  und  der  die  Guajakreaktion 
gebende  sich  gegen  Fällungsmittel  verschieden  verhalten. 

Interessant  war  das  Ergebnis  bei  länger  fortgesetztem 
Pasteurisieren  der  Milch  bei  60—65®  C:  je  länger  die  pasteuri- 
sierenden Temperaturen  auf  die  Milch  eingewirkt  hatten,  um  so 
schärfer  trat  die  Blaufärbung  durch  die  Storchsche  Reaktion 
hervor  (wie  das  auf  Taf.  IV  leicht  zu  bemerken  ist).  Eine  E^ 
klärung  für  diese  Erscheinung  weiss  ich  nicht  zu  geben.  Möglicher- 
weise spielt  hier  die  allmähliche  Abschwäch ung  eines  antago- 
nistischen Enzyms  (Pepsin?)  eine  Rolle,  vielleicht  aber  auch  die 
bei  langdauernder  Pasteurisier  ung  zunehmende  Acidität  der  Milch. 

Resultat:  Das  oxydierende  Ferment  der  Kuhmilch 
wird  bei  kurz  dauernder  Erhitzung  der  Milch  auf  76®  C. 
zerstört«  Es  erhält  sich  ungeschwächt  bei  der  Pasteuri- 
sierung der  Milch  bei  60 — 65^0.  und  zeigt  sogar  eine 
besonders  starke  Farbenreaktion,  wenn  diese  Pasteuri- 
sierung stundenlang  fortgesetzt  wird. 

Zur  Bestimmung  des  fettspaltenden  Fermentes  der 
Milch  verwandten  wir  Frauenmilch,  da  diese  nach  den  Unter- 
suchungen Spolverinis  (Annali  d'Igiene  sperimentale,  Yol.  XII, 
F.  III)  die  wirksamste  Lipase  enthält. 

Zunächst  griffen  wir  zu  der  von  Rachford  angegebenen 
und  von  Moro  zum  Nachweise  der  Milchlipase  benutzten  Methode. 
Dieselbe  beruht  auf  der  Emulgierung  eines  der  Lipasenwirkung 
ausgesetzt  gewesenen  neutralen  Öles  in  einer  alkalischen  Lösung 
und  ist  von  Moro  in  diesem  Jahrbuche  (56,  der  III.  Folge 
6.  Bd.,  Ergänzungsheft,  S.  400)  detailliert  beschrieben  worden. 
Da  wir  jedoch  ausnahmsweise  in  jedem  Tropfen  neutralen  Öls, 
auch  ohne  eine  vorhergeschickte  Behandlung  desselben  nach  Moro, 
eine  Trübung  erhielten,  so  suchten  wir  nach  anderen  Methoden 
und  schlugen  schliesslich  ein  eigenes  Verfahren  ein,  welches  uns 
durchaus  deutliche  und  sichere  Resultate  ergab. 

Unser  Prinzip  beruht  auf  dem  Nachwelse  der  durch  die 
Milchlipase  von  neutralem  öle  abgespalteten  Fettsäuren  durch 
einen  Säureindikator.  Als  solchen  schlug  Hr.  Bernhardt  den 
▼on  den  Bakteriologen  zur  Differenzierung  von  Kulturen  und 
Kulturfiltraten  gern  benutzten  Mankowskyschen  Indikator  vor. ^) 

^)  Derselbe  besteht  aus  a)  gesättigter  wässeriger  Lösong  von  Indigo- 
carmin,  b)  gesättigter  Lösung  Ton  Säarefachsin  in  Iproz.  KOH  and  c)  Wasser. 


Hipp  ins,  Biologisches  zar  Milchpfistearisierang.  877 

Methode:  Ein  Ccm  Fraaen milch  wird  in  kleine  konische  Glaskolben 
Ton  ca.  1,5  ccm  Rauminhalt  gefüllt  and  erh&lt  einen  Zusatz  von  10  Tropfen 
neutralen  Oles^).  Die  kleinen  Kolben  werden  mit  sterilisiertem  Papier 
bedeckt,  vorsichtig  umgeschüttet  und  auf  24  Stunden  in  den  Brutschrank 
bei  88^0.  gestellt.  Um  einen  innigeren  Kontakt  des  Fermentes  mit  dem  öle 
zu  erzielen,  ist  es  ratsam,  das  Umschütteln  in  dieser  Zeit  2 — 8  mal  zu  wieder- 
holen. Jetzt  wird  der  frisch  pr&parierte  Manko wskjsche  Sftureindikator 
mit  sterilem,  frisch  gekochtem*)  Wasser  verdünnt,  bis  die  Lösung  eine 
hellblaue  Färbung  annimmt,  und  in  kleine  Glaspokale  bis  zu  ^t  ihrer  Höhe 
gefüllt.  Zu  diesem  verdünnten  Indikator  fügt  man  nan  mittels  steriler  Pipette 
etwa  die  H&lfte  des  auf  der  Milch  schwimmenden  Öles  vorsichtig  hinzu: 
haben  sich  aus  dem  öle  Fettsäuren  abgespaltet,  so  dokumentieren  sie  sich 
momentan  durch  rote  Streifen,  die  langsam  von  der  Berührungsfläche  beider 
Flüssigkeiten  herabsinken  und  dem  Indikator  bald  das  auf  Taf.  V, 
a  und  b  abgebildete  Aussehen  verleihen. 

Wir  fanden,  dass  nach  einer  Va stündigen  Pasteurisierung 
der  Milch  bei  65®  C.  die  fettspaltende  Wirkung  derselben  ver- 
loren ging;  dagegen  blieb  sie  nach  cinstündiger  Paste urisierung 
bei  60^0.,  wenn  auch  etwas  abgeschwächt,  der  Milch  erhalten. 
8  Versuche  zeigten  uns  übereinstimmend  folgendes  Verhalten 
der  Frauenmilchlipase    zur    kurzdauernden  Erhitzung   der  Milch: 

(Positive  Reaktion  =:  -[-)  abgeschwächte  R.  =  -j , 

Fehlen  der  R.  =  — .) 

Rohe  Milch 4- 

Milch  1  Min.  auf  60«  C.  erwärmt  -}- 
62®  -i- 

»  W  »  J1       ^-J        v  v  \^ 

n  n         yi  n      öö       „  y,  -)- 

Gekochte  Milch  — 

Resultat:  Das  fettspaltende  Ferment  der  Frauen- 
milch bleibt  bei  der  kurzdauernden  Erwärmung  der 
Milch  bis  auf  62®  C.  unverändert  wirksam,  bei  63®  0.  wird 
es  abgeschwächt,  bei  64®  C  unwirksam.  Es  verträgt 
recht  gut  eine  Pasteurisierung  der  Milch  von  1  Stunde 
bei  60®  C. 

Gleichzeitig  verfolgten  wir  das  Schicksal  des  sogen,  salol- 

Die  Proportion  ist  'ia+lb-f-^'ic.  (Centralbl.  für  Bakteriologie.  Abt.  I. 
Bd,  27.    No.  1.) 

^)  Da  wir  ans  ein  absolut  neutrales  Olivenöl  nicht  verschaffen  konnten, 
so  licss  ich  zu  unseren  Zwecken  Mandelöl  auf  kaltem  Wege  pressen  und 
sofort  sterilisieren.    Dieses  öi  war  absolut  neutral. 

')  Durch  das  Kochen  wird  die  freie  Kohlensäure  des  Wassers  aus- 
getrieben, die  sonst  das  Resultat  der  Säureprüfuog  stört. 


378  Hippius,  Biologisches  zar  Milcbpasteurisierang. 

spaltenden  Fermentes  in  der  erhitzten  Frauenmilch.  Für  die 
praktische  Frage  der  Milchpastearisierang  hat  das  zwar  keine 
Bedeutung,  da  hier  hauptsächlich  die  Kuhmilch  in  Betracht  kommt, 
die  dieses  Ferment  nicht  enthält.  Es  war  mir  jedoch  von 
Interesse,  weil  Moro  (dieses  Jahrbuch  56,  Bd.  6.  Ergänzungs- 
heft, S.  401)  angibt,  dass  auch  gekochte  Frauenmilch  salolspaltend 
wirke.  Benoit^)  hat  das  Ferment  sogar  nach  funfminutlichem 
Kochen  der  Frauenmilch  noch  wirksam  gefunden. 

Wir  verfuhren  ebenso  wie  Moro,  indem  wir  Proben  von 
Frauenmilch  mit  etwas  Salol  versetzten  und  bei  38®  G.  im 
Thermostaten  hielten,  aber  nicht  länger  als  3  Stunden  (wie  das 
auch  Spolverini  empfiehlt),  denn  nach  Ablauf  dieser  Zeit  Hess 
sich  die  stattgehabte  Abspaltung  der  Salicylsäure  durch  die  Eisen- 
chloridreaktion stets  nachweisen.  EUelten  wir  die  Proben  24  Stunden 
lang  im  Brutschrank,  so  erhielten  wir  gleich  Moro  die  Reaktion 
auch  in  gekochter  Milch,  wenn  dieselbe  leicht  alkalisch  war. 
Dasselbe  sahen  wir  unter  diesen  Bedingungen  übrigens  auch  in 
schwach  alkalinisiertem,  destilliertem  Wasser  vor  sich  gehen. 

Resultat  (aus  10  Yersuchen):  Eine  ganz  leichte  Ab- 
Schwächung  in  der  Wirksamkeit  des  sogen,  salol- 
spaltenden  Fermentes  der  Frauenmilch  tritt  schon  bei 
kurzdauernder  Erhitzung  der  Milch  auf  65®C.  ein;  die- 
selbe ist  deutlich  ausgeprägt  in  der  bis  60^0.  erhitzten 
Milch;  bei  65^0.  sind  nur  noch  Spuren  der  Wirksamkeit 
des  Fermentes  vorhanden,  die  bei  noch  stärkerer  Er- 
hitzung der  Milch  vollkommen  verloren  gehen. 

Wir  befinden  uns  hier  im  Einklang  mit  A.  Desmouliires 
(Zeitschr.  f.  Untersuch,  d.  Nahrungs-  und  Genussmittel.  1904. 
Bd.  7.     H.  2.     S.  91.     Ref.  von  A.  Kirsten). 

Was  die  proteolytischen  Fermente  der  Milch  betrifft, 
so  gab  uns  weder  das  Mettsche  Verfahren,  noch  die  6 rützn er- 
sehe Färbemethode,  noch  auch  das  Verfahren  Spolverinis  (1.  c, 
S.  469 — 471)  deutliche  Resultate.  Wir  wählten  darauf  (nach 
Fermi)  die  Gelatine  als  Substrat,  operierten  aber  nicht  mit 
ganzer  Milch,  da  eine  solche  bei  der  für  die  Digestion  der  Gelatine 
erforderlichen  Dauer  von  mehreren  Tagen  schliesslich  doch  gerann, 
sondern    stellten    nach    Böchamp    (C.    R.    96.      S.    1508)    eine 


1)  Zit.    nach    Raadnitz    in    „Monatsschr.    f.   Kinderheilk.*.      Bd.   2. 
No.  12.    S.  692. 


HippiaB,  Biologisches  zar  Milchpastearisierung.  879 

FermeDtlösnDg  aus  Kuhmilch  dar,    die  Yfir  auf   die  Gelatine  ein- 
wirken liessen. 

Methode:  Man  pr&pariert  zunftehst  die Fermentlösung  nach  Bächamp: 
zu  1  Teile  der  mit  Essigsäure  leicht  angesäuerten  Milch  werden  8  Teile 
9öproz.  Alkohol  gegossen,  wobei  sich  ein  reichlicher  Niederschlag  bildet^ 
der  auf  dein  Papierfilter  gesammelt  wird.  Derselbe  wird  nun  zur  Entfernung 
des  Milchzuckers  mit  TerdAnntem  Alkohol  dorchwaschen  und  darauf  durch 
Filtrieren  mit  Äther  sorgftltig  entfettet.  Nachdem  man  den  so  Yorbehandelteo 
Niederschlag  mehrere  Stunden  mit  destilliertem  Wasser  extrahiert  hat  (wir 
füllten  Wasser  bis  zum  ursprünglichen  Volumen  der  Milch  auf),  filtriert  man 
Yon  neuem  und  erhält  nun  eine  leicht  opale  Flüssigkeit,  welche  diese  wirk- 
same Fermentlösung  darstellt.  —  Jetzt  wird  mit  geringem  Znsatz  von  Phenol 
sterilisierte  reine  Gelatine  in  lange,  gleichfalls  sterilisierte  Probiergläser 
noch  flüssig  eingefüllt,  worauf  man  sie  in  den  senkrecht  aufgestellten  Gläsern 
erstarren  lässt  —  Giesst  man  nun  etwas  von  der  Fermentlösung  zu  jeder 
Gelatineportion  und  lässt  die  mit  sterilisierten  Korken  verschlossenen  Probier- 
gläser senkrecht  bei  gewöhnlicher  Zimmertemperatur  im  Dunkeln  stehen,  so 
bemerkt  man  schon  am  zweiten,  noch  deutlicher  jedoch  am  vierten  Tage 
eine  trichterförmige  Ausbuchtung  an  der  Oberfläche  der  Gelatine,  welche 
durch  die  Peptonisierung  derselben  entstanden  ist.  Man  tut  gut,  die  ge- 
schlossenen Probiergläser  etwa  zweimal  täglich  nmzuschütteln. 

Zur  Herstellung  der  Fermentlösung  verwandten  wir  Kuhmilch» 
Wir  liessen  die  Lösung,  die  sich  bei  der  bakteriologischen  Prüfung 
jedesmal  als  absolut  steril  erwies,  sowohl  direkt  auf  die  Gelatine 
einwirken,  als  auch  nach  einer  Pasteurisierung  von  1  Stunde  bei 
60*  C.  und  ^/,  Stunde  bei  65®  C,  sowie  nach  Erhitzung  auf 
70,  75,  80,  90,  95  u.  100®  0.  während  2  Minuten.  Wir  nahmen 
stets  gleiche  Portionen  der  Lösung  (ä  20  ccm).  Am  vierten 
Tage  fanden  wir  die  Trichterbildung  in  der  Gelatine  aller  Probier- 
gläser mit  alleiniger  Ausnahme  der  mit  gekochter  Fermentlösung 
beschickten,  und  zwar  Hess  sich  stets  eine  gewisse  Gradation  der 
peptonisierendon  Wirkung,  von  der  rohen  bis  zur  gekochten 
Fermentlösung  absteigend,  deutlich  erkennen  [s.  Taf.  VI^]- 
Wir  erzielten  die  Peptonisierung  der  Gelatine  in  gleichem  Grade 
sowohl  bei  leichter  Alkalinisierung  der  neutralen  Lösung  mit 
Soda  (2  ®/oo)i  als  auch  bei  leichter  Ansäuerung  mit  Salzsäure 
(ß  Voo)*  Dennoch  entschliessen  wir  uns  nicht,  die  hier  nach- 
gewiesenen proteolytischen  Fermente  als  Trypsin  und  Pepsin  an- 
zusprechen, da  sie  so  thermostabil  sind.  Auch  Babcock  und 
Rüssel    (Centralbl.  f.  Bakteriologie,  Abt.   2,  Bd.   6),    die    ihren 

>)  Die  Abbildung  wurde  der  grösseren  Deutlichkeit  wegen  nach  Aus- 
griessen  der  Fermentlösung  gemacht.  In  den  Probiergläsern  ist  nur  die 
nicht  digerierte  Gelatine  zurückgeblieben. 


380  HippiuB,  Biologisches  zur  Mtlchpastearisierung. 

^Galaktase^-Extract  aus  frisch  bereitetem  Separatorschlamm  ge- 
wannen und  fanden,  dass  die  digestive  Wirkung  des  Fermentes 
auf  Milchproteide  schon  durch  eine  Pasteurisierung  von  10  Min. 
bei  76^  C.  verloren  gehe,  stehen  auf  ähnlichem  Standpunkte. 
Eine  Peptonisierung  durch  Bakterienwirkung  ist  in  unsern  Ver- 
buchen absolut  ausgeschlossen,  da  die  Gelatine  steril  war  und 
die  Fermentlösung  wiederholt,  auch  nach  Stägigem  Einwirken 
auf  die  Gelatine,  mittels  verschiedener  Nährböden  bakteriologisch 
geprüft,  sich  stets  als  vollkommen  steril  erwies. 

Resultat  (aus  6  Versuchen):  Das  proteolytische 
Ferment  der  Kuhmilch  bewahrt  seine  digestive  Wirk- 
samkeit sowohl  in  leicht  alkalischem,  als  auch  in 
schwach  saurem  Medium  bei  der  Pasteurisierung  der 
Fermentlösung  von  1  Stunde  bei  60®  C.  und  von 
^/s  Stunde  bei  65®  C,  ebenso,  allerdings  etwas  abge- 
schwächt, bei  einer  kurzdauernden  Erhitzung  bis  nahe 
an  100®  C,  —  verliert  sie  jedoch  bei  100®  C. 

Die  Kuhmilch,  die  für  die  praktische  Frage  der  Paste urisation 
vorherrschend  von  Bedeutung  ist,  enthält  zwar  kein  amy- 
lolytisches  Ferment  (Moro,  Spolverini)  und  das  Verhalten 
desselben  zu  erhöhten  Temperaturen  ist  daher  für  den  direkten 
Zweck  dieser  Arbeit  indifferent.  Dennoch  interessierte  mich  die 
Frage  aus  theoretischen  Gründen,  und  wir  beschlossen  ihr  nach- 
zugehen, indem  wir  zu  den  betreffenden  Versuchen  Frauenmilch 
benutzten. 

Wir  verfuhren  genau  nach  B^champ  (1.  c.)  und  Hessen 
die  nach  seiner  Vorschrift  gewonnene  Fermentlösung  auf  einen 
2  proz.  Kleister  von  Reisstärke  im  Verhältnis  von  5:1  24  Stunden 
lang  bei  38®  C  einwirken.  Zur  Ergründung  der  auf  die  Diastase 
deletär  wirkenden  Temperaturen  verfuhren  wir  auf  zweierlei  Art: 
einmal  erwärmten  wir  die  einzelnen  Milchproben  selbst  auf  be- 
stimmte Hitzegrade  und  bereitieten  aus  denselben  erst  dann  die 
Fermentlösung,  —  ein  anderes  Mal  stellten  wir  aus  der  ganzen 
zur  Verfugung  stehenden  Milchmenge  die  Fermentlösung  dar  und 
behandelten  jetzt  einzelne  Proben  derselben  mit  bestimmten 
Temperaturen.  Nachdem  wir  die  Milchamylase  24  Stunden  lang 
im  Brutschranke  auf  die  Stärkelösung  hatten  einwirken  lassen, 
bestimmten  wir  den  Grad  ihrer  Wirksamkeit  durch  Zusatz  von 
3 — 4  Tropfen  der  Gram  sehen  Jodkalilösung  zu  je  5  ccm  der 
Milch-  oder  Fermentlösungsproben,    wobei  uns    die  Färbung    des 


Hippias,  Biologisches  zur  Milchpastearisicrung.  881 

einfallenden  Tropfens   über    die    diastatische  Kraft    der  Amylase 
Aufschi uss  gab. 

In  6  Versuchen  fanden  wir  übereinstimmend  bei  Prüfung 
sowohl  der  Milchproben,  als  auch  der  Proben  der  Fermentlösung 
folgendes  Verhalten  zu  verschiedenen  Temperaturen:  in  den  ge- 
kochten Flüssigkeiten  tiefblaue  Färbung;  ebenso  in  den  1  Minute 
auf  80  und  75®  C,  erhitzten  Proben;  in  den  1  Minute  auf  70*  C- 
erwärmten  Proben  rötlich- violette  Färbung;  in  Milch  oder  Ferment- 
lösung, die  Va  Stunde  bei  65®  C.  oder  1  Stunde  bei  60®  C 
pasteurisiert  waren,  keine  Reaktion  mit  Jod;  ebenso  in  den  Proben 
von  Milch-  oder  Fermentlösung,  die  einer  Erhitzung  überhaupt 
nicht  ausgesetzt  worden  waren. 

Resultat:  Das  amylolytische  Ferment  der  rohen 
Frauenmilch  verwandelt  Stärke  in  JDextrin;  es  bewahrt 
seine  volle  Wirksamkeit  nach  Pasteurisierung  der  Milch 
während  1  Stunde  bei  60*0.,  oder  V«  Stunde  bei  65®  C; 
eine  kurzdauernde  Erhitzung  der  Milch  auf  70®  C. 
schwächt  es  so  weit  ab,  dass  es  die  Stärke  nur  bis  zur 
Stufe  der  Erythrodextrin  abbaut;  durch  Erhitzung  der 
Milch  auf  76®  C.  und  drüber  wird  das  Ferment  zerstört. 

Stellen  wir  nun  die  hier  erhaltenen  Resultate  zusammen^ 
so  ergibt  sich  folgendes  Resumö: 

1.  Die  Fähigkeit  der  Milch,  ein  spezifisches  Laktoserum  zu 
bilden,  wird  auch   durch  das  Kochen  nicht  vernichtet. 

2.  Die  bakterizide  Kraft  der  Milch  ist  noch  recht  beträchtlich 
nach  anhaltendem  Erwärmen  der  Milch  auf  60 — 65®  C.  und  lässt 
sich  in  geringem  Masse  auch  nach  kurzdauernder  Erhitzung  der 
Milch  auf  85®  C.  nachweisen. 

3.  Nach  V.  Behring  müssen  sich  die  Alexine  der  Milch 
ebenso  verhalten. 

4.  Das  oxydierende  Ferment  der  Milch  wird  bei  76®  C. 
zerstört,  ist  jedoch  nach  andauernder  Pasteurisierung  der  Milch 
bei  60 — 65®  C.  voll  wirksam. 

5.  Das  fettspaltende  Ferment  verträgt  eine  Paste urisierung 
der  Milch  zwischen  60  und  63®  C;  durch  die  Erwärmung  der 
Milch  auf  64®  C.  wird  es  unwirksam. 

6.  Das  für  die  praktische  Frage  der  Milchpasteurisierung 
indifferente  sogen,  salolspaltende  Ferment  verträgt  keine  Pasteuri- 
sationstemperaturen. 


382  Hipp  las,  Biolof^isches  sur  MilchpasteurisieruDg. 

7.  Die  proteolytischen  Fermente  sind  in  pasteurisierter  Milch 
ebenso  wie  in  der  rohen  Milch  wirksam  und  werden  erst  durch 
Kochen  zerstört. 

8.  Das  amylolytische  Ferment  der  Frauenmilch  widersteht  der 
Dauereinwirkung  von  60 — 65*  C,  geht  jedoch  bei  75^  C  zu 
Grunde. 


Wir  sehen  also,  dass  die  Tenazität  der  hier  betrachteten 
biologischen  Eigenschaften  der  Milch  gegenüber  hohen  Temperaturen 
gleichfalls  in  den  Rahmen  hineinpasst,  den  wir  in  Bezug  aaf 
Dauer  und  Wärmegrade  für  die  Pasteurisierung  der  Trinkmilch, 
insbesondere  der  Kindermilch,  gewählt  haben.  Am  leichtesten 
wird  hierbei  die  Lipa^en Wirkung  gehemmt,  und  ist  daher  die 
Pasteurisierung  zwischen  60  und  62^  C.  während  1  Stunde  der 
Vi  stundigen  Pasteurisierung  bei  63 — 66^  C.  vorzuziehen.  Eine 
derartige  Pasteurisation  der  Milch  lässt  sich  im  Haushalte  leicht 
bewerkstelligen,  wenn  der  Pasteurisierapparat  unter  Thermometer- 
kontrolle steht.  Seit  einem  Jahre  habe  ich  daher  auch  in  der 
Gebrauchsanweisung  zu  meinem  Apparate  die  entsprechenden 
Vorschriften  gegeben.  —  Anders  steht  es  mit  der  Pasteurisation 
im  Molkereiwesen,  wo  es  nur  auf  eine  genugende  Entkeimung  der 
Milch  und  nicht  auf  feinere  chemische  und  biologische  Verän- 
derungen derselben  ankommt.  Hier  gilt  es  vor  allem  Zeit  und 
Arbeitskraft  sparen:  den  Zwecken  des  Landwirtes  genügt  ein 
Erhitzen  der  Milch  und  des  Rahmes  auf  ca.  85*  C.  während 
1 — 2  Minuten,  wobei,  wie  wir  gesehen  haben,  die  proteolytischen 
Fermente  auch  noch  nicht  zerstört  werden.  Aus  solchem  Material 
lassen  sich  Butter  und  Weichkäse  von  vorzüglicher  Qualität  und 
guter  Haltbarkeit  herstellen. 

Somit  befinde  ich  mich  in  vollem  Einklänge  mit  Prof,  Tjaden 
welcher  seine  Ansicht  mit  folgenden  Worten  präzisiert:  „Beide 
Verfahren,  die  sogen,  momentane,  d.  h.  innerhalb  1 — 2  Minuten 
sich  vollziehende  Erhitzung  auf  85®  und  die  eine  Stunde  dauernde 
Erwärmung  auf  63°  bis  höchstens  65  ^  stellen  nach  oben  und 
unten  die  Grenzwerte  dar,  zwischen  denen  Möglichkeiten  vor- 
handen sein  müssen,  die  den  jeweiligen  Verhältnissen  angepasst 
dem  Ziele  einer  Vernichtung  der  Krankheitserreger  ohne  Verän- 
derung der  Milch  mehr  oder  weniger  nahe  kommen.^  (Deutsche 
med.  Wochenschr.  1903.  No.  51.  S.  978). 


Hipp i US,  Biologisches  zur  MilchpasteurisieruDg.  883 

Wie  nahe  wir  diesem  Ziele  bei  richtiger  Pasteurisierung  der 
Trinkmilch  resp.  Kindermilch  kommen,  ist  nach  allem  hier  Nieder- 
gelegten recht  deutlich  geworden.  Es  lässt  sich  in  folgenden 
Sätzen  formulieren: 

1.  Durch  die  Pasteurisierung  werden  alle  in  der 
Milch  eventuell  enthaltenen  infektiösen  Keime  un- 
schädlich gemacht. 

2.  Chemisch  bleibt  die  Milch  dabei  fast  ganz  un- 
verändert. Wenn  auch  ein  geringer  Teil  des  löslichen  Milch- 
eiweisses  infolge  der  Pasteurisierung  in  eine  unlösliche  Form 
übergeht,  so  ist  in  praxi  um  so  weniger  eine  Schädigung  des 
Konsamenten  damit  verbunden,  als  es  sich  um  ein  artfremdes 
Eiweiss  handelt,  welches  doch  zum  Zwecke  der  Assimilierung  vor- 
erst digeriert  werden  muss. 

3.  Die  wichtigsten  biologischen  Eigenschaften  der 
Rohmilch  bleiben  der  regelrecht  pasteurisierten  Kinder- 
milch mehr  oder  weniger  ungeschwächt  erhalten. 

Wir  erkennen  demnach  in  einer  solchen  Milch  die  fast  ganz 
unveränderte  Rohmilch,  deren  Darreichung  in  der  Kinderernährung 
erstrebt  wird,  und  zwar  mit  dem  Gewinne,  dass  die  Milch  dabei 
haltbarer  und  in  keinem  Falle  infektiös  ist. 

Indem  ich  dies  ausspreche,  bin  ich  mir  wohl  bewusst,  dass 
ich  auf  theoretischem  Boden  stehe.  Abgesehen  von  den  aus- 
gezeichneten praktischen  Resultaten,  die  bisher  bei  der  Ernährung 
der  Kinder  mit  gut  pasteurisierter  Milch  erzielt  und  zum  Teil  in 
der  medizinischen  Literatur  niedergelegt  sind,  wäre  es  für  den 
uns  hier  beschäftigenden  Gegenstand  wichtig  durch  vergleichende 
Emährungsversuche  an  gesunden  Kindern  nachzuweisen,  wie  weit 
die  von  Escherich  angenommene  stimulierende  Wirkung  der 
Stoffwechselfermente  für  den  Endzweck  der  Ernährung  den  Stoff- 
ansatz und  das  Wachstum  von  Bedeutung  ist  Moro  (1.  c,  S.  418) 
hat  in  diesem  Sinne  einen  Versuch  gemacht.  Leider  kann  jedoch 
sein  Ergebnis  uns  keine  Antwort  auf  unsere  Frage  geben,  denn 
er  hat  seinen  beiden  Säuglingen  einmal  die  Milch  wohl  roh,  das 
andere  Mal  aber  nicht  etwa  auf  80 — 85®  C.  kurze  Zeit  erhitzt, 
sondern  10  Minuten  im  strömenden  Dampfe  sterilisiert  gereicht. 
In  dieser  Milch  waren  nicht  nur  alle  Fermente  zerstört,  sondern 
auch  die  groben  chemischen  Veränderungen  eingetreten,  die  uns 
in  der  sterilisierten  Milch  bekannt  sind.  Das  ungünstige  Ernährungs- 
resultat, welches  er  hierbei  beobachtete,  kann  und  muss  wohl 
auch  diesen  Veränderungen  zugeschrieben  werden. 


384  Hippiofl,  Biologisches  zor  Milch pastearisierong. 

Infolgedessen  ging  ich  daran,  den  Moroschen  Versuch 
entsprechend  zu  modifizieren.  Ich  brauchte  für  meinen  Versuch 
eine  Reihe  von  Kindern  im  Alter  von  4  Monaten,  d.  h.  solche 
Kinder,  die  einerseits  Vollmilch  schon  gut  vertragen  können  und 
andrerseits  von  der  die  Resultate  trübenden  Dentitionsperiode 
noch  genügend  weit  entfernt  sind.  Alle  sollten  die  gleiche  Misch- 
milch erhalten,  und  zwar  3 stündlich  in  den  von  Feer  angegebenen 
Nahrungsmengen.  Die  Milch  sollte  2  Wochen  hindurch  roh  und 
dann  in  Perioden  von  je  2  Wochen  gekocht,  bei  85^  C.  2  Minuten 
pasteurisiert  und  bei  60 — 63^  C.  eine  Stunde  pasteurisiert  gereicht 
werden.  Tägliche  Wägungen  sollten  darüber  entscheiden,  welche 
Art  der  Ernährung  den  grössten  Stoffansatz  erziele.  —  Zu  meinem 
lebhaften  Bedauern  habe  ich  einen  solchen  Versuch  nicht  durch- 
führen können,  weil  es  mir  am  entsprechenden  Material  fehlt. 
Im  hiesigen  Findelhause  wurden  mir  allerdings  5  Kinder  in  liebens- 
würdiger Weise  für  meine  Zwecke  überlassen,  doch  waren  sie 
sämmtlich  recht  atrophisch  und  standen  im  Alter  von  6^8  Wochen. 
Trotzdem  ging  ich  an  die  vorgezeichneten  Beobachtungen  und 
begann  damit,  die  Kinder  zunächst  an  Vollmilch  zu  gewöhnen. 
Das  gelang.  Aber  schon  am  6.  Tage  der  ersten  Periode  des 
eigentlichen  Versuches  (Ernährung  mit  Rohmilch)  erkrankten  sie 
sämtlich  an  schwerer  Stomatitis  aphthosa,  und  ich  musste  meinen 
Versuch  aufgeben.  Ich  erwähne  desselben  nur  in  der  Absicht, 
andere  Beobachter,  die  über  ein  besseres  Material  verfügen  und 
unter  glücklicheren  Bedingungen  arbeiten  können,  als  es  mir 
vergönnt  war,  zu  ähnlichen  Versuchen  anzuregen. 


XIX. 

Aas  der  IJDivergit&ts-Einderklinik  zu  Heidelberg. 
(Direktor:  Prof.  0.  Vierordt) 

Beitrag 
zur  Kenntnis  des  Meningococcus  intracellularis. 

Von 
Dr.  B.  WEYL, 

ASBlBtensant  der  Ambulanx. 

Im  Jahre  1896  gelang  es  Heubner,  vermittelst  der  am- 
gekehrten  Lumbalpunktion,  sowohl  mit  Kulturen  des  Meningo- 
coccus intracellularis,  dessen  Identität  mit  dem  kurz  vorher  von 
Jäger  bei  epidemischer  Cerebrospinalmeningitis  beschriebenen 
Mikroorganismus  erwiesen  war,  als  auch  mit  der  einem  erkrankten 
Kinde  entnommenen  Punktionsflussigkeit  bei  zwei  Ziegen  das  Bild 
der  epidemischen  Cerebrospinalmeningitis  zu  erzeugen.  Aus  der 
von  den  Rückenmarkshäuten  abgestrichenen  Flüssigkeit  konnten 
Reinkulturen  des  Meningococcus  gewonnen  werden.  Ein  gleicher 
Versuch  ist  nach  den  Angaben  von  Eichhorst  in  Boston  gelungen. 
Auch  Schiff  infizierte  zwei  Ziegen  intraspinal,  erzeugte  jedoch 
nur  vorübergehend  spastische  Erscheinungen.  Auf  gleiche  Weise 
töteten  Alb  recht  und  6  hon  eine  junge  Ziege,  ohne  dass  es 
ihnen  möglich  war,  Kokken  oder  Entzündung  nachzuweisen.  Die 
beiden  letzten  Autoren  bestritten  (Wiener  klin.  Wochenschrift, 
1901,  No.  41)  die  Identität  des  Heubn ersehen  Meningococcus 
mit  dem  von  Weichselbaum  zuerst  gefundenen  Diplococcus 
intracellularis  meningitidis  und  leugneten  die  Beweiskraft  der 
angestellten  Versuche.  Sie  legten  dabei  das  Hauptgewicht  auf 
die  Gram  sehe  Färbung,  die  bei  den  Weichselbaumschen 
Kokken  stets  negativ  ausfallen  soll  und  niemals,  wie  Heubner 
es  gefunden  hatte,  positiv.  Danach  waren  eben  jene  positiven 
Kokken  von  der  Ätiologie  der  epidemischen  Cerebrospinal- 
meningitis   auszuschliessen.     Heubner   entgegnete    im  Jahrbuch 

Jahrbuch  f.  Ktnderbeilktinde.    N.  F.    LZI.    Heft  2.  25 


tf86     Wejl,  Beitrag  zar  EeDntnis  des  Meningococcas  intracellalari«. 

für  Kinderheilkunde,  1902  (Nocli  einmal  der  Meningococcus  intra- 
cellularis).  Bei  der  Untersuchung  von  zwei  Fallen,  welche  sich 
klinisch  als  einwandsfreie  Fälle  von  epidemischer  Genickstarre 
präsentierten,  kam  er  zu  folgenden  Ergebnissen:  In  dem  einen 
Falle  bei  zweimaliger  Untersuchung  der  Punktionsflussigkeit  fand 
er  die  in  Form  und  Kultur  typischen  Meningokokken  grampositiv; 
in  dem  zweiten  Falle  wuchsen  aus  dem  zu  verschiedenen  Zeiten 
der  Krankheit  gewonnenen  entzündlichen  Exsudat  zweimal  gram- 
negative und  einmal  grampositive  Meningokokken.  Die  Fort- 
züchtung  veränderte  die  einmal  gezeigte  Farbreaktion  niemals. 
Das  Verhalten  der  Kokken  gegenüber  der  Gramfärbung  war  also 
zu  verschiedenen  Zeiten  ein  verschiedenes.  Auch  Jäger  fand 
ungleiches  Verhalten,  und  Leyden  fand  sie  schwerer  entfarbbar 
als  Gonokokken.  Veranlasst  zur  Beschäftigung  mit  dem  Thema 
der  Meningitis  durch  meinen  hochverehrten  Chef,  dem  ich  meinen 
ergebensten  Dank  ausspreche,  beschloss  ich,  an  der  Hand  eines 
am  20.  Juni  in  die  Anstalt  aufgenommenen  Falles  von  epidemischer 
Cerebrospinalmeningitis,  speziell  diesen  Fragen  meine  Aufmerksam- 
keit zuzuwenden  und  den  Infektions  versuch  an  der  Ziege  mit 
gramnegativ  sich  verhaltenden  Kulturen  zu  wiederholen.  Dazu  war 
es  erforderlich,  zunächst  die  Identität  des  von  mir  in  der  Cerebro- 
spinalflüssigkeit  des  erkrankten  Kindes  gefundenen  Diplococcus 
mit  dem  Meningococcus  intracellularis  durch  Kultur  und  Tier- 
versuch nachzuweisen. 

Dass  wir  es  klinisch  mit  einer  sicheren  epidemischen  Cerebro- 
spinalmeningitis zu  tun  hatten,  das  lehrt  uns  die  Krankengeschichte 
und  der  pathologisch-anatomische  Befund,  die  ich  zunächst  in 
möglichster  Kürze  vorausschicke. 

Kern,  Karl,  3  J.,   aus  Weinheim.    Eingetreten  am  20.  VI.  1904. 

Eitern  gesund.  Patient  nie  krank.  Normale  geistige  Entwicklang. 
Seit  dem  1.  Jahr  fiel  den  Eltern  auf,  dass  der  Kopf  gross  war. 

Erkrankte  plötzlich  am  5.  VI.  (vor  15  Tagen)  mit  Fieber,  Erbrechen, 
Kopfschmerzen,  Unruhe,  Zittern  in  den  Händen.  Das  Kind  bohrte  den  Kopf 
in  das  Bett;  Bewusstsein  war  erhalten. 

Im  benachbarten  Weinheim  waren  z.  Zt.  mehrere  Personen  an  Hirnhaut- 
entzündung erkrankt. 

Status  praesens:  20.  VI.  In  dürftigem  Ernährungszustande  befind- 
liches Kind.  Liegt  in  Rückenlage,  mit  angezogenen  Beinen  und  hinten  über- 
gezogenem Kopf,  ist  weinerlicher  Stimmung,  greift  häufig  nach  dem  Kopf. 
In  beiden  Armen  und  Händen  starker,  grobschlägiger  Tremor.  Ausgeprägte 
Nackenstarre,  leichte  schmerzhafte  Rückenstarre,  keine  Lähmungen.  Sen- 
sorium  frei.  Hochgradige  Erregbarkeit  der  Vasomotoren.  Über  den  Körper 
zerstreut    flüchtige    Erytheme.     An    den    Schläfen    und    auf   der    Kopfhaut 


Weyl,  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Meningococcas  intracellularis.      387 

Veneozeichnangen.  Hirnschädel  auffallend  gross.  Temporalumfang  53  cm. 
Fontanellen  and  N&hte  Yollstftndig  geschlossen.    Temp.  88,9,  Pals  114. 

21.  VI.  Erste  Lumbalpanktion.  Punktionsflüssigkeit  leicht  diffus 
getrabt.  Darin  Eiterkörperchen  und  gonokokkenähnliche,  gramnegative 
Diplokokken,  teilweise  iDtracellulär.    (Näheres    siehe   im   bakteriolog.  Teil.) 

25.  VI.  Zweite  Lumbalpunktion.  Flüssigkeit  stark  trab,  darin  die- 
selben Diplokokken  in  grösserer  Anzahl  als  das  erste  Mal,  zum  Teil  intra- 
«ellalär,  gram  positiv. 

29.  VI.  Gestern  nur  geringes  Fieber,  heute  mittag  87,0.  In  Ruhe 
gelassen,  meist  still,  bei  Berührung  schreit  oder  weint  das  Kind.  Abends 
Temperatur  wieder  88,6. 

2.  VIT.  Zwei  Tage  wieder  höheres  Fieber,  heute  fieberfrei,  bis  4.  VII. 
Wesentliche  Besserung  des  Allgemeinbefindens,  Kind  zugänglicher,  Nacken- 
starre geringer. 

4.  VII.  Dritte  Lumbalpunktion.  Flüssigkeit  weniger  trüb  als  das 
letzte  Mal,  darin  obige  Diplokokken,  gramnegatiy.  Nach  der  Punktion 
Collapserscheinnngen. 

5.  VII.  Pat  sehr  unleidlich,  schreit  viel.  Auf  der  Haut  beständig 
entstehende  und  rasch  wieder  verschwindende  Eijtheme,  öfter  von  masern- 
ähnlichem  Aussehen.     Schlechte  Nahrungsaufnahme. 

6.  VII.  Seit  gestern  nachmittag  Temperatur  normal;  mittags  wieder  38,4. 
Pat.  sehr  unleidlich;  öfter  lautes,  kurzes  Aufweinen.  Sensoriam  bisher 
immer  frei. 

7.  VII.    Tief  benommen.    Temp.  89,2;  reagiert  gar  nicht. 

8.  VII.  Weniger  tief  benommen;  reagiert  mit  Weinen  und  Abwehr- 
bewegnngen. 

12.  VII.  Anfallsweise  hochgradiger,  den  ganzen  Körper  erschütternder 
Tremor  der  Arme. 

16.  VII.  Bis  heute  teilweise  fieberfrei,  nar  einmal  Temp.  über  38. 
Erbrechen  hat  aufgehört. 

17.  VII.  Stark  benommen.  Hochgradige  krampfhafte  Steifheit  fast 
der  gesamten  Muskulatur.  Den  Blick  starr  und  ausdruckslos  in  das  Leere 
gerichtet,  liegt  das  Kind  völlig  steif  mit  zusammengepressten  Lippen  da. 
Die  Arme  sind  wie  ein  Stock  steif  ausgestreckt,  in  starker  Ulnarflexion. 
Hände  extrem  flektiert,  alle  Finger  eingeschlagen.  Beine  überkreazt,  gerade- 
gestreckt; desgleichen  Füsse  in  extremer  Streckung.  Haut  beständig  übersät 
mit  masernähnlichen,  flüchtigen  Erythemen. 

19.  VII.  Benommen,  doch  nicht  reaktionslos;  Nackenstarre  nicht  mehr 
nachweisbar. 

Bereits  am  18.  VII.  trat  bei  gemeinsamem  Anstieg  von  Puls  und 
Temperatur  eine  enorme  Beschleunigung  der  Respiration 'auf,  die  bis  zu  dem 
am  23.  VII.  erfolgten  Tode  anhielt  und  ihre  Erklärung  in  der  Entwicklung 
ausgedehnter  Bronchopneumonien  fand. 

Vierte  Lumbalpanktion  post  mortem.  Es  wird  reichlich  Flüssigkeit 
entnommen,  darin  die  obigen  Doppelkokken  gram  negativ. 

Sektionsbefand:  (Dr.  Pol)  Dura  prall  gespannt,  Hirnsnbstanz  ihr  an- 
gepresst,  Windangen  stark  abgeplattet,  anämisch  und  Sulci  verstrichen.  Pia  und 
Arachnoidea  der  Konvexität  ohne  makroskopische  Veränderungen,  ap  der 
Basis  dagegen  verdickt,  fibrinös  eitrig  belegt.    Namentlich  an  der  Pens  und 

25* 


888    Weyl,  Beitrag  zar  Kenntnis  des  Meningococcus  intracellularis. 

den  Pedancali  cerebri.  Nach  yorn  za  nimmt  der  Belag  ab.  Basaigefftsse  in 
die  fixsndatmassen  eingebettet.  Nirgends  Tal«erkelknötchen  nachweisbar. 
Beide  Ventrikel  hochgradig  erweitert,  enthalten  reichlich  trüb  seröse  Flfissig- 
keit  mit  Fibrinflocken  untermengt.  Ependym  leicht  fibrinös  belegt.  Am 
Rückenmark  Quellang  der  Pia.  Die  Hinterpartie  des  Lumbal-  und  Caudal- 
markes  eitrig  belegt.  Nirgends,  speziell  in  den  Drüsen,  Tuberkuloseyer- 
dächtiges. 

Die  KrankeDgeschichte  bietet  uns  eine  gute  Illustration  zu 
der  sogen,  protrahierten  Form  der  epidemischen  Cerebrospinal- 
meningitis.  Der  Umstand,  dass  in  dem  benachbarten  Weinheim 
mehrere  Fälle  von  Hirnhautentzündung  zur  Zeit  der  Erkrankung 
unseres  Pat.  zur  Beobachtung  kamen,  legte  von  vornherein  den 
Gedanken  an  die  epidemische  Natur  der  Meningitis  nahe,  zumal 
da  tuberkulöse  Symptome,  sowie  eitrige  Otitis,  Schädeltrauma  etc., 
die  gewöhnlichen  Ausgangspunkte  purulenter  Meningitis  fehlten. 
Als  besonders  charakteristisch  für  die  Auffassung  unseres  Falles 
als  epidemische  Genickstarre  ist  hervorzuheben  der  über  einen 
Zeitraum  von  fast  7  Wochen  sich  hinziehende,  von  wiederholten 
Remissionen  unterbrochene  Erankheitsverlauf.  Das  plötzliche  Ein- 
setzen der  krankhaften  Erscheinungen,  die  von  Anbeginn  bis 
4  Tage  vor  dem  Tode  noch  bestehende  Nackensteifigkeit.  Als- 
dann weitere  zahlreiche  motorische  Reizerscheinungen,  die  schmerz- 
hafte Ruckenstarre,  der  Tremor  in  Armen  und  Händen,  die 
mannigfaltigen  spastischen  Kontrakturen  der  Extremitäten.  Yon 
selten  der  sensiblen  Sphäre  machte  sich  andauernd  teilnahmloses 
Wesen  bemerkbar.  Dabei  war  das  Kind  zeitweise  recht  unleid- 
lich bei  der  Untersuchung,  freundlichem  Zureden  nicht  zngängig, 
gab  nur  widerwillig,  oft  unter  Jammern  die  Hand.  Das  Bewusst- 
sein  war  über  den  grössten  Teil  der  Erkrankung  völlig  erhalten. 
Die  17  Tage  vor  dem  Tode  einsetzende  tiefe  Benommenheit  lässt 
teilweise  wieder  nach.  Auch  gegen  das  Ende  zu  ist  das  Bewusst- 
sein  nicht  ganz  aufgehoben.  Den  von  den  Eltern  bereits  im 
ersten  Lebensjahre  des  Kindes  bemerkten  Hydrocephaius  in  ur- 
sächlichen Zusammenhang  mit  der  Meningitis  zu  bringen,  dürfte 
wohl  kaum  angängig  sein.  Das  Kind  war  die  ganze  Zeit  über 
völlig  gesund. 

Bakteriologische  Befunde: 
21.  VI.  Erste  Lambalpaoktion  (am  17.  Krankheitstage).  Es  werden 
ca.  10  ccm  einer  leicht  diffus  getrübten  Flüssigkeit  entleert,  bei  einem  Druck 
von  14  mm  Hg.  Feines  Fibrinnetz  nach  dem  Erkalten,  Eiweissgehalt  gering. 
Beim  Cen tri fu gieren  klärt  sich  die  Flüssigkeit.  Im  spärlichen  weissen 
Sediment  vorwiegend  polynukleäre  Leukozyten.   In  geringer  Zahl  gonokokken- 


Weyl,  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Meniogococcas  intracellularis.  *  389 

ähnliche  Diplokokken,  teilweise  intracellulär,  keine  andere  Mikroorganismen. 
Eine  Reihe  auf  Tnberkelbazillen  hin  untersuchte  Präparate  haben  negatives 
Ergebnis.  Von  der  in  sterilen  Reagensgläsern  aufgefangenen  Cerebrospinal- 
^üssigkeit  wird  geimpft  auf  ^  garplatten,  Gelatineplatten,  schräg  erstarrtem 
jgewöhnlichen  Agar,  Blatserum  und  Bouillon. 

22.  VI.  Nach  24  Stunden  Bouillon  kaum  getrübt,  enthält  relativ  wenig 
gramnegative  Diplokokken.  Am  23.  VI.  Bouillon  unverändert,  umgeimpft  in 
Bouillon  und  auf  schräg^  erstarrtem  gewöhnlichen  Agar. 

Agar  bleibt  steril. 

Bouillon  nach  zwei  Tagen  leicht  trüb,  enthält  gramnegatiye  Diplokokken 
in  sehr  geringer  Anzahl.  Heute  am  25.  VI.  abgeimpft  auf  Gljzerinagar. 
Nach  24  Stunden  eben  sichtbare  mattglänzende,  graue,  unregelmässige  Flecke, 
<lie  aus  semmelförmigen,  gramnegativen  Diplokokken  bestehen.  Überimpfung 
auf  Glyzerinagar  misslingt  (die  Kultur  hatte  einen  Tag  im  Zimmer  gestanden). 
Bouillon  nach  14  Tagen  klar,  weisser  Satz,  keine  Häutchenbildung. 

Die  ursprünglichen  Agar-  und  Blutserumröhrchen  bleiben  steril.  Auf 
der  Oelatineplatte  bei  Stubentemporatur  nichts  gewachsen.  Agarplatten  stark 
verunreinigt  durch  heubazillenähnliuhe  Mikroorganismen.  Ein  kleiner  Herd  ent- 
hält breitgedrückte  Diplokokken. 

Sämtliche  Diplokokken  färben  sich  nach  Gram  negativ.  Ich  betone, 
dass  die  Methode  der  Färbung  hier  wie  bei  allen  nachfolgenden  Färbungen 
immer  genau  die  gleiche  war  (Aasnahmen  sind  besonders  bemerkt).  Die 
Präparate  werden  drei  Minuten  in  Kristall  violett  gebracht,  eine  Minute  in 
Jod-Jodkalilösung  differenziert  und  mit  Alkohol  ca.  eine  Minute  lang  ent- 
färbt. Dabei  wurde  stets  nach  der  Uhr  gearbeitet  und  yornehmlich  auf 
Gleichmässigkeit  bei  der  Alkoholbehandlung  geachtet.  Die  Kontrastfärbung 
wurde  mit  Chrysoidin  vorgenommen. 

25.  VI.  Zweite  Lumbalpunktion  am  21.  Krankheitstag.  Flüssigkeit 
•entleert  sich  im  Strahl.  Sie  ist  stark  trüb  mit  feinen  weissen  Flöckchen 
durchsetzt.  Gröberer  Fibrinschleier.  Im  ganzen  entnommen  ca.  25  ccm- 
Zahlreiche  polynukleäre  Leukozyten,  Lymphozyten  in  mittlerer  Menge.  Aus- 
schliesslich an  Gonokokken  erinnernde  Diplokokken,  zum  Teil  intracellulär. 
Diesmal  reichlicher  vertreten  von  verschiedener  Grösse,  die  einen  mehr,  die 
anderen  weniger  breit  gedrückt  In  einer  Reihe  von  Präparaten  keine 
Tuberkelbazillen.  Nach  Gram  werden  die  Kokken  nicht  entfärbt,  sondern 
zeigen  dunkelviolette  Färbung,   auch   nach    längerer  Entfärbung  in  Alkohol. 

Es  wird  geimpft  auf  eine  Agarplatte  und  eine  Gelatineplatte,  beide  bei 
Zimmertemperatur  gelassen,  bleiben  steril. 

Weiter  auf  schräg  erstarrten  Glyzerinagar  und  in  Bouillon  (bei  36,5® 
im  Brütschrank;  Bouillon  sehr  alt). 

Nach  24  Stunden  auf  dem  Agar  nichts  zu  sehen.  Nach  ca.  36  Stunden 
über  dem  Kondenzwasser  sehr  feiner  streifenförmiger,  graugelblicher  Belag, 
tags  darauf  etwss  dicker,  darüber  und  an  den  Rändern  des  Nährbodens  feine, 
wie  Tanperlchen  glänzende  Kolonien. 

Mikroskopisch:  Massenhaft  kaffeebohnenähnliche,  schon  färbbare 
Diplokokken  von  wechselnder  Grösse.    Tetradenbildung. 

Dazwischen  (wohl  Veronreinigung)  einzelne  Häufchen  von  sehr  grossen 
hefeähnlichen  Zellen. 


390  »Wejly  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Meninj2;ococcas  intraceliularis. 

Diplokokken  alle  grampositir,  tief  riolett,  auch  bei  i&ngerer  AlkohoU 
behandlang. 

29.  VI.  übertragen  aaf  zwei  GlyzerinagarröhrcheD,  bleiben  steril. 
In  Bouillon  nichts  gewachsen.  Nach  8  Tagen  abermals  abgeimpft  auf  Agar 
und  Bouillon,  ohne  Erfolg.  Kultur  ist  im  Wachstum  stehen  geblieben  schon 
Yor  mehreren  Tagen. 

Zur  Kontrolle  der  Färbung  werden  zwei  Trocken pr&parate  angefertigt 
vom  Material.  1.  Der  grampositiven  Agarkultur,  2.  der  gramnegativen  Agar- 
kultur,  der  ersten  Punktion  und  8.  von  auf  Agar  gewachsenen  Staphylokokken. 
Gefärbt  nach  Gram  finden  sich  grampositire  und  gramnegative  Diplokokken 
neben  grampositiven  Staphylokokken. 

4.  VII.  Dritte  Lumbalpunktion  (am  30.  Krankheitstage).  Diese  und 
die  beiden  ersten  Lumbalpunktionen  wurden  von  Dr.  Tob  1er  ausgeführtr 
ebenso  in  dankenswerter  Weise  die  sich  an  die  heutige  Punktion  an- 
schliessende, erste  Spinalpunktion  einer  Ziege.  Von  heute  ab  wird  neue 
Bouillon  benutzt. 

Zu  Kulturzwecken  werden  nurmehr  verwendet:  Reagensgläschen  mit 
schräg  erstarrtem  Glyzerinpeptonagar  und  Bouillon. 

Zunächst  werden  einige  Kubikzentimeter  der  sich  im  Strahl  ent- 
leerenden Fl&ssigkeit  abgelassen,  alsdann  nach  Henbners  Angabe  die 
Flftssigkeit  direkt  auf  die  Nährböden  aufgetropft,  nach  Torherigem  Abglühen 
des  Bandes  der  Beagensgläser.  Flüssigkeit  weniger  trüb  als  das  letzte  Mal. 
An  der  Oberfläche  feines  Fibrinflöckchen,  Eiweissgehalt  gering. 

Mikroskopisch:  Vorwiegend  Lymphozyten.  Äusserst  spärlich  gram- 
negative  semmelförmige  Diplokokken,  vereinzelt  intracellulär. 

Unter  sorgfältigen  aseptischen  Kautelen  werden  einer  jungen  Ziege 
ca.  4  ccm  der  gewonnenen  Flüssigkeit  in  den  subduralen  Raum  gebracht 
(vier  Punktionsversuche,  Nadel  hat  sich  mehrere  Male  mit  Blutgerinnseln 
verstopft). 

Sofort  nach  der  Operation  sind  die  hinteren  Extremitäten  zum  Teil 
gelähmt.  Tags  darauf  leichte  Parese  des  rechten  Vorderbeins.  Nach  bald 
vorübergehender  Fressunlust  beginnt  schon  nach  zwei  Tagen  die  Lähmung 
sich  zu  bessern.  Am  28.  VII.,  dem  Tag  der  zweiten  Injektion,  ist  die 
Lähmung  wesentlich  zurückgegangen.  Tier  steht  und  läuft  auf  allen  Vieren« 
knickt  hinten  noch  öfter  ein,  stets  munter,  fresslustig,  keine  Zeichen  von 
Allgemeinerkrankung. 

5.  VII.  Bereits  vormittags  9  Uhr  deutliche  Trübung  der  Bouillon  in 
den  oberen  Flüssigkeitsschichten,  nimmt  an  Intensität  in  den  folgenden 
Tagen  nicht  mehr  zu.  Nach  14  Tagen  absolut  klar,  weisses  Sediment  Keine 
Häutchenbildung. 

Mikroskopisch:  Reinkultur  von  gramnegativen  kaffeebohnenähnlichen 
Diplokokken,  einzeln  in  Tetraden,  kleine  Häufchen  und  einzelne  Ketten 
bis  zu  vier  Gliedern,  wobei  die  Trenn ungsl in ie  der  Kokken  das  sie  ver- 
bindende Band  bildet. 

Auf  dem  Glyzerinagar  am  Abend  einzelne  kleine,  graue,  durchsichtige 
Herde,  vornehmlich  über  dem  Kondenswasser. 

6.  VII.  Nachmittags  3  Uhr.  Über  dem  Kondenswasser  Belag  etwas 
.dicker,  nach  oben  feiner  werdend,  darüber  zarte,  graue,  durchschimmernde, 
bläschenförmige  Einzelkolonien. 


Weyl,  Beitrag  zar  Kenntnis  des  Meningocoocns  intracellalaris.      891 

überall  schöne,  sehr  häufig  in  Tetraden  zasammenliegende,  gram- 
negatiye,  kaffeebohnenförmige  Diplokokken. 

Das  teilweise  gehäufte  Zusammenliegen  in  Tetraden  gibt  dem  mikro- 
skopischen Bild  ein  bestimmtes  charakteristisches  Aassehen. 

Besonders  auffällig  ist  die  zum  Teil  nicht  unbeträchtliche  Differenz  in 
der  Grösse  der  Diplokokken  bei  gleicher  Form.  Die  grossen  Exemplare  sind 
intensiver  gefärbt  als  die  kleinen  (Methylenblau). 

Die  Impfung  auf  Agarröhrchen  wird  fortan  so  vorgenommen,  dass  man 
das  zunächst  reichlich  mit  dem  Impfmaterial  versehene  Kondenswasser  nach* 
fraglich  über  den  Nährboden  fliessen  lässt. 

7.  VII.  In  zwei  Röhrchen  etwas  reichlichere  runde,  grössere  und  kleinere 
Kolonien,  wie  Tautropfen,  hellgrau,  mit  einem  Stich  ins  Bläuliche,  besonders 
an  den  Rändern  im  durchscheinenden  Licht,  durchweg  gramnegative  Diplo- 
kokken. 

28.  Vir.  Vierte  Lumbalpunktion:  ^/q  Stunde  post  mortem.  £s  werden 
entleert  ca.  60—70  ccm  einer  stark  trüben  Flüssigkeit,  darin  vorwiegend 
poljnakleäre  Leukozyten  in  reichlicher  Menge. 

Diplokokken  wie  oben  in  grosser  Zahl,  häufig  intracellulär,  auch  zu 
mehreren  und  in  den  Kernen«  von  wechselnder  Grösse,  gramnegativ. 

Der  Liquor  cerebrospinalis  wird  ans  der  Punktionsnadel  direkt  bei 
strenger  Reinlichkeit  auf  die  Nährböden  aufgeträufelt  (im  Brutofen  bei  BS^b^), 

Dieselbe  Ziege  erhält  ca.  3  ccm  Punktionsflüssigkeit  intraspinal  injiziert 
nach  vorher  gründlicher  Reinigung  des  Operationsgebietes.  Gleich  nach  der 
Operation  keine  Veränderung.  Am  nächsten  Morgen  erscheint  das  linke 
Vorderbein  gelähmt,  teilweise  auch  das  rechte.  Temperatur  89,2.  Kurze 
Zeit  fressunlustig.  In  den  ersten  Tagen  etwas  weniger  lebhaft,  matter  Blick. 
Bei  lautem  Rufen  oder  Händeklatschen  fährt  das  Tier  im  Stall  zusammen, 
sucht  allen  Berührungen  sich  energisch  zu  entziehen,  sonst  keine  krankhaften 
Symptome.  Am  12.  VIII.,  dem  Tage  der  dritten  und  letzten  Spinalpunktion, 
wird  das  rechte  Vorderbein  wieder  gut  bewegt  nnd  als  Hauptstütze  gebraucht. 
Aueh  der  Zustand  des  linken  Vorderbeins  hat  sich  gebessert.  Das  Tier 
frisst  in  der  letzten  Zeit  gut,  aber  mit  Auswahl. 

24.  VII.  Erste  Generation.  Glyzerin peptonagar:  Über  dorn  Kondens- 
wasser kleine  helle  Perlen,  gramnegative  Diplokokken. 

Bouillon  schwach  trüb.  Die  gleichen  Kokken  etwas  grösser  wie  die 
auf  dem  Agar  gewachsenen.    Nach  3  Tagen  klar,   feiner  weisser  Bodensatz. 

25.  VII.  Zweite  Generation.  Agar:  Schöne  grosse  Bläschenkolonien. 
Im  durchscheinenden  Licht  opalglänzend,  im  auffallenden,  an  dichteren 
Stellen  etwas  gelblich.  Mikroskopisch:  Schöne  gramnegative  semmelförmige 
Diplokokken. 

26.  VII.  Dritte  Generation.  Agar:  Zahlreiche  grosse  graue,  meist 
konfluierende  Kolonien,  reichlich  über  die  Nährmasse  verbreitet. 

Typische,  kaffeebohnenähnliche  Diplokokken.  Auffallende  Grössen- 
unterschiede,  besonders  grosse  Kxemplare,  mittelgrosse  und  kleine,  die  letzten 
schwächer  tingiert.  Bei  der  Gramfärbung  halten  die  grösseren  und  mittel- 
grossen mehr  oder  weniger  die  Farbe  auch  bei  längerer  Alkoholbehandlung. 

Einem  jungen  Meerschweinchen  und  einem  Kaninchen  werden  zirka 
5  ccm  einer  24  stündigen  Bouilloukultur  unter  die  Haut  des  Rückens  ge- 
bracht.   Keine  Abszessbildung,  Tiere  bleiben  wollig  gesund. 


392    Wejl,  Beitrag  zar  Kenntni«  des  Meningococcoi  iDtraeellalaris. 

28.  VII.    Vierte  Generation.    Grauer,  diffaser  Überzag  aaf  Agar. 
30.  VII.    Fünfte  Generation.     Ä.gar  dicht  bedeckt  mit  konfluierenden, 
tr&b-graaen  Kolonien,  kaum  darohsichtig,  in  der  Peripherie  hellere  Tröpfchen. 
In  der  Bouillon  diesmal  reichlich  gewachsen. 

1.  VIII.  Sechste  Generation.  Agar:  Glasheller  Schleier,  spärlich  über 
dem  Eondenswasser.    Diplokokken  klein. 

2.  VIII.  Siebente  Generation.  Spärliche  grane  anregelmässige  Flecken. 
Bs  wird  geimpft  von  6.  und  7.  Generation  auf  Agar.  Bouillon,  Blutsemm, 
Aseitesflnssigkeit  und  Gelatine.  (Auf  letzterer  wächst  bei  Stnbentemperatur 
nichts.)  Nach  ca.  6  Standen  wird  mit  dem  Kondenswasser  die  Nährfläche 
bespült. 

Neben  den  Agarimpfnngen  wird  fortwährend  in  Bouillon  geimpft  und 
von  da  wieder  auf  Agar,  um  jederzeit  das  nötige  yirulente  Material  zuhaben. 

8.  VIII.  Achte  Generation.  Grauer  rasenförmiger  Überzug,  bisher 
immer  gramnegativ. 

Ein  Meerschweinchen  erhält  ca.  2  ccm  Bouillonkultur  intraperitoneal. 

4.  VIII.  Neunte  Generation.  Weissl ichgrauer,  trüber,  undurchsichtiger, 
massiger  Belag.  Nach  Gram  nicht  gleichmässig  entfärbt.  Auch  nach  längerer 
Alkoholbehandlung  (ca.  2  Minuten)  sieht  man  überall  noch  mehr  oder  minder 
▼iolett  geerbte  Exemplare. 

Die  folgenden  acht  Generationen  sind  immer  gramnegatiy  und  zeigen 
zum  Teil  Üppiges  Wachstum.  Einigemal  fand  sich  bereits  am  zweiten  Tage 
sehr  schlechte  und  ungleichmässige  Färbbarkeit  In  Bouillon  yermehren 
sich  die  Kokken  in  letzter  Zeit  dauernd  auffallend  wenig,  das  Aussehen  der 
Agarkulturen  ist  meist  eintönig  grau,  bald  mehr,  bald  weniger  durchsichtig. 
Einmal  etwas  dickere,  weissliche,  undurchsichtige  Flecke  (überall  dieselben 
Diplokokken,  8—4  Tage  alte  Kultur). 

Am  3.  VIII.  auf  Blutserum  kaum  sichtbarer  Belag.  Am  4.  VIII.  gleiches 
Aussehen.  Typische  Semmelkokken,  die  besonders  gut  die  Kontrastfarbe 
aufnehmen  bei  der  Gramfärbung. 

In  der  Ascitesflüssigkeit  Reinkultur  von  teilweise  in  Tetraden  liegenden 
Doppelkokken,  gramnegatiy. 

Das  gleiche  Kaninchen  erhält  intraperitoneal  ca.  4  ccm  Asciteskultur, 
die  stark  angereichert  ist  mit  24  stündiger  Agarkultur. 

Tier  frisst  bereits  am  selben  Tage  wieder,   bleibt   andauernd   gesund. 

Darauf  werden  ca.  2  ccm  Bouillonkultur  einem  Meerschweinchen 
intraperitoneal  einyerleibt. 

Zur  Steigerung  der  Virulenz  werden  yersuchsweise  an  yerschiedenen 
Tagen  mehrere  rohe,  ganz  frische  Eier  als  Nährboden  präpariert,  mit  Meningo- 
kokken beschickt  und  mit  sterilen  Tupfern  bedeckt,  bei  86,5®  gehalten.  Ein 
Ei  blieb  steril,  ein  anderes  war  yerun reinigt.  Nach  Angaben  yon  E.  Wiener 
hat  zuerst  Hueppe  das  rohe  Ei  benutzt,  Wiener  selbst  erzielte  bei  dem 
für  Ratten  pathogenen  Bacillus  Danjsz  in  allen  Fällen  Virulenzsteigerang. 
Er  bereitet  die  Eier  yor,  indem  er  sie  mit  Seife  wäscht,  für  kurze  Zeit  in 
Sublimat  legt,  die  eine  Kappe  abflammt,  sodann  mit  ausgeglühter  Präparier- 


Wejl,  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Meningococcas  intracellalftrie.      393 

nadel  eine  entsprechende  öfinung  bohrt  and  in  diese  das  Infektionsmaterial 
mittels  Platinöse  einbringt. 

7.  YIII.  Meerschweinchen  am  Vormittag,  8V2  Tage  nach  der  Injektion 
▼erendet.  Ca.  3  Standen  post  mortem  Sektion.  Zanftchst  wird  anter  asep- 
tischen Kantelen  je  eine  Öse  Baachhöhlenflassigkeit  entnommen  and  mit  ab- 
geglähter  Platinnadel  aaf  Gljcerinagar  and  Boaillon  gebracht. 

Die  Sektion  ergibt  eine  sero-fibrinöse,  leicht  eitrige  Peritonitis.  Die 
recht  reichliche  Baachhöhlenflassigkeit  hat  eine  trübgraae,  leicht  gelb- 
liche Farbe. 

Mikroskopisch  massenhaft  in  der  Grösse  nicht  aaffUlig  differente,  mittel- 
grosse,  wohl  gebildete,  semmelförmige  Kokken,  die  zam  grossen  Teil  innerhalb 
der  Eiterkörperchen,  dicht  am  sie  heram  and  in  den  Kernen  liegen.  Die 
meisten  Zellen  sind  ganz  yollgepfropft  damit.  Die  zwischen  den  Zellhaafen 
befindlichen  Partien  des  Gesichtsfeldes  enthalten  relatir  wenig  Mikroorganismen. 

Im  Grampräparat  haben  alle  Kokken  die  Kontrastfarbe  angenommen. 

8.  YIII.  In  einem  Agarröhrchen  and  beiden  Boniilonröhrchen  Rein- 
kaltar  von  obigen  gramnegativen  deutlich  semmelförmigen  Diplokokken.  In 
Boaillon  sp&rliches  Wachstum  (ein  Agar  yeranreinigt,  durch  lange  faden- 
förmige Gebilde).  Auf  dem  ersten  Agar  graaweisslicher,  ausgedehnter  Belag. 
Bouillon  nur  eben  sichtbar  getrübt,  nach  einigen  Tagen  feiner,  weisser 
Bodensatz. 

Bei  weiterer  Impfang  immer  dieselben  gramnegativen  Diplokokken. 

Von  den  am  8.  VIII.  geimpften  Eiern  wird  mit  aasgekochter  Pravaz- 
spritze  Eimasse  angesaugt  und  etwas  davon  auf  Agar  und  in  Bouillon  gespritzt. 

Im  Eigelb  einige  dunklere  Stellen.  Eiweiss  und  Eigelb  getrennt. 
Keine  F&ulnis  bemerkbar.  In  mehreren  Ausstrichpräparaten  Ton  Eigelb, 
Semmelkokken  in  sehr  geringer  Anzahl. 

Eine  Ratte  bekommt  ca.  1  ccm  Eigelb  in  die  Bauchhöhle,  zwei  Tage 
fressnnlustig,  bis  heute  gesund. 

Auf  dem  mit  Eimasse  beschickten  Agar  nach  86  Stunden  schöne,  graue 
schwach  durchsichtige,  yielfach  zusammenfliessende  Kolonien  in  mittlerer 
Anzahl.    Bouillon  eben  trüb.    Spärliche  Diplokokken. 

Die  von  dem  Agar  gewonnenen  Diplokokken  bleiben  in  grösserer 
Anzahl  bei  der  Gramfärbung  violett,  erst  nach  längerer  Alkohol- 
entfärbnng  entfärben  sich  die  meisten,  dazwischen  Überall  noch  leicht  violette 
Exemplare. 

Einem  Meerschweinchen  werden  intraperitoneal  injiziert  ca.  3  ccm 
einer  Bakterienaufschwemmung  in  Bouillonkultar.  Beide  24  Stunden  alte 
Kulturen  stammen  vom  ersten  verendeten  Meerschweinchen.  Tier  stirbt  nach 
zwei  Tagen. 

Am  9.  VIII.    Es  werden  geimpft: 

1.  Ein  Kaninchen  intraperitoneal  mit  ca.  5  ccm,  24  stündiger  Bouillon- 
knltnr,  die  stark  angereichert  ist  mit  aus  dem  Ei  auf  Agar  gezüchteten 
Diplokokken. 

Tier  bereits  am  Abend  wieder  fresslnstig,  bis  heute  gesund. 


394    Weyl,  Beitrag  zar  Keuntnis  des  Meniogococcaa  intracellalaris. 

2.  Eid  Kaninchen  subkutan  (Bauchhan t),  reichlich.  Keine  Abszess- 
bildnng  etc.,  bleibt  gesund. 

3.  Ein  Meerschweinchen  unter  die  Banchhaut  mit  ca.  5  ccm  der  gleichen 
Flüssigkeit,  keine  entzündlichen  Erscheinungen,  bleibt  gesnnd. 

4.  Ein  Meerschweinchen  subkutan,  reichlich  mit  24  stündiger  gewöhn- 
licher Bouilionagarkultur,  bleibt  gesund. 

10.  VIII.  Zweites  intraperitoneal  infiziertes  Meerschweinchen  am 
gestrigen  Abend  (ca.  80  Stunden  nach  der  Injektion)  verendet.  Sektion 
ca.  12  Stunden  post  mortem.  Fibrinöse  Peritonitis,  wenig  trübgraue  Flüssig- 
keit in  der  Bauchhöhle.    Steril  überimpft  auf  Agar  und  Bouillon. 

Im  Ausstrichpräparat  von  der  Bauchhöhlenflüssigkeit  sehr  zahlreiche, 
mittelgrosse,  vorwiegend  intracellnlär  und  innerhalb  der  Kerne  gelagerte, 
kaffeebohnenförmige  Diplokokken.  Viele  Zellen  wieder  ganz  vollgepfropft 
damit.  Verschiedentlich  rundliche,  wie  Einzelkokken  aussehende,  besonders 
um  die  Zellen  herumgelagerte  Gebilde,  viele  von  unregelmässiger  Gestalt, 
dazwischen  formlose  Körnchen  (Zerfallprodukte?). 

Gramfärbung  an  mehreren  Präparaten  zeigt  alle  Mikroorganbmen  aus- 
nahmslos  völlig  entfärbt. 

Eine  weitere  von  injiziertem  Eigelb  erhaltene  Agarkultur  zeigt  aus- 
schliesslich  mittelgrosse,  semmelformige  Diplokokken. 

Bei  der  üblichen  Gramfärbung  bleiben  fast  alle  Kokken  mehr 
oder  weniger  violett.  Auch  da,  wo  sie  einzeln  liegen.  Erst  nach  langer 
Alkoholbehandlung  und  Anilinxylolentfärbung  geben  die  Kokken  zum  grössten 
Teil  die  Farbe  ab.  Immerhin  aberall  noch  zahlreiche,  bald  dunkler,  bald 
hell  violett  gefärbte  Exemplare.  Analoges  Verhalten  zeigt  sich  bei 
einer  zweiten  Agarkultur. 

11.  VIII.  Auf  Agar  vom  Meerschweinchen,  reichlich  Diplokokken 
gramnegativ  (wird  weitergeimpft). 

In  Bouillon  spärlich  gewachsen. 

12.  VIII.  Auf  Agar  II  vom  2ten  Meerschweinchen  grauer,  aus  kon- 
flaierenden rundlichen  Einzelkolonien  zusammengesetzter  Überzug.  Nur  gram- 
negative, semmelformige  Diplokokken. 

Von  dieser  Kultur  erhält  die  Ziege  in  ca.  3  ccm  Bouillonkultur  gleicher 
Herkunft  eine  intradurale  Injektion. 

Nach  der  Operation  keine  Veränderung. 

13.  VIII.  Ziege  macht  schwerkranken  Eindruck.  Liegt  platt  auf  dem 
Bauch,  rührt  sich  nicht  von  der  Stelle,  frisst  und  säuft  nichts  mehr.  Der 
Blick  ist  matt,  die  Ohren  in  beständigem  leisen  Tremor.  Bei  lautem  Hände- 
klatschen und  Rufen  fährt  das  Tier  zusammen.  Beim  Messen  der  Temperatar 
und  Druck  auf  die  unteren  Partien   der  Wirbelsäule    meckert  es  jämmerlich. 

Temp.  am  Mittag  40,6. 
„       am  Abend  40,2. 

14.  VIII.  Zustand  derselbe,  frisst  hie  und  da  etwas,  rührt  sich  nicht 
von  der  Stelle.  Von  Zeit  zu  Zeit  (etwa  alle  1 — 8  Minuten)  tritt  in  den 
vorderen  Rumpfpartien  und  Extremitäten  ein  kurzes,  krampfartiges  Zucken  auf. 

Terap.  am  Mittag  40,1. 
,       am  Abend  39,9. 


Weyl,  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Meningococoas  intracellalaris.      305 

15.  VIII.  Temp.  39,6,  etwas  fresslustiger,  yersacht  sich  zu  er- 
heben, hat  den  Kopf  öfter  aufgerichtet.  Da  eine,  wenn  auch  langsame 
Erholung  nicht  unwahrscheinlich  erscheint,  wird  das  Tier  nachmittags  4  Uhr 
getötet.  Unmittelbar  darnach  werden  mittels  Lumbalpunktion  einige 
Tropfen  Cerebrospinalflussigkeit  entnommen  und  zu  Impfzwecken  ver- 
wendet. Desgleichen  wird  geimpft  Ton  der  Gehimoberflächenflüssigkeit  und 
Yom  Ventrikelinhalt. 

Die  Nährböden  bleiben  alle  steril  bis  auf  ein  Bouillonröhrohen,  in 
dessen  spärlichem  Bodensatz  sich  drei  Tage  später  einige  wenige  semmel- 
formige  Diplokokken  finden. 

Überimpfung  war  erfolglos.  Demeutsprechend  fanden  sich  in  der 
zellenreichen  Cerebrospinalflussigkeit  nur  in  einem  Präparat  ein  intracellulärer 
und  zwei  extracelluläre  sichere,  semmelförmige  Diplokokken. 

In  den  Kulturen  und  Abstrichpräparaten  keine  anderen 
Mikroorganismen. 

An  der  Gehirnoberfläche  makroskopisch  keine  Veränderungen  er- 
kennbar. In  der  Gegend  des  verlängerten  Marks  Hyperämie  Jier  weichen 
Räckenmarkshäute.  Von  dem  in  der  Dura  belassenen  Rückenmark  kommen 
von  verschiedenen  Stellen  entnommene  Stückchen  zur  Härtung.  Für  die 
weitgehende  Hülfe  bei  der  Anfertigung  der  Präparate  spreche  ich  Herrn 
Dr.  Hoff  mann  meinen  besten  Dank  ans. 

Die  histologische  Untersuchung  ergab  das  zweifellose  Vorhandensein 
einer  Meningitis  spinalis  mit  spärlichem  eitrigen  Exsudat.  Am  stärksten  ist 
die  Lendengegend  befallen,  darnach  die  Gegend  der  Cervikalanschwellnng. 
Die  Pia  ist  vornehmlich  an  der  Hinterseite  des  Rückenmarks  diffus,  zum  Teil 
dicht  von  Eiterzellen  durchsetzt,  die  verschiedentlich  in  der  Wand  und  der 
Umgegend  kleiner  Gefässe  angehäuft  erscheinen.  Auch  die  Dura  ist  stellen- 
weise in  der  Lumbaigegend  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Die  Zellinfiltratiou 
setzt  sich  längs  der  Gef&ssscheiden  in  das  Rückenmark  fort,  teilweise  rechi 
reichlich. 

In  Gewebsschnitten  finden  sich  vielfach  Gebilde,  die  in  Form  and 
Grösse  Meningokokken  entsprechen.  Mit  absoluter  Sicherheit  konnte  aber 
ihre  Identität  nicht  festgestellt  werden. 

Einem  Kaninchen  werden  ca.  2 — 3  ccm  von  in  Bouillonknltur  auf- 
geschwemmtem Kbkkenmaterial  (einer  24 stündigen  Agarkultur)  intraspinal 
injiziert.  Nach  der  Operation  Unbeholfenheit  der  hinteren  Extremitäten,  die 
Tags  darauf  wieder  verschwunden  ist    (Siehe  weiter  unten!) 

Im  vorliegenden  Fall  wurde  viermal  die  Lumbalpunktion 
gemacht  und  zwar  dreimal  zu  Lebzeiten  des  Kindes,  am  17.,  21., 
und  30.  Krankheitstage;  das  letzte  Mal  ca.  Vs  Stunde  post  mortem. 
Jedes  Mal  ergab  die  Untersuchung  des  nativen  Präparates  sowie 
der  Kulturen  die  gleichen  Mikroorganismen,  eben  jene  semmel- 
förmigen  Diplokokken. 

Die  Hauptmomente,  welche  ihre  Auffassung  als  Meningo- 
kokken rechtfertigen,  seien  kurz  zusammengestellt. 


396     WiBjl,  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Meningococcas  intracelluiaris. 

Im  Gegensatz  zu  den  Pneumokokken,  die  mit  deutlicher 
Kapsel  versehen,  schlank  und  zugespitzt  erscheinen,  hatten  die 
Diplokokken  eine  breitgedrückte,  plumpe,  semmelförmige  Gestalt 
mit  manchmal  unscheinbarem  kapselähnlichem  Saum.  Zwei 
Präparate  von  aus  Empyemeiter  in  Bouillon  und  auf  Agar  ge- 
züchteten Pneumokokken  Hessen  vergleichsweise  die  Unterschiede 
deutlicli  erkennen. 

Jedes  Mal  konnten  intracellulär  gelagerte  Diplokokken  in 
der  Punktionsflüssigkeit  gefunden  werden.  In  den  von  der 
Peritonealflüssigkeit  der  Meerschweinchen  angefertigten  Präparaten 
waren  die  Zellen  ganz  vollgepfropft  damit. 

Charakteristisch  war  das  häufige  Zusammenliegen  in  Tetraden 
und  die  oft  nicht  unbeträchtliche  Grössendifferenz  der  einzelnen 
Individuen.  Ketten,  wie  oben  beschrieben,  habe  ich  bis  zu 
6  Gliedern  gesehen,  gehäufter  in  einem  der  letzten  Präparate. 
Das  im  Anfang  spärliche  Wachstum  nahm  später  beträchtlich  zu, 
sistierte  öfter  schon  am  2.  oder  3.  Tage.  Frühes  Absterben 
wurde  mehrfach  beobachtet. 

Gut  wuchsen  die  Kokken  auf  Glyzerinagar,  in  Bouillon, 
auch  auf  Blutserum,  bei  36  —  37  •,  gar  nicht  dagegen  '  auf 
Gelatine  bei  Stubentemperatur.  Die  Kolonien  auf  Glyzerinagar 
zeigten  im  wesentlichen  ein  farbloses  Grau,  waren  vielfach,  aber 
nicht  immer  durchsichtig. 

^  Subkutane  Einverleibung  von  Kokkenaufschwemmungen  bei 
Meerschweinchen  und  Kaninchen  machte  die  Tiere  nicht  krank. 
Erst  bei  intraperitonealer  Injektion  starben  die  Meerschweinchen. 
Aus  der  Peritonealflüssigkeit  derselben  wurden  die  Meningokokken 
in  Reinkultur  gewonnen.  Kaninchen  dagegen  blieben  auch  bei 
intraperitonealer  Infektion  gesund. 

Desgleichen  misslang  der  Versuch,  mittelst  intraspinaler 
Infektion  ein  Kaninchen  krank  za  machen,  resp.  Meningitis  zu 
erzeugen. 

Nach  Abschluss  der  Arbeit  höre  ich,  dass  das  Kaninchen 
vor  mehreren  Tagen  verendet  ist.  Eine  Sektion  war  aus 
äusseren  Gründen  nicht  möglich! 

Das  Verhalten  der  Meningokokken  gegenüber  der  Gramf&rbung 
wurde  durchweg  geprüft  bei  stets  gleichbleibender  Färbe- 
methode, unter  Kontrolle  der  Uhr.  Bei  der  ersten,  dritten  und 
vierten  Punktion  verhielten  sich  die  Mikroorganismen  gramnegativ, 


Weyl,  Beitrag  zar  Kenntnis  des  Meningococcas  intracellalaris.      397 

bei  der  zweiten,  sowohl  im  direkten  Präparat,  wie  in  der  Agar- 
kaltur,  grampositiv. 

Leider  ist  es  nicht  gelungen,  die  grampositiven  Kokken  von 
dem  Glyzerinagar  weiter  zu  züchten. 

Sie  stimmten  überein  mit  den  gramnegativen  Meningokokken 
in  ihrer  zum  Teil  intracellulären  Lagerung,  in  dem  zunächst 
spärlichen  Wachstum  (auf  dieser  einzigen  Agarkultur)  und  in  der 
Farbe  der  Kolonien.  Die  Form  war  ausgesprochen  kafPee bohnen- 
ähnlich, deutliche  Grössen differenz  überall  erkennbar.  Tetraden- 
büdung. 

Die  bei  der  vierten  Lumbalpunktion  gewonnenen  Meningo- 
kokken verhielten  sich  zunächst  rein  gramnegativ,  behielten  aber 
diese  Eigenschaft  bei  der  Fortzüchtung  nicht  durchweg  bei.  Die 
dritte  und  neunte  Generation  entfärbte  sich  auch  bei  längerer 
Alkoholbehandlung  als  üblich,  nicht  völlig,  überall  fanden  sich 
noch  reichlich  Diplokokken,  vornehmlich  waren  es  die  grösseren, 
welche  die  Farbe  nur  zum  Teil  abgegeben  hatten. 

In  höherem  Masse  war  das  veränderte  Verhalten  gegenüber 
der  Gramfärbung  ausgesprochen  bei  den,  vom  infizierten  Ei  auf 
Glyzerinagar  gewachsenen  Kulturen,  die  sich  zunächst  fast  gar- 
nicht  entfärbten.  Das  Gesichtsfeld  Hess  mit  wenigen  Aus- 
nahmen nur  violette  Kokken  erkennen.  Erst  nach  wesent- 
lich längerer,  mehrere  Minuten  dauernder  Alkoholbehandlung  und 
Entfärbung  in  Anilinxylol  wurde  der  grössere  Teil  entfärbt. 
Überall  sieht  man  noch  viele  blassviolette  und  dunkler  tingierte 
Organismen,  auch  da,  wo  sie  einzeln  liegen. 

Andere  Male  gelang  die  Entfärbung  wieder  sehr  leicht,  wobei 
der  Alkohol  ca.   10 — 16  Sekunden  zur  Einwirkung  kam. 

Ohne  weitere  Schlüsse  hieraus  ziehen  zu  wollen,  konstatiere 
ich  lediglich  die  Tatsache  und  werde  in  Zukunft  weiterhin  mein 
Augenmerk  auf  diesen  Punkt  richten. 

Die  erste  bei  der  Ziege  vorgenommen^  intraspinale  Infektion 
mit  Punktionsflüssigkeit  hatte,  ich  sehe  von  den  Lähmungs- 
erscheinungen ab,  nur  vorübergehende  Fressunlust  des  Tieres  zur 
Folge.  Schwerere  Zeichen  einer  Allgemeinerkrankung  waren 
nicht  vorhanden.  Die  geringe  Reaktion  des  Tieres  auf  den  Ein- 
griff ist  durch  die  damals  geringe  Giftwirkung  der  Meningo- 
kokken wohl  erklärlich.  Das  Kind  war  seit  mehreren  Tagen 
fieberfrei,  der  Allgemeinzustand  hatte  sich  erheblich  gebessert, 
in  der  Pnnktionsflüssigkeit  waren  nur  spärliche  Kokken  zu  finden. 


398     Wejly  Beitrag  zar  Kenntnis  des  Meningococcus  intracellalaris. 

Nach  der  zweiten  Panktion  hatte  man  entschieden  den  Ein- 
druck einer  leichten  Allgemeinerkrankung  (siehe  23.  VU.).  Da 
der  Zustand  sich  langsam  besserte,  wurde  zur  dritten  Punktion 
geschritten,  diesmal  mit  24  stündigen  gramnegatiren  Kulturen. 
Die  Folge  waren,  neben  häufig  auftretenden  krampfhaften  Zuckungen 
in  den  vorderen  Kumpfpartien  und  Extremitäten^  schwere 
allgemeine  Erankheitssymptome  (siehe  unter  13.  YIII.).  Die  Tem- 
peratur erreichte  40,6  ®.  Die  Ziege  war  also  durch  die  Infektion 
in  einen  chronischen  Erankheitszustand  versetzt  worden,  der  bei 
erneuter  Injektion  einer  akuten  Verschlimmerung  Platz  machte. 
Die  Erscheinungen  gingen  dann  langsam  wieder  zurück.  Da 
auch  nach  der  dritten  Punktion  diese  Möglichkeit  nicht  aus- 
zuschliessen  war,  wurde  das  Tier  noch  auf  der  Höhe  der  Erank- 
heit  getötet. 

Die  histologische  Untersuchung  des  Rückenmarks  ergab 
zweifellose  Meningitis  (siehe  unter  15.  VIII.),  die  wir  auf  die  Gift- 
wirkung der  Meningokokken  zurückführen  müssen,  zumal  keine 
anderen  Mikroorganismen  gefunden  wurden.  Bemerkenswert  ist 
das  schnelle  Verschwinden  der  Eokken  aus  der  Cerebrospinal- 
flüssigkeit.    Eine  Vermehrung  hatte  jedenfalls  nicht  stattgefunden. 

Fassen  wir  noch  einmal  die  Ergebnisse  unserer  Untersuchung 
zusammen: 

Wir  haben  vor  uns  das  Erankheitsbild  der  typischen 
epidemischen  Cerebrospinalmeningitis.  Als  Erreger  derselben 
wurde  ein  Diplococcus  gefunden,  dessen  Identität  mit  dem 
Meningococcus  intracellularis  durch  das  mikroskopische  Bild,  das 
Verhalten  der  Eulturen  und  durch  den  Tierversuch  erwiesen  ist 

Die  Meningokokken  zeigten  gegenüber  der  Gram- 
färbung zu  verschiedenen  Zeiten  verschiedenes  Ver- 
halten und  zwar  in  gleicher  Weise,  sowohl  in  den  von  der 
Punktionsflüssigkeit  angefertigten  Ausstrichpräparaten  wie  in  den 
Eulturen. 

Damit  bin  ich  in  der  Lage,  die  Angaben  Heubners  zu 
unterstützen.  Ich  kann  aber  noch  einen  Schritt  weitergehen 
und  konstatieren,  dass  die  einmal  gezeigte  rein  gram- 
negative Farbreaktion  der  Meningokokken  bei  der  Fort- 
züchtung nicht  dauernd  beibehalten  wurde. 

Eine  Ziege,  der  vermittelst  umgekehrter  Lumbalpunktion 
mehrfach  gramnegative  Meningokokken  in  den  Durasack  ge- 
bracht wurden,  erkrankte  chronisch  mit  auf  eine  Rückenmarks- 
afiPektion  hindeutenden  Erankheitssymptomen  und  nach  der  3.  In- 


Weyl,  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Meningococcas  intracellularis.      399 

jektion  mit  schweren  Allgemeinerscfaeinungen.  Die  histologische 
Untersuchung  von  Schnitten  aus  verschiedenen  Stellen  des  Rücken- 
marks ergab  eine  Meningitis  spinal is. 

Literatur- Verzeichnis. 

1.  Berdach,  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Med.     1900.    Bd.  65.     S.  449. 

2.  Biedert,  Lehrb.  d.  Kinderkrankh.     1902. 

3.  Birch-Hirschfeld,  Lehrb.  d.  path.  Anat.    Bd.  2.     1.  Hälfte.     1894. 

4.  Eichhorst,  Die  d.  Klin.  y.  £.  ▼.  Lejden.    44.  Lief.    Bd.  2.     S.  321. 

5.  Heabner,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.     1896.    Bd.  43. 

6.  Derselbe,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.     1902.    3.  Folge.    Bd.  6.     S.  359. 

7.  Derselbe:  Lehrb.  f.  Kinderheilk.     1903.     Bd.  1. 

8.  J&ger,  ZeiUchr.  f.  Hygiene.     1895.    Bd.  19. 

9.  Leichtenstern,  Deutsche  med.  Wochenschr.    81.     1885. 

10.  Lewkowicz,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.     1902.    3.  Folge.    Bd.  5.    S.  266. 

11.  Schiff,  Centralbl.  f.  inn.  Med.     1898.    Bd.  19.    S.  577. 

12.  Weichselbaum,  Fortschr.  d.  Med.     1887.    No.  18  u.  19. 

Zusatzbemerkung  des  Redakteurs  dieser  Zeitschrift. 
Der  einzige  seit  meiner  letzten  Veröffentlichung  von  mir 
beobachtete  Fall  von  epid.  Cerebrospinalmeningitis  hat  wieder 
dasselbe  wechselnde  Verhalten  der  bei  den  einzelnen  Punktionen 
gewonnenen  Kokken  gegenüber  der  Gramfärbung  ergebet,  wie  ich 
es  in  meiner  Entgegnung  beschrieben  und  wie  es  Herr  Weyl  in 
seinem  Falle  beobachtet  hat.  Die  Beschreibung  dieser  neuen 
Beobachtung  wird  mein  Assistent,  Herr  Stabsarzt  Kob,  in  den 
Charite-Annalen  geben. 

Ich  benutze  die  Gelegenheit,  um  noch  auf  einen  Vorwurf 
zurückzukommen,  den  Professor  Weichselbaum  der  von  mir  an- 
gewendeten Methode,  den  Meningococcus  durch  Kultur  zu  ge- 
winnen, gemacht  hat  (Centralbl.  f.  Bakt.,  Bd.  XXXHI,  1903, 
No.  7,  S.  521):  dass  sie  leicht  zu  trügerischem  Wachstum  von 
anderweiten  in  die  Punktionsflüssigkeit  hineingeratenen  Keimen 
(von  der  Haut  oder  der  nicht  genügend  sterilen  Punktionsnadel) 
führen  könne.  —  Daraufhin  habe  ich  in  einer  grossen  Reihe  tön 
Fällen  (über  20),  wo  ich  Spinalflüssigkeit  durch  die  Punktion 
gewonnen  hatte,  wo  es  sich  aber  nicht  um  epid.  Cerebrospinal- 
meningitis handelte,  in  ganz  derselben  Weise,  die  Prof.  W.  tadelt, 
Ktdturen  hervorzubringen  versucht,  wie  ich  sie  in  den  ersten  drei 
Fällen  von  Cerebrospinalmeningitis  erhalten  hatte,  aber  nicht  in 
einem  einzigen  Falle  ist  etwas  auch  nur  Ähnliches  gewachsen. 
Also  so  leicht,  wie  Herr  W^.  dieses  anzunehmen  geneigt  ist,  treten 
Verunreinigungen  bei  dem  von  mir  regelmässig  angewendeten 
Verfahren  nicht  ein;  seine  Hypothese  genügt  also  nicht  zu  dem 
Versuche  seiner  gegen  mich  angestrengten  Beweisführung. 

Heubner. 


Vereinsbericht 


Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Innere  Medizin  und 

Kinderheilkunde  in  Wien. 

(Pädiatrische  Sektion.) 

1.  (aasserordentliche)  Sitzung  (21.  I.  1904). 
Der  Vorsitzende,  Professor  Escherich,  h&lt  eine  kurze  Begr&ssangb- 
anspräche,   in    der   er   den  Zweck    und    die  Ziele    der  Vereinigung  der  Ver- 
sammlung darlegt,  worauf  die  Wahl  des  Vorstandes  der  Sektion  für  Kinder- 
heilkunde erfolgt. 

1.  Prof.  Escherich:  Demonstration  des  Krankheitsblldes  der 
Chorea  molUs  bei  einem  4jährigen  Knaben.  (Wiener  klin.-therapeutische 
Wochenschr.    No.  5.     1904.) 

14  Tage  vor  der  Spitalsaufnahme  begann  das  Kind  das  rechte  Beio 
beim  Gehen  nachzuschleppen  und  über  Schw&che  in  demselben  zu  klagen, 
auch  die  anderen  Extremit&ten  wurden  mehr  weniger  paretisch.  Gleichzeitig 
zeigten  sich  starke  Sprachstörungen.  Der  Vortragende  demonstrierte  die 
derzeit  bestehende  totale  schlafife  Lähmung  der  gesamten  Rucken-  und  des 
grössten  Teiles  der  Extremitätenmusknlatur.  Intendierte  Bewegungen  konnten 
nur  links  und  da  erst  nach  l&ngerer  Anstrengung  erzielt  werden,  wobei  sie 
den  wohlcharakterisierten  Typus  der  choreatischen  zeigten.  Im  Ruhestand 
bestand  das  Bild  der  schlafifen  L&hmung.  P.  R.  leicht  gesteigert.  Normale 
Sensibilit&t.  Herzaktion  arhjthmisch.  Töne  rein.  Normaler  Befund  der 
inneren  Organe. 

Prof.  Escherich  definiert  an  der  Hand  dieses  Falles  den  Begriff  der 
Chorea  mollis  in  diagnostischer,  prognostischer  und  therapeutischer  Hin- 
sicht. An  der  an  den  Vortrag  sich  anschliessenden  Diskussion  beteiligen 
sich  die  Herren  Hochsinger,  Neurath,  Zappert  und  Eisenschiti. 

Dr.  Hochsinger  demonstriert  1.  einen  Fall  von  Lues  eongenlta« 
Die  Haut  des  4  Wochen  alten  Kindes  zeigt  ausschliesslich  diffuse  luetische 
Infiltrationsherde,  keine  solitär  stehenden  spezifischen  Effloreszenzen. 

Der  Vortragende  demonstriert  an  dem  Kinde  durch  Umschnürung  des 
Oberarmes  das  von  ihm  bei  der  Myotonie  der  Säuglinge  beschriebene  Faofct- 
phänomen. 

2.  Fall  von  Trommelsehlägrelfingern  bei  einem  2jährigcn,  mit  einer 
chronischen  Lungeninfiltration  behafteten  Kinde,  das  früher  an  Pertussis  er- 
krankte. Herzbefund  normal.  Hochsinger  ist  geneigt,  diesen  Fall  in  die 
von  Pierre  Marie  beschriebene  Krankheitsgrappe  der  Osteoarthropathie 
hypertrophiante  pneumiqne  einzureihen. 


Verein  sbericht.  401 

Vortrag  Dr.  F.  Hamburger:  Biologisehes zur  S&OgllngsepnfthPnilff. 

Der  Vortragende  bespricht  in  übersichtlicher  Weise  die  Genesis  der  VervoU- 
kommnang  der  künstlichen  Ernährung  sowie  die  Unzulänglichkeit  der  Re- 
•altate  bei  künstlicher  Ernährung  gegenüber  denen  der  natürlichen.  Ham- 
barger  begründet  dies  mit  der  Verschiedenheit  der  Frauen-  und  Kuhmilch, 
welch  letztere  trotz  ihrer  grossen  Ähnlichkeit  und  der  .angestrengtesten 
Versuche,  sie  in  dieser  Hinsicht  zu  yervollkommnen,  doch  ganz  anders  ge- 
artet ist.  An  der  Hand  serobiologischer  Versuche  der  Milch  zeigt  er  die 
Verschiedenheit  des  sonst  so  ähnlichen  Kuhmilch-Caseins  gegenüber  dem  der 
Frauenmilch.  Auf  Grund  der  biologischen  Verschiedenheiten  ist  es  daher 
auch  .erklärlich,  dass  das  für  den  Menschen  artfremde  Eiweiss  der  Kuhmilch 
die  Epithelzellen  des  kindlichen  Verdauuogskanales,  insbesondere  der  mensch- 
lichen >iengeborenen,  schädigen  kann.  Die  Tatsache,  dass  bei  künstlich  er- 
nährten Säuglingen  die  Verdauungsarbeit  eine  grössere  ist  bei  Einführung 
gleicher  Kalorienzahlen  als  beim  natürlich  ernährten  Kinde,  sowie  das 
Auftreten  Ton  Verdauungsleukozytose  bei  künstlich  ernährten  Kindern 
weisen  auch  auf  eine  erhöhte  Arbeitsleistung  bei  der  Assimilation  der  Kuh- 
milch hin. 

In  weiterer  klarer  Folgerung  dieser  Erfahrungen  kommt  der  Vor- 
tragende zu  dem  Schlüsse,  dass  der  natürlichen  Ernährung  des  Kindes  möglichst 
Raum  geschaffen  werde.    (Wiener  med.  Wochenschr.    No.  5.    1904.) 

Prof.  Kassowitz  erklärt,  dass  ein  künstlich  ernährtes,  gesundes  Kind 
sich  in  nichts  von  einem  Brustkinde  zu  unterscheiden  braucht,  gibt  aber  zu, 
dass  es  schwieriger  ist,  ein  künstlich  ernährtes  Kind  gesund  zu  erhalten  als 
ein  Brustkind. 

Prof.  Escherich  weist  darauf  hin,  dass  Hamburger  seinen  Vortrag 
nur  Tom  rein  theoretischen  Standpunkt  anfgefasst  wissen  will,  ohne  damit  der 
Knhmilchernährung  ihre  bedingte  Berechtigung  nehmen  zu  wollen. 

1.  ordentliche  Sitzung  4.  II.  1904. 
Prof.  Escherich    begrüsst   die  Versammlung   in    herzlichen    Worten, 
gibt   dann    in    seinem   Vortrage   ein    Bild   der   Eotstehung   der   Klnder- 
heilkunde  In  österreleh  and  Dentsehland  und  schildert  die  Gründe,  die 

für  die  Bildung  eines  Vereins  für  Kinderheilkunde  im  Anschlüsse  an  den  für 
innere  Medizin  richtunggebend  waren.  Der  Redner  weist  an  der  Hand  der 
früher  in  Österreich  geschaffenen  Institutionen  auf  die  Bedeutung  derselben 
Tür  die  Entwicklung  der  Kinderheilkunde  hin  und  schildert  dann  den  Auf- 
schwung dieses  Faches  daselbst  wie  in  Deutschland,  als  die  Erkenntnis  Platz 
griff",  dass  an  Stelle  der  „Pediatria  sentimentale**  die  exakte  systematische 
Korschung  mit  Zuhilfenahme  der  in  der  internen  Medizin  geübten  Methoden 
treten  müsse. 

Dr.  Moro:  Demonstration  von  Frauenmlleh.  M.  schildert  das  voo 
Behring  angegebene  Verfahren  und  die  Gründe,  welche  hierfür  angegeben 
wurden,  zeigt,  dass  der  Formal  in  zusatz  ein  sehr  gutes  Milchkonsenrierungs- 
mittel  sei,  hebt  den  geringen  Formalingeschmack  der  Milch  hervor,  be- 
fürchtet jedoch  eyentnell  Nierenreizung  bei  deren  Genuss  und  im  Miloh- 
verschleisse  Unfug. 

Dr.  Galatti:  Demonstration  eines  S&ugUnsTS  mit  aasgebreiteten 
Moskelaplaslen  resp.  llnskelhypopJaslen. 

Jahrbuch  f.  Kinderheil  knade.    N.  F.    LXI.    Heft  2.  26 


402  Vereiosbericht. 

Dr.  Koenigsteio:  Demonstration  eines  Haematoma  septl  iiarlam 
abseedens  bei  eiDem  4j&hrigeii  Knabeo. 
Diskussion:  Dr.  Roth. 

Dr.  L.  Je  hl  d:  Über  den  bakterlologlsehen  Befand  bei  Dysenterien 
Im  Kindesalter.  J.  berichtet  über  seine  mit  Dr.  Charleton  gemach tet 
bakteriologischen  Untersuch aogen  bei  Dysenterie,  gewöhnlichen  Diarrhöen 
nnd  normalen  Stühlen.  Der  Aator  kommt  zn  dem  Schiasse,  dass  es  keinen 
einheitlichen  Djsenterieerreger,  sondern  mehrere  Spielarten  gibt,  und 
morphologisch  dem  Dysenteriebacillus  Ähnliche  Bakterien  auch  bei  anderen 
Stahlarten  vorkommen.  Aach  die  Agglutination  mit  den  verschiedenen 
Varietäten  von  Dysenteriebazillen  gibt  keine  einheitlichen  Resaltate. 

Anmerkung:  Dem  Vortrage  Dr.  Jehles  schloss  sich  in  der  Gesell- 
schaft für  innere  Medizin  ein  Vortrag  von  Dr.  Lein  er  über  epidemische 
Dysenterie  speziell  im  Kindesalter  an.  Indem  er  hierbei  die  Ähnlichkeit 
seiner  Stämme  mit  dem  Bacillus  Flezner  nachweisen  konnte,  erbrachte  er  zu- 
gleich den  Beweis  für  die  ätiologisch  nicht  einheitliche  Infektion  bei  der 
Dysenterie. 

In  der  sich  anschliessenden  Diskussion  konnte  Prof.  Escherich  darauf 
hinweisen,  dass  er  in  den  von  ihm  als  Colitis  contagiosa  bezeichneten 
Krankheitsbildern  die  pathologisch -anatomischen  Befunde  der  Dysenterie  er- 
kannte. Das  Fehlen  einer  wohlcharakterisierten  Ruhrepidemie  in  Graz  sowie 
eines  Immunserams  zur  Differenzierung  der  Kulturen  hielten  ihn  damals  ab, 
das  Krankheitsbild  als  Ruhr  zu  bezeichnen. 

3.  Sitzung. 

Dr.  Rosenberg:  Demonstration  von  10  Exemplaren  der  Taenia 
eneumerlna,  abgetrieben  bei  einem  14  Monate  alten  Kinde,  infiziert  von 
einem  Hunde.    Als  Abtreibungsmittel  verwendete  er  Extractum  filicis  maris. 

Primarius  Dr.  Riet  her:  Demonstration  von  Clavlcalartraktaren 
bei  Neugeborenen,  hauptsächlich  bei  spontanen  Entbindungen,  verursacht 
durch  die  Handgriffe  der  Hebammen  bei  der  Entwicklung  der  Schultern. 
R.  hat  als  erster  auf  diesen  Verletzungsmodus  hingewiesen. 

Primarius  Dr.  Knoepfelm acher:  Demonstration  eines  18  Jahre 
alten  Kindes  mit  raehitlsehem  Zwergwuchs.    Körperläuge  84  cm. 
Diskussion:  Prof.  Kassowitz. 

Dr.  Zuppinger  demonstriert  ein  lOjähriges  Mädchen  mit  schwerer 
HemlathetQse  naeh  cerebraler  Kinderlähmung.  Das  Krankheitsbild  ist 
mit  dem  der  posthemiplegischen  Chorea  leicht  zu  verwechseln. 

Diskussion: 
Dr.  Rosenberg  weist  auf  die   tropho-neurotische  Störung  der  Hand- 
knophen  der  kranken  Seite  hin. 

Dr.  Swoboda  bespricht  das  Vorkommen  von  Trommelsehläger- 
flngern  im  frühen  Kindesalter  bei  chronischen  Erkrankangen  der  Lunge 
und  des  Herzens. 

2.  Demonstration  eines  raehitlsehen  Thoraxprftparates  mit  be- 
sonders schweren  Veränderungen. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  etc.  in  Wien.  403 

Dr.  Lehndorff  demonstriert  ein  6  Jahre  altes  Mädchen,  welches  in- 
folge der  angeborenen  abnormen  Schlaffheit  der  Kapsel  nnd  Bänder  des 
Kniegelenkes  willkürllebe  Loxatlon  hervorrufen  kann. 

Dr.  Luithlen:  Demonstration  eines  Falles  von  atypiseher 
Psoriasis. 

Dr.  B.  Schick  stellt  ein  12jähriges  Mädchen  mit  Tuberkulose  des 
Baehens  und  der  Tonsillen  bei  gleiebzeitlgrer  doppelseitiger  Lungen» 
spltzenaffektion  vor.  Die  grosslamellöso  Schappung  der  Haat  im  Zu- 
sammenhange mit  dem  Rachenbefund  könnten  Anlass  zur  Verwechslung  mit 
Scarlatina  im  Stadium  der  Abschuppnng  geben. 

Fortsetzung  der  Diskussion  über  den  Vortrag  Hamburger:  Biologir 
sebes  zur  Säuglingsem&bmng. 

Dr.  Schlichter  widerspricht  den  Darlegungen  Hamburgers  auf 
Grund  seiner  Erfahrangen  in  der  Praxis  und  sucht  die  Differenzen,  die  sich 
bei  der  Säuglingsernährung  ergeben,  mit  der  Wichtigkeit  der  Milchfermente 
in  Einklang  zu  bringen. 

Dr.  Moro  erinnert  an  seine  Versuche  zur  quantitativen  Bestimmung 
der  Serumkomplemente,  sowie  an  seine  Beobachtungen  der  Verdauungs- 
lenkozjtose  bei  erstmaliger  Darreichung  von  Kuhmilch  und  deutet  diese  Er- 
scheinungen im  Sinne  Hamburgers.  Er  hält  es  der  biologischen  Forschungs- 
richtnng  zugute,  dass  sie  zum  erstenmale  den  Satz  von  der  Unersetzlichkeit 
der  Fraaenmilch  durch  Tiermilch  einwandsfrei  bewiesen  hat. 

Prof.  Escherich  weist  auf  die  Wichtigkeit  der  Befunde  Hamburgers 
vor  allem  auf  theoretischem  Gebiete  hin.  Escherich  fuhrt  die  grossen 
Schwierigkeiten  der  künstlichen  Ernährung  besonders  bei  Frühgeburten  in 
vielen  Fällen  auf  das  quantitativ  ungenügende  Assimilations-  (nicht  Ver- 
daunngs-)  Vermögen  zurück,  hebt  die  Wichtigkeit  der  biologischen  Methode 
zur  Prüfung  dieser  Funktionen  hervor  und  erhofft  von  der  biologischen 
Forschung  praktische  Fortschritte  auf  dem  Gebiet  der  künstlichen  Er- 
nährung. 

Prof.  Kassowitz  wendet  sich  gegen  Moros  Ansicht  der  Unersetz- 
lichkeit der  Muttermilch.  Die  geringeren  Erfolge  der  künstlichen  Ernährung 
will  K.  nicht  auf  den  vermehrten  Energieaufwand  für  Verdauung  und 
Assimilation  bezogen  wissen,  sondern  auf  die  unhjgienischen  Massnahmen 
bei  der  künstlichen  Ernährung  und  den  dadurch  häufig  eintretenden  Magen- 
darrokrankheiten. 

4.  Sitzung.  3.  März  1904. 
Diskussion.  (Biologisches  zur  Säuglingsernährung.) 
Dr.  Hamburger  (Schlusswort)  betont  gegenüber  Kassowitz,  dass 
es  sich  in  seinem  Vortrage  lediglich  darum  handelte,  die  Unterschiede 
zwischen  künstliche]  i\nd  natürlicher  Ernährung  durch  biologische  Methoden 
zu  erklären,  den  guten  Hesultaten  der  künstlichen  Ernährung  wolle  er  keinen 
Abbruch  tun.  Die  Ansicht  Schlichters,  dass  für  die  Unterschiede  zwischen 
Frauen-  und  Kuhmilchnahrung  nur  die  Fermente  ausschlaggebend  seien^ 
hält  H.  für  unzutreffend,  der  Ansicht  Escherichs,  über  den  Sitz  der 
Assimilation  im  Darme  pflichtete  H.  bei  und  schliesst  mit  einem  noch- 
maligen Appell,  die  natürliche  Ernährongsmethode  der  künstlichen  vor- 
zuziehen. 

26*  *  '    ■ 


404  Vereinsbericht. 

DexnonstratioD  Dr.  Drej:  21  Monate  alter  Knabe  mit  Intrathorakalem 
Tamor.  Die  Symptome  lassen  aaf  eine  tnberkalöse  Bronchialdrüsenschweliong 
mit  Kompression  des  rechten  Bronchus  schliessen. 

Dr.  Hochsinger  demonstriert  einen  2Vf jährigen  Knaben  mit  mOlliro«> 
lolder  Idiotie,  Raehltls  und  Tetanieflymptomen  und  verweist  aaf  die 
unter  Schilddrü^enbehandlang  erfolgte  Besserang  der  Idiotie  nnd  Tetanie- 
sjmptome,  während  die  somatischen  Mongoloidsymptome  nicht  tangiert 
warden. 

Diskussion: 

Knoepfelmacher  hält  den  Versuch,  die  mongoloide  Idiotie  mit 
Myxödem  in  Zusammenhang  zu  bringen,  für  unangebracht 

Hochsinger  pflichtet  der  Ansicht  K.8  bei,  er  erwähnte  das  Myxödem 
nur  aus  diagnostischen  Rücksichten. 

Dr.  Lein  er  demonstrierte  a)  ein  serpiginiVses  Syphilid  bei  einem 
hereditär  laetlsehen  Kinde; 

b)  einen  Fall  von  Lues  heredltaria  tarda  bei  einem  11  jährigen 
Knaben  besonders  wegen  der  Knochen Teränderangen  an  beiden  Tibieo. 

Vortrag  Dr.  Sperk:  Ober  Battermlleh  als  Säuglingsnahrung. 

Sp.  berichtet  über  gute  Resultate  bei  Verfntterung  von  Buttermilch 
an  chronisch  darmkranke  Kinder.  Auch  das  Allaitement  mixte  mit  Butter- 
milch war  in  einzelnen  Fällen  Torzüglich  gelungen.  Die  gewöhnliche  Butter- 
milch als  Abfallsprodukt  der  st&dtischen  Molkereien  ist  nicht  zu  verwenden. 

5.  Sitzung.     17.  März  1904. 
Diskussion: 

Prof.  Escherich  bestätigt  ebenfalls,  dass  sich  die  Buttermilch  gerade 
beim  Versagen  oder  bei  Insuffizienz  der  Brusternährung  besonders  bewährt 
hat.  Unter  den  zur  Erklärung  herangezogenen  Hypothesen  ihrer  Erfolge 
ist  die  mächtig  sekretionsanregende  Wirkung  besonders  za  betonen. 

Primarius  Knoepfelmacher  schliesat  sich  auf  Grund  einer  längeren 
Beobacbtungsreihe  ganz  den  Ausführungen  Sp.8  an. 

Primarius  Rüther  hat  gleichfalls  gute  Erfolge  bei  Verabreichung 
von  Buttermilch  nach  akuten  Darmkatarrhen  milderer  Form,  sowie  nach 
Cholera  infantum  gesehen. 

Die  Beifütterung  von  kleinen  Mengen  Buttermilch  bei  dystrophischen 
Brustkindern  führte  ebenfalls  zu  guten  Resuli^ten. 

Demonstration:  Dozent  Zapp  er  t  stellt  einen  Fall  von  Entblndungs- 
lähmung  beider  oberen  Extremitäten  vor.  Die  Seltenheit  besteht  in 
der  Beiderseitigkeit  der  Lähmung. 

Dr.  von  Reuss  demonstriert  ein  Mädchen,  9  Jahre  alt,  mit  ortfiOtl* 
s^er  Albuminurie  im  Anschlüsse  an  Nephritis.  Die  Eiweissausscheiduag 
ist  abhängig  vom  Übergange  aus  der  horizontalen  Lage  in  die  vertikale, 
entspricht  sonach  dem  von  Henbner  aufgestellten  Krankheitstypns  jener 
Fälle,  bei  welchen  eine  Nierenschädigung  vorausging. 

Doz.  Knoepfelmacher  will  solche  Fälle  von  orthotischer  Albuminarie 
als  echte  anatomische  Erkrankungen  aufgefasst  wissen. 

Prof.  Es  che  rieh  macht  darauf  aufmerksam,  dass  bei  diesem  Kinde 
auch  Nephrolithiasis  vermutet  wird. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  etc.  in  Wien.  405 

Dr.  Nearath  stellt  ein  7  Monate  altes  Kind  mit  halbseitigem 
Rlesenwaehs  Tor,  welcher  hauptsächlich  die  linken  Extremitäten  betrifft. 

Dr.  Lehndorff  demonstriert  ein  7  Monate  altes  Mädchen  mit 
SehwellaDgen  am  linken  Untersehenkel  and  rechten  Obersehenkel. 
welche  mit  Berücksichtigung  des  Röntgenbefundes  als  dem  Morbus  Barlow 
angehörig  zu  bezeichnen  wären. 

6.  Sitzung.    28.  April  1904. 

Demonstration:  Dr.  Spieler  stellt  ein  8 jähriges  Mädchen  mit  kon- 
genitaler, doppelseitiger  HOftgelenkslaxatlon  und  beiderseitigem 
hoehgradlgem  Pes  valgoplanns  vor,  heryorgerufen  durch  angeborene 
abnorme  Weite  und  Dehnbarkeit  des  Kapsel-  und  Bandapparates  der  Ge- 
lenke, sodass  auch  die  übrigen  Gelenke  leicht  subluxiert  werden. 

Dr.  Ju  I.Fl  e  seh  demonstriert  ein  11  jähriges  Mädchen  mit  hysterlseher 
Dauerkontraktnr  der  Phalangen  an  den  4  Extremitäten.  Dieselbe  ist 
schmerzlos  und  verhindert  den  Gang  des  Kindes  fast  vollständig. 

Diskussion: 

Hochsinger  hebt  hervor,  dass  der  Fall  nicht  als  Mjotonie  in  seinem 
Sinne  aufgefasst  werden  könne. 

Prof.  £scherich  verweist  im  Gegensatz  zum  Vortragenden  darauf, 
dass  der  Fall  auch  nicht  mit  dem  Fseudotetanus  Escherich,  noch  mit  den 
Fällen  Guinons  in  Beziehung  gebracht  werden  kann. 

Primanus  Holtanek  macht  auf  das  Vorhandensein  der  Corneal-  und 
Rachenrefleze  aufmerksam. 

Dr.  Zuppinger  demonstriert  einen  7jährigen  Knaben,  bei  dem  eine 
Polloeneephalltls  mit  hochgradiger  Idiotie,  allgemeinen  spastlsehen 
Lfthmnngen  und  Kontraktarstellangen  endigte.  Die  Affektion  erfolgte 
nach  einer  Morbillenerkrankung.  Pathologisch -anatomisch  hält  der  Vor- 
tragende den  Fall  für  eine  Porencephalie  beider  Grosshirnhemisphären. 

Diskussion. 

Doz.  Zappert  verweist  auf  die  Wichtigkeit  des  vorgestellten  Falles 
für  physiologische  Untersuchungen  über  die  Fnnktionstätigkeit  der  hier  vor- 
handenen restlichen  Gehirnteile,  zumal  der  Fall  eine  letale  Prognose  ergibt. 

Dr.  Lehndorff  zeigt,  dass  das  anatomische  Präparat  des  früher  Ton 
ihm  als  Morbus  Barlow  vorgestellten  Falles  die  Charakteristika  einer  Osteo- 
mjelitis  darbietet. 

Dr.  Preleitner  stellt  1.  einen  Fall  von  geheiltem,  sehwerem 
Tetanus  naeh  spinaler  Antltoxlnli^ektlon  vor; 

2.  einen  operativ  gehellten  Fall  von  totaler  bilateraler 
uaamenspalte. 

Vortrag  Dr.  G.  floohsinger:  Die  Beziehungen  der  hereditären 
Laos  zur  Raehltls  und  Hydroeephalle. 

Hochsinger  fasst  seine  in  mehrfacher  Hinsicht  ioteressanten  Aus- 
führungen in  folgende  Behauptungen  zusammen. 

Der  hjperämische  Zustand  an  den  Appositionsstellen  des  Knochen- 
systems während  der  Früheruptionen  der  Lues  congenita  ist  ein  die  Rachitis 


40Ö  Vereins  bericht. 

begünstigender   umstand,   die    dorch  Lnes    heryorgerafene    Hyperostose   ein 
Hindernis  f&r  stärkere  rachitische  Knochenyerändemngen. 

Bei  hereditär  luetischen  Kindern  soll  die  Rachitis  h&afiger  seio  als 
bei  laes freien,  setzt  bei  den  ersteren  zeitlicher  ein  nnd  läuft  rascher  ab. 

Der  Schädel  am  fang  hereditär  laetischer  Säuglinge  ist  während  des 
1.  Lebensjahres  grösser  als  bei  normalen  Kindern,  die  rachitischen  Kinder 
überholen  die  luetischen  Kinder  bezüglich  Schädelumfang  erst  im  2.  Lebens- 
semester. 

Das  Caput  natiforme  Parrots  ist  nur  in  den  ersten  Lebensmonaten 
für  Lues  congenita  eyentuell  zu  verwerten. 

Der  Hydrocephalus  der  ersten  Kindheit  ist  sehr  häufig  durch  Loes 
congenita  verursacht  und  kann  dann  von  der  rachitischen  Psendohydrocephalie 
unterschieden  werden. 

Der  syphilitische  Hydrocephalus  ist  häufig  einer  Jodqueeksilber- 
behandlung  zugänglich.  Hochsinger  empfiehlt  dieselbe  daher  bei  jedem 
frühzeitigen  Hydrocephalus. 

Diskussion: 

Doz.  Zappe  rt  bestreitet  die  Richtigkeit  der  Schädelmessungen  Hoch - 
Singers  und  die  sich  daraus  ergebenden  Unterschiede  zwischen  den  Kopf- 
umfangen  normaler  und  hereditär-syphilitischer  Kinder. 

Auf  Grund  pathologisch -anatomischer  Erfahrungen  widerspricht  er 
Hochsinger  auch  bezüglich  der  Häufigkeit  von  Leptomeningitis  und  Ver- 
änderungen des  Schädeldaches  bei  hereditär-luetischen  Kindern. 

Prof.  Escherich  hält  es  dem  Vortragenden  zugute,  auf  die  Be 
Ziehungen  der  Hydrocephalie  zur  hereditären  Lues  hingewiesen  zu  haben- 
hält es  jedoch  nicht  für  gerechtfertigt,  bei  den  Schädel vergrösserun gen  der 
ersten  Lebensmonate  generell  die  von  Hochsinger  sapponierten  Gefäss- 
und  Meningenveränderungen  anzunehmen  und  daraufhin  antilnetisch  zu  be- 
handeln. 

Prof.  Escherich  bezweifelt  auch  die  von  Hochsinger  angegebenen 
Unterschiede  des  luetischen  und  rachitischen  Hydrocephalus  als  nicht  genügend 
erwiesen. 

Dr.  Hochsinger  (Schlusswort)  weist  gegenüber  Zappert  auf  die  un- 
richtigen Schädelmessungen  besonders  Liharziks  hin,  dessen  Material  er 
gegenüber  dem  eigenen  als  nicht  rachitisfrei  bezeichnet.  Bezüglich  der 
anatomischen  Basis  der  Hydrocephalien  e  Lue  verweist  er  mangels  eigener 
Ob^nktioneu  auf  15  Fälle  in  der  Literatur.  Der  Vortragende  unterscheidet 
zwischen  einfach  syphilitischen  grossen  Köpfen  und  syphilitischen  Hydro- 
oephalen  und  schildert  die  Ausnahmefälle  gegenüber  den  rachitischen  Ver- 
änderungen. 

7.  Sitzung  19.  V.  1904. 

Demonstration:  Dr.  Swoboda  bespricht  an  zwei  vorgeführten  Fällen 
das  Krankheltsblld  der  Elephantiasis  congenita, 

^  Diskussion: 

Prof.  Esc  herisch  fragt,  ob  eine  Röntgenuntersuchung  yorgenommen 
wurde,  nnd  weist  auf  das  Vorkommen  von  Lymphangiomen  der  inneren  Örgsoe 
in  solchen  Fällen  hin. 


Gesellschaft  für  innere  Medizin  etc.  in  Wien.  407 

Dr.  Hochsinger  glaubt  an  eine  vorliegende  Hypertrophie  der 
Knochen  der  unteren  Extremitäten,  was  Dr.  Swoboda  auf  Grand  der 
Röntgenuntersuchung  negiert. 

Vortrag  Prof.  Dr.  M.  Pfaundler- Graz:  Über  Kalkadsorption  und 
Raehltistheorlen.  Erscheint  als  Originalbeitrag  im  Jahrbuch  für  Kinder- 
heilkunde. An  den  in  formvollendeter  Weise  gehaltenen  Vortrag,  der  sich 
auf  exakte  experimentelle  Versuche  stützte  und  dessen  Tenor  dahin  ging,  dass 
die  Knochenrachitis  und  die  Kalkarmut  des  Knochens,  bedingt  durch  Kalk- 
abstinenz, zwei  verschiedene  Prozesse  sind,  schloss  sich  folgende 

Diskussion: 

Prof.  Kassowitz  wendet  sich  gegen  die  Ansicht,  die  Rachitis'  in 
allen  Fällen  als  Allgemeinerkrankung  zu  bezeichnen,  nur  insoweit  es  sich  um 
schwere  Fälle  handelt,  lässt  er  dies  gelten,  im  übrigen  will  er  die  Rachitis 
als  eine  auf  das  Skelet  beschränkte  Erkrankung  bezeichnet  wissen.  Er 
stimmt  den  Anschauungen  des  Vortragenden  über  die  Ursachen  der  Kalk- 
ablagerung bei,  die  er  ursächlich  mehr  durch  mechanische  Vorgänge,  analog 
der  Farbstoffeinlagerang,  als  durch  chemische  Affinitäten  erklärbar  findet. 

Hierbei  nimmt  Kassowitz  Rücksicht  auf  die  von  ihm  beobachtete 
In volutions- Wirkung  des  Phosphors  auf  die  Wandungen  der  Kapillaren  und 
dadurch  beschleunigte  Verkalkung  des  Knochengebietes. 

Dr.  Hochsinger  sagt,  dass  bezüglich  der  osteoiden  Metaplasie  l)ei 
Rachitis  sowie  der  syphilitischen  Osteochondritis  die  histologischen  Befunde 
nicht  vollkommen  mit  der  Anschauung  des  Vortragenden  übereinsUmmen : 
dass  dem  metaplasierten  Knorpelgewebe  eine  besondere  Affinität  f'ir  die 
Kalkadsorption  beizumessen  wäre. 

Prof.  Pfanndler  (Schlusawort)  hält  an  der  Anfifassung  der  Rachitis 
als  ein  ausgesprochen  konstitutionelles  Allgemeinleiden  fest,  das  Skelet- 
System  dürfte  nur  die  empfindlichsten  Indikatoren  für  die  die  Rachitii(  ver- 
ursachende Noxe  enthalten.  Die  Anschauung  Kassowitz  über,  die  Farb- 
sto'ffeinlagerung  in  za  färbende  Fasern  nähert  sich  der  Ansicht  des  Vpr- 
tragenden  über  die  Kalksalzeinlagerung  bei  der  Verknöcherung.  Histologische 
üntersachungen  bei  Rachitis  mussten  vor  der  Hand  unterbleiben. 

8.  Sitzung  16.  VI.  1904. 

Demonstration:  Doz.  Zapp  er  t  stellt  ein  5jährlges  Kind  mit  aas- 
gebreiteter BleUfthmanfiT)  vorwiegend  die  unteren  Extremitäten  betreffend, 
vor.  Die  Lähmung  ist  verursacht  durch  das  Spielen  mit  schwarzer,  blei- 
haltiger Seide. 

Dr.  Zuppinger  demonstriert  ein  6jährige8  Mädchen  mit  primärem 
Sehlelmhautlnpas  der  Nasen-Rachenor^ane. 

Dr.  B.  Schick  zeigt  einen  13jährigen  Knaben  mit  Pharynx* 
tuberkulöse,  dessen  Schwester  mit  der  gleichen  Affektion  hier  bereits  vor- 
geführt wurde. 

Dr.  S.  Weiss:  Demonstration  eines  Säuglings  wegen  eines  an- 
geborenen Herzfehlers.  Diagnose:  Stenosis  art.  pulmonalis,  Defectus  septi 
ventriculornm,  Persistenz  des  For.  ovale.  Gleichzeitig  bestehen  starke  Er- 
weiterungen der  Venen  der  Kopfhaut. 


408  Vereinsberioht. 

Diskassion: 

Prof.  Escherich  erklärt  den  Herzbefund  als  eine  Folge  des  Offen- 
bleibens  des  Ductus  Botalli.  Die  Ektasie  der  Venen  entspricht  dem  tod 
Foarnier  geschilderten  Krankheitsbilde. 

Dr.  Nearath  und  Primarius  Knöpfelmacher  können  sich  gleichfalU 
den  Konklusionen  des  Dr.  W.  nicht  anschliessen. 

Dr.  Weiss  r&nmt  die  Möglichkeit  eines  offenen  Ductus  Botalli  ein. 

Dr.  Schwoner  stellt  einen  Fall  von  dnreta  Baet.  eoU  hervor- 
gerafener  AppendieltlS  vor.  Das  127sjahrige  Kind  warde  im  Anfalle 
operiert  und  der  Warmfortsats  bakteriologisch  und  histologisch  bearbeitet 
Die  vorgenommene  Untersuchung  ergab  das  Einwandern  virulenter  Coli- 
basiUen  in  die  Macosa  des  Appendix  and  dadurch  hervorgerufene  Appendicitis. 

Prof.  Escherich  fuhrt  einen  Fall  von  Idiopathiseher  Pulsarhythmle 
im  Kindesaltep  vor.  Prof.  Escherioh  erörtert  die  lediglich  von  ihm  ge- 
machten Beobachtungen  über  diesen  pathologischen  Zustand,  wobei  der  ge- 
störte Rhythmus  die  ganze  Krankheit  zu  bilden  scheint  Es  handelt  sich 
dabei  um  5-— 12 jährige  Kinder  von  zarter  Konstitution,  geringem  Fettpolster 
und  Muskulatur  und  leichter  Erschöpf  barkeit.  Die  Ursache  der  Arhythmie 
sieht  der  Vortragende  in  einer  abnormen  Verschieblichkeit  der  oberen  Herz- 
grenzendämpfung nach  abwärts  beim  Übergang  Tom  Stehen  in  die  liegende 
Stellung.  Pie  Arhythmie  schwindet  mit  der  zunehmenden  körperlichen  Ent- 
wicklung. 

Dr.  Friedjung  führt  einen  analogen  Fall  seiner  Beobachtung  an. 

Vortrag  Dr.  B.  Schick:  Urotropln  und  Seharlaehnephrltls. 

Seh.  prüfte  an  72  Kindern  mit  Scharlach  den  prophylaktischen  Wert 
des  Urotropin  gegenüber  der  Scharlach nephritis  und  kommt  zu  dem  Schiasse, 
dass  Eintritt  und  Verlauf  der  Nephritiden  durch  Urotropin  nicht  beeinflasst 
wurden,  die  nephritischen  Symptome  sogar  zunahmen.  ^Wiener  klin.-therap. 
Wochenschr.    No.  88.     1904.) 

Doz.  Eisenschitz  hebt  den  Wert  dieser  Untersnchungs-Ergebnitse 
hervor.  Moser. 


Literaturbericht 

Zusammengestellt  von  Dr.  B.  SALGE, 

Obennt  an  der  Üniyenitftto-Klnderklinlk  in  BerUn. 

L  Allgemeines.    Anatomie  und  Physiologie,    Allgemeine   Pathologie 

und  Therapie, 
KongenUaU  Dioertilulbildung  im  Processus  vermiformis.     Von  E.  We  ding  er. 
Yirchows  Archiv.  17  8,L 

Bei  einem  Neageborenen  fanden  sich  zahlreiche  Verlagerangen  von 
Schleimhaatteilen  im  unteren  Ende  des  Processus,  Einstülpungen  and  mit 
s&mtlichen  Schichten  der  Darmwandnng  yersehene  Anhänge.  —  Literatur- 
aogabe.  Spiegelberg. 

Ober  einen  Fall  von  offenem  Meckelcken  DioerHkeL  Von  Dreifuss.  Manch, 
med.  Wocheoschr.  ^o.  40.  1904. 
Bemerkenswert  ist  das  Auftreten  erst  mit  */«  Jahren  des  Kindes;  zu 
dieser  Zeit  erst  blutiger,  später  wässriger  Ausfluss  aus  der  Nabelfistel  Harn 
oder  Kot  treten  aus  der  Fistel  nicht  aus.  Kein  Schleimhautprolaps.  Heilung 
darch  Operation.  Misch. 

Vererbung  einer  sech^acken  Missbildung  an   alien  vier  Exiremiiäien  durch 

drei  Generationen,    Von  Hubert  Münch.  med.Wochenschr.  No.  39.  1904. 

Syndaktylie   an    beiden  Händen    und  Füssen    und  überzähliger  Hailax 

an  jedem  Fuss.    Vater  und  Grossvater  des  Kindes  und  nach  Mitteilung  auch 

der  Vater  des  Grossvaters  weisen  dieselben  Missbildungen  auf.        Misch. 

On  ihe  physiccU  examinoHon  of  t^8o  girls  from  elementary  schools  in  London. 
Von  May.  Dickinson    Berry   Brit.  med.  Journ.    28.  Mai  1904. 
Die  erhaltenen  Masse  sind  folgende: 


Alter 

11 

12 

13 

14 

15 

DurchschnittL  Grösse  .  .  . 
Durchschnitt!.  Gewicht .  . 

131,7 
31,7 

144,8 
84,8 

147,8 
88,2 

156,2 
49,9 

157,4 
48,0 

Der  Brustumfang  war  in  256  Fällen  65—67,5  cm,  in  146  Fällen 
62^^65,0,  iB  181  Fällen  67,6—70,0,  in  107  Fällen  70,0—72,5  cm,  7  Mädchen 
hatten  80—82,5  Brustumfang,  6  nur  57,5—60.  Die  Ausdehnung  der  Brust 
betrog  bei  467  fällen  5—7,5  cm,  in  818  Fällen  7,5—10  cm.  Die  äusseren 
Verhältnisse  waren  dieselben  wie  bei  den  von  Thorne  beschriebenen  Knaben 


410 


Literatarberich  t. 


aach  die  Gewichtsverhältoisse  waren  dieselbeD,  während  die  übrigen  Masse 
(L&nge,  Brustamfang,  Brusterweiterung)  etwas  geringer  waren.  Die  Zahlen 
sind  grösser  als  die  von  Camerer  beigebrachten,  obwohl  auch  dieser  schon 
besonders  grosse  Familien  untersucht  hat.  Ernstliche  Lungenerkrankungeu 
wurden  in  keinem  Fall  gefunden,  in  8  pCt  der  Fälle  organische  Herz- 
geräusche, in  12  pCt.  Skoliosen.  In  13  pCt.  bestanden  Refraktions- Ano- 
malien, in  8,3  pCt.  Hörstörungen.  Vergrösserte  Tonsillen  oder  Adenoide 
fanden  sich  in  10  pCt,  der  Fälle.  Albuminurie  fand  sich  in  151  Fällen  oder 
nahezu  10  pCt.,  67mal  wurde  Albumen  bei  2  Untersuchungen  gefunden, 
9mal  in  3,  lOmal  in  4,  6mal  in  5  Untersuchungen,  doch  wurden  bei  weitem 
nicht  alle  Fälle  so  oft  untersucht  Einige  Fälle  —  im  ganzen  23  —  blieben 
3 — 5  Jahre  lang  in  Beobachtung,  davon  hatten  10  dauernd  Albumen,  1  zeit- 
weise nicht,  bei  9  war  in  der  letzten  Zeit  überhaupt  keine  Albuminurie  mehr 
vorhanden.  Infektionskrankheiten  hatten  einige  der  Kinder  durchgemacht, 
doch  war  der  Prozentsatz  angeblich  nicht  höher  als  bei  den  Kindern  ohne 
Albuminurie.  Zylinder  wurden  aoch  bei  reichlichem  Eiweissgehalt  nicht 
gefunden.  Im  ganzen  neigte  die  Affektion  zur  Besserung,  und  das  Allgemein- 
befinden der  Kinder  wurde  wenig  gestört.  Jap  ha. 

Tke  pkysicai  development  of  ihe  London  schoolboy.  1890  examinations  by 
Leslie  Thorne.  Brit.  med.  Journ.  9.  April  1904. 
Die  Untersuchungen  wurden  ausgeführt  an  1890  Knaben  im  Alter  von 
9  bis  16  Jahren,  von  denen  1879  äusserlich  gut  aussahen,  679  ziemlich  gut« 
die  übrigen  mehr  oder  weniger  zart.  Die  Eltern  der  jüngeren  Schüler  bis 
13  Jahren  verdienen  nicht,  mehr  i^ls  3000  M.  jährlich,  viele  nicht  2000  M. 
Das  Einkommen  bei  den  Eltern  der  älteren  Schüler  ist  höher,  bis  zu  8000 M., 
doch  verdient  die  Hälfte  nur  bis  5000  M.,  viele  nicht  3000  IL  Für  deutsche 
Verhältnisse  müssten  wohl  diese  Zahlen  erheblich  geändert  werden,,  wenn  man 
sich  ein  Bild  von  der  Lebensführung  der  Familien  machen  wollte.  Die 
Messungsresultate  sind  folgende: 


Alter 


9 

10 

11 

.  12 

13 

14 

15 

1 

16  328 

969 

146  117 

120 

128 

189 

143 

144 

152  158 

162 

8 

26 

7  1  2 

4 

2 

20 

4 

2 

5 

25,4 

31,7 

34,8 

34,7 

88,1 

44,5 

50,8 

78 

187 

81 

32 

41 

72 

153 

34 

38 

44 

16 


Zahl  der  Untersuchungen    ...  1       16    328  969  146  117  120  13 

Durchschnittsgrösse 128     189     143  144  152  ,158  162     168 

10—20  pCt.  über  d.  Durchschnitt 
10—20  pCt.  unter  d.  Durchschnitt 

Durchschnittsgewicht 25,4   31,7   34,8   34,7  88,1    44,5    50,8   50,8 

10— 20  pCt.  über  d.  Durchschnitt  I  78  187  81  32  41  4 

10—20  pCt.  unter  d.  Durchschnitt  72  153  34  38  |  44  3 

Die  Ausdehnung  der  Brust  war  in  880  Fällen  7,5  cm,  in  870  Fällen 
nur  2,5  bis  5  cm,  in  394  Fällen  10  cm  und  darüber.  Der  Brustumfang  war 
in  413  Fällen  67,5  bis  70  cm,  in  371  Fällen  70  bis  72,5  cm,  in  239  Fällen 
72,5  bis  75  cm,  die  übrigen  Maasse  lagen  etwa  zu  gleichen  Teilen  darüber 
oder  darunter,  16  Knaben  hatten  nur  einen  Brustumfang  von  57,5  bis  62,5, 
14  Knaben  einen  von  87,5  bis  92,5  cm;  eine  Trennung  nach  Altersklassen  ist 
hier  nicht  erfolgt  Alle  Zahlen  stimmen  im  allgemeinen  mit  denen  Camerers 
überein,  nur  die  Körperlängen  sind  in  den  englischen  Beobachtungen  erheb- 
licher. Bei  einem  einzigen  Knaben  wurde  eine  anscheinend,  leichte  Spitzen- 
affektion    entdeckt,    bei  weitem   häufiger  Herzstörungen,   so  in  62  Fällen  ein 


I.  Allgemeines.    Anatomie  und  Physiologie  etc.  411 

Mitralfehler,  ein  Aortenfehler  und  zweimal  ein  Pulmonal  fehler.  Drei  Skoliosen 
waren  Torhanden.  Die  Augenbeobachtungen  sind  nicht  schlüssig,  jedenfalls 
waren  in  37,5  pCt.  der  Fäile  beide  Augen  normal.  Vergrösserte  Tonsillen 
öder  Adenoide  fanden  sich  in  633  Fällen.  Das  Gehör  war  in  17,6  pCt.  der 
Fälle  angegrififen.  Bei  172  Knaben  oder  in  9,1  pCt.  der  Fälle  fand  sich 
Albuminurie,  doch  nur  in  15  Fällen  war  das  mit  Sicherheit  auf  eine  Nephritis 
zurückzufahren.  Von  diesen  Fällen  wurden  107  noch  einmal  später  unter- 
sucht, in  53  Fällen  wurde  auch  das  zweite  Mal  Albuminurie  konstatiert, 

Japha. 
PrifHäre  angeborene  Hershyperirophie,  VonE.  Beding  er.  Virchows- Archiv. 
Bd.  178.  2. 

Die  älteren  Fälle  angeblicher  angeborener  totaler  oder  teilweiser  Herz- 
hjpertrophie  sind  zum  Teil  als  physiologische  Zustände  (s.  Bednar),  znm 
Teil  als  Begleiteryheinung  der  Thymushypertrophie  (s.  Henoch,  Hauser 
n.  A.)  oder  als  Folgen  von  katarrhalischen  Stauungen  anzusehen,  zweifelhaft 
ist  auch  eine  ganzo  Reihe  aus  der  späteren  Literatur;  einwandfrei  erst  ein 
Fall  von  Simmonds  1899,  dem  nur  noch  einzelne  wenige  gefolgt  sind. 

Verfasser  fand  bei  einem  14  Monate  alten  Kinde  bei  normalen  Klappen, 
Gefässen  und  Nieren  und  geringfügigen  Lungenveränderungen  eine  enorme 
Hypertrophie,  als  kongenitale  anzusprechen.  Die  Ursachen  sind  wahrscheinlich 
in  Zirkulationsstörungen  während  der  Embryonalzeit  zu  suchen.  Eine  diffuse 
Myombildung  nach  Virchow  ist  unwahrscheinlich.  Spiegelberg. 

Ober  die  BeMlehungen  der  Thymus  srnm  Kalkstoffwechsel,  Von  F.  Sinnhnber. 
Zeitschr.  f.  klin.  Medizin.    Bd.  54.    H.  1/2. 

S.  hat  die  Kalkansscheidung  beim  thymektomierten  Hunde  zum  Gegen- 
stand ausführlich  angelegter  Untersuchungen  gemacht.  Sein  Ergebnis  ist, 
dass  die  Thymus,  im  postembryonalen  Leben  kein  lebenswichtiges  Organ  mehr 
sein  kann,  ihre  Exstirpation  auf  die  Kalkausscheidung  keinen  Einüuss  hat, 
dass  die  Drüse  in  keinerlei  Beziehung  zur  Rachitis  steht,  wo  mit  solcher 
atrophische  oder  hypertrophische  Veränderung  der  Thymus  vereinigt  sei,  beide 
Erscheinungen  die  Folgen  einer  Grundkrankheit  seien,  der  lymphatischen 
Konstitution,  ihrerseits  des  Ausdrucks  einer  durch  Ernährungsfehler  hervor- 
gerufenen Störung  der  Darmtätigkeit.  Auch  Fütterung  mit  Thymus  hat 
keinen  Einfluss  auf  die  Kalkansseheidung,  die  N.-Ausfuhr  ist  etwas  erhöht. 
;  Dagegen  steigert  Darreichung  von  grösseren  Gaben  Thyreoidin  die 
Kalkansscheidnng  merklich.  Spiegelberg. 

PkasphaiurU  und  Calcariurie.  Von  v.  Tob  1er.  Archiv  f.  experimentelle 
Phathologie  und  Pharmakologie.  Bd.  52V3 
Physiologische  Phosphaturie  findet  nach  jeder  stärkeren  Abgabe  von 
Säure  durch  den  Magen  (Mahlzeiten,  Erbrechen,  Spülung  usw.)  statt.  Patho- 
logisch wird  sie  durch  gesteigerte  Intensität  und  Ausdauer.  Die  begleitenden 
allgemeinen  Krankheitszustände  sind  verschieden,  nach  Soetbeer  meist 
chronische  Dickdarmkatarrhe,  symptomatisch  Erbrechen,  Kopf-,  Leib-.  Muskel- 
schmerzen,  Schweisse,  Anämie.  Verfasser  hat  zunächst  durch  4  Fälle  die 
wenigen  vorhandenen  Beobachtungen  verdoppelt  Drei  Mädchen  zeigten  im 
Wesentlicben  die  von  Soetbeer  gegebenen  Symptome,  am  auffallendsten 
heftige  SchmörzanfäUe  im  Leibe.  Der  Urin  war  an  Menge  und  spezif. 
Gewicht   normal,    zeigte  stets    starke    milchige    Trübung    mit    ausfallendem 


412  Literatarberieht, 

Sediment  phosphorsaurer  und  kohlensaurer  Salze,  amphotere  bis  alkalische 
Reaktion.    Bei  einem  Knaben  Ähnliches. 

Die  letzten  exakten  üntersachungen  haben  bei  pathologischer  Phos- 
phatarie einen  Überschtiss  an  Kalksalzen  im  Urin  festgestellt  Diesen  Befand 
hat  Tobler  verfolgt  durch  Prüfung  der  Kalk-  und  Phosphoransscheidang 
bei  einem  gesunden  and  einem  entsprechenden  erkrankten  Kinde,  sowie  svei 
weitern  solchen.  Die  Ergebnisse  der  ansfahrltehen  Üntersachungen  sind 
wieder:  ausserordentliche  Steigerung  darch  den  Harn  —  im  Versuchsfalle 
genau  ebensoviel  mehr,  als  in  den  Faeces  weniger,  worin  ein  weiterer  Hinweis 
auf  deo  Znsammenhang  mit  gestörter  Darmarbeit  liegt  —  bei  normaler 
Phosphorausscheidung.  Gesteigerte  Kalkznfahr  gab  im  StoffwechseWersache 
keioe  brauchbaren  Ergebnisse,  wolil  aber  klinisch  gesteigerte  Schmerzeo. 
Für  das  Verhftltnis  Ca:  P    fand  Tobler  keine  einheitlichen  Werte. 

Therapeutisch  rät  T.  neben  der  Behandlung  des  vorliegenden  Darm- 
leidens  eine  kalkarme  Schonungsdi&t  nach  der  B ungesehen  Tabelle  des 
Kalkgehaltes  der  Nahrungsmittel:  viel  Fleisch,  viel  Fett,  Zucker,  Mehlspeisen 
und  ausgewähltes  Obst;  Beschränkung  der  Wasserzufuhr.  Die  Milchdiät  ist 
zu  verwerfen.    Säareverabreichaug  ist  ohne  Einfluss.  Spiegelberg. 

Über  proteolytische  Enzyme  der  MiUk,  Von  A.  J.  J.  Vandevelde,H.  de  Wale 
und  £.  Sugg.  Hofmeisters  Beiträge  zur  ehem.  Physiologie  nnd 
Pathologie.     Bd.  5. 

«Durch  Anwendung  von  Wasserstofihjperoxyd  wird  eine  Sterilisierang 
der  Milch  erzielt,  welche  die  Enzjme  nicht  angreift;  dadurch  lägst  sich  die 
Gegenwart  eines  proteolytischen  Enzymes  nachweisen  unter  Bedingungen, 
welche  eine  genaue  Untersuchung  ermöglichen. 

Die  Wirkung   dieses  Enzymes  wird  durch  alkalische  Reaktion  erhöht. 

Dem  Wasserstoffhyperoxyd  muss  zwar  eine  eigene  eiweisslöseode 
Wirkung  zuerkannt  werden,  doch  lässt  sich  diese  leicht  von  der  enzyms- 
tischen  Wirkung  trennen.  Die  eingetrenen  Änderungen  in  der  Zusammen- 
setzung der  Milch  lassen  sich  auch  auf  biologischem  Wege  nachweisei*, 
nämlich  durch  Präzipitation  mit  den  zugehörigen  Serie,  und  auch  darch 
Labfermentfällung.**  Pfaundler. 

VergleUheude  Studien  über  den  Wert  der  natürücken  und  kunst&chen  Säug" 
ßngrsemährung  bei  liieren.  Von  Brüning.  Wiener  klinische  Rand- 
schau.  1904,  No.  27—31. 
Die  sehr  eingehenden  und  sorgfältigen  Untersuchungen  des  Ver- 
fassers erstrecken  sich  auf  drei  junge  Ziegen,  von  denen  eine  natürlich 
ernährt,  die  zweite  mit  sterilisierter  Ziegenmilch,  die  dritte  mit  sterilisierter 
Kuhmilch  gesäugt  wurde.  Der  Versuch  ergab  die  grosse  Überlegenheit  der 
rohen  arteigenen  Milch  über  die  sterilisierte  arteigene  und  artfremde  Milch. 
Während  das  natürlich  ernährte  Tier  sein  Körpergewicht  schon  am  15.  Lebens- 
tage  verdoppelte,  war  dieses  bei  den  künstlich  ernährten  erst  am  20* 
bezw.  22.  Lebenstage  der  Fall.  Das  natürlich  ernährte  Tier  zeigte  bei 
geringerer  Nahrungsmenge  und  kleineren  Energieqaotienten  im  Vergleich 
mit  den  künstlich  ernährten  Tieren  eine  schnellere  Gewichtszunahme,  günsti- 
geren Zuwachsquotienten  (Fe er)  und  Nährquotienten  (Gamerer),  sowie 
normalere  Entwicklang  und  besseres  Aussehen.  Spanier- Hannover. 


I.  Allgemeines.     Anatomie  und  Physiologie  etc.  413 

NoU  sur  i*aisorptioH  des  fraisses  ckea  les  enfamis.  Von  P.  Nobecourt  und 
Prosper  Merk  len.  (Rev.  mens,  des  Ilaladies  de'Penfance.  22.  Aag.  1904.) 

Die  Verfasser  glauben  in  der  Bestimmung  der  resorbierten  Fettmenge 
tfio  Mass  für  die  Verdauungskraft  des  SftugUngsdarmes  zu  haben.  Es'  kommt 
dabei  nicht  auf  die  absolut  resorbierte  Menge  an,  sondern  die  relative,  d.  h. 
die  pro  Kilo  Körpergewicht  resorbierte  Menge.  Sie  finden,  dass  gesunde 
Brust- Kinder  und  selbst  frühgeborene  eine  gute  Resorptionskraft  für  Fett 
haben,  die  bei  djsjeptischen  und  schwächlichen  S&nglingen  mehr  oder  weniger 
abnimmt.  Diese  Schwäche  der  Resorptionskraft  für  Fett  h&lt  längere  oder 
kürzere  Zeit  an,  um  mit  der  Gesundung  wieder  zu  verschwinden. 

Bei  einem  kunstlich  genährten  Mjxödemkinde  wurde  eine  niedrige 
Resorptionskraft  festgestellt,  die  zugleich  mit  dem  Einsetzen  der  Thyreoidin- 
behandlung  sich  steigerte«  Auf  den  geringen  Fettgehalt  führen  auch  die 
Verfasser  die  Erfolge  mit  Buttermilch  zurück.  L.  Ballin. 

Ü6er   Hnigg   Hsioiogiscke    Untersuchungen   der  normalen    Thymusdrüse  eines 
sechsmonaiHchen  und  eines  reifen  Fötus,     Von  Magni.     Arch.  f.  Kinder- 
•  heilk.    XXXV III.  Bd.     1.  u.  2.  Heft. 

Nach  den  histologischen  Forschungen  des  Verfassers  ist  die  Thymus* 
drüse  eine  Drüse  mit  epithelialer  Struktur,  in  der  zwei  Uaupttätigkeiten  aus- 
geübt werden,  eine  bildende  und  eine  ausscheidende.  Die  bildende  Tätigkeit 
^eht  hauptsächlich  von  der  Rindenschicht  der  Lappen  und  Läppchen, 
insbesondere  Yon  den  inneren  und  äusseren  Rändern  dieser  Schicht  aus.  Hier 
vollzieht  sich  ausser  der  Fortpflanzung  der  Thymuszellen  auch  die  Bildung 
von  Erythrozyten,  die  dann  durch  die  perivenösen  Lymphräume  in  die  Venen 
der  Curticalis  eindringen.  Die  ausscheidende  Tätigkeit  vollzieht  sich  haupt- 
sächlich in  der  medullären  Zone  und  ist  durch  Veränderungen,  insbesondere 
des  Kernes,  bedingt,  infolge  von  cbromatolytischen  und  karioly tischen  Um- 
bildungen. Die  hierdurch  entstehenden  neuen  Elemente,  besonders  kolloider 
Natur,  ergiessen  sich  aus  dem  Innern  der  Zellen  und  kommen  teils  durch 
Absorption  durch  die  in  den  Lymphgefässen  beobachteten  Leukozyten,  teils 
direkt  durch  die  Kapillarge fasse  in  den  Kreislauf.  Die  ausscheidende  Tätig- 
keit der  Zellelemente  geht  mit  ihrem  Zerfall  Hand  in  Hand,  und  das  bedingt 
nach  und  nach  die  Atrophie  des  Organes.  Spanier-Hannover. 

Über  das  Bakterienwachstum  auf  wasserarmen  Nährboden,  Ein  Beitrag  zur 
Frage  der  natürlichen  Immunität  (Aus  der  Kgl.  Universitäts-Kinderklinik 
zu  Breslau.)  Von  Richard  Weigert.  Centralbl.  f.  Bakteriol.  Bd.XXXVL 
No.  I. 

Verf.  hat  an  einer  Reihe  von  Bakterien  untersucht,  bei  wie  grossem 
Wassergehalt  ein  Wachstum  in  Gelatine  noch  möglich  ist.  An  Bakterien 
wurden  geprüft:  Staphylococcus  pyogenes  aureus,  Staphylococcus  pyogenes 
albus  Bacillus  pyocyuneus,  B.  typhi,  B.  coli  com.  Proteus  vulgaris,  B.  diphtheriae. 
Es  zeigt  sich,  dass  die  erstgenannten  Bakterien  bei  einem  Trocken- 
gehalt des  Nährbodens  von  33  pGt  und  darüber  in  der  Gelatine  nicht  mehr 
fortkamen,  nur  Oberflächen  Wachstum  zeigten  oder  sich  überhaupt  nicht  mehr 
vermehren  konnten.  Der  Diphtheriebazilius  wächst  noch  in  allen  Schichten 
einer  Nährgelatine  von  83,2  pCt.  Trockensubstanz.,  kommt  aber  weder  in  noch 
auf  einem  Nährboden  von  35,4  pGt.  Trockensubstanz  fort. 

Auf  Nährböden,  deren  Trockensubstanz  sich  dem  Werte  von  33  pCt. 
nähert,  tritt  eine  allmählich  zunehmende  Wachstnmshemmung  ein. 


414  L!  teimturbeneh  U 

Der  mittlere  Wassergehalt  des  gesaoden  erwachsenen  Menschen  bewegt 
sieh  zwischen  63  und  67,6  pCt^  d.  h.  er  entspricht  dem  Wassergehalt  solcher 
kä östlicher  Nihrbödeo,  in  denen  Bakterien  nicht  mehr  gedeihen  können. 

Der  Wassergehalt  des  Neugeborenen  ist  höher  71,8  pCt.  nach  Camerer, 
er  nimmt  bis  zar  YoUendeten  £ntwicklnng  fortwährend  ab,  nnd  es  yerdieut 
die  aaffallende  Tatsache  Erwihnong  zo  finden,  dass  mit  fast  gleicher  Gesetz* 
roässigkeit  die  Mortalitäts-  und  Morbidit&tszahien  Tom  Sänglingsalter  bis  zam 
Abschlnss  der  Entwicklung  sich  in  absteigender  Linie  bewegen. 

Es  ist  zu  erwarten,  dass  der  Verfasser  seine  interessanten  Stadien  aber 
diesen  Gegenstand  noch  fortsetzt  und  vielleicht  dabei  auch  auf  die  Frage  ein- 
geht, ob  die  grosse  Temperatardifferenz  zwischen  den  Gelatinenährböden 
and  dem  Körper  des  Menschen  nicht  wenigstens  für  pathogene  Bakterien 
einen  Vergleich  erschwert.  Des  weiteren  wäre  es  willkommen,  Aafschlass 
darüber  zo  erhalten,  ob  die  auf  zu  geringem  Wassergehalt  beruhende  Resistenz 
des  Menschen  auch  für  die  an  den  Schleimhautoberflächen  wuchernden  Bazillen 
in  Betracht  kommt.  Die  natürliche  Immunität  gegen  Diphtherie  wäre  hier 
vielleicht  ein  dankbares  Objekt.  Salge« 

Experimenielle  Beiiräge  sur  Biologie  der  Schwangersckafl,  Habilitationsschrift 
von  Oskar  Polano.     1904. 

Die  sehr  interessante  Arbeit  Polanos  hat  einige  Resultate  gezeitigt, 
die  auch  für  die  Pädiatrie  von  Wichtigkeit  sind.  Hiervon  sei  folgendes  kurz 
berichtet: 

Die  Prufang  der  Hämolysine  von  mütterlichem  und  fötalem  Blutserum 
ergab  bei  der  Einwirkung  von  Serum  der  Mutter  auf  die  Blutkörperchen 
des  Fötus  und  umgekehrt  keine  Hämolyse.  Die  Versuche  wurden  nur  in 
beschränkter  Anzahl  durchgeführt,  da  wir  aus  den  Versuchen  Hai  bans  schon 
wissen,  dass  in  dieser  Beziehung  kein  einheitliches  Resultat  zu  erhalten 
ist.  Bald  verhalten  sich  die  beiden  Sera  wie  die  von  verschiedenen  Individuen 
stammenden,  bald  zeigt  sich  keine  Einwirkung,  wie  es  in  den  Versuchen  P.8 
der  Fall  war. 

Die  Einwirkung  des  mütterlichen  und  des  fötalen  Serums  auf  tierische 
Blutkörperchen  ergab  folgendes  Resultat:  Auf  Blutkörperchen  von  Riodi 
Kalb  und  Schwein  zeigte  sich  keine  Einwirkung,  wohl  aber  auf  Kaninchen- 
blutkörperchen  und  zwar  war  hier  die  lösende  ICraft  des  mütterlicher  Serums 
stets  etwas  grösser  als  die  des  fötalen.  Die  Grösse  der  Differenz  zwischen 
beiden  Sera  unterliegt  allerdings  individuellen  Schwankungen,  was  sich  noch 
deutlicher  bei  der  Einwirkung  auf  Hammelblutkörperchen  zeigt. 

Zn  diesen  quantitativen  Unterschieden  des  Gehalts  an  Hämolysinen 
kommen  auch  qualitative  Unterschiede,  die  sich  bei  der  Einwirkung  von 
mütterlichem  und  fötalem  Blutserum  auf  Taubenblut  zeigen.  Das  mütterliche 
Serum  zeigt  gegenüber  diesem  Bint  eine  hoho  hämolytische  Wirksamkeit, 
die  dem  fötalen  Serum  vollkommen  fehlt.  P.  konnte  den  Nachweis  erbringen, 
dass.  letzteres  aaf  dem  Mangel  an  geeigneten  Ambozeptoren  beruht,  nicht 
auf  einem  Mangel  von  Komplement. 

Dies  Ergebnis  deckt  sich  mit  den  Resultaten  von  Halban  undLand-: 
Steiner,  die  für  die  Erklärung  des  quantitativen  Unterschiedes  gegenüber 
dem  Kaninchenblut  das  gleiche  zeigen  konnten. 

Weitere  Versuche  beschäftigten  sich  mit  der  Frage,  ob  bei  der  Immani- 
sierung  von  Kaninchen  mit  mütterlichem  und  mit  fötalem  Blut  Unterschiede 


I.  Allgemeines.     Anatomie  and  Physiologie  etc.  41& 

zu  Tage  treten.  Dabei  ergab  sich  das  interessante  Ergebnis,  dass  das  mit 
mütterlichen  Blutkörperchen  hergestellte  Immatiseram  auf  die  mutterlichen 
Erythrozyten  noch  in  stärkeren  Verdünnangen  wirksam  ist  als  auf  die  fötalen 
Blutkörperchen.  Der  Verfasser  ist  geneigt,  das  Resultat  durch  die  Annahme 
einer  geringeren  Zahl  von  rezeptiven  Gruppen  an  den  Blutkörperchen  des 
Fötns  zu  erkl&ren.  Untersuchungen  der  Hämagglutinine  und  Präzipitine  er- 
geben im  wesentlichen  entsprechende  Resultate,  doch  Hess  sich  ein  quantita- 
tiver und  qualitativer  Unterschied  in  den  agglutinierbaren  Substanzen  des 
mütterlichen  und  kindlichen  Blutes  nicht  feststellen. 

Bei  der  Prüfung  des  mütterlichen  ttnd  des  fötalen  Serums  auf  seinen 
Gebalt  an  Antistaphylolysin  zeigte  sich  ersteres  reicher  an  diesem  Antitoxin 
als  letzteres. 

Schliesslich  sind  noch  Versuche,  den  Übertritt  von  Antitoxinen  von 
der  Mutter  auf  den  Fötus  betreffend,  zu  erwähnen. 

Einer  Schwangeren  wurden  14  Tage  ante  partum  Tetanusantitoxin 
100  A.  E.  eingesprizt  und  ebenso  einen  Tag  vor  der  Geburt  des  Kindes.  Im 
kindlichen  Blut  war  deutlich  Tetanusantitoxin  nachweisbar. 

Die  vorstehenden  Bemerkungen  mögen  genügen,  Um- das  Studium  des 
Originals  zu  empfehlen,  in  dem  auch  weitere  interessante  Ergebnisse  der 
biologischen  Untersuchung  des  Fruchtwassers,  der  Hexenmilch,  des  kindlichen 
Urins  etc.  zu  finden  sind.  Salge. 

Unttrsuchungen  über  das  biologische  VerkcUien  des  mütterlichen  und  kindlichen 
Blutes  und  über  die  Schutsstoffe  der  normalen  Milch.  Von  Schenk. 
Monatsschr.  f.  Geburtsh.    XIX.     1904. 

Untersuchungen  über  den  Gehalt  des  mütterlichen  und  des  kindlichen 
Serums  an  Antistaphylolysin  ergaben,  dass  in  beiden  diese  Antiköper  vor- 
handen waren,  und.  zwar  in  annähernd  derselben  Menge. 

Die  Antihämolysine  gehen  alßo  von  der  Mutter  auf  das  Kind  über,  sie 
können  auch  durch  Säugung  übertragen  werden. 

Die  hämolytische  Wirkung  des  Blutserums  der  Mutter  auf  die  Erythro- 
zyten des  Kaninchens  ist  stärker  als  die  des  fötalen  Blutserums. 

Die  Agglutinationsfahigkeit  des  mütterlichen  Serums  für  Kaninchen- 
blatkörperchen  erwies  sich  grösser  als  die  des  fötalen  Serums.  Der  Gehalt 
an  agglutinabler  Substanz  ist  im  mütterlichen  Blut  immer  grösser  als  im  ent- 
sprechenden kindlichen  Blut.    (Geprüft  gegen  Kaninchenserum.) 

Versuche  über  den  Alexingehalt  ergeben,  dass  der  Gehalt  an  Serum- 
alexinen  des  kindlichen  Blutes  ausnahmslos  geringer  ist  als  der  des  mütter- 
lichen Blutes.  .  . 

Untersuchungen  der  Isoagglutinine  zeigten,  dass  das  kindliche  Serum 
den  Erythrozyten  der  eigenen  Mutter  gegenüber  immer  inaktiv  ist.  In 
20  Fällen  agglutinierte  sechsmal  das  Serum  der  Mutter  die  Erythrozyten  des 
Kindes,  doch  hatten  in  diesen  Fällen  die  Mütter  Infektionskrankheiten  über- 
standen. Verf.  glaubt,  dass  in  der  Norm,  d.  h.  bei  Frauen,  welche  keinerlei 
Erkrankangen  d archgemacht  haben,  auch  das  naütterliche  Serum  Erythrozyten 
des  eigenen  Kindes  nicht  agglutiniert.  Auch  die  Isoagglutination  normaler 
mütterlicher  Erythrozyten  durck  das  Serum  normaler  fremder  Kinder  ist 
selten.  .  ....  ....  .  . 


416  LiteratorberichL 

Id  der  Milch  fanden  sieb  Antih&inolysiDe  (Antistaphjloijsin  etc.), 
ferner  liessen  sich  bakterizide  Substanzen  nachweisen,  in  geringerer  Menge 
als  in  dem  entsprechenden  Seram. 

Die  Milch  normaler  Franen  enthält  h&afig  H&magglntinine«  Kolostrum- 
freie Milch  Yon  normalen  and  stets  gesand  gewesenen  Franen  agglntiniert 
nur  ausnahmsweise  Erythrozyten,  die  Yon  ebensolchen  Frauen  stammen, 
kolostrnmreiche  Milch  enthält  häufiger  Isoagfflntinine.  Die  Milch  Ton  Frauen, 
welche  infektiöse  oder  konstitutionelle  Erkrankungen  durchgemacht  haben, 
agglntiniert  ebenso  wie  das  Serum  solcher  Frauen  häufig  Erythrozyten  anderer 
Individuen,  besonders  solcher,  die  gleichfalls  eine  derartige  Krankheit  Ober- 
standen  haben. 

Die  Antihämolysine  gehen  durch  Säugang  in  das  Serum  der  Jungen 
über,  wie  das  bezüglich  derjenigen  Schutzstoffe  nachgewiesen  werden  konnte, 
welche   nicht  durch  passive  placentare  Übertragung  gewonnen  sein  konnten. 

Bei  Ziegen  schwand  das  Aotivibriolysin  nach  dem  Absetzen  bald  ans 
dem  Blut  der  jungen  Tiere;  es  konnte  nicht  placenter  übertragen  sein,  da 
es  im  Serum  des  Muttertieres  fehlte.  Salge. 

Zur  Kasuistik  der  Hirschsprungschen  Kraukkeii.  Von  GregorGoarevitch 
Prager  md.  Wochenscbr.     No.  47.     1904. 

Ein  11/4  Jahr  alter  Knabe  litt  seit  Gebart  an  hartnäckiger  Obstipatioo: 
das  Abdomen  war  in  kolossalem  Masse  aufgetrieben,  die  geblähten  Darm* 
schlingen  zeichneten  sich  deutlich  ab:  eine  plötzliche  Verschlimmerung  und 
das  Versagen  von  Eiolänfen  und  Abführmitteln  veranlassten  zur  Laparotomie 
und  Anlegung  eines  Anus  praeternaturalis.  Das  Kind  starb  an  Peritonitis. 
Anatomisch  fand  sich  Dilatation  und  Muskelbypertrophie  des  Kolon,  des 
Coecnm  und  des  Ileumf  Dilatation  des  Jejunum  und  des  Magens,  wie  ver- 
mutet wurde,  die  Folgen  einer  abnormen  Formation  der  Flexur. 

Die  histologiPche  Untersuch iing  ergab  eine  wahre  Muskelhypertrophie 
( Vergrösser ung  der  Fasern)  im  Coecuro,  Kolon  und  untersten  Ileum. 

Das  abnorm  lange  Mesenterium  der  Flexura  sigmoidea  und  eine  da- 
durch bedingte  abnorme  Schlängelung  der  Flexur  könnte  nach  Annahme 
des  Autors  ein  Hindernis  für  die  Peristaltik  gegeben  haben,  und  so  könnte 
die  Hypertrophie  der  vielleicht  an  und  für  sich  zum  „Riesenwuchs*  dispo- 
nierten Darmmuskulatur  zustande  gekommen  sein.  Neurath. 


IL  Krankheiten  der  Neugeborenen. 

Respiratory  spasm  followed  by  cessation  oj  6reatklng  in  a  receniiy  6oru  cM/d. 
Von  Robert  Fulierton.  Brit.  med.  Journ.  16.  Jan.  1904. 
Es  handelt  sich  um  einen  jener  eigentümlichen  Fälle  von  angeborenem 
Spasmus  respiratorius,  dessen  Ätiologie  noch  immer  nicht  genügend  geklärt 
ist.  Das  gut  entwickelte  Kind  zeigte  die  ersten  Erscheinungen  36  Stunden 
nach  der  Geburt,  die  sich  bald  so  steigerten,  dass  das  Kind  während  der 
AnHllie  ganz  blau  und  asphyktisch  wurde  und  angeblich  nur  Sauerstoff- 
Einatmung  und  Respiration  (eigentlich  müsste  diese  bei  krampfhaftem 
Glottisverschluss  wenig  helfen)  das  Leben  erhielten.  Verf.  machte  eine 
Tracheotomie;    nach    mehreren    vergeblichen  Versuchen    konnte  am  sechstes 


III.  Sftaglingsera&hraiig.    UageiMlArinkraDkhoiteD  etc.  417 

Toige  die  Juhe  entfernt  werden,  ohne  dA98  neue  Anfälle  eintraten,  und  das 
Kind  blieb  dauernd  geflond-  0er  Verf.  nimmt  zur  Erkl&rung  eine  neryöse 
Storiiig  4kn,  entw#der  einen  übtermtoig  starken  fteiz  oder  eine  besondere 
fmpIlQdlicbke.it  der  die  Glottisschliesser  yersorgenden  nervösen  Organe. 
Jedenfalls  verlegt  er  die  Störung  in  die  Glottis.  Jap  ha. 

Ka99üs^cks  MWfihmgm,  Y<mi  Steinkardt.  Arck  f.  Kindeckeilk.  XKXYIIL 
Heft  1  and  3. 
Ein  Fall  von  WinckeUcker  Krankkeit,  Cyanoais  afebrttis  icterie» 
perniciosa  com  haemoglobinuria,  bei  einem  Kinde  von  10  Tugea,  d»«  bis 
Tage  yorker  geeund  gew«een  war  oad  dar  Brkrankong  in  l^e  bis  %  Tagen 
erl«g.  Die  Matter  des  Kindes  gab  an,  dass  sie  bereits  zwei  Kinder  in  den 
ersten  Lebenstagen  und  -Wochen  an  ganz  den  gleichen  Erscheinungen  ver- 
loren habe.  Für  eine  konstitutionelle  Erkrankang  der  Erzeuger  fanden  sich 
keine  Anhaltspunkte.  Spanier -Hannover. 

Brysit^las  fH^nat^rum  gomgrit^nosum.  Von  Mo  hl.  Manch,  med«  W^cbanschr. 
Ko.  87.  190i. 
K«»ai9Aiacher  Beitrag.  In  der  Femille  bestanden  znr  Zeit  der  Geburt 
d«8  kr&ftigen  Kindes  mehrere  infektiöse  Erkrankungen.  Am  5.  Tag 
Erysipel  Ton  den  ftussepen  Genitalien  aus  mit  Blasenbildung  und  ülcerationen 
und  Auftreten  eines  Odems  über  den  ganzen  Körper.  Nach  7  Tagen  Exitus 
aji  Sepsis  mit  meningitischen  Symptomen.  Misch. 


III.  S&aglingsemAhrang.    HageodanDkrankhelten  der  S&usrlinge. 

Üb^r  grosse  PgussH  in  der  SoMgüngsemakruMg.     Von  £.  Döbeli^    Corr.-61. 
f.  Schweizer  Ärzte.     1904.    No.  17. 

Als  Assistent  an  der  Breslauer  Kinderklinik  überzeugte  sich  Verf. 
davon,  dass  die  Säuglinge  sowohl  bei  natürlicher  wie  bei  künstlicher  Er- 
nährung Tierstündliche  Pausen  zwischen  den  Mahlzeiten  gut  vertrugen  und 
vortrefflich  dabei  gediehen.  Auch  in  der  Privatpraxis  sollten  die  grösseren 
Pausen  streng  durchgeführt  werden;  bei  geringer  Sekretion  der  Brustdrüsen 
erhält  man  durch  häufiges  Anlegen  des  Kindes  keine  Steigerung  der  Sekretion, 
wie  vielfach  geglaubt  wird,  sondern  eine  Abnahme.  Kinder,  die  häufig  an- 
gelegt werden,  die  womöglich  aus  dem  Schlafe  genommen  werden,  saugen 
schlecht  und  trinken  die  Drüse  nicht  ganz  leer;  die  vollständige  Leerung 
der  Drüse  ist  aber  gerade  das  sekretionsanregende  Moment.  Aus  dem 
Schliefe  soll  ein  Kind  überhaupt  nicht  geweckt  werden,  um  es  anzulegen. 
Bei  künstlicher  Ernährung  sind  die  grösseren  Pausen  ganz  besonders  wichtig, 
weil  die  Salzsäurebindung  der  Kuhmilch  eine  bedeutend  grössere  ist,  wie 
der  Frauenmilch,  «freie''  Salzsäure  tritt  daher  bei  Kuhmilchnahrung  erst 
2 — 2  VaStd.  nach  der  Nahrungsaufnahme  im  Mageninhalt  auf;  diese  freie  Salzsäure 
ist  aber  von  grosser  Wichtigkeit  für  die  Desinfektion  des  kindlichen  Magcn- 
darmkanals,  sie  würde  von  einer  zu  schnell  folgenden  neuen  Nahrungsmenge 
alsbald  gänzlich  in  Besehlag  genommen  werden. 

Bei    magendarmkranken  Säuglingen    sind    grössere  Pausen    erst   recht 
angezeigt,   da   hier   die  Moilität   des   Magens   immer   kerabgesetzt  i^t,   der 
Durst  zwiscken   den  Mahlzeiten   muss  durch  kleinere  Portionen  eines  Tee- 
anfgusses,  von  Gersten wasser  u.  dergl.  ausgeglichen  werden.       R.  Rosen. 
jAhrbneh  f.  Klnderheilknnde.    N.  F.    LXI,  Heft  2.  27 


418  Literatarbericht. 

Le  lait  cru  dans  ralimenUUion  des  nouriss<ms.  Von  A.  Halipre.  (Revae 
mens,  des  malad ies  de  TeDfaDce.)     XXII.  September. 

Diese  Mitteilang  fiber  das  augenblicklich  aktaelle  Thema  «rohe  Milch" 
wurde  auf  dem  Kongress  in  Ronen  gemacht  H.  hält  die  rohe  Milch  der 
sterilisierten  nberlep;en;  sie  wird  besser  Terdaut  and  hat  noch  Erfolge,  wo 
die  sterilisierte  Milch  versagte.  Aber  nnr  die  einwandsfreie  rohe  Milch  ist  aA- 
zuwenden.  Solange  aber  die  Bedingungen  dafür,  dass  der  Konsument  eine  gute 
rohe  Milch  bekommt,  nicht  erfüllt  werden,  ist  die  sterilisierte  Milch  der 
rohen  Yorznziehen. 

H.  regt  aasgedehnte  Versa  che  mit  Wasserstofisuperoxjd  als  Präserve- 
mittel  für  die  Milch  an.  L.  Ball  in. 

Die  Anämie  und  Leukosytose  bei  der  Pädatropkie  und  Gastroenteritis,  Von 
Schlesinger.  Arch.  f.  Kinderheilkunde.  XXXVII.  Bd.  5.  u.  6.  Heft 
Die  hämatologischen  Untersuchungen  des  Verfassers  erstrecken  sich 
auf  40  F&lle  verschieden  hochgradiger  Padatrophie  und  15  Fälle  von 
Gastroenteritis  acuta  und  chronica  mit  akuten  Exazerbationen.  Es  wurde 
festgestellt  die  Zahl  and  Morphologie  der  roten  Blutkörperchen,  der  Hämo- 
globingehalt and  das  spezifische  Gewicht  des  Blutes.  Die  £rgel>nis8e 
seiner  Untersuchungen  stellt  Verf.  in  folgenden  Sätzen  zusammen: 

1.  Bei  Atrophien  massigen  Grades  ergibt  die  Blatuntersuchnng 
eine  massige  Anämie.  Die  Zahl  der  Erythrozyten  sinkt  mehr  oder  weniger 
unter  den  physiologischen  Grenzwert,  der  Hämoglobingehalt  liegt  durch- 
schnittlich noch  an  der  unteren  physiologischen  Grenze,  wobei  es  nicht 
selten  zu  einer  Vermehrung  der  Hämoglobinmenge  in  einzelnen  Blut- 
körperchen kommt;  am  deutlichsten  lässt  das  spezifische  Gewicht  die  Ver- 
dünnung des  Blutes  erkennen. 

2.  Bei  schweren  Fällen  von  Atrophie  liegen  die  Werte  allent- 
halben innerhalb  der  gerade  bei  Kindern  grossen  physiologischen  Breite, 
manchmal,  besondors  bei  Säuglingen  der  ersten  Lebensmonate,  eher  an  der 
obern  als  an  der  untern  Grenze  des  normalen.  Dieser  Befund  ist  nur 
scheinbar  ein  normaler;  vielmehr  handelt  es  sich  auch  hier  eigentlich  und 
ursprünglich  um  eine  anämische  Blutbeschaffenheit,  die  aber  weiterhin  aus- 
geglichen und  verdeckt  wird  durch  eine  Konzentration  des  Blutes  durch 
Plasmaverlast. 

3.  Bei  Fällen  von  sehr  schwerer  Atrophie  und  entsprechender 
Anämie  —  nicht  oder  nur  ausnahmsweise  kompliziert  durch  Diarrhöen  nnd 
Erbrechen  —  nimmt  weiterhin  die  Zahl  der  Erythrozyten  und  der  Hämo- 
globingehalt in  der  Ilanmeinheit  zu,  allerdings  ohne  durchschnittlich  die 
normalen  Werte  zu  übersteigen;  das  spezifische  Gewicht  geht  aber  soweit 
über  die  physiologischen  Grenzen  hinaus,  dass  es  ohne  weiteres  die  Ein- 
dickung  des  Blutes,  die  Verschleierung  der  jedenfalls  hochgradigen  Anämie 
erkennen  lässt. 

4.  Eine  sehr  hohe  Blutdichte  gibt  übrigens  an  sich  noch  keineswegs 
eine  schlechte  Prognose;  fast  trifft  das  Gegenteil  zu,  indem  die  alier- 
schwersten,  sozusagen  verlorenen  Fällewieder  ein  sehr  viel  niedrigeres  spezifisches 
Gewicht  und  auch  niedrigere  Zahlen  der  Erythrozyten  und  des  Hämoglobins 
aufweisen,  und  besonders  ist  ein  Sinken  des  spezifischen  Gewichtes  bei  zu- 
nehmender Atrophie  der  Vorbote  baldigen  Todes. 


IIL  SäaglingsemähruDg.     Magendarmkrankheiten  etc.  410 

5.  Bei  den  mit  Erbrechen  und  Darchfällen  einhergehenden  Fällen  yon 
Gastroenteritis  liegen  die  Durchschnittswerte  für  die  Zahlen  der  Erythro- 
zyten, des  Hämoglobingehalts  und  ganz  besonders  auch  der  filutdichte  er- 
heblich höher  durch  den  stärkeren  Plasmayerlust,  den  geringeren  Hämoglobin- 
untergaog,  als  bei  gleichem  Eorpergewichtsyerlust  bei  den  reinen  Päda- 
trophien.  Einige  Zeit  vor  dem  Tode  findet  auch  hier  ein  rapides  und 
«tarkes  Sinken  der  Zahl  der  Erythrozyten  und  der  Blutdichte  statt. 

6.  Schwere  endoglobuläre  Veränderungen  der  roten  Blutkörperchen 
fehlen  im  allgemeinen  bei  der  Pädatrophie  wie  auch  bei  der  Gastroenteritis. 
Häufig  sind  Dellenformen  und  kleine  Erythrozyten. 

7.  Bei  der  reinen  Pädatrophie  ist  die  Zahl  der  Leukozyten  bald  die 
normale,  bald  besteht  bei  den  yerschiedenen  Graden  von  Atrophie  eine  mehr 
oder  weniger  ausgesprochene  Hypoleukozytose,  beide  Male  mit  normalem 
Verhältnis  der  einzelnen  Leukozyten  formen;  ausnahmsweise  findet  sich  eine 
massige,  polynukleäre  Hyperleukozytosc,  bedingt  nicht  durch  die  Intestinal- 
affektion,  sondern  durch  Ekxem,  Bronchitis  u.  a. 

8.  Dagegen  weisen  die  Fälle  von  Gastroenteritis  in  der  grossen  Mehr- 
zahl eine  manchmal  sehr  starke  Hyperleukozytosc  auf,  und  zwar  ausgesprochen 
eine  lymphozytäre;  bei  den  übrigen  überwiegen  gleichfalls  in  einem  das 
gewöhnliche  Verhältnis  überschreitenden  Maasse  die  Lymphozyten. 

9.  Diese  Eigentümlichkeit  der  Hyperleukozytosc  bei  der  Gastro- 
enteritis findet  eine  bemerkenswerte  Analogie  in  der  experimentellen,  gleich- 
falls fast  einzig  dastehenden  lymphozytären  Hyperleukozytose  an  Kaninchen 
nach  Injektion  von  Bacterium  coli-Kulturen.  Spanier-Hannover. 

Lanasarque  dans  les  enterites  graves  des  jeunes  en/anis.    Von  M.  0.  H  u  t  i  n  e  1. 
Rev.  mens,  des  maladies  de  Penfance.    XXII.    Juli.     1904. 

V.  bespricht  an  der  Hand  ausführlicher  Krankengeschichten  Ödeme, 
die  im  Verlauf  von  chronisch  verlaufenden  resp.  immer  rezidivierenden 
Enterokatarrhen  auftreten.  Es  handelt  sich  um  Kinder,  die  zunächst  über- 
emährt  waren,  und  die  dann  durch  immer  rezidivierende  Darmkrisen  gegen 
Kuhmilch  vollständig  intolerant  wurden.  Infolge  dieser  Intoleranz  wird 
eine  genügende  Ernährung  fast  unmöglich,  und  die  Kinder  kommen  mehr 
nnd  mehr  herunter.  Bei  solchen  Kindern  hat  Verf.  Ödeme  beobachtet,  ohne 
irgendwelche  Veränderungen  am  Herzen  oder  an  den  Nieren  nachweisen  zu 
können.  Verf.  glaubt  nun  in  der  übermässigen  Salzzufuhr  ein  begünstigendes 
Moment  für  die  Entstehung  der  Ödeme  gefunden  zu  haben,  da  diese  nach 
Weglassen  des  Salzes  verschwanden.  Als  eigentliche  Ursache  nimmt  er  die 
Schädigungen  der  Gewebe  durch  im  Darm  gebildete  Toxine  an.  Auf 
solche  Schädigungen  glaubt  er  auch  meistens  die  Purpura  zurückführen  zu 
sollen  und  führt  zum  Beweis  einen  Fall  von  Purpura  an,  bei  dem  derartige 
Ödeme  bestanden  und  bei  dem  alimentäre  Glykosurie  festgestellt  wurde,  die 
mit  zunehmender  Gesundung  allmählich  verschwand.  L.  Ball  in. 

Sept  cas  de  seorbui  in/anHle.  Von  J.  Bomby.    Archives  de  med.  des  enfants. 
Tome  7.    No.  10.     Oktober  1904. 

G.  hat   -^   zumeist    in   privater  Praxis    bei    wohlhabenden    Leuten  — 

\>innen  7  Jahren  7  schöne  Barlow-FäUe  gesehen,   über  welche  er  unter  dem 

in  Frankreich  noch  gebräuchlichen  Namen  des  „infantilen  Skorbuts^  berichtet. 

Alle  Kinder    waren     mit    industriell    sterilisierter,   wasserversetzter > 

27* 


420  LUe«atarberioiit. 

ymanipftUeiier**  Mileh  (G&rtoer,  Yal-Brenne)  gefötioFt  worden.  Sie 
erkrankten  im  Alter  tob  7^9  ^U  18  Moneteo.  Die  ereten  Krankkeit»- 
MreoheiBOBgOB  kalten  erst  saek  5-  bie  lOmonatlip^kem  Gebraaeke  jen^r 
Nabrung  eingeeetst.  Pie  Kinder  waren  bis  dabin  gat  gedieken.  Das  erst« 
Krankkeiteieicken  war  lameist  eine  sokmerzkafie  Pseadoparalyse  der  Beine. 
Es  zeigten  sieb  femer  Anscbwellangen  an  den  Femardiaphjsen  (einseitig 
oder  beiderseitig)  mit  Hautödem  einkergebend,  von  subperiostalen  H&matomen 
kerr&krend.  Manokmal  waren  andere  Knocken  miterkrankt.  Zweimal  sah 
B.  Purpara,  stets  Sckleimbautblntangen  im  Bereicke  der  M&ndkökLs.  Aas- 
gesprocken  kacbektiscb  waren  4  der  Kinder,  leicbt  raobitiacb  5,  nur  eins 
fieberte. 

Das  Leiden  war  stets  yon  anderer  Seite  Terkannt  worden.  Man  hatte 
Polyarthritis,  Osteomyelitis,  Oeteoeiurkom,  Fraktur,  syphilitischen  Knochen- 
sohmerz, KinderUhmnng,  Coxalgie,  Malnm  Pottil,  PoLynearitis  i^genoomnen. 
In  allen  F&llen  trat  auf  entsprechende  Diät&ndernng  (rohe  oder  einlach 
gekochte  Milch,  Kartoffelparee,  Orangen-  nnd  Traubenssit)  in  karser  Zeit 
▼oUige  Heilang  ein.  Pfaundler. 

Bif$  MUehflasckenhalter,  Yon  A.  Meyer.  Münchner  med.  Wochenschrift. 
No.  42.     1904. 

Der  Apparat  bekämpft  die  Unsitte,  den  Kindern  die  Flasche  beim 
Trinken  in  das  Bett  za  legen. 

Durch  eine  Querstange  so  ungerichtet,  dass  er  fftr  Bett  und  Wagen 
▼erwendbar  ist,  kann  sieh  der  Apparat  nicht  nur  von  oben  naoh  unten, 
sondern  auch  naoh  den  Seiten  auf  das  leichteste  bewegen,  sodass  er  alle 
Bewegungen  des  kindlichen  Kopfes  während  des  Trinkens  mitmacht.  Ein 
weiterer  Vorzug  ist.  dass  das  Kind,  ohne  die  schwere  Flasche  heben  zu 
müsaen,  das  Saughütchen  soweit  in  den  Mund  hineinziehen  kann,  als  es  will. 
In  den  FäUen,  wo  die  Mütter  der  Fütterung  nicht  bis  zum  Ende  beiwohnen 
können  und  für  offen tUcke  Anstalten  erscheint  der  Flaschen halter  sehr 
empfehlenswert.    Eine  Zeichnung  illustriert  die  Beschreibung.         Misch. 


IV.  Akute  IfifektioiukrankheiteD. 

Suiie  d^experiences  relatives  au  pkenomene  de  FaggiutinaHon  des  microUs, 
Von  M.  Charles  Nicolle.  Ann.  de  Tinst.  Fast.  1904.  No.  4. 
Für  seine  Versuche  benutzte  der  Verf.  ein  ganz  gleichmSssiges  Ver* 
fahren.  Er  verwandte  Typhuskulturen  auf  neutraler  Bouillon.  Der  Reichtam 
derselben  an  Typhusbazillen  wurde  an  einer  Testflüssigkeit  gemessen,  die 
durch  Vermischung  von  Kalium-Bikarbonat-  und  Bleiacetat-Lösungen  be- 
stimmter Konzentration  hergestellt  wurde  und  eine  bestimmte  Trübung 
zeigt.  Es  wurde  stets  das  Resultat  notiert,  das  nach  eiostüudigem 
Aufeinanderwirken  unter  dem  Mikroskop  zu  beobachten  war.  Nach 
intravenöser  Einverleibung  von  Typhuskultar  beim  Kanijuohen  steigt  die 
agglutinierende  Kraft  des  Serums  allmählich  an,  nm  etwa  nach  12  Tagen 
den  höchsten  Wert  zu  erreichen  und  dann  allmählich  abzunehmen,  nach 
etwa  IVi  Monaten  wird  die  Norni  erreicht.  Erneute  intravenöse  Injej^tion 
lässt  den  Maximalwert  höher  steigen  und  die  agglutinierende  Fähigkeit 
länger  bestehen.    Dabei  sind  Verschiedenheiten  vorhanden,  je  nachdem  die 


rV.  Akate  lAfekti^^askn^Dk heilen.  481 

zweite  Injektion  bald  oder  später  iiaoh  der  ersten  erMgt.  Eia  Ad^rl«^ 
-während  des  Abstiegs  der  Earve  soll  diesen  yerkngSMkieny  d«r  V^rf»  stiebt 
^«8  Mtf  die  eintretemito  Ye^mehrattg  der  Leilko«yte&^  die  er  n^ft  dem 
Phftirättftott  in  Vorbindong  bringt.  Agglutinierondes  Serum^  eiiiom  Kaniiiok«tt 
üjiciert,  bewirkt  bei  dieaem  nar  eine  leichte  Zanahme  der  agglntinie^endeA 
Krafty  die  übrigens  sehr  schnell  wieder  schwindet.  G^gea  Temperatnreii 
bis  55*  ist  das  Agglntinin  «nempfiadlieb)  bei  höheren  Temperaturen  wird 
•es  allaiAklieh  aerstört  £8  dial^siert  nichU  Abgetötete  Kalturen  s^igeil 
•eine  äbnlioho  Empfindlichkeit  wie  die  lebenden,  besonders  bewährt  sieh 
«ine  mit  Formol  und  Thionio  behandelte  Tjphnekaltar.  Injiziert  man 
■agglntinierendes  Sernm  einem  trächtigen  Kaninehen,  so  geht  etwas  von  dor 
«gglntinierenden  Kraft  anf  die  Jungen  nber.  Injiziert  man  neben  Typhus- 
kiiltaren  dem  Tief  noch  eine  andere  Ealtni',  so  Waren  die  Resaltate  der 
Agglatininbildüng  so  yersohieden,  dass  sich  keine  bestimmten  Sehlässre  zi<ikea 
liessea*  Anoh  did  Injektion  einer  Misobnng  TOn  Tjphnskaltur  und  agglnti- 
aterendom  Serum  gab  dem  filat  des  Tieres  agglutinierende  £»gen schärften; 
wenn  das  agglatinicfrende  Blut  vom  Esel  stammte,  so  rief  die  mit  ihtt 
geAischte  Typhasknltnr  nach  der  Injektion  keine  agglatinici^nden  Eigen- 
achaften  hervor.  Verf.  schiebt  das  darauf»  dass  dies  Sefutn  aufloseiide 
Eigenschaften  hat,  und  vielleicht  gerade  die  Bakterienhülle  agglutinogen 
wirkte.  Einwirkung  höherer  Temperatur  auf  agglutinierte  Bazillen  bewirkt 
eine  Desagglutination.  Tjphasbazillen,  auf  einer  Agglntinin  entbietenden 
Bouillon  ansgesä^  zeigen  sich  agglutiniert  und  behalten  diese  Eigenschaft 
in  mehreren  Generationen.  Verf.  fand  auch  eine  spontan  zur  Haufen  bildung 
neigende  Tjphuskultur.  Diese  agglutinierende  Eigenschaft  wird  durch  die 
Einwirkung  einer  Temperatur  von  60  Grad  nicht  verändert.  Auch  Kultur- 
filtratc  zeigen  sich  agglutinabel,  doch  nie  in  grossen  Verdünnungen  (aller- 
höchstens  1 :  20).  Zur  Erklärung  stellt  der  Verf.  die  Hypothese  auf,  dass 
•diese  Art  der  Agglutination  vielleicht  von  Bakterien  zollen  ausgeht,  die  durch 
das  Filter  gehen.  Japha. 

Z>  passage  du  virus  rabique  ä  iravers  les  fiUres.  Von  M.  P.  Rem  11  ng er. 
Ann.  de  Tinst.  Pasteur.  1904.  No.  8. 
In  erneuten  Versuchen  haben  die  Verf.  nachgewiesen,  dass  das  Wut- 
gift zu  den  ultramikroskopischen  Organismen  gehört.  Das  Gift  geht  durch 
<Ue  feinsten  Berkefeld-Filter  hindurch,  dagegen  nicht  durch  eine  Chamber- 
Jand-Kerze.  Die  Wut  bei  den  mit  filtriertem  Gift  infizierten  Tieren  ver- 
läuft etwas  atypisch,  Inkubation  und  Krankheitsdauer  erscheinen  verlängert. 
Infolge  der  Durchgängigkeit  der  Filter  für  das  Gift  ist  eine  Isolation  von 
anderen  Bakterien,  z.  B.  Fäulnisbakterien,  möglich.  Ferner  kann  man  nun 
viel  leichter  mit  dem  filtrierten  Gift  grössere  Tiere  zur  späteren  Ge- 
winnung antirabischen  Serums  intravenös  injizieren,  während  früher  bei 
•der  Injektion  mit  Virus  leicht  die  Gefahr  einer  Embolie  vorlag.  Endlich  kann 
die  Filtration  dazu  dienen,  festzustellen,  in  welchen  Organen  sich  das  Gift 
festsetzt.  Dass  die  von  Negri  im  Ammonshorn  und  anderen  Gehirnteilen 
gefundenen  Körperchen  die  Waterreger  sind,  ist  durch  ihre  Grösse  unwahr- 
scheinlich. Eigentümlicherweise  teilt  das  Wutgift  mit  den  anderen  „un- 
sichtbaren Mikroben**,  dem  Gift  des  Gelbfiebers,  der  Schafpocke,  der  Maul- 
ond   Klauenseuche   die    leichte    Zerstörbarkeit   durch    die  Wärme   (47—48^. 

Japha. 


422  Literatorberioht. 

La   dystnterie  epidemique.     Von    L.  Yaillard    und   Ck.  Dopter.     Ann.  da 

rinst  Pasteur.     1903.    No.  7. 
:  lo    einer  Rahrepidemie    in  Vincennes,   die    180  Fälle   mit  2  tödlichen 

Ausgängen  amfasste,  fand  der  Verf.  einen  Bazillns,  der  in  jeder  Beziehong 
dem  ShigaBchen  Bazillas  glich.  Er  warde  ansschliesslich  durch  das  Seriiin 
Ton  an  bazillärer  Ruhr  Erkrankten  agglutiniert,  nicht  durch  das  Serum  Ton 
an  tropischer  (Amöben-)  Ruhr  Erkrankten.  Durch  subkutane  Einverleibung 
des  Bazillus  oder  des  im  Körper  des  Bakteriums  enthaltenen  Toxins  kano 
man  bei  gewissen  Tierarten  (Hund,  Schwein)  die  Symptome  und  die 
charakteristischen  Läsionen  der  epidemischen  Ruhr  erzeugen.  Ein  in  die 
fl&ssigen  Nährböden  übergehendes  Gift  erzengt  der  Bazillus  nicht,  das 
Filtrat  solcher  Kulturen  wirkt  selbst  in  grossen  Mengen  kaum  toxisch,  da- 
gegen überträgt  es  auf  das  Serum  der  Versuchstiere  eine  agglutinierende 
Kraft.  Den  von  Ghantemesse  und  Vidal  1888  zuerst  beschriebenen,  von 
Shiga  durch  die  Serumreaktion  differenzierten  Bazillus  hält  Verf.  für  die 
Ursache  der  epidemischen  Ruhr,  auch  in  heissen  Ländern.  Dagegen  tritt 
die  Amöben-Dysenterie  sehr  zurück.  Ob  der  tou  Kruse  beschriebene 
Bazillus  wirklich  ein  anderer  ist,  möchten  die  Verf.  offen  lassen.  Der 
Arbeit  sind  viele  Abbildungen  histologischer  Befände  beigegeben.  Jap  ha. 
ÜUr  epitUmische  Dysenterie,   spesUil  im  Kindesalier.    Von    Karl  Leiner. 

Mitteil,  der  Ges.  f.  inn.  Med.  u.  Kinderheilk.  in  Wien.  No.  8.  1904. 
Anlässlich  zweier  familiärer  und  einer  vereinzelten  Erkrankung  vor- 
genommene bakteriologische  Untersuchungen  bestätigen  die  Ansicht,  dass 
der  Flexn ersehe  Bazillus  vom  Shiga-Kruseschen  abzugrenzen  ist  und 
dass  die  als  Dysenterie  bezeichnete  Infektionskrankheit  bei  Erwachsenen 
und  Kindern  nicht  ätiologisch  einheitlich  ist,  sondern  dass  einmal  der 
Bazillus  Shiga-Kruses,  das  andere  Mal  der  Flexn ers  als  Erreger  ge- 
funden  werden  kann.  Neurath. 

Die   Behandlung  des   Scharlachs   mit  Mosers  Antistreptokokkenserum,     H.  L» 

K.  Shaw.  Medical  News.  Okt.  1904.  No.  18. 
Shaw  gibt  eine  Darstellung  und  Besprechung  der  in  den  letzten  vier 
Jahren  an  der  Wiener  Klinik  bei  allen  schweren  Scharlach  fällen  geübten 
Behandlung,  die  unsern  Lesern  Bekanntes  enthält.  Von  Interesse  ist  nur» 
dass  der  Verf.  an  den  allerletzten  Beobachtungen  mit  teilgenommen  hat 
In  vier  Jahren  sind  an  der  Wiener  Klinik  von  1070  Fällen  228  mit  A-S. 
behandelt  worden,  darunter  alle  schweren  und  alle  nachmals  tödliclien. 
Die  Sterblichkeit  betrug  vor  der  Scrumbehandlung  14,5  pCt,  während  der 
vier  Jahre  im  Annenkinderspital  8  pCt.,  in  allen  anderen  Wiener  Spitälern, 
wo  keine  Serumbehaodlung  geübt  wurde,  13,1  pCt.  Spiegelb  erg. 

Nagelveränderungen   nach  Scharlach  und  Masern,    Von  Fe  er.     Münch.  med» 

Wochenschr.    No.  40.     1904. 

Verf.  hat  seit  mehreren  Jahren  bei  Scharlach-  und  Masernkranken  Ver- 
änderungen an  den  Nägeln  der  Finger  und  auch  der  Zehen  gelegentlich 
mehrfacher  Epidemien  beobachtet,  die  von  ihm  fast  als  pathognomonisch 
ungesehen  werden.  In  den  typischen  Fällen  zeigt  sich  4—5  Wochen  nach 
Beginn  des  Scharlachs  an  der  Wurzel  der  Fingernägel  auf  der  Nagelober- 
tläche  eine  querverlaufende  lineare  Furche,  seltener  ein  entsprechender 
schmaler  Wall,  vom  Verf.  als  „Scharlachlinie*  bezeichnet  Dem  Wachstum 
des  Nagels    entsprechend,  wandert  die  Scharlachlinie  in  einem  halben  Jahre 


IV.  Akate  Infektionskrankheiten.  423 

bis  zum  freien  Rande  des  Nagels  yor.  Am  deutlichsten  sind  die  Ver- 
änderanf2:en  an  den  Danmenn&geln  sichtbar;  sie  sind  als  Analogen  der 
Hautsohuppnng  aufzufassen  und  finden  sich,  schwächer  ausgebildet,  auch  bei 
Masern.    Mit  zwei  Abbildungen.  Misch. 

Erytkema    in/ecäosum,    ein  neues  akutes  Exanthem,     Von   T.   Escherich. 
MonaUschr.  f.  Kinderheilk.    Bd.  III.    Nov.  1904.     S.  285. 

Wiederholt  sind  in  den  letzten  Jahren  als  Röteln  oder  Abarten  von 
Röteln  auch  Erkrankungen  beschrieben,  die  eine  mehr  oder  weniger  grosse 
Ähnlichkeit  mit  den  Röteln  haben,  von  denselben  aber  fttiologisch  utad  auch 
klinisch  streng  zu  scheiden  sind.  Zu  diesen  gehört  das  in  jQngster  Zeit 
immer  häufiger  zur  Beobachtung  kommende  Erythema  infectiosum  seu  con- 
tagiosum (Sticker).  Auch  Andere  haben  das  Krankheitsbild  beschrieben; 
Flachte  schlägt  dafür  den  Namen  »Megalerythema  epidemicum,  die 
(Grrossflecken,"  yor;  Pospischill  hat  in  diesem  Jahre  die  Erkrankung 
als  neues,  bisher  unbekanntes  Exanthem  beschrieben. 

Die  Erkrankung  tritt  stets  in  epidemischer  Form  zumeist  im  An- 
schluss  an  Masernepidemien  auf  und  wird  gewöhnlich  bei  Geschwistern,  in 
Schulen,  Kindergärten  etc.  beobachtet;  die  meisten  Erkrankungsfälle  be. 
treffen  Kinder  zwischen  4  und  12  Jahren.  Meist  ist  das  Wohlbefinden  der 
Kinder  während  der  ganzen  Krankheitsdauer  ungestört  und  der  Ausschlag 
das  einzige  Krankheitssjmptom.  Dieser  betrifft  ausschliesslich  die  äussere 
Haut;  er  beginnt  im  Gesicht  mit  einer  intensiven  Röte  und  Turgeszenz  der 
Wange,  die  sich  rotlaufartig  gegen  die  Nasolabialfalte  zu  scharf  begrenzt 
und  dadurch  von  der  blassen  Kinn-  und  Mundpartie  deutlich  abhebt. 
Seltener  findet  man  Flecken  und  Gjri.  Ausserdem  zeigen  sich  auf  der 
Stirn  und  in  der  Ohrengegend  einzelne  grosse  Flecke  Ton  bläulich-roter 
Farbe,  die  mit  denjenigen,  wie  sie  nunmehr  auf  den  Extremitäten  erscheinen, 
im  wesentlichen  übereinstimmen.  Am  stärksten  sind  die  Extremitäten  be- 
fallen, am  spärlichsten  der  Stamm,  der  nicht  selten  ganz  frei  bleibt.  Am 
längsten  hält  sich  das  Exanthem  auf  den  Extremitäten;  gewöhnlich  bleibt 
es  6 — 10  Tage  sichtbar.  '  Für  das  Kontaginm  scheint  keine  grosse  Empfäng- 
lichkeit zu  bestehen;  die  Inkubationsdauer  beträgt  6—14  Tage.  Den 
Erythemkindern  kann  der  Schulbesuch,  sobald  die  auffällige  Hauterkrankung 
im  Gesicht  geschwunden  ist,  gestattet  werden.  Schleissner-Prag. 

Über  du  Dukessche  y^Vierte  Krankheit  („Fourth  disease").     Von  J.  v.  Bökay 
Deutsch,  med.  Wochenschr.    No.  43.     1904. 

Wie  die  Röteln  zu  den  Masern,  so  soll  sich  zum  Scharlach  Dukes* 
»Vierte  Krankheit**  verhalten.  Das  Neue  an  der  Krankheit,  über  die  seit 
einigen  Jahren  ausschliesslich  in  englisch-amerikanischen  Journalen  berichtet 
wurde,  ist  jedenfalls  der  originelle  Name;  sonst  sind  die  Symptome  die  eines 
Abortivscharlachs. 

Was  Bokay  an  die  Selbständigkeit  der  Erkrankung  glauben  lässt,  ist 
der  im  allgemeinen  milde  Verlauf,  der  sozusagen  vollständige  Mangel  an 
Komplikationen  und  Nachkrankheiten,  das  relativ  schnelle  Schwinden  dez  In- 
fektionsfähigkeit und  besonders  die  starke  Verlängerung  der  Inkubationsdauer, 

Bökay  hat  die  Überzeugung,  dass  er  die  sogenannte  , Vierte  Krankheil** 
wiederholt  gesehen  hat,  verfügt  jedoch  nicht  über  solche  Beobachtungen 
welche  zur  Klärung  dieser  Frage  meritorisch  beisteuern  könnten;  dazu  gehörte 
der  Nachweis,  „dass  es  solche  milde,  scheinbar  aus  Scharlachfällen  bestehende 


4124  Li(«rfttafb«ritsht. 

Epidemi«!!  gibt,  welche  atich  «olche  Kindef  iitoht  rerg<sli0ireii,  dio  SeÜMfladi 
und  RMelii  bereits  fiberdtänden  babeti,  andererMrite  detf  Rratrkeif  ^M*  ^A€t 
spiteren  Röteln-  bezw.  SebarlachtttfekttOtt  nicht  beimfareii*.  Bitte  MiMeÜiieg 
Fifatows  über  , Rubeola  scariatiDOsa*  wird  tu  dfesein  Siotte  gedeutet» 

Misch. 
Komfiiikaäon   tUr  LH^hthH^,     Bimerkungan  üter  Bmäkrung,    mgäikmmmmidse 

tmd  kygiemUeks  Bthandiung.    Von   L.  Fi  »eh  er.    Medical   New».     1904. 

Nov.  No.  21. 
F.  ribi)  TOD  der  Tstsaebe  aMgefaend,  dase  das  Diphtherietoiin  durch 
Binwirkvai^  aaf  die  Drüsen zellen  die  Salzsiareabeonderang  des  Magens  be- 
hindert (wie  sie  das  Antitoxin  fördert),  bei  der  Srnftbmng  der  Kranken  mit 
SalasÜnregaben  naohxnhelfen  oder  Torverdante  Miich  bezw.  andere  Nwhrovgs- 
mittel  zu  reichen,  bespricht  die  Ern&hrong  mit  der  Seblandsonde  nnd  per 
rectum.  Alle  Übrige  Behandlung  soll  auf  Entfernung  der  toiisoheii  Ursachen 
gerichtet  sein.  Zunächst  also  grosse  Dosen  Ton  Aotitexin!  Bei  Nasen diphiherie 
Reinigung  der  Nase  von  Membranen,  welche  Massnahme  auch  Verkleinerong 
von  DrAeen  und  der  Förderang  des  Sauerstoffs ntritts  dient;  Förderung  der 
Entgiftnng  durch  reichliche  Darmentleenmgen  (Calomel,  ssdinische  Mittel); 
ebenso  dorofa  Erregung  erhöhter  Diorese  die  Nieren  zu  entlasten;  in  gleicher 
Richtung  Hjpodermoklyse  und  DarmwassereingiessnngeB.  Spiegeiberg. 
Sur  fa  patkoghüe  de  certtOnes  para/yses  difrktkhip$es.    Von   M.   B.  Riet. 

(Retne  mens,  des  maladies  de  l'enfance.)  XXII.  September  1904. 
Die  Arbeit  handelt  von  den  späten  diphtherischen  Lähmungen,  die  trotz 
reichlicher  Behandlung  mit  Antitoxin  zu  einer  Zeit  noch  Ituftreten,  wo  man 
keine  Diphtheriebazillen  meht  findet.  Während  einerseits  die  Frühlähmungen 
seit  der  EiDf&hrung  der  Antitoxinbehandlung  fkst  ganz  vet^chwunden  sind, 
andererseits  die  Tierexperimente  nur  ein  Bltd  zeigen,  das  dem  beim  Monsehett 
beobachteten  nicht  entspricht,  so  kommt  R.,  auch  unter  Berücksichtigung 
der  in  der  Literatur  niedergelegten  Theorien,  zu  dem  Schlüsse,  dass  eben 
neben  dem-  Toxin,  das  vom  Antitoxin  gebunden  wird,  noch  ein  anderes  sehwer- 
diffusibles  Gift  den  Bakterienleibem  innewohnen  muss.  Zum  Beweise  hnt  er 
an  Kaninchen  mit  Torbehandelten  Bakterien teibem  experimentieet  und  trotz 
Anwendung  ton  Antitoxin  bei  ihnen  Lähmungen  bekommen,  die  dem  T)rptts 
der  diphtherischen  Spätlähmuog  entspfechen.  Mit  diesen  Versu<ohen  und 
unter  Berücksichtiguog  der  klinischen  Bewbsebtaflgen,  daes  Spfttlähmungen 
nur  solche  Individuen  betreffen,  die  schwer  kramk  waren  und  bei  denen  sich 
reichliche  Membranen  und  damit  viele  Bakterien  fanden,  hält  R.  die  oben 
geäusserte  Annahme  für  bewiesen.  L«  Ballin« 

Beitrage  sur  Kenntnis  des  DifhtherU»AniHoxins  imd  seiner  Bestießhrttgm  Mm 

Toxin,    Von  E.  P.  Pick  und  J.  Schwoner.    Wiener  klin.  Wochensohr. 

No.  40.  1904. 
Die  Versuche  führten  zu  folgenden  Ergebnissen:  Es  gibt  Diphtherie- 
Immunsera  (hochwertige  Sera),  welche  in  überkompedsierten  Mischungen 
40  pGt.  bis  50  pCt.  ihres  Antitoxin  wertes  verlieren  (toxolabile  Antitoxine)* 
Unter  gleichen  Bedingungen  behalten  andere  Diphtfaerie-Immunsera  (minder- 
wertige Sera)  ihren  Antitoxinwert  nahezu  vollständig  bei  (toxostabile  Anti- 
toxine). Die  Änderung  des  Aotitoxingehaltes  unter  dem  Einflüsse  des  Toxins 
erfolgt  nicht  allmählich,  sondern  mit  grosser  Reaktionsgeschwindigkeit.  Die 
gleiche  Anzahl  Immunitätseinheiten    toxostabiler  und  toxolabiler  Fmmunsera 


IV.  AkoU  loMfctio&KkrMikhetten.  43Ö 

erlebt  Alle  derMlbeu  Töxinn^llf e  yerschMetrw^ftlge  MiwiiQiigeft.  T<Mrdlä%ib 
iMtnnutera  stelKsn  naob  partielleir  Absftttigaog  mit  Toxin  toxostabile  Antitotfn- 
lö«aiig^  dar.  NeotraJe  in  Maltiplen  hergestellt«  MiflNihüDg^  t<mi  Totitt  vatd 
toxdllibileiii  Antitoxin  bleiben  stabil  und  lassen  sich  mit  Hälfe  pr&zipitieristtde^ 
Immnliflerams  io  ihre  Bestandteile  nicht  zerlegen.  Neorath. 

Beiträge  Mur  Kiinik  und  BükierioiogU  der  Angina  ulcerosa  •  membrertuicea 
(VincenU  od^  PiatUsehe  Angina),  Von  Uffen heimer.  Hünefa.  med. 
Wöohensohr.     1904.    No.  28. 

Verf.  berichte!  snnAcbst  ober  fünf  typische  F&lle  dieser  Krankheit,  Wo  sich 
im  Aaestrioh  die  bekannten  f oeiformen  Baeillen  mitSpirochfttettyergesdllsobaftet 
Torfaüden.  Weiter  beobachtete  er  drei  Fftlle,  yro  er  ebenfalls  diö  f^siformen 
Bazillen  und  Spirillen  nachwies,  wo  es  sich  aber  nicht  am  die  typische 
Angina  nlceroSa^membranacea  handelte.  Ein  Fall  betraf  dabei  eine  typische 
Schairlachangina,  an  die  sich  wfthrend  der  Anwesenheit  dieser  Keime  eine 
Stomatitis  anschloss:  zugleich  War  stetd  charakierisch  ein  Foetor  ex  Ore; 
das  Verschwinden  des  Geruchs  fiel  zeitlich  mit  dem  Verschwinden  d<dr 
Spirochftten  zusammen. 

Wahrend  KultiTierungsvCrsuche  der  Spirochftten  stets  misiigiflcklen, 
gdlangen  Anreicherungen  des  Bacillus  fusiformie,  aber  keine  Reinkulturen  auf 
Speithelnfthrböden.  Die  Bazillen  gingen  meist  nach  drei  Generationen  Zugrunde. 

Bine  Infektiosität  Hess  sich  weder  bei  Menschen  noch  Tieren  erweisen. 

Misch» 

Sur  la  siomaüte  et  tangine  uicereuse.  Von  M.  M.  Moizard  und  S.  Grenet. 
Arch.  de  medecine  des  enfants.    Tome  7.    No.  10.     Octobre  1904. 

Die  Vcrff.  kommen  auf  Grund  ihrer  Beobachtungen  zu  der  —  keines- 
wegs neuen  —  AaffassuDg,  dass  die  Angina  and  die  Stomatitis  ulcerosa 
wesensgleiche  Prozesse  seien.  Die  Angina  ulcerosa  —  in  Frankreich  unter 
dem  Kamen  der  „Vincent sehen  Angina^  bekannt  —  ist  durch  klinische 
Charaktere,  welche  schon  Bergeron  hervorhob,  und  dann  insbesondere 
durch  einen  konstanten  bakterioskopischen  Befund  gekennzeichnet  (Spirillen 
-f-  spindelförmige  Doppolstäbcheu),  dessen  Entdecker  Bern  heim  und 
Pospischill  sind.  Vincent  veröffentlichte  nach  den  Genannten  ganz 
analoge  Befunde.  Pfaundler. 

Impfung  unter  rotem  Licht.  Von  Wilh.  Knöpfelmacher  und  Moritz 
Schein.    Wiener  klin.  Wochenschr.    No.  40.     1904. 

Verff.  konnten  nicht  den  von  Gold  mann  beschriebenen  milden  Verlauf 
bei  Impfung  unter  rotem  Licht  konstatieren,  sondern  fanden  keinen  Unter- 
schied gegenüber  der  gewöhnlichen  Impfmethode.  Nur  schien  infolge 
gehemmter  Verdunstung  der  Prozess  ualer  dem  lichtdichten  Verband  bis  zur 
Eintrocknung  der  Postein  langsamer  zu  verlaufen.  Neurath. 

Zur  Agglutination  des  Meningococcus,  Von  Martin  Hohl fe Id.  Monatsschr. 
f.  Kinderheilk.    Bd.  III.    November  1904.    p.  293. 

Die  von  Jaeger  nachgewiesene  Agglutination  des  Meningococcus 
gestattet,  denselben  von  anderen,  ihm  nahestehenden  Kokken  zu  unter- 
scheiden. Doch  zeigte  die  bisherige  Methode  einige  Mängel,  indem  die  Auf- 
schwemmung der  Agarkultur  im  verdünnten  Blutserum  nicht  immer  gut 
gelang  und  durch  Krümelbiidung  Pseudoagglutination  zeigen  konnte. 

H.  benutzt  daher  jetzt  das  Kondenswasscr  schräg  erstarrten  Hammolblut- 
scrums,   auf  dem    der   Meningococcus  sehr  gut  wächst;    in    10—14  Stunden 


426  Literatarbericht 

alten  Kulturen  ist  du  Eondenswasser  gleichm&ssig  granweiss  getrübt  und 
stellt  eine  natürliche  homogene  Emulsion  des  Meningococcas  dar,  die  für 
die  mikroskopische  und  makroskopische  Beobachtung  der  Agglatination 
dienen  kann.  Schleissner. 

Über  den  Einfluss  des  Curare  bei  Tetanus,  Von  Peter  Bergell  and  Fritz 
Levy.  Die  Therapie  der  Gegenwart.  1904.  9.  Heft. 
Die  Anregung,  die  Glaude-Bernard  mit  der  Anwendung  des  Curare 
bei  Tetanus  gegeben  hatte,  führte  nicht  zum  Ziele,  weil  die  Curarepräparate 
von  ganz  yerschiedener  Wirksamkeit  waren  und  eine  einheitliche  Dosierung 
fehlte.  Diesem  Mangel  soll  da«  Ton  den  chemischen  Werken  vormals  Dr» 
Heinrich  Byk-Berlin  hergestellte  Pfeilgiftprftparat  „Curaril*  abhelfen,  das 
in  einer  auf  Mäuse  eingestellten  Dosierung  geliefert  wird:  1  ccm  von  der 
käuflichen  Lösung  entspricht  einer  Dosis,  welche  50  Mäuse  gerade  tötet  oder 
sehr  schwer  vergiftet.  Die  Verff.  stellten  nun  zunächst  in  Tierversuchen  die 
physiologischen  Wirkungen  des  Curarils  fest  und  fanden,  dass  das  Präparat 
eine  reine  Curare  Wirkung,  genaue  Dosierbarkeit,  Haltbarkeit  und  Konstanz 
der  Lösungen  darbiete  und  dass  keine  Kumulativwirkung  stattfinde.  Bs 
wurde  sodann  die  Wirkung  des  Curarils  bei  der  künstlichen  Tetanusin  toxi* 
kation  von  Tieren  geprüft,  und  das  Resultat  war:  Der  tetanische  Krampf- 
znstand wird  durch  grosse  Dosen  Curaril  vorübergehend  (ca.  2  Stunden  lang) 
paralysiert;  eine  Heilung  des  Tetanus  findet  nicht  statt,  wohl  aber  eine  Yer* 
zögerung  des  ganzen  Verlaufs  der  Krankheit.  Die  Verff.  wendeten  sodann 
das  Curaril  in  4  Fällen  von  Tetanus  bei  Menschen  an:  Zwei  an  puerperalem, 
schwerem  Tetanus  erkrankte  Frauen  starben  bald  nach  der  Aufnahme;  die 
(allerdings  kleinen)  Dosen  Cararil  üben  keinen  Einfluss  auf  die  Krämpfe  aus. 
Bei  der  dritten,  ebenfalls  an  puerperalem  Tetanus  erkrankten  Frau  bewirkt 
eine  Dosis  Curaril,  die  180  Mäusen  tödlich  ist,  eine  Remission  der  Krämpfe 
von  5  Stunden,  ohne  jedoch  den  Exitus  letalis  aufhalten  zu  können.  Bei 
der  Beurteilung  dieses  Falles  muss  übrigens  berücksichtigt  werden,  dass  die 
Patientin  ausser  dem  Curaril  grosse  Dosen  Morphium  und  Chloral  erhieltf 
Der  vierte  Fall  von  Tetanas  im  Anschlnss  an  eine  Fusswunde,  einem  Fall,  den 
die  Verff.  selbst  als  leicht  bezeichnen,  ging  unter  systematischer  Curaril- 
behandlung  in  Heilung  über.  R«  Rosen. 

Beitrag  sur  Pathogenese  der  transitoriscken  Aphasie  bei  Typhus  abdominalis 
und  ihrer  Besiehung  gum  akuten  zirkumskripten  Ödem  (Hydrops  hyp<h 
strophos).  Von  Beruh.  Hahn.  Wiener  klin.  Wochenschr.  No.  46.  1904. 
Ein  12jähriger  Knabe  zeigte  während  des  Verlaufs  einer  typischen 
Typhuserkrankung  an  Beinen,  Armen  und  Wangen  akutes  ödem.  Gleichzeitig 
kam  es  plötzlich  zu  motorischer  Aphasie,  die  nach  einer  Woche  rasch  wieder 
geschwunden  war.  Kritische  Sichtung  aller  aufgestellten  Theorien  bringt 
den  Antor  zu  der  Annahme,  dass  die  transitorische  Aphasie  bei  Typhus 
abdominalis  nicht  in  stabilen,  grobanatomischen  Veränderungen  ihren  GruD4 
habe;  diese  Annahme  stützt  sich  auf  das  paroxysmale  Auftreten  und  Schwinden 
und  die  oft  sehr  kurze  Dauer  der  Aphasie,  auf  das  häufige  Auftreten  in  der 
Rekonvaleszenz,  zu  einer  Zeit,  wo  die  Restitution  aller  anatomischen 
Schädigungen  stattfiudet,  und  endlich  auf  den  häufigen  intermittierenden 
Charakter  der  Störung.  Die  Ursache  der  Aphasie  scheint  vielmehr  passagerer 
Natur  zu  sein  und  dürfte  in  durch  Toxin  Wirkung  hervorgerufenen  vaso- 
motorischen Vorgängen  bestehen,  wofür  das  gleichzeitige  Auftreten  von  vaso- 
motorischen Phänomenen  der  allgemeinen  Decke  resp.  des  akuten  Ödems  eins 
weitere  Stütze  bildet.  Nenrath. 


Besprechungen. 


Ausset,  Rf  La  maladU  de  ßariaw,    IV.  GoDgres  periodique  de  gyn  Geologie* 
d'obstetriqae  et   de  paediatrie.    Roueo.     1904.    Lecerf  fils.    89   Seiten. 

A.  gibt,  nach  Aufz&hlang  der  bisher  über  die  Barlo wache  Krankheit 
veröffent lichten  Arbeiten,  eine  Schilderung  des  klinischen  Bildes,  unter  Mit- 
teilung Ton  2  eigenen  Fällen.  Sodann  entwickelt  er  seine  Ansichten  aber 
das  Wesen  und  die  Entstehung  der  Erkrankung. 

A.  nimmt  an,  dass  in  den  anscheinend  rachitis freien  Fällen  von 
Barlow scher  Krankheit  doch  Rachitis  vorliege,  wenn  auch  ohne  deutliehe 
klinische  Symptome.  Er  vergleicht  die  Barlow  sehe  Krankheit  als  hämor- 
rhagische Rachitis  mit  dem  hämorrhagischen  Scharlach.  A.  bezweifelt  den 
Nutzen  der  antinkorbutisohen  Diät,  weil  stets  auch  die  Zahl  und  die  Grösse 
der  Einzelmahlzeiten  reguliert  werden,  was  für  die  Heilung  der  Krankheit 
Ton  ausschlaggebender  Bedeutung  sei.  Hier  befindet  sich  Verf.,  der  keine 
grössere  eigene  Erfahrung  über  die  Barlow  sehe  Krankheit  hat,  sondern 
seine  Kenntnisse  hauptsächlich  dem  Studium  der  Literatur  verdankt,  ganr 
entschieden  im  Irrtum. 

Von  grossem  Interesse  sind  A.s  Ausführungen  über  bei  den  Haustieren 
vorkommende,  als  Pasteurelloseo  bezeichnete  hämorrhagische  Erkrankungen^ 
deren  Symptomatologie  mit  derjenigen  der  Barlowschen  Krankheit  über- 
einstimmen soll,  und  als  deren  Erreger  ovoide  Bakterien  (Pasteurella)  be* 
trachtet  werden.  Lewine  in  St.  Petersburg  hat  dieselben  Bakterien  in 
KoDservenfleisch  und  in  11  von  12  Fällen  von  Skorbut  bei  Erwachsenen  in 
Leber,  Milz  und  Knochenmark  gefunden.  A.  vermutet  auch  für  die  Bari o  wsche 
Krankheit  eine  Pasteurella  als  Erreger.  Stoeltzner. 

Haygrler»    Z^es  consultaüans  de    nourrissons.    L'oeui^re  medico-chirurgicak 
No.  35.     Paris  1903.    Massen  &  Cte.    44  Seiten. 

Die  erste  Gonsultation  de  nourrissons  wurde  1892  von  Budin  in^ 
Pariser  Cfaarite- Krankenhause  begründet,  in  der  Form,  dass  die  in  der  ge- 
burtshül fliehen  Klinik  entbundenen  Frauen  veranlasst  wurden,  nach  ihrer 
Entlassung  wöchentlich  einmal  ihre  Säuglinge  zur  ärztlichen  Untersuchung 
zu  bringen  und  bei  dieser  Gelegenheit  sich  über  Pflege  und  Ernährung  der 
Kinder  beraten  zu  lassen. 

Zur  Zeit  sind  4  von  den  12  Pariser  Gebär- Anstalten  mit  Consultation» 
verbunden.  Ferner  sind  in  Paris  durch  private  Wohltätigkeit  12  Gon- 
sultations  ins  Leben  getreten,  die  nicht  mit  Gebär-Anstalten  in  Verbindung 
stehen;  ausserdem  unterhält  die  Stadt  Paris  deren  13.  Doch  reichen  dies» 
29  Consultations  nach  M.  für  Paris  noch  immer  nicht  aus,  da  manche  Stadt- 
viertel noch  keine  oder  nur  eine  einzige  Consaltation  besitzen. 

Auch  in  der  Provinz  werden  in  Frankreich  mehr  und  mehr  Consul- 
tations eingerichtet,  desgleichen  bestehen  bereits  welche  in  Belgien,  Italien, 
Ungarn,  Spanien  und  in  Kanada. 

Es  gibt  kaum  eine  Wohlfahrtsoinrichtung ,  die  zur  Erreichung 
imponierender  Erfolge  so  geringer  Geldaufwendungen  bedarf,  wie  dies» 
Consultations:  Es  genügt  ein  Wartet^um  mit  einigen  Bänken,  ein  Unter- 
suchnngszimmer  mit  Wage,  Schreibtisch  und  einigen  Stühlen  und  ein  Raun^ 
zum  Verteilen  sterilisierter  Milch. 


428  Notiz. 

Das  erste  Bestreben  der  GonsaltatioDS  geht  dahin,  die  Frauen  zum 
Selbststillen  anzufeuern.  Die  in  dieser  Ittchtung  erzielten  Erfolge  sind  er- 
staunlich. In  den  mit  Geb&r- Anstalten  in  Verbindung  stehenden  Consultations, 
in  denen  die  Frauen  Ton  der  Zeit  des  Woehenbette  an  beraten  werdea 
können,  itt  ee  erreicht  worden,  das»  noch  nach  7  Monaten  66  pCt.  aller 
Säuglinge  ausschliesslich  mit  Muttermilch  ern&hrt  werden.  Nur  6  pOt.  der 
Kinder  müssen  hier  ausschliesslich  künetltch  ern&hrt  werden.  In  den  Con- 
sultations, die  nicht  mit  Oebftr- Anstalten  in  Verbindung  stehen,  sind  die 
Zahlen  weit  ungünstiger. 

Wo  künstlich  gen&hrt  werden  mnss,  wird  tterilisierte  Kuhmilch  an 
-die  Frauen  yerabfolgt,  und  zwar  eine  ausgezeichnete  Milch  ron  über  3  pCt 
Fettgehalt,  die  entweder  indastriell  (10—15  Minuten  bei  110 — 116<^)  oder  in 
<ler  Oonsultation  selbst  (im  Soxh lotschen  oder  in  Ähnlichen  Apparaten) 
sterilisiert  wird.  Nur  in  wenigen  Oonsultation«  wird  pasteurisierte  Milch 
ausgegeben. 

Die  gesunden  Brustkinder  werden  alle  14  Tage  untersucht,  spez.  ge- 
wogen, diejenigen  Kinder,  die  teilweise  oder  ausschliesslich  mit  Kuhmilch 
ernährt  werden,  alle  8  Tage,  kranke  Kinder  je  nach  Bedürfnis  häufiger. 
Sehr  wesentlich  ist,  dass  die  Kinder  bis  zum  Ende  des  zweiten  Lebensji^res 
unter  der  Überwachung  der  Consultations  verbleiben. 

Die  in  der  Oonsultation  sterilisierte  Milch  wird  jeden  Morgen,  die 
industriell  sterilisierte  jeden  2.  Tag  abgeholt;  Zahl  und  Grösse  der  Einzel- 
roahlzeiten  wird  genau  yorgeschriebeu  und,  was  ausserordentlfoh  wiehUg  ist» 
so  niedrig  wie  möglich  angesetzt. 

Magendarmkrankheiten  kommen  in  der  Clientel  der  Comultatione  so 
gut  wie  garnicht  vor,  ebenso  Rachitis.  Von  den  mit  Untergewicht  Geboreven 
kommen  95  pCt.  zu  gedeihlicher  Entwicklung. 

Die  Schaffung  derartiger  Consultations  auch  in  Deatschland  ist  eine 
Absolute  Kotwendigkeit  und  gestattet  keinen  Aufschub  mehr,  nachdem  unsere 
westlichen  Nachbarn  uns  gezeigt  haben,  was  ful*  Erfolge  mit  relativ  mini- 
malen Aufwendungen  zu  erreichen  sind.  StoeUzner. 

Notiz. 

Sonntag,  den  30.  April  1905,  findet  za  Wiesbaden  eiüe  gemeinsame 
Sitzung  der  Vereinigungen  Niederrheinisch-westfälischer  und  Südi^estdeutscher 
Kinderärzte  statt.  Da  von  verschiedenen  Seiten  der  Wunsch  nach  einer 
allgemeineren  Beteiligung  laut  geworden  ist,  so  ergeht  hie)rm!t  die  fitntaduog 
An  sämtliche  Mitglieder  der  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde,  sowid  an  alte 
Kinderärzte  zum  Besuche  dieser  Versammhing. 

Anmeldungen  hierzu,  sowie  von  Vorträgen,  Demonstrationen  u.a.  nimmt 
Dr.  Lugenbühl,  Schützenhofstrasse  9,  entgegen. 

Dr.  Seiter,  Solingen,  Dr.  Cahen-Brach,  ^rankfufta.M., 

VorsitzenderdcrVereinigungNieder-  Schriftführer  der  Vereinigung  S&d- 

rheinisch-westfälischer  Kinderärzte.  westdeutscher  Kinderärzte. 

Der  Ortsausschuss: 

Geh.  Sanitätrat  Dr.  EmiJ  Pfeiffer,  Vorsitzender, 

ständiger  Sekretär  der  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde. 

Dr.  Lugenbühl,  Schriftführer. 


Jaürbuch  für  Kinderheilkunde. 


N.  F.  Bd.  61. 


190$. 

U— - 


Heft  2. 


Anzeigen. 


Vm  AiitorttttM  d«r  KMiJTlwilliwMle  und 
TaMMdM  VM  Antea  enpIMÜM.  In  G»- 
brauche  äw  prötfton  KioderhotpftiUer 
Oeutochlandt,  dsttrrsieh-Uniiann  ett. 

Beste  Waliruno  fPr  gesumle  un< 

darmkranke  Kinder. 


Eufeke's  Eundermehl  als  Zusatz  zur  Milch  ersetzt  am 
besten  di^  Mirttermlielu  Die  Kinder  .gedeihen  vorzOg- 
lich  dabei  und  leiden  nicht  an  Verdauungeetörnngeg. 

Kiiffsk0iii0hl  ist  besoQileps  In  den  Sommei^ 
mMiaton  unMitlielirlioh  iind  komnt  Im!  Breohp 
duroMalli  Dwpinkataprit,  DIarrhSa  ato»  als  BaaUa 

In  Jlawandiina« 


Arzti.   LH&ntur,   sowie  Proben    offeriere    den 
Herren  Ärzten  koe^nfrei 

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Honatssehrift  für  PsyelUa^rle  und  Neurologie,  Band  XI,  Heft  8: 
Wesentlich  vermehrt  erscheint  da3  bekannte  Buch  in  dritter  Auflage,  nachdem 
erst  vor  drei  Jahren  die  zweite  notwendig  geworden  war,  ein  Beweis  für 
•eine  Vorzügllohkeit.  £ii)e  Fülle  von  neuen  Forschungen  findet  ßich  in  ein- 
gehender Weise  berücksichtigt,  so  dass  man  vollauf  berechtigt  sagen  darf,^ 
dass  das  BucA  im  der  Tai  den  vollen  Umfang  unserer  Wissenschaft  repräsenüert. 
Zur  Empfehlung  des  Buches  noch  etwas  hinzuzufügen,  ist  unnötig:  wir  könuen 
«wr  dmkieut  eeim,  dass  wir  ein  derartiges  Lehrtuch  besUMem,  das  sich  einen 
hieiAmdem  PlaUt  in  der  Weraiur  errungen  hat  und  unendlich  hefruchiettd  auf 
Hunderte  gewirkt  hat  und  weiter  wirken  wirdl       (W indscheid- Leipzig.) 

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8tr 


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Spezlflknm  bei  nicht  tuberkulösen  Infektionskrankheiten  der  Luft- 
wege.  Rapide  Heilung  von  Pneumonie  (auch  Broncho-,  Masern-, 
Influenza-«   Diphtherie-Pneumonie)    durch    grosse  Dosen  Creosotal 
10  bis  15  g  pro  die  in  4  Portionen,  bei  Kindern  Tagesdosis  bis  6  g 

CoUargOlum  (Arg.  coIl.  Cred6):    Septische  Erkranknngea« 
Proben  und  Literatur  dureh 

Chemische  Fabrik  von  Heyden,  Radebeol-Dresdei. 


A^ 


%^ 


f&r  Erholnngsbedllrftige  and 
Blutarme; 

Rheumatismus,  Qicht;  son- 
stige Knochen-  und  Qe« 
lenkielden  (Entzündungen, 
Versteifungen ,  Verkrümm- 
ungen); 

NervenschwIche«Neuralgten 
(Ischias^TabeStLlhmungen; 

Anwendung  der  natürlichc^n 
Trink-     und    Badequellen 

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ZQ  bewältigenden  Stoffes  dem  Leser  ein  ebenso  amfassendes  als  &ber$icht- 
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gewinnt  das  Bach  einen  besonderen  Wert  für  den  Praktiker,  der  nidit  in 
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Gedruckt  bei  Imberg  Jk  Lefson  in  Berlin  SW. 


XX. 

Arbeiten  aae  der  UoiT.-Kinderkiinik  und  -polikiinik  zu  Berlin.. 

1. 

Ein  weiterer  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Energiebilanz 

beim  Säugling.') 

Von 
0.  HEÜBNER. 

Der  Yersuch,  der  ebenso  wie  unsere  früheren,  unter  Leitung 
Prof.  Rubners  im  hygienischen  Institut  der  Universität  Berlin 
im  Sommer  1003  angestellt  wurde,  sollte  den  Zweck  haben,  über 
den  Eraftwechsel  des  Kindes  im  nüchternen  Zustand  Aufschluss 
zu  geben  und  einen  Vergleich  mit  demjenigen  bei  reichlicher  Er- 
nährung anzustellen,  um  auf  diese  Weise  etwa  den  kalorischen 
Wert  der  Yerdauungsarbeit  kennen  zu  lernen.  Dieser  Zweck 
wurde  allerdings  nicht  erreicht,  insofern,  als  die  am  Fasttage  von 
dem  Kinde  erzeugte  Energie  nicht  wesentlich  von  derjenigen  der 
vorherigen  Tage  abwich,  ein  Umstand,  der  teils  mit  den  nachher 
zu  schildernden  individuellen  Yerhältnissen  des  Kindes,  teils  da- 
mit zusammenhing,  dass  offenbar  die  reichliche  Ernährung  der 
vorhergegangenen  Tage  noch  nachwirkte  und  das  Resultat  trübte. 

Trotzdem  konnten  aber  in  diesem  Versuche  nicht  nur  eine 
Reihe  früher  gewonnener  Resultate  von  neuem  bestätigt,  sondern 
auch  neue  Tatsachen  beobachtet  werden,  so  dass  ein  kurzer  Be- 
richt darüber  an  dieser  Stelle  erlaubt  sein  dürfte. 

Es  handelte  sich  um  einen  ungewöhnlich  kräftigen  ond  wohlentwickelten 
Knaben,  das  Kind  einer  der  an  der  Kinder-Klinik  angestellten  Ammen.  Die 
Matter,  eine  grosse,  kräftige,  wohlgebildete,  immer  gesande  Frao,  hatte  schon 
einmal  geboren;  das  Kind  war  nach  14  Tagen  nnter  Krämpfen  gestorben. 

Zam  zweiten  Male  wurde  sie  am  11.  II.  1903  von  dem  männlichen 
Kinde  entbanden,  das  wir  zo  beobachten  Gelegenheit  hatten.  Es  wog  bei 
der  Gebart  (in  der  gynäkologischen  Klinik  der  Charite)  4,06  kg  und  kam 
mit  der  Mutter  am  18.  II.  in  die  Kinderklinik.     Da  wog  es  3,78  kg. 

Der  Knabe  bekam  während  der  ersten  zwei  Monate  fast  ausschliesslich 
die  Bmst  (zu  ^Z»,  V»  anfangs  Thee,  von  Mitte  der  3.  Woche  Mehlsappe,  von 

0  Vortrag,  gehalten  auf  der  Naturforscher- Yersammlong  in  Breslau  1904. 
Jahrbach  f.  Kinderhellkande.    N.  F.    LXI,  Heft  3.  28 


430  Heabner,  Ein  weiterer  Beitrag  zur  Kenntnis 

der  5.  Woche  an  Battermilch).  Die  Zasammentetzang  der  Milch  erwies  sich 
bei  wiederholten  üntersochangen  als  eine  recht  gleich mftssige.  Die  Analysen 
der  Klinik  stimmten  mit  den  später  im  hygienischen  Institut  Torgenommenen 
iiberein.  Erst  vom  5.  Monat  an  wurde  die  Nahrung  annähernd  zur  Hälfte 
kunstlich  (Buttermilch). 

Der  Energiequotient  belief  sich  bis  Ende  des  3.  Monats  auf  100  Kalorien 
stieg  nur  an  ganz  einzelnen  Tagen  über  105  oder  106,  sank  im  4.  Monat  ant 
90,  im  5.  auf  80  und  später  auf  70.  Das  Volumen  der  zugefnhrten  Nahrung 
betrag  in  den  ersten  Wochen  600  ccm  (bezw.  das  Gewicht  der  getrunkenen 
Milch  die  analoge  Menge  von  Grammen),  stieg  allmählich  bis  zu  einem  Liter 
in  der  12.  Woche  des  Lebens  und  hob  sich  erst  Ende  des  6.  Monats  fiber 
diesen  Betrag  (auf  1200).  —  Die  während  des  nachstehenden  Versuches  aus 
der  Brust  getrunkenen  Mengen  Muttermilch  übersteigen  die  sonst  tägKch 
zugeführten  Volumina  etwas. 

Bei  dieser  Ernährung  zeigte  das  von  der  Geburt  her  kräftig  yeranlagte 
Kind  Zunahmen  von  einer  Intensität,  dass  man  einen  zu  grossen  Fettansatz 
fürchtete  und  4  — 5  mal  einige  Tage  lang  die  Zufuhr  so  heruntersetzte,  dass 
keine  Zunahme  erfolgte.  Es  nützte  dieses  aber  nichts.  Das  Kind  wurde  bei 
der  knappen  Diät  yerdriesslich  und  schlaff,  und  wenn  man  dann  zum  früheren 
Energiiequotienten  zurückging,  so  erfolgte  die  Zunahme  in  um  so  rascherem 
Tempo.  Ähnlich  war  es  auch  nach  dem  beim  Versuche  interpolierten  Fast- 
tage (Zunahme  in  18  Tagen  um  650  g). 

Das  Kind  wog  Ende  der 


4.  \ 

Voch( 

9  4180  g 

8. 

« 

5070  „ 

12. 

n 

6840  „ 

16. 

„ 

7510  „ 

20. 

9) 

8640  . 

24. 

11 

10140  „ 

28. 

«1 

11090  „ 

32. 

» 

11860  „ 

Der  Gewichtszunahme  entsprechend  yerhielten  sich  aber  auch  die 
sonstigen  Wachstumsverhältnisse  und  die  körperlichen  und  psychischen 
Funktionen.  Man  konnte  nicht  von  einem  nur  einseitigen  Fettansatz,  von 
Adiposität  oder  pastösom  Habitus  sprechen.  Das  Kind  hatte  immer  ein 
blühendes,  frisches  Aussehen,  rosige  Wangen,  lebhafte,  blitzende  Augen, 
energische,  kräftige  Muskelbewegungen. 

Am  3.  VIII.  1903  (Ende  des  6.  Monats)  hat  das  Kind  eine  Körperlänge 
von  71  cm,  Kopfumfang  46  cm,  Fontanelle  2,3x2  cm,  Brustumfang  49  cm, 
Bauchumfang  49  cm.  Kein  Zeichen  von  Rachitis  bis  auf  eine  geringe  Ver- 
krümmung der  Unterschenkel. 

Ende  der  33.  Woche  (bei  der  Entlassung)  beträgt  die  Körperlsnge 
77  cm,  der  Kopfumfang  48  cm,  Brustumfang  52  cm,  ebenso  der  Bauchnmfang. 
Festes,  derbes  Fleisch.  Kind  sitzt  mit  gradem  Rucken  und  Kopf,  steht, 
leicht  unterstützt,  fest  auf  den  Beinen.  Nirgends  Zeichen  von  Rachitis, 
nirgends  Drüseoschwellung« 

Intelligenz  sehr  gut  entwickelt.  Kennt  alle  Personen  der  Umgebong, 
beschäftigt  sich  sogleich  mit  jedem  vorgehaltenen  Gegenstand,  fixiert  nnd 
beobachtet  mit  gespannter  Aufmerksamkeit  und  ist  ununterbrochen  in  ver- 
gnügter, selbst  übermütiger  Stimmung. 


der  Energiebiianc  beim  Säugling. 


431 


Wir  hatten  es  also  mit  einem  besonders  kräftigen  and  rasch 
wachsenden,  aber  sonst  normalen  Kinde  za  tun,  bei  Beginn  des 
Yersaches  war  es  S^t  Monat  alt. 

Betrachten  wir  zuerst  die  drei  mittleren  Tage  des  Versuches, 
die  für  die  Beurteilung  des  regelmässigen  Stoff-  und  Eraftwechsels 
als  massgebend  anzusehen  sind,  und  vernachlässigen  wir  vor  der 
Hand  den  in  der  folgenden  Tabelle  am  1.  Tage  sich  vollziehenden 
Gewichtsabsturz,  der  während  des  2.  Tages  sich  wieder  ausgleicht, 
so  finden  wir,  dass  das  Kind  während  der  3  Tage  naturlicher  und 
reichlicher  Nahrungszufuhr,  bei  der  es  unter  anderen  Verhältnissen 
stark  zugenommen  hätte  (ungefähr  1250  Muttermilch),  und  über- 
haupt vom  Anfang  der  Versuche  bis  zum  Beginn  des  Fasttages 
sein  Körpergewicht  auf  dem  gleichen  Niveau  gehalten  hat.  Die 
Ursache  dieser  mangelhaften  Zunahme  kann  selbstverständlich 
nicht,  wie  in  unserem  ersten  Brustkind-Versuche,  darauf  zurück- 
zuführen sein,  dass  das  Kind  eine  blosse  Erhaltungsdiät  bekam, 
ebensowenig  aber  in  einer  mangelhaften  Ausnutzung  der  Nahrung, 
wie  die  folgende  Tabelle  erkennen  lässt. 

Tabelle  I. 


BiDDftbmen 

Ausgaben  ia  Harn  und  Kot 

Tag| 

Milch 

N 

£1- 

weiss 

N 

Keti 

5 

< 

11 

c 

N 

0 

9^ 

if 

N 

luKol 

N 

Harn 
U.Kot 

c 
Harn 
n.Kot 

1. 

Beg. 

(li    '».Tag. 

^d.)     9760 

750 

1,26 

1,03 

85,2 

49,1 

1,05 

88,6 

42,7 

305 . 0,74 

0,85 

27 

5,08 

0,47 

1,21 

— 

2.     ;9510 

1180 

1,98 

1,72 

34,2 

75,5 

1,78 

127,4 

63,3 

571 

1,27 

1,68 

43 

3,25 

0,26 

1,53 

4,39 

3.      9740 

1240 

1,91 

1,52 

37,9 

78,6 

1,86 

123,5 

61,4 

620 

1,13 

1,48 

57 

'8,33 

0,54 

1,67 

4.19 

4.      9730 

1345 

2,07 

1,65 

41,1 

87,4 

2,02 

133,9 

66,5 

670 

1,00 

1,08 

37 

4,91 

0,32 

1,32 

3,79 

:'». 

9760 

560 

1,18 

1,42 

9 

1,55 

0,15 

1,33 

Ende:  9500. 

Es  geht  daraus  hervor,  dass  die  stickstoffhaltigen  Bestand- 
teile der  Nahrung  nicht  nur  im  Darm  gut  ausgewertet,  sondern 
sogar  zu  einem  nicht  ganz  unbeträchtlichen  Betrage  im  Organismus 
zurückgehalten  worden  sind.  Der  Kot  hatte  namentlich  am  2.  Tage 
ein  etwas  dyspeptisches  Aussehen,  doch  glich  sich  dieses  bald 
wieder  aus.  —  Niemals  im  ganzen  Verlaufe  der'  Beobachtung  stieg 
die  Körpertemperatur  über  37,5  •. 

Somit  müssen  wir  uns  nach  einem  anderen  Moment  um- 
sehen, das  bei  den  früheren  Versuchen  keine  Rolle  gespielt  haben 

28* 


^32  Heubner,  Ein  weiterer  Beiintg  zar  Kenntnis 

kanD,    and    hier    auf   die    Störung    des  Wachstams  von  £influ88 
gewesen  sein  muss. 

Nan  ist  in  der  Tat  in  nnserem  Falle  ein  Faktor  nea  in  die 
Gesamtbilanz  eingetreten,  der  bei  keinem  der  drei  früher  von  uns 
untersachten  Fälle  auch  nur  annähernd  ähnliche  Intensität  er- 
langt hat,  das  ist  die  Leistung  äusserer  mechanischer  Muskel- 
arbeit. 

Am  ersten  Tage,  nachdem  das  an  selir  viele  Beschäftigung 
mit  ihm  gewöhnte  Eind  in  den  Respirationsraum  eingelegt  war, 
fing  es  alsbald  an,  in  lebhaftester  Weise  seine  Unzufriedenheit  mit 
seiner  neuenLage  zu  äussern,  nicht  nur  zu  schreien, sondern  geradezu 
zu  toben,  alle  seine  kräftigen  Muskeln  in  angestrengter  Weise  zu  regen, 
um  sich  aus  seiner  Zwangslage  zu  befreien.  Aber  auch  an  den 
nächsten  Tagen,  als  es  sich  an  seine  neue  Umgebung  gewöhnt 
hatte,  schrie  es  zwar  weniger,  aber  war  doch,  so  lange  er  wach  war, 
in  nnauf  hörlicher  Muskelaktion  bald  mit  den  Beinen,  bald  mit  den 
Armen.  —  Die  beiden  Herren  Studierenden,  denen  die  unauf- 
hörliche Überwachung  des  kleinen  Riesen  oblag,  hatten  alles 
mögliche  zu  tun,  um  ihn  bei  Laune  zu  erhalten,  mussten  vor 
seinem  Glaskorb  tanzen,  allerhand  Spielzeug  vorbeifuhren  oder 
an  einem  Stabe  durch  das  Yentilationsrohr  in  den  Kasten  dirigieren 
und  dergl.  mehr.  Nur  in  den  Stunden  ruhigen  und  gewöhnlich 
ganz  gesunden  Schlafes,  der  nachts  andauernd  stattfand,  befanden 
sich  die  Muskeln  des  Kleinen  in  Ruhe.  Diese  Bewegungen,  so- 
wohl der  Atem-  wie  der  übrigen  willkürlichen  Muskulatur,  über- 
stiegen bei  weitem  die  auch  von  diesem  sehr  kräftigen  Kinde  in 
sonstigen  Zeiten  geleistete  mechanische  Arbeit.  Denn  dann  pflegte 
es  in  wacher  Zeit  gewöhnlich  im  Bette  aufzusitzen  und  vergnügt 
am  sich  zu  schauen  und  die  Ärmchen  spielend  zu  bewegen,  aber 
doch  nicht  entfernt  in  der  geschilderten  beinahe  immer  fort- 
dauernden Agitation  sich  zu  befinden. 

Das  Eingreifen  dieses  Momentes  in  die  Energiebilanz  und  die 
Möglichkeit  seiner  Messung  durch  einen  Vergleich  mit  den  früher 
beobachteten  Säuglingen  dürfte  das  interessanteste  Ergebnis  des  vor- 
liegenden Versuches  sein.  Freilich  ist  dieses  es  auch  gewesen,  das 
wohl  hauptsächlich  den  ursprünglichen  Zweck  unseres  Vorhabens, 
vereitelt  hat.* 

Betrachten  wir  jetzt  die  flüchtigen  Ausgaben  unseres  Kleinen, 
80  wird  uns  der  Einfluss  dieses  Momentes  auf  den  Verbrauch  an 
Energie  sofort  klar. 


der  Energiebilans  beim  S&agling. 
Tabelle  U. 


433 


Tag 

Anfangs- 

End- 

Ausgabe 

Ansgabe 

gewicht 

gewicfat 

von  COs 

von  H,0 

1. 

9760 

9510 

279,8  g 

640     g 

2. 

9510 

9740 

219,9  , 

519,6  , 

3. 

9740 

9730 

228,1  , 

478,6  , 

4. 

9730 

9760 

231,1  , 

382,1  . 

5. 

9760 

9500 

218,2  „ 

322,5  , 

Die  Prodaktion  von  Kohlensäure  ist  in  allen  Tagen  (die  Re- 
sultate des  ersten  Tages  sind  zum  besseren  Vergleiche  auf  24Stunden 
umgerechnet)  eine  sehr  hohe,  besonders  aber  am  ersten.  Im  Mittel 
kommt  während  des  ganzen  Versuches  (erste  4  Tage)  pro  Eälo  und 
Stunde  rund  1,01  g«  während  das  viel  kleinere  Brustkind  unseres 
ersten  Versuches  nur  0,94  g  produzierte. 

Noch  deutlicher  wird  aber  die  erhebliche  Mehrleistung,  die 
auch  diejenige  eines  künstlich  genährten  Kindes  beträchtlich  über- 
ragt, wenn  man  die  Kohlensäureproduktion  auf  den  Quadratmeter 
Oberfläche  berechnet  —  die  nach  Rubner  allein  zutreffende 
Methode  einer  vergleichenden  Messung.  Dann  ergibt  sich  folgende 
Tabelle: 

Tabelle  III. 


Es  produziert:        Gewicht 


Brastkind  J.')     •    •  11    5  Kilo 
Kahmilcbkinds)  .     .        8 
Atrophisches  Kind')        3 

Brastkiod  C.  .     .    .  ||  10 
(dieser  Versuch) 


Pro 

Quadratmeter 

und  Tag 


1006 
1143 
1090 
1219 


Pro 

Quadratmeter 

und  Stunde 


13,5 
15,9 
17,1 
17,4 


In  Spalte  3  der  Tabelle  III  ist  nur  der  reine  Kraftwechsel 
berechnet  (mit  Ausschluss  der  im  Ansatz  von  Stoffen  gebundenen 
Energie). 

Hier  zeigt  sich  in  sehr  eindringlicher  Weise  die  erhebliche 
Steigerung  der  Energiebilanz  in  unserem  letzten  Versuche,  die 
allein  auf  Rechnung  der  erhöhten  äusseren  Arbeit  kommen  kann. 
Gegenüber  dem  erstbeobachteten  Brustkinde,   das  meist  ruhig  in 

>)  Zeitschr.  f.  Biologie.     Bd.  36. 
^  Zeitschr.  f.  Biologie.    Bd.  38. 


434 


Henbner,  Ein  weiterer  Beitrag  zar  KenntDis 


seinem  Eastenbettchen  lag,  sehen  wir  eine  Steigerung  der  Wärme- 
prodaktlon  am  21  pCt.,  obwohl  die  Ealorienzofahr  pro  Kilo  be- 
rechnet hier  eher  etwas  niedriger  war  (67,6  Kai.  gegen  70  Kai. 
dort).  Dabei  ist  nnn  freilich  das  verschiedene  Alter  in  Betracht 
za  ziehen,  dessen  yerschiedene  Anspräche  im  allgemeinen  eben 
durch  die  Redaktion  auf  die  Obei^äche  ausgeglichen  werden. 
Selbst  mit  dem  elenden  atrophischen  Kinde,  yerglichen  mit  seiner 
relativ  viel  grösseren  Oberfläche,  ist  aber  der  Energiewechsel  bei 
unserem  letzten  Versuche  noch  auf  ein  etwas  höheres  Niveau 
eingestellt. 

Nun  erklärt  sich  auch,  warum  das  Kind  trotz  der  reichlichen 
Ernährung  nicht  an  Masse  zugenommen  hat. 

Vergleichen  wir  die  Kohlenstoffbilanz,  so  ergibt  sich: 

Tabelle  IV. 


Tag 

C-Einoabme 

C- Aasgabe 

Diff. 

1. 
2. 
3. 
4. 
5. 

68,8 
63,3 
61,4 
66,5 

80,36 
64,39 
66,39 
66,81 
(60,79) 

-  11,56 

-  1,09 

-  5.0 

-  0,31 

Sa.  der  ersten 
4  Tage  .    . 

260,0 

277,95 

—  18 

Aus  dieser  Tabelle  ist  zu  ersehen,  dass  das  Kind  trotz  der 
reichlichen  Zufuhr  seinen  Energieverbrauch  während  des  Ver- 
suches nicht  hat  decken  können,  sondern  vom  eigenen  Körper 
(Fett  oder  Glykogen)  Stoff  hat  hergeben  müssen,  um  ihn  zu  be- 
streiten. Sehr  übereinstimmend  mit  den  früheren  Versuchen 
zeigt  sich  aber  auch  hier  (vergl.  Tabelle  I),  dass  es  trotzdem 
von  dem  Stickstoffe  der  Zufuhr  einen  Ansatz  zu  bewirken  ver- 
mocht hat. 

Ganz  die  gleiche  hochgradige  Steigerung  sehen  wir  bei 
unserem  Kinde  in  der  Wasserbilanz  sich  vollziehen.  Ausser  der 
Messung  des  vergasten  "Wassers  wurde  beim  diesmaligen  Ver- 
suche auch  eine  sorgfaltige  Wägung  der  Wäsche,  Bekleidung, 
Bettstücke  und  Matratzen  vor  und  nach  jeder  Unterbrechung 
des  Versuches  vorgenommen.  Auf  diese  Weise  gelang  es  auch, 
die  Wassereinnahme  und  Ausgabe  genauer  als  bei  den  früheren 
Versuchen    festzustellen.     Es    zeigte    sich,  dass  —  wenigstens  in 


der  Energiebilanz  beim  S&ngling. 


4S5 


ansMrem  Falle  —  auch  die  Ausscheidang  des  Wassers  durch  die 
Haut  in  tropfbarflüssiger  Form  eine  nicht  zu  vemachl&ssigende 
Grösse  darstellt. 

Tabelle  V. 
Tägliche  Wasserbildung  (Mittel  des  2.-4.  Tages.) 


Wasser 

der 

Milch 

Ozydations' 

Wasser 

derXrocken- 

sabstanz 

Summe 

der 

Einnahme 

Harn 

Kot 

Transpir. 

nnd 
Respir. 

S«ne 

der 
Aasgabe 

Differ. 

1125 

89 

1214 

616 

40 

460 

1116 

+  9a 

Dieser  Wasseransatz  stimmt  mit  dem  vom  zweiten  Tage  an 
beobachteten  Wiederansteigen  des  Körpergewichtes  um  etwa 
250  g  leidlich  überein,  wenn  man  besonders  die  mancherlei 
Fehlerquellen,  die  sich  bei  dem^  Wägen  grösserer  Stücke  in 
feuchtem  und  trockenem  Zustande  u.  s.  w.  kaum  vermeiden 
lassen,  in  Rechnung  zieht.  Dieses  hier  in  den  Organismus  auf- 
genommene Wasser  kann  nicht  etwa  als  beim  Ansätze  fester 
Stoffe  gebunden  angesehen  werden.  Denn  aus  Tabelle  I  ist  er- 
sichtlich, dass  täglich  höchstens  0,45  g  N.  als  £!iweiss  an  den 
Körper  angesetzt  worden  ist,  was  nach  Rubner  kaum  mehr  als 
15  g  Wasser  in  Anspruch  nimmt.  Wir  haben  also  hier  einen 
Wasseransatz  direkt  bewiesen,  wie  er  schon  lange  als  Postulat 
für  sonst  unerklärliche  Schwankungen  im  Gange  des  Wachstums 
vieler  Säuglinge  aufgestellt  worden  ist  und  wie  ihn  neuerdings 
Freund  durch  seine  Untersuchungen  über  den  Ohiorstoffwechsel 
indirekt  zu  erweisen  gesucht  hat.  In  unserem  Falle  hat  dieser 
Wasseransatz  nichts  Pathologisches,  sondern  stellte  offenbar  nichts 
anderes,  als  den  raschen  Ersatz  eines  raschen  Verlustes  dar. 

Denn  gerade  unter  Berücksichtigung  der  Wasserbilanz  ge- 
langen wir  leicht  zu  dem  Verständnis  des  enormen  Gewichts- 
absturzes des  ersten  Tages,  der  sich  binnen  15  Stunden  vollzog. 
Er  bestand  gewiss  zu  einem  kleinen  Teile  aus  verbrannter  Körper- 
substanz (Glykogen  oder  Fett),  denn  die  negative  Schwankung 
des  Kohlenstoff-Stoffwechsels  überwiegt  je  am  ersten  Tage  weit- 
aus alle  übrigen  Tage  und  verschlingt  ganze  zwei  Dritteile  des 
Gesamtdefizites  der  4  Tage.  Trotzdem  vermag  sie  aber  den 
Gewichtssturz  allein  nicht  entfernt  zu  erklären. 


436 


Heabner,  Ein  weiterer  Beitrag  xnr  Kenntniv 


In  dem  Protokolle  über  den  ersten  Beobachtangstag  hetsst 
es  (am  Nachmittage,  wiederholt,  stundenlang) :  Das  Kind  schreit 
fast  unaufhörlich,  hat  gerötetes  Gesicht,  dicke  Schweissperlen 
auf  Gesicht  und  Armen.  Der  Glaskasten  beschlägt  sich  bis  zur 
Tropfenbildung  (so  dass  die  Ventilation  mehrfach  gesteigert  werden 
muss).  Dieses  Yerhalten  zeigte  das  Kind  am  Abend  etwa  drei 
Stunden  lang,  schlief  dann  in  der  Nacht  ruhig,  aber  am  anderen 
Morgen  wieder  etwa  2  Stunden.  Durch  diese  anhaltende  Lungen- 
gymnastik  musste  ganz  offenbar  eine  sehr  gesteigerte  Wasser- 
abgabe aus  den  Lungen  erfolgen,  die  sich  dann  schon  makro- 
skopisch —  trotz  einer  Temperatur  von  23®  im  Respirationsraume 
—  durch  fortwährendes  Beschlagen  seiner  Wände  zu  erkennen 
gab.  Dazu  kam  aber  noch  die  tropfbar  flüssige  Absonderung 
aus  der  Haut. 

In  den  Protokollen  findet  sich  die  Messung  des  vergasten 
Wassers  und  diejenige  der  an  Kleider  und  Betten  abgegebenen 
Flüssigkeit  gesondert  verzeichnet,  wie  folgt: 

Tabelle  VL 


Tag 

Wosserabgabe  pro  Stande 

Tergast 

fl&88ig 

1. 
2. 
3. 
4. 
5. 

15,215 
15,655 
17,94 
11,72 
7,54 

12,5 
6,0 
2,0 
4,2 
5,S 

Man  sieht,  wie  die  Wasserabgabe  durch  Schweiss  am  ersten 
Tage  alle  anderen  weit  überragt  und  zusammen  mit  der  durch 
das  Schi*eien  bedingten  vermehrten  Wasserdampfausscheidung 
jene  hohe  Wasserausgabe  bedingt,  wie  sie  (nach  24  Stunden  be- 
rechnet) in  Tabelle  II  verzeichnet  ist.  Sie  übertrifft  diejenige 
des  6.  Tages  gerade  um  das  Doppelte. 

Die  Neigung  zum  Schweisse  lässt  schon  am  2.  Tage,  wo  das 
Kind  sich  an  die  Umgebung  gewöhnt  hat,  erheblich  nach,  um 
am  3.  Tage  am  tiefsten  zu  sinken  (bei  gleicher  T.  des  Binnen- 
raumes). 

Dass  auch  am  Fasttage  noch  eine,  wenn  auch  relativ  ver- 
ringerte, so  doch  absolut  noch  reichliche  Kohlensäure-  und  Wasser- 
ausscheidung statt  hatte,  beruht  teils,  wie  oben  schon  berichtet, 
auf  der  Nachwirkung  der  vorhergegangenen  reichlichen  Ernährung, 
teils  auf   der  fortdauernden    lebhaften  Muskelaktion    des  Kindes. 


der  Energiebilanz  beim  S&agling.  437 

Schliesslich  liefert  unser  Versuch  auch  noch  den  Schlüssel 
zum  Yerstandnisse  des  abnorm  intensiven  Wachstumes  des  Kindes 
bei  einer  im  Verhältnisse  zu  seiner  Grösse  in  keiner  Periode 
seines  Lebens  überreichlichen  Ernährung  (energetisch  betrachtet). 
Während  das  früher  von  uns  untersuchte  Brustkind  die  zugeführte 
mütterliche  Nahrung  mit  einem  Verluste  von  8,4  pCt.  der  dar- 
gebotenen Kalorien  verarbeitete,  geschah  dieses  bei  unserem 
jetzigen  Versuche  mit  einem  Verluste  von  nur  6  pCt.  Dieser 
Vorzug  beruht  aber  lediglich  in  einer  besseren  Leistung  des 
Verdauungskanales.  Durch  den  Harn  verloren  beide  Kinder  die 
gleiche  Menge  an  Energie  (2,5  pCt.),  dagegen  durch  den  Kot 
das  frühere  Brustkind  6,8  pCt.,  das  jetzige  nur  3,6  pCt.  Also 
dem  leistungsfähigeren  Darme  hat  dieses  seine  körperliche  Blüte 
zu  verdanken. 

Der  experimentelle  Nachweis  der  Bedeutung  übermässiger 
äusserer  Arbeit  für  das  Wachstum  des  Säuglings  ist  nicht  ohne 
praktischen  Wert.  Man  wird  in  Zukunft  bei  der  Beurteilung  des 
Ernährungseffektes  die  Berücksichtigung  der  täglichen  Arbeit  an 
Geschrei,  Unruhe  u.  dergl.  noch  mehr  in  Rechnung  ziehen  dürfen, 
als  man  es  bisher  vielfach  gewohnt  war. 


2. 

Aus   der   KöDiglieheo    KiDderklinik  und    dem   chemischen  Laboratoriam  des 
Pathologischen  Instituts  der  Universität  Berlin. 

Zur  Kenntnis  der  Acetonurle  bei  den  Infektions- 
Krankheiten  der  Kinder. 

Von 

Dr.  LUDWIG  F.  MEYER, 

Volont&r  der  KlnderkUoik. 

Die  Arbeiten,  die  sich  mit  der  Acetonarie  bei  Kindern  be- 
schäftigen, stammen  meist  aas  einer  Zeit,  in  der  man  noch  über 
die  Acetonarie  weit  andere  Anschaaangen  als  hente  hatte,  in  der 
man  noch  der  Acetonarie  die  Bedeutung  eines  selbständigen 
Krankheitsbildes  einräumte  und  verschiedene  Krankheitsgruppen 
auf  Grund  der  vorhandenen  Acetonurie  konstruierte.  In  der  im 
Jahre  1886  erschienenen  Monographie  über  Acetonurie  und 
Diaceturie  stellte  von  Jaksch  noch  eine  Reihe  selbständiger 
pathologischer  Acetonurien  auf,  die  diabetische,  die  febrile,  die 
Inanitionsacetonurie,  die  Acetonurie  bei  Carcinom,  Psychosen  und 
die  Acetonurie  als  Ausdruck  der  Autointoxikation. 

A.  Baginski^)  hat  im  Jahre  1888  die  Acetonurie  bei  Kindern 
eingehend  studiert.  Er  hofiFte  zu  Beginn  seiner  Untersuchungen 
in  der  Ausscheidung  des  Acetons  die  Ursache  für  die  Entstehung 
eklamptischer  Anfölle  und  der  Rachitis  zu  finden.  Indes  ver- 
wirklichten sich  seine  Hoffnungen  nicht.  Baginsky  wies  Aceton 
in  vermehrter  Menge  (systematische  quantitative  Untersuchungen 
hatte  er  mangels  einer  geeigneten  Methode  nicht  angestellt)  bei 
mannigfachen  fieberhaften  Erkrankungen,  wie  Pneumonie,  Masern, 
Diphtherie,  Scharlach  etc.,  sowie  bei  Kindern  mit  eklamptischen 
Anfällen  nach.  Der  Acetongehalt  des  Urins,  so  nahm  er,  der 
Auffassung  seiner  Zeit  folgend  an,  steigt,  entsprechend  der  Fieber- 
höhe und  verschwindet  mit  dem  Fieberabfall. 


i)  Archiv  f.  Kinderheilkunde.    Bd.  9.    S.  l. 


Mejer,  Zar  Kenntnis  der  Acetonurie  etc.  489 

Kurze  Zeit  daraaf  beschäftigte  sich  Schrack^)  aus  der 
von  Jakschschen  Klinik  mit  der  Acetonurie  bei  Kindern. 
Schrack  fand,  dass  eine  Acetonausscheidung  bei  Kindern  häufig, 
und  zwar  besonders  bei  fieberhaften  Erkrankungen,  sowie  akut 
verlaufenden  Verdauungsstörungen,  vorkommt.  Er  musste  jedoch 
zugeben,  dass  die  Acetonurie  nicht  immer  eine  Erscheinung  oder 
Folge  hohen  Fiebers  sein  konnte  (wie  von  Jaks ch  sie  aufiPasste), 
da  er  bei  gewissen  Erkrankungen  (Tuberkulose),  die  mit  hohem 
Fieber  einhergehen,  keine  Vermehrung  des  Acetons  fand,  während 
bisweilen  bei  Erkrankungen  mit  niedriger  Temperatur  (Diphtherie) 
eine  starke  Vermehrung  des  Acetons  im  Urin  auftrat. 

Dass  die  Diät  einen  Einfluss  auf  die  Acetonurie  hatte, 
erkannte  schon  Schrack.  Bei  7  Kindern,  die  mehrere  Tage 
Fleischdiät  hielten,  trat  dreimal  vermehrte  Acetonausscheidung 
auf.  Sie  ging  bei  Amylaceenkost  wieder  auf  die  Norm  zurück. 
Hier  ist  also  schon  die  Rolle,  die  die  Ernährung  spielt,  in 
durchaus  richtiger  Weise  angedeutet,  aber  Schrack  unterliess  es, 
daraus  weitere  Schlüsse  zu  ziehen. 

In  neuerer  Zeit  hat  nun  die  Lehre  von  der  Acetonaus- 
scheidung, besonders  durch  die  eingehenden  Untersuchungen  von 
Hirschfeld,  Ephraim,  Rosenfeld  und  Gelmuyden,  einen 
gewaltigen  Umschwung  erfahren.  Hirschfeld^)  und  Rosenfeld') 
ist  es  gelungen,  exakt  zu  beweisen,  dass  der  Ausfall  der  Kohle- 
hydrate in  der  Nahrung  bei  Erwachsenen  die  Acetonurie  ver- 
anlasst. Ist  die  Ausscheidung  des  Aceton  nach  längerem  Fortfall 
der  Kohlehydrate  aus  der  Nahrung  beträchtlich  (200 — 700  mg) 
gestiegen,  so  genügt  täglich  ein  Zusatz  von  50 — 100  g  Kohle- 
hydraten (nach  Gelmuyden  150  g  Kohlehydraten),  um  die 
Acetonurie  in  zwei  bis  vier  Tagen  zum  Normalen,  d.  i.  für  den 
Erwachsenen  ca.  20  mg,  zu  bringen.  Aber  nicht  nur  bei  völliger 
Inanition,  auch  bei  einseitiger  Fleischfettemährung,  die  den 
Kalorienbedarf  des  Körpers  völlig  deckte,  resultierte  eine  erhöhte 
Acetonausscheidung.  Unter  diesen  Gesichtspunkten  betrachtet, 
verlor  die  Acetonurie  beim  Diabetes  das  Rätselhafte,  das  man 
bis  dahin  in  ihr  sah.  Das  Verdienst,  das  zum  erstenmale  klar 
erkannt  zu  haben,  gebührt  Hirschfeld.  Beim  Diabetes  werden 
die    Kohlehydrate    nicht    genügend    verwertet.      Es    entsteht    im 


0  Über  die  Acetonarie  und  die  Acetarie  bei  Kindern.    Jahrbuch  für 
Kinderheilkunde.    Bd.  29.    1889. 

*)  Zeitschrift  f.  klin.  Med.    Bd.  28  n.  81. 
>)  Dentoche  Med.  Wochenschrift,  1885. 


440  Meyer,  Zar  Kenntnis  der  Aceton arie 

Organismus  Kohlehydratmangel,  der  zur  Acetonarie  fQhrt.  Bei 
leichtem  Diabetes  sah  Hirschfeld  das  im  Urin  bei  kohlehydrat- 
freier Kost  vorhandene  Aceton  nach  Kohlehydratdarreichnng 
rasch  absinken,  bei  erheblicher  Zackerausscheidung  erfolgt  das 
Absinken  nicht  so  rasch,  und  bei  ganz  schweren  Fällen  oft  erst 
nach  einigen  Monaten.  —  Die  Richtigkeit  dieser  Befunde  ist 
später  von  Seiten  aller  Autoren  anerkannt  worden.  Heute  ist 
der  Satz  allgemein  zur  G&ltigkeit  erhoben,  dass  Kohlehydrat- 
mangel bei  Diabetes,  Inanition  und  den  meisten  der 
noch  von  Jaksch  als  selbständige  Krankheitsbilder  auf- 
gefassten  Acetonurien  zur  Erhöhung  der  Acetonans- 
scheidung  f&hrt. 

Als  Quelle  des  Acetons  wurden  früher  die  Kohlehydrate 
bezeichnet.  Diese  Annahme  ist  ohne  weiteres  durch  die  eben- 
genannten  Forschungen  hinfallig  geworden.  Dann  wurde  lange 
Zeit  das  Eiweiss  als  alleinige  Muttersubstanz  der  Acetonkorper 
angesehen.  Als  solche  kann  das  Eiweiss  indes  nach  den  Unter- 
suchungen von  Weintraud,  Gelmuyden,  Magnus-Levy  u.a. 
nicht  in  Betracht  kommen. 

Die  starke  Erhöhung  des  Acetons  nach  Zufuhrung  von  Fett 
oder  Fettsäuren  bei  Kohlehydratmangel  —  die  zuerst  von  Gel- 
muyden^) und  Schwartz^)  erkannt  wurde  —  hat  die  Entstehung 
des  Acetons  aus  Fett  sehr  wahrscheinlich  gemacht.  Die  bedeutenden 
Mengen  ausgeschiedener  Acetonkorper  können  aber  beim  normalen 
hungernden  und  beim  diabetischen  Organismus  sicher  nicht  aus 
den  niederen  Fettsäuren  allein  entstehen.  Auch  die  höheren 
Fettsäuren  mit  16 — 18  Molekülen  müssen  zu  der  Bildung  der 
Acetonkorper  herangezogen  werden,  indem  sie  zu  niederen  Ver- 
bindungen abgebaut  werden. 

Vielleicht  entstehen  auch  (worauf  Magnus-Levy  hinweist) 
die  Acetonkorper  durch  Synthese  kohlenstofParmer  Verbindungen, 
mit  2 — 3  KohlenstofiPatomen;  genauer  auf  die  Entstehung  der 
Acetonkorper  einzugehen,  liegt  ausserhalb  des  Rahmens  meiner 
Arbeit.  Ausfuhrliches  darüber  findet  man  in  den  Monographien 
von  Magnus-Levy,  Mohr,  Waldvogel. 

Fast  allgemein  betrachtet  man  heute  das  Fett  als  Mutter- 
substanz der  Acetonkorper. 

Der  Kohlehydratmangel    bewirkt  demnach    eine  Ände- 

0  Zekschr.  f.  phjs.  Chemie.  Bd.  23  and  27. 
»)  Arch.  f.  exper.  Patholog.  Bd.  40. 


bei  den  InfektioDS-Krankheiten  der  Kinder.  441 

rang  des  normalen  Fettabbaus,  die  sich  in  erhöhter  Aus- 
scheidung der  Acetonkörper  äussert. 

Die  Pädiatrie  hat  sich  seit  der  Zeit,  dass  diese  Lehren 
allgemeine  Geltung  erlangt  haben,  wenig  mit  der  Acetonurie  be- 
schäftigt. Es  liegt  eine  Untersuchung  Blumenthals^)  vor,  die 
in  einem  gewissen  Widerspruch  zu  diesen  Lehren  zu  stehen  scheint. 
Blumenthal  glaubt,  dass  die  Ausscheidung  des  Acetons  difiPe- 
rentialdiagnostisch  gegen  Diphtherie  und  für  Angina  spräche;  er 
sah  unter  67  Fällen  von  Angina  41  mal  Acetonurie  (nachgewiesen 
mittelst  der  Legal  sehen  Probe)  und  unter  36  Fällen  von  Diph- 
therie diese  kein  einziges  Mal:  Blumenthal  hält  also  eine 
spezifische  Infektion  für  die  Ursache  der  Acetonurie.  (Angaben 
über  die  Nahrangsaufiiahme  der  Kranken  hat  Blumenthal  nicht 
gemacht.) 

Dem  entgegen  hat  Freund*)  in  der  Breslauer  Kinderklinik 
festgestellt,  dass  den  Beobachtungen  Blumenthals  „praktisch- 
klinische Bedeutung"  nicht  zukommt;  denn  Freund  fand  unter 
15  Diphtheriefällen  8  mal  Aceton. 

Auch  zwei  italienische  Autoren  Bottacci  und  Orefici') 
haben  in  drei  Fällen  von  akuter  Diphtherie  Aceton  gefunden  und 
quantitativ  bestimmt.  Die  von  ihnen  gefundenen  Werte  liegen 
sehr  hoch;  in  einemFalle  betrug  dieAcetonausscheidung  0,535  g.p.d. 
Auch  sie  halten  daran  fest,  dass  die  Ursache  der  Diphtherie- 
acetonurie  in  einer  spezifischen  Tozinwirkung  zu  suchen  sei; 
mehrmalige  Darreichung  von  Zucker  hatte  die  Acetonurie  ab- 
geschwächt, indes  nicht  zum  Verschwinden  gebracht. 

Gelten  nun  die  Lehren,  zu  denen  man  in  neuerer  Zeit  be- 
treffs der  Acetonurie,  bei  Diabetes,  der  Inanition  etc.  gekommen 
ist,  auch  fQr  die  Ausscheidung  der  Acetonkörper,  wie  sie  bei  den 
Infektionskrankheiten  der  Kinder  in  die  Erscheinung  tritt?  Ist 
auch  hier  der  Kohlehydratmangel  oder  sind  Fieber,  Infekt  und 
Toxine  die  Ursachen  dieser  Acetonurie?  Zur  Beantwortung  dieser 
Fragen  musste  ich  zunächst  die  Blumenthalschen  Angaben  nach- 
prüfen. 

Ich  untersuchte  daher  in  37  Fällen  von  Diphtherie,  26  von 
Scharlach,  15  von  Masern  den  Urin  qualitativ  mittelst  der  LegaU 
schen  Probe  auf  Aceton.  - 


^)  Gharite-ADDaleD.  26.  Jahrg.  Seite  17. 

S)  Monatsschrift  für  Kinderheilkuode.  Bd.  2,6. 

*)  Lo  Sperimentale.  1901.    Heft  5—6.    S.  888. 


442  Meyer,  Zor  Kenntnis  der  Acetonarie 

Ich  mass  vorausschicken,  dass  im  physiologischen  Urin  die 
Legalsche  Acetonprobe  stets  negativ  war.  Können  wir  nun 
Werte,  die  sich  nur  wenig  über  die  Norm  erheben,  mittelst  unserer 
gewohnlichen  Proben  erkennen?  Spuren  einer  jodoformbildenden 
Substanz  waren  stets  bei  Kindern,  die  ia  der  Rekonvalescenz 
verschiedener  Krankheiten  sich  befanden  (ganz  gesunde  Kinder 
standen  mir  nicht  zur  Yerffigung),  vorhanden.  Die  Werte,  die 
ich,  auf  Aceton  berechnet,  fand,  warea  beim  normalen  Kinde 
immer  unter  1  cg,  sodass  man  bei  Kindern  Werte,  die  sich  über 
1  cg  erheben,  als  pathologisch  bezeichnen  muss.  Werte,  die  sich 
nur  wenig  über  1  cg  erheben,  habe  ich  in  einer  grossen  Harn- 
tagsmenge im  nichtdestillierten  Urin  qualitativ  nicht  nachweisen 
können.  Im  allgemeinen  aber  muss  man  zugeben,  dass  die  ge- 
bräuchlichen qualitativen  Methoden  genügen,  um  eine  einiger- 
massen  beträchtliche  Acetonmenge  im  Urin  nachzuweisen.  (Eine 
Verwechslung  mit  Kreatinin  war  unmöglich,  da  stets  Essigsäure 
zugefügt  wurde,  auf  deren  Zusatz  die  durch  Kreatinin  bedingte 
Rotfarbung  sich  aufhellt,  während  die  durch  Aceton  bedingte 
intensiver   wird.) 

Bei  den  drei  Infektionskrankheiten  fand  ich  die  Legalsche 
Acetonprobe  positiv  in: 

37  Fällen  von  Diphtherie  .         .      26  Mal 
26  Fällen  von  Scharlach     .         .      18     „ 
16  Fällen  von  Masern    .     .  8     » 

Das  ist  für  Diphtherie  in  70,3  pCt.  für  Scharlach  in 
69,2  pCt.  für  Masern  inöOpCt.  Die  Acetonurie  kommt  also 
bei  allen  drei  Infektionskrankheiten  sehr  häufig  und  in 
fast  gleichem  Prozentsatz  vor;  Differentialdiagnostisch 
ist  sie  nicht  zu  verwerten.  Die  Anschauungen  Blumenthals, 
Botaccis  und  Oreficis,  dass  ein  spezifischer  Infekt  die  Aceton- 
urie verursacht,  bestehen  demnach  nicht  zu  Recht. 

Zur  Prüfung  der  weiteren  Fragen,  der  Abhängigkeit  der 
Acetonurie  von  der  Intensität  des  Infektes,  der  Höhe  des  Fiebers 
und  endlich  von  der  Nahrungsaufnahme,  sind  zahlreiche  quanti- 
tative Untersuchungen  notwendig.  Ich  habe  daher  in  8  Fällen 
von  Diphtherie,  3  Fällen  von  Angina,  2  von  Masern,  5  vod 
Scharlach  und  1  Fall  von  Angina  Yincenti  quantitative  Aceton- 
untersuchungen  des  Urins  angestellt.  Dabei  war  ich  mir  bewusst, 
dass  eine  beträchtliche  Quantität  Aceton,  die  mit  der  Atemlaft 
den  Körper  verlässt,  vernachlässigt  wurde  und  vernachlässigt 
werden  musste;    denn  exakte  Bestimmungen  des  Acetons  in  der 


bei  den  Infektions-Krankheiten  der  Kinder.  443 

Atemluft  sind  bei  den  meist  schwer  erkrankten  Kindern  mit  den 
üblichen  Methoden  nur  selten  möglich.  Es  gelang  mir  jedoch  in 
3  Fällen  (Diphtherie,  Scharlach,  Angina  Vincenti),  den  Aceton- 
gehalt  der  Atemluft  xu  bestimmen.  Da  ein  gewisser  Parallelismus 
zwischen  der  Ausscheidung  des  Acetons  im  Urin  und  in  der  Atem- 
luft stets  vorhanden  ist,  konnte  ich  die  Acetonausscheidung  durch 
die  Atemluft  des  weiteren  ausser  Acht  lassen,  ohne  dadurch  der 
Beweiskraft  meiner  Ausfuhrungen  Abbruch  zu  tun. 

Bei  den  quantitativen  Acetonuntersuchungen  im  Harn  be- 
diente ich  mich  des  Verfahrens  der  Überführung  des  überdestil- 
lierten Acetons  in  Jodoform  und  der  Wägung  des  so  gebildeten 
Jodoforms^).  Das  Gewicht  des  Jodoforms  wurde  auf  Aceton 
berechnet.  Acetessigsäure  wird  dabei  in  Aceton  übergeführt  und 
80  mitbestimmt.  Fast  stets  wurde  der  Harn,  der  innerhalb 
24  Stunden  mit  Toluol  konserviert,  gesammelt  war,  untersucht; 
bei  Ausnahmen  ist  dies  besonders  vermerkt. 

Das  Aceton  der  Atemluft  wurde  mittels  des  von  Wald- 
vogel ^)  konstruierten  Exspirationsapparates  aufgefangen  und 
bestimmt. 

Ich  lasse  nun  zunächst  eine  Gen eraltab eile  über  alle  von 
mir  untersuchten  Fälle  folgen.  Darin  ist  die  höchste  Tages- 
temperatur am  Einliefer ungstage,  die  Kost  am  1.  Spitalstage  und 
die  Acetonmengen,  die  der  Patient  täglich  von  der  Aufnahme  ins 
Krankenhaus  an  ausschied,  vermerkt.  Alles  Nähere  illustriert  die 
Tabelle  selbst. 

(Siehe  die  Tabelle  auf  S.  444  u.  445.) 

Die  höchsten  Acetonwerte  betrugen  bei  Masern  (Fall  14) 
136  mg,  Scharlach  142,4  mg,  Diphtherie  162,4  mg,  Werte,  die 
nicht  wesentlich  von  einander  verschieden  sind.  Die  Quantität 
des  im  Urin  ausgeschiedenen  Acetons  hängt  also  ebenfalls  nicht 
von  der  Art  des  Infektes  ab. 

Auch  auf  die  Quantität  des  durch  die  Atemluft  aus- 
geschiedenen Acetons  scheint  die  Erkrankung  als  solche  keinen 
Einfluss  auszuüben.  Freilich  habe  ich  nur  in  3  Krankheitsfallen 
bei  ungefähr  gleichaltrigen  Kindern  (Scharlach,  Diphtherie,  Angina 
Vincenti)    die  Atemluft    quantitativ   auf  Aceton   untersucht.     Ich 


>)   Spaeth,     Chemische     and     mikroskopische     UotersuchuDgen     des 
Harns.    S.  68. 

S)  Waldvogel,  Die  Acetonkörper,  Stuttgart  1903. 


444 


Mejer,  Zur  Kenntnis  der  Aeetonurie 


Tabelle  I. 


Art  der 

Er- 
krankung 

d 

'S 

Name 

Alter 

1* 

S 

aal.8|iltalatM 

2. 

l^cetoni 
3. 

mengen 
4. 

1 

F.  Seh. 

9J. 

2. 

38,7 

97,8    1) 

88,8 

10,7 

5,6 

2 

a  0. 

6  J. 

2. 

89,5 

109,4    ») 

67,1 

87,8» 

2,4 

« 

3 

Ch.  G. 

9V.  J. 

2. 

38,9 

ie2,4  ») 

88,2* 

2,7 

3,8 

Q 

4 
5 

MM. 

E.  M. 

5  J. 
3  J. 

3. 
2. 

38,8 
37,9 

28,8* 
84,8 

26,6 
41.2 

6,7 
6,» 

1,2 
8,6 

6 
7 

E.  H. 
E.  S. 

11  J. 
11  J. 

4. 
3. 

38,5 
39,1 

3,9 
2,0 

Unwi 
Spn 

Unw& 
Spn 

gbare 
ren 
gbare 
ren 

— 

et 

8 

T.  S. 
cfr.No.16 

7  J. 

1. 

40,4 

5,2 

9,9 

Sporen 

— 

'So 

P 

9 
10 

L.  A. 
F. 

7  J. 
4  J. 

1. 
3. 

39,1 

18,8 
22,4 

2,6 
14,8 

8,5 

""' 

Angina 
Vineenti 
Diphther. 

11 
12 

G.  St. 
H. 

4  J. 
9  J. 

3. 
3. 

39,8 
37,4 

88,2 
20,1 

50,4 

54,7 

74,7  • 

grayisB. 

Masern 

18 

L.  A. 

7  J. 

2. 

89,1 

— 

80,6 

4,6 

u 

14 

G.  T. 

4  J. 

2. 

39,2 

136,8 

«0,7 

12,8 

88,2* 

\ 

15 

E.  V. 

4  J. 

2. 

39,0 

21,4 

44,8 

29,4 

11,9 

M 
2 

16 

T.  S. 

7  J- 

2. 

38,2 

142,4 

44,2 

S,S 

9,8 

17 

S.  L. 

2  J. 

2. 

38,9 

75,2 

«1,7 

M 

SpORII 

<» 

18 
19 

H.  B. 
F.  G. 

4'/iJ. 
2  J. 

2. 
2. 

38,4 
38,2 

72,0 
94,0 

2».9» 

U,7 

Spoitn 
28,1 

')  In  22  Standen  gesammelt,  anf  24 
')   »    12        »  ,  ,24 

•)    .    12        ,  ,  .    24 

=  Entfieberung. 


Stunden  berechnet. 


bei  den  Infektions-Krankheiten  der  Kinder. 


445 


in  Milligramm 
5.        I     6. 


Kost  am 
1.  Tag 


Bemerkungen 


Unwägb. 
Sparen 


3,8 


45,4 


19,7 
13,5* 
Sparen 


15,2 


12,6  — 


>8,8 
23,0 


13,2 

Unwägb. 
Spuren 


Milch,  Eier, 
2   Schrippen 

1500  Milch, 
1  Stulle 

500  Milch, 

2  Stullen, 
500  Reis  am 
2.  Spitalstag 

250  Milch 
80  Milch, 

1  Zwieback 

250  Milch, 
4  Zwiebäcke 

450  Milch, 
Zackerwasser 

400  Milch, 
200  Zucker 
2000  Milch 

Milch, 

100  g  Zucker 

1250  Milch 

Milch,  Zucker, 
Nährkljstier 

600  Milch, 
400  Bouillon 

600  Milch, 
200  Bouillon 

1100  Milch 

1000  Milch 

650  Milch 

1250  Milch 
1000  Milch 


Am  3.  Krankheitstag  50  g  Zucker 


Am  3.  Spitalstag  60  g  Zucker 

Vor  der  Aufnahme  genügende 
Nahrungsaufnahme 
Ausserordentlich    schwerer    Fall. 
Pat.  hat  zu  Hause  täglich  Zucker- 
wasser getrunken 
Bei  weiterer  Temperatur  über  4P 
keine  erhöhte  Acetonausschoidung 

Qualitative  Acetonprobe   vor  der 

Aufnahme  sehr  intensiv 
Am    2.   Spitalstag    30  g    Zucker, 

„      4—6.     „  250  „    Sahne 

Bis  zum  nach  8  Tagen  eintretenden 

Tode  mit  Zuckerwasser    genährt, 

keine  höhere  Acetonurie 

Am  3.  Spitalstag  2  Stullen, 

1  Schrippe 

Am  2.  Spitalstag  30  g  Zucker, 

„3.         „  50  „ 

Am  2.  u.  3.  Spitalstag  statt  Milch 

Sahne 
Vom  2.  Spitalstage  ab  Zugabe  von 

150—200  g  Zucker 

Am    2.   Spitalstag    200   g    Sahne, 

„3.  „  100  „    Zucker 

Vom  2.  Spitalstag  ab  100  g  Zucker 

Am  2.  u.  3.  Spitalstag  100  g  Zucker, 

„    3.  u.  4.         „  Diarrhoen 


Jahrbuch  f.  Kiuderheilkaude.    N.  F.  LXI.  Heft  3 


29 


•446  Mey«r,  Zur  Kenntnis  der  Acetonurie 

will  daher  aus  diesen  Zahlen  keinerlei  Schlüsse  ziehen,  immerhin 
konnte  ich  keine  wesentlichen  Unterschiede  in  der  Aceton- 
ausscheidung  durch  die  Atmung  bei  diesen  3  Krankheiten  fest- 
stellen. 

Ich  fand  am  Tag  der  Aufnahme  eine  tägliche  Aceton- 
ausscheidung 

bei  einem  Fall 

Ton  Scharlach  von   0,149  g  durch   d.  Atemluft  und  0,048  g  im  ürii> 

„     Diphtherie  ,      0,18     »       ,        »  „  „      0,04     „     „       , 

„     Angina  Vincenti      „      0,128  „       „        »  »  ,      0,036  „     .       „ 

Das  Abklingen  der  Acetonausscheidung  durch  die  Lungen 
erfolgte  analog  dem  im  Urin. 

Die  Tatsache,  dass  man  bei  Scharlach  öfter  den  Aceton- 
geruch  aus  dem  Mund  des  Patienten  wahrnimmt,  als  bei  den 
anderen  Infektionskrankheiten,  beruht  vielleicht  darauf,  dass  der 
Eigengeruch  des  diphtherischen  Belags  den  Acetongeruch  verdeckt. 

Ist  nun  die  Acetonurie  abhängig  von  der  Intensität  des 
Infektes?  Auch  diese  Frage  ist  zu  verneinen.  Denn  sehr 
schwer  toxische  Fälle  zeigten  keine  oder  nur  sehr  geringe  Aceton- 
urie. Ein  9jähriger  Junge,  der  an  Diphtheria  gravissima  zugrunde 
ging  (Fall  12),  hatte  nur  20  mg  Aceton  p.  d.,  ein  11  jähriges 
Mädchen  mit  ausserordentlich  intensivem  diphtherischem  Belag 
(Fall  7)  nur  2  mg  Aceton  p.  d.  im  Urin  ausgeschieden.  Ähnliche 
Fälle  habe  ich  noch  häufiger  beobachtet. 

Ebenso  sicher  ergibt  sich  aus  meinen  Untersuchungen,  dass 
die  alte  Anschauung,  nach  der  das  Fieber  die  Acetonurie  ver- 
ursacht, unrichtig  ist. 

Ich  will  hier  auch  nur  einige  Beispiele  herausgreifen. 
(Siehe  nebenstehende  Tabelle.) 

Fall  8,  der  während  seines  Erankenhausaufenthaltes  eine 
starke  Angina  bekam,  hatte  bei  einer  Temperatur  über  40* 
eine    Acetonausscheidung    von    nur    5,2   mg.     (Ahnlich    Fall   7.) 

Derselbe  Knabe  hatte  andererseits  während  einer  Scharlach- 
erkrankung einige  Wochen  vorher  (Fall  16,  Tabelle  II)  trotz 
geringer  (38,2)  Temperatur  die  sehr  hohe  Acetonausscheidung 
von  142  mg  im  Tage.  — 


bei  den  In fektions- Krankheiten  der  Kinder. 
Tabelle  IL 


447 


No.d. 

Datam 

Tem- 

Kost 

Aceton- 

Krankheit 

Tab.  I. 

peratur 

mengen 

8 

1.-2.IV. 
1904 

40,4 

400  com  Milch,  100  Rotwein, 
200  g  Zucker 

5,2 

Angina 

2.-3. 

39,7 

300    ,        .     300  .        . 

9,9 

16 

15.-16.III. 

38,2 

1000  ccm    Milch, 

142,4 

Scarlmiitia 

16.-17. 

38,6 

1830      „          ,,    150  g  Zucker 

44,2 

17.-18. 

88,0 

2630      ,          ,    200  „      . 

8,8 

18.-19. 

38,3 

1550      „          ,    100  ,      , 

9,8 

19.-20. 

37,5 

1600      , 

Spuren 

11 

2.-3.  III. 

39,8 

1250  Milch 

83,2 

Angina 

3.-4. 

39,3 

850      ,    2Heyden8cheNähr- 
kljstiere,  30  g  Zucker 

50,4 

ViDcenti 

4.-5. 

39,6 

850   Milch,   2   N&hrkljstiere 

54,7 

5.-6. 

37,8 

750    Milch,    250    Sahne,    50 
Fleischsaft,  zwei  Eier,  250 
Bouillon,  Vt  Schrippe 

75,7 

6.-7. 

37,0 

750  Milch,   250   Sahne,  500 
Bouillon,  1  £i 

45,4 

7.-8. 

350  Milch,  250  Sahne,  1  Ei, 

1  Stulle,  1  Schrippe,  500 

Bouillon 

12,6 

17 

16.-17.1II. 

38,9 

650  Milch 

75,2 

ScarlmtlDm 

17.-18. 

38,5 

650      „      200  Sahne 

61,7 

18.-19. 

38,1 

880      „       100  g  Zucker 

5,6 

19-20. 

1140      ,       100  „         , 

Spuren 

Die  AcetonausscheiduDg  war  bei  diesem  Knaben  und  im 
Fall  17  am  3.  Spitalstage  schon  zur  Normalen  abgesunken,  während 
erhöhte  Temperatur  noch  fortbestand.  —  Im  Fall  11,  Tab.  II 
findet  man  am  4.  Spitalstage,  an  dem  das  Fieber  abgefallen 
ist,  sogar  noch  eine  Steigerung  der  Acetonausscheidung  von 
54,7  auf  75,7  mg  statt;  die  Acetonurie  dauert  nach  Abfall  des 
Fiebers  fort  im  Fall:  3,  4,  15,  18,  19.  Aus  diesen  wenigen 
Zahlen  (ich  könnte  noch  viele  ähnliche  Beispiele  anführen)  er- 
hellt, dass  das  Fieber  an  sich  ohne  jeglichen  Einfluss  auf 
die  Acetonausscheidung  ist. 

Fieber,  Infekt,  Intensität  der  Erkrankung  sind  also 
nicht  die  Ursachen  der  Acetonurie. 

Wie  steht  es  aber  mit  der  Nahrungsaufnahme  der  von 
infektiösen  Erkrankungen  befallenen  Kinder?  In  allen  von  mir 
beobachteten  Fällen   (ausser  Fall    15,   bei   dem   am  2.   Spitalstag 

29» 


448  Mejer,  Zar  KenDteis  der  Äcetooane 

Fett  dargereicht    wurde)    war  die  Acetonausscheidong  am   Auf- 
nahmetag  am  intensivsten. 

In  der  Tat  war  nach  meinen  Erkundigungen  in  allen  Fällen 
die  Ernährung  der  Kinder  zu  Hause  eine  sehr  mangelhafte  und 
unvollständige;  ich  konnte  mich  stets  davon  aberzeugen,  dass 
die  betreflfenden  Kinder  schon  einige  Tage  vor  dem  Ausbruch 
der  Erkrankung  nach  der  Aussage  der  Mutter  nichts  oder  nur 
sehr  wenig  gegessen  und  getrunken  hatten^).  So  ist  die 
stärkste  Acetonausseheidung  am  ersten  Tage  des  Kranken- 
aufenthalts völlig  erklärt.  Es  handelt  sich  um  einen  Inanitions- 
zustand,  um  das  Fehlen  der  Kohlehydrate  der  Nahrung, 
das  die  Acetonuric  hervorgerufen  hat.  Die  Acetonurie  schwindet 
demnach,  wenn  wir  die  fehlenden  Kohlehydrate  zuführen.  Nun 
besteht  die  Nahrung  in  der  Klinik  zum  grössten  Teil  aus  Alilch. 
In  1  1  Milch  führen  wir  ca.  50  g  Kohlehydrate  ein;  die  ge- 
mischte Kost,  bei  der  2 — 3  Schrippen  im  Tage  gereicht  werden 
enthält  noch  mehr  Kohlehydrate.  Unter  dieser  Nahrung  schwindet 
die  Acetonausseheidung  allmählich  (cf.  Fall  1,  2);  in  4  Tagen 
ist  die  Acetonausseheidung  wieder  normal  geworden.  Ver- 
minderte ich  die  Kohlehydratzufuhr  und  ersetzte  sie  durch 
Mehr  ein  fuhr  von  Fett  in  Gestalt  von  Sahne,  so  verzögerte 
sich  das  Absinken  des  Acetons.  In  den  Fällen  11  und  15,  in 
denen  dies  geschah,  ist  die  Acetonausseheidung  erst  am  7.  Tage 
wieder  normal  zu  nennen.  (Fall  11  ist  in  der  Tabelle  II  mit 
ausführlicher  Kostangabe  angeführt.) 

Dem  entgegen  beschleunigt  eine  grosse  Kohlehydrat- 
gabe von  100 — 200  g  Zucker  unzweifelhaft  den  Ablauf  der 
Acetonausseheidung.  (Geringe  Mengen  Zucker  [50  g]  wirken 
nicht  so  deutlich,  als  grosse.  [Fall  14.])  Fall  16  (Tab.  II)  zeigt 
am  ersten  Tage  eine  Acetonurie  von  142,4  mg,  nach  150  g  Zucker 
fällt  dieselbe  auf  44,2  mg  und  nach  abermaliger  Darreichung  von 
200  g  Zucker  auf  8,8  mg.  Am  8.  Tage  ist  die  Acetonausseheidung 
wieder  eine  normale. 

Ahnlich  verhält  es  sich  in  dem  Fall  17. 

Am   ersten  Spitalstage   ist   im  Urin  76,2  mg  Aceton   nach- 


0  Untersuchungen,  die  inzwischen  von  Langstein  und  mir  am 
gesunden  Kinde  angestellt  worden  sind,  haben  gezeigt,  dass  die  Inanition  tod 
Kohlehydraten  während  2  Tagen  beim  jungen  Kinde  den  Urin -Aceton  wert 
bis  auf  165  mg  steigen  lassen  kann,  ein  Wert,  der  in  keinem  meiner  Fälle 
erreicht  wurde. 


bei  den  Infektious-Krankheiten  der  Kinder.  449 

vreisbar,  am  zweiten  Spitalstage  bei  Sahnezuführung  61,7  mg 
Aceton,  und  am  3.  nach  einer  Gabe  von  100  mg  Zucker  5^6  mg 
Aceton  nachweisbar. 

Ebenso  verlaufen  die  Fälle  3  und  18.  Im  Fall  19  trat 
nach  100  g  Zucker  keine  so  deutliche  Verminderung  des  Acetons 
auf,  da  Diarrhoen  die  Resorption  des  Zuckers  verhinderten. 

Durch  reichliche  Kohlehydratdarreichung  gleich  bei  und  yor 
Ausbruch  der  Erkrankung  kann  die  Entstehung  einer  Acetonurie 
überhaupt  hintan  gehalten  werden.  Der  7jährige  Knabe,  der 
während  eines  in  der  Klinik  durchgemachten  Scharlachs  sehr 
starke  Acetonurie  (cf.  Fall  16)  hatte,  bekam  im  Krankenhaus, 
wie  ich  bereits  gesagt  habe,  eine  Angina.  GUeich  bei  seiner  Er- 
krankung wurden  ihm  200  g  Zucker  gegeben,  die  Aceton- 
bestimmungen  ergaben  keine  Erhöhung  des  Acetonwertes  (Fall  8, 
Tabelle  II).  Ein  11  jähriges,  an  Diphtherie  erkranktes  Mädchen 
hatte  zu  Hause  schon  täglich  grosse  Mengen  Zuckerwasser 
bekommen,  das  Aceton  im  Urin  war  nicht  vermehrt,  ebenso 
zeigte  das  11jährige  Kind  G.  H.  (Fall  6)  keine  erhöhte  Aeeton- 
ausscheidung,  es  hatte  zu  Hause,  wie  ich  feststellen  konnte, 
genügend  Nahrung  zu  sich  genommen. 

Die  Acetonurie  bei  den  Infektionskrankheiten  der  Kinder 
wird  demnach  ebenso,  wie  fast  alle  anderen  Aceton urien  durch 
Kohlehydratinanition  hervorgerufen. 

Es  fragt  sich  indes  noch,  ob  eine  gewisse  Disposition  zur 
Acetonurie  notwendig  ist,  d.  h.  ob  der  eine  Patient  nicht  eher 
imstande  ist,  Kohlehydrate  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  zu  ent- 
behren als  der  andere,  ohne  dass  vermehrte  Acetonausscheidung 
daraus  resultiert,  ob  der  Kohlehydratvorrat  im  Körper  eines 
Kindes  grösser  ist,  als  der  in  dem  Körper  eines  anderen. 

Es  fragt  sich  weiterhin,  ob  das  Lebensalter  einen  Einfluss 
auf  die  Acetonausscheidung  hat,  der  Art,  dass  jugendliche  In- 
dividuen eher  zur  Acetonurie  disponiert  sind,  als  Erwachsene. 

Über  diese  Punkte  können  uns  erst  zahlreichere  Unter- 
suchungen am  normalen  Kinde  Aufschluss  geben.  Solche  Unter- 
suchungen sind  inzwischen  von  Langstein  und  mir*)  angestellt 
worden. 


i)  Vortrag    in    der   Sektion  für  KiDderheilkande  des  Breslaaer  Natur- 
forichertages,  1904  n.  dieses  Heft. 


"450  Meyer,  Zar  Keantnis  der  Acetonarie 

Es  kann  aber  ausserdem  noch  möglich  sein,  dass  bei  Infektions- 
krankheiten eine  schlechtere  Verwertung  der  Kohlehydrate  im 
Körper  zu  der  ungenügenden  Ernährung  hinzutritt,  in  der  Weise, 
wie  es  Poll*)j  ein  Schüler  von  Nordens,  annimmt.  Poll  fand, 
dass  bei  Infektionskrankheiten  fast  stets  eine  alimentäre  Glykosurie 
nach  einer  Gabe  von  100 — 150  g  Zucker,  nüchtern  gegeben,  eintrat, 
während  man  bei  Gesunden  wenigsten  200  g  Zucker,  meist  noch 
viel  mehr,  geben  muss,  um  Glykosurie  zu  erzeugen.  Ich  selbst 
sah  schon  nach  50  g  Zucker  bei  Kindern  (Fall  4)  Sacharum  im 
Harn  auftreten,  und  zwar  0,2  pCt.  Dies  weist  darauf  hin,  dass 
bei  Infektionskrankheiten  der  KohlehydratstofiFwechsel  eine  gewisse 
Störung  erleiden  kann. 

Insofern  könnte  vielleicht  ein  spezifischer  Einfluss  der 
Krankheit  und  der  Toxine,  jedoch  auf  indirektem  Wege  durch 
Beeinflussung  des  Kohlehydratstoffwechsels,  neben  dem  vor- 
wiegenden Einfluss  der  Kost  anerkannt  werden. 

Die  bei  den  Infektionskrankheiten  der  Kinder  vorhandene 
Kohle  h  y!d  ratin  an  ition  gibt  uns  eine  hinreichende  Erklärung 
der  Acetonurie.  Es  ist  auch  hier  nicht  notwendig,  mit 
Waldvogel*)  einen  toxogenen  Fettzerfall  bei  der  Entstehung 
der  Acetonkörper  anzunehmen  und  die  Acetonurie  sich  aus  zwei 
Komponenten,  der  Kohlehydratinanition  und  dem  toxogenen  Fett- 
zerfall, entstanden  zu  denken. 

Man  hat  sich  eine  lange  Keihe  von  Jahren  ausschliesslich 
mit  der  Untersuchung  der  Acetonausscheidung  begnügt,  wohl  aus 
dem  Grunde,  weil  sie  der  Untersuchung  leichter  zugänglich  war. 
Da  namentlich  in  schweren  Fällen  jedoch  das  Aceton  nur  einen 
Bruchteil  der  Acetonkörperausscheidung  angibt,  so  hatMagnus- 
Levy  gefordert,  dass  bei  allen  derartigen  Untersuchungen  auch 
die  Oxy buttersäure  mehr  wie  bisher,  berücksichtigt  wird.  Auf 
seine  Anregung  hin  habe  ich  die  Oxy  buttersäure  in  den  Kreis 
meiner  Untersuchungen  gezogen.  Bekanntlich  finden  wir  beim 
Diabetes  eine  Ausscheidung  von  Aceton,  Acetessigsäure  und 
Oxybuttersäure.  Diese  drei  Substanzen  stehen  chemisch  in  engem 
Zusammenhang  zu  einander.  Die  Oxybuttersäure  geht  bei 
Oxydation  leicht  in  Acetessigsäure  über  und  diese  bildet  unter 
Abspaltung    von    Kohlensäure    Aceton.     Die  Verwandtschaft   der 


0  Arbeiten  ans  dem  Stadt.  Krankenbaus  in  Frankfurt  a./M.    1896. 
')  Monograpbie:  Die  Acetonkörper.    Stuttgart  1903. 


bei  den  Infektions-Krankheiten  der  Kinder.  451 

^rei  Substanzen    wird    durch    die    chemische   Formel    klar    aus- 
gesprochen: 

p  Oxybuttersäure  OH3CHOH  CHj  COOK 

Acetessigsäure  CHgCOCHa  COOH 

Aceton  CHsCOCH». 

Acetessigsäure  fand  ich  in  allen  Fällen,  in  denen  die 
Acetonurie  eine  gewisse  Intensität  angenommen  hatte,  wie  in 
•den  Fällen  2,  3,  14,  17,  18.  Masern,  Scharlach  und  Diphtherie 
zeigten  in  gleicherweise  die  Gerhardtsche  Eisenchloridreaktion 
(nach  Zusatz  von  Eisenchlorid  filtriert  und  nochmaliger  Eisen- 
chloridzusatz)  bei  hoher  Acetonausscheidung.  Erreichte  die 
Acetonausfuhr  nur  geringe  Höhe,  so  blieb  die  Eisenchloridprobe 
negativ.  Der  Verminderung  der  Acetonausscheidung  entsprechend, 
-war    die   Acetessigsäurereaktion  schon  nach  1 — 2  Tagen  negativ. 

Die  Oxybuttersäure  ist  bis  jetzt  erst  einmal  bei  Infektions- 
krankheiten gefunden  worden,  freilich  scheint  auch  nicht  öfter 
nach  ihr  geforscht  worden  zu  sein.  Külz^)  wies  die  Säure 
einmal  bei  Scharlach  und  Masern  durch  Überführung  in  Croton- 
säure  nach.  Ich  habe  in  einigen  Fällen,  die  hohe  Acetonurie 
zeigten,  Oxybuttersäure  mit  Sicherheit  nachgewiesen 
Indirekte  Beweise  für  die  Oxybuttersäureausscheidung,  wie  NH3 
Bestimmung,  Drehung,  genügten  mir  nicht.  Ich  ging  von  vorn- 
herein auf  eine  Reindarstellung  der  Säure  aus.  Dazu  waren 
grössere  Mengen  Urins  notwendig.  Ich  verarbeitete  daher  den 
Urin  von  den  Fällen  11  und  14  (Masern,  Angina  Vincenti)  am 
3.  in.  gemeinsam.  Der  Mischurin  (830  ccm)  wurde  mit  Ammon- 
sulfat  versetzt,  bis  auf  ^i\q  seines  früheren  Volumens  eingedampft, 
die  so  erhaltene  syrupöse  Flüssigkeit  mit  der  Nutsche  abgesaugt, 
•das  Filtrat  mit  Schwefelsäure  versetzt  und  wieder  abgesaugt. 
Die  abgesaugte  Flüssigkeit  wurde  in  dem  Perkolator  (Apparat 
zur  Atherextraktion)  zwei  Tage  lang  mit  Äther  extrahiert;  der 
nunmehr  bleibende  Rückstand  in  Wasser  gelöst  und  polarisiert; 
die  Lösung  ergab  eine  Linksdrehung  von  5,8**  im  Zuckerrohr, 
das  entspricht  1,824  g  Oxybuttersäure.  Auf  dieselbe  Weise 
gewann  ich  aus  dem  Urin  in  den  Fällen  16  und  18  (Scharlach) 
(aus  1300  ccm  Urin)  einen  Extrakt,  der  zusammen  eine  Links- 
•drehung  von  1,5**  6rgab,  entsprechend  0,495  g  Oxybuttersäure. 
Beide    Lösungen  wurden  vereinigt  und  zur  Entfernung  flüchtiger 


0  Zeitschrift  für  Biologie.    Bd.  23,  S.  329. 


452  Meyer,  Zar  Kenntnis  der  Acetonnrie 

Säuren,  nach  Versetzen  mit  Tierkohle,  mittelst  Wasserdampfes 
eine  halbe  Stande  lang  im  Kochen  gehalten;  dann  heiss  filtriert, 
gut  nachgewaschen  und  wieder  bis  zum  Syrup  eingedampft.  Die 
syrupöse  Flüssigkeit  wurde  mit  Äther  aufgenommen,  vom  Un- 
löslichen abfiltriert  und  der  Äther  verjagt.  Der  leicht  gelblich 
gefärbte  Rückstand  v/urde  zwei  Tage  lang  im  Vakuumezsikkator 
über  Kalicausticum  stehen  gelassen  und  dann  mit  einem  ganz 
kleinen  Krystall  Oxybuttersäure,  den  mir  Herr  Dr.  Magnus-Levy 
freundlichst  zur  Verfugung  stellte,  geimpft.  Der  Syrup  erstarrte 
nach  geringem  Umrühren  krystallinisch.  Nach  abermaligem 
längeren  Stehen  über  Kali  wurde  die  erhaltene  Substanz  einmal 
mit  eiskaltem  Äther  und  einmal  mit  einem  Gemisch  von  Äther 
und  Ligroin  gewaschen.  Die  Krystalle  sahen  jetzt  hell  und  klar 
aus;  zum  Trocknen  wurden  sie  einige  Tage  lang  in  den  Vakuum- 
exikkator  gestellt.  Der  Schmelzpunkt  der  kaum  noch  gefärbten 
krystallinischen  Substanz  betrug  49^  der  Schmelzpunkt  der  Oxy- 
buttersäure liegt  zwischen  49  und  50*^.  Die  spezifische  Drehung 
der  erhaltenen  Substanz  betrag  22,5*^,  die  spezifische  Drehung  der 
Oxybuttersäure  beträgt  24,P  (nach  Magnus-Levy),  die  Identität 
der  gewonnenen  Krystalle  mit  der  Oxybuttersäure  war  also  sicher- 
gestellt. 

Der  Nachweis  der  Oxybuttersäure  ist  somit  von  mir  in 
mehreren  Fallen  mit  Sicherheit  gebracht.  Die  Oxybuttersäure 
ist  nicht  als  ein  bei  den  Infektionskrankheiten  seltenes  Aus- 
scheidungsprodukt zu  betrachten;  sie  wird  immer  da  nach- 
gewiesen werden  können,  wo  hohe  Acetonausscheidung  vorhanden 
ist.  Die  Mengen  der  Oxybuttersäure  sind  freilich,  mit  denen 
beim  Coma  diabeticum  verglichen,  gering;  es  ist  indes  von 
systematischer  Bedeutung,  dass  auch  in  diesem  Punkte  die  Aus- 
scheidung der  Acetonkörper  bei  Infektionskrankheiten  mit  der 
allgemeinen  Lehre  übereinstimmt.  Es  kommt  bei  den  Infektions- 
krankheiten der  Kinder  also  auch  zu  einer  Acidosis,  wenn  auch 
eine  letale  Säurevergiftung  bei  der  geringen  Quantität  der  Säure 
wohl  kaum  zu  befürchten  ist. 

Zum  Schluss  fasse  ich  das  Ergebnis  meiner  Untersuchungen 
kurz  dahin  zusammen: 

Aceton,  Acetessigsäure  und  Oxybuttersäure  kommen 
bei  Infektionskrankheiten  der  Kinder  häufig  vor. 

Die  Acetonkörper  verdanken  einer  Kohlehydrat- 
inanition  ihre  Entstehung;   sie   verschwinden   bald   nach 


bei  den  Infektionskrankheiten  der  Kinder.  453 

EiDfuhrung  von  grösseren  Mengen  von  Kohlehydraten 
per  OS. 

Fettzufuhr  scheint  die  Acetonurie  zu  erhöhen. 

Die  Oxybuttersäureausscheidung  ist  ein  Zeichen 
intensiverer  Oxydationsstörung  als  die  Acetessigsäure 
und  Acetonausscheidung. 

Die  Beobachtungen  betreffs  der  Acetonurie  bei  den 
Infektionskrankheiten  stehen  im  völligen  Einklang  mit 
den  allgemeinen  Lehren  über  die  Ausscheidung  der 
Aceton-Körper;  die  Acetonurie  bei  den  Infektions- 
krankheiten ist  als  nicht  spezifisch  aufzufassen. 

Differentialdiagnostisch  ist  die  Acetonausscheidung 
nicht  zu  verwerten. 


3. 

Die  Addose  im  Kindesalter. 

I.  Mitteilung. 
Die  Aeldose  des  älteren  Kindes 

von 

Dr.  LEO  LANGSTEIN  und  Dr.  LUDWIG  F.  MEYER. 

Eine  Yermehrung  des  Ammoniaks  im  Harn  bei  Zucker- 
kranken fand  Hallervorden ^)  im  Jahre  1880.  Hallervorden 
schloss  daraus,  dass  beim  Diabetes  eine  Mehrproduktion  von 
Säuren  stattfände,  die  zu  ihrer  Neutralisation  Ammoniak  an 
sich  reissen  und  aus  dem  Körper  ausführen.  Er  war  zu  diesem 
Schluss  dadurch  berechtigt,  dass  Walter^)  eine  Vermehrung 
der  Ammoniakausscheidung  nach  Einfuhr  anorganischer  Säuren 
festgestellt  hatte.  Hallervorden  glaubte,  dass  auch  die 
supponierte  Säure,  die  als  Ammoniumsalz  ausgeschieden  wurde, 
anorganischer  Natur  sei.  Später  glückte  es  Stadelmann') 
eine  Säure  aus  dem  Harn  des  Diabetikers  zu  isolieren;  es 
handelte  sich  aber  nicht  um  eine  anorganische,  sondern  um  eine 
organischeSäure,  und  zwar,  wieS  tadelmann  nachgewiesenzuhaben 
glaubte,  um  Crotonsäure.  Erst  die  Untersuchungen  vonMinkowski*) 
und  Külz*)  brachten  über  die  Natur  dieser  Säure  völlige  Gewissheit; 
denn  sie  wiesen  nach,  dass  die  fragliche  Säure  mit  der  p  Oxy- 
buttersäure  identisch,  die  Crotonsäure  demnach  nicht  im  Harn 
präformiert,  sondern  ein  sekundär  entstandenes  Zersetzungs- 
produkt ist.  Diese  wichtige  Entdeckung  hat  das  Geheimnis  des 
Ooma  diabeticum    bis    zu   einem  gewissen  Grade  aufgeklärt,  und 


0  Archiv  für  experimeot.  Pathologe  u.  Pharm.  1880,  S.  237. 
')  Archiv  für  experimeot.  Patholog.  u.  Pharm.  1877,  S.  148. 
')  Archiv  für  experiment.  Patholog.  u.  Pharm.  1888,  S.  419. 
*)  Archiv  für  experiment.  Patholog.  u.  Pharm.  1884,  S.  35. 
*)  Zeitschrift  für  Biologie.  1884,  S.  165. 


Langstein -Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter.  455 

heute  hat  die  Lehre  von  dem  Coma  als  einer  Säurevergiftung 
<lank  den  Arbeiten  von  Stadelmann,  Minkowski  und  Magnus- 
Levy  allgemeine  Anerkennung  gefunden. 

In  der  Pathologie  des  Säuglingsstoffwechsels  wurde  das 
Phänomen  einer  vermehrten  Ammoniakausscheidung  durch  Keller^) 
im  Jahre  1896  beim  magendarmkranken  Säugling  gefunden;  — 
die  Werte  der  ausgeschiedenen  Ammoniakmengen  erreichten  eine 
Höhe  bis  zu  50  pCt.  des  Gesamtstickstoffs.  Analog  der  Aus- 
legung, die  man  der  Ammoniaksteigerung  beim  Diabetes  gegeben 
tat,  nahmen  Czerny  und  Keller  an,  dass  diese  im  Harn  des 
magendarmkranken  Säuglings  als  ein  Zeichen  dafür  aufzufassen  ist, 
dass  der  Organismus  grosse  Säuremengen  bildet  und  aus- 
zuscheiden hat.  Czerny  und  Keller  führten  demnach  die 
Ammoniakvermehrung  auf  eine  Acidose  zurück,  id  est  nach 
Naunyn  eine  Mehrproduktion  von  im  Körper  unverbrennlichen 
organischen  Säuren.  Wurde  auch  diese  gesteigerte  Ammoniak- 
ausscheidung beim  magendarmkranken  Säugling  zuerst  von  mancher 
Seite  bezweifelt,  so  besonders  von  Bendix*),  so  musste  doch 
später  dieser  selbst  bei  peinlichster  Versuchstechnik  zugeben, 
dass  eine  Vermehrung  des  Harnammoniaks,  wenn  auch  nicht  bis 
»u  der  von  Keller  angegebenen  Höhe,  in  der  Tat  beim  magen- 
darmkranken Säugling  häufig  gefunden  wird. 

Dass  die  erhöhte  Ammoniakbilduug  auf  eine  intensivere 
Säureproduktion  zurückgeführt  werden  muss,  glaubte  van  den 
Bergh^)  mittelst  des  Schröder-Münzerschen  Kriteriums  nach- 
gewiesen zu  haben;  denn  er  konnte  durch  Alkalizufuhr  die 
Ammoniakausscheidung  bis  auf  Null  herabdrücken.  Pfaundler^) 
hat  später  in  einer  Arbeit,  auf  die  wir  noch  näher  zu  sprechen 
kommen  werden,  die  Verwertbarkeit  dieses  Kriteriums  an- 
gezweifelt. 

Einen  klinischen  Beweis  dafür,  dass  es  sich  beim  chronisch 
magendarmkranken  Kinde  um  eine  Acidose  handelt,  sah  Czerny^) 
darin,  dass  die  Respirationskurve  der  Säuglinge,  die  an  chronischen 
Ernährungsstörungen  starben,  eine  auffallende  Ähnlichkeit  mit 
der  durch  Säure  vergifteter  Tiere  hatten.  Auch  gegen  diese  Art 
der  Beweisführung  hat  Pfaundler  Widerspruch  erhoben. 

1)  MitteiluDgen  aus  der  Breslauer  Kinderklinik.  Dieses  Jahrbuch,  Bd.  44. 
9)  Dieses  Jahrbuch,  Bd.  46,  S.  106  u.  Bd.  48,  S.  165. 
»)  Dieses  Jahrbuch,  Bd.  45,  S.  265. 
*)  Dieses  Jahrbuch,  Bd.  54,  S.  248. 
>)  Dieses  Jahrbuch,  Bd.  45,  S.  271. 


456  Langsteiu-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 

Als  gesichertes  Ergebnis  der  Untersuchungen  der  Breslauer 
Schule  über  die  Ursache  der  AmmoniakTermehrung  beim  Säug- 
ling  kann  angesehen  werden,  dass  diese  dem  alimentären  Einfluss 
unterworfen  ist,  indem  sie  nachwies,  dass  gerade  proportionale 
Beziehungen  zwischen  der  Menge  des  mit  der  Nahrung  zu- 
gefuhrten  Fettes  und  der  des  im  Harn  zur  Ausscheidung  ge- 
langenden Ammoniaks  bestehen. 

Czerny  und  Keller  nahmen  an,  dass  das  Fett  die  Quelle 
organischer  Säuren  ist:  sei  es,  dass  der  intermediäre  Fettabbaa 
des  kindlichen  Organismus  zur  Entstehung  abnormer,  bisher  un- 
bekannter Säuren  fuhrt,  sei  es,  dass  die  oxydative  Energie  des- 
selben unter  gewissen  Verhältnissen  nicht  genügt,  normalerweise 
aus  dem  Fett  entstehende  Säuren  zu  verbrennen. 

Die  Forschung  nach  diesen  Säuren  blieb  ergebnislos;  dieser 
Umstand  führte  Pfaundler^)  zu  einer  völlig  anderen  Erklärung  der 
gesteigerten  Ammoniakausscheidung  .Pfaundler,  der  zwar  eine 
Vermehrung  der  Ammoniakausfuhr  nach  gesteigerter  Fettzufuhr  be- 
stätigte, führte  die  unabhängig  von  der  Ernährung  auftretende 
Ammoniakvermehrung  beim  kranken  Säugling  einerseits  auf  den 
schweren  Allgemeinzustand  desselben,  der  ein  Darniederliegen 
jeglicher  Oxydationskraft  verursacht,  andrerseits  auf  Erkrankung 
des  Leberparenchyms  zurück.  Auf  Grund  von  Untersuchungen,  die 
ergaben,  dass  Lebern  verstorbener  magendarmkranker  Säuglinge 
eine  geringere  Oxydationskraft  (gemessen  an  der  Fähigkeit, 
Salicylaldehyd  in  Salicylsäure  umzuwandeln)  als  normale  Lebern 
hatten,  schloss  Pfaundler,  dass  beim  magend armkranken  Säug- 
ling die  verminderte  Oxydationskraft  der  Leber  eine  Störung 
der  Harnstoffsynthese  verursacht,  dass  es  so  zu  einer  primären 
Ammoniakstauung  und   vielleicht  sekundärer  Acidose  kommt. 

Diese  Deutung  Pfaundlers  wurde  von  anderen  Autoren 
nicht  acceptiert.  Zunächst  hatte  ja  schon  Keller*)  in  einer  seiner 
ersten  Mitteilungen  eine  Störung  in  der  Harnstoffsynthese  beim 
magen darmkranken  Säugling,  an  die  auch  er  bei  den  hohen 
Ammoniakwerten  zuerst  gedacht  hatte,  ausgeschlossen;  denn  nach 
Darreichung  von  Ammoniakverbindungen  per  os  wurde  die  Harn- 
stoffausscheidung erhöht  befunden. 

Brüningä)  wies  normale  Oxydationsfähigkeit  der  Leber  von 

J)  I.  c. 

>)  Jahrb.  f.  Kinderheilk.     Bd.  47.     S.  187. 

»)  MoDatsschr.  f.  Kinderheilk.     1903.     No.  3. 


Langsteio -Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesaltor.  457 

Säuglingen,,  die  an  chronischen  Ernährungsstörungen  zugrunde 
gegangen  waren,  nach,  und  Steinitz^)  betonte,  dass  primäre 
Ammoniakstauung  bei  Erkrankungen  der  Leber  in  der  allgemeinen 
Pathologie  völlig  unbekannt  ist.  Er  betrachtete  den  Versuch 
Pfaundlers,  „die  erhöhte  Ammoniakausscheidung  auch  nur  eines 
Teils  der  chronisch  magendarmkranken  Kinder  durch  Ammoniak- 
stauung infolge  gestörter  Leberfunktionen  oder  relativer  In- 
suffizienz der  Leber  zu  erklären",  als  gescheitert. 

Die  Tatsache,  dass  Pfaundler  bei  Untersuchungen  der 
Harnstoffausscheidung  von  Säuglingen  auffallend  niedere  Werte 
gefunden  hat,  kann  vorerst  nicht  im  Sinne  seiner  Theorie  ver- 
wertet werden.  Denn  er  selbst  meinte,  dass  seine  Resultate  vor- 
läufig mit  Rücksicht  auf  die  angewandte  Methodik  noch  nicht 
zu  bindenden  Schlüssen  berechtigen  —  auch  haben  Langstein 
und  Stein itz  bei  einer  allerdings  nur  geringen  Anzahl  unter- 
suchter Säuglinge  die  Harnstoffausscheidung  nicht  vermindert  ge- 
funden. Aus  dem  Verhalten  eines  toten  Organs  bei  der  Autolyse 
Rückschlüsse  auf  seine  vitalen  Funktionen  einzuziehen,  erscheint 
uns  vorläufig  noch  nicht  angängig.  Pfaundler  selbst  scheint, 
wenn  es  erlaubt  ist,  nach  seinem  jüngsten  Vortrag  auf  der  Breslauer 
Naturforscher -Versammlung  zu  urteilen,  seine  Anschauung  über 
die  Ursache  der  Ammoniakvermehrung  we^^entlich  modifiziert 
zu  haben,  so  dass  er  heute,  wie  er  sich  selbst  ausdrückt,  nicht  all- 
zuweit   von    der    Auffassung  der    Breslauer    Schule    ertfernt    ist. 

Auch  die  Anschauungen  der  Breslauer  Schule  selbst  über 
das  Wesen  der  Acidose  unterlagen  einer  allmählichen  Wandlung. 
Da  die  Forschung  nach  den  aus  dem  Fett  entstehenden  Säuren 
auch  weiterhin  ergebnislos  geblieben  war,  suchte  sie  nach  anderen 
Ursachen  der  vermehrten  Ammoniakansscheidung.  Es  glückte 
Steinitz'-*)  nachzuweisen,  dass  das  Ammoniak  nicht  nur  Indikator 
der  Säuren,  sondern  auch  Vertreter  und  durch  seine  im  Urin  aus- 
geschiedene Menge  teilweise  der  Massstab  für  die  durch  die  Faeces 
dem  Körper  verloren  gehenden  fixen  Alkalien  ist.  Alkali  geht 
dadurch  verloren,  dass  das  Fett  der  Nahrung  einerseits  Säuren 
im  Darm  entstehen  lässt,  die  das  Alkali  an  sich  reissen  und  mit 
dem  Faeces  ausführen,  und  dass  fettreiche  Nahrung  andrerseits 
die  Sekretion  des  Pankreassaftes  und  der  Galle, erhöht  und  so  eine 
Ausfuhr  fixer  Alkalien  begünstigt.     „Um  einen  grösseren  Verlust 

1)  Jahrb.  f.  Kinderboilk.     Bd.  57.     S.  689. 
•)  Monatdsclir.  f.  K inderheil k.     1.     S.  22.3. 


458  LangsteiD-Meyer,  Die  Acidoso  im  RiDdesulter. 

seines  Alkalibestandes  zu  vermeiden,  wird  der  Organismus,  ent- 
sprechend  der  Deutung  von  Steinitz,  gezwungen,  Ammoniak  als 
Neutralisationskörper  vorzuschieben." 

Danach  wäre  die  Ammoniakvermehrung  beim  magendarm- 
kranken  Säugling  nicht  mehr  auf  eine  intermediäre  Acidose^ 
sondern  auf  eine  enterogene,  relative  Acidose,  oder  besser 
gesagt,  eine  Alkalopenie  (wie  Pfaundler  diesen  Vorgang  jüngst 
treffend  bezeichnete),  zurückzuführen.  Die  Ursache  für  die  Ent- 
stehung dieser  niederen  Säuren  aus  dem  Fett  —  freilich  nur  in  einer 
beschränkten  Anzahl  von  Fällen  —  ausfindig  zu  machen,  ist  Salge^) 
gelungen.  Er  fandinFällen  vonEnterokatarrh,demdieHe ubnersche 
Schule  unter  den  Magen-Darmkrankheiten  der  Säuglinge  wegen  seine» 
abgegrenzten  Symptomenkomplexes  einen  selbständigen  Platz  zu- 
weist, eine  starke  Übersäuerung  des  Darms,  hervorgerufen  durch 
die  Tätigkeit  des  blauen  Bazillus,  der  nach  Salges  Unter- 
suchungen unter  anderem  die  Fähigkeit  besitzt,  hohe  Fettsäuren 
in  niedere  zu  spalten.  Auch  Salge  nahm  eine  enterogene  Ent- 
ziehung des  Alkalis  als  wahrscheinlich  an. 

Die  Frage    nach    der  intermediären  Entstehung  von  Säuren 
wurde  damit  als  erledigt  betrachtet,  und  der  durch  Pfaundler') 
gegebene  Hinweis,    dass    die    auf    diesem  Gebiete  so  erfolgreiche 
Forschung    der    allgemeinen  Pathologie   uns  vielleicht  einen  Weg 
anzeigt,     den    zu    gehen    sich    wohl    der    Mühe    lohnen     würde^ 
wurde   nicht    weiter    beachtet.     Und    doch   erscheint  dieser  Hin- 
weis   Pfaundlers    umso   berechtigter,   als    die     Untersuchungen 
von   Hirschfeld^)   und  Rosenfeld*)   gezeigt  haben,    dass  beim 
schweren  Diabetiker  ebenso  wie   beim  Gesunden  der  Ausfall  der 
Kohlehydrate  in  der  Nahrung  die  Entstehung  von  gewissen  Fett- 
säuren   und    deren    Derivaten    verursacht.      Diese    sind    Aceton,. 
Acetessigsäure,   Oxybuttersäure,    deren   chemische  Verwandschaft 
aus  ihrer  Strukturformel  ohne  weiteres  hervorgeht. 
CHs  —  CO  —  CHs  Aceton 
CHs  —  CO  —  CHaCOOH  Acetessigsäure 
CHg  —  CH(OH)  —  CH2  —  COOH  Oxybuttersäure, 
Man  nimmt  heute  ziemlich  allgemein  an,  dass  beim  Abbau  de» 
Fettes  im  Organismus  zuerst  Oxybuttersäure  entsteht,  aus  ihr  durch 

i)  Jahrb.  f.  Kioderheilk.     Bd.  59. 

>)  1.  c. 

>)  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin.     Bd.  28  u.  31. 

*)  Deutsche  med.  Wochenschr.     1895. 


Langstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter.  459 

Oxydation  die  Acetessigsäure  und  aus  dieser  durch  Kohlensäure- 
Abspaltung  das  Aceton.  Im  Urin  tritt  bei  Eohlehydratkarenz 
zuerst  das  Aceton,  dann  die  Acetessigsäure  und  erst  nach  längerer  Zeit 
die  Oxybuttersäure  auf.  Dass  die  Acetonkörper  im  Fett  ihre  Mutter- 
substanz haben,  geht  aus  den  neueren  Arbeiten  von  Geelmuyden, 
Schwarz  und  Magnus-Levy  hervor.  Als  Ort  ihrer  Entstehung 
wurde  eine  Zeitlang  der  Darm  betrachtet.  Heute  glaubt  man 
indes,dass  die  oft  sehr  grossen Oxybuttersäuremengen(beimDiabetes 
wurden  von  Magnus-Levy  über  200  g  p.  d.  beobachtet)  unmöglich 
im  Darm  entstehen  können,  besonders  da  man  nur  selten  geringe 
Mengen  der  Acetonkörper  im  Magen- Darminhalt  fand.  Nach  der 
heutigen  Anschauung  entstehen  die  Acetonkörper  in  den  Geweben  der 
Organe.  Wie  man  sich  die  Beziehung  der  Kohlehydrat-Karenz  zur 
Bildung  der  Acetonkörper  vorzustellen  hat,  ist  noch  keineswegs  klar- 
gestellt. Möglicherweise  erleichtert  eine  im  intermediären  StoflP- 
wechsel  eintretende  Kuppelung  von  Kohlehydrat  und  Fett  die  Ver« 
brennung  dieses  (F.  Müller).  Das  Fehlen  des  Kohlehydrates  wurde 
danach  eine  Störung  im  Fettabbau  verursachen,  die  sich  in  der  Aus- 
scheidung der  Acetonkörper  äussert.  Einige  Autoren  glauben  an 
eine  anders  geartete  Wirkung  der  Kohlehydrate  im  intermediären 
Stoffwechsel.  Es  würde  aber  zu  weit  führen,  darauf  des  näheren 
einzugehen;  wir  verweisen  auf  die  Monographien  von  Mohr, 
Waldvogel,  Magnus-Levy. 

Die  Ausscheidung  der  Acetonkörper  ist  also  tatsächlich  der 
Ausdruck  einer  Mehrproduktion  organischer  Säuren  im  Organismus, 
einer  Acidose  im  Naunynschen  Sinne.  Und  diese  Acidose  haben 
wir  Kinderärzte  sehr  häufig  zu  beobachten  Gelegenheit.  Darauf 
macht  auch  Friedrich  Müller  in  dem  Handbuch  der  Er- 
nährungstherapie mit  folgenden  Worten  aufmerksam:  „Bei  Kindern 
tritt  febrile  Acetonurie  offenbar  viel  stärker  hervor,  wie  bei  den 
Erwachsenen.  Schon  bei  kurz  dauernden  fieberhaften  Affek- 
tionen kann  man  bei  Kindern  den  charakteristischen  Acetongeruch 
der  Ausatmungsluft  erkennen",  und  etwas  später:  „Diese  Neigung 
zur  Acidose  muss  eine  besondere  Eigentümlichkeit  des  Kindes 
sein". 

Der  eine  von  uns  [Meyer^)]  hat  schon  vor  einiger  Zeit 
bei  Gelegenheit  von  Untersuchungen  über  die  Acetonurie  bei 
Infektionskrankheiten  der  Kinder  tatsächlich  das  ausserordentlich 
häufige  Vorkommen    der  Ausscheidung    von  Acetonkörpem  kon- 


>)  Dieses  Jahrbach,  dieses  Heft. 


4(K)  LaDgstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesaiter. 

statieren  können;  er  fand,  dass  bei  Scharlach  und  Diphtherie 
70  pCt,  bei  Masern  60  pCt.  aller  Kinder  Acetonurie  hatten. 
Zar  Entscheidung  der  Frage  nach  der  intermediären  Acidose 
beim  Säugling  war  es  daher  von  Wichtigkeit,  experimentell  zu 
prüfen,  ob  eine  solche  Neigung  zur  Acidose,  wie  sie  Friedrich 
Müller  für  wahrscheinlich  hält,  bei  Kindern  besteht,  und  wie 
sie  sich  äussert.  Da  wir  vorerst  nicht  wagten,  Säuglinge  zu 
solchen  Untersuchungen  zu  verwenden,  orientierten  wir  uns  über 
den  Fettstoffwechsel  bei  Kindern  im  Alter  von  6 — 14  Jahren. 
Diese  bekamen  einige  Tage  hindurch  ausschliesslich  Eiweiss- 
Fettdiät  mit  vollständiger  Ausschliessung  der  Kohlehydrate.  Sie 
reagierten  ohne  Ausnahme  darauf  mit  erhöhter  Ausscheidung  von 
Acetonkörpern. 

Um  ein  genaues  Mass  der  im  Körper  bestehenden  Acidose 
zu  erhalten,  bestimmten  wir  quantitativ: 

1.  das  Aceton  im  Urin  (inklusive  Acetessigsäure,  die  stets 
mitbestimmt  wurde); 

2.  das  Aceton  der  Ausatmungsluft  (nach  Geelmuyden 
und  Schwarz  verlässt  ein  wesentlicher  Teil  des  Acetons  durch 
die  Atemluft  den   Organismus); 

3.  die  Oxy buttersäure  im  Urin. 

Gleichzeitig  untersuchten  wir  die  Gesamtstickstoff-  und 
Ammoniakausscheidung  durch  den  Urin,  um  so  auf  die  von 
Bendix^)  aufgeworfene  Frage  eine  Antwort  geben  zu  können, 
„ob  organische  Säuren,  indem  sie  zum  Teil  un verbrannt  mit 
Ammoniak  verbunden  durch  den  Harn  austreten,  eine  Ammoniak- 
steigerung bedingen". 

Die  dabei  zur  Anwendung  gelangenden  Methoden  waren 
folgende:  Das  Aceton  wurde  zuerst  nach  der  in  der  oben 
zitierten  Arbeit  von  Meyer  beschriebenen  Jodoformwägemethode 
bestimmt.  Da  sich  herausstellte,  dass  diese  Methode  zur  Be- 
stimmung kleinster  Mengen  Acetons,  wie  sie  in  der  Atemluft 
vorkommen,  nicht  brauchbar  ist,  kam  fortan  allgemein  für  die 
quantitative  Bestimmung  des  Acetons  in  Atemluft  und  Urin  die 
Messinger  Huppertsche  Titriermethode  zur  Anwendung,  wie  sie 
bei  Waldvogel^)  beschrieben  ist.  Fast  regelmässig  wurden 
zwei  Kontrollbestimmungen  gemacht,  die  gut  übereinstimmten. 
Das    Aceton    der    Atemluft    wurde    meist    zweimal    am   Tage  je 


»)  L.  c. 

3)  Monographie  der  Acetonkorper. 


Langstein-Mejer,  Dio  Acidose  im  Kiodesalter. 


461 


20  Minuten  in  dem  ebenfalls  von  Waldvogel  beschriebenen 
Exhalationsapparat  aufgefangen  und  bestimmt.  Oxy buttersäure 
wurde  nach  der  Vorschrift  von  Magnus-Levy  aus  dem  Harn 
isoliert,  durch  Überführung  in  Crotonsäure  identifiziert  und  ihre 
Menge  polarimetrisch  berechnet.  Die  Analyse  des  Stickstoffs 
geschah  nach  Kjehldahl,  die  des  Ammoniaks  im  Yacuum  nach 
Reich.  Zum  Zwecke  der  Arbeitsteilung  bestimmte  der  eine  von 
«ns  (Meyer)  die  Menge  der  Acetonkörper,  der  andere  (L ang- 
stein) die  der  stickstofPhaltigeu  Bestandteile. 

Zu  den  Versuchen  dienten  teils  Kinder  mit  Erkrankungen, 
<lie  den  Allgemeinzustand  nicht  beeinträchtigten^  teils  Patienten, 
<lie  schon  geraume  Zeit  nach  dem  Überstehen  einer  akuten 
Krankheit  waren. 

Es  ist  bekannt,  class  schon  normalerweise  geringe  Mengen 
Acetons  durch  Urin  und  Atemluft  ausgeschieden  werden.  Bei 
Erwachsenen  reicht  dieser  Normalwert  im  Urin  bis  zu  3  und  4  cg. 
p.  d.  Der  von  Meyer  für  die  Menge  des  vom  Kinde  im  Urin 
ausgeschiedenen  Acetons  angegebene  Noimalwert  bis  zu  1  cg  wurde 
■auch  in  unsern  neuen  Untersuchungen  nicht  wesentlich  überschritten. 

In  derExpirationsluft  gesunderErwachsenerfandenJ. Müller*) 
bis  79  mg,  Schwarz^)  102,8  mg  Aceton  p.  d.;  beim  Kinde  er- 
hielten wir  Werte  bis  69  mg  in  24  Stunden.  Acetessigsäure  und 
Oxybuttersäure  konnten  unter  normalen  Verhältnissen  bei  ge- 
mischter Kost  niemals  nachgewiesen  werden. 

Wir  lassen  zunächst  zwei  Tabellen  folgen,  die  die  Aceton- 
körpervermehrung  bei  der  Kohlehydrat-Karenz  des  Erwachsenen 
illustrieren. 

Tabelle  I.  Erwachsener, 
zitiert  nach   Hirschfeld").  Tabelle  II.  Erwachsener, 

Aceton  im  Urin.  zitiert  nach  J.  Müller*). 


Fall  I 

Fall  II 

1. 

Tag 

18  mg 

52  mg 

II. 

n 

21    , 

98    „ 

III. 

n 

121    , 

191    , 

IV. 

» 

165    , 

219    . 

V. 

n 

183    , 

245    , 

VI. 

9 

213    , 

364    „ 

Harn- 

Atemluft- 

Gesamt- 

Acoton 

Aceton 

Aceton 

I.  Tag 

20  mg 

58  mg 

78  mg 

TT.      , 

46    . 

77    « 

123    „ 

III.      , 

115    „ 

122    „ 

237    „ 

IV.      „ 

206    „ 

146    , 

352    ^ 

1)  Arch.  f.  experimentelle  Pathologie  u.  Pharmakologie.   Bd.  40.   S.  Sö2 
and  Kongress  f.  inn.  Medizin.     1892. 

»)  Kongress  f.  inn.  Medizin.     1900.    Arch.  f.  experimentelle  Pathologio 
u.  Pharmakologie.     Bd.  40.     S.  168. 

•)  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin.     Bd.  28. 

*)  Kongress  f.  inn.  Medizin.     1898.     S.  454. 
JAhrbnch  f.  Kinderhellkiiude.    N.  F.    LXI.    Heft  3.  30 


462 


Langstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 


Die  Menge  des  Acetons  im  Urin  steigt,  wie  aus  den  an- 
geführten Tabellen  ersichtlich  ist,  sofort  bei  Kohlehydratentziehung- 
Der  Anstieg  erfolgt  allmählich,  in  Tabelle  I  von  13  mg  am  ersten 
Tage  auf  21  mg  am  zweiten  und  121  mg  am  dritten  Tage  u.  s.  w. 
Die  Acetonmenge  nimmt  auch  dann  noch  stetig  zu,  doch  konnten  die 
Versuche  aus  Rücksicht  auf  das  Wohlbefinden  der  Patienten  nur 
eine  beschränkte  Reihe  von  Tagen  ausgeführt  werden.  Die  Menge 
des  Acetons  der  Atemluft  vermehrt  sich  beim  Erwachsenen  in 
nicht  so  intensiver  Weise  wie  das  des  Urins.  W^ährend  der  Gehalt 
des  Harns  an  Aceton  bei  Kohlehydrathunger  schon  nach  wenigen 
Tagen  um  das  Zehnfache  gesteigert  ist,  beträgt  die  Menge  des 
Atemluftacetons  dann  nur  er.  das  Dreifache  des  Normalwertes 
(siehe  Tabelle  II).  Zur  besseren  Übersicht  lassen  wir  noch  eine 
Tabelle  folgen,  die  Mittelwerte  angibt,  gewonnen  aus  den  Arbeiten 
von  Johannes  Müller'),  Schwarz^),  Waldvogel')  und 
Schumann-Leclercq*). 

Tabelle  III. 
Mittelwerte   bei  Erwachsenen  in  Reihen   mit   der  Dauer  bis 
zu  fünf  Tagen: 


Aceton 

Aceton 

Gesamt- 

(Urin) 

(Atemluft) 

Aceton 

I.  Tag 

44  mg 

70  mg 

148  mg 

Durchschnitt 

der  höchst  erreichten 

Werte 

237    , 

246    ^ 

398    , 

Überhaupt  höchste 

Werte 

430    , 

672    „ 

824    „ 

Danach  erreicht  die  Menge  des  Atemluftacetons  ungefähr 
den  Wert  wie  die  des  Urinacetons,  während  normalerweise  bei 
gemischter  Kost  in  der  Atemluft  bedeutend  mehr  (ungefähr 
10 — 20mal  soviel)  Aceton  durch  die  Lungen  ausgeschieden  wird 
wie  durch  den  Urin.  Auch  Oxybuttersäure  wird  bei  Kohlehydrat- 
Karenz  des  Erwachsenen  häufig  gefunden.  Leider  sind  die  Werte, 
die  in  dieser  Hinsicht  in  der  Literatur  der  allgemeinen  Pathologie 
angegeben  sind,  nur  spärlich  und  die  vorhandenen  schwankend. 
Man    hat    sich    meist  mit  der  Bestimmung  des  Acetons  begnügt^ 


0  L.  c. 

2)  L.  c. 


3)  L.  c. 

*)  Wiener  klin.  Woclienschr.    .1901.     No.   10. 


Langstein-Mc^er,  Die  Acidose  im  Kioilcsalter.  463 

obwohl  durch  Veruachliissigung  der  Oxybuttersäureausscheidung 
fast  der  Hauptteil  der  Aceton körper,  wie  auch  unsere  Unter- 
suchungen zeigen  werden,  der  Bestimmung  entgeht.  Bei  Nebel- 
tliau*)  finden  wir  0,08  bis  0,18  Oxybuttersaure  nach  viertägiger 
Abstinenz  und  bei  Gerhardt  und  Schlesinger'*)  einmal  sogar 
einen  Wert  von  7  g  nach  fünftägiger  Kohlehydrat-Karenz  an- 
gegeben. 

Acetessigsäure  ist  stets  vorhanden  und  wird  mit  dem  Aceton 
bestimmt.   — 

Ammoniakbestimmungen  bei  gesunden  Erwachsenen,  denen 
das  Kohlehydrat  der  Nahrung  entzogen  war,  sind  einmal  von 
Gerhardtund  Schlesinger')  ausgeführt  worden;  sie  beobachteten 
dabei  eine  Steigerung  der  Ammoniakausfuhr.  Zum  ersten  Male 
wird  durch  unsere  Versuche  festgestellt,  wie  der  kindliche  Organismus 
auf  die  gebildeten  Säuren  reagiert.  Die  Bedeutung  der  Ammoniak- 
vermehrung, die  Sc  bitten  hei  m*)beimErwachsenen  undSteinitz**) 
beim  Säugling  nach  überreichlicher  Fettnahrung  festgestellt  haben, 
liegt  in  andrer  Richtung;  jedenfalls  verursachen  dabei  nicht  die 
\cetonkörper,  die  nui  bei  Kohlehydrat-Karenz  auftreten,  die 
Amnioniakvermehrung. 

Es  ist  viel  darüber  gestritten  worden,  ob  der  absolute 
Ammoniakwert  oder  der  Ammoniakkoeffizient  (Verhältnis  des 
GesamtstickstofFs  zum  Ammoniakstickstoff)  Indikator  der  ver- 
mehrten Säureausscheidung  .  ist.  Während  Friedrich  Müller 
nur  eine  Erhöhung  des  absoluten  Ammoniakwertes  als  beweisend 
anerkennt,  betonen  Camerer  jun.*)  und  Schittenhelm^)  die 
Abhängigkeit  des  absoluten  Ammoniakwertes  von  der  Eiweiss- 
zersetzung  und  führen  stets  als  Jndikator  der  Säure  Vermehrung 
den  Ammoniakkoeffizienten  an.  Ohne  uns  vorläufig  für  die  eine 
oder  für  die  andre  Auffassung  zu  entscheiden,  haben  wir  in 
unseren  Versuchen    stets    beide  Werte  berechnet  und  angegeben. 

Wir  lassen  nun   unsere  eignen  Versuche  folgen: 

Versueh  I. 

£iii  I4jähriger  Knabe,  der  an  Alopecia  areata  leidet,  ohne  sonstige 
Störangeo    des    Allgemeinbefindens,    wird    6  Tage    lang    anf   fiiweissfetcdiät 

0  Centralbl.  f.  inn.  Medizin.     1897.     S.  977. 

*)  Arch.  f.  experimentelle  Pharmakologie  u.  Pathologie.    1899.    Bd.  42, 

•)  Arch.  f.  klin.  Medizin.     1903.    Bd.  77.    S.  518. 

*)  L.  c. 

»)  Centralbl.  f.  inn.  Medizin.     1904.     Bd.  3. 

«)  Zeitschr.  f.  Biologie.     1902.     S.  37. 

0  L.  c. 

30* 


464 


Langstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 


gesetzt.     (Das    Gewicht   des  Knaben    ist   32    kg).     Die  Eroähriing    während 
dieser  Zeit  ist  folgende: 

1.  Tag.     Gemischte  Kost. 

2.  Tag.     1450  Bonillon,  500  Fleisch,  5  £ier,  800  Tee,  40  Butter. 

8.  Tag.     1650  Bouillon,  250  Fleisch,  80  Wurst,  800  Tee,  5  Eier,  150  Butter. 

4.  Tag.     2000  Bouillon,  300  Fleisch,  30  Wurst,  800  Tee,  6  Eier,  200  Butter 

5.  Tag.    2000  Bouillon,  300  Fleisch,  800  Tee,  6  Eier,  200  Butter. 

6.  Tag.     1300  Bouillon,  250  Fleisch,  1100  Tee,  6  Eier,  250  Butter. 

7.  Tag  und  8.  Tag  gemischte  Kost,  100  Zucker. 

Die  folgende  Tabelle  bringt  die  Menge  der  in  diesen  Tagen 
ausgeschiedenen  Acetonkörper  und  des  ausgeschiedenen  Ammoniaks. 

Tabelle  IV. 
F.  K.  14  Jahre  (Alopecia). 


Tag 

UriD- 
menge 

Aceton 

(Urin) 

mg 

Aceton 
(Atem- 

luft) 

mg 

Aceton 

(gesamt) 

mg 

N 

NH, 

in  mg 

NH, 
Koeff. 

Oxy- 

batter- 

säore 

mg 

I. 
(ge- 
mlachte 
Kostj 

2000 

3,9 

— 

— 

11,14 

493 

4,4 

— 

II. 

1800 

7,8 

— 

— 

14,11 

473 

8,3 

— 

III. 

1720 

4,2 

13,9 

18,1 

13,70 

559 

4 

— 

V. 

2150 

84,2 

28,8 

113,0 

17,09 

830 

4,8 

— 

V. 

2200 

156,4 

39,5 

195,9 

12,38 

616 

4,9 

0,3 

VI. 

1150 

109,5 

146,2 

155,7 

11,30 

599 

5,3 

— 

VII. 

1575 

188,8 

92,9 

281,7 

12,55 

802 

6,8 

0,3 

VIII. 

1175 

44,5 

44,0 

88,5 

8,817 

651 

7,4 

— 

IX. 

(g«- 
mischte 

KOBl) 

1150 

14,5 

14,0 

28,5 

7,99 

741 

9,3 

— 

Aus  den  angeführten  Zahlen  lässt  sich  für  das  Verhalten 
des  14jährigen  Knaben  bei  Kohlehydratkarenz  folgendes  schliessen: 

Der  Normalwert  für  das  in  Atemluft  und  Urin  enthaltene 
Aceton  liegt  unter  dem  für  Erwachsene  angebenen  Wert,  eine 
Tatsache,  die  beim  geringeren  Körpergewicht  des  14jährigen 
Jungen  leicht  verständlich  ist.  Langsam  vollzieht  sich  die  Er- 
höhung der  ausgeschiedenen  Acetonmenge,  die  am  6.  Tage  in 
einer  Gesamtquantität  von  281,7  mg  ihre  höchste  Höhe  erreicht, 
ein.  Wert,  der  ebenfalls  unter  dem  für  Erwachsene  ermittelten 
Mittelwert  (398  mg)  liegt.  Das  Verhältnis  des  in  Atemluft  und 
Urin  ausgeschiedenen  Acetons  beträgt  1,3:1  und  1:2,  ähnlich 
wie  beim  Erwachsenen,  bei  dem  Waldvogel' für  diesen  Quotienten 
den  Wert   1  :  2  angegeben  hat;  das  heisst:  während  bei  normaler 


Langstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 


465 


Ernährung  die  Menge  des  ausgeatmeten  Acetons  die  des  Urin- 
acetons  überragt,  tritt  bei  Kohlehydratkarenz  mehr  Aceton 
durch  den  Urin  aus,  als  durch  die  Lungen.  Sofort  nach  Dar- 
reichung der  Kohlehydrate  sinkt  die  Acetonausscheidung  im 
Verlauf  von  2  Tagen  fast  zu  normalen  Werten. 

Acetessigsäure  ist  am  4.  Tage  der  Kohlehydratkarenz  nach- 
weisbar. Oxybuttersäure  wird  am  4.  und  6.  Tage  bestimmt; 
ihre  Menge  beträgt  ca.  0,3  g  p.  d. 

Die  Reaktion,  die  der  Organismus  des  14jährigen  auf 
Kohlehydratentziehung  zeigt,  entspricht  also  vollkommen  den 
bei  Erwachsenen  konstatierten  Gesetzen. 

Die  Ammoniakvermehrung  im  Urin  ist  erst  deutlich,  nach- 
dem die  Acetonausscheidung  schon  eine  beträchtliche  Höhe  er- 
reicht hat.  Der  Koeffizient  beträgt  am  1.  Tage  4«4  (normal), 
am  8.  Tage  698;  nachdem  die  Acetonausscheidung  schon  wieder 
normale  Verhältnisse  zeigt,  hält  sich  der  Ammoniakkoeffizient 
auf  der  Höhe  von  9,8.  Aceton-  und  Ammoniakvermehrung  gehen 
also  nicht  völlig  Hand  in  Hand.  Die  letztere  tritt  später  auf 
und  bleibt  länger  bestehen  als  die  erstere. 

Versuch  IL 

Ein  8  jähriges  Mädchen  (mit  einem  Gewicht  von  21200),  das  an 
Gonorrhoe  leidet,  erhält  6  Tage  lang  Eiweissfettdiät.  Die  Ernährung  während 
dieser  Zeit  ist  folgende: 

1.  Taff.    500  Bouillon,  900  Tee,  150  Fleisch,  4  Eier,  40  Butter. 

2.  Tag.    800  Eouillon,  900  Tee,  5  Eier,  150  Fleisch,  70  Butter. 
8.  Tag.     900  Bouillon,  600  Tee,  150  Fleisch,  6  Eier,  100  Butter. 

4.  Tag.     1050  Bouillon,  750  Tee,  260  Fleisch,  5  Eier,  180  Butter. 

5.  Tag.    700  Bouillon,  500  Tee,  50  Schinken,  130  Wurst,  5  Eier,  200  Butter. 

6.  Tag.    550  Bouillon,  500  Tee,  130  Fleisch,  50  Wurst,  4  Eier,  200  Butter. 

7.  Tag.     Gemischte  Kost. 

Tabelle  V. 
E.  S.  8  Jahre  (Gronorrhoe). 


Aceton 

Oxy. 
butter- 

Tag 

Urin- 

Aceton- 

(Atem- 

Aceton 

N       NH, 

NH, 

menge 

(Urin) 

luft) 

(gesamt) 

1 

Koef. 

säure 

I 

1500 

15,7 

14,4 

30,1 

11,3 

370 

'     3,3 

II 

1750 

65,3 

118,4 

183,7 

10,29 

461 

4,4 

III 

1200 

165,8 

165,8 

331,6 

10,55 

463 

4,3 

1 

IV 

1425 

171,2 

194,4 

365,6 

9,157 

718 

7,8 

[8,8 

V 

1200 

159,2 

— 

— 

8,77 

806 

9,1 

1 

VI 

1200 

130,0 

86,4 

216,4 

9,744 

1100 

8,8 

VIT 

1100 

17,0 

21,6 

38,6 

10,56 

1150 

9,1 

460  Langstein-Mcjcr,  Die  Acido^e  im  Kiodesaller. 

Das  Ansteigen  der  Acetonausscheidung  im  Urin  vollzieht 
sich  rascher  wie  bei  dem  14jährigen  Jangen,  erreicht  aber  keinen 
ebenso  hohen  Wert.  Die  höchste  Ausscheidung  beträgt  am 
4.  Tage  171,2  gegen  188,8  beim  14jährigen  Jangen;  in  der  Atem- 
Infi  äussert  sich  die  Acetonausscheidung  in  intensiverer  Weise. 
Hier  beträgt  die  höchste  Ausscheidung  194,4  mg  am  4.  Tage  der 
Eohlhydrat-Earenz,  während  sie  bei  dem  14jährigen  nur  146  mg 
am  5.  Tage  des  Versuches  beträgt;  dementsprechend  ist  die 
Gesamtacetonausscheidung  bei  dem  8jährigen  Mädchen  grösser  als 
in  Versuch  I.  Doch  schon  hier  wollen  wir  bemerken,  dass  indi- 
viduelle Untersclüede  eine  Rolle  spielen,  dass  man  also  auf  der- 
artige kleine  Differenzen  kein  besonderes  Gewicht  legen  darf. 
Das  Verhältnis  von  Atemaceton  zu  Urinaceton  ist  am  3.  Tage 
1:1,  am  4.  Tage  0,9:  1,  am  6.  Tage  1:1,5.  Der  Quotient  ver- 
hält sich  also  ähnlich  wie  bei  Erwachsenen  und  dem  14jrihrigen 
Jungen. 

Acetessigsäure  ist  am  3.  Tage   des  Versuches  nachweisbar. 

Oxy buttersäure  ist  am  3.,  4.  und  5.  Tage  zusammen  be- 
stimmt und  beträgt  für  die  3  Tage  zusammen  3,8  g,  das  ist  eine 
tägliche  Ausscheidung  von  1,27  g.  Die  Ausscheidung  der  Aceton- 
körper  verschwindet  auch  hier  prompt  nach  Kohlehydratzufuhr. 
Weiter  zeigt  auch  dieser  Versuch,  dass  die  Menge  ausgeschiedenen 
Ammoniaks  erst  dann  eine  Steigerung  erfährt,  wenn  die  Aceton- 
körperausscheidung  schon  eine  Zeitlang  besteht;  am  4.  Tage  erst 
tritt  diese  Erhöhung  ein.  Der  absolute  Ammoniakwert  steigt 
von  870  auf  718,  der  Koeffizient  von  8,8  auf  7,8.  Beide  Werte 
bleiben  nicht  nur  auf  dieser  Höhe,  sondern  steigen  noch  an,  so 
dass  nach  der  Rückkehr  der  Acetonausscheidung  zum  normalen 
am  7.  Tage  die  absolute  Menge  Ammoniaks  noch  1150  mg,  der 
Koeffizient  noch  9,1  betragen.  (Genau  wie  Versuch  L)  Klinisch 
ist  zu  bemerken,  dass  an  den  letzten  beiden  Tagen  der  Kohle- 
hydratentziehung das  Kind  sich  sehr  matt  fühlte  und  absolut  keine 
Lust  zum  Spielen  zeigte. 

Versueh  III. 

Ganz  ähnlich  wie  bei  dem  8jährigen  Mädchen  verhält  sich  die  Acidose 
bei  einem  9jährigen  Mädchen,  das  an  Psoriasis  leidet.  (Körpergewicht: 
25,750.)     Die  Ernährung  ist  folgende: 

1.  Tag.     Gemischte  Kost. 

2.  Tag.     Ein  Stuck  Brot,   250  Milcbsuppe,    3  Eier,   60  Butter,  550  BouilloD, 

650  Tee,  250  Fleisch. 
8.  Tag.     800  Bouillon,  500  Tee,  3  Eier,  160  Fleisch,  40  Wurst,  100  Butter. 


Langstein-Mejer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 


467 


800  Bonillon,  500  Tee,  4  Sier,  40  Schinken,  190  Fleisch,  180  Battep. 
500  ßouillon,  500  Tee,  270  Fleisch,  2  Eier,  200  Battep. 
750  Boaillon,  500  Tee,  3  Eier,  250  Fleisch,  200  Batter. 
550    Bouillon,   450   Kaffee    mit   20    Mileh,    1    Sehrippe,    3    Eier, 
180  Fleisch,  150  Batter. 
Tasr.    Gemischte  Kost. 


4.  Tag. 

5.  Tag. 

6.  Tag. 

7.  Tag. 


S. 


Tabelle  VI. 
E.  F.,  9  Jahre,  6  Monate  (Psoriasis). 


Tag 

Urin- 
menge 

Aceton 
(Urin) 

Aceton 
(Atem- 
luft) 

Aceton 
(gesamt) 

N 

NH, 

NH, 
Koeff. 

Oxy- 
butter 
säure 

I. 

1635 

7,9 

79,3 

87,2 

11,125 

412 

3,7 

IL 

1330 

12,8 

61,4 

74,2 

6,74 

260 

3,8 

111.. 

1240 

73,1 

115,3 

188,4 

12,95 

493 

3,8 

IV. 
V. 

1135 
1300 

95,0 
121,3 

322,8 

444,1 

11,06 
9,15 

521 
735 

4,7 
8,0 

2,36 

VI. 

1530 

181,9 

208,9 

390,8 

10,73 

1113 

10,3 

VII. 

2100 

123,7 

100,9 

224,6 

10,407 

953 

9,1 

VIII. 

1480 

83,8 

10,8 

94,6 

9,759 

748 

7,6 

IX. 

1475 

5,7 

6,938 

438 

6,3 

Die  in  der  Tabelle  angeführten  Zahlen  zeigen  zunächst, 
dass  bei  einem  ganz  geringen  Gehalt  von  Kohlehydraten 
in  der  Nahrung,  wie  er  am  2.  Tage  des  Versuches  vor- 
handen war  (1  Stulle,  250  Milchsuppe)  noch  keine  Aceton- 
vermehrung  auftritt,  dass  andererseits  bei  bestehender  Acetonurie 
die  Zufuhr  geringer  Quantitäten  von  Kohlehydrat  (7.  Tage: 
1  Schrippe,  10  Milch)  die  Ausscheidung  der  Acetonkörper  lang- 
samer zur  Norm  zurückführt,  als  bei  den  früheren  Versuchen 
eine  grössere  Menge  von  Kohlehydraten  dies  bewirkt  hat.  Der 
Abfall  erfolgt  in  dem  Urin  von  181,9  auf  123,7,  88,8,  5,7, 
während  in  Tabelle  V  die  Acetonausscheidung  von  180  auf  17 
und  in  Tabelle  IV  von  188,8  auf  44,5  fällt. 

In  der  Atemluft  wird  das  Abklingen  der  Acetonausscheidung 
analog  verzögert. 

Die  höchste  Acetonausscheidung  im  Urin  beträgt  bei  diesem 
Versuche  181,9  mg,  fast  genau  so  viel,  wie  bei  dem  8jährigen 
Mädchen  (171,2)  und  bei  dem  14jährigen  Jungen  (188,8).  Auch 
in  der  Ausscheidung  des  Acetons  durch  die  Atemluft  sind   keine 


468 


Lungstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 


wesentlichen  Differenzen  gegenüber  den  vorhergehenden  YersucheD 
zu  konstatieren,  ebensowenig  in  der  Gesamtaceton menge. 

Acetessigsäure  ist  am  2.  Tage  der  völligen  Kohlehydrat- 
entziehung  nachweisbar,  Oxybuttersäure  wird  am  4.  und  5.  Tage 
bestimmt  und    beträgt    zusammen    2,36  g,  das    ist    p.    d.   1,18  g. 

Auch  die  Ammoniakausscheidung  verhält  sich  genau  so  wie 
in  den  vorhergehenden  Versuchen;  der  Koeffizient  steigt  bis  10,8» 
der  absolute  Wert  bis  1180  mg. 

Das  Allgemeinbefinden  des  Kindes  ist  ebenfalls  in  den 
letzten  Tagen  des  Versuches  auffallend  gestört. 

Abweichungen  von  dem  bis  jetzt  festgestellten  Verhalten 
der  Acetonkörperausscheidung  zeigen  sich  erst  bei  den  unter- 
suchten 6jährigen  Kindern.  Am  geringsten  treten  sie  bei  einem 
6jährigen  Mädchen  auf,  das  4  Wochen  nach  einer  leichten  akuten 
Diphtherie  sich  befindet  und  das  3  Tage  lang  auf  Eiweissiettdiat 
gesetzt  wird.     Die  Ernährung  ist  folgende: 


Versueh  IV. 

1.  Tag.  Gemischte  Kost. 

2.  Tag.  1050  Bouillon,  300  Tee,  60  Fleisch,  2  Eier,  40  Butter. 
8.  Tag.  1150  BouilloD,  250  Tee,  2  Eier,  65  Fleisch,  70  Butter. 

4.  Tag.  700  Bouillon,  250  Tee,  3  Eier,  50  Fleisch,  100  Butter. 

5.  Tag.  Gemischte  Kost. 

6.  Tag.  Gemischte  Kost,  100  Zucker. 

7.  Tag.  Gemischte  Kost,  100  Zucker. 


Tabelle  VII. 
P.  S.    6  Jahre  (3  Wochen  p.  Diphtherie). 


Urin- 

Aceton 

Aceton 

Aceton 

NH, 

0,y- 

Tag 

menge 

(Urin) 

(Atem- 
lüft) 

(gesamt) 

N 

NHa 

Koefi. 

butter- 
säare 

I. 

1050 

4,63 

55,032 

59,66*2 

7,144 

259 

3,6 

IL 

1340 

13,183 

166,5 

179,683 

7,954 

276 

3,5 

III. 

760 

20,683 

249,84 

270,523 

8,533 

438 

5,1 

IV. 

600 

37,1 

663,72 

700,82 

5,334 

369 

6,9 

V. 

600 

23,208 

326,4 

349,608 

Verunreinig, 
des  Harns 

6,9 

VI. 

1060 

9,123 

236,7 

245,823 

6,515 

314 

4,8 

VII. 

1280 

10,59 

69,6 

80,49 

7,92 

354 

4,4 

Langstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter.  469 

Die  Werte,  welche  hier  die  Acetonmenge  im  Urin  S&eigt, 
erreichen  nicht  die  früher  angeführten.  Am  3.  Tage  werden  erst 
S7»l  mg  ausgeschieden  (höchster  Wert),  während  z.  B.  bei  dem 
einen  9jährigen  Kinde  121,3  mg  an  diesem  Tage  verzeichnet 
sind.  Es  liegen  hier  wohl  individuelle  Unterschiede  vor.  Auf 
die  geringere  Quantität  des  zugeführten  Fettes  ist  dieser 
Unterschied  sicher  nicht  zu  beziehen,  da  2  andere  6jährige  Kinder 
auf  dieselbe  Menge  Fett,  resp.  auf  noch  viel  weniger  (Versuch  VI 
30  g)  mit  einer  viel  intensiveren  Acetonurie  reagierten.  Um  so 
merkwürdiger  ist  es,  dass  die  Menge  des  Atemluftacetons  alle 
vorher  festgestellten  Werte  beträchtlich  überragt.  Es  steigt  von 
55  mg  des  normalen  am  3.  Tage  der  Karenz  auf  668,7  mg, 
während  in  Tabelle  VI  nur  822,8,  in  Tabelle  V  194,4,  in  Tabelle  IV 
146,2  mg  erreicht  wurden.  Es  wird  also  12  mal  soviel  Aceton 
in  der  Atemluft  ausgeschieden  als  unter  normalen  Verhältnissen, 
während  im  Urin  der  Normalwert  nur  8  mal  übertroflFen  ist.  Das 
Verhältnis  des  Atemacetons  zum  Urinaceton  ist  14 : 1,  während 
beim  Erwachsenen  und  in  dem  1.  Versuch  dieser  Quotient  1:2 
beträgt.  Es  wird  demnach  bei  dem  6jährigen  Kinde  bedeutend 
mehr  Aceton  durch  die  Lungen  ausgeschieden  als  durch  den 
Urin,  eine  Tatsache,  die  noch  viel  deutlicher  durch  die  weiteren 
V^ersuchen  bestätigt  ist.  Natürlich  ist  entsprechend  dieser  hohen 
Acetonausscheidung  in  der  Atemluft  die  Gesamtacetonausscheidung 
grösser  als  in  den  vorangegangenen  Versuchen.  Der  Oxybutter- 
säurenachweis  wurde  leider  nicht  versucht. 

Die  geringe  Acetonmenge  im  Urin  Hess  nur  eine  geringe 
Vermehrung  des  Ammoniaks  erwarten;  in  der  Tat  erhöht  sich 
der  Ammoniakkoeffizient  nur  von  3,6  auf  .6,9,  die  absolute  Am- 
moniakmenge von  259  auf  438  mg,  das  ist  beträchtlich  weniger 
als  in  den  früheren   Versuchen. 

Versueh  V. 

£iu  Gjähriger  Knabe  mit  einem  Gewicht  von  22,400,  der  an  Psoriasis 
leidet,  wird  auf  folgende  Diät  gesetzt: 

1.  Tag.     Gemischte  Kost. 

2.  Tag.    250  Tee,  150  Wasser,  400  Bouillon,  2  Eier,  300  Fleisch,  30  Butter. 
8.  Tag.     750  Bouillon,  1050  Tee,  3  Eier,  ca.  475  Fleisch,  60  Butter. 

4.  Tag.  1200  Tee,  2  Eier,  ca.  700  Bouillon,  100  Butter. 

5.  Tag.  Gemischte  Kost,  100  g  Zucker. 

6.  Tag.  Gemischte  Kost. 

7.  Tag.  Gemischte  Kost. 


470  Langsteio- Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 

Tabelle  VIII. 
H.  S.,  6  Jahre,  9  Monate  (Psoriasis). 


Tag 

ürin- 
menge 

Aceton 
(ürin) 

Aceton 
(Atem- 
luft) 

Aceton 

(Gesamt) 

N       NH, 

Koeff. 

OXT- 

butter- 
säure 

I. 

1020 

18,6 

69,0 

87,6 

8,99 

308 

3,4 



IL 

1290 

62,9 

460,0 

522,9 

10,62 

376 

3,5 

!« 

IIL 

1430 

135,3 

888,7 

1024,0 

16,18 

707 

M 

IV. 

510 
in  12  h 

55 

in  12h 

1369,5 

1479,5 

(6,85) 

(609) 

8,9 

— 

V. 

1265 

88,3 

127,2 

215,5 

12,89 

484 

11,51 

— 

VI. 

985 

16,0 

69,6 

85,6 

7,61 

794 

10,4 

— 

VII. 

1000 

9,0 

55,7 

64,7 

7,59 

470 

6,2 

— 

Die  im  Urin  bei  Kohlehydratkarenz  ausgeschiedenen  Aceton- 
mengen  bleiben  in  diesem  Versuche  in  der  Quantität  kaum  gegen 
die  vorher  angeführten  zurück:  das  Ansteigen  der  Acetonaus- 
Scheidung  im  Urin  vollzieht  sich  aber  rascher  als  in  irgend  einem 
Versuche  vorher;  dazu  sei  bemerkt,  dass  der  untersuchte  Knabe 
schon  normalerweise  eine  ziemlich  hohe  Urinacetonausscheidung 
von  18  mg  zeigt.  Am  ersten  Tage  der  Karenz  steigt  der  Aceton- 
wert  im  Urin  schon  auf  62»9  mg,  am  2.  Tage  auf  185  mg,  bei 
dem  14jährigen  Jungen  in  Tabelle  IV  wurde  ein  ähnlich  hoher 
Wert  erst  am  4.  Tage,  bei  dem  8jährigen  Kinde  am  8.  Tage 
erreicht. 

Sehr  ausgespiocl^en  zeigen  sich  hier  die  schon  im  letzten 
Versuche  erwähnten  Abweichungen  in  dem  Verhalten  der  Atemluft 
des  jungen  Kindes  gegenüber  dem  älterer  Kinder  und  Erwachsener. 
Bereits  am  1.  Tage  der  Karenz  werden  460  mg  Aceton  durch 
die  Lungen  ausgeschieden,  ein  Wert,  der  die  Ausscheidung  im 
Urin  ca.  7  mal  übertriflFt.  Die  Zahlen  steigen  am  2.  und  3.  Tage 
und  zeigen  da  einen  Wert  von  1860  mg  p.  d.  Diese  Zahl  über- 
steigt sowohl  die  von  uns  bisher  ermittelten,  als  auch  die  in 
Tabelle  III  zusammengestellten  bei  Erwachsenen  von  den  früher 
genannten  Autoren  gefundenen  Werte  um  ein  sehr  beträchtliches. 
Bei  Erwachsenen  beträgt  der  höchste  Wert,  der  bei  Eiweissfett- 
diät  konstatiert  wurde,  672  mg.  Diese  Zahl  wird  in  unserem 
Versuche  um  mehr  als  das  Doppelte  übertroffen.  Das  Verhältnis 
des  Atemaceton  zum  Urinaceton  ist  am  2.  Tage  der  Karenz  6:1, 
am  3.  Tage  leider  nicht  exakt  festzustellen,  da  nur  der  Urin  von 


Laugstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter.  471 

12  Stunden  gesammelt  war.  Das  Atemaceton  ist  um  das  19fache 
^es  normalen  vermehrt,  während  es  sich  nach  Schwarz  bei  dem 
Erwachsenen  nur  am  das  2-  bis  Sfache  zu  vermehren  pflegt. 
Dementsprechend  überragt  die  gesamte  Aceton ausscheidung  bei 
dem  6jährigen  Kinde  die  allgemein  beim  Erwachsenen  festgestellte. 
Der  Mittelwert  aus  den  höchsten  Zahlen  der  Gesamtacetonmenge 
{Tabelle  III)  wurde  mit  893  mg  berechnet^  die  höchste  überhaupt 
verzeichnete  Quantität  beträgt  824  mg.  Dem  gegenüber  beläuft 
isich  die  höchste  Gesamtacetonmenge  beim  6jährigen  Knaben  auf 
1479»5  mg  —  eine  Differenz,  die  man  wohl  kaum  mehr  auf 
individuelle  Verschiedenheiten  zurückführen  kann. 

Acetessigsäure  ist  am  2.  Tage  der  Karenz  schon  vorhanden. 

Ozy buttersäure  wird  für  den  2.  und  3.  Tag  zusammen 
untersucht  und  beträgt  4,3  g,  das  ist  p.  d.  2,15  g,  ein  Wert,  der 
<lie  von  uns  bei  älteren  Kindern  nachgewiesenen  Mengen  über- 
trifft. Bemerkenswert  ist,  dass  diese  Menge  bereits  am  2.  und 
3.  Tag  der  Karenz  vorhanden  ist. 

Auch  die  Ammoniakwerte  sind  sehr  beträchtlich  gestiegen. 
Trotzdem,  dass  der  Versuch  nur  3  Tage  dauerte,  steigt  der 
Ammoniakkoeffizient  am  3.  Tag  des  Versuches  von  8,4  auf  8,9, 
am  4.  Tage  auf  11,6,  obwohl  an  diesem  Tage  die  Acetonaus- 
Scheidung  im  Urin  durch  die  Kohlehydratzufuhrung  schon  be- 
deutend   herabgedruckt    ist;    er    zeigt   auch  weiterhin  am  2.  und 

3.  Tage  danach  noch  eine  Erhöhung,  nämlich  10,4  und  6,2, 
während  die  Acetonausscheidung  wieder  normal  geworden  ist. 
Ganz  analog  verhält  sich  der  absolute  Amraoniakwert.  Näheres 
ist  aus  der  Tabelle  selbst  ersichtlich. 

Auch  diesen  Versuch  mussten  wir  leider  nach  3  Tagen  der 
Kohlehydratentziehung  abbrechen,  da  auch  dieser  Knabe  wieder 
grosse  Müdigkeit  und  Unlust  zeigte. 

Versaeh  VI. 

Fast  ganz,  so  wie  der  fünfte  Versuch  verläuft  Versuch  VI,  der  ebenfalls 
an  einem  6 jährigen  Jungen,  der  sich  in  der  Rekonvaleszenz  nach  einer 
exsudativen  Pleuritis  befindet,  angestellt  wird.  Sein  Gewicht  beträgt  20,700 
Die  Ernährung  ist  folgende: 

1.  Tag.     900  Bouillon,    20  Wurst,   30  Fleisch,   400  Tee,    6  Eier,    80  Butter. 

2.  Tag.    500  Bouillon,  470  Tee,  8  Eier,  30  Fleisch,  80  Butter. 
8.  Tag.    800  Bouillon,  50  Tee,  30  Fleisch,  2  Eier,  30  Butter. 

4.  Tag.    400  Bouillon,  100  Tee,  30  Fleisch,  8  Eier,  80  Butter,  3  Stallen. 

5.  Tag.     Gemischte  Ko&t. 


472 


Langstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kiodesalter. 

Tabelle  IX. 
H.  B.,  6»/«  Jahre  (3  Wochen  nach  Pleuritis). 


A*g     1 

menge 

Aceton 
(ürio) 

Aceton 

(Atem- 

laft) 

Aceton 
(Oesamt) 

Oxy. 

bntter- 
sänre 

I. 

IL 
III. 
IV. 

V. 
VI. 

1100    • 
1400 

700 

600 

850 

45,2 
165,8 
118,5 

26,2 

12,33 

260,0 
278,4 
988,0 
148,45 
13,9 

305,2 
444,2 
1051,5 
174,65 

1,75 

Auch  in  diesem  Versuche  steigt,  wie  die  Tabelle  lehrt,  die 
Acetouausscheidung  im  Urin  rasch  und  zu  beträchtlicher  Höhe, 
sie  beträgt  am  1.  Tage  45,2  mg,  am  2.  Tage  schon  löS^S  mg, 
übertrifft  also  an  Intensität  diejenige  der  älteren  Kinder,  ebenso 
wie  die  des  Erwachsenen  (siehe  Tabelle  I  und  II),  von  denen 
am  2.  Tage  21,  46  und  98  mg  ausgeschieden  wurden. 

Die  Ausscheidung  durch  die  Lungen  ist  ebenfalls  be- 
trächtlich, gegenüber  der  der  Erwachsenen,  erhöht.  Am  3.  Tage 
der  Karenz  werden  988  mg  durch  die  Atemluft  aus  dem  Körper 
eliminiert,  das  ist  ca.  8  mal  soviel,  als  an  diesem  Tage  im  Urin 
ausgeschieden  wurde,  während,  wie  erwähnt,  bei  Kohlehydrat- 
Karenz  der  Erwachsenen  das  Atemaceton  gegen  das  Urinaceton 
zurückzutreten  pflegt.  Hier  wird  über  60  mal  soviel  Aceton 
exhaliert  als  bei  gemischter  Kost,  und  dies,  obwohl  nur  80  g 
Fett  in  der  Nahrung  verabreicht  wurden. 

Auch  die  Gesamtacetonausscheidung  überragt  den  bei  Er- 
wachsenen festgestellten  höchsten  Wert. 

Acetessigsäure  ist  am  2.  Tage  der  Karenz  nachweisbar. 

Die  Oxybuttersäure  wird  ebenfalls  an  diesem  Tage  bestimmt. 
Aus  der  vorhandenen  Linksdrehung  berechnete  sich  eine  Aus- 
scheidung von  1,76  g  in  24  Stunden. 

Wir  wollen  diesen  Wert  nur  unter  Vorbehalt  geben,  da  der  Knabe 
Kreosotal  per  Os  bekommen  hat.  Bekanntlich  verursacht  Zufuhr  Ton  Kreosot 
und  dessen  Abkömmlingen  eine  vermehrte  Ausscheidung  von  GlyouronsäurCy 
die  als  Kreosotglycuronsäure  (Doppel Verbindung)  im  Harn  erscheint  und  die 
Ebene  des  polarisierten  Lichtes  nach  links  dreht  (ebenso  wie  die  Oxybutter- 
säure). Es  gehen  aber  von  der  Kreosotalglycuronsäure  nur  Spuren  in  den 
fitherischen  Extrakt  über;  es  war  daber  auch  nach  Spaltung  mit  Salzsänre 
in  dem  Extrakt,  in  dem  die  Oxybuttersäure  bestimmt  wurde,  keine  Glyouron- 


Laugstein-Meyer,« Die  Acidose  im  Kindesuiter.  473 

«äure  durch  die  Reduktionsprobe  nachzuweisen.  Trotzdem  könnten  geringe 
Mengen  durch  das  Kochen  mit  Salzsäure  zerstört  worden  sein,  so  dass  diese 
hohe  Oxjbattersänreansscheidnng  am  2.  Tage  des  Versuches  nicht  ganz 
sichergestellt  ist. 

Am  3.  Tage  der  Kohlehydrat-Karenz  musste  auch  dieser 
Versuch  abgebrochen  werden,  da  sich  der  Knabe  nun  matt  und 
unwohl  fühlte,  auch  eine  Temperatursteigerung  auf  38^  bekam, 
die  durch  keinen  objektiven  Befund  begründet  werden  konnte, 
-die  wir  aber  auch  andererseits  nicht  auf  die  im  Körper  des  Kindes 
vorhandene  Acidose  zurückfuhren  wollen. 

Ammoniakbestimmungen  wurden  nicht  gemacht,  da  alle  bis- 
lierigen  Ammoniakbestimmungen  bestimmten  Verlauf  zeigten. 

Zusammenfassung. 
Die  Resultate    vorstehender  Untersuchung   lehren    in  Bezug 
Auf  die  Acidose  des  Kindes  folgendes: 

1.  Die  Menge  des  Acetons  im  Urin  erreichte  zwar 
^ibsolut  genommen  nicht  die  bei  Erwachsenen  festgestellten  Werte. 
Relativ,  d.  h.  im  Verhältnis  zum  Körpergewicht,  übertriflFt  das 
ürinaceton  des  Kindes  das  des  Erwachsenen  an  Quantität.  Auch 
scheint  die  Acetonurie  um  so  schneller  und  intensiver  einzusetzen, 
je  jünger  das  Kind  ist. 

2.  Die  Ausscheidung  des  Acetons  in  der  Atemluft 
-verhielt  sich  bei  Kohlehydratkarenz  vollkommen  anders  als  bei 
Erwachsenen  und  diesen  im  Alter  nahestehenden  Kindern.  Das  er- 
schliessen  wir  aus  dem  Umstände,  dass  der  Hauptteil  des  im 
•Organismus  gebildeten  Acetons  bei  den  untersuchten  6jährigen 
Kindern  durch  die  Lungen  ausgeschieden  wurde.  Die  Quantität 
des  exhalierten  Acetons  überstieg  die  bei  gemischter  Kost  ge- 
fundenen Werte  einmal  um  das  19  fache  (Versuch  V),  ein  ander- 
mal sogar  um  das  60  fache.  Im  Gegensatz  hierzu  pflegt  bei  Er- 
wachsenen das  Atemaceton  sich  nur  um  das  8  fache  zu  vermehren 
^Schwarz);  bei  den  von  uns  untersuchten  mehr  als  6  Jahre 
alten  Kindern  betrug  die  Vermehrung  gegen  das  Normale  zwar 
auch  stets  mehr,  als  das  von  Schwarz  für  Erwachsene  angegeben 
ist,  das  Verhältnis  von  Atemaceton  zu  Ürinaceton  verhielt  sich 
aber  immerhin  ähnlich,  wie  Waldvogel  es  angegeben  hat,  und 
zwar  wie  1:2;  vollkommen  verändert  wurde  dieser  Quotient 
nur  bei  den  6  jährigen  Kindern.  Hier  war  das  Verhältnis  von 
Atemaceton  zu  ürinaceton  wie  14:1.  In  Versuch  V  betrug  es 
schon  am  2.  Tage  der  Karenz  6:1,  in  Versuch  VI  8:1.     Über- 


474  Langstein-Meyer,  Die  Aoidosc  im  Kindesalter. 

einstimmend  wurde  also  bei  allen  6jälirigen  Kindern  bedeutend 
mehr  Aceton  durch  die  Atemluft  ausgeschieden  als  bei  Er- 
wachsenen. 8-  und  9jährige  boten  insofern  einen  Übergang,  als 
auch  bei  ihnen  mehr  Aceton  (Versuch  II  Atemluftaceton  zum 
Urinaceton  wie  1,2  :  I,  Versuch  III  wie  1,1 :  1  und  2,6 :  1)  durch 
die  Atemluft  ausgeschieden  wurde,  als  bei  Erwachsenen  und  bei 
dem   von   uns  untersuchten   14jährigen  Jungen. 

Der  Hauptanteil  des  Acetons  wird  also  bei  jungeu 
Kindern  durch  die  Atemluft  eliminiert.  Dieser  Anteil 
überragt  die  bei  Erwachsenen  gefundenen  Werte  be- 
trächtlich. 

3.  Die  Gesamtacetonmenge,  die  das  jüngere  Kind 
bei  Kohlehydratkarenz  ausscheidet,  ist  höher  als  bei 
Erwachsenen   und  älteren   Kindern. 

4.  Acetessigsäure  ist  stets  nachweisbar  —  bei  den 
6jährigen  Kindern  bereits  am  2.  Tage  des  Kohlehydrat- 
mangeis. 

Oxy  buttersäure  kann  nach  den  Angaben  Naunyns 
bei  Kohlehydratkarenz  im  Urin  erscheinen  —  sie  erscheint  nach 
Magnus-Levy  stets  bei  intensiver  Acetonausscheidung  — ;  in 
allen  5  Fällen,  in  denen  wir  nach  Oxy  buttersäure  suchten, 
konnten  wir  sie  mit  Bestimmtheit  nachweisen.  Und  zwar 
schieden  die  6jährigen  Kinder  grössere  Mengen  aus  als  ältere 
und  auch  mehr  wie  die  meisten  daraufhin  untersuchten  Er- 
wachsenen. Leider  sind,  wie  im  Anfang  bereits  erwähnt  ist,  die 
bei  Erwachsenen  gefundenen  Werte  spärlich  und  schwankend^ 
also  schwer  zum  Vergleich  heranzuziehen. 

Bemerkenswert  ist  die  frühzeitige  Ausscheidung  der 
Oxy  buttersäure  bei  6jährigen  Kindern  (in  Versuch  V  und  VI 
bereits  am  2.  Tage  der  Karenz),  wilhrend  sie  bei  Erwachseneu 
meist  erst  später  in  die  Erscheinung  tritt. 

5.  Ammoniaksteigerungen  (sowohl  an  der  absoluten 
Ammoniakzahl,  als  auch  am  Koeffizienten  gemessen)  fanden  bei 
allen  Kindern  statt.  Diese  Vermehrung  ist  in  unseren 
Versuchen  lediglich  auf  die  im  Körper  kreisenden 
Säuren,  die  Acidose,  zurückzuführen.  Dadurch  ist  für  die 
Kinderklinik  zum  erstenmale  bewiesen,  dass  die  infolge  der 
Änderungen  der  Diät  im  sonst  normalen  Organismus  entstehenden 
organischen,  nicht  verbrennenden  Säuren  Ammoniak  an  sich 
relssen  und  so  harnfähig  gemacht  werden.  Nicht  sofort  reagiert 
der  Körper  auf  die  erhöhte  Säarebildung  mit  vermehrter  Ammoniak« 


Längste  in -Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter.  475 

aiisscheidung,  wie  dies  aus  allen  Versuchen  übereinstimmend 
hervorgeht;  denn  erst  nach  längerem  Bestand  der  vermehrten 
Acetonkörperausscheidung  tritt  eine  Vermehrung  des  Ammoniaks 
ein.  Es  scheint  also,  dass  zuerst  von  dem  verfügbaren  Alkali- 
vorrat ein  kleiner  Teil  abgegeben  wird  und  dann  als  Neutrali- 
sationskörper 2.  Ordnung  das  Ammoniak  eintritt.  Entsprechend 
dem  langsamen  Ansteigen  vollzieht  sich  auch  das  Abklingen  der 
Ammoniakausscheidung  zum  Normalen  allmählich^). 

6.  Das  Allgemeinbefinden  der  Kinder  war  bei  unseren 
Versuchen  fast  stets  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Die  Kinder 
waren  schlaflF,  müde,  unlustig:  Symptome,  die  wir  aber  nicht 
ohne  weiteres  auf  die  im  Körper  des  Kindes  vorhandene  Acidose 
zurückführen  wollen,  da  die  einseitige  Diät  als  solche  auch  wohl 
Unlustgefühle  hervorzubringen  imstande  ist.  Die  in  Versuch  VI 
beobachtete  Temperatursteigerung  steht  mit  der  Acidose  eben- 
falls kaum  im  direkten  Zusammenhang. 

Unsere  Untersuchungen  haben  also  gezeigt,  dass  in  der  Tat 
junge  Kinder  eine  Neigung  zur  Acidose  haben,  d.  h.  dass 
sie  frühzeitiger  und  intensiver  mit  einer  Ausscheidung  von 
Aceton körpern  auf  Kohlehydratkarenz  reagieren  als  Erwachsene^ 
soweit  die  bis  jetzt  bei  Erwachsenen  vorliegenden  Untersuchungen 
ein  Urteil  gestatten.  Wie  können  wir  uns  nun  diese  Tatsache 
erklären?  Wir  müssen  wohl  annehmen,  dass  das  Kohlehydrat- 
reservelager, das  in  der  Leber  und  in  den  Muskeln  der  Kinder 
in  Form  von  Glykogen  aufgespeichert  ist,  nicht  ebenso  gross  ist, 
uls  das  Erwachsener,  und  so  der  Mangel  an  Kohlehydraten 
leichter  und  intensiver  in  die  Erscheinung  tritt.  Wissen  wir 
doch  aus  den  Untersuchungen  Pfiügers,  dass  das  wachsende 
Tier  nur  über  geringe  Mengen  von  Reserveglykogen  verfügt. 
Und  dass  die  Glykogenverarmung  eines  Organismus  den  Eintritt 
einer  Acidose  ungemein  begünstigt,  geht  aus  den  neuen  Versuchen 
von  Mohr  hervor,  der  gezeigt  hat,  dass  die  Übersäuerung  des 
Organismus  bei  der  Phosphor  Vergiftung  nicht  in  letzter  Linie 
darin  ihren  Grund  hat,  dass  die  toxische  Wirkung  des  Phosphors 
zunächst  den  Glykogenstoffwechsel  betriflFt. 

Gerade  bei  der  Phosphorvergiftung  hat  man  daran  gedacht, 

^)  Die  AmmoDiakkoeifizienteD  erreichen  Dicht  die  hohen  Werte,  wie 
sie  7.  ß.  Keller  bei  magcndarmkranken  Säuglingen  oder  der  eine  von  uns 
(Langstein,  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Diabetes  melitus  im  Kindesalter. 
Vortrag,  gehalten  im  Berliner  Verein  für  innere  Medizin  am  6.  II.  1905)  bei 
diabetischen  Kindern  gefunden  hat.  Diese  Tatsache  spricht  wohl  mit  dafür, 
dass  die  AmmoniakvermehFung  beim  ernährungskranken  Säuirling  eine 
Resultierende  mehrerer  Komponenten  ist. 


476  Langstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 

dass  die  Acidose  eine  Folge  der  Ammoniakvermehrang  ist,  dass 
im  Überschuss  gebildetes  —  im  Sinne  Pfaundlers  gestautes 
Ammoniak  —  die  Säuren  gleichsam  abfange  —  das  würde  be- 
deuten, dass  die  Acidose  ein  sekundärer  Prozess  sei,  Wir  glauben 
gerade  mit  Rucksicht  auf  die  Ergebnisse  der  Untersuchungen  von 
Mohr,  dass  der  Begriff  der  sekundären  Acidose  einzuschränkeo 
ist  und  dass  für  den  Stoffwechsel  des  Erwachsenen,  ebenso  wie 
für  den  des  Kindes,  Ammoniakvermehrung  die  Folge  vermehrter 
Säurebiidung  ist  —  wobei  wir  ohne  weiteres  zugeben  wollen,  dass 
als  gewaltige  Komponente  Alkali  Verarmung  im  Sinne  von  Steinitz 
an  der  Steigerung  des  Ammoniak koef6zienten  beteiligt  ist. 

Die  wichtigste  Frage,  die  Beantwortung  verlangt,  ist  die,  oh 
wir  berechtigt  sind,  die  Resultate,  die  wir  bei  den  Versuchen  an 
älteren  Kindern  erhielten,  ohne  weiteres  auf  die  Acidose  des 
Säuglings  zu  übertragen.  Dass  Acetonkörper  bei  der  Acidose 
der  Säuglinge  noch  nicht  nachgewiesen  wurden,  spricht  mangels 
systematischer  Untersuchungen  nicht  gegen  eine  Analogie.  Aber 
«s  konnte  auch  der  Abbau  des  Fettes  im  Säugliugsorganismus 
zur  Bildung  anders  gearteter  Säuren  fuhren.  Hält  doch  auch 
Naunyn  das  Vorkommen  anderer,  noch  unbekannter,  Säuren  beim 
Diabetes  für  möglich.  Für  die  Annahme  einer  der  des  älteren 
Kindes  analogen  Acidosis  im  Säuglingsalter  spricht  der  Umstand, 
dass  unter  verschiedenen  Umständen  die  Ammouiakausscheidung 
des  Säuglings  sehr  wesentlich  erhöht  ist,  eine  Tatsache,  die  audi 
wir  in  Betästigung  der  Untersuchungen  der  Breslauer  Schule  fanden, 
dass  diese  Ammoniakvermehrung  zurückgeht  und  der  gesamte  Zu- 
stand des  Kindes  sich  bessert  nach  Reichung  einer  kohlehydrat- 
reichen Nahrung,  die  nur  sehr  geringe  Mengen  Fettes  enthält:  der 
sauren  Buttermilch  und  der  alkalischen  Malzsuppe.  Und  da  bereits 
nachgewiesen  ist  —  leider  nur  in  einer  einzigen  grösseren  Unter- 
suchungsreihe — ,  dass  Magendarmstörungen  die  Assimilations- 
grenze  für  Kohlehydrate  im  kindlichen  Organismus  herabsetzen  — 
ist  die  Möglichkeit,  dass  —  wenigstens  in  einer  Reihe  von 
Fällen  —  die  vermehrte  Ammoniakausscheidung  Ausdruck  einer 
intermediären  Acidose  ist,  nicht  von  der  Hand  zu  weisen. 
Dass  eine  fettreiche  Nahrung  bei  der  geringsten  Störung 
im  Kohlehydratstoffwechsel  zu  Änderungen  im  Stoff- 
wechsel führt,  deren  schädigende  Wirkung  auf  den 
Organismus  heute  noch  nicht  übersehen  werden  kann, 
geht  aus  den  vorstehenden  Resultaten  unserer  Unter- 
suchung   mit    absoluter   Sicherheit    hervor;   die    von    uns 


LaDgstein- Meyer,  Die  Acidose  im  Kiodesalter.  477 

«xperimeDtell  bewiesene  Neigung  der  Kinder  zur  Acidose  trägt 
aber  vielleicht  auch  zu  Erklärung  des  schweren  Verlaufes  der 
Diabetesfalle  im  Kindesalter  bei. 

Die  hier  befolgte  Methodik  wird  auch  für  die  Unter- 
suchung der  Acidose  der  Säuglinge  —  allerdings  in  etwas  modi- 
fizierter Weise  —  zur  Anwendung  gelangen.  Insolange  die  Resultate 
derselben,  die  wir  in  der  nächsten  Mitteilung  bringen  werden, 
nicht  vorliegen,  ist  keine  Berechtigung  gegeben,  denjenigen 
Zustand,  den  die  Pathologie  des  Säuglingstoffwechsels  als  Acidose 
bezeichnet,  mit  dem  von  uns  am  älteren  Kinde  durch  Kohlehydrat- 
karenz experimentell  erzeugten  zu  identifizieren. 

Die  Erforschung  des  Säuglingstoffwechsels  im  Hungerzustand 
und  bei  Kohlehydratkarenz  verspricht  einen  weiteren  Beitrag  zur 
Klärung  des  Phänomens  der  Ammoniakvermehrung  bei  Magendarm- 
störungen zu  geben  —  für  unbedingt  erforderlich  halten  wir  aller- 
dings eine  scharfe  Trennung  akuter  und  chronischer  Zustände. 
Indem  wir  noch  hinzufügen,  dass  wir  auch  die  Erforschung  der 
Lipämie  in  Angriff  genommen  haben,  ist  der  Gang  der  folgenden 
von  uns  in  Aussicht  genommenen  Untersuchungen  in  grossen 
^ugen  skizziert  —  wohl  noch  ein  weiter  Weg  bis  zu  jenem  Ziele, 
das  in  der  Erkenntnis  des  Wesens  der  Atrophie  des  Säuglings 
gelegen  ist. 

I.  Versueh. 
Acoiontabelle. 
1.  Tag  in  200  Urin  0,4     Jodlösung  =0,000887 

•2.  Tag  in  200  Urin  0.9  J  ^  =0.0008708 

8.  Tag  in  200  Urin  O^J  ^  =0,0004885 

Atmang  nachm.  20'  =    JS  j  _  ^  ^^^^,^3 

4.  Tag  in  200  Urin  J'«}  Jodlösung  =  0.007888 

Atmung  vorm.     20=    JS  |  _  ^  ^^^^3^, 

5.  Tag  in  200  Urin  JJ-J  }  Jodlö.ung  =  0.014215 

Atmung  vorm.     20'  =    0,6     =  0,00058 
nachm.    15'  =    0,4     =  0,00039 

6.  Tag  in  200  Urin  19,7     Jodlösung  =  0,01905 

Atmung  vorm.     20    =     1,0 1  _  ^^^^^^ 

nachm.  20'  =    0,2     =  0,003094 
Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    Heft  3.  3] 


478 


LangsteiD-Mejer,  Dto  Acidose  im  Kindesalter. 


7.  Tag  in  200  Urin 
Atmung   Torni. 


24,8     JodlösuDg  —  0,023982 
^^Z    ^'2}  =  0,000967 

8.  Tag  in  200  Urin  8,0     Jodlosung  =  0,00774 

Atmung  vorm.     20'  =     1,0     =  0,000767 
nachm.  15'  =    0,2     =  0,0001934 

9.  Tag  in  200  Urin  2,6     Jodlosung  =  0,0025142 

Atmung  vorm.     20'  =    0,2     =  0,000193 
Oxybutters&ure:  Linksdrehung  0,8  in  20  com  des  Extrakts  von  28( 
d.  i.  in  4  und  6  Tage  für  3775  Urin  =  0,G  g. 

11.  Versueh. 

Acetontabelle. 
1.  Tag  in  200  Urin  2,3     Jodlösung  =  0,002224 

«  0,0001984 

=  0,01244 

=  0.000774 

=  0,002771 

=  0,018953 
=  0,00277 
=  0,001934 
=  0,0285265 
=  0,0027076 


Atmung  Torm.     20'  =  0,21 

nachm.  20'  =  0,2  / 

2.  Tag  in  200  Urin  12,9 

Atmung  vorm.     20'  =  0,81 

=  0,8/ 

nachm.  20'  =  2,61 

=  2,6  J 

3.  Tag  in  200  Urin  19,71 

19,5  J 

Atmung   vorm.     20'  =  2,6 

nachm.  15'  =  2,01 

=  2,0/ 

4.  Tag  in  200  Urin 

Atmung  vorm. 


5.  Tag  in  200  Urin 

6.  Tag  in  200  Urin 

Atmung   vorm. 


29,5 
20'  =     2,8  J 
=    2,8( 
23,1 
22,7 
30'  =    2,81 
=    2,8/ 
nachm.  20'  =     1,01 
=     1,0/ 
7.  Tag  in  200  Urin  3,2 

Atmung  vorm.     20'  =    0,4  ^ 
=    0,4( 
nachm.  20'  =    0,2  \ 
=    0,2l 
Oxybuttersäure  3.,  4.  und  5.  Tag: 

in  3850  Linksdrehung  des  40  ccm  Extraktes  3,2.. 
Ffir  4375  ccm  Gesamturin  3,8  g  Oxjbutters&ure^ 


=  0,0223377 
=  0,021651 

=  0,0021736 

=  0,000967 
=  0,0030944 
=  0,0003868 

=  0,0001934 


III.  Versueh. 

Acetontabelle. 


1.  Tag  in  200  Urin 


Yq  \  Jodlösung  =  0,000967 


Atmung   vorm.     20'  =     0,8  ( 

=  1.2/ 

nachm.  25'  =     1,6 


=  0,000967 
=  0,001547 


Langstein-Mey 

er,  : 

Die  Acidose 

im  Kindesalter. 

2. 

Tag  in  200  Urin 

2  01 

2J0/  "^«"^'ö*""« 

:  =  0,001934 

Atmang  vorm. 

20' 

= 

0,6/ 

?i 

=  0,000766 

nachm. 

20' 

__ 

1,2» 
1,2  f 

= 

»1 

=  0,00116 

3. 

Tag  in  200  Urin 

11,81 
13,1/ 

» 

=  0,001797 

Atmung  Yorm. 

20' 

= 

1,61 
3,0/ 

»» 

=  0,001547 

nachm. 

20' 

= 

»» 

=  0,001934 

4. 

Tag  in  200  Urin 

17,51 
17,5  1 

9» 

=  0,016923 

Atmung  vorm. 

— 

— 

5. 

Tag  in  200  Urin 

19,01 
19,4/ 

»♦ 

=  0,018566 

Atmung  vorm. 

20' 

sssr 

4.81 
4,4/ 

»» 

=  0,002224 

6. 

Tag  in  200  Urin 

24,61 
24,6/ 

?» 

=  0,023788 

Atmung  Yorm. 

10' 

= 

1,4 

?» 

=  0,001354 

nachm. 

20' 

. — 

8,01 
3,4! 

= 

H 

—  0,003094 

7. 

Tag  in  200  Urin 

12,41 
11,4/ 

»1 

=  0,01151 

Atmung  Yorm. 

20' 

= 

2,1 

V 

=  0,0208 

nachm. 

20' 

= 

0,81 
0,8) 

JJ 

=  0,0007786 

8. 

Tag  in  200  Urin 

11,7 

f» 

=  0,01182 

Atmung  vorm. 

20' 



0,81 
0,8/ 

»» 

=  0,00029 

9. 

Tag  in  200  Urin 

0,91 
n7  1 

»* 

-  0,0007786 

479 


Oxybuttersäure  in  40  cm  in  2800  Urin  des  3.  und  4.  Tages. 
Linksdrehung  von  1,8, 
also  in  3680  Oxybutters&ure  =  2,36  g. 


IV.  Versneh. 

Acetantabelle. 
1.  Tag  in  200  Urin  (gewogen)  0,0006 Jod 0 form: 


0,00088 


Atmung  (gewogen)  vorm. 

30'  = 

0,01 

j, 

=  0,00147 

nachm. 

30'  - 

0,056 

,» 

=  0,00082 

2.  Tag  in  200  Urin 

0,0176 

„ 

=  0,002587 

Atmung  (titriert)      vorm. 

20'  ^ 

2,21 
2,2/ 

,> 

=  0,00282 

nachm. 

30'  = 

1,M 

Ml 

?» 

=  0,0027076 

8.  Tag  in  200  Urin 

0,021 

,1 

=  0,003087 

Atmung  vorm.     (titriert) 

30'  =- 

3,41 
3,4/ 

»1 

=  0,0065756 

nachm.  (gewogen) 

20'  --= 

0,2 

?» 

=  0,0294 
31* 

480 


Langatei  D-Meyer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 


4. 

Tag  in  200  Urin  (titriert) 

1 
] 

^•j  1  Jodlösung  =  0,009767 

AtmnDg                       vorm. 

30'  = 

7,5  r 

=  0,014505 

n 

aohm 

.  30'  = 
80'  = 

6,81 
6,81 

=  0,01315 

5. 

Tag  in  200  UriD 

7,81 
8,2/ 

=  0,007736 

Atmang                       vorm. 

20'  = 

2,6  1 

=  0,0075426 

nt 

ichm 

.   20'  = 

2,1  1 

=  0,006032 

6. 

Tag  in  200  Urin 

2,8 

==  0,0027076 

Atmang                       vorm. 

20'  = 

1,6} 
1,8  1 

=  0,00327 

7. 

Tag  in  200  Urin 

2,1 

=  0,002031 

Atmung 

20'  = 

0,5  1 
0,5  1 

=  0,00967 

8. 

Tag  in  200  Urin 

1,81 
Ifif 

=  0,001257 

V.  Veraaeh. 

Acet 

dntabell 

e. 

1.  Tag  in  200  Urin 

3,7 

Jodlösuug  =  0,00358 

Atmang  vorm. 

20' 

=     1.01 
1,0/ 

n 

=  0,000967 

2.  Tag  in  200  Urin 

10,0 

n 

=  0,00967 

Atmung  vorm. 

20' 

=    7,01 
=    6,2/ 

>? 

=  0,006883 

3.  Tag  in  200  üfin 

19,6 

»> 

=  0,018532 

Atmang  vorm. 

30' 

=  16,01 
=  15,8/ 

»> 

=  0,01548 

nachm 

20' 

=  14,8 
=  14,6  ) 

„ 

=  0,0143117 

4.  Tag  in  200  Urin 

22,2 

« 

=  0,0214674 

Atmang  vorm. 

20' 

=  18,0 
=  18,2 

n 

=  0,017406 

nachm 

20' 

=  21,0 

»> 

=  0,0304605 

5.  Tag  in  200  Urin 

14,41 
14,6/ 

>, 

=  0,01402 

Atmang  vorm. 

20' 

=     1,8  \ 
1,8/ 

1» 

=  0,00176 

6.  Tag  in  200  Urin 

8,3 

»1 

=  0,00819 

Atmung  vorm. 

20' 

=     1,01 
=     1,0/ 

if 

=  0,000967 

7.  Tag  in  200  Urin 

1,7 

>i 

=  0,0016439 

Atmung   vorm. 

20' 

=    0,8  1 

_      Oft 

'> 

=  0,00077 

Oxybutter säure:  20  com  Extrakt  von  1600  ccm  (2.  and  3.  VersachsUg)- 

Drehen  5,2  nach  links. 
Die  H&lfte  des  3.  Tages  ging  verloren.    Nehmen  wir  die  Ausscheidaog 


LaDgstein-Meyer,  Die  Acidose  im  Kin desalter. 


481 


12b  zu  Oft.  600  com,  so  macht  das  eine  Gesamtausscheidung  Ton  ca.  2600  ccm; 
darin  sind  dann 

4,3  g  Oxybuttersfture  =  2,15  p.  d. 


VI.  Versueh. 

Acetontabelle. 

1.  Tag  in  200  Urin  8,5     Jodlösung  =  0,0082195 

Atmong  vorm.     15'  =    8,0|  ^  00027 

=    2,6  J 

2.  Tag  in  200  Urin  24,5 

Atmung  Yorm.     15'  =    8,01 

=    3,51 

8.  Tag  in  200  Urin  85,0 

Atmung  vorm.     20'  =  11,0  l 

=  10,2  1 

nachm.  20*  =  16,21 

=  16,2/ 

4.  Tag  in  200  Urin  9,0 

Atmung  vorm.     15'  =    2,81 

=    2,4/ 

nachm.  15'  =     1,21 

=    1,2/ 

5.  Tag  in  200  Urin  — 

Atmung  vorm.     20'  ==    0,2 1 
=    0,2/ 

6.  Tag  in  200  Urin  8,0 
#xybntt6r8fture  am  2.  Tage  in  11  ccm  Extrakt  von  800  ccm 

Linksdrehung  von  8,6. 
also  in  1400  =  1,75  g  Oxybntters&ure. 


=  0,0236915 
=  0,0029 
=  0,088845 
=  0,01025 

=  0,0158 
=  0,008708 
=  0,002514 

=  0,000565 

=  0,00193 
=  0,002901 


1.  Tag. 


2.  Tag. 


3.  Tag. 


Versuchs-Protokolle 

der  Stickstoff-  und  Ammoniak-Ausscheidung. 

I.  Versaeh. 

N  in  5  ccm  l^^'^l—  S  ==  34,02  mg 
\  24,4/ 10  '         ^ 

NH,  in  25  ccm  I   ''  l—  S  =  6,16  mg 
\4,3/l0  * 

N  in  5  ccm  i      '    l  —  S  =  29,68  mg 
121,1/ 10  ^ 

NHs  in  25  ccm  T '    1  —  S  =  5,11  mg 
1  3,6  J  10  * 

N  in  5  ccm  |  ^^'^  l  —  S  =  56,14  mg 
(40,0/ 10  '         ^ 

NH,  io  25  ccm  |  J^'J  J  ^^  =  14,42  mg 


482  LaDgttein-Mejer,  Die  Acidose  im  Kindetalter. 

/  Ol    Q  \ 

4.  Tag.  N  in  ö  ccm  <  ^  '    >  —  =  44,45  mg 

*  131,7/ 10  '         ^ 

NH,  in  25  ccm  I       j  —  =  15,4  mg 

5.  Tag. 

6.  Tag.  N  in  5  ccm  { ^JJj^  }  ^  =  30.73  mg 

NH,  in  25  ccm  {  ^'g  j  ^  =  7,42  mg 

(22  01    n 
22]2)ä  =  30.94  mg 

NH.  in  25  com  (  ^'    1  —  =  6,93  mg 
1 4,9  j  10        '         ^ 


IL  Versueti. 

Stiokatoff-Tubelle. 


l.Tag.  N-^--{8M}ä  =  ^*'^'"« 

NH,  in  25  ccm  |  ^'M  ~  =  7,56  mg 
[  5,3  J  10 

2.  Tag.  N  in  5  ccm  |     '   1  -  --=  41,16  mg 

1 29,8  J  10  '         * 

NH,  in  25  ccm  j  J'^  j  i  =  7,28  mg 

f  40,81   n 


3.  Tag.  N  in  5  ccm 

NH,  in  25  ccm 


(  10,0 )  D 


4.  Tag.  N  in  5  ccm  j  *®  j  i  =  67,2  mg 

NH,  iu  25  ccm  1      '^  |  i  =  30,45  mg 
(  22     )  10 

5.  Tag.  N  in  5  ccm  j  g^'*  j  ^  =  50,96  mg 

NH,  in  25  ccm  |  ^^'®  j  ^  =  29,38  mg 

6.  Tag.  N  in  5  ccm  {  ^'^J  j  ^  =  38,64  mg 

NH,  in  25  ccm  I      '    1  —  =  20,16  mg 
1 14,3  j  10  '         ' 

{27  1  ^ 
27'l  I  fo  ^  '''^^  """^ 

NH,  in  25  ccm     8,4  j^  =  1 1,76  mg 


Langstein-llejer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 


483 


IIL  Venneh. 

Stiekitoff-Tabelle. 


1.  Tag. 


2.  Tag. 


3.  Tag. 


4.  Tag. 


5.  Tag. 


6.  Tag. 


7.  Tag. 


8.  Tag. 


9.  Tag. 


1.  Tag. 


{3,51    n 
3,5)15  =  ^'"""« 

37;2}ä  =  ''•*""« 

r35    1  n 
'^^™  {34,61 10  =  ''''^-^"^^ 

NH.  in  25  ccm{;^;^jf^=  14,14mg 


N 
NH, 

N 
NH, 

N 
NH, 

N 
NH, 

N 


N  in  5  ccm 


r  25,01  _n^^ 
1 25,1  j  10 


35,07  rag 


NH,  in  25  ccm  13^  =  18,2  mg 

NH,  in  25  ccm  \     ^  }  —  =  11,34  mg 
i  8,2  j  10  '6 

NH,  in  25  ccm  r      l  ^  =  12,67  mg 
l  °>1  J  10 

'    \—  =  23,52  mg 
16,8  J  10  ^ 

NH,  in  25  ccm  |  ^^  \  °^  =  7,42  mg 

lY.  Versueh. 

Stickstoff-Tabelle. 

(^^'^|iL  =  27,86mg 
\  20,0]  10  '         ^ 

6,16  mg 


N  in  5  ccm 


NH,  m  25  ccm  {        >  — 
14,4  j  10 


484 

2.  Tag. 

3.  Tag. 

4.  Tag. 

5.  Tag. 

6.  Tag. 

7.  Tag. 

8.  Tag. 

9.  Tag. 


1.  Tag. 


2.  Tag. 


LaDgstein-Mejer,  Die  Acidose  im  Kindesalter. 

r  28,01  n 
N  in  5  ccm  {  ^^'    \  --  =  39,2  mg 
1 28,0]  10  '       ^ 


NH, 

N 
NHt 

N 
NH, 

N 
NH, 

N 
NH, 

N 
NH. 

N 


n  25  ccm 


l6,9jlO         • 


,66  mg 


{20,21  n 
'    l  _  =  28,14  mg 
20,0  J  10  * 

25  ccm  i    '    l  —  =  7,0  mg 
\5,lJlO         '       ^ 

'^ '^»■"  (Kl  ä ='*''""'' 

r  28.51   n 

"^''"""1 28,4)15  =  *''«»'"'^ 

{26,81  n 
26,8)lö"-=^''^^"'« 

NH,  in  25  ccm  |   ^'   |  ^  =  18.8«  mg 

^'"'*''"'{24;8}^  =-'*•''*'"« 

NH,  in  25  ccm  |      'l!  1  ^  =  16,10  mg 
U  1,0  J  10 

V.  Versueh. 

Stickstoff-Tabelle. 

NH,  in  25  ccm  (^'^|  —  ^  6,16  mg 
I  4,0  J  10 

f211    D 
Nin  5  <^«"^  {21)^0  =  ^^'^"^ 

NH,  in  25  ccm  I    '    \  —  =  6,3  mg 
l4,6jlO  ^ 


Längste in^Mejer,  Die  Acidose  im  Kindesalter.  485 

{81,81  D 
«    r  r  —  ='  ^3,96  mg 
81,5  J  10 

{6,81  n 
'    r  —  =  9»66  mg 

4.  Tag.  N  iD  5  ccm  {  g/ 1  ^  =  ^^'  ^^  ""« 

NH,  io  25  ccm  |      l  —  =  12,6  mg 

r26    1  D 

5.  Tag.  N  in  5  ccm  I  ^g  2  j  -^  =  36,54  mg 

NH,  in  25  ccm  {[^j^=  16,8  mg 

6.  Tag.  N  in  ^  ^^"^  1  29  |  ;^  '^  ^^'^  ™^ 

NH,  in  25  ccm  {  ]^'^}  ^^  =  22,89  mg 

N  in  5  ccm  (  ^'^  ]  i  =  48,02  mg 
\  34,4  J  10  '         ^ 

r  18,61  n 
NH,  in  25ccm|jg|g|jQ  =  26,18mg 


7.  Tag 


4. 

Ans   der  Königiichen  UniTenititskiiiderklinik  and  dem  Königlichen  lostitot 
for  Infektionskrankheiten  xa  Berlin. 

Immunisiemiig  dureh  Mlleh. 

Von 

Dr.  B.  SALGE, 

AifEistrat  der  Klloik. 

Im  Jahrbach  für  Kinderheilkande,  60.  Band,  Heft  1,  habe 
ich  experimentelle  Studien  über  den  Durchtritt  von  Antitoxin 
durch  die  Darm  wand  des  menschlichen  Säuglings  veröffentlicht, 
die  mich  zu  dem  Resultate  führten,  dass  die  stomachale  Ein- 
führung  von  heterogenem  Diphtherieantitoxin  (Pferdeserum)  auch 
beim  sehr  jungen  Säugling  —  5  Tage  alt  —  keinen  Übertritt 
von  spezifischen  Antikörpern  in  das  Blut  des  Säuglings  er- 
möglicht. Femer  ging  aus  meinen  Versuchen  hervor,  dass  die 
in  der  Frauenmilch  enthaltenen  Antikörper  dem  Säugling  zagnt 
kommen,  ein  Resultat,  dass  mit  früheren  Versuchen  an  Tieren 
(Ehrlich,  Römer)  übereinstimmt. 

Obwohl  erst  wenige  Monate  seit  Veröffentlichung  dieser 
Arbeit  verflossen  sind,  bin  ich  doch  schon  in  der  Lage,  einige 
kritische  Bemerkungen  zu  meinen  Experimenten  hier  zu  er- 
örtern, die  auch  für  meine  untenfolgenden  Experimente  von  Be- 
deutung sind. 

Siegert  hat  in  der  Münchener  medizinischen  Wochenschrift, 
1904,  No.  31,  S.  1400,  in  einem  wenige  Zeilen  füllenden  Referat, 
aus  dem  Fragestellung  und  Anlage  der  Ebiperimente  in  meiner 
Arbeit  nicht  klar  zu  erkennen  sind,  die  Meinung  geäussert,  dass 
„Bei  der  ungemein  subtilen  Art  der  bei  dieser  Methode  — 
Ehrlich-Marx  —  massgebenden  Kriterien  für  die  Entscheidung 
dieser  Fragen  Methoden  verlangt  werden  mussten,  die  mit  viel 
deutlicherem  Ausschlag  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  ein 
schärferes  Urteil  ermoorlichen,  als  die  Marxsche  Methode." 


Salge,  Immanisiernng  durch  Milch.  487 

Es  ist  ja  gar  nicht  zu  bezweifelD,  dass  Siegert  sich  ein- 
gehend mit  dieser  Methode  beschäftigt,  sie  wohl  ebenso  wie  ich 
unter  Leitung  eines  Fachmanns  erlernt  hat,  wie  es  jeder  Kliniker 
tut,  der  sich  mit  solchen  rein  bakteriologischen  Arbeiten  be- 
fassen will.  Um  so  weniger  verstandlich  erscheint  mir  seine 
Kritik. 

Der  Ausschlag  der  Marxschen  Methode  ist  so  deutlich, 
wie  der  einer  Titrierung;  davon  hat  sich  auch  Herr  Geheimrat 
Heubner  überzeugt,  der  mir  sicher  nicht  die  Veröffentlichung 
einer  Arbeit  gestattet  hätte,  deren  Methodik  ihm  nicht  einwandsfrei 
erschienen  wäre.  Stets  ist  es  leicht  zu  sagen :  hier  hat  eine 
Absättigung  des  Diphtherietoxins  stattgefunden,  hier  nicht 
mehr.  Das  Prinzip  der  Methode  sei  hier  nochmals  kurz  an- 
gegeben. 

Marx  bestimmt  diejenige  Menge  von  Diphtherietoxin  be- 
kannter Wertigkeit,  die  eben  noch  ein  deutliches  —  auf  den 
ersten  Blick  —  erkennbares  Ödem  an  der  Injektionsstelle  er- 
kennen lässt,  und  ferner  diejenige  Antitoxin  menge,  die  genügt,  um 
diese  Toxinwirkung  zu  verhindern  und  die  Injektionsstelle  ohne 
Veränderung  erscheinen  zu  lassen.  Wie  scharf  diese  Grenze  ist, 
mag  aus  der  Vorprüfung,  die  ich  wiederholt  vor  meinen  Ver- 
suchen mit  Normal-Antitoxin  angestellt  habe,  hervorgehen. 

^/lo  der  absolut  tödlichen  Toxindosis  des  mir  zur  Verfügung 
stehenden  Giftes  ergibt  mit  Veoo?  \'ioo«)  \i2oo  I.-E.  Freisein  der 
Injektionsstelle  von  irgend  einer  Veränderung,  bei  Mischung  mit 
Vi5oo  I.-E.  ist  ein  durchaus  deutliches  Ödem  zu  erkennen.  Das 
trifft  nicht  nur  in  einer  Versuchsreihe  zu,  sondern  wiederholt 
sich  mit  Sicherheit  immer  wieder,  sofern  nur  die  Methode  wirklich 
korrekt  und  richtig  angewendet  wird.  Zwischen  V1200  ^^^  V1500 
ist  kein  grosser  Sprung,  nur  der  von  */oooo  auf  */flooo»  ^'^  Fehler- 
grenze ist  also  denkbar  eng. 

Ich  kann  demnach  nicht  anerkennen,  dass  man  einen  „viel 
deutlicheren  Ausschlag*'  von  einer  geeigneten  Methode  verlangen 
muss.     Noch  deutlicher  ist  nicht  wohl  zu  erwarten. 

Wenn  Siegert  weiter  von  den  ungemein  subtilen  Kriterien 
dieser  Methode  spricht,  so  kann  ich  mich  ihm  darin  auch  nicht 
anschliessen.  Man  hat  nur  darauf  zu  achten,  dass  man  mit 
Meerschweinchen  arbeitet,  die  das  Gewicht  von  250  g  haben. 
Wer  die  Titerstellung  mit  Tieren  von  200  g  und  die  Versuche 
mit  Tieren  von  300  g  macht,  bekommt  ein  verkehrtes  Resultat; 
«benso  wenn  innerhalb  einer  Versuchsreihe  ein  zu  schweres  oder 


4b8  Salge,  ImmanUieraDg  darch  11  lieh. 

zu  leichtes  Tier  ist,  wird  die  TitrieruBg  —  so  kann  man  die 
Methode  wohl  nennen  —  undeutlich.  Das  ist  das  einzig 
schwierige  der  Methode,  sich  immer  das  passende  Tiermaterial 
zu  beschaffen,  und  hat  mir  oft  reichliche  Mühe  gemacht.  Sonst 
ist  alles  recht  einfach  für  jeden,  der  mit  derartigen  Methoden 
überhaupt  zu  arbeiten  gelernt  hat. 

Ich  muss  mich  entschieden  dagegen  verwahren,  mit  einer 
Methode  gearbeitet  zu  haben,  deren  Genauigkeit  für  die  Ent- 
scheidung der  vorliegenden  Fragen  nicht  ausreicht,  vielmehr  ist 
sie  recht  gat  fundiert  und  von  dem  berufensten  Beurteiler  der 
Methoden  zur  Wertbemessung  von  Toxinen  und  Antitoxinen^ 
Herrn  Geheimrat  Ehrlich,  für  richtig  und  zuverlässig  erklärt 
worden. 

Das  Vorstehende  mag  auch  als  Antwort  für  Barten  stein 
dienen,  der  in  der  Monatsschrift  für  Kinderheilkunde  die  Methode 
von  Marx  „ungemein  subjektiv^  genannt  hat.  Die  Nachprüfungen 
der  Methode,  die  Bartenstein  zu  diesem  Urteil  führten,  werden 
hoffentlich  bald  veröffentlicht. 

Ganghofner  und  Lange,  Münch.  med.  Wochenschr.,  1904^ 
haben  in  einer  recht  interessanten  Arbeit  auch  meiner  Studien 
Erwähnung  getan  und  dabei  die  Ansicht  geäussert,  dass  der  Darm 
bezw.  Magen  auch  des  jungen  —  5  Tage  alten  —  Säuglings  im- 
stande ist,  die  geringe  Eiweissmenge,  die  ich  mit  den  3000  L-E. 
eingeführt  habe,  vollständig  zu  verdauen  und  damit  das  Anti- 
toxin zu  vernichten. 

Das  glaube  ich  auch. 

Für  die  Entscheidung  der  von  mir  aufgeworfenen  Fragen 
ist  das  aber  ziemlich  gleichgültig. 

Es  kam  mir  nicht  darauf  an,  zu  untersuchen,  ob  von  art- 
fremdem Eiweiss  bei  reichlicher  Fütterung  Spuren  in  das  Blut 
des  Säuglings  übergehen,  was  nach  unserer  jetzigen  Kenntnis  ja 
vielleicht  möglich  ist,  aber  stets  einen  pathologischen  Zustand 
bedeutet.  Ich  bin  vielmehr  von  den  Anschauungen  v.  Behrings 
ausgegangen,  der  physiologisch  eine  Resorption  von  antitoxischen 
Stoffen  behauptete.  Ist  eine  solche  Resorption  wirklich  möglich, 
so  muss  doch  angenommen  werden,  dass  innerhalb  gewisser 
Grenzen  stets  äquivalente  Teile  resorbiert  werden;  wenn  also 
z.  B.  die  Resorptionsfähigkeit  Vio  oder  Vioo  ^^^  eingeführten 
Menge  betrüge,  so  wird  eben  stets  diese  Menge  resorbiert  werden 
gleichgültig,  ob  damit  eine  grössere  oder  geringere  Menge  Serum 
eingeführt  wird.    Über  die  chemische  Konstitution  des  Antitoxins 


Salge/lmmunisiernDg  darch  Milch.  489 

M'issen  wir  bisher  so  gut  wie  nichts,  folgen  wir  aber  der  bisher 
am  meisten  vertretenen  Ansicht,  dass  das  Antitoxin  an  das 
Eiweissmolekül  gebunden  ist,  so>kann  man  sich  doch  den  Unter- 
schied in  der  Wertigkeit  eines  Serums  nur  so  vorstellen,  dass 
bei  einem  hochwertigen  Serum  sehr  viele  Moleküle  in  einem  be- 
stimmten Volumen  Träger  der  antitoxischen  Kraft  sind,  in  einem 
weniger  hochwertigen  Serum  entsprechend  weniger. 

Wenn  ich  meinen  Kindern  3000  I.-E.  zugeführt  habe,  so 
heisst  das,  dass  eine  bestimmte  Zahl  von  Molekülen  eingeführt 
werden,  die  Träger  der  antitoxischen  Kraft  sind.  Ob  daneben 
noch  andere  Eiweissmoleküle  mit  dem  Pferdeserum  eingeführt 
werden,  ist  ganz  gleichgültig,  wenn  man  von  der  Voraussetzung 
ausgeht,  dass  die  Darmwand  des  jungen  Säuglings  physiologisch 
für  Eiweissmoleküle  und  damit  für  Antitoxin  permeabel  sei. 

Die  Anwesenheit  von  nicht  spezifisch  wirksamem  Pferde- 
serum, wie  es  bei  minderwertigem  Serum  der  Fall  wäre,  könnte 
doch  höchstens  störend  wirken,  indem  bei  Anwesenheit  grosser 
Mengen  des  zu  resorbierenden  StofiPes  die  Resorption  eine  weniger 
vollständige  würde  und  unter  dem  nicht  resorbierten  Anteil  sich 
auch  eine  mehr  oder  weniger  grosse  Menge  von  antitoxischen 
Serummolekülen  befinden  könnte. 

Ich  hatte  also  ganz  recht,  wenn  ich  möglichst  konzentriertes 
Heilserum  verfütterte;  denn  wenn  auch  nur  ein  verschwindend 
kleiner  Teil  des  Serums  resorbiert  wurde,  wie  das  nach  den  An- 
gaben  v.  Behrings  und  Römers  zu  erwarten  war,  so  musste 
sich  das  im  Blute  des  Kindes  zeigen.  Bei  grösseren  Mengen 
weniger  hochwertigen  Serums  wäre  die  Resorption  einer  grösseren 
Menge  notwendig,  um  den  gleichen  EfiPekt  zu  erzielen. 

Ganz  anders  stellt  sich  allerdings  die  Frage,  wenn  man  die 
Resorption  von  artfremdem  Eiweiss  —  in  biologisch  noch  nach- 
weisbarer Form  —  als  einen  pathologischen  Vorgang  auflFasst, 
beruhend  auf  einer  Insuffizienz  der  Verdauungssäfte.  So  ist  ver- 
mutlich die  Resorption  des  fremden  Eiweisses  zu  erklären,  die 
Oanghofner  und  Lange  gesehen  haben,  und  ich  halte  es  durch- 
aus für  möglich,  dass  bei  relativer  Überfütterung  mit  Pferdeserum 
«in  kleiner  Teil  auch  in  noch  biologisch  nachweisbarer  Form  in 
das  Blut  übergeht  und  damit  eventuell  auch  in  dem  Serum  ent- 
haltene Schutzstoffe  mit  übergeführt  werden  können. 

Für  eine  therapeuthische  Verwertung  hat  ein  solcher  Vor- 
gang aber  gar  keine  Bedeutung,  und  auf  die  Prüfung  der  thera- 
peutischen  Verwertbarkeit  der    v.   Behringschen   Anschauungen 


490  Salge,  ImmuniBierang  darch  Milch. 

kam  es  mir  bei  meinen  Experimenten  allein  an.  Einem  Säugling 
soviel  fremdes  Eiweiss  zuzufahren,  dass  sein  Darm  insuffizient 
wird  und  mit  dem  fremden  Eiweiss  auch  eventuell  einige  Schutz- 
stoffe hin  durchtreten  lässt,  wird  wohl  auch  der  begeistertste 
Serotherapeut  nicht  in  Vorschlag  bringen. 

Ich  darf  demnach  wohl  behaupten,  dass  der  Darm  des 
Säuglings,  auch  des  sehr  jungen  —  5  Tage  alten  — ,  Antikörper,, 
die  in  heterogenem  Serum  enthalten  sind,  nicht  durchlässt. 

Femer  ging  aus  meinen  Versuchen  hervor,  dass  in  der 
Frauenmilch  zugeführte  Antikörper  dem  Säugling  zu  gute  kommen^ 
eine  Tatsache,  die  hier  zum  erstenmal  für  den  Menschen  experimentell 
erhärtet  wurde,  nach  den  vorliegenden  Untersuchungen  an  Tieren 
(Ehrlich,    Römer),    aber  nicht  anders  erwartet  werden  konnte. 

Es  blieb  die  Frage  zu  untersuchen,  ob  der  negative  Ausfall 
der  einen,  der  positive  Ausfall  der  anderen  Art  der  stomachalen 
Zuführung  der  Antikörper  darauf  zurückzuführen  sei,  dass  ein- 
mal Blutserum,  das  andere  Mal  Milch  der  Träger  der  Immunkörper 
war,  oder  ob  es  darauf  ankommt,  dass  das  eine  Mal  das  Antitoxin 
an  heterologes,  das  andere  Mal  an  homologes  Eiweiss  gebunden 
zur  Verfütterung  kam. 

Zur  Entscheidung  dieser  Frage  war  es  notwendig,  mensch- 
liche Säuglinge  mit  Milch  zu  ernähren,  die  von  immunisierten 
Tieren  stammt  und  in  der  der  Gebalt  von  spezifischen  Antikörpern 
direkt  nachgewiesen  wurde. 

Nicht  unbeträchtliche  Schwierigkeiten  waren  es,  die  sieb 
der  Ausführung  der  beabsichtigten  Versuche  entgegenstellten. 
Zunächst  war  es  für  mich  zur  Zeit  ganz  unmöglich,  geeignete 
Milchtiere  —  Ziegen  —  unterzubringen,  und  nur  durch  da& 
freundliche  Entgegenkommen  des  stellvertretenden  Direktors  des 
Koch  sehen  Instituts,  Herrn  Geheimrat  Dönitz,  und  des  Ab- 
teilungsleiters dieses  Institutes,  Herrn  Professor  Wassermann^ 
war  es  mir  möglich,  geeignete  Tiere  einzustellen  und  in  der  ge- 
wünschten Weise  zu  immunisieren.  Die  Immunisierung  der  Tiere 
wurde  unter  Leitung  von  Herrn  Professor  Wassermann  durch 
Herrn  Dr.  Brück  besorgt,  der  sich  dieser  Aufgabe  mit  der 
grössten  Sorgfalt  unterzog,  wofür  ich  ihm  meinen  herzlichsten 
Dank  ausspreche. 

Des  weiteren  fehlte  es  an  den  nötigen  Geldmitteln,  die 
zu  bestreiten  unser  sehr  kleiner  wissenschaftlicher  Fond  nicht 
ausreichte.  Dem  Kuratorium  der  Gräfin  Böse- Stiftung,  die  es 
mir    s.    Z.    schon     ermöglichte,    die    notwendigen  Vorstudien    in 


Salge,  ImmuDisieroDg  darch  Milch.  491 

Frankfuii;  a.  M.  zu  machen,  verdanke  ich  es,  dass  mir  ausreichende 
Mittel  gewähi-t  wurden,  wofQr  ich  an  dieser  Stelle  meinen  besten 
Dank  sage.  Zunächst  will  ich  die  Versuche  besprechen,  die  sich 
mit  der  Verfutterung  von  Milch  gegen  Diphtherie  immunisierter 
Ziegen  beschäftigen. 

Eine  milchgebende  Ziege  wurde  so  immunisiert,  dass  in 
1  ccm  der  Molke  ^ao  I.-E«  enthalten  war.  Mit  dieser  —  natürlich 
rohen  —  Ziegenmilch  wurden  3  Kinder  genähi*t  und  untersucht 
ob  nach  der  Ernährung  mit  dieser  Milch  ein  .  Ansteigen  des 
Antitoxingehalts  im  Blut  zu  beobachten  war. 

Das  Kind  K.  wird  im  Alter  tod  4  Tagen  wegen  puerperaler  Er- 
krankung der  Matter  von  der  geburtshülflichen  Station  zur  Säuglings- 
abteilung  verlegt.  Es  ist  ein  zartes,  grazil  gebautes  Kind,  vielleicht  etwas 
zu  früh  geboren,  wiegt  2660  g.  Irgendwelche  krankhafte  Veränderungen 
sind  an  dem  Kinde  nicht  nachzuweisen. 

Die  Untersuchung  des  Serums  auf  Diphtherieantitoxin  ergibt: 
^/lo  der  absolut  tödlichen  Dosis  des  Giftes  gemischt  mit 
i/]5  ccm  des  Serums  — 


'ho      n 

r 

n 

— 

'In     o 

n 

y, 

+ 

'/im     n 

1» 

» 

+ 

'/«•     » 

» 

1« 

+ 

'/»oo    , 

n 

» 

+ 

Hierbei  bezeichnet  —  Freisein  der  Injektionsstelle  beim 
Meerschweinchen  von  jeder  Veränderung,  -j"  Auftreten  eines 
entzündlichen  Ödems  an  der  Injektionsstelle.  Ersteres  bedeutet 
eine  Neutralisierung  des  Giftes,  letzteres  das  Ausbleiben 
derselben. 

Für  Einzelheiten  der  Methodik  muss  ich  auf  meine  oben 
erwähnte  Arbeit  verweisen  und  auf  eine  Arbeit  von  Marx: 
Die  Bestimmung  kleinster  Mengen  Diphtberieantitoxin,  CentralbL 
f.  Bakteriol.  etc.,  Bd,  36,  8.  141. 

Da  ^,200  diejenige  Antitoxinmenge  ist,  die  eine  Absättigung 
des  Giftes  ermöglicht,  so  enthält  das  Serum  des  Kindes  in 
Vso  ccm  ViÄoo  I»-E.  in  1  ccm,  also  \,24  I-E.,  d.  h.  es  ist  ^^4 
Norm  aiser  um. 

Bei  einem  Gewicht  von  2600  g  hat  das  Kind  im  ganzen 
ungefähr  100  ccm  Serum  mit  i — 5  I.-E. 

Das  Kind  erhielt  drei  Wochen  lang  täglich  80—120  ccm  Ziegenmilch, 
enthalten  in  einer  '/g  Milch,  nach  der  ersten  Woche  wurde  nebenher  noch 
Vs  Kuhmilch  gegeben.  Das  Gewicht  blieb  in  den  ersten  10  Tagen  stehen 
und  nahm  dann  in  11  Tagen  um  120  g  zu.  Im  ganzen  erhielt  das  Kind 
2000  g  Ziegenmilch  in  21  Tagen,  pro  Tag  also  etwa  95  ccm.  In  diesen 
95  ccm  sind  95 :  20,  also  etwa  5  I.-£.  enthalten. 


492  Salge,  Immanisieraog  durch  Milch. 

Überlegen  wir  uns  nun  einmal,  wieviel  Antitoxin  von  dieser 
an  einem  Tage  zugeführten  Menge  resorbiert  werden  musste, 
damit  das  Serum  bei  dem  nächsten  Werte  der  Versuchsreihe, 
^/75  ccm,  eine  schützende  Kraft  ausüben  könnte.  Wenn  in 
V76    ccm    ^/isoo    I-£.    enthalten     ist,     dann    sind     in     100    ccm 

.-  =  6,25  I.-E.  enthalten.  Wenn  also  in  das  Serum,  das,  wie 
12 

oben  die  Untersuchung  ergab,  4—5  I.-E.  enthielt,  noch  höchstens 
2,25  I.-E.  übergingen,  so  musste  das  Serum  bereits  in  ^^75  ccm 
V1200  I*-E.  enthalten,  d.  h.  imstande  sein,  Vio  der  absolut  töd- 
lichen Giftmenge  abzusättigen.  Das  entspräche  einer  Resorption 
von  50pCt.,  was,  die  Möglichkeit  der  Resorption  dieser  Körper 
vorausgesetzt,  noch  immer  eine  recht  schlechte  Ausnutzung  wäre. 

Dem  Kinde  wurde  diese  Antitoxinmenge  21  Tage  lang  zu- 
geführt, und  es  ist  anzunehmen,  dass  dadurch  im  Serum  des 
Kindes  eine  Ansammlung  von  Antitoxin  bis  zum  gewissen  Grrade 
zustande  käme.  Denn  wenn  auch  natürlich  mit  einer  fort- 
währenden Ausscheidung  von  Antitoxin  zu  rechnen  ist,  so  ist 
es  doch  kaum  wahrscheinlich,  dass  die  täglich  zugeführten 
Mengen  auch  täglich    wieder    vollständig    ausgeschieden    werden. 

Wir  wissen,  dass  bei  der  künstlichen  subkutanen  Immuni- 
sierung das  Antitoxin  noch  ca.  20  Tage  nach  der  Injektion 
nachweisbar  ist,  dass  bei  Zuführung  sehr  grosser  Mengen  zu- 
nächst eine  relativ  starke  Ausscheidung  eintritt,  die  dann  nur 
langsam  fortschreitet. 

Es  ist  also  anzunehmen,  dass  bei  dem  Kinde,  dem  täglich 
5  I.-E.  zugeführt  wurden,  nach  20  Tagen  auch  bei  der  oben 
supponierten  schlechten  Resorption  genügende  Mengen  von  Anti- 
toxin im  Blutserum  vorhanden  sein  mussten,  die  die  stattgehabte 
Resorption  beweisen  würden.  Die  Untersuchung  des  Blutserums 
nach  drei   Wochen  ergab: 

^/io  der  absolut  tödlichen  Giftdosis  gemischt  mit 


*/25  ccm 

des  Serums  — 

/6O       n 

r>               » 

— 

^llb       » 

n               n 

+ 

VlOO     r> 

n              » 

+ 

Vl50     n 

7i              7^ 

+ 

V200     » 

J5                      T) 

+ 

d.  h.  der  Antitoxingehalt 

im  Serum    des  Kindes    hat   sich  nicht 

verändert. 

I^alge,  ImmanisieruDg  durch  Milch.  493 

Das  Kind  hat  allerdings  in  dieser  Zeit  um  120  g  zugenommen 
und  wiegt  2720  g,  es  hat  jetzt  also  etwa  105  ccm  Blutserum. 
Diese  Differenz  ist  indessen  so  gering,  dass  sie  für  eine  un- 
mittelbare Vergleichung  beider  Versuchsreihen  keinen  Fehler 
bedeutet. 

Bei  diesem  Kinde,  das  von  seinem  4.  bis  zum  25.  Lebens- 
tage mit  Immunmilch  ernährt  wurde,  ist  also  kein  Durchtritt 
Ton  Antitoxin  nachzuweisen. 

Das  zweite  Kind,  das  mit  der  Milch  der  gegen  Diphtherie  immuni- 
sierten Ziege  ernährt  warde,  wurde  9  Tage  alt  von  der  geburtshfilflichen 
Station  zur  Kinderklinik  verlegt,  weil  es  dunoe  Stühle  hatte. 

Es  handelt  sich  um  ein  sehr  zartes,  wahrscheinlich  zu  früh  geborenes 
Kind,  mit  sehr  mangelhaftem  Fettpolster  und  einem  Gewicht  von  2300  g. 

Das  Kind  erhielt  18  Tage  lang  '/g  Ziegenmilch,  wobei  es  im  Ganzen 
1400  reine  Ziegenmilch,  pro  Tag  also  78  ccm  erhielt. 

Damit  wurden  dem  Kinde  täglich  3,8  I.-E.  stomachal  zugeführt,  im 
ganzen  70  !.-£• 

Die  Prüfung  seines  Serums  vor  Beginn  der  Fütterung  mit  der 
Jmmunmilch  ergab: 

Vio  der  absolut  tödlichen  Dosis  gemischt  mit 
i/ts  ccm  des  Serums  4~ 

V»0       9  n  »  + 

Vioo     »         >»  I»         + 

Vjoo    »        «  »        + 

Demnach  war  also  in  dem  Serum  entweder  kein  Antitoxin 

25 

enthalten  oder  noch  weniger  als  Yöfv\  ^^^  <^cmj  d.  h.   das  Serum 

entsprach  noch  nicht  einmal  einem  ^48  Normalserum. 

Da  es  mir  nicht  möglich  war,  noch  grössere  Mengen 
Serum  des  Kindes  zu  untersuchen,  so  fehlt  mir  die  Begrenzung 
des  eventuell  vorhandenen  Antitoxingehalts,  und  ich  bin  für  die 
Berechnung  gezwungen,  anzunehmen,  dass  das  Kind  überhaupt 
kein  Antitoxin  hatte. 

Wieviel  Antitoxin  muss  das  Kind  aufnehmen,  um  in  Vas  ccm, 
der  kleinsten  zu  prüfenden  Menge,  ^/i2oo  I-£^*  zu  haben? 

Das  Kind  wiegt  2300  g,  es  hat  ungefähr  an  Serum  90  ccm, 
in  denen  ungefähr  2  I.-E.  enthalten  sein  mussten.  Am  Ende 
^es  Versuchs  wiegt  das  Kind  2600  g,  hat  also  etwa  100  ccm 
Serum,  in  denen  etwas  über  2,  höchstens  2,5  I.-E.  enthalten 
sein  mussten,  um  das  Serum  zu  einem  ^/^g  Normalserum  zu 
machen,  d.  h.  um  in  ^/jj  ccm  Serum  Viaoo  I--E.  aufzuweisen. 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI,  Heft  S.  $2 


494  Sa  Ige,  Immunisierang  darch  Milche 

Nach  den  bei  Besprechung  des  ersten  Falles  angestellten 
Erwägungen  hätte  dieser  Gehalt  an  Antitoxin  wohl  erwartet 
werden  können,  wenn  eben  die  Möglichkeit  der  Resorption  ge- 
geben war. 

Die  Untersuchung  am  Ende  des  Versuches  zeigte  aber, 
dass  in  dem  Serum  ebenso  wenig  Spuren  von  Antitoxin  nach* 
weisbar  waren,  als  vor  der  Fütterung  mit  Immunmilch. 

Gegen  die  Verwertung  des  Versuches  für  die  hier  auf- 
geworfene Frage  spricht  aber  manches. 

Zunächst  war  das  Kind  bei  Beginn  des  Versuches  nicht 
darm-gesund,  wie  sich  aus  den  dünnen  Stühlen  ergab;  diese 
besserten  sich  allerdings  nach  4  Tagen  und  wurden  schliesslich 
gut.  Kurz  vor  Beendigung  des  Versuches  stellte  sich  aber  eine 
unzweifelhafte  Lues  bei  dem  Kind  heraus,  unter  deren  Einfluss 
der  Ernährungszustand  bald  sehr  zurückging,  und  an  der  das 
Kind  trotz  der  sofort  eingeleiteten  spezifischen  Behandlung  uod 
der  Ernährung  mit  Frauenmilch  nach  weiteren  7  Tagen  verstarb. 

Ich  habe  den  Fall  hier  mit  erwähnt,  weil  er  zu  meinen 
Versuchen  gehört,  bin  mir  aber  wohl  bewusst,  dass  seine  Be- 
urteilung zu  kompliziert  ist,  um  ihn  nach  der  einen  oder  andern 
Seite  zu  verwerten. 

Der  dritte  Fall  betrifft  ein  Kind,  bei  dem  mit  der  Er> 
nährung  mit  Ziegen-Immunmilch  im  Alter  von  34  Tagen  be- 
gonnen wurde. 

Das  Kind  kam  im  Alter  von  23  Tagen  mit  einer  leichten  Dyspepsie 
auf  die  S&uglingsstation,  die  unter  geeigneter  Behandlung  bald  abheilte 
Das  Gewicht  betrug  zu  Beginn  des  Versuches  3360  g,  bei  Beendigung  3510  g. 

Die  Untersuchung  des  Serums  vor  Beginn  der  Fütterung  mit  Immun   » 
milch  ergab: 

Vio  <ier  absolut  tödlichen  Giftdosis  gemischt  mit 
^'ji  ccm  Serum  — 

'/so     "  1.       —  gan«  geringe  Rötung 

Vioo   ,  »        + 

'  liO    '^  «  + 

Das  Serum  enthielt  also  in  *  50  ccm  ^/^oo  I.-E.  (offenbar 
war  hier  gerade  der  Grenzwert),  d.  h.  es  entsprach  '/j4  Normal- 
serum. 

Bei  einem  Gewicht  von  3360  g  hatte  das  Kind  etwa 
180  ccm  Serum,  im  ganxen  also  5,4  L-E.  Am  Ende  des  Ver- 
suchs wog  das  Kind  3510  g,  hatte  also  etwa  135  ccm  Serum. 


Salge,  Immanisierniig  durch  Milch.  495 

Um  in  ^/loo  ccm,  der  nächsten  zur  Prüfung  angestellten 
Verdünnung,  ^isoo  I--E-  zu  enthalten,  d.  h.  um  einem  Vn  Normal- 
serum  zu  entsprechen,    mussten  in  der  ganzen  Serummenge  ent- 

1  ^K 

halten   sein  =11,25  I.-E. 

La 

Da,  wie  oben  ausgeführt,  5,4  I.-E.  in  dem  Serum  bereits 
enthalten  waren,  so  mussten  nur  5,85  I.-E.  hinzutreten,  um  den 
Ausschlag  deutlich  zu  machen,  d.  h.  nach  Beendigung  des  Ver- 
suches musste  ^/loo  ccm  Serum  die  Fähigkeit  besitzen,  Vio  ^^r 
absolut  tödlichen  Dosis  des  Diphtheriegiftes  zu  neutralisieren. 

Das  Kind  erhielt  21  Tage  lang  in  Form  von  ^/s  Milch  im 
ganzen  3360  ccm  Immunmilch  und  damit  168  I.-E.,  pro  Tag 
160  ccm  und  damit  8  I.-E.  Es  kann  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  die  geforderte  Aufnahme  von  noch  nicht  6  I.-E.  in 
der  ganzen  Zeit  mindestens  vorausgesetzt  werden  darf,  wenn 
man  überhaupt  von  einer  Resorption  reden  darf. 

Die  Untersuchung  des  Blutserums  nach  Beendigung  des 
Versuches  ergab: 

y^o  d^^*  absolut  tödlichen  Giftdosis  gemischt  mit 
^/a6  ccm  Serum  — 
^/so     „  j>       -f"  etwas  geringer  als  Kontrolle 

/lOO     n  »         "r 

/l50     »  »  I 

d.  h.  es  war  nicht  nur  kein  Antitoxin  gewonnen  worden,  sondern 
das  Kind  hatte  sogar  etwas  Antitoxin  verloren,  wie  aus  der 
veränderten  Reaktion  mit  ^/so  ccm  Serum  hervorgeht. 

In  der  ersten  Bestimmung  konnte  noch  angenommen 
werden,  dass  ^/go  ccm  eben  noch  das  Gift  zu  neutralisieren  im 
stände  wäre,  wobei  es  sich,  wie  oben  betont,  allerdings  um  einen 
Grenzwert  handelt.  Bei  der  zweiten  Untersuchung  konnte  eine 
Schutzwirkung  nicht  mehr  anerkannt  werden,  doch  machte  sich 
die  relative  Ruhe  des  Grenzwertes  immerhin  dadurch  bemerkbar, 
dass  die  Reaktion  geringer  ausfiel,  als  bei  dem  Kontrolltier. 
Aus  den  vorstehend  mitgeteilten  Versuchen  ergibt  sich,  dass  es 
mir  nicht  gelungen  ist,  durch  Verfutterung  von  Milch,  die  von 
einer  diphtherie-immunisierten  Ziege  stammt,  eine  Übertragung 
von  Antitoxin  auf  den  menschlichen  Säugling  zu  erzielen. 

Das  Alter  der  Kinder  ist  im  ersten  Versuch  so  niedrig  wie 
nur  irgend  möglich,  im  dritten  Versuch  war  das  Kind  schon  einen 

32* 


496  Salge,  Immaoisierang  darch  Milch. 

Monat  alt.  IfVill  man  das  zu  einem  Einwand  gegen  die  Versuche 
benutzen,  so  sei  dagegen  gesagt,  dass  alle  diese  Untersuchungen 
nur  angestellt  wurden,  um  die  therapeutische  Yerwertbarkeit  der 
V.  Behringschen  Anschauungen  zu  prüfen.  In  praxi  dürfte  es  nach 
Möglichkeit  zu  vermeiden  sein,  Kinder  unter  einem  Monat  künst- 
lich zu  ernähren  und  musste  auch  in  unseren  Fällen  nur  geschehen, 
weil  Frauenmilch  leider  nicht  zur  Verfügung  stand,  so  dass  eine 
Methode,  die  jenseits  dieser  Altersgrenze  nicht  mehr  anwendbar 
ist,  überhaupt  kaum  berechtigt  erscheint. 

Zur  weiteren  Klärung  der  Frage  habe  ich  noch  entsprechende 
Versuche  mit  Milch  von  einer  gegen  Typhus  immunisierten  Ziege 
gemacht. 

Das  betreffende  Tier  war  so  hoch  gegen  Typhus  immunisiert, 
dass  0,04  ccm  der  Milch  ausreichten,  um  ein  Meerschweinchen 
von  ca.  200—220  g  gegen  2  mg  (10  fach  tötliche  Dosis)  Typhus- 
bazillen zu  schützen.  Nach  Beendigung  der  Versuche  war  der 
Titer  der  Milch  noch  derselbe. 

Ein  Kind  von  9  Wochen  (der  letzte  Fall  der  mitgeteilten 
Diphtherieversuche),  mit  einem  Gewicht  von  3510  g  erhielt  in 
Form  von  ^/j  Liter  Milch  27  Tage  lang  Typhus-Immunmilch,  im 
ganzen  5415  g  pro  Tag,  also  etwa  200  ccm. 

Das  Serum  des  Kindes  zeigte  vor  dem  Versuche  keinen 
Schutz  gegen  Typhus,  wenigstens  waren  0,5  ccm  des  Serums 
noch  nicht  imstande,  den  Tod  der  Tiere  zu  verhindern  oder  auf- 
zuschieben. 

Ganz  genau  so  verhielt  sich  das  Serum  nach  der  27  tägigen 
Fütterung  mit  Immunmilch.  Ich  lasse  die  Versuchsprotokolle  vor 
und  nach  der  Fütterung  folgen. 

A.    Vor  der  Fütterung. 

Je  ein  Meerschweinchen  erhält  2  mg  (einer  Öse)  eine  24 stünd- 
lichen Typhuskultur  (Typhus-Stamm  W)  gemischt  mit: 

0,01  ccm  Serum  tot  nach  20  Stunden 
0,05      ,         „         „       „      18        „ 

0»1  n  »  »  »         19  » 

0,2        jf         „         „       „      20        „ 
Oi5        „         „         „       „      20        „ 


Saige,  Immanisierang  durch  Milch.  497 

B.    Nach  der  Fütterung. 

Je    ein    Meerschweinchen    erhält  2  mg    einer    24  stündigen 

Typhusagarkultur  (Typhus-Stamm  W)  gemischt  mit: 
0,01  ccm  Serum  tot  nach  20  Stunden 
0,05      „         „         „        „      20        „ 
0,1        «         „         „       „      20        „ 
0,2        „         „         9        M      20        „ 
0,5        „         „         „       „     20        „ 

Das  Serum  hat  also  keine  Spur  Typhusantikörper  gewonnen, 
obwohl  recht  beträchtliche  Mengen  mit  der  Milch  zugeführt 
wurden. 

Das  Kind  wog  am  Ende  des  Versuchs  3560  g,  war  also  im 
wesentlichen  auf  seinem  Gewicht  stehen  geblieben.  Neben  der 
Ziegenmilch  hatte  das  Kind  noch  täglich  etwa  150 — 200  ccm 
Ammenmilch  erhalten,  nachdem  ich  mich  davon  überzeugt  hatte, 
dass  in  dieser  keine  Typhus-Schutzkorper  enthalten  waren. 

Eine  genauere  Berechnung  nach  Art  der  oben  für  die 
Diphtherieversuche  aufgestellten,  glaube  ich  unterlassen  zu  dürfen. 
Es  ist  unschwer,  einzusehen,  dass  bei  nur  einigermassen  wesent- 
licher Resorption  der  vorhandenen  Schutzkörper,  die  sich  bei  der 
Torgenommenen  Untersuchung  des  Serums  hätten  zeigen  müssen. 
Eine  weitere  Untersuchung  wurde  an  dem  Kinde  M.  angestellt, 
das  im  Alter  von  9  Wochen  zur  Aufnahme  kam  mit  einer  massigen 
Dyspepsie,  die  sich  bald  besserte.  Bei  Beginn  der  Untersuchung 
war  die  Darmtätigkeit  des  Kindes  in  Ordnung,  es  war  12  Wochen 
alt  und  wog  2850  g,  war  also  sehr  zurückgeblieben.  Ob  es  sich 
um  eine  Frühgeburt  handelt,  ist  nicht  zu  eruieren,  aber  wahr- 
scheinlich, da  das  Kind  zur  Zeit  der  Aufnahme,  also  im  Alter 
von  9  Wochen,  nur  eine  Körperlänge  von  48  cm  hatte. 

Das  Serum  des  Kindes  ergab  bei  der  Prüfung  vor  der 
Fütterung  mit  der  Typhus-Immunmilch  folgende  Werte: 

Je    ein  Meerschweinchen    intraperitoneal   geimpft  mit  2  mg 
einer  24  stündigen  Typhus- Agarkultur  gemischt  mit: 
0,05  ccm  Serum  tot  nach  ca.  20  Stunden 
0,1  5,  „  n         n         5j20  „ 

0,2        „         „         „       „        „    20        « 
0,5        „         „         „       „        „    20        „ 

In  dem  Serum  waren  also  keine  Typhus  -  Antikörper  nach- 
weisbar. 


498  Sa  Ige,  ImmuDisUruDg  durch  Milch. 

Das  Kind  erhielt  27  Tage  lang  die  Milch  der  gegen  Typhus 
immunisierten  Ziege,  in  den  ersten  8  Tagen  in  Form  von  ^/^  Milch, 
später  in  Form  von  Va  Milch.  Daneben  bekam  es  Frauenmilch, 
in  der  keine  Typhusschutzkörper  vorhanden  waren.  Im  ganzen 
wurden  2200  ccm  Ziegenmilch  verfüttert,  das  Kind  erhielt  also 
pro  Tag  etwa  80  ccm. 

Die  Untersuchung  des  Serums  ergab  genau  dieselben  Werte, 
wie  vor  der  Fütterung,  d.  h.  es  war  nichts  von  Typhus  -  Anti- 
körpern im  Blutserum  des  Kindes  nachweisbar. 

Das  Kind  wog  am  Ende  des  Versuchs  3020  g. 

Es  darf  wohl  auch  in  diesem  Falle  ohne  weitere  Berechnung 
angenommen  werden,  dass  bei  vorhandener  Resorptionsmöglichkeit 
genügende  Mengen  von  Antikörpern  hätten  ins  Blut  übertreten 
müssen,  um  den  Nachweis  zu  ermöglichen.  Es  ist  nach  diesen 
Resultaten  der  Schluss  berechtigt,  dass  die  Fütterung 
mit  artfremder  Milch,  in  der  antitoxische  oder  bak- 
terizide Substanzen  mit  Sicherheit  nachgewiesen  sind, 
nicht  zu  einer  Übertragung  dieser  Körper  auf  den 
menschlichen  Säugling  führt. 

Ich  will  hier  nochmals  auf  das  Alter  der  Kinder  zurück- 
kommen, an  denen  die  vorstehenden  Beobachtungen  angestellt 
wurden. 

Ich  habe  mich  zunächst  bemüht,  den  Anschauungen 
Dr.  V.  Behrings  und  Römers  folgend,  möglichst  ganz  junge 
Kinder  zu  diesen  Beobachtungen  zu  wählen.  Jedem,  der  mit  der 
Ernährung  ganz  junger  Säuglinge  vertraut  ist,  ist  bekannt,  wie 
grosse  Schwierigkeit  die  künstliche  Ernährung  dieser  Kinder 
macht  und  dass  Störungen  der  Verdauungstätigkeit  ausserordent- 
lich leicht  dabei  eintreten.  Nachdem  durch  die  erste  hier  mit- 
geteilte Beobachtung  die  Frage,  auch  unter  Berücksichtigung 
der  V.  Behringschen  Anschauungen  über  den  Einfluss  des  Alters 
auf  die  Resorptionsfähigkeit  von  Antikörpern,  im  wesentlichen 
bereits  entschieden  war,  habe  ich  mich  nicht  entschliessen  können, 
auch  die  weiteren  Beobachtungen  an  so  jungen  Säuglingen  an- 
zustellen. 

Denn  wenn  auf  der  einen  Seite  die  Frage  nach  der  Möglich- 
keit, einen  Säugling  durch  die  Nahrung  (Milch)  gegen  Krank- 
heiten zu  schützen,  von  so  enormer  Wichtigkeit  ist,  dass  meine 
therapeutischen  Versuche  vollberechtigt  sind,  so  muss  man  doch 
andrerseits  betonen,  dass  Kinder  in  den  ersten  Lebenstagen  nur 
mit  Frauenmilch    ernährt  werden  dürfen  und  die  Ernährung  mit 


Salge,  ImmunisieraDg  darch  Milch.  499 

einer  Immanmilch  in  praxi  erst  später  eintreten  könnte.  Soll  der 
Gedanke  v.  Behrings  für  die  Immunisierung  des  menschlichen 
Säuglings  überhaupt  Erfolg  versprechen,  so  muss  unbedingt  ge- 
fordert werden,  dass  die  Fähigkeit  zur  Resorption  von  Antikörpern 
wenigstens  bis  zum  Abschluss  des  ersten  Vierteljahres  besteht. 
Denn  erst  dann  dürfte  es  möglich  sein,  ohne  die  normale  Er- 
nährung und  Entwicklung  zu  gefährden,  genügende  Mengen  von 
Immunmilch  dem  Säugling  zuzuführen.  Aus  diesen  Gründen 
halte  ich  für  die  praktische  Beurteilung  auch  meine  Versuche  an 
den  9  und  12  Wochen  alten  Kindern  für  beweiskräftig. 

Schliesslich  sei  mir  noch  eine  Bemerkung  in  Bezug  auf  die 
jetzt  so  vielfach  betonten  „lebenden"  Eigenschaften  der  rohen 
Milch  gestattet. 

Mir  scheint  es  nach  meinen  Versuchen,  dass  diese  „lebende" 
Frauenmilch  für  den  menschlichen  Säugling,  die  „lebende"  Kuh- 
milch für  das  Kalb  von  Bedeutung  ist,  dass  aber  in  keiner  Weise 
in  dieser  Beziehung  eine  Milch  die  andere  vertreten  kann. 


o. 

Ein  Beitrag  zur  Bekämpfiing  der  grossen 
Säuglingssterblichkeit 

Von 
Dr.  MAX  EBERT, 

VolontännüiteDt  an  der  UniTerBitäu-Klndei^Poliklinik  der  K^l.  Ghtfitö. 

Auf  Grund  von  Berechnungen  nach  Angaben  des  statistischeo 
Amtes  starben  in  Berlin  nach  Dr.  Georg  Heimann ^)  in  den 
Jahren  1897/1901  jährlich  durchschnittlich  10993  Kinder  im  ersten 
Lebensjahr,  d.  h.  22,2  pCt.  der  Lebendgeborenen. 

Von  den  Todesursachen  entfielen  nach  demselben  Autor 
mehr  als  ein  Drittel  auf  Verdauungskrankheiten.  Es  starben  von 
lOO  Lebendgeborenen  an  Magen darmkatarrh  und  Brechdurchfall 
im  Durchschnitt  der  Jahre  1897/1901  in  Berlin  8,5. 

Verglichen  mit  den  Gefahren  der  Erkrankuugen  des  Ver- 
dau ungskanales  treten  nach  Dr.  Heimann  diejenigen  anderer 
Organe  völlig  in  den  Hintergrund.  Es  erlagen  Krankheiten  der 
Atmungsorgane  2,7;  Infektionskrankheiten  1,3;  Gehimkrank- 
heiten  0,4;  anderen  oder  nicht  angegebenen  Erkrankungen  2,1  pCt. 
der  Lebendgeborenen. 

Es  sterben  demnach  allein  in  Berlin  jährlich  im  Durchschnitt 
3500  Kinder  im  ersten  Lebensjahr  an  Krankheiten  der  Yerdauungs- 
organe. 

Die  verhängnisvolle  Bedeutung  der  Verdauungskrankheiten 
liegt  aber  nicht  nur  darin,  dass  alljährlich  eine  so  grosse  Zahl 
von  Kindern  an  ihnen  stirbt,  sondern  sie  schwächen  auch  bei 
längerer  Dauer  durch  die  damit  verbundene  Unterernährung  des 
Körpers  den  Gewebe-  und  Säftewiderstand  desselben  derart,  dass 
er  anderen  Erkrankungen  —  besonders  Infektionskrankheiten  — 
gegenüber  sehr  empfänglich  wird  und  dass  er  den  Einflüssen  der- 


0   Dr.   med.  Georg  Heimann,    Die  Säuglingssterblichkeit   in  Berlin. 
Zeitschr.  f.  Sozialwissenschaft.     VII.  Jahrg.     H.  4.     S.  288  n.  f. 


Ebert,  Ein  Beitrag  zur  Bekämpfang  etc.  501 

selben   viel    leichter    erliögt,    als  ein   gat  genährter,   wohl  durch- 
bluteter Körper. 

Mit  Recht  kann  man  daher  eine  grosse  Zahl  der  jährlichen 
Todesfälle  aus  anderen  Ursachen  im  Grunde  auf  Verdauungs- 
störungen zurückführen. 

Trotz  grosser  sanitärer  und  hygienischer  Fortschritte  war 
die  Abnahme  der  Säuglingssterblichkeit  in  den  letzten  Jahren 
gegen  früher  so  wenig  befriedigend,  dass  der  Berliner  Magistrat 
der  Stadtverordneten -Versammlung  eine  Vorlage  über  die  Bildung 
einer  gemischten  Deputation  zur  Beratung  von  Massnahmen  zur 
Herabsetzung  der  Säuglingssterblichkeit  hat  zugehen  lassen. 

Unter  den  Ursachen  der  Verdauungskrankheiten  spielt  be- 
kanntlich ausser  gelegentlichen  Diätfehlern,  schlechter  Nahrung 
oder  Infektion    die   falsche  Ernährung   eine    hervorragende  Rolle. 

Alle  Bestrebungen,  die  ,  darauf  gerichtet  sind,  die  grosse 
Säuglingssterblichkeit  herabzusetzen  durch  Verbesserung  in  der 
Gewinnung,  der  Reinigung,  dem  Transport  und  der  Verarbeitung 
der  Milch  (Abkühlen,  Zentrifugieren,  Sterilisieren  und  Pasteuri- 
sieren), werden  erst  dann  ein  befriedigendes  Resultat  haben  können,, 
wenn  damit  eine  allgemeine  praktische  Belehrung  der  Mütter  in 
den  Grundsätzen  einer  vernünftigen  Säuglingsernährung  Hand  in 
Hand  geht. 

Schon  vor  35  Jahren  stellte  die  Pariser  Akademie  in  einer 
Beratung  über  die  Ursachen  der  hohen  Säuglingssterblichkeit^ 
nach  eingehender  Diskussion,  die  Behauptung  auf: 

„Die  Unwissenheit  in  den  elementarsten  Regeln  der  Er- 
nährung der  Säuglinge  ist  eine  der  Hauptursachen  der  so  zahl- 
reichen tödlichen  Verdauungskrankheiten  in  diesem  Alter !^ 

Um  zu  beweisen,  dass  dieserSatz  in  vollem  Umfange  auch  heute 
noch  gilt,  habe  ich  in  der  Universitäts  -  Kinder  -  Poliklinik  der 
Kgl.  Charitö  in  Berlin  eine  Statistik  aufgenommen,  welche  die 
Antworten  von  270  Müttern  auf  Fragen  nach  der  künstlichen  Er- 
nährung ihrer  Kinder  umfasst. 

Jeder  Mutter,  welche  mit  einem  Flaschenkiude  unter  einem 
Jahr  in  die  Poliklinik  kam,  legte  ich  folgende  Fragen  vor: 

1.  Kochen  Sie  Milch  und  Zusatz  zugleich  ab,  und  heben  Sie 
beides  als  fertige  Tagesnahrung  in  einem  Topf  auf? 

2.  Kühlen  Sie  die  Nahrung,  nachdem  sie  gekocht  hat,  schnell 
in  kaltem  Wasser  ab? 

3.  Heben  Sie  die  Nahrung  verschlossen  auf? 


502 


Bbert,  Ein  Beitrag  zar  Bek&mpfang 


No.i 
1      Alter 

wicht  ^      Diagnose 

Frage 

l 

Frage 
8 

Frage !     Frage 
8              4 

,       Frage 
5 

66  .  9  W. 
R.  E. 

4400 
5000 

Angiom 

nein 

nein 

ja 

ja 

600                1:1 
850>-4l0 1         1:1 

67 

8  W.  ;  5000 
R.  E.  .  4600 

Epiioptiforme 
ADfäUe 

nein   >     ja          ja 
ja     1     ia     1     ja 

750               1:1 
41O860           1 : 1 

68 

21 W. 
R.  E. 

6300  1     Dyspepsie 
6800  , 

nein 

nein 

ja            500       1          1:1 
ja       630>-780|l,4:m5:I 

69 

39  W. 
R.  E. 

5200 
8500 

Atrophie 

nein 
ja 

nein 
ja 

nein 
ja 

500       I         1:1 

410>-1180'   1:1>V.M. 

1 

70 

43  W. 
R.  E. 

6400 
9000 

Rachitis 

nein 

nein 
ja 

nein 
ja 

1000 
6d0>^1220 

4:1 
1,4 :  1>V.  M. 

71 
270 

17  W. 
R.E.' 

4200 
6800 

Dyspepsie 

nein 

nein 
ja 

nein 
ja 

750 
35(»630 

1:1 
1:1>M:1 

4.  Wieviel  Milch  verbrauchen  Sie  täglich  für  das  Kind? 

5.  Wie  stark  verdünnen  Sie  die  Milch? 

6.  Wieviel  Nahrung  erhält  das  Kind  täglich? 

7.  Wieviel  Zucker  setzen  Sie  täglich  der  Nahrung  zu? 

8.  Wie  viele  Mahlzeiten  erhält  das  Rind  in  24  Stunden? 

9.  Wie  viele  Mahlzeiten  in  der  Nacht? 

10.  Wie  lang  sind  die  Pausen  zwischen  den  Mahlzeiten? 

11.  Wie  gross  ist  die  einzelne  Mahlzeit? 

Ausserdem  notierte  ich  bei  jedem  Kinde  das  Alter,  das 
Gewicht,  die  Diagnose,  den  Beruf  des  Vaters  und  die  Angabe 
über  Appetit  und  Stuhlgang. 

Die  oben  angegebenen  6  Fälle  mögen  die  Anordnung  and 
die  Verwertung  der  Angaben  der  Statistik  zeigen. 

Bezüglich  einzelner  Fragen  ist  zu  bemerken: 

Frage  4.  Die  täglich  verbrauchte  Milchmenge  wurde  in 
den  meisten  Fällen  direkt  angegeben.  Bei  einigen  musste  ich 
sie  berechnen  aus  der  Zahl  und  Grösse  der  Mahlzeiten  und  dem 
Mischungsverhältnis. 

Frage  5.  Alle  Mütter  gaben  das  Mischungsverhältnis  der 
Einzelpoiidonen  (Flaschen)  an,  und  zwar  nach  Strich.  Ein  Strich 
entspricht  einer  Menge  von  17 — 20  g.  Die  Mischung  der  Einzel- 
mahlzeit   konnte    ohne    weiteres    der   Mischung    der  Tagesmenge 


der  grossen  Sänglingssterblichkeit. 


503 


Frage 
6 

Frage 
7 

Frage 
8 

Frage 
9 

Frage 
10 

Frage 
U 

Appe- 
tit 

Stuhl- 
gang 

Beruf  des 

Vaters 

1200 

32 

8 

0 

3 

150 

gut 

hart 

Schriftsetzer 

700>830 

35>42 

7 

0 

3 

100-115 

1500 

40 

10 

3 

2 

150 

gut 

gut 

Arbeiter 

830-^760 

40 

7 

0 

3 

115^105 

1000 

48 

6 

1 

2-3 

170 

gut 

gut 

? 

1070 

35>27 

6 

0 

3 

175 

1000 

24-48 

6-12 

2-4 

1-2 

85-150 

gut 

hart 

Arbeiter 

83(»1180 

42>0 

7>5 

0 

3^4 

115^235 

1250 

28-42 

7 

0 

2 

175 

gut 

gut 

Tischler 

1070-^1220 

35>0 

6^5 

0 

3>4 

17&>240 

1500 

18 

9 

1 

2-21/, 

170 

gut 

dünn 

Kaufmann 

700>-1070 

35 

7^6 

0 

3 

100>175 

gleichgesetzt  werden,  da  die  Mütter  im  Lauf  eines  Tages  die 
Mischung  der  Einzelmahlzeiten  nicht  zu  verändern  pflegen. 

Frage  6.  Die  tägliche  Nahrungsmenge  musste  in  den 
meisten  Fällen  berechnet  werden  aus  der  Milchmenge,  dem 
Mischungsverhältnis    und    der   Grösse    und  Zahl    der  Mahlzeiten. 

Frage  7.  Die  täglich  verbrauchte  Zuckermenge  wurde  ge- 
funden aus  der  jeder  Flasche  zugesetzten  Menge  mal  der  Zahl 
der  Flaschen. 

Frage  8.  Eine  Pause  von  2  Stunden  entspricht  in  der 
Regel  8  täglichen  Mahlzeiten;  eine  von  3  Stunden  sieben. 

Frage  11.  Die  Grösse  der  Mahlzeiten  wurde  fast  in  allen 
Fällen  nach  Strich  angegeben. 

Um  die  Zahl  der  von  den  Müttern  gemachten  Fehler  finden 
zu  können,  habe  ich  in  der  Statistik  bei  jeder  Antwort  angegeben, 
wie  sie  nach  einer  vernünftigen  Ernährung,  welche  das  Gewicht 
und  das  Alter  des  Kindes  berücksichtigt,  lauten  müsste. 

Folgende  nach  den  Ernährungsgrundsätzen  des  Herrn 
Geh.-Rats  Professor  Dr.  Heubner  bearbeitete  Tabelle,  welche 
das  Nahrungsbedürfhis  des  künstlich  ernährten  Säuglings  für  das 
«rste  Jahr  nach  Mischung  und  Tagesmenge  wiedergibt,  habe  ich 
diesem  Vergleich  als  Durchschnitts-  oder  Normalnahrung  za- 
grunde gelegt. 


504 


Ebert,  Ein  Beitrag  znr  Bekämpfung 


Normal-ErDährung  eines  Kindes  im  ersten  Lebensjahre. 


Milch 

II  eä 

nt 

11« 

Zacker  =  ge- 
stlich. Kaffee- 
löffel 

«1 

g  ä 

11 

Zucker- 

lÖSUDg  pGt. 

Pansen 
(Stnnden) 

US 
^1 

'TS    * 

Alter 

1  «* 

li 

10 

30 

40 

V. 

1:8 

8 

3V. 

5 

8 

Tag 
1. 

3300 

40 

80 

120 

iVf 

1:2 

8 

2V. 

8 

15 

2. 

120 

240 

360 

4V. 

1:2 

8 

2V, 

8 

45 

3. 

140 

280 

420 

5V» 

1:2 

« 

2»/. 

8 

50 

4.-7. 

Woche 

200 

400 

600 

9 

1:2 

9 

2Vf 

8 

75 

2.-8. 

3500 

240 

440 

680 

10 

1:1,8 

« 

2V. 

8 

85 

4. 

3800 

350 

350 

700 

9 

1:1 

10 

3 

7 

100 

5.-6. 

4200 

360 

400 

760 

10 

1:1 

10 

8 

7 

105 

7.-8. 

4600 

410 

420 

830 

lov. 

1:1 

10 

3 

7 

115 

9.-10 

5000 

450 

450 

900 

11 

1:1 

10 

3 

7 

125 

11.-12 

5400 

500 

500 

1000 

10 

1:1 

8 

3 

6 

165 

13.-14. 

5700 

540 

500 

1040 

10 

1:1 

8 

3 

6 

170 

15.— 16. 

6000 

630 

440 

1070 

9 

1,4:1 

8 

3 

6 

175 

17.— 18. 

1  6300 

700. 

390 

1090 

8 

1,8:1 

8 

8 

6 

180 

19.-20. 

6600 

780 

270 

1050 

7 

2,5:1 

10 

3 

6 

175 

21. —22. 

6850 

840 

230 

1070 

6 

3,6:1    - 

10 

3 

6 

175 

28.-24. 

1   7100 

870 

210 

1080 

6 

4:1 

12 

3 

6 

180 

25.-26. 

7300 

950 

150 

1100 

4V. 

6,3:1 

12 

3 

6 

180 

27.-28. 

7500 

1100 

— 

1100 

1 

— 

— 

3 

6 

180 

29.-30. 

7700 

1100 

— 

1100 

2 

— 

— 

3 

6 

180 

31.— 32. 

7900 

1120 

— 

1120 

2V, 

— 

— 

3 

6 

185 

83.-34. 

8150 

1140 

— 

1140 

3 

— 

— 

3 

6 

190 

35.-36. 

8400 

1160 

— 

1160 

Beikost 

— 

— 

5 

230 

37.-38. 

8450 

1180 

— 

1180 

» 

— 

— 

5 

235 

39.-40. 

8500 

1200 

— 

1200 

» 

— 

— 

5 

240 

41.— 42. 

8750 

1220 

— 

1220 

« 

— 

— 

5 

240 

43.-44. 

1   9000 

1230 

— 

1230 

n 

— 

5 

245 

45.-46. 

1   9150 

1240 

— 

1240 

^ 

— 

5 

245 

47.-48. 

,   9300 

1250 

— 

1250 

n 

— 



A 

5 

250 

49.— 50. 

1   9550 

1260 

— 

1260 

" 

— 

— 

5 

250 

51.-52. 

1   9800 

1000  g  Kuhmilch  =  690  grosse  Kalorien;  1000  g  3  pCt.  Hafersuppe  ==  120  gr.  K.;  1  gestrich. 
Kaffeelöffel  Zncker  =  4  g=16  gr.  E. 

Zwei  Kinder  (Mädchen)  aus  meinem  Verwandtenkreis  sind 
nach  dieser  Ernährungstabelle  mit  einer  ihrem  individuellen  Be- 
dürfnis und  ihrem  Anfangsgewicht  entsprechend  modifizierten 
Tagesmenge  mit  gutem  Erfolg  ernährt  worden  und    haben    beide 


der  grossen  Säaglingssterblichkeit. 


505 


keine-  nennenswerte    Verdauungsstörung    durchzumachen    gehabt. 
Ihre  Gewichtszunahme  war  folgende: 


Elisabeth  0. 

Senta  0. 

Gewicht    Zanahme 

Gewicht 

Zunahme 

Oewicht  bei  der  Gebnrt 

3730 

89 

4700 

(am  2.  Tage 

» 

Ende  der  1.  Woche 

3819 

112 

4415 

starke 

9 

8931 

41 

4537 

Nabel- 

n 
n 

1»    »   ^*     » 

3972 
4005 

33 
205 

4472 
4575 

blatang) 

■n 

»   »  5. 

4210 

48 

4553 

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4253 

66 

4685 

132 

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4319 

189 

4571 

—  114 

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4508 

98 

4672 

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4726 

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4888 

162 

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5003 

220 

5081 

193 

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5223 

27 

5070 

—  11 

» 

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189 

5271 

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186 

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5487 

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5616 

271 

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5887 

139 

5691 

252 

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6026 

170 

5819 

128 

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.   .  19.    . 

6196 

83 

5980 

161 

if 

,   «  20.    „ 

6279 

70 

6082 

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«   .  21.    , 

6349 

118 

6137 

55 

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»   »  22.    „ 

6467 

259 

6170 

33 

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«   .  23.    , 

6726 

29 

6204 

34 

» 

.   »  24.    „ 

6755 

1 

6437 

233 

n 

»   .  25.    . 

6756 

147 

6474 

37 

« 

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6903 

189 

6656 

182 

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7092 

159 

6810 

154 

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189 

6816 

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7440 

189 

6860 

34 

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7629 

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7123 

263 

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7755 

259  = 

7143 

20 

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»   .  82.    , 
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.   «  34.    . 
n   ,  35.    , 

8792 

Dorch- 

■chnltto- 

Zanahme 

In  der 

Woche 

7169 
7350 
7532 
7890 

26 
181 
182 
358 

n 

«   ,  36.    , 

— 

8226 

336 

» 

«   »  37.    , 

— 

8457 

231 

» 

.   .  38.    . 

— 

8587 

180 

1» 

n   »  39.    , 

— 

8718 

131 

■» 

.   •40.    , 

— 

9146 

428 

9» 

.   .  41.    . 

— 

9255 

1 

109 

506  Ebert,  EiD  Beitrag  zar  BokämpfaDg 

An  Fall  71  möchte  ich  die  Anordnang  and  die  Bedeatung 
der  Angaben  der  Statistik  erläutern. 

(Siehe  nebenstehende  Tabelle.) 

Die  erste  Reihe  jeder  Horizontalspalte  der  Statistik  gibt  die 
erhaltenen  Antworten  wieder,  daneben  das  Alter,  das  Gewicht, 
die  Diagnose,  Angabe  über  Appetit  und  Stuhlgang  und  den  Be- 
ruf des  Vaters.  Die  zweite  Reihe  enthält  die  entsprechende  Nomal- 
ernährung.  R.  E.  bedeutet  „Richtige  Ernährung".  Darauf  folgt 
nach  rechts,  unter  dem  in  der  ersten  Reihe  verzeichneten  ge- 
fundenen Gewicht,  das  Normalge  wicht  des  betreffenden  Kindes, 
wie  es  seinem  Alter  entspricht.  Der  zwischen  beiden  Gewichten 
befindliche  Pfeil  hat  folgende  Bedeutung: 

Wenn  der  Arzt  findet,  dass  ein  Rind  wenuger  wiegt,  als 
das  seinem  Alter  entsprechende  Normalgewicht,  so  besteht  für 
ihn  die  Aufgabe,  dieses  Normalge  wicht  zu  erreichen  oder  wenigstens 
die  Differenz  zwischen  beiden  Gewichten  möglichst  zu  verringern, 
indem  er  die  Ursache  für  das  zu  geringe  Gewicht,  Krankheit, 
Unter-  oder  Uebernährung,  beseitigt. 

lu  Frage  4  nach  der  täglichen  Milchmenge  ist  in  der  ersten 
Reihe  die  Angabe  der  Mutter  verzeichnet;  darunter  befinden  sich 
in  allen  Fällen,  in  denen  die  Differenz  beider  Gewichte  mehr  als 
500  g  beträgt,  zwei  Zahlen.  Die  erste  Zahl  bezeichnet  diejenige 
Milchmenge,  welche  das  Kind  braucht,  um  seinem  Kalorienbedarf 
und  seiner  Verdauungskraft,  welche  in  dem  vorhandenen  Gewicht 
zum  Ausdruck  kommen,  zu  genügen.  Ich  möchte  dies  den 
Minimum-Bedarf  des  Kindes  nennen  (Mi.-B.). 

Die  zweite  Zahl  ist  diejenige  Milchmenge,  welche  das  Kind 
dem  seinem  Alter  entsprechenden  Normalgewicht  nach  erhalten 
müsste.  Ich  möchte  dies  den  Maxi  mal- Bedarf  des  Kindes 
nennen  (Ma.-B.). 

In  Fall  71  erhält  ein  17  Wochen  altes  Kind  eine  tägliche 
Milchmenge  von  750  g.  Darunter  stehen  die  beiden  Zahlen 
350-^630.  350  =  Mi.-B.,  das  Kind  braucht  und  kann  verarbeiten, 
da  es  4200  g  wiegt,  täglich  350  g  Milch.  630  =  Ma.-B.,  das 
Kind  sollte  seinem  Alter  nach  eine  tägliche  Milchmenge  von  630  g 
erhalten,  wenn  es  das  diesem  Alter  entsprechende  Normalgewicht 
hätte. 

Der  Abstand  von  Mi.-B.  bis  Ma.-B.,  welcher  in  Fall  71  als 
Nahrungsdifferenz  280  g  oder  als  Gewichtsdifferenz  2100  g  beträgt, 
möchte  ich  die  Ernährungsbreite  nennen  (E.-B.) 


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55 

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der  grossen  Säuglingssterblichkeit. 


507 


Der  Pfeil  zwischen  den  Zahlen  bedeutet  wieder,  dass  der 
Arzt  bei  Regelung  oder  Feststellung  der  Ernährung  die  Eruähruugs- 
breite  verkleinern,  wenn  möglich  bis  auf  0  bringen  soll,  indem 
er,  vom  Aü.-B.  ausgehend,  die  Nahrungsmenge  steigert,  aber  nichts 
wie  in  der  Ernähruugstabelle  alle  14  Tage,  sondern  schon  alle 
8  Tage,  dabei  aber  nur  dann  einen  Schritt  weitergehend,  wenn 
er  sich  durch  regelmässige  Wägungen  überzeugt  hat,  dass  das- 
Gewicht  des  Kindes  mit  der  Zunahme  der  Nahrung  gleichen 
Schritt  hält,  d.  h.,  wenn  die  Yerdauungsmöglichkeit  für  die  ver- 
abreichte Nahrung  vorhanden  ist. 

Aus  diesen  Begriffen:  Mi.-B.,  Ma.-B.  und  E.-B.  ergab  sich 
mir  ein  Massstab  zur  Beurteilung  der  Angaben  der  Mütter.  Dabei 
waren  drei  Möglichkeiten  zu  unterscheiden: 

1.  Möglichkeit.  Das  gefundene  Gewicht  des  Kindes  entsprach 
dem  Normalgewicht,  d.  h.,  Mi.-B.  und  Ma.-B.  fielen  zusammen^ 
E,-B.  war  =  0.  In  diesem  Fall  wurde  das  Kind  richtig  ernährt^ 
wenn  es  die  Normalnahrung  seines  Alters  erhielt.  An  diesem 
Kalorienbedarf  bei  Normalgewicht  hielt  ich  Schwankungen  von 
je  50  Kalorien  nach  oben  und  unten  für  zulässig,  entsprechend 
den  wechselnden  inneren  und  äusseren  Verhältnissen  des  Kindes. 
Als  fehlerhaft  bezeichnete  ich  die  Nahrung  erst  dann,  wenn  sie 
dem  Kinde  mehr  als  50  Kalorien  zu  viel  oder  zu  wenig  zuführte 
=  Unter-  oder  Üeberernährung.     Fig.  1. 


^^^^^        ^^^^''        i^MÜI^ 

.^S^^S^aHEnBwSwBSSm          '-Mi^i               X               4  J0  jr«£.        BaBSSBBpffiBBBMHfflHttBBHSK 

•  j^ 

Zulä88i|2[e  Nahrung. 
Fig.  1. 

/"<,                 ^                > 

Falsche  Nahraog. 

Falsche  Nahrnng. 

2.  Möglichkeit.  Das  gefundene  Gewicht  des  Kindes  war 
geringer  als  das  Normalgewicht;  die  Differenz  beider  E.-B.  betrug 
aber  höchstens  600  g.  In  diesem  Falle  nahm  ich  als  Grenzen 
der  zulässigen  Nahrung  nach  unten  den  Mi.-B.  und  nach  oben 
den  Ma.-B.  an  Vom  Mi.-B.  ausgehend,  durfte  also  hier  die  zu- 
lässige Nahrung  um  50  Kalorien  differieren,  aber  nur  nach  oben^ 
da  eine  Gewichtsdifferenz  eingeholt  werden  sollte.  Das  Zurück- 
bleiben hinter  dem  Mi.-B.  galt  hier  stets  als  Fehler.  Ebenso 
war  eine  Nahrungsmenge,  die  jenseits  des  Ma.-B.  lag,  ein  Fehler, 


508 


Ebert,  £in  Beitrag  zur  Bekam pfung 


da  sie  sich  zu  weit  von  dem  augenblicklichen  Bedürfnis  des  Rindes 
(Mi.-B.)  entfernte.     Fig.  2. 

Gefand.  Zulässige  Nahrung.    Norm.- 

Gew.  Gew. 


Falsche  Nahrung.  Mi.- 
B. 


E.-B.  bis  600  g. 
50  Ealor. 
Fig.  2. 


Falsche  Nahrung. 


3.  Möglichkeit.  Die  Differenz  des  gefundenen  und  des  Normal- 
gewichts  =  E.-B.  betrug  mehr  als  600  g. 

In  diesem  Falle  teilte  ich  die  Emährungsbreite  in  2  Teile, 
Mi.  V»  E.-B.  und  Va  E.-B.  Ma.  Der  eine  Teil,  Mi.  ^'j  E.-B.  betrag 
600  g,  der  zweite  umfasste  die  übrige  Differenz  der  beiden  Ge- 
wichte des  Kindes. 

Als  zulässig  bezeichnete  ich  diejenige  Nahrungsmenge,  welche 
in  der  ersten  Hälfte  der  E.-B.  lag;  fehlerhaft,  wenn  sie  unter 
dem  Mi.-B.  und  in  der  zweiten  Hälfte  der  E.-B.  lag,  denn  sie 
entfernte  sich  hier  schon  um  mehr  als  50  Kalorien  von  dem  Be- 
dürfnis des  Kindes.  Grob  falsch  war  die  Ernährung,  wenn  sie 
jenseits  des  Ma.-B.  lag,  d.  h.  ausserhalb  der  physiologischen 
Möglichkeit  des  Kindes,  sie  zu  verarbeiten.     Fig.  3. 


Gefund. 
Gew. 


E.  B.  grösser  als  600  g. 
^ 


tfgflj. 


-y^ 


Fehler. 


Mi.- 

B. 


Zulftss.  Nähr. 

Mi.  Vj  E.-B. 

(600  g.) 


Grobe  Fehler. 


Fig.  8. 


Als  Beispiel  für  diese  dritte  Möglichkeit,  die  in  der  Statist  k 
fast  ausschliesslich  in  Betracht  kommt,  möge  Fall  71  dienen. 

Das  betreffende  Kind  war  17  Wochen  alt  und  wog  4200  g. 
Das  Normalgewicht  dieses  Alters  beträgt  6300  g.  Die  Differenz 
beider  Gewichte  betrug  also  2100  g  =  E.-B. 


der  grossen  Säaglingssterblichkeit. 


509 


Der  Mi.-B.  des  Kindes  (entsprechend  seinem  Gewicht) 
betrug  350  g  Milch;  der  Ma.-B.  (entsprechend  seinem  Normal- 
gewicht) 630  g  Milch.  Nun  erhielt  das  Kind  täglich  eine  Milch- 
menge von  750  g,  welche  weit  jenseits  des  Ma.-B.  liegt,  also 
ein  grober  Fehler  ist. 

Da  die  Ernährungsbreite  hier  mehr  wie  600  g  beträgt, 
wurde   sie   in  der  angegebenen  Weise  in  2  Teile  geteilt.     Fig.  4. 


E.-B.  grösser  als  600  g. 


Getund. 
Gew. 
4200 


Mi.  Vi  E.-B. 


Va  E.-B.  Ma. 


Normal- 
Gew» 
6300 


In  Fall  71 
750  g 


Fehler        Mi.-    Zul&ss.  Nähr. 
B. 
350  g 


Fig.  4. 


Fehler  Ma.-     Grobe  Fehler 

B. 

630  g 


In  dieser  Weise  habe  ich  die  Angaben  der  Mütter  über 
die  tägliche  Milch-  und  Nahrungsmenge,  sowie  die  Grösse  der 
Mahlzeiten  einer  Kritik  unterzogen. 

Wer  für  ein  Kind  unter  einem  Jahre  die  Ernährung  fest- 
stellen oder  regeln  will,  sollte  sich  vorher  folgende  Fragen  be- 
antworten : 

1.  Was  wiegt  das  Kind? 

2.  Was  sollte  das  Kind  seinem  Alter  nach  wiegen  =  Normal- 
gewicht? 

3.  Welche  Nahrung  sollte  das  Kind  seinem  Gewicht  nach 
enthalten  =  Mi.-B.? 

4.  Welche  Nahrung  sollte  das  Kind  seinem  Normalgewicht 
nach  erhalten  =  Ma.B.? 

5.  Wie  gross  ist  die  E.-B.? 

6.  Wie  wurde  das  Kind  bisher  ernährt  (Milchmenge,  Mischung, 
Tagesmenge,  Zuckerzusatz,  Grösse  und  Zahl  der  Mahlzeiten  und 
Pausen)  ? 

Bei  diesem  Verfahren  werden  die  gegebenen  Diät- Vorschriften 
den  physiologischen  Verhältnissen  und  Möglichkeiten  des  Kindes 
entsprechen,  und  sie  werden  infolgedessen  einen  guten  Erfolg 
verbürgen;  auch  wird  man  jederzeit  sich  selbst  und  anderen  genau 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    IJU,  Heft  3.  33 


510  Ebert,  Ein  Beitrag  zur  Bekämpfung 

Rechenschaft    über    den    Erfolg    und    das    Ziel    der    Behandlung 
geben  können. 

Ein  am  Schluss  beigefügter  Diätbogen  dürfte  sich  für  diesen 
Zweck  eignen. 

Wenn  alle  Krankenhäuser  und  Polikliniken,  in  denen  Kinder 
behandelt  werden,  femer  alle  Ärzte  von  ihren  kleinen  Patienten 
im  ersten  Lebensjahre  derartige  Diätbogen  im  Beginn  der  Be- 
handlung ausfüllten  und  bis  zum  Schluss  fortführten,  um  am  Ende 
des  Jahres  diese  Bogen  einer  Zentralstelle  zur  Bearbeitung  ein- 
zuschicken, würden  wir  bald  ein  reiches  und  für  den  Kampf 
gegen  die  grosse  Säuglingssterblichkeit  wertvolles  Erfahrungs- 
material  besitzen. 

Die  Grundsätze  einer  vernünftigen  Säuglingsernährung. 
Die  Fragen  und  ihre  Beantwortung. 

1.  Grundsatz.  Milch  und  Zusatz  sollen  zusammengekocht 
und  als  fertige  Mischung  für  den  ganzen  Tag  im  Kochtopf  auf- 
gehoben werden! 

Bei  diesem  Verfahren  spart  sich  die  Mutter  Arbeit.  Es 
ist  viel  einfacher,  so  oft  das  Kind  trinken  soll,  nur  die  fertige 
Mischung  in  der  nötigen  Menge  abzugiessen,  als  jedesmal  die 
richtige  Mischung  erst  herzustellen.  Ferner  ist  die  Möglichkeit 
einer  Verunreinigung  der  Milch  und  des  Zusatzes  doppelt  so  gross, 
wenn  beide  getrennt  in  zwei  Gefässen  aufbewahrt  und  erst  vor 
dem  Trinken  zusammengegossen  werden. 

Wird  als  Zusatz  nur  Wasser  genommen,  so  hat  die  Her- 
stellung der  Mischung  erst  kurz  vor  dem  Trinken,  besonders  auf 
dem  Lande,  den  schwerwiegenden  Nachteil,  dass  zu  der  schon 
abgekochten  Milch,  wenn  das  Kind  trinken  soll,  einfach  die 
nötige  Menge  Wasser  hinzugefugt  und  beides  auf  Trink- 
temperatur erwärmt  wird.  Da  aber  das  Trinkwasser  auf  dem 
Lande,  besonders  in  der  heissen  Jahreszeit,  in  vielen  Fällen  nicht 
von  einwandsfreier  Beschaffenheit  ist,  so  wird  es,  vom  Säugling 
in  unabgekochtem  Zustande  getrunken,  oft  die  Ursache  für  Magen- 
und  Darmstörungen  sein. 

Frage  1.  Kochen  Sie  Milch  und  Zusatz  zugleich  ab,  und 
heben  Sie  beides  als  fertige  Mischung  in  einem  Topf  auf? 

In  Betracht  kommen  die  Antworten  von  169  Müttern, 
deren  Kinder  Mischung  erhielten. 

Nur  in  7,1  pCt.  der  Fälle  wurde  dieser  erste  Grundsatz 
einer    vernünftigen   Ernährung    befolgt,    während    92,9  pCt.    der 


der  grossen  Säuglingssterblichkeit.  511 

Kinder  eine   Nahrung  erhielten,  die   erst  kurz  vor  dem  Trinken 
gemischt  wurde. 

2.  Grundsatz.  Nach  dem  Abkochen  soll  die  Nahrung 
schnell  abgekühlt  und  kühl  (in  kaltem  Wasser)  aufbewahrt  werden. 

3.  Grundsatz.  Die  Nahrung  soll  gut  verschlossen  auf- 
bewahrt werden! 

Wenn  die  Nahrung  nach  dem  Kochen  einfach  bei  Seite  ge- 
stellt wird,  so  kühlt  sie,  besonders  im  Sommer,  nur  sehr  lang- 
sam ab.  Das  verhältnismässig  lange  Verweilen  aber  auf  gewissen 
Temperaturen  (zwischen  30  und  40^  C.)  begünstigt  in  hohem 
Grade  des  Bakterienwachstum,  sei  es,  dass  sie  infolge  mangel* 
haften  Abkochens  noch  in  der  Milch  vorhanden  waren,  sei  es, 
dass  sie  durch  nachträgliche  Verunreinigung  hineingeraten  sind. 
Letzteres  geschieht  auf  dem  Lande  sehr  häufig  durch  die  Fliegen, 
da  viele  Mütter  die  Milch  unverschlossen  stehen  lassen,  in  dem 
Glanben,  dass  sie  beim  Zudecken  dumpfig  und  schneller  sauer 
werde,  ßasches  Abkühlen  lässt  den  gefahrlichen  Wärmegrad 
schnell  überschreiten,  so  dass  die  Bakterien  keine  Zeit  haben, 
sich  in  einer  für  das  Kind  schädlichen  Menge  zu  entwickeln. 

Frage  2.  Kühlen  Sie  die  Nahrung,  nachdem  sie  gekocht 
hat,  schnell  in  kaltem  Wasser  ab? 

Von  220  Müttern,  welche  mir  auf  diese  Frage  Antwort 
gaben,  entsprachen  50  pCt.  dieser  Forderung;  die  andere  Hälfte 
stellte  die  Nahrung  zum  Abkühlen  einfach  bei  Seite  (meisst  aufs 
Blumenbrett  vor  dem  Fenster).  Gefahr:  Verunreinigung  aus  der 
Luft  durch  Fliegen  oder  beim  Teppichklopfen  in  Höfen. 

Frage  3.     Heben  Sie  die  Nahrung  verschlossen  auf? 

Von  222  Müttern  Hessen  6I98  pCt.  die  Nahrung  nach  dem 
Kochen  ofPen  stehen. 

4.  Grundsatz.  Das  Kind  soll  eine  seinem  Alter  und 
seinem  Gewicht  entsprechende  Milchmenge  bekommen! 

Es  ist  ein  sehr  verbreiteter,  verhängnisvoller  Irrtum  der 
Mütter  aller  Stände,  wenn  sie  glauben,  dass  sie  durch  eine 
rasche  Steigerung  der  Milchmenge  ihr  Kind  dicker  machen  und 
schneller  zunehmen  lassen  könnten.  Die  Folgen  der  Über- 
ernährung machen  sich  nicht  gleich  bemerkbar.  Monatelang  ge- 
deiht ein  Kind  bei  einer  viel  zu  grossen  Milchmenge  scheinbar 
vorzüglich.  Im  Grunde  aber  befinden  sich  die  Verdauungsorgane 
in  einem  fortwährenden  Zustand  der  Überarbeitung,  in  einem 
sehr  labilen  Gleichgewicht. 

33* 


512  Gbert,  Ein  Beitrag  zur  Bekämpfung 

Plötzlich  erkrankt  das  Eind  an  einer  schweren  Yerdauungs- 
störung.  Viele  Mütter  wissen  dafür  keinen  Grund  anzugeben. 
Manche  geben  einer  Erkältung,  einem  Milchwechsel,  sauer  ge- 
wordener Milch  oder  dem  Zahnen  die  Schuld.  In  den  aller- 
meisten Fällen  aber  sind  diese  Ursachen  nicht  der  letzte  Grund 
für  die  schwere  Verdauungsstörung,  sondern  sie  lösen  dieselbe 
nur  aus.  Nicht  das  Betroffenwerden  von  diesen,  oft  nicht  za 
vermeidenden  Schädlichkeiten  wird  den  Kindern  verhängnisvoll, 
sondern  dass  ihre  durch  die  lange  Überernährung  geschwächten 
Verdauungsorgane  nicht  mehr  über  die  verdauende  und  bakterien- 
tötende Mehrarbeit,  wie  sie  diese  Schädlichkeiten  erfordern,  ver- 
fügen. 

In  den  meisten  Fällen  sind  die  schweren  Verdauungs- 
störungen des  Säuglingsalters  nichts  anderes  als  Erschöpfungs- 
zustände des  Magens  und  Darmes,  ausgelöst  durch  Schädlich- 
keiten, welche  von  einem  vernünftig  ernährten  Kinde  meist  über- 
v/undec  werden. 

Besonders  reich  an  derartigen  Schädlichkeiten  ist  die  heisse 
Jahreszeit,  in  welcher  auch,  wie  die  Erfahrung  lehrt,  am  meisten 
Kinder  an  schweren  Darmstörungen  erkranken. 

In  der  Universitäts-Poliklinik  für  Kinder  in  der  Kgl.  Charit^ 
wurden  an  Verdauungskrankheiten  behandelt: 

im  September  1903     54  Kinder 


Oktober 

j> 

39 

November 

^t 

19 

Dezember 

jy 

16 

Januar 

1904 

14 

Februar 

y> 

15 

März 

n 

19 

April 

» 

18 

Mai 

» 

31 

Juni 

» 

34 

Juli 

55 

63 

August 

)• 

135 

Wie  ausserordentlich  stark  der  Fehlei 

•,  die  Kinder  zu  über- 

füttern,    unter    den 

Müttern    verbreitet    ist,    zeigen    deutlich  die 

Zahlen  der  Statistik. 

Frage   4.     Wi 

eviel    Milch 

verbrauchen    Sie    für    das    Eind 

täglich? 

der  grossen  Säuglingssterblichkeit.  513 

Die  Antworten  von  220  Müttern,  nach  den  Begriffen 
Minimum  -  Bedarf ,  Maximum  -  Bedarf  und  Ernährungsbreite 
gruppiert,  ergeben  folgendes  Resultat: 

10  pCt.  der  Kinder  erhielten  eine  Milchmenge,  die  den 
Mi.-B.  nicht  erreichte  =  Fehler. 

5  pCt«  bekamen  den  Mi.-B. 

8,2  pCt.  erhielten  eine  Milchmenge,  die  im  Bereich  der 
ersten  Hälfte  von  E.-B.,  in  Mi.  ^a  E.-B.  lag  =  zulässige  Menge. 

27»2  pCt.  wurden  falsch  ernährt,  da  die  verabreichte  Milch- 
menge im  zweiten  Teil  von  E.-B.  in  Va  E.-B.  Ma.  lag,  sich  also 
schon  zu  weit  vom  Bedürfnis  und  der  Verdauungs kraft  der 
betreffenden  Kinder  entfernte  ^  Fehler. 

49,6  pCt.  wurden  grob  falsch  ernährt.  Hier  lag  die  Milch- 
menge jenseits  vom  Ma.-B.  =  grobe  Fehler! 

Bei  diesen  49,6  pCt.  oder  109  Kindern  wurde  der  Ma.-B. 
überschritten 

in  59  Fällen  um     50—  200  g 


„   34 

>9 

„    200—  400  „ 

„    10 

5> 

„    400—  600  „ 

„     2 

55 

„    600—  800  „ 

„     4      „        „    800-1000  „ 

So  wurden  also  von  den  220  Kindern  86,8  pCt.  falsch, 
zum  grössten  Teil  grob  falsch  ernährt! 

5.  Grundsatz.  Das  Kind  soll  eine  seinem  Alter  und 
seinem  Gewicht  entsprechend  verdünnte  Nahrung  erhalten! 

Auch  in  diesem  wichtigen  Punkte  herrscht  unter  den 
Müttern  aller  Stände  eine  grosse  Unkenntnis  und  Willkür. 
Eine  grosse  Zahl  von  Kindern  erhalten  eine  für  ihr  Alter  zu 
dicke  oder  zu  dünne  Nahrung.  Über  die  für  eine  richtige  Er- 
nährung unentbehrlichen  Kenntnisse:  was  ist  Kuhmilch?  was 
Muttermilch?  wie  unterscheiden  sich  beide  von  einander?  durch 
welche  Mischung  werden  sie  sich  in  Bekömmlichkeit  und  Nahr- 
haftigkeit ähnlich  gemacht?  wie  gross  ist  das  Nahrungsbedürinis 
des  Kindes  in  verschiedenen  Zeiten  des  ersten  Lebensjahres? 
wissen  die  wenigsten  Mütter  Bescheid.  Welche  Mutter  gibt 
sich  Mühe,  sich  vor  der  Geburt  des  Kindes  in  diesen  wichtigen 
Punkten  genau  zu  belehren?  Nicht  Bakterien,  Erkältung  oder 
schlechte  Milch  bedingen  die  grosse  Säuglingssterblichkeit, 
sondern  die  sträfliche  Unwissenheit  der  meisten  Mütter  in 
Fragen,  ohne  deren  Kenntnis  die  Ernährung  ein  willkürliches 
planloses  Herumprobieren  ist. 


514  Ebert,  Ein  Beitrag  zar  Bekftmpfang 

Frage  5.     Wie  stark  verdünnen  Sie  die  Milch? 
Von  200  Kindern-  erhielten    eine    falsche,    d.  h.    zu  dicke 
oder  zu  dünne  Nahrang  6S  pCt. 

6.  Grundsatz.  Im  Durchschnitt  soll  ein  ICind  im  ersten 
Lebensjahre  als  tägliche  Nahrungsmenge  einen  Liter  erhalten. 
1300  g  sollten  als  Maximalmenge  nicht  überschritten  werden! 

7.  Grundsatz.  Die  Grösse  der  einzelnen  Mahlzeit  soll 
dem  Alter  und  dem  Gewicht  des  Kindes  angepasst  sein! 

Die  Verabreichung  zu  grosser  Tagesmengen  und  Einzel- 
portionen ist  ein  weiterer,  sehr  verbreiteter  Fehler  in  der  künst- 
lichen Säuglingsernährung.  Die  Mütter  sind  stolz  darauf,  wenn 
ihre  Kinder  möglichst  viel  trinken.  Sie  glauben,  es  bald  dahin 
bringen  zu  müssen,  dass  das  Kind  die  ganze  Flasche  austrinkt 
(200 — 250  g).  Es  darf  solange  trinken,  wie  es  mag  und  kann. 
So  kommt  es,  dass  der  kindliche  Magen  bei  den  meisten  Mahl- 
zeiten überfüllt  wird.  Damit  dann  überhaupt  die  Magenperi- 
staltik  einsetzen  kann,  wird  ein  Teil  der  Nahrung  gleich  nach 
dem  Trinken  wieder  entleert.  Anstatt  nun  daraus  zu  schliesseD, 
dass  das  Kind  zuviel  bekommen  hat,  freut  sich  die  Mutter  noch 
darüber,  denn  „Speiklinder  —  Gedeihkinder".  Aber  nicht,  weil 
das  Kind  viel  speit,  gedeiht  es,  sondern  weil  es  mit  einer  so 
kräftigen  Magenmuskulatur  ausgestattet  ist,  dass  es  die  über- 
schüssige Nahrung  sofort  wieder  entleeren  kann. 

Die  Folge  einer  sich  mehrmals  täglich  wiederholenden 
Uberdehnung  der  Magenwände  bei  weniger  kräftig  veranlagten 
Kindern  ist  eine  Schwächung  und  Verdünnung  der  Magen- 
muskulatur, sodass  der  Magen  weit  und  schlaff  wird  und  die 
Fähigkeit  verliert,  sich  bis  zur  nächsten  Nahrungsaufnahme  ganz 
zu  entleeren.  Die  in  ihm  verbleibenden  Reste  können  dem 
Kinde,  besonders  in  der  heissen  Jahreszeit,  dadurch  gefährlich 
werden,  dass  sie  sehr  zu  Gährung  und  Zersetzung  neigen.  Aaf- 
stossen,  Blähungen,  Appetitlosigkeit  und  saurer  Geruch  aus  dem 
Munde  sind  die  nächsten  Folgen.  Wenn  nicht  ärztliche  Hülfe 
nachgesucht  wird,  was  leider  in  diesem  Stadium  der  Erkrankung 
nur  sehr  selten  geschieht,  kann  es  zu  einer  schweren  Reizung 
des  Magens  und  Darmes  kommen. 

Frage  6.  Wieviel  Nahrung  (Flüssigkeit)  erhält  das  Kind 
täglich? 

Die  Antworten  von  216  Müttern,  wieder  nach  den  Be- 
griffen Mi.-B.,  Ma.-B.  und  E.-B.  betrachtet,  ergaben  folgendes 
Resultat: 


der  grossen  Säaglingssterblichkeit.  515 

10,6  pCt.  der  Kinder  bekamen  eine  tägliche  Nahrungs- 
menge, die  den  Mi.-B.  nicht  erreichte,  d.  h.  das  Volumen  der 
zugefuhrten  Nahrung  lag  unter  dem  Bedarf  des  Kindes  =  Fehler. 

4,1  pCt.  erhielten  den  Mi.-B. 

1,4  pCt.  bekamen  ein  Nahrungsvolumen,  das  im  Bereich 
von  Mi.  Va  E.-B.,  der  ersten  Hälfte  von  E.-B.,  lag  =  zulässige 
Nahrungsmenge. 

14  pCt.  wurden  falsch  ernährt,  da  das  erhaltene  Volumen 
im  Bereich  von  */a  E.-B.  Ma.  lag,  sich  also  schon  zu  weit  vom 
Bedürfnis  des  Kindes  entfernte  =  Fehler. 

69,9  pCt.  wurden  grob  falsch  ernährt.  Die  tägliche 
Nahrungsmenge  Jag  hier  jenseits  vom  Ma.-B.  ^  grobe  Fehler! 

Bei  diesen  69,9  pCt.  oder  151  Kindern  wurde  der  Ma.-B. 
überschritten 

in  26  Fällen  um     50—  200  g 


34 

>5 

„    200—  400  „ 

40 

99 

„    400—  600  „ 

27 

99 

„    000—  800  „ 

21 

99 

„    800—1000  „ 

3 

19 

„  1000—1200  „ 

So  wurden  also  von  216  Kindern  94,5  pCt.  falsch,  zum 
grossten  Teil  grob  falsch  ernährt! 

Frage  11.     Wie  gross  ist  die  einzelne  Mahlzeit? 
Von  241  Kindern: 

unter  Mi.-B.  =  17     pCt.  =  Fehler 

Mi.-B.  =  18,2    „ 
Mi.  Va  E.-B.  =   7,6     „    =  zulässig 
Va  E.-B.  Ma.  =  13,8     „    =  Fehler 
über  Ma.-B.  =:49       „    =  grobe  Fehler! 
Also    erhielten  von  241  Kindern  79,3  pCt.  eine  der  Menge 
nach    unrichtige,    zum    grossten  Teil    eine    viel  zu  grosse  Einzel- 
mahlzeit! 

8.  Grundsatz.  Die  der  Tagesnahrung  zugesetzte  Zucker- 
menge soll  sich  nach  der  Milchmenge  und  dem  Grade  der  Ver- 
dünnung richten.  Als  Maximalmenge  sollten  50  g  nicht  über- 
schritten werden! 

Von  270  Müttern  gaben  mehr  als  50  g  Zucker  16,5  pCt. 
=  42.     Davon  gaben 

16  .  .  50—70  g 
16  .  .  70—90  g 
10    .   .  90—100  g 


516  Ebert,  Ein  Beitrag  zur  Bekämpfang 

9.  Grundsatz.  Bis  zur  4.  Woche  soll  das  Kind  täglich 
8  Mahlzeiten  erhalten  mit  2^2  stundiger  Pause. 

Von  der     5. — 12.  Woche  7  Mahlzeiten  mit  3 stündiger  Pause; 
V       »     13.     36.       „       6  „  „     3         „  „ 

„       ,     37.-52.       „      5         „  „     4         „ 

Ein  weiterer  sehr  verhängnisvoller  Fehler  in  der  künstlichen 
Säuglingsernährung  ist  das  zu  häufige  Trinken.  So  oft  das  Kind 
schreit,  bekommt  es  die  Flasche  in  den  Mund  gesteckt;  es  maas 
Hunger  haben.  Infolgedessen  hat  der  Magen  nicht  Zeit,  eine 
Portion  vollständig  zu  verdauen,  sich  zu  entleeren  und  neue  Ver- 
dauungssäfte zu  bilden;  zu  der  erst  halbverdauten  Nahrung  kommt 
die  frische  hinzu.  Es  entsteht  eine  Mischung  beider,  welche, 
nur  unvollkommen  von  verdauenden  und  bakteriziden  Sekreten 
durchsetzt,  beim  Übergang  in  den  Darm  leicht  in  Zersetzung 
übergeht  und  die  Darmwand  reizt.  Viele  Kinder,  die  monatelang 
an  Durchfallen,  zeitweisem  Erbrechen  und  mangelhafter  Zunahme 
litten,  gesundeten  sofort,  wenn  sie  anstatt  alle  2  Stunden  alle 
3  Stunden  Nahrung  erhielten. 

Einmal  in  24  Stunden,  am  besten  in  der  Nacht,  soll  dem 
Kinde  eine  Ruhepause,  6 — 9  Stunden,  je  nach  dem  Alter,  gewährt 
werden. 

Schon  vom  2.  Tage  ab  soll  das  Kind  an  Regelmässigkeit 
und  Ordnung  in  der  Nahrungsaufnahme  gewöhnt  werden.  Die 
Kinder  gedeihen  dabei  vorzüglich.  Da  sich  der  an  Pünktlichkeit 
gewöhnte  Magen  mit  seinem  Hungergefühl  nur  zur  rechten  Zeit 
meldet  und  dann  gleich  befriedigt  wird,  und  da  ferner  die  Ver- 
dauung bei  dieser  geordneten  Nahrungszufuhr  in  bester  Ordnung 
zu  sein  pflegt,  so  fallen  die  Hauptgründe  für  Launenhaftigkeit 
und  unnötiges  Geschrei  weg;  das  Kind  erfreut  durch  sein  freund- 
liches und  bescheidenes  Wesen  seine  Umgebung.  Die  Eltern 
brauchen  wochenlang  ihre  Nachtruhe  nicht  zu  unterbrechen. 

Frage  8.     Wie  viele  Mahlzeiten  erhält  das  Kind  täglich? 

Von  241  Kindern  erhielten  zu  wenig  Mahlzeiten  898  pCt; 
die  richtige  Anzahl  18,8  pCt;  zu  viele  Mahlzeiten  78,4  pCt.! 

Von  diesen  78,4  pCt.  =  189  Kindern  bekamen 

1  Mahlzeit  zu  viel      59  Kinder, 

2  Mahlzeiten  zu  viel  62  „ 

^7)  n         n       40  „ 

^  y»  7>  J?        ^^  » 

O  y»  „  „  4  „ 


der  grossen  Säuglingssterblichkeit.  517 

Frage  9.    Wie  viele  Mahlzeiten  erhält  das  Kind  in  der  Nacht? 
Von    270    Kindern    hatten    50    pCt.    keine     regelmässige 
grössere  Nachtpause. 

Frage  10.  Wie  lang  sind  die  Pausen  zwischen  den  einzelnen 
Mahlzeiten? 

Von  270  Müttern  hielten  185  zu  kleine  Pausen;  davon 
gaben  120  Mütter  alle  2  Stunden,  15  alle  Stunden  Nahrung. 

Ich  möchte  einige  charakteristische  Antworten  auf  die  Frage: 
vrie  oft  erhält  das  Kind  in  24  Stunden  zu  trinken,  anfuhren: 

1.  So  oft  er  kommt. 

2.  Alle  3  Stunden;  wenn  sie  weint,  öfters. 

3.  Wenn  sie  schreit. 

4.  Alle  ^/4  Stunden.     Sie  schreit  dann  eben  so  sehr,    dass    sie 
haben  muss. 

5.  So  oft  er  Durst  hat;  er  trinkt,  bis  er  satt  ist. 

6.  Regelmässig  habe  ich  ihm  nie  gegeben. 

7.  Wenn  sie  kam. 

8.  Nachts:  alle  Stunden,  wenn  er  sich  meldet  und  Hunger  hat; 
er  trinkt  aber  dann  nur  wenig. 

9.  Alle  1 — l^s  Stunden;  manchmal  jede  Stunde,  wenn  sie  kam 
und  weinte. 

10.  Nachts:  2—4  mal;  wenn  sie  viel  weint,  bekommt  sie  mehr. 

11.  W«nn  sie  Durst  hat. 

12.  So  oft  er  Durst   hat    und   kommt;    stundenweise    gebe    ich 
ihm  nicht. 

13.  Immer,  wenn  sie  kommt. 

14.  Wenn  er  Hunger  hat  und  schreit;  ich  gebe  ihm  nicht  nach 
Stunden. 

15.  Alle  1 — l*/j  Stunden,  wenn  sie  kommt;    2  Stunden  werden 
es  selten;  wenn  sie  nichts  bekommt,  bringt  sie  sich  rein  um» 

16.  Alle  2  Stunden;  auch  öfters,  wenn  sie  kommt. 

17.  Ich  gebe  ihr  nicht  regelmässig;    dazu  liabe   ich  keine  Zeit; 
wenn  sie  eben  schreit,  gebe  ich  ihr. 

18.  So  oft,  wie  er  kommt;  er  kommt  immerzu. 

19.  Je  nachdem  er  kommt. 

20.  Er  ist  sehr  unruhig,    und   da  gebe  ich  ihm  öfters,  wenn  er 
kommt. 

21.  Ich  gab  ihm  immer,  wenn  er  geschrien  hat;  er  war  immer 
hungrig  und  ist  nicht  satt  geworden. 

22.  Wenn  sie  wach  wird,   gebe  ich  ihr,  und  wenn  sie  schreit. 


518  Ebert,  Ein  Beitrag  zar  Bekam pfang 

23.  So  oft,  wie  das  Kind  verlangt;    wenn    sie  weint,    gebe    ich 
ihr  alle  Stunde  die  Flasche. 

24.  Je  nachdem  er  eben  haben  will. 

25.  Alle  Stunden;    mitunter  auch  öfter;    wenn  er  wieder  weint, 
dann  gebe  ich  ihm  wieder. 

Kinder  mit  chronischen  Leiden  (ausser  Rachitis)  habe  ich 
in  die  Statistik  nicht  aufgenommen.  Ebenso  habe  ich  Kinder, 
die  schon  länger  als  8  Tage  verdauungskrank  waren,  ehe  sie  in 
die  Poliklinik  kamen,  nicht  berücksichtigt. 

Alle  Angaben  über    die  Ernährung  beziehen    sich    auf   die 
Zeit,  als  das  Kind  noch  vollständig  gesund  war. 
Von  den  270  Kindern  litten  an 
Rachitis  25  pCt., 
Yerdauungskrankheiten  37  pCt.! 
Krankheiten  der  Atmungsorgane  10  pCt., 
anderen  Krankheiten  28  pCt. 
Ein  beredter  Ausdruck  dafür,  wie  schädlich  eine  unzweck- 
mässige Ernährung    auf   den    Stoffwechsel    und    damit    auf   eine 
normale  Zunahme    des  Kindes    wirkt,    sind    die    ermittelten    Ge- 
wichte von  220  Kindern  der  Statistik. 

3,6  pCt.    hatten    das    ihrem    Alter    entsprechende    Normal- 
gewicht. • 
7,3  pCt.  wogen  mehr. 

89,1  pCt.  erreichten  das  Normalge  wicht  nicht. 
Bei  diesen  89,1  pCt.  oder  196  Kindern  fehlten  am  Normal- 
gewicht bei 

32  Kindern     100—  500  g, 
45         „  500-1000  „ 

34         „        1000—1500  „ 
27         „        1500—2000  „ 
24        „        2000—2500  „ 
18        „        2500—3000   „ 
10        „        3000—3500  „ 
4        ;,        3500-4000  „ 
2         „        4000—4200  „ 
Eine    längere  Zeit   fortgesetzte    Uberfütterung    des    Kindes 
führt  zu  einer  Unterernährung    und  Schwächung  seiner  Gewebe- 
und  Säftemasse,  was  eine  gesteigerte  Disposition  zu  Erkrankungen 
zur  Folge  hat. 


der  grossen  S&ugliDgssterblichkeit. 


519 


Im  Kampf  des  Körpers  gegen  die  eingedrungenen  Schäd- 
lichkeiten belebter  und  unbelebter  Natur  wird,  wie  schon  er- 
wähnt, ein  gut  genährter  und  gut  durchbluteter  Organismus  mehr 
Aussicht,  zu  siegen,  haben,  als  ein  durch  unzweckmässige  Er- 
nährung geschwächter. 

So  ist  die  falsche  Ernährung  des  Kindes  im  ersten  Lebens- 
jahr, direkt  (an  Verdauungskrankheiten  sterben  allein  in  Berlin 
über  3000  Kinder  jährlich)  und  indirekt  durch  Erhöhung  der 
Empfänglichkeit  anderen  Krankheiten  gegenüber,  eine  der  Haupt- 
ursachen der  hohen  Säuglingssterblichkeit. 


Übersicht  über   die   Zahl   der   Antworten    und   den 
Prozentsatz  der  Fehler. 


Frage 


1 

2 
■6 
4 
5 
6 
7 
8 
9 
10 
11 


darauf  Antworten    169,  davon  Fehler    157  =  92,9  pCt., 


» 

n 

220, 

V 

j» 

110  =  50,0  „ 

n 

n 

222, 

» 

» 

135  =  61,3  „ 

7i 

n 

220, 

» 

» 

191  =  86,8  „ 

W 

» 

200, 

» 

n 

126  =  63,0  „ 

» 

» 

216, 

n 

n 

204  =  94,5  „ 

» 

» 

270, 

» 

» 

42=15,5  „ 

1) 

» 

241, 

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209  =  86,7  „ 

9) 

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270, 

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n 

185  =  50,0  „ 

9» 

j> 

270, 

7» 

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136  =  50,0  „ 

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241, 

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j> 

191  =  79,3   „ 

Darauf  Antworten  2539,  davon  Fehler  1685  =  64,3  pCt. 


Vorschläge  zur  Bekämpfung  der  hohen 
Säuglingssterblichkeit. 

1.  Natürliche  Ernährung. 

Ärzte,  Vereine  und  Behörden  sollten  es  sich  noch  mehr, 
wie  bisher,  zur  Aufgabe  machen,  durch  fortgesetzte  Belehrungen 
und  Ermahnungen,  durch  regelmässig  wiederkehrende  Vorträge 
und  Verteilung  von  gedruckten  belehrenden  Anleitungen  (vom 
Standesamt  aus)  dahin  zu  wirken,  dass  das  Stillen  der  Kinder 
wieder  zur  selbstverständlichen  Regel  wird. 

Unkenntnis  und  Willkür,  Vorurteil  und  Bequemlichkeit 
führen  weit  öfter  zum  Nichtstillen,  als  Krankheit,  Schwäche 
oder  Erwerb  der  Mutter  ausser  dem  Hause. 


520  Ebcrt,  Ein  Beitrag  zur  Bekämpfung 

Nach  den  Ermittlungen  bei  den  Volkszählungen  wurden 
nach  Dr.  Heimann  von  100  Säuglingen  in  Berlin  ernährt: 

1890       1895       1900 

1.  nur  mit  Muttermilch     52,9        44,6        33,3 

2.  mit  Tiermilch  43,9         47,1         55,0 

3.  anderweitig  3,2  8,3         11,8 

Die  Mütter  sollten  dazu  angeleitet  werden,  in  dieser  für 
sie  selbst  und  ihre  Kinder  so  wichtigen  Frage,  auf  Grund  von 
Kenntnissen,  selbst  zu  denken  und  selbst  zu  urteilen  und  sich 
nicht  kritiklos  nach  den  Ratschlägen  und  Vorschriften  der  Heb- 
ammen zu  richten,  sondern  im  Zweifel  nur  den  Arzt    zu  fragen. 

2.  Künstliche  Ernährung. 

a)  Normalnahrung. 

Jede  Mutter,  welche  ihr  Kind  künstlich  ernährt,  sollte  die 
dazu  nötigen  Kenntnisse  besitzen. 

Vor  allem  sollte  sie  genau  wissen,  welche  Mischung  und 
welche  Tagesmenge  das  Kind  täglich  braucht. 

Dieses  Zugrundelegen  einer  Durchschnitts-  oder  Normal- 
nahrung wird  die  Ernährung  zum  Nutzen  des  Kindes  unabhängig 
machen  von  der  Willkür,  Unkenntnis  und  dem  Vorurteil  der 
Mutter  und  ihrer  Ratgeberinnen.  Die  bekannte  Ratlosigkeit  der 
Mutter  bei  der  Ernährung  des  ersten  Kindes  wird  wegfallen; 
sie  wird  mit  Ruhe  und  Sicherheit  die  Ernährung  beginnen. 

In  den  meisten  Fällen  wird  diese  aus  Wissenschaft  und 
Erfahrung  gewonnene  Normalnahrung  dem  Kinde  ohne  weitet  es 
gut  bekommen.  Sollten  aber  Appetit,  Stuhlgang  und  die  regel- 
mässigen Wägungen  des  Kindes  anzeigen,  dass  ihm  diese  Nahrung 
nicht  zusagt,  so  wird  es  dem  Arzte  ein  Leichtes  sein,  sie  seinem 
Bedürfnis  anzupassen;  denn  er  weiss,  wie  das  Kind  bisher  er- 
nährt wurde;  sein  Vorgehen  wird  nicht  erschwert  durch  die  oft 
unsicheren  und  unzuverlässigen  Angaben  der  Mutter. 

Dem  Kinde  bleibt  in  jedem  Fall,  mag  ihm  nun  diese  Normal- 
nahrung gleich  zusagen  oder  nicht,  die  schwere  Schädigung  seiner 
Gesundheit,  die  das  wochen-  und  monatelange  Herumprobieren 
nacli  einer  bekömmlichen  Nahrung  mit  sich  bringt,  erspart. 

b)  Merkbogen. 
Um    die  Mutter    in    den  Stand    zu    setzen,    ihr  Kind  nach 
diesen  Prinzipien  zu  ernähren    und    es    ihr    zu  ermöglichen,  sich 
jederzeit  in  allen    darauf   bezüglichen  Fragen    eine    erschöpfende 


der  grossen  Säuglingssterblichkeit. 


521 


Belehrosg  zu  verschaffen,  habe  ich  einen  Merkbogen  über  die 
Grundsätze  einer  vernünftigen  Säuglingsernährung  hergestellt, 
<ler  in  leichtverständlicher,  übersichtlicher  Form  alles  Nötige 
enthält. 

Jedem  Grundsatz  habe  ich  eine  kurze  Erklärung  beigefügt, 
-da  ich  glaube,  dass  sich  die  einzelnen  Vorschriften  durch  das 
damit  verbundene  doppelte  Lesen  und  längere  Verweilen  bei 
ihnen  der  Mutter  fester  einprägen  werden,  und  dass  sie  dieselben 
«her  und  lieber  befolgen  wird,  wenn  sie  sich  über  den  Zweck 
und  die  Begründung  derselben  Rechenschaft  geben  kann. 

Der  ^/g  m  im  Quadrat  grosse,  an  die  Wand  zu  hängende 
Merkbogen  enthält  in  deutlicher  Schrift  folgendes: 


Merkbogen  für  Mütter  über 
die  Grundsätze  einer  vernünftigen  ;Säuglingsernährung. 

Warum  ? 
Diesen  Störuagen  liegt  meist  eine  anzweck- 
mässige Ernährang  zugrunde.  Durch 
rechtzeitige  Regelung  derselben  und  rasche 
ärztliche  Hilfe  wird  dein  Kind  vor  den 
schweren,  oft  tödlichen  Magen-  and  Darm 
erkrankangen   bewahrt  bleiben. 


Vorschrift! 
<7ehe    sofort    zum    Arzt,    wenn 
dein  Kind  erbricht,  Durchfall 
hat  oder  nicht  zunimmt! 


Natflrliehe  Ernfthpang. 

Stille  dein  Kind  bis  zum  neunten 
Monat! 


Wenn  deine  Nahrung  nicht  aus- 
reicht, gib  noch  nebenbei  die 
Flasche! 


KOnstllehe  Epnfthrang. 

Entscheide  nicht  selbst  darüber, 
ob  dein  Kind  künstlich  er- 
nährt werden  soll,  lass  dir 
auch  von  niemand  raten, 
sondern    frage  nur    den  Arzt! 

Bei  der  Zubereitung  und  der 
Verabreichung  der  Nahrung 
verfahre  mit  der  grösstcn 
Sorgfalt! 


Das  Stillen  ist  für  die  Gesundheit  der  Mutter 
und  des  Kindes  das  Beste.  Das  Kind  ge- 
deiht dabei,  nimmt  gleichmässig  zu  und 
bleibt  von  Erkrankungen  verschont. 

Diese  gemischte  Ernährung  ist  für  Mutter 
und  Kind  immer  noch  viel  wertvoller  als 
die  rein  kunstliche  Ernährung.  Wird  das 
Kind  nicht  wenigstens  einige  Monate  teil- 
weise gestillt,  80  erlischt  diese  Unfähigkeit 
bei  der  Mutter,  und  diese  Unfähigkeit,  zu 
stillen,  vererbt  sich  auf  die  Töchter. 

Die  künstliche  Ernährung  kann  die  natür- 
liche niemals  voll  ersetzen.  Von  der  Wahl 
der  Ernährung  hängt  in  vielen  Fällen  die 
Gesundheit   und  das  Leben  des  Kindes  ab. 

An  falscher  Ernährung  sterben  jedes  Jahr 
Tausende  von  Kindern.  Sie  ist  die  Haupt- 
ursache für  die  meisten  schweren  Ver- 
dauungsstörungen, denen  alljährlich  allein 
in  Berlin  über  3000  Kinder  erliegen. 


522 


Ebert,  Ein  Beitng  zur  BekampfaDg 


Häoge  dieses  Bogeo  in  dem 
Baam,  wo  da  die  Kahroog 
xa recht  machst,  so  die  Wand. 
Lies  ihn  oft  durch  aod  be- 
folge geoaa  die  Vorschriften! 

Vermeide    ganz    besonders    fol- 
gende drei  Fehler: 
L  zu      starke,      zq      schwere 
Kahmng  (falsche  Mischong), 
2«  za  grosse  Portionen, 
3.  za  h&ofiges  Trinken! 


Eine  allgemeine  grandliche  Belehomg  der 
Matter  in  der  könstliehen  Emihnug  ist 
das  einzige  sichere  Mittel,  die  hohe 
Siaglingssterblichkeit,  sofort  und  danend 
za  beschränken« 

Diese  Fehler  schwichen  and  aberaastrengen 
die  Verdaanngsorgane  and  führen  za 
schweren  Krankheiten  and  Magen- 
erweiterang. 


Vemflnftige  kOngtliehe 
Ernfthmng. 

1.  Bezog  der  Milch. 
Kaufe  nar   reine,  gute   and  an- 
rerdunnte  Milch! 

2.  Zubereitang  derNahran(<. 

Mache  sofort  nach  dem  Empfang 
die  Nahrang  gleich  für  den 
ganzen  'Tag  zu  recht  nach 
Mischung  und  Tagesmenge; 
koche  sie  ab  und  hebe  sie  in 
dem  gut  rerschlossenen  Koch- 
topf auf! 


8.  Mischung  und  Beikost. 

In  den  ersten  28  Wochen  muss 
die  Milch  yerdünnt  werden, 
im  ersten  Monat  mit  Wasser, 
später  mit  einer  dünnen  Hafer- 
suppe. —  Von  der  29.  Woche 
ab  gib  Vollmilch.  —  Von  der 
87.  Woche  ab  soll  das  Kind  B  e  i  - 
kost  erhalten:  zwei  Stunden 
nach  der  Flasche  teelöffel- 
weise: Brei  von  Haferflocken, 
Gries,  Reis,  Kartoffeln;  Apfel- 
mus, Spinat,  gelbe  Rüben, 
Blumenkohl;  eingeweichten 
Zwieback,    Kakes,    Weissbrot. 

Die  Mischung  mache  genau 
nach  Gramm  mit  der  einen 
zu  diesem  Bogen  erhaltenen 
Flasche;  aus  der  anderen  soll 
das  Kind  trinken! 


Dies   ist   eine  Grandbedingong  für  eine  er- 
folgreiche  künstliche    Säaglingsemährung. 


Wenn  die  Milch  im  Haoshalt  längere  Zeit 
anabgekocht  steht,  wird  sie  leicht  Ter- 
unreinigt  oder  saner.  Das  Zarechtmacheo 
der  fertigen  Mischung  gleich  für  den 
ganzen  Tag  erspart  Arbeit.  Die  in  einea 
Topf  aufbewahrte  Nahrung  ist  besser  vor 
Verunreinigungen  geschützt,  als  wenn  Milch 
und  Zusatz  getrennt  aufgehoben  und  erst 
vor  dem  Trinken  zusammengegossen  werden. 


Nur  bei  einer  Mischung,  die  der  Verdanungs- 
kraft  des  Kindes  entspricht,  wird  es  guten 
Appetit  und  Stuhlgang  haben  and  regel- 
mässig zunehmen. 

Herstellung  der  Hafersappe:  Verrühre 
2  gehäufte  Kaffeelöffel  Hafermehl  in  V»  Liter 
Wasser  und  lass*  es  >/i  Stunde  kochen. 
Fülle  dann  bis  zu  ^/s  Liter  wieder  auf  und 
verdünne  damit  die  Milch.  Beikost  in 
möglichster  Abwechselang  ist  für  die 
Knochen-  und  Blutbildung  des  Kindes  Ton 
grossem  Wert. 


der  grossen  S&nglingssterblickkeit. 


523 


4.  Abkoche o. 
La88  die  Nahrang  drei  Minaten 
kochen ! 

5.  Abkühlen. 
Nachdem  die  Nahrang  gekocht 
hat,  stelle  sie,  gut  zagedeckt, 
in  ein  Gefäss  mit  kaltem 
Wasser.  Die  Milch  soll  in 
dem  Kochtopf  bleiben.  Das 
Kühlwasser  soll  in  der  ersten 
Stande  mehrmals,  sp&ter,  so 
oft  das  Kind  trinkt,  erneuert 
werden! 

6.  Trinken. 

Wenn  das  Kind  trinken  soll, 
giesse  die  angegebene  Menge 
in  die  Trinkflasche,  ernenere 
das  Kühlwasser  and  decke  den 
Topf  sofort  wieder  gat  za. 

Gebraache  nur  Flaschen  mit 
Gram  mein  teil  ong. 

Daaer  der  Mahlzeit  etwa  zehn 
Minaten. 

Der  Pfropfen  soll  vorn  nur  ein- 
mal mit  einer  glühenden  Nadel 
durchbohrt  werden,  so  das  die 
Flüssigkeit  beim  Umdrehen 
der  Flasche  aastropft,  nicht 
ausfliesst! 

7.  Pausen. 

Halte  dich  streng  an  die  ror- 
geschriebenen  Pansen.  Das 
Kind  darf  nicht  zwischen  der 
Zeit  Nahrung  erhalten.  Auch 
die  Nachtpausen  unterbreche 
und  verkürze  nicht  Wenn 
das  Kind  nicht  trinken  will, 
warte  bis  zur  nächsten  Trink- 
zeit. Was  es  übrig  lässt,  biete 
nicht  wieder  an! 


8.  Gib  dem  Kinde  niemals  einen 
Zulp  oder  Schnuller  zur 
Beruhigung! 


Längeres  Kochen  macht  die  Milch  schwer 
verdaulich,  schlechtschmeckend  und  erzeagt 
Krankheiten. 

Das  schnelle  Abkühlen  und  das  kühle  Auf- 
bewahren der  Nahrung  in  dem  gutver» 
schlossenen  Kochtopf  verhütet  eine  Ver- 
unreinigung   und   Sauerwerden    der  Milch. 


Strichflaschen  sind  ganz  ungenau  eingeteilt. 
Flaschen  mit  Glasröhren  sind  schwer  zu 
reinigen,  deshalb  unpraktisch  und  schädlich. 

Bei  zu  schnellem  Trinken  aus  einer  zu  grossen 
Öffnung  im  Pfropfen  macht  das  Kind  zu 
hastige  und  zu  grosse  Schlucke,  so  dass 
die  Nahrung  im  Magen  grössere,  schwerer 
Gerinsel  bildet. 


Wenn  das  Kind  vor  der  Zeit  Nahrung  er» 
hält,  ist  der  Magen  noch  nicht  vollständig 
entleert,  so  dass  die  neue  Nahrung  zu  der 
halbverdauten  hinzukommt.  Dadurch  ent- 
stehen leicht  Gärungen  im  Magen  mit 
ihren  Folgen:  Aufstossen,  Blähungen, 
Appetitlosigkeit,  Erbrechen  und  Durchfall. 

Das  Kind  muss  schon  vom  2.  Tage  ab 
an  strenge  Ordnung  im  Trinken  gewöhnt 
werden.  Die  zum  Ausruhen  des  Magens 
notwendige  Nachtpause  erspart  dem  Kinde 
und  den  Eltern  die  unruhigen  Nächte. 

Diese  Unsitte  hat  schon  manchem  Kinde  das 
Leben  gekostet.  Jeder  Zulp  ist  eine  Brut- 
stätte von  Bakterien,  welche  zusammen  mit 
dem  fortwährend  unnötig  abgesonderten 
Speichel  massenhaft  in  den  Magen  gelangen 
und  leicht  Gärungen  hervorrufen. 


524 


Ebert,  Ein  Beitrag  zar  Bek&mpfung 


9.  Reinigen  der  Flasche. 
Reinige  die  Flasche  sofort  nach 
dem  Trinken  mit  heissem 
Seifenwasser  und  Sand,  spüle 
sie  gut  ab  und  stelle  sie  um- 
gekehrt hin.  Den  Pfropfen 
stülpe  nach  dem  Trinken  um, 
spüle  ihn  ab  aud  hebe  ihn 
i  n  Salzwasser  auf! 

Wftgen. 

Wäge  das  Kind  öfters,  wenu 
möglich,  in  jeder  Woche  ein- 
mal, am  gleichen  Tage,  zu 
gleicher  Stunde,  nackt,  vor 
dem     Trinken. 

Notiere  das  Gewicht! 
Am  Wägetage  soll  das  Kind, 
wenn  du  es  ausser  dem  Hause 
wiegen  lässt,  immer  dieselben 
Sachen  anhaben,  welche  du 
einmal  genau  abwiegen  und 
deren  Gewicht  du  von  dem- 
jenigen, welches  die  Wage 
zeigt,  abziehen  musst. ') 


Nachlässigkeit  im  Reinigen  der  Flasche  kann, 
besonders  im  Sommer,  zu  Yerdaaungs- 
störnngen  führen. 


Regelmässiges  Wägen  ist  deshalb  wichtig, 
weil  man  aus  dem  Gewicht  des  Kindes  er- 
sehen kann,  ob  die  gereichte  Nahrung  be- 
kommt oder  nicht.  Auch  für  den  Arzt  ist 
es  wertvoll,  die  bisherige  Zunahme  des 
Kindes  zu  kennen. 


Ferner  enthält  der  Merkbogen  eine 

Ernährungstabelle  für  das  erste  Lebensjahr. 


ff 

»-4 

CO 

S 

1 

2.-3. 
Woche 

4.  Woche 

.    0 

1  s 

0^ 

00^ 
1  § 

7-^ 

2^ 

1  § 

2^ 

2^ 

Mische  Milch  (Gramm)  .     . 

40 

120 

140 

200 

240 

850 

360 

410 

450 

500  540 

Mit  Zusatz  (Gramm).     .     . 

80 

240 

280 

400 

440 

350 

400 

420 

450 

500  500 

Dazu   Zucker  (gestrichenen 

-«^ 

Kaffeelöffel) 

M 

IV2 

4V, 

51/2 

9 

10 

9 

10 

IOV2 

11 

10 

10 

Grösse  der Mahlzeit(Gramm) 

'S 

15 

45 

50 

75 

85 

100 

105 

115 

125 

165 

170 

Zahl  der  Mahlzeiten   .     .     . 

'M 

8 

8 

8 

8    1    8 

7 

7 

7 

7 

6 

6 

Erste  Mahlzeit  früh    .     .     . 

.2 

5Vi 

5Va 

51/2 

51/2 

51/2 

5 

5 

5 

5 

^  .  ^ 

Letzte  Mahlzeit  abends.     . 

11 

11 

11 

11 

11 

11 

11 

11 

11 

10 

10 

Pause  zwischen  den  Mahl- 

1 

zeiten  (Stunden)    .     .    . 

2'h 

2^2 

2Vi 

2'/» 

2'/» 

8 

3 

3 

3 

3 

3 

»)  Siehe  Seite  526,  Anmerk. 


•der^  grosbe^  SängliDgestecblichkeit. 


525 


Reehts !  uiid' liAks  unten  sind  auf  .dem  Merkbogen  zwei  ab- 
nehmbare Papptäfelchen  tingebrachlT. 

Das  eine  enthält  eine  Rubrik,  in  welche  die  Mutter  das 
Resultat  der  Wägungen  eintragen  soll. 

Auf  das  andere  sollen  vom  Arzte  auszufüllende,  vorgedruckte 
Diätzettel  aufgeklebt  werden. 

^  Beide  Täfelchen  soll  die  Mutter,    wenn    sie  zum  Ar;st  geht, 

stets  bei  sich  haben. 

(Siehe  die  beiden  Tftfelcheo  auf  S.  526.) 

Bei  jeder  Geburtsanzeige  sollte  dem  Yater  vom  Standesamt 
ein  solcher  Merkbogen  zusammen  mit  zwei  Flaschen  mit  Gramm- 
einteilung (die  eine  zum  Trinken^  die  andere  zum  Abmessen) 
übergeben  werden,  mit  der  AuJEfoi:derung,  daraus  seiner  Frau  in 
den  ersten  acht  Tagen  fieissig  vorzulesen  und  ihn  in  dem  Raum, 
in  welchem  die  Nabrupg  zurecht  gemacht  wird,  aufzuhängen.  . 


I  c)  Mess-  und  Mischapparat. 

t  •'-•'■. 

j  Abgesehen    von    dieser    durchaus    notwendigen,  aber  mehr 

'theoretischen  Belehrung,  halte  ich  es  für  notwendig,  der  Mutter 
auch  praktisch  bei  der  Zubereitung  der  Nahrung  an  die  Hand 
zu  gehen. 

Alle    bisher    vorhandenen    Milchkochapparate    haben    zwei 

1  Fehler,  welche  ihren  Wert  sehr  beeinträchtigen. 


o6  9> 

2^ 

1  o 

5^ 

f: 
k 

5^ 

5^ 

1  s 
5^ 

CO  9 
5^ 

od  <D 

^  ja 
o 

'.J 

9^  O 

n 

630 

700 

780 

840 

870 

950 

1100 

1100 

1120 

1140 

1160 

1180 

1200 

1220 

1230 

1240 

1250 

1260 

440 

390 

270 

230 

210 

150 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

9 

8 

7 

6 

6 

VI, 

1 

2 

2V. 

3 

Bel- 

kOBt 

B. 

B. 

B. 

B. 

B. 

B. 

B. 

175 

180 

175 

175 

180 

180 

180 

180 

185 

190 

230 

235 

240 

240 

245 

245 

250 

250 

6 

6 

6 

6 

6 

6 

6 

6 

6 

6 

5 

5 

5 

5 

5 

5 

5 

5 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

7 

10 

10 

10 

10 

10 

10 

10 

10 

10 

10 

11 

11 

11 

11 

11 

11 

11 

11 

3 

3 

3 

3 

3 

3 

3 

3 

3 

3 

4 

4 

4 

4 

4 

4 

4 

4 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXl.    Heft  S. 


34 


526  Ebert,  Ein  Bmtimg  s«r  Bdütepfug 

GewichU-T&felcben.  Di&t-Tlfelehen. 


/                       Name:                       \ 

'                                                               \ 

Gewicht  in  Gramm: 

Ende  der 
Woehe 

Snde  der 
Woebe 

1 

27 

2 

28 

8 

29 

4 

30 

5 

31 

6 

32 

7 

83 

8 

84 

9 

85 

10 

86 

11 

87 

12 

88 

18 

89 

14 

40 

15 

41 

16 

42 

17 

48 

18 

44 

19 

45 

20 

46 

21 

47 

22 

48 

28 

49 

24 

1      50 

25 

51 

26 

52 

Gewicht  bei 
Gebart 

Name: 


Difttrerordnaog 
Tom -  bie 


Gib  als  Nahrang 


T&gliche   Nahrnng. 
Mische  Milch  (Gramm): 

mit  Zosatz  (Gramm): 

dazn 
Zneker  (gestr.  Teelöff.): 

Grösse  d.  Mahlzeit(Gr.): 

Zahl  der  Mahlzeiten: 

Pansen: 

erste  Mahlzeit  frah: 

letzte  Mahlzeit  abends: 


Znbereitnng: 


*)  Um  nnbemittelten  Müttern,  welche  sich  keine  Kinderwage  kaufen 
können,  ein  regelmässiges  Wiegen  ihrer  Kinder  za  ermöglichen,  sollten  in 
Krankenhänsern  and  Polikliniken,  Tielleicht  aach  in  den  Schalen,  Wiege- 
ziromer  eingerichtet  werden,  in  welchen  zu  bestimmten  Tageszeiten  den 
Müttern  Gelegenheit  gegeben  w&re,  ihre  Kinder  wiegen  za  lassen.J 


der  grossen  Säaglingssterblichkeit.  627 

Erstens  sind  sie  zu  teuer.  Einer  armen  Familie  igt  es  z.  B. 
anmöglich,  sich  den  Soxhlet-Apparat  za  kaufen.  Unter  den 
270  Muttern  der  Statistik  besassen  nur  zwei  diesen  Apparat; 
die  eine  hatte  ihn  geliehen.  Und  doch  gehört  ein  Apparat, 
welcher  es  ermöglicht,  die  Nahrung  zu  sterilisieren  und  kühl  und 
verschlossen  aufzubewahren,  viel  notwendiger  in  die  oft  heissen, 
dumpfen  und  staubigen  Räume  der  Armen,  als  in  die  hygienisch 
gut  eingerichteten  Küchen  der  Reichen,  welche  obendrein  in  der 
Lage  sind,  ihren  Kindern  die  beste  und  reinste  Milch  zu  kaufen. 

Der  zweite  Fehler  dieser  Apparate  liegt  darin,  dass  sie  die 
Abmessung  der  Tagesmenge  und  die  Mischung  ganz  in  das  meist 
sehr  unvernünftige  Belieben  der  Mütter  stellen. 

Aus  diesen  Erwägungen  heraus  habe  ich  einen  Apparat  her- 
gestellt, welcher  folgendes  leistet: 

1.  er  ermöglicht  ein  Sterilisieren  und  ein  kühles  und  ver- 
schlossenes Aufbewahren  der  Nahrung; 

2.  er  setzt  die  Mutter  in  den  Stand,  für  jede  Woche  des 
ersten  Lebensjahres,  ohne  mühsame  Berechnung,  Über- 
legung oder  Abmessung,  eine  Nahrung  herzustellen,  die 
nach  Mischung  und  Tagesmenge  den  Grundsätzen  der 
Normalnahrung  entspricht. 

Das  Verfahren  dabei  ist  so  einfach,  dass  selbst  12 — 14  jährige 
Mädchen,  die  in  armen  Familien  häufig  in  Abwesenheit  der  Mutter 
neben  anderen  häuslichen  Pflichten  auch  für  die  Nahrung  des 
Kleinsten  zu  sorgen  haben,  mit  Hülfe  des  Apparates  leicht  und 
fehlerlos  jede  beliebige,  einer  bestimmten  Zeit  des  ersten  Jahres 
entsprechende  Nahrung  herstellen  können. 

Der  Apparat  besteht  aus  drei  Teilen: 

1.  einem  Kochgefäss,  in  welchem  die  Nahrung  sterilisiert 
und  kühl  und  verschlossen  aufgehoben  wird; 

2.  einer  Misch-  und  Kochfiasche,  in  welcher  die  Nahrung 
(als  Tagesmenge)  gemischt  und  im  Kochgefäss  gekocht 
wird; 

3.  als  Hauptteil:  einem  Messzylinder,  von  der  Form  und 
Weite  der  Mischflasche. 

Diesen  Messzylinder  schiebt  die  Mutter,  wenn  sie  die 
Nahrung  zurecht  machen  will,  über  die  Mischflasche.  In  seinem 
Mantel    besitzt    der  Zylinder   zwölf   den  Monaten    entsprechende 

34» 


528 


Ebert,.£io  Beitrag  zur  Bekämpf  an  g 


senkrechte  Schlitze,  durch  welche  man  in  di0  Fli^sche  hineinsehen 
kabn/:  Zoj  beiden  Saiten  eineß  jeden  Spaltes  befinden  sich  Marken,. 
^elcfaBt /finaeigen,  wie  weit  in  jedem  Monat.  Milch  und  Zusatz 
eingefüllt  werden  müssen,  um  eine  nach  Mischung  und  Tages- 
faoBnge  rlcktige :  Normalnahrung  zu  erhalten. 

.'  ^^  ^Miti  diesem  einfachen  Einfüllen  von  Milch  und  Zusatz  bis 
au  bestimmten  Marken  genügt  die  Mutter  den  beiden  Haupt- 
erfordernissen einer  vernünftigen  Ernährung:  richtiger  Mischung,, 
richtiger  Tagesmenge. 

Zu  beiden  Seiten  jedes  Spaltes  befinden  sich  ferner  Angaben 

über  Zahl  und  Grösse  der  Mahl- 
zeiten, über  Zuckerzusatz  und  Länge 
der  Pausen  und  der  Nachtpausen. 
Der  eine  auf  einem  Längs- 
schieber angebrachte  Spalt  kann 
mit  diesem  herausgezogen  werden. 
Diesen  Schieber  nimmt  die  Mutter 
mit  zum  Arzte,  wenn  das  Kind 
erkrankt  ist,  oder  wenn  ihm  die 
Normalnahrung  nicht  zusagt.  Der 
Arzt  wird  dann  in  geeigneter  Höhe 
neben  dem  Spalt  Strichmarken  an- 
bringen, welche  angeben,  wie  weit 
die  Mutter  zu  Hause,  nachdem  sie 
den  Schieber  wieder  hineingeschoben 
„^  hat,  in  diesem  Falle  Milch  und 
Zusatz  einfüllen  muss,  um  für  das 
Kind  die  richtige  Mischung  und 
Tagesmenge  zu  erhalten. 

Unterhalb  der  Spalten  des 
Zylinders  sind  die  entsprechenden 
Normalgewichte  angegeben,  damit 
die  Mutter  daraus  ersehen  kann, 
ob  ihr  Kind  richtig  zunimmt,  und 
der  Arzt  durch  Vergleich  mit  dem 
vorhandenen  Gewicht  des  Kindes 
seine  Schlüsse  ziehen  und  Minimum-  und  Maximumbedarf  fest- 
legen kann. 

Fig.  5  zeigt  den  Messzylinder  b  über  die  Mischflasche  a 
geschoben,  c  sind  die  Schlitze,  durch  welche  man  in  die  Flasche 
hineinsehen  kann. 


der  grossen  S&ciglioigssterblichkeit.: 


m 


Fig.  6  zeigt  den  auseinander  gerollten  Zylinder;  c  B\ni 
wieder  die  Spalten;  d  sind  die  Marken,  bis  zu  welchen  Milch, 
e  diejenigen,  bis  zu  welchem  Zusatz  eingefüllt  werden  soll.  Von 
der  29.  Woche  ab  hören  die  Marken  für  Zusatz  auf:  das  Kind 
erhält  Vollmilch,     h  ist    der    ein    wenig    herausgezogene    Längs- 


Fig.  6. 


Schieber  mit  dem  Schlitz  g  für  den  Arzt;  f  ist  ein  grosserer 
Ausschnitt  der  Zylinderwand  hinter  dem  Schieber;  i,  i  sind  die 
Führungen  des  Schiebers.  .    >  J     :: 

Merkbogen  und  Apparat  zusammen  vom  Standesan^t  -bei 
der  Geburt  des  ersten  Kindes  der  Mutter  übergeben,  würden  ih^ 
die  künstliche  Ernährung  ihrer  Kinder,  falls  sie  aus  triftigen 
Gründen  nicht  stillen  kann,  sehr  erleichtern  und  dürften  dazu 
führen,  die  Säuglingsernährung  vernünftig  und  einheitlich  zu  ge- 
stalten und  dadurch  die  hohe  Säuglingssterblichkeit  erheblich  zu 
vermindern.  

Herrn  Geheimrat  Prof.  Dr.  Heubner  bin  ich  für  die  Über- 
lassung des  Materials  und  für  das  bei  der'  Bearbeitung  be- 
kundete Interesse  zu  ergebenstem  Dank  yerpflichtet. 


680 

No. 


Ebert,  Ein. Beitrag  zor  BekAmpfung 

Datam:  . 


Dlät-Bogen 

fflr 


Kind 


1.  Im  Beginn  der  Behandlung. 
Alter:  

Gewicht:  

Normalgewicht : 

Differenz  beider: 


Tägliche  Ernährung. 


Wie  warde 

das  Kind 

ern&hrt? 


Minimam- 
Bedarf 


Maxim  am- 
Bedarf 


Brnfthrongs- 
breite 


Milch  (g) 

Zusatz  (g)  .    •    .    •    • 
Was  als  Zusatz?     .    . 

Mischling 

Tagesmenge  .  .  .  . 
Zacker(ge8tr.  Teelöffel) 
ZuckerlösuDg  (pGt.) 
Zahl  der  Mahlzeilen  . 
Grösse  der  Mahlzeiten 
Pausen 


2.  Am  Ende  der  Behandlang. 

Alter: 

Gewicht: 

Normalgewicht: 

Differenz  beider:  


der  groataii  SingÜDgMterblichkeit. 


68t 


I 


60 

Q 
0 

O 

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^5 
1^ 

Milch 
(g) 

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o    a    o 
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Gewicht 

a 

1 

Tag  der 

Behand- 
lung 

O 


Bemerkungen 

60 

a 

60 

2 
o 

•1 

Ol 

s 

'S 

1              9 

1 

Grösse 

der  Mahl- 

Zeiten 

Zahl 

der  Mahl- 

Zeiten 

Zucker- 
lösung 
(pCt.) 

Zucker 
(gestrichn. 
Teelöffel) 

Tages- 
menge 

(g) 

' 

lil(. 


Zur  Kenntnis  des  periodischen  Erbrechens 
im  Kindesalter. 

"  Von 

^Dr.  PETER  MISCH. 

.  Beaondera  vQiLlAjnerika*)  und  von  Frankreich')  ist  uns  in 
den  letzten  Jahren  über,  das  periodische  Erbrechen  im-  Eindes- 
alter berichtet  worden.  Die  Kinder  erkranken  mitten  aus  -  voller 
Gesundheit,  meist  ohne  dass  irgend  eine  Veranlassung  gefunden 
werden  kann,  unter  liöhem  Fieber  und  schweren  AUgemein^Er- 
scheinungen  an  zuweilen  scheinbar  unstillbarem  Erbrechen,  das 
aber  nach  einigen  Tagen  gewöhnlich  ohne  Störung  vorübergeht, 
um  Jn  verschiedenen  kurzen  Intervallen  von  neuem  wieder  zu 
erscheinen. 

In  der  Reget^  ist  bei  den  Kindern  Acetonausscheidung  durch 
Urin  und  Atmungswerkzeuge  beobachtet  worden,  und  man  hat 
vielfach  das  ganze  Krankheitsbild  als  Folge  der  Auto-Intoxikation 
des  Organismus  aufgefässt.     (Acetonämie.) 

Auch  bei  uns '  sind  solche  Fälle  gar  nicht  selten^  wenn 
auch  die  ^hweren  und  die  beschriebenen  tödlichen  Fälle  wohl 
weniger  bei  uns  beobachtet  werden. 

Nun  kommen  aber  FäUe  vor,  —  unter  ca.  400  Fällen  der 
Poliklinik  bei  ca.  30  Kindern*)  — ,   bei  denen  das  Aceton  neben 


')  Recarrent  vomitiug  inchildren.  Bj  Crozer  Griffith.  Amer.  Joorn. 
of  the  med.  seien  ees.  .  Nov.  1900. 

')  Comby,  CoDgre8hitern.d6  med.  Paris  1900.  Comptes  rendas.  Pag. 
611  ff.  and  Trait^  des  mal.  de  Penfance;  vomissement  p^riodiqae. 

*)  Ich  sage  Herrn  Geh,  Rat  He  ab  n er  für  das  Interesse,  das  er 
dieser  Arbeit  entgegengebracht  hat,  aach  an  dieser  Stelle-  meinen  er- 
gebensten Dank.  '   r-      .   < 


Misch,  Zar  Kenntiits  des.  peripdifcl^jOii  Erbrechens  etc. 


633 


dem  hohen  Fieber  das  einzig  Greifbare  bei  der  Erkranku«g.  der, 
Kinder  zu  sein  scheint.  :    .  i.'j 

Es  handelt  sich  gewöhnlich  um  blasse,  schwächliche,  nervöse 
Kinder,  die  mitten  aus  voller  Gesundheit  unter  Fieber,  stark- 
gestörtem Allgemeinbefinden,  Verstopfung  oder  auch  Durchfall, 
und  hin  und  wieder  unter  Erbrechen  erkranken. 

•   ■  •  .  i  .',  'i 

Krankengeachichtep.  ,  I     • 

1.  *  Max  M.,  3  Jahre;  schwächliches  Kind.  26.  X.  1908.  Seit  öVTagen 
Kopfschmerzen  and  Fieber.  Temp.  39,5;  apathisch.  Die  eingehende  körper- 
liche Untersuchung  lässt  nur  eine  geringe  Bronchitis  naehweisen.  Zange 
stark  belegt.  Urin;  Reichlich  Aceton »).  Kein  Erbrechen.  Die  vorangehenden 
Tage  schon  Gerach  fias  dem  Mande,  nach  Angabe  der  Matter:  »wie  nach 
Elssig;  als  ob  man  mit  reinem  Essig  Umschläge  am  den  Hais  gemacht. ** 

26.  II.  1904.  Kind  hat  wiederholt  solche  Anfälle,  wie  dem  im  Okteber 
beobachteten,  darchgemacht;  vorher  wie  nachher;  '  zületat  vor  14' Tagen; 
damals  41  o  Temperatar.  Zange  war  dick  belegt,  »da  kann  man  direkt  daraaC 
kratzen**;  dabei  grosse  Appetitlosigkeit  and  Verstop  fang;  kein  Erbrechen. 

3;  IV.  1904.  Hat  gestern  Nacht  gebrochen  und  Fieber  gehabt;  Temp. 
morgens  39,4.  Hat  schon  seit  einigen  Tagen  nicht  gegeäeen;  war  weinerlich 
und  apathisch.  Zunge  dick  belegt;  stark  saurer  Gerach  aas  den  Monde; 
Vater  teilt  spontan  mit:  »So  hat  er  damiilsauch  gerochen,  nach  reinem  Essig." 
Innere  Organe  o.  B.    Urin:  Reichlich  Aceton. 

'4.  IV,    Temp.  36,4.    Urin:   Noch   sehr   deutlich  Aceton.    Zunge  noch 
stark  belegt;  Tonsillen  noch  stark  geschwollen;  kein  Belag. 

Ans  der  Familien-Anamnese  sei  erwähnt,  dass  der  Vater  viel  an  Kopf^ 
schmerzen  leidet,  die  Mutter  an  Krämpfen,  »wenn  sie  sich  aufregt  und  bei 
jeder  Entbindung".  5  Kinder;  1  Kind  leidet  an  Gelenkrheumatismus,  ein 
anderes  hat  auch,  wie  der  Bruder,  Anfälle  mit  Fieber,  Erbrechen  etc.  Aceton 
auch  bei  diesem  Kinde  im  Anfall  nachgewiesen. 

2«  Erwin  F.,  2*/«  Jahre,   sehr  nervöses,   äusserst  ängstliches  Kind,   ist 

erst  seit  >/«  Jahr  bei  der  Grossmutter,  von  der  über  sein  Vorleben  nichts  zn 
erfahren  ist. 

10.  III.  1904.  Seit  2  Tagen  Fieber;  zeigt  in  den  Mund..  Lunge,  Herz, 
Abdomen,  Ohren  o.  B.  Hals:  Mandeln  geschwollen,  rot;  links  etwas  Belag. 
Kein  Erbrechen;  ist  verstopft;  riecht  stark  nach  Aceton.  Urin:  Nicht  zu  er- 
halten.   Temp.  39,7. 

11.  III.  Hals:  Linke  Tonsille  lakunär  belegt,  sonst  alles  o.  B.  Temp.  38,5. 
Urin:  Reichlieh  Aceton. 

12.  III.  Temp.  36,8.  Urin:  Kein  Aceton,  kein  Eiweiss.  Hals:  Linke 
Tonsille  zwei  gelbe,  stecknadelkopfgrosse  Lakunen. 

30.  III.  Gestern  plötzlich  Fieber;  heute  Morgen  Erbrechen;  Stuhl  ver- 
stopft; kein  Appetit.    Zunge   stark  belegt.     Hals;    Angina  iacun.  sin.    Milz: 


')  Angewendet  wurde  fast  ausschliesslich  ^die  Legalsche  Probe  und 
der  Ausfall  als  stark  positiv  bezeichnet,  wenn  bei  ihr  die  Anwesenheit  des 
Acetons  sich  durch  den  Ausfall  tiefrot-sehwarzer  Wolken  dokamentierte. 


534  Misch,  Zur  Kenntnis  des  periodischen 

palpabel,  t?eich;  sonst  Abdomen  o.fi.  Lunge,  Hers,  Ohren  o.B.  Temp.4Q,2. 
Urin:  Reichlich  Aceton. 

81.  III.  Temp.  89,2.  Linke  Tonsille  venig  yer&ndert  Urin:  Reichlich 
Aceton.    Innere  Organe  o.  B. 

2.  lY.  Temp.  86,6.  Urin:  Kein  Aceton.  Tonsillen  fast  abgeheilt. 
Zunge  nicht  mehr  belegt. 

Die  quantitative  Aceton-Untersnchang  des  Urins  ergab  am  SO.  III.  bia 
81.  III.  in  225  ccm  (Gesamtmenge  in  P/s  Tagen)  0,0167  g  Aceton;  yom  31.  IIL 
bis  1.  lY.  in  850  ccm  0,0148  g  Aceton. 

7.  Y.  Temp.  89,8.  Urin:  Kein  Aceton.  Hals:  Lakunftre  Angina.  Ohren 
o.  B.    Innere  Organe  o.  B. 

9.  Y.    Temp.  37,8.    Angina  gebessert    Kein  Aceton. 

8.  K&te  Y.,  7  Jahre;  sehr  lebhaftes,  aufgewecktes  Kind. 

80.  XL  1908.  Klagt  über  Ohrenreissen.  Temp.  88,0.  Yor  8  Wochen 
an  Yaricellen  erkrankt,  die  ohne  Störung  abheilten.  Yor  8  Tagen  morgens 
krank  aufgewacht;  müde,  wollte  nicht  zur  Schule  gehen,  ist  sonst  sehr  fleissig. 
Abends  Fieber  und  Erbrechen,  das  sich  an  den  folgenden  Tagen  wiederholte. 
Stuhlgang  angehalten.  Lunge,  Herz,  Ohren  o.  B.  Hals:  Tonsillen  etwa» 
gerötet  Zunge  belegt.  Haut  und  Sklerae  gelb  gefärbt.  Abdom.:  Leber 
fiberragt  1  Querfinger  breit  den  Rippenbogen.  Urin  enth&lt  Bilirabin  und 
reichlich  Aceton. 

4.  XII.  Urin:  Rosinsche  Probe  schwach  positiv,  kein  Aceton.  Innere 
Organe  o.  B. 

9.  I.  1904.  Klagt  über  Halsschmerzen,  kein  Erbrechen.  Temp.  88,3. 
Hals:  Tonsillen  gerötet.  Zunge  belegt.  Innere  Organe  o.  B.  Urin:  Reich- 
lich Aceton. 

20.  III.  Soll  Yor  5  Tagen  wieder  Anfall  Ton  Fieber,  Kopf-  und  Hals- 
schmerzen gehabt  haben.   Roch  sehr  ans  dem  Munde.    Kein  Erbrechen  gehabt 

4.  Walter   E.,   6  Jahre.     Blasses,   schw&chliches   Kind,    stammt    aas 

neryöser  Familie,  leidet  wiederholt  an  fieberhafter  „Angina*'  (29.  IL— 8.  III.,. 
20.  111.-21.  IIL.  15.  IV.— 19.  IV.,  8.  VIL— 14,  VIL).  Temperatur  immer 
swisehen  88,7 — 89,2  während  der  Halsentzündungen. 

8.  VII.  1908.  Hohes  Fieber,  lakunäre  Angina  und  scharlachähnliohes 
Exanthem  auf  Brust  und  Bauche  Kein  Erbrechen.  Keine  auffällige  Pols- 
beschleunignng;  keine  zirkumskripte  Röte  im  Hals.  Innere  Organe  o.  B. 
Urin:  Kein  Albumin,  auf  Aceton  nicht  untersucht. 

14.  VIL    Völlige  Heilung. 

6.  IX.  1908.  Mit  Fieber  und  Erbrechen  von  neuem  erkrankt.  Tonsillen 
gerötet  und  geschwollen.    Zunge  dick  belegt     Innere  Organe  o.  B. 

7.  IX.  Dreimaliges  Erbrechen,  zuletzt  rein  gallig;  schwerer  Allgemein- 
zustand.   Innere  Organe  o.  B. 

8.  IX.  Milz  eben  fühlbar;  anf  der  Bauchhaut  8  roseolaTcrdächtige 
Flecke.  Verdacht  auf  Typhus,  zumal  in  der  nächsten  Umgebung  Tjphus 
grassieren  sollte.    Urin:  Kein  Eiweiss;  sehr  reichlich  Aceton. 

9.  IX.    Völlige  Heilung. 

Die  Mutter  berichtet  jetzt,  dass  ihr  wiederholt  der  Geruch  nach  Obst 
bei  dem  Kinde  während  der  Fieberperioden  aufgefallen    sei;   auch   der  Urin 


£ri>reeheD8  im  Kindesalter.  535 

rieche  dann  nach  Obst  In  der  Folge  wiederholte  FieberanfftUe  mit  Übelkeit, 
Halsentzandangy  ohne  Brbrechen.  Aceton  im  Urin  nnnmehr  Yom  Vater 
(Apotheker)  nachgewiesen;  ftrztlicher  Rat  nicht  mehr  nachgesacht.  Matter 
erzählt,  dass  die  Anfälle  des  Kindes  bis  in  das  früheste  Lebensalter  dea 
Kindes  zurückgehen,  als  ^Magenkatarrh*  diagnostiziert  und  mit  strenger  Diät 
erfolgreich  behandelt  wurden. 

Was  den  mitgeteilten  Krankengeschichten,  deren  Zahl  sich 
beliebig  vermehren  liesse,  zunächst  gemeinsam  ist,  ist  das  völlige 
Fehlen  einer  nachweisbaren  Organerkrankung.  Was  man  in  allen 
Fällen  gleichmässig  findet,  ist  das  Fieber,  die  stark  belegte  Zunge^ 
die  Angina,  der  mehr  oder  weniger  ausgesprochene  Acetongeruch 
aus  dem  Munde,  der  starke  Acetongehalt  des  Harns  und  eine 
auffällige  Oligurie;  zuweilen  werden  nur  20  ccm  Urin  innerhalb 
24  Stunden  abgesondert. 

Die  Zunge  ist  meist  so  stark  belegt,  dass  die  Eltern  ihrer 
von  selbst  Erwähnung  tun.  Sehr  charakteristisch  ist  in  dieser 
Beziehung  die  in  der  I.  Krankengeschichte  mitgeteilte  Beob- 
achtung. Häufig  erfahren  wir,  dass  sie  „furchtbar^  belegt  ist^ 
und  ein  filziger,  dickweisser,  feuchter,  stark  gelber  Belag  konnte 
in  den  verschiedensten  Fällen  gewöhnlich  notiert  werden. 

Was  die  Angina  betrifft,  so  handelt  es  sich  in  der  Regel 
um  eine  katarrhalische  Entzündung,  doch  wurde  nicht  selten 
auch  eine  exsudative  Entzündung  beobachtet 

Fast  konstant  ist  eine  ausserordentliche  Appetitlosigkeit^ 
die  durch  nichts  zu  überwinden  ist. 

In  der  Kegel  ist  Verstopfung  vorhanden,  häufig  aber  auch 
Durchfall.  Vielfach  folgen  auf  eine  1 — 2tägige  Obstipation 
häufige,  wässrige,  auch  schleimige  Stühle.  Zuweilen  schliesst  sich 
ein  Ikterus  an  das  Ende  des  Anfalls  an. 

Der  Acetongehalt  des  Urins  ist  beträchtlich.  Bei  den 
Legalschen  Proben  senkt  sich  der  Niederschlag  in  dicken,  blau-^ 
schwarzen  Wolken.  Diese  quantitative  Vermehrung  wird  be- 
sonders deutlich  beim  Nachlassen  der  Erscheinungen;  in  der 
Regel,  doch  keineswegs  immer  fällt  das  Aceton  proportional  mit 
dem  Fieber  ab.  So  ergaben  die  quantitativen  Bestimmungen, 
die  Dr.  L.  Meyer  liebenswürdigerweise  vorgenommen  hat,  die 
indessen  den  respiratorischen  Stoffwechsel  nicht  berücksichtigen 
und  so  nur  Minimalzahlen  darstellen  —  bis  je  8  centigr  Aceton 
in  300  ccm  Urin  während  24  Stunden,  die  am  zweitnächsten  Tag  be- 
reits auf  0,027  gr  gesunken  waren,  gegenüber  einer  normalen 
Aceton-Ausscheidung  von  3 — 5  milligr.     Was  des    weiteren    den 


•^8.  Misch^  Zar  Kenntnis  des  peripdisclien 

beobachtöten  Krankheitserscheinungen  eigentümlich  ist,  ist  ihr 
Rezidivieren.  In  dem  mitgeteilten  I.  Krankheitsfall  traten, 
ganz  abgesehen  von  den  anamnestisch  mitgeteilten  Daten,  die 
beobachteten  Anfälle  Ende  Oktober  1903,  dann  wieder  April  1904 
■auf.  Im  Fall  II  Mitte  und  dann  wieder  Ende  März.  Im 
Fall  III  November  1903,  dann  wieder  Januar  und  März  1904. 
In  den  anderen  Fällen  wurden  4 wöchentliche  Pausen  zwischen  den 
Analen  beobachtet.  Doch  scheinen  länger,  4  bis  6  Monate  aus- 
bleibende Perioden  häufiger  zu  sein. 

Neben  dem  periodischen  Auftreten  der  Anfalle  bedarf  ein 
iSymptom  indessen  noch  besonderer  Betrachtung:  Das  Erbrechen. 
Das  Erbrechen  kann  in  dem  einen  Anfall  ganz  fehlen  und  kann 
bei  einem  Rezidiv  im  Vordergrund  der  Erscheinungen  stehen. 

So  wurde  bei  Fall  I  zunächst  kein  Erbrechen  beobachtet; 
auch  in  der  Anamnese  über  die 'früheren  Anfalle  nichts  darüber 
4Euigegeben;  im  bald  folgenden  Anfall  heftiges,  über  zwei  Tage 
sich  erstreckendes  Erbrechen  beobachtet.  Genau  iso  ging  es  im 
Fall  IL  • 

Im  Fall  III  wurde  beim  ersten  Mal  Erbrechen  notiert,  die 
Rezidive  verliefen  ohne  Erbrechen.  Ganz  besonders  alarmierend 
war  das  Erbrechen  im  Fall  IV,  das  sehr  häufig,  sehr  profus, 
unter  schweren  Allgemein-Erscheinungen  auftrat,  nachdem  weder 
vorher  noch  nachher  Vomitus  von  den  gut  beobachtenden  Eltern 
bemerkt  war. 

Diese  Beobachtung  war  es  auch,  die  zuerst  den  Gedanken 
nahe  legte,  ob  die  hier  mitgeteilten  Krankheitsfalle  nicht  in 
innigem  Zusammenhang  mit  dem  „rekurrierenden  Erbrechen  der 
Kinder^  stehen  mögen,  ob  sie  vielleicht  nicht  nur  rudimentäre 
Anfalle,  formes  frustes  des  periodischen  Erbrechens  sind. 

Vergleicht  man  daraufhin  unsere  Fälle  mit  den  Kranken- 
geschichten, wie  sie  Griffith^)  als  „Recurrent  Vomiting  in 
Children^  seinerzeit  mitgeteilt  hat,  so  ist  in .  der  Tat  die  Über- 
einstimmung auffallend;  auch  hier  die  Intervalle  zwischen  den  An- 
fällen; das  hohe  Fieber  ohne  irgendwelchen  Organbefund;  die 
^tark  belegte  Zunge,  von  Rotch')  as  a  fact  of  diagnostic  import- 
ance  bezeichnet,  die  Obstipation,  die  Mandelentzündung  etc»  Auch 
rGriffith  erwähnt  in  mehreren  seiner  Fälle  neben  der  auch  bei 
uns  beobachteten  Vermehrung  der  Harnsäure  die  Acetonaus- 
^cheidung  im  Urin*.: 

1)  Vgl.  Griffith,  l.  c. 
:  r«)  Citiert  beiiGrlffith..    :...        /- 


Erbrechens  im  Kindesalter.  o3T 

Mit  der  Einregistrierung  dieser  Fälle  in  das  periodische  Er- 
brechen ist  nun  allerdings  nicht  allzuviel  gewonnen,  da  das  Wesen 
des  rekurrierenden  Erbrechens  auch  nicht  im  mindesten  geklärt 
ist  Griffith,  der  aber  in  der  Absonderung  seiner  Fälle  wohl 
zu  weit  geht  und  sie  z.  B.  getrennt  wissen  will  von  denen  durch 
Seymes,  Gee  u.  A.  beschriebenen,  „wo  Diätfehler  die  deutliche- 
Ursache"  der  Erkrankung  sind,  Griffith  hält  die  Erkrankung 
f&r  eine  „Nekrose  toxischen  Ursprungs "*.  Die  nervöse  Konstitution 
der  Kinder  war  auch  in  unseren  Fällen  auffallend;  zuweilen  lies& 
sich  ein  grober  Diätfehler  direkt  nachweisen;  Genuss  fetten  Käses,, 
auch  sehr  fetter  Wurst;  einmal  setzten  die  Erscheinungen  ein 
nach  der  reichlichen  Aufnahme  harter  Pflaumen  bei  einem  3jährigen 
Kinde. 

So  geht  man  wohl  nicht  fehl,  wenn  man  das  Ganze  als  eine- 
tiefer gehende  gastrische  Störung  bei  den  nervösen  Kindern'  und 
den  Acetongehalt  als  Zeichen  des  gestörten  Stoffwechsels  —  Kohle- 
hydrat Inanition  —  auffasst. 

Zu  dieser  Auffassung  von  der  Bedeutung  der  Aceton'-Aus- 
Scheidung  kommen  auch  die  neuesten  Arbeiten  über  das  aus- 
gesprochene periodische  Erbrechen.  „Yomissements  et  aceton^mie 
sont  deux  symptdmes  concomitants  d'un  ötat  morbide^  sagt 
C4ard^),  und  „die  Acetonurie  ist  nur  ein  Symptom^  lesen  wir 
bei  Colas*). 

Es  soll  aber  auch  nicht  die  Acetonausscheidung  als  ein 
Charakteristicum  des  beschriebenen  Symptomenkomplexes  auf- 
gefasst  werden.  Acetonurie  findet  sich  bei  vielen  fieberhaften 
Krankheiten  —  als  Folge  der  Inanition^)  —  sowie  überhaupt  ber 
den  leichtesten  Störungen  im  Fett  und  Kohlehydrat- Stoffwechsel 
der  Kinder,  wie  das  die  neuesten  Untersuchungen  LangsteinS' 
und  Meyers  durch  die  nachgewiesene  erhöhte  Neigung  der  Kinder 
zur  Acidose  erklärlich  gemacht  haben^). 


0  Ceard,  Essai  sar  les  yomissements  avec  acetonemie.    Paris  1904. 

')  N.  Co  las,  Apropos  de  qnelqaes  cas  d'ac^tonurie  chez  des  enfants. 
These  de  Paris  1903.  Aroh.  gener.  de  m^d.  1904.  8.  Refer.  im  Jahrbach  für 
Kinderheilkunde,  Juli  1904. 

*)  cf.  L.  Meyer,  Acetonurie  bei  Infektionskrankheiten  im  Kindesalter.f 
Jahrbuch  für  Kinderh. 

^)  cf.  die  Ausführungen  der  Autoren  auf  der  Naiurfors^herTers.  in  Breslau^ 
und  in  diesem  Hefte. 


Literaturbericht 

ZusammeD gestellt  von  Dr.  B.  SAL6E, 

Assistent  an  der  ünlTerslt&tt-KlnderkllnJk  In  Berlin. 

V.  Taberknlose  and  Syphilis. 

RippenlmorpelanomeUien   und  Lungenittherkuiose,    Von  Mendels  oh  n.    Erste 
Mitteilung  (Säaglingsalter).  Archiv  ffir  Kinderheilkande,  XXXYIII.  Band, 
1.  und  2.  Heft. 
Yerf.  hat  zur  Nachprüfung  der  bekannten  Frenndschen  Beobachtungen 
60  Säuglingsleichen  in  Bezug  auf  die  L&nge,  Breite  und  Dicke  der  Rippen- 
knorpel   der   ersten   und   zweiten   Rippe    untersucht.     Leichen,    bei    denen 
irgendwie   erhebliche  Zeichen  von  Rachitis  vorhanden  waren,  wurden   aas- 
geschlossen.. Die    F&lle   wurden   in   3    Gruppen    geteilt:    1.  weder   erblich 
tuberkulös   belastete,   noch    tuberkulös    erkrankte;   2.  an  Lungentuberkulose 
erkrankte  ohne  erbliche  Belastung;  3.  erblich  tuberkulös  belastete  F&lle,  die 
a)  tuberkulosefrei  und  b)  an  Tuberkulose  erkrankt  waren.    Die  üntersuchnng 
ergab : 

K  Die  von  Freund  beobachtete  abnorme  Kurze  des  1.  Rippen- 
knorpels kommt  als  angeborener  Zustand  im  Säuglingsalter  vor; 

2.  die  Lungentuberkulose  der  Säuglinge  ist  in  ihrer  Lokalisation  un- 
abhängig von  dieser  Knorpelanomalie; 

3.  ein  Zusammenhang  zwischen  abnormer  Kürze  des  1.  Rippen- 
knorpels und  hereditär-tuberkulöser  Belastung  besteht  nicht. 

Ob  nicht  neben  der  angebornen  abnormen  Kürze  derselbe  Zustand 
infolge  eines  Zurückbleibens  im  Wachstum  vorkommt  und  ob  diese  Wachs- 
tumsstörung nicht  wahrscheinlicher  eine  Folge  als  eine  Ursache  der 
Lokalisation  der  Tuberkulose  in  der  Spitze  ist,  darüber  sollen  weitere 
Untersuchungen  an  älteren  Kindern  entscheiden.  Spanier- Hannover. 

Zur  Fragt  der  Füiierungsiuherkulose,  Von  Ganghofner.  Archiv  für 
Kinderheilkunde,  XXXVIL  Band,  5.  und  6.  Heft. 
Die  Möglichkeit  einer  Übertragung  der  Rindertuberkulose  auf  den 
Menschen  muss  nach  dem  Ergebnis  von  Tierversuchen  wohl  zugegeben 
werden;  denn  wenn  es  gelingt,  Rinder  mit  menschlichen  Tuberkelbazillen 
zu  infizieren,  liegt  die  Annahme  nahe,  dass  die  Infektion  auch  umgekehrt 
vorkommen  kann.  Doch  ist  nach  Verfassers  Ansicht  bisher  kein  Beweis 
dafür  beigebracht,  dass  eine  solche  Übertragung  häufig  stattfindet.  Weder 
Verfassers  pathologisch-anatomischen  Befunde  von  972  an  akuten  Infektious- 
krankheiten  verstorbenen  Kindern,  noch  die  von  ihm  bearbeiteten  statistischen 
Erhebungen    über   das  Verhältnis  von   Rinder-  und  Menschen  tuberkulöse  in 


Y.  Taberknlose  and  Syphilis.  539 

Böhmen  sprechen  dafür,  dass  der  Oenuss  von  perlsuchtbazillenhaltiger 
Nahrung  für  die  Entstehung  der  menschlichen  Tuberkulose  —  insbesondere 
auch  im  Kindesalter  —  eine  erhebliche  Bedeutung  hat. 

S  p  a  n  i  e  r -Hanno  vor. 
Zur    Paikogenes€  der  Mensckeniuherkulose  nach  v.  Behring,    Von   Köhler. 

Wiener  klinische  Rundschau,  1904,  No.  37. 
Verf.  steht  der  Behringschen  Theorie  yon  der  intestinalen  Infektion 
sehr  sympathisch  gegenüber,  sucht  sie  zu  stützen  und  die  gegen  sie 
erhobenen  Einwände  zu  widerlegen.  Bis  heute  müssen  die  intestinale  In- 
fektion, die  Mandelinfektion  und  die  Inhalationsinfektion  sämtlich  als  möglich 
anerkannt  werden,  es  fragt  sich  nur,  mit  welcher  Häufigkeit  der  eine  oder 
der  andere  Modus  vorkommt,  welche  Art  als  der  gewöhnliche  und  welche 
als  der  Ausnahmetypus  angesehen  werden  muss.  Die  endgültige  Ent- 
scheidung dieser  Frage  ist  erst  xuush  Jahrzehnten  zu  erwarten  und  daher 
ist  das  Handeln  des  Praktikers  vorerst  nicht  abzuändern. 

Span  1er- Hannover. 
Tümtur  caseeuse  du  lobegauche  du  cerveiet,  Amaurose  par  atrophie  papiUaire 

et persisiance  des  reflexes  lumineux,   Paralyse  faciale,  Pied  bot  varus  equiu. 

Considerations  sur  ia  ponction  lombaire  et  la  permeabilui  meningee.    Von 

Rene  Cruchet.  (Revue  Mens,  des  maladles  de  Penfance,  XXII.  August  1904.) 
Der  Titel  enthält  alles  Wichtige,  was  aus  der  Arbeit  hervorzuheben 
wäre,  und  es  bedarf  nur  einiger  Bemerkungen  über  aie  Lumbalpunktionen: 
Bei  Hirntumoren  fiel  bei  einigen  Autoren  die  Untersuchung  der  Spinal- 
flüssigkeit auf  Zellen  negativ  aus,  andere  fanden  Lymphozyten.  Diese  ge- 
hören nun  nicht  allein  zum  Bilde  einer  tuberkulösen  Veränderung,  sondern 
sind  auch  bei  anderen  Tumoren  gefunden,  andererseits  sind  auch  bei  Tuber- 
kulose polynukeläre  Zellen  gefunden.  —  Die  Leukozytose  ist  eine  Folge  der 
Beizung  der  Meningen.  Es  «ritt  also  keine  Leukozytose  auf,  solange  ein 
Tumor  nur  zentral  ist;  sobald  er  aber  an  die  Meningen  reicht,  kommt  eine 
reaktive  Leukozytose  zustande,  die  im  akuten  Stadium  polynukleär  ist; 
handelt  es  sich  um  einen  älteren  Prozess,  treten  Lymphozyten  auf. 

L.  Ballin. 
Df'e   Zähne  als   Eingangspforte  der    Tuberkulose.    Von  Parts  eh.    Deutsche 

med.  Wochenschr.    No.  39.     1904. 

Primäre  Erkrankung  bei  einem  14jährigen  Mädchen,  bei  dem  das 
tuberkulöse  Gift  durch  einen  kariösen  unteren  Molaren  eingedrungen,  eine 
tuberkulöse  Periodontitis  erzeugt  hat,  die  von  dem  Wurzelloch  aus  sich  quer 
durch  den  Kiefer  fortgepflanzt  und  tuberkulöse  Infektion  der  benachbarten 
submaxillaren  Lymphdrüsen  erzeugt  hat,  von  der  aus  dann  selbständig  die 
Tuberkulose  auf  eine  der  oberen  Halsdrüsen  und  die  submentalen  Drüsen 
übergesprungen  ist.  Misch. 

Ein  Fall  von  angeborener  Tuberkulose.  Von  D.  Veszpremi.  Budapesti 
Orvosi  Ujsaq.  1904. 
Im  Verhältnis  zur  grossen  Zahl  der  zur  Sektion  kommenden  Tuber- 
kulose-Fälle werden  solche  äusserst  selten  mitgeteilt,  bei  denen  die  Tuber- 
kulose als  evident  angeborene  Krankheit  erscheint.  In  dem  vom  Autor 
beschriebenen  Falle  war  die  Mutter  im  vorgeschrittenen  Stadium  der 
Schwindsucht.    Sie  starb  12  Tage  nach  der  Geburt.    Bei  der  Sektion  ergaben 


640'  Literatotberieht. 

sich  i8:avernen,  Laryngophthisis,  Verk&snng  der  Mesenterial-  und  BroncUal- 
drüsen,  Darmgeschwüre,  in  der  Leber  und  Milz  /miliare  Tuberkulose.  Der 
Uterus  erwies  sich  nach  sorgfältigster  makro-  und  mikroskopischer  Unter- 
suchung frei  ton  Tuberkulose.  Das  frühgeborene  Kind  wurde  vom  ersten 
Tage  an  mit  sterilisierter  Milch  em&hrt,  von  der  Mutter  separiert  Tempe- 
raturkurve st&ndig  unregelm&ssig;  h&ufig  Fieber  von  88,5—39«  C.  Am 
37.  Tage  starb  der  von  ^250  auf  1625  g  abgemagerte  S&ugling.  Sektions- 
befund:  Verk&sung  der  Drüsen  der  Leberpforte,  Tuberculosis  peritonei, 
ein  verkäster  Herd  in  der  Leber  und  miliare  Tuberkulose  der  Leber,  Milx 
und  Lungen.  In  den  aus  den  erkrankten  Organen  gewonnenen  Präparaten 
konnten  Koch  sehe  Bazillen  in  grosser  Zahl  nachgewiesen  werden. 

Autor  erblickt  in  erster  Reihe  darin,  dass  Leberpforte  und  Leber  in 
vorgeschrittener  Weise  beteiligt  waren,  den  Beweis,  dass  die  Infektion  der 
Frucht  im  Wege  der  placentaren  Zirkulation  intrauterinal  erfolgt  sei. 

Torday. 

Tuberculose  de  la  clavicuie.  Von  A.  Conor.  Gazette  des  hopitaux.  1904. 
No.  105. 

Bei  einem  ans  gesunder  Familie  stammenden,  bisher  stets  gesunden 
18jährigen  Knaben  entwickelte  sich  ziemlich  schnell  ein  Tumor  in  der 
Sterno-Clavicular- Gegend.  Bei  Bewegungen  bestanden  massige  Schmerzen, 
sonst  nicht.  Die  inneren  Organe  waren  gesund,  geringes  kontinuierliches 
Fieber.  Bei  der  Eröffnung  des  Tumors  fand  sich  kein  Eiter,  sondern  trübe, 
seröse  Flüssigkeit,  in  welcher  der  Tierversuch  Tuberkelbazillen  ergab.  Das 
nun  freiliegende  Schlüsselbein  war  seines  Periostes  beraubt,  rauh;  es  wird 
das  etwa  4  cm  lange  kranke  Stück  entfernt.  Das  Sterno-Clavicular-Gelenk 
ist  frei.    Heilung. 

Literaturzusammenstellung.  Moltrecht. 

Abscei  froid  de  la  langue.  Von  M.  SalvaMercade.  Gazette  des  h6pitauz. 
1904.  No.  102. 
Diese  sehr  seltene  Affektion  fand  Verf.  bei  einem  8jährigen  Mädchen. 
Die  etwa  erbsen grosse,  von  gesunder,  unveränderter  Schleimhaut  umgebene 
fluktuierende  Geschwulst  hatte  sich  langsam  entwickelt  und  keinerlei  Be- 
schwerden gemacht.  Sie  sass  auf  dem  hinteren  Abschnitt  der  Zunge. 
Drüsenschwellungen  waren  nicht  vorhanden,  ebenso  keine  Lungenerkrankung, 
Die  Behandlung  bestand  in  Spaltung  und  Auskratzung  des  Abszesses.  Im 
Eiter  wurden  keine  Tuberkelbazillen  gefunden.  Moltrecht. 

La  Htberculose  du  perUoine  dans  i*enfance.  Von  R.  Göppert.  Archives  de 
m^decin  des  enfants.  Tome  7.  No.  8.  August  1904. 
Die  Ausführungen  des  Verf.  bringen  wenig  Neues.  In  therapeutischer 
Beziehung  empfiehlt  Verf.,  in  Fällen  von  generalisierter  Tuberkulose,  in 
welchen  mehr  oder  weniger  ausgesprochene  sekundäre  peritonitische  Er- 
scheinungen auftreten,  gegen  diese  letzteren  angesichts  der  durchaus  un- 
günstigen Prognose  höchstens  symptomatisch  vorzugehen.  Tritt  die  tuber- 
kulöse Peritonitis  hingegen  als  lokales  Leiden  selbständig  auf,  so  ist  sie 
heilbar  und  im  allgemeinen  konservativ  zu  behandeln.  Chirurgisches  Vor- 
gehen will  G.  auf  jene  ascitischen  Formen  beschränkt  wissen,  welche  nach 
einigen  Monaten  keine  Tendenz  zur  Rückbildung  zeigen,  vielmehr  zu  Kachexie 


YIII.  KrankheiteD  des  Nervensystems.  541 

fähren,  femer  auf  Fälle    von  drohender  Perforation  peritonitischer  Abszesse 
durch  die  Bauchhaut  und  von  Darmverschluss.  Pfaundler. 

Das  Syphihsheilserum  von  Dr.  Paulsen,  Von  L.  Waelsch.  Arch.  f.  Dermat. 
und  Syphilid.  1904.  Bd.  70.  p.  461. 
Mit  Hilfe  des  aus  dem  Blute  aller  untersuchten  Fälle  von  sekundärer 
Lues  gezüchteten  Pseudodiphtheriebazillns,  welchen  er  für  den  Erreger  der 
Syphilis  hält,  stellte  Paulsen  zum  Zwecke  der  Behandlung  der  Syphilis 
zwei  Heilsera  her.  Bei  der  Nachprüfung,  die  Waelsch  zunächst  im  Tier- 
experiment vornahm,  erwies  sich  jedoch  das  Heilserum  für  Meerschweinchen 
pathogen,  indem  es  augenscheinlich  toxische  Substanzen  enthielt,  welche 
auch  in  geringer  Menge  das  Tier  nach  verhältnismässig  kurzer  Zeit  eingehen 
Hessen.  Unter  diesen  Umständen  nahm  W.  von  therapeutischen  Experimenten 
bei  Lnetikern  Abstand  und  lehnt  den  Wunsch  nach  weiterer  Prüfung  des 
Serums  ab.  Der  Bazillus,  mit  dem  es  hergestellt  ist,  ist  nicht  der  Erreger 
der  Syphilis;  das  mit  ihm  erzeugte  Serum  macht  Versuchstiere  krank  und 
tötet  sie,  und  gegen  die  Krankheit,  gegen  die  es  verwendet  werden  soll, 
erweist  es  sich  nach  eigenem  Geständnis  der  Darsteller  des  Serums  als 
ziemlich  unwirksam.  Schleissner. 


YIII.  Krankheiten  des  Nervensystems. 

Du  nervöse  Zelle  bei  den  Meningiiiden.    Von    Luis a da.     (Rivista  di  Clinica 
pediatrica.)    No.  7.     1908. 

Verf.'  hat  seine  Untersuchungen  über  sechs  Fälle  Meningitis  und 
1  Fall  Meningismus  ausgedehnt. 

Der  erste  Fall  betrifft  eine  akute  tuberkulöse  Meningitis.  Die  Unter- 
suchung der  Zellen  der  MeduUa  oblongata  zeigte  sehr  schwere  Läsionen 
bis  zur  Zerstörung  des  Protoplasma  und  der  verschiedenen  Teile  der  Zelle; 
Zeilläsionen  vom  Typus  der  perinukleären  und  peripherischen  Chromatolyse ; 
Zelliäfiionen  ähnlich  der  bei  Achsenzylinderverletzung  beschriebenen,  der 
Kern  gegen  die  Wand  neben  dem  Ursprung  des  Achsenzylinders  gedrückt. 
Seine  Veränderungen  waren  in  einigen  Zellengruppen  überwiegender  als  in 
anderen. 

Der  zweite  Fall  betraf  eine  chronische  tuberkulöse  Meningitis.  Es 
wurde  bemerkt:  paracelluläres  Durchdringen  im  Nervengewebe,  Vermehrung 
der  Kerne  der  Neuroglien,  Verdickung  der  fibrösen  Bündel;  ausserdem 
celluläre  Veränderungen  vom  Typus  sekundärer  Reaktion  und  zahlreiche 
Formen  primärer  Entartung  mit  peripherischer  Chromatolyse« 

Verf.  meint,  dass  die  perinukleäre  Chromatolyse  ohne  Kernverrückung 
der  Anfang  einer  Zellreaktion  durch  eine  frische  Läsion  des  Nerven- 
zellenfortsatzes sei  und  dass  die  scharfen  Reaktionsformen  mit  Kern- 
verrückung und  Zentralchromatolyse  als  eine  Kompression  des  Nervenzellen- 
fortsatzes zu  betrachten  sei. 

Im  8.  und  4.  Fall  betrachtet  Verf.  die  Meningitis  cerebro-spinalis, 
durch  Weichsel baumschenMeningococcus  verursacht.  Verfi  bestätigt  die 
Vorliebe  der  Läsionen,  welche  die  Toxininfektionen  auf  einige  Zellen- 
gruppen des  Bulbus  ausüben,  und  erklärt,  dass  es  in  diesen  Gruppen  der 
Jalirbneb  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI,  Heft  8.  35 


542  Literaturbericht. 

Zellen,    deren    Elemente    weniger    widerstandsfähig  sind,  zu  schwerer  Ent 
artung  kommt. 

Der  5.  Fall  betriflft  eine  eitrige  metapneumonische  Meningitis.  Verf. 
hat  ähnliche  Charaktere  wie  bei  Anämie  des  Nerrensjstems  beobachtet;  der 
Mangel  schwerer  Zellen  Veränderungen  wird  mit  der  Schnelligkeit  der  Zer- 
störung des  Centraineryensystems  erklärt,  die  den  verschiedenen  Zellen- 
entartungsformen keine  Zeit  Hess,  sich  auszubilden. 

Im  6.  Fall,  Meningitis  durch  Diploccocus  capsulatus  nach  Otitis,  hat 
Verf.  späte  Entartungen  mit  Achsenzylinderläsionen  gesehen.  Ausserdem 
sollen  beschädigt  worden  sein  die  Hirnrindenzellen  durch  interstielle  Ver- 
änderungen, durch  den  gestörten  inneren  Schädelkreislanf  und  durch  die 
toxische  Wirkung  der  Bakterienprodukte. 

Der  7.  Fall  betrifft  ein  Mädchen,  welches  im  Typhusverlauf  schwere 
nervöse  Erscheinungen  darbot,  weswegen  man  klinisch  eine  echte  Meningitis 
diagnostiziert  hatte.  In  diesem  Fall  hat  Verf.  peripherische  Chromatoljse 
ohne  Sekundärentartung,  Mangel  an  Reaktionserscheinungen  des  Interstitial- 
gewebes  und  dafür  leichte  Eestitutio  ad  integrum  und  schnelles  Ver- 
schwinden der  klinischen  Phänomene  gefunden. 

Verf.  meint,  dass  ein  scharfer  Unterschied  zwischen  Meningismus  und 
Meningitis  pathologisch-anatomisch  nicht  vorhanden  ist  und  das  es  sich 
gewöhnlich  nur  um  verschiedene  schwere  Stufen  der  Lokalisation  des  krank- 
machenden Agens  handelt. 

Die  Nervenzelle  ist  also  immer  krank  in  den  verschiedenen  Formen 
der  Meningitis,  wie  auch  in  den  Übergangsformen  zwischen  Meningitis  und 
Meningismus,  die  zum  Tode  führen.  Dr.  Crisafl. 

Seröse    Meningitis    und   LumbaipunkiUm.     Von    Blumenthal.      Archiv    für 
Kinderheilkunde.     XXXVIII.  Bd.     1  und  2.  Heft. 

Ein  Sjähriger,  erbärmlich  genährter  Knabe,  der  erst  mit  S'/i  Jahren 
Laufen  gelernt  hatte  und  sehr  schwere  rachitische  Knochenverkrümmungen 
an  W^irbelsäule  und  Extremitäten  aufwies,  erkrankte  3  Wochen  nach  einem 
schweren  Falle  auf  den  Hinterkopf  an  überaus  heftigem  Kopfschmerz,  der 
seitdem  (8  Tage  lang)  ununterbrochen  und  unvermindert  anhält  und  am 
1.  und  2.  Tage  der  Erkrankung  mit  unstillbarem  Erbrechen  verbunden  war. 
Der  Kopf  wird  steif  im  Kacken  gehalten,  kann  jedoch  auch  vornüber 
gebracht  werden.  Augen hintergrund  (nach  den  Lumbalpunktionen  unter- 
sucht) war  normal.  Eine  zweimalige,  mit  einem  Intervall  von  ca.  20  Tagen 
ausgeführte  Lumbalpunktion,  die  40  resp.  100  g  wenig  getrübter  Flüssigkeit 
ergab,  führte  zu  vollkommener  Heilung  (^/j  Jahr  lang  beobachtet). 

Bezüglich  der  Art  der  Erkrankung  spricht  vieles  für  die  Exacerbation 
eines  durch  die  Rachitis  bedingten  chronischen  Hydrocephalus  nach  dem 
Trauma;  doch  kommt  auch  die  Möglichkeit  einer  akuten,  einfach  serösen 
Meningitis  nach  Trauma  in  Betracht.  Die  bakteriologische  Untersuchung; 
der  Punktionsflüssigkeit  ergab  ein  völlig  negatives  Resultat. 

Spanier-  Hannover. 

Die  Auf  braue hkrankheiten  des  Nervensystems,     Von  L,  Edinger.     Deutsche 
med.  W^ochenschr.    No.  45.     1904. 
Die    von    Edinger   bereits    vor    10  Jahren    veröffentlichte    „Ersatz*'- 
hypothese  besagt  im  wesentlichen,    dass  es  Nervenkrankheiten  gibt,  welche 


VIII.  Krankheiten  des  Nervensystems.  643 

dadurch  entstehen,  dass  unter  bestimmten  Umst&nden  den  normalen  An- 
forderungen, welche  die  Funktion  stellt,  nicht  ein  entsprechender  Ersatz 
innerhalb  der  Gewebe  gegenüberstehe,  dass  also  die  Funktion  selbst  dann 
eine  Sch&digung  ist,  und  zwar  basiert  diese  neue  Auffassung  auf  der  yon 
Weigert  begründeten  anatomischen  Anschauung,  dass  alle  Zellen  des 
Organismus  im  Gleichgewicht  untereinander  stehen,  dass  keine  gesch&digt 
werden  kann,  ohne  dass  die  benachbarten  entsprechend  überwuchern  oder 
beim  Verschwinden  der  Zelle  deren  Raum  erfüllen.  Mit  dieser  Hypothese 
wird  die  frühere  elektive  Gifttheorie  erschüttert  und  nur  in  soweit  gelten 
gelassen,  als  einige  Nervenkrankheiten  durch  die  Funktion  auf  dem  durch 
die  Gifte  geschädigten  Boden  entstehen.  Auch  die  hereditären  Nerven- 
krankheiten macht  die  Ersatztheorie  in  ihrer  Genese  deutlicher.     Misch. 

DU  Au/ArauckkrafM^Uen  des  Nervensystems,    Von  L.  E ding  er.    Deutsche 
med.  Wochenschr.    No.  49.     1904. 

In  diesem  zweiten  Artikel  wird  der  Aufbrauch  durch  relative  oder 
absolute  Überfunktion,  die  toxische  Neuritis  und  der  toxisch  funktionelle 
Aufbrauch  behandelt.  Da  es  sich  beim  Untergang  von  Nervenbahnen  durch 
Überarbeitung  nur  um  eine  Steigerung  an  sich  normal  vorkommender 
Prozesse  handelt,  hat  man  die  Frühspuren  da  zu  suchen,  wo  gesunde 
Menschen  besondere  Anforderungen  an  ihren  Nervenapparat  stellen,  also 
z.  B.  bei  Sportsleuten,  bei  Militärs.  Die  Taubheitsempfindungen  nach  an- 
strengenden Touren,  die  Unsicherheit  in  den  Sohlen,  Störungen  in  der 
Hand  des  Alpinisten,  die  den  Pickel  führte,  gehören  hierher.  Auf  diese 
abnormen  Empfindungen  hätten  diesbezügliche  Untersuchungen  zu  achten, 
da  grosse  Fasermassen  in  peripheren  Nerven  erkranken  können,  ohne  dass 
spezielle  Ausfallssymptome  deutlich  werden.  Auch  die  meisten  Lähmungen 
nach  schweren  Krankheiten  gehören  hierher.  Gerade  diese  Lähmungen 
demonstrieren  die  Beziehungen  zwischen  toxischen  und  funktionellen  Neuri- 
tiden;  die  meisten  entstehen,  wenn  die  Patienten  wieder  beginnen,  auf  dem 
geschädigten  Boden  zu  arbeiten.  Auch  bei  der  Alkohollähmung  und  der 
Bleilähmung  erhalten  wir  geistvolle  Darlegungen  über  die  Elektion  durch 
die  Funktion.  Für  elektive  Giftwirkung  bleiben  ausser  Schwefelkohlenstoff, 
Kohlenoxyd  und  Dinitrobenyol  nur  wenige  toxische  Einflüsse  übrig.  Ein 
dritter  Aufsatz  über  den  Aufbrauch  des  Zentralapparates  soll  die  glänzenden 
Ausführungen  beschliessen.  Misch. 

Neuere  Ansichten  über  StoUem,  Stammeln,  Poltern  und  Hörstummheit,  Von 
Barth.  Wiener  klin.  Rundschau.  1904.  No.  39  und  40. 
Verf.  schliesst  sich  im  allgemeinen  den  Anschauungen  über  Einleitung 
und  Entstehung,  Wesen  und  Behandlung  der  Sprachstörungen  an,  die  Lieb - 
mann  in  seinen  verschiedenen  Veröffentlichungen  niedergelegt  hat,  und  die 
Arbeit  des  Verfassers  ist  eigentlich  nur  ein  Auszug  aus  diesen. 

S  p  an  i  e  r  -  Hannover. 
Eine  typische  Form  der  Hysterie  des  Kindesalters  und  ihre  Besiehung  su  der 
Anatomie  der  Unea  alba.  Von  Josef  K.  Friedjung.  Verlag :  Wilhelm  Brau- 
müller.   Wien  und  Leipzig. 
Verf.  geht  von  einem  Krankheitsbild  Bü ding ers  aus,  das  jener  unter 
dem  Titel:   ^Über  Diastase    der  Linea   alba  der  Kinder  mit  Inkarzerations- 
erscheinungen^   beschrieb,  wobei  vordem  ganz  gesunde  Kinder  an  heftigen 

85» 


544  Literaturbericht. 

charakteristischen  Schmerzanf&llen  in  der  Magengegend  erkrankten.  Büdinger 
deutete  es  als  Hernia  der  Linea  alba.  Ein  Heftpflasterstreifen  genügte, 
um  jedesmal  prompt  Heilung  zu  erzielen.  An  einem  selbst  erlebten  Fall  ist 
Verf.  besonders  durch  die  so  schnelle  Wirkung  des  Heftpflasters  auf  den 
Gedanken  der  suggestiven  Therapie  gekommen  und  hat  daher  das  Krankheits- 
bild n&her  untersucht.     Er  kommt  dabei  zu  folgenden  Ergebnissen: 

Die  Diastase  der  Musculi  recti  abdominis  bezeichnet  im  Kindesalter 
ohne  Unterschied  des  Geschlechts  das  normale  Verhalten  und  macht  keine 
krankhaften  Erscheinungen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  (63pCt.),  schon  un- 
mittelbar nach  der  Geburt  nachweisbar,  wird  sie  durch  den  Meteorismus 
des  Säuglings  noch  wesentlich  yermehrt,  geradezu  eine  charakteristischp^ 
Eigenschaft  des  Säuglingsabdomens. 

Diese  Eigentümlichkeit  nimmt  das  Kind  noch  weit  in  die  höheren 
Altersstufen  mit;  je  älter  die  Kinder  werden,  desto  häufiger  vermisst  man 
sie,  bis  sich  die  Bauchmuskulatur  in  der  Zeit  der  Geschlechtsreife  bei  den 
meisten  schliesst. 

Während  das  Verhalten  des  Comeal-  und  Rachenreflexes  für  die  Diagnose 
der  Hysterie  des  Kindes  nur  yon  untergeordneter  Bedeutung  ist,  darf  die 
Druckempfindlichkeit  der  Processus  spinosi  ceryicales  und  die  „Oyarie'^  al» 
ein  sehr  bezeichnendes  und  regelmässiges  Symptom  derselben  gelten. 

Die  Hysterie  des  Kindes  erscheint  häufig  unter  dem  Bilde  charakte- 
ristischer Schmerz  anfalle,  die  im  Abdomen  lokalisiert  werden.  Die  richtige 
Deutung  dieser  Anfälle  ist  leicht  und  sichert  überraschende  Heilerfolge. 

Rietschel. 

Über  Kinderselbsimorde,   Von  Deutsch.    Arch.  f.  Kinderheilk.   XXXVIILBd. 
L  u.  2.  H. 

Verf.  hat  200  Fälle  von  Kinderselbstmord  au9  der  Zeitungsliteratur 
der  letzten  drei  Jahre  zusammengestellt.  Die  jugendlichen  Selbstmörder 
stehen  im  Alter  von  7  bis  20  Jahren,  auf  58  Mädchen  kommen  147  Knaben; 
die  meisten  Selbstmorde  kommen  zwischen  dem  11.  und  15.  Lebensjahre  Tor. 
In  der  Ätiologie  des  Kinderselbstmordes  ist  der  oft  beschuldigte  Mangel 
an  Religiosität  kaum  in  Betracht  zu  ziehen.  Von  grosser  Bedeutung  dagegen 
sind  das  mit  der  Kultur  vergesellschaftete  Gespenst  der  Schulfurcht,  die 
Studiennberbürdung,  der  krankhafte  Ehrgeiz  der  Eltern  und  Kinder  und  die 
Examina  —  unter  den  200  Selbstmördern  waren  103  Schüler  von  Mittel- 
schulen. Weitere  wichtige  ätiologische  Faktoren  sind  der  grosse  Pauperismuß. 
neuropathische  Belastung  und  psychische  Infektion. 

Am  häufigsten  geschah  der  Selbstmord  durch  Ertränken,  Erschiessen 
und  Sprung  aus  der  Etage.  Zur  Verhütung  der  lünderselbstmorde  ist  es- 
notwendig,  dass  Eltern  und  Erzieher  erzogen  werden,  um  erziehen  zu  können. 
Ferner  kommt  in  Betracht  Schutz  der  Kinder  des  Proletariats,  sowie  eine 
auf  Individualisieren  in  Unterricht  und  Erziehung  abzielende  Schulreform. 

S  p  a  n  i  e  r  -  Hannover. 

DU  Gefährdung  der  Kinder  durch   hrankhafl  veranlagte   und  sUtlich  defekU 

Aufsichtspersonen.    Von  Heller.   Wiener  klin.  Rundsch.     1904.    No.  37. 

Verf.,    ein    Pädagoge,   bespricht   die    bekannten  Gefahren,    denen   die 

Kinder  in  somatischer  und  psychischer  Hinsicht  durch  die  Aufsichtspersonen 

ausgesetzt  sein  können.    Er  verspricht  sich  Besserung  der  jetzigen  Verhält- 


VIII.  Krankheiten  des  Nenrensystems.  545 

nisse  nur  dadurch,  dass  die  Mütter  ihrer  vornehmsten  Pflicht,  sich  ihren 
Kindern  zu  ividmen,  mehr  sich  bewusst  werden  und  dass  schon  die  weibliche 
Jugend  so  erzogen  wird,  dass  aus  ihr  Mütter  im  Sinne  Pestalozzis  hervor- 
gehen können;  femer  muss  die  soziale  und  pekuniäre  Stellung  der  Familien- 
pädagogen im  allgemeinen  gebessert  werden,  damit  sich  eine  görssere  Zahl 
besserer  Elemente  diesem  schwierigen  und  verantwortungsvollen  Berufe 
widmet.  Spanier- Hannover. 

Schule  und  Nervenkrankheilen,    Von  Wildermut h.    Wiener  klin.  Rundsch. 
1904.    No.  40. 

Verf.  hat  3G0  jugendliche  Patienten  im  Alter  von  6  bis  18  Jahren  an 
Neurasthenie,  Hysterie  und  anderen  funktionellen  Nervenkrankheiten  sowie 
an  Psychosen  behandelt.  —  Nur  bei  einer  kleinen  Anzahl  neurasthenischer 
Kranker  war  das  Leiden  bestimmt  auf  geistige  Überanstrengung  zurück- 
zuführen.  Jedenfalls  kommt  ihr,  gegenüber  der  Tatsache,  dass  bei  der  Mehr- 
zahl der  Kinder  die  nervöse  Schwächlichkeit  bis  in  die  früheste  Jugend 
zurückgeht  und  sich  eben  bei  der  ersten  Kraftprobe  im  Leben,  beim  Schul- 
besuch, geäussert  hat,  und  bei  dem  Einflüsse  des  Alkohols,  z.  T.  auch  sexueller 
Verirrungen,  nur  eine  kleine  Bedeutung  zu.  Auch  bei  der  Neurasthenie  Er- 
wachsener wird  der  schädliche  Einfluss  der  Arbeit  weit  überschätzt.  —  Auch 
zur  Entstehung  der  Hysterie  und  der  sonstigen  Neurosen  tragen  die 
Schädlichkeiten  der  Schule,  insbesondere  geistige  Überanstrengung,  nur  in 
ganz  geringem  Umfange  bei.  —  Bezüglich  der  Psychosen  muss  Verf.  nach 
«einen  Erfahrungen  gleichfalls  einen  Zusammenhang  zwischen  Schulüber- 
bürdung  und  Geisteskrankheiten  im  kindlichen  und  jugendlichen  Alter  be- 
streiten; auch  nicht  in  einem  einzigen  Falle  konnte  er  einen  solchen  Zu- 
sammenhang finden. 

Das  Wesentliche  bei  sämtlichen  infantilen  und  juvenilen  Neurosen  und 
Psychosen  ist  die  erbliche  Belastung  und  die  kongenitale  Anlage;  für  die  oft 
behauptete  Zunahme  dieser  Erkrankungen,  namentlich  auch  im  jugendlichen 
Alter,  fehlt  jeder  sichere  Anhalt.  Nervenkränkliche  IQnder  sollten  nicht  vor 
•dem  7.  oder  8.  Lebensjahre  zur  Schule  kommen,  und  in  manchen  Fällen  is.t 
den  Eltern  zu  raten,  auf  eine  Ausbildung  der  Kinder  in  höheren  Schulen  zu 
verzichten.  Innerhalb  der  Klasse  einzelne  Gruppen  geistig  gleichwertiger 
Kinder  zu  bilden,  ist  nach  Verfassers  Ansicht  ohne  grosse  Missgriffe  einst- 
weilen nicht  möglich.  Für  einen  Teil  nervöser  Kinder,  solche,  die  gut  lernen, 
ist  es  geradezu  heilsam,  wenn  sie  in  einen  Schulverband  kommen.  In  dem 
nicht  zu  sehr  individualisiert  wird,  .in  dem  ein  gewisser  militärischer  Zug 
herrscht,  ein  Moment  psychischer  Abhärtung,  wodurch  nicht  jeder  subjektiven 
ii>chwankung  des  Befindens  nachgegeben  werden  kann. 

S  p  a  n  i  e  r  -  Hannover. 

Übtr  kereäiiäre  injantile  Tabes,  Von  Kaufmann.  Wiener  klin.  Rundsch, 
1904.  No.  35. 
Ein  lOjähriger  Knabe,  der  von  einem  Tabiker  und  einer  gesunde^ 
Mutter  abstammt,  hat  seit  seinem  sechsten  Lebensjahr  Erscheinungen  von 
Incontinentia  urinae,  seit  seinem  neunten  Jahre  gastrische  Krisen.  Objektiv 
«ind  an  ihm  reflektorische  Pupillenstarre,  Trägheit  der  Pupillen  bei  Kon-r 
vergenz,  Fehlen  der  Patellarreflexe  und  ein  geringer  Grad  von  Romberg-  . 
schem  Phänomen    zu  konstatieren.     Die  Krankheit  verläuft  ohne  auffallende 


646  Literaturbericht. 

Remissionen  und  —  mit  Ausnahme  der  Papillensjmptome  —  ohne  cerebrale 
Erscheinungen.  Lancinierende  Schmerzen,  erheblichere  Ataxie,  Stomngen 
der  Hautreflexe,  der  Sensibilität,  der  Intelligenz,  der  Sprache  fehlen. 

Friedreich  sehe  Tabes  ist  im  vorliegenden  Falle  ausgeschlossen, 
ebenso  die  Pseudotabes  syphilitica;  es  handelt  sich  yielmehr  um  echte 
Tabes,  bei  der  die  hereditäre  Lues  in  Verbindung  mit  der  ererbten  Dispo- 
sition zwar  wichtige,  prädisponierende  Momente  abgeben,  aber  nicht  die 
direkte  Ursache  der  Erkrankung  sein  können,  denn  sonst  müsste  die 
infantile  hereditäre  Tabes  bei  den  Kindern  Ton  Tabikern  häufiger  zu  finden 
sein.  Spanier- Hannover. 


IX.  Krankheiten  des  Auges,  des  Ohres  und  der  Nase. 

Das    sogenannte   Empyem   der  HighmareshShien   hei  Säugüngen.      B.  Kelly. 
Edinb.  med.  Joum.    Oktober  1904. 

K.  reiht  16  Fällen,  die  er  aus  der  Literatur  auftreiben  konnte,  einen 
selbstbeobachteten  an.  Mit  14  Tagen  bekam  das  Kind  beiderseits 
Schwellungen  der  unteren  Augenlider  und  Wangen,  auf  der  linken  Seite 
Yortreibung  des  Bulbus,  die  nach  wenigen  Tagen  in  einer  Eiterentleerung 
endete  aus  Augenhöhle,  Nase  und  Oberkiefer  (nach  der  Mundhöhle).  Diese 
Absonderung  dauerte  im  ganzen  1 — 2  Monate  an;  ihre  Herkunft  aus  der 
Highmorshöhle  ward  festgestellt*  Nach  des  Verfassers  Meinung  handelt  es 
sich  um  eine  infektiöse  Periostitis,  Osteomyelitis  des  Oberkiefers,  yerur- 
sacht  durch  Trauma  in  der  Gegend  der  Alveolarsäckchen,  besonders  de» 
I.  Molaren.  Spiegelberg. 


X.  Krankheiten  der  Respirationsorfirane. 

Ober   Bronckiekiasien   bei    IQndem,      Von    Lapin.       Arch.    f.    Kinderheilk. 
XXXVII.  Bd.    5.  u.  6.  Heft. 

Die  Arbeit  des  Verfassers  beruht  auf  12  Fällen  von  Bronchiektasie 
bei  Kindern  ron  P/t  bis  12  Jahren.  Die  Bronchiektasie  ist  nach  Verfassers 
Ansicht  keine  seltene  Erkrankung  im  Kindesalter,  sie  entsteht  durch  eine 
gleichzeitige  Erkrankung  der  Lungen  und  Bronchien  mit  nach- 
folgender Lungensklerose.  Die  Sklerose  erweitert  die  vorher  durch 
einen  Krankheitsprozess  yeränderten  Bronchien  (Elastizitätsabnahme,  Mnskel- 
fasjdrdegeneration).  Eine  Pneumonie  allein  ohne  Sklerose,  eine  Bronchitis 
allein,  selbst  das  Eindringen  eines  Fremdkörpers,  der  eine  schwere 
Bronchitis  hervorruft,  ein  eitriges  Exsudat  oder  alte  pleuritische  Ver- 
wachsungen vermögen  keine  Bronchiektasie  hervorzurufen.  Akute  Broncho* 
Pneumonien  werden  von  akuten  Bronchiektasien  begleitet,  die  nach  der 
Zurückbildung  des  Prozesses  verschwinden.  —  Von  den  Infektionskrank- 
heiten, die  auf  dem  Wege  einer  Bronchopneumonie  mit  darauf  folgender 
Lungen sklerose  eine  Bronchiektasie  nach  sich  ziehen  können,  kommen  in 
erster  Linie  die  Masern,  darnach  Infiuenza,  Keuchhusten,  Syphilis,  seltener 
Malariafieber,  Pocken  in  Betracht. 


X.  Krankheiten  der  Respirationsorgane.  547 

Verf.  bespricht  dann,  ohne  neue  Gesichtspunkte  beizubringen,  die 
Symptome,  Diagnose  und  Prognose  der  Bronchiektasien  im  Kindesalter. 
Die  Prognose  ist  sehr  ungünstig;  die  Dauer  der  Bronchiektasie  betr&gt 
einige  Jahre;  der  Tod  erfolgt  stets  infolge  von  Komplikationen.  Die  beste 
Prognose  geben  noch  die  Fremdkörperbronchiektasien,  bei  denen  die  Fremd- 
körper noch  nach  einer  langen  Zeit  bei  einem  Hustenanfali  ausgehustet 
werden  können  und  Heilung  eintreten  kann,  falls  die  Bronchienerweiterung 
noch  nicht  zu  weit  vorgeschritten  ist. 

Die  Behandlung  ist  vor  allen  Dingen  symptomatisch,  doch  kommt  in 
neuerer  Zeit  auch  die  chirurgische  Behandlung  durch  Pneumotomie  in  Be- 
tracht. Sie  ist  angezeigt  1.  bei  scharf  umgrenzten  und  genau  durch 
Perkussion  und  Auskultation  bestimmten  Herden,  2.  bei  schweren  all- 
gemeinen Symptomen,  die  mit  dem  Tode  beim  natürlichen  Krankheitsyer- 
laufe  drohen,  3.  bei  der  Unwirksamkeit  der  internen  Behandlung.  Absolut 
notwendig  für  die  Operation  sind  pleuritische  Verwachsungen,  die  man  da,, 
wo  sie  fehlen,  künstlich  herbeizuführen  suchen  muss,  um  ein  Eindringen 
des  Eiters  in  die  Pleurahöhle  zu  vermeiden.  Spanier- Hannover. 

Obier  seltene  ErkranhmgsfürtHen  der  Bronckien  nack  Masern  und  Keuchküsten, 
Von  6.  Jochmann  und  Moltrecht.     Zieglers  Beitrüge  zur  pathol. 
Anatomie  etc.    Bd.  36. 
Abweichend  von   der   nochmals    gegebenen  Schilderung   des  gewöhn- 
lichen Bildes    der  Masernpneumonie   fanden   die  Verfasser   in  3  FftUen  von 
an  Bronchopneumonie  nach  Masern  nebst  Keuchhusten  verstorbenen  Kindern 
starke  Bronchienerweiterungen,   umgeben    von    dichten,    grauen  Infiltrtions- 
herden,   die    epithelberaubten   Bronchiallichtungen   von   einem    dicken,   der 
Submucosa  anhaftenden  Fibrinmantel  ausgekleidet,  in  den  Alveolen  der  Um- 
gebung  meist   zelliges,  wenig    fibrinöses   Exsudat,  w&hrend  später  fibrinöse 
Entzündung    den  genannten  grauen  Wall    erzeugt.    Die  F&lle  unterscheiden 
sich   in  vielem  von   den  ähnlichen,   auch  vom    Ref.  berichteten  Hart  sehen. 
Ursache  der  Fibrinbildung  ist  eine  besonders  giftige  Noxe. 

Spiegelberg. 


Besprechungen. 


Müller,  Paul  Tb.«   Voritsungen   über  InfekHon  und  Immuniiät.    Jena.     1904. 
Gbstay  Fischer. 

Obwohl  an  zosammeDfasseDden  DarsteUnnji^eii  der  modernen  Immanit&ts- 
lehren  kein  Mangel  besteht,  ist  das  Yorliegende  Bach  doch  mit  Freaden  zu 
begrässen«  Verf.  setzt  wenig  Vorkenntnisse  yoraos;  durch  seine  sorgfiUtig 
disponierte,  anschaaliche  Darstellangsweise  erleichtert  er  dem  Leser  das 
Eindringen  in  das  schwierige  Gebiet  ganz  wesenUich  und  fahrt  ihn  nberall 
bis  aaf  den  neuesten  Standpunkt  So  ist  die  Wanderang  des  Tetanusgiftes 
in  den  peripherischen  Nerven  ausf&hrlich  besprochen,  ebenso  die  Bedeutung 
der  Bakterienauflösong  im  lebenden  Organismus  für  die  Entstehung  der 
Krankheitserscheinungen,  die  Vorteile  der  poljTalenten  antitoxischen  uod 
baktericiden  Sera  und  vieles  andere,  noch  zur  Diskussion  Stehende.  Be- 
sonderes Lob  Terdienen  femer  die  objektiv  kritischen  Erörterungen  über 
die  Phagocytose  und  die  sehr  klare  Schilderung  der  Versuche,  welche  die 
Möglichkeit  der  Unsch&dlichmachnng  bereits  an  die  Körperzellen  gebundenen 
Toxins  durch  naehtr&glichen  Autitoxinznsatz  beweisen. 

Das  Buch  sei,  namentlich  zur  ersten  Einführung  in  das  so  nbenus 
wichtige  Gebiet  der  Immunitätslehre,  lebhaft  empfohlen.         Stoeltzner. 

Römer,  P.,   Du  Bkrlichsche  SeUenketteniheorU   und  ihre  Bedeutung  für  die 
medütUOseken  Wissenschaßen.    Wien.    1904.    Alfred  Holder 

Das  Werk  von  R.,  zu  dem  Ehrlich  selbst  ein  Vorwort  geschriebei 
hat,  will  nicht  eine  Einführung  in  die  modernen  Immunit&tslehren  geben, 
sondern  eine  umfassende  Darstellung  aller  derjenigen  biologischen  Vorg&nge, 
welche  mit  HnUe  der  Seitenkettentheorie  erkl&rt  werden  können.  Besonders 
wichtige  Arbeiten  werden  dementsprechend  ausführlich  referiert,  vielfaeh 
mit  Wiedergabe  von  Versuchsprotokollen.  Die  Darstellung  gewinnt  dadurch 
einen,  Ref.  möchte  sagen,  aktenm&ssigen  Charakter. 

Die  gründliche  Durcharbeitung  des  Werkes  stellt  erhebliche  Ansprüche 
an  die  Energie  des  Lesers;  die  Arbeit  lohnt  sich  aber  reichlich.  Wer  die 
Materie  nicht  bereits  in  ziemlich  ausgedehntem  Umfange  beherrscht,  wird 
freilich  kaum  bis  zur  letzten  Seite  hindurchzudringen  vermögen.  Dagegen 
ist  allen  denjenigen,  welche  das  wesentliche  der  Seitenkettentheorie  bereits 
assimiliert  haben,  die  Anschaffung  und  das  gründliche  Studium  des  Werkes 
lebhaft  zu  empfehlen;  sie  werden  eine  bedeutende  Vertiefung  ihrer  Kenntnisse 
davontragen. 

R.  steht,   wie    kaum    betont    zu   werden    braucht,   durchaus   auf  dem 
Standpunkt   der  Seitenkettentheorie;   das   ganze  Werk    ist   ein  Hymnus  auf 
Ehrlich.    Es  ist  höchst  erfreulich,    zu  sehen,   wie  die  überragende  wissen 
schaftliche  Beden tung  dieses  ausserordentlichen  Mannes  jetzt  fast  allgemein 
in  der  verdienten  Weise  gewürdigt  wird.  Stoeltzner. 

Jankan,    L^     Taschenbuch   für    KinderärMU,      Jahrgang     1905    und    1906. 

München,  Seitz  und  Schauer. 

Verf.  hat  sich    die  Aufgabe   gestellt,   „für   die   kinder&rztliche  Praxis 

alle   jene    Daten    zusammenzutragen,    die    in   Praxis    und   wissenschaftlicher 

Tätigkeit  benötigt    werden    können,   öfter   aber  .lange  Zeit   des  Suchens  be- 


Besprechungen.  649 

ansprachen*.  Beigefügt  sind  die  Gebührenordnungen  für  Preussen,  Bayern, 
Sachsen  und  Württemberg,  sowie  ein  Personalien -Verzeichnis,  das  nach 
Möglichkeit  alle  zur  Zeit  in  Deutschland  lebendeu  Kinderärzte  umfasst. 

Dass  ein  solches  Taschenbuch  bei  der  ersten  Auflage  nicht  sogleich 
vollkommen  sein  kann,  ergibt  sich  yon  selbst.  Die  sicher  zu  erwartenden 
folgenden  Auflagen  werden  die  Aufgabe  zu  erfüllen  haben,  die  Brauch- 
barkeit dieses  Taschenbuches  mehr  und  mehr  zu  erhöhen;  besonders  er^ 
wünscht  wäre  es,  wenn  schon  die  zweite  Auflage  die  in  der  ersten  ent- 
haltenen recht  zahlreichen  Druckfehler  berichtigen  wollte.  Stoeltzner. 
FrQhwald,  F.,  Kompendium  der  Kinder  kr  ankheUen,  Wien.  1904.  Franz 
Deuticke. 

Verf.  gibt  in  alphabetischer  Anordnung  eine  kurze  Beschreibung  der 
yerschiedenen  Kinderkrankheiten,  und  auch  über  therapeutische  und  physio- 
logische Fragen,  z.  B.  Ammenwahl,  Wachstum  u.  dergl.  findet  der  Leser 
gedrängte  Auskunft. 

Bei  der  Besprechung  der  Angina  Vincenti  fehlt  die  Erwähnung  der 
Spirillen. 

Manche  Krankheiten,  so  der  Morbus  Basedowii  und  die  Malaria,  hätte 
Verf.  wohl  nur  kurz  zu  erwähnen  brauchen,  andere,  so  die  Barlowsche 
Krankheit  und  die  spastische  Pylorusstenose  der  Säuglinge,  hätten  wohl 
eine  etwas  breitere  Darstellung  yerdient.  Rühmend  hervorgehoben  seien  die 
Artiker  Spondylitis  und  Syphilis. 

Die  Abbildungen  sind  sehr  einfach  gehalten,  lassen  aber  das,  worauf 
«8  dem  Verf.  ankommt,  meist  gut  erkennen.  Stoeltzner. 

Handbuch  der  SckwMhsinnigenfürsorge,  Herausgegeben  von  Hans  BöSbaaer* 
Leopold  Mlkler,  Hans  Sehlner.    Wien.    Karl  jGraeser  &  Co. 

Das  anregend  geschriebene  Buch  kann  als  ein  kleines  Kompendium 
in  dieser  Frage  gelten.  Ausgehend  von  den  Ursachen  des  Schwachsinns 
schildern  Verff.  die  Symptomatologie  des  Schwachsinns,  und  daran  an- 
schliessend die  bisherigen  Erfahrungen  in  Erziehung  and  Unterricht.  Ein 
kurzer  historischer  und  statistischer  Überblick  bildet  den  Schluss.  Inter- 
essant ist  dabei  die  eine  Tatsache,  dass  das  Fürsorgewesen  am  meisten  io 
Deutschland  und  in  der  Schweiz  sich  entwickelt  hat.  So  haben  alle  öster- 
reichischen Kronländer  zusammen  nur  die  Hälfte  der  Schwachsinnigenklassen 
der  Stadt  Hamburg. 

Am  Schluss  ist  ein   sehr   reichhaltiges    Literaturverzeichnis    angefügt. 

Kietsehel. 

Bottaseblld»  Henri  de,  DyspepsUs  et  in/ectUms  gasfroiniesünaUs  des  mm- 
rissons,  Paris  1904.  0.  Doin. 
Nach  einem  historischen  Überblick,  der  bis  zum  Jahre^  1821  zurück- 
reicht und  im  wesentlichen  die  französische  Literatur  des  Stoffes  umfasst, 
erörtert  der  Verfasser  die  Ätiologie  der  Verdauungskrankheiten  der  Kinder. 
Sowohl  der  Einflnss  der  Umgebung  (geograph.  Lage^  Jahreszeit,  Wohnung) 
als  die  Bedeutung  der  Ernährung  (Brust-  oder  künstliche  Ernährung)  werden 
in  ihren  Beziehungen  zur  Morbidität  und  Mortalität  berücksichtigt  und  durch 
statistische  Figuren  verdeutlicht.  Die  Überfütterung  wird  als  häufige  Ur- 
sache von  Verdauungsstörungen  gebührend  hervorgehoben;  interessante, 
von  Maure  1  angestellte.  Versuche  an  über! ütterten  Tieren  dienen  zur.  Er- 
läuterung. 


560  BesprechttDgen. 

Der  Milehsteriltsation  und  Bakteriologie  wird  je  ein  Kapitel  gewidmet. 
AllzQ  summarisch  geht  Verf.  mit  der  pathologischen  Anatomie  zn  Werke. 
Er  begnügt  sich  damit,  die  bekannten  makroskopischen  and  mikroskopisches 
Befunde  der  akuten  und  chronischen  Oastroenteritiden  zusammen sustellen 
und  mit  zwei  Abbildungen  «nach  Baginsky*  zu  belegen,  ohne  des  wichtigen 
Streites  zwischen  Heubner  und  Baginsky  ftber  die  Dehnung  nnd  Atrophie 
der  Darmschleimhaut  auch  nur  Brwfthnung  za  tun. 

Ansführlich  und  geschickt  ist  seine  Darstellung  der  Symptomatologie, 
Diagnose  und  Behandlung. 

Die  yerschiedenen  Arten  der  medikamentösen  nnd  Ernfthrungstherapie 
werden  hinsichtlich  ihres  theoretischen  und  praktischen  Wertes  in  durchaus  ^ 

modemer  Weise  besprochen. 

Schliesslich  gibt  R.  eine  neue  Art  Ton  Milch  an,  mit  der  er  bei  akuten 
und  chronischen   Magendarmkatarrhen    gute   Resultate   in   seiner   Poliklinik  j 

erreicht  haben  will.    Diese  Milch  wird  folgendermassen  hergestellt:   frische^  I 

Milch  wird  durch  Zentrifn gieren  vom  Rahm  befreit  and  alsdann  mit  5  pCt. 
Zuckersirup  und  2pCt.  Milchzucker  yersetzt.  Hierzu  fügt  man  eine 
24  Stunden  alte  Kultur  (bei  22*)  eines  dem  B.  lactis  aerogenes  fthnliehen 
Bakteriums,  bis  die  Milch,  die  Torher  eine  AcidiULt  Ton  1,6  */m  hatte,  eine 
AciditAt  Ton  2,25 Voo  (Phenolphthalein)  besitzt.  Durch  Verdünnung  mit 
80-  oder  50proz.  physiol.  Kochsalzlösung  kann  man  auch  noch  den  Kasein- 
gehalt dieser  Milch  auf  Vt  ond  '/s  erniedrigen.  Der  Vorteil  dieser  Jlischung 
gegenüber  der  rein-w&ssrigen  und  anderer  Dl&t  soll  darin  bestehen,  dass  sie 
einen  gewissen  Nfthrwert  hat  und  dass  ihr  Termöge  ihres  Gehaltes  an  un* 
zerstörten  Fermenten  und  neu  gebildeter  Milchsfture  therapeutische  Fähig- 
keiten innewohnen.  Boye. 

Insntuie  for  infectUms  diseases,   Serum-lnsütuie  and  Lympk  -  ImsiUmU  of  ike 
imperiai  Govemmeni  of  Japa».     1904. 
Von  Interesse  sind  die  Angaben  Über  gute  prophylaktische  und  thera-  j 

peutische   Erfolge    mit   einem    antitozischen    Serum    gegen    die   durch   den  I 

Bacillus  Shiga  hervorgerufene  Dysenterie. 

Mit  der  Person  des  ja  gewiss  sehr  Terdiensttollen  Direktors  dos 
Intftitiites  Kitasato  wird  in  dem  Bericht    ein  arger  Byzantinismus  getrieben. 

Stoeitzner. 

Calot,  Teckniqfie  du  iraUenunt  de  la  coxalgie.     Paris  1904,   Massen  et  Gie. 
2d4  S.,  178  Abbild. 
Unter  den    vielen  Büchern,    welche   schon    über   den  Gegenstand    ge- 
schrieben wurden,   ist  dasjenige  des  Verfassers  unleugbar  für  den  Praktiker 
eines  der  brauchbarsten    und    streng   im  Sinne  moderner  Anschauungen  und 
moderner  Technik  geschrieben.    Das  l&sst  der  Name  des  Verf.  auch  erwarten, 
und  es  ist  ein  grosser  Vorzog,   den   wir  ihm  gerne  damit  zugestehen.     Wer 
aber   das    Ziel   betrachtet,    das  Verf.   verfolgt,    n&mlich   allen  Ärzten   den 
Zauberstab  für  die  Lösung  aller  technischen  Schwierigkeiten  in  die  Hand  zu 
drücken,  der  wird,  wie  ich  glaube,  füglich  Zweifel  in  die  Erreichbarkeit  des- 
selben setzen.   Einem  beschäftigten  Arzte,  der  nicht  Chirurgie  oder  Orthopidie 
"oder  beides  als  Spezialfach  betreibt,    dürfte    es   kaum    möglich   sein,   soviel 
Zeit  zu  erübrigen,   als   eben    für  diese  zeitraubende  Technik    nötig   ist.  Ab- 
gesehen davon,    dass    manches   in  dieser  Technik  eben  doch  Einmal  genauer 


BesprechuDgen.  551 

gesehen  and  mit  eigenster  Hand  geübt  sein  mass.  Und  dann  verfügen  die 
grosseren  St&dte  —  auch  in  Frankreich  —  alle  über  Polikliniken,  in  denen 
auch  der  Arme  die  Hülfe  finden  kann,  deren  er  bedarf.  Aaf  den  Landarzt 
angewendet,  wird  die  Frage  wesentlich  diskutabler,  und  yielleicht  wird  dem 
Talentierten  das  Buch  Ton  grossem  Nutzen  sein,   das   wünschen    wir  mit  C. 

Sehr  zu  loben  sind  die  Abbildungen,  in  denen  alles  für  das  Verständnis 
Notwendige  berücksichtigt  ist.  Mit  Recht  sind  die  für  den  operativen  Teil 
berechneten  schematisch  gehalten,  obwohl  der  Operateur  hftufig  genug 
anatomische  wie  pathologische  Abweichungen,  auch  komplizierter  Art^ 
finden  wird. 

Der  Text  ist  leicht  verständlich,  nimmt  aber,  wie  ich  in  Hinsicht  auf 
den  Zweck  des  Buches  finde,  einen  zu  breiten  Raum  im  Buche  ein.  Gerade 
jener  Zweck  verlangt  eine  möglichst  kurze  Fassung  in  einem  mehr  lapidaren 
Stil,  da  es  nicht  selten  nötig  ist,  sich  rasch  zu  orientieren.  Auf  der  anderen 
Seite  wird  gewiss  der  AnHlnger  in  der  Technik  für  viele  der  feinen  Winke 
dankbar  sein,  durch  welche  Verf.  ihm  die  Behandlung  der  Goxitis  tuber- 
culosa  leicht  zu  machen  sucht. 

Im  übrigen  muss  ich  das  Buch  f ar  sich  selbst  sprechen  lassen  und 
auf  das  Nähere  darin  verweisen.  Eine  Übertragung  in  fremde  Sprachen 
erscheint  gewiss  gerechtfertigt.  Teuf  fei. 

Bab»  H.»  Die  ColostrumJMdung  als  pkysioiogisckgs  Analogon  tu  Enttundung^s- 
Vorgängen.    Berlin  1904,  A.  Hirsch  wald.    98  Seiten. 

Mehr  als  ein  Drittel  des  Buches  wird  eingenommen  durch  eine 
historische  Übersicht  über  die  Entwicklung  der  Milch-,  speziell  der  Colostrum- 
forschung;  weitere  16  Seiten  widmet  Verf.  einem  Abschnitte  über  die  Leuko- 
zjteii  und  ihre  Klassifikation.  Hier  sei  nur  besprochen,  was  B.  aus  eigenen 
Mittein  zur  Kenntnis  der  Colostrumbiidung  beisteuert. 

Verf.  hat  gekochte  Milch  in  Mengen  von  1  bis  15  cm*  Meerschweinchen 
intraperitotieal  injiziert  und  dann  von  Zeit  zu  Zeit,  P/s  Stunde  bis  9  Tage  nach 
der  Injektion,  eine  Probe  von  der  in  der  Bauchhöhle  angesammelten  Flüssig- 
keit entnommen  und  mikroskopisch  untersucht.  Es  fanden  sich  kurze  Zeit  nach 
den  Injektionen  polynnkleäre,  erst  später  mononukleäre  Zellen;  beide  Arten 
von  Zellen,  besonders  die  polynukleären,  hatten  Fett  in  sich  aufgenommen; 
nach  8  Tagen  war  das  mit  der  Milch  injizierte  Fett  aus  der  Peritonealflüssig- 
keit  sohon  fast  verschwunden. 

Femer  fand  Verf.  viele  Zellen,  wiederum  namentlich  polynukleäre^ 
vollgestopft  m\t  Kügelchen,  die  sich  nicht  mit  Fettfarben,  wohl  aber  mit 
Hämatbzylin  und  Eosin  fUrben  Hessen  und  die  Verf.  als  durch  Phagozytose 
aufgenommenes  Milcheiweiss  ansieht;  er  nennt  diese  Zellen  Albuminophofen. 

Analoge  Resultate  erhielt  V«rf.  nach  Injektion  von  Mileh  in  die  Bauch- 
höhlen zweier  Salamander. 

Im  menschlichen  Colostrum  (5  Fälle)  und  im  Colostrum  von  Meer- 
schweinchen (4  Fälle)  fand  Verf.  die  gleichen  Zellen  wie  in  der  Peritöneai- 
flüssigkeit  der  mit  Milch  injizierten  Tiere. 

Erwähnt  mag  noch  sein,  dass  Verf.  im  Knochenmark  und  in  der  Milz 
gesunder  Meerschweinchen  Zellen  gefunden  hat  mit  einer  bisher  noch  nicht 
beschriebenen  Art  von  Granulationen,  die  sich  mit  Triacid  grauviolett  färben. 

Stoeltzner. 


552  Besprechangen. 

Siekinsrer«  A.«  Organisaüon  grosser  Volksscku/körper  nach  der  naiürHcken 
Leistungsjäfdgkeit  der  Kinder.  Mannheim  1904,  J.  Bensheimer.  35  Seiteo. 
Preis  0,80  Mk. 

^'  In  den  8  klassigen  Gemeindeschalen  erreichen  nor  ca.  10  pCt.  der 
Schäler  rechtzeitig  die  oberste  Klasse,  ungefähr  die  Hälfte  der  Kinder  er- 
reicht nicht  einmal  die  zweitoberste  Klasse. 

Aach  in  den  Schalen  mit  weniger  als  8  Klassen  gelangt  mehr  als 
Vi  aller  Schüler  nicht  bis  in  die  erste  Klasse. 

Über  die  H&lfte  aller  Menschen  verlässt  bei  uns  die  Schale  mit  einer 
nicht  abgeschlossenen  Bildung. 

Verf.  fordert  die  Differenzierung  des  Yolksschulanterrichts  in 

1.  einen  Bildungsgang  für  die  Mittel-  und  Besserbefähigten, 

2.  einen  solchen  für  die  »normal  Schwachen",  die  jetzt  ein-  oder  mehr- 
mals sitzen  bleiben, 

3.  einen  solchen  für  die  abnorm  Schwachen. 

Stoeltzner. 
Moses*  J.»  Das  Sonderk/assensysiem  der  Mannheimer  Volksschule.  Mannheim 
1904,  J.  Bensheimer.     70  Seiten.     Preis  0,80  Mk. 

Die  Mannheimer  Volksschulen  besitzen  zur  Zeit  35  „ Förderklassen ** 
für  »normal  Schwache*  und  4  Hilfsklassen  für  »abnorm  Schwache'',  mit  zu- 
sammen ca.  1100  Schülern. 

Die  Förderklassen  haben  eine  beschränkte  Schfilerzahi,  die  Schüler 
machen  den  ganzen  Bildungsgang  mit  einem  Klassenlehrer  darch.  Auch 
innerhalb  einer  Klasse  werden  die  yerschieden  befähigten  Schüler  znm  Teil 
zu  Terschiedenen  Tagesstunden  unterrichtet.  Je  nach  den  Erfolgen  taaschen 
die  Klassen  die  Schüler  gegenseitig  aus;  insbesondere  können  gut  befähigte 
Kinder,  die  z.  B.  nach  längerer  Krankheit  zum  Zweck  indiYiduallen  Unter- 
richts in  eine  Förderklasse  eingereiht  worden  waren,  bei  guten  Fortschritten 
auch  Tor  Abschluss  des  Semesters  wieder  in  die  Normalklasse  aufrücken. 

Stoeltzner. 
Bpaan«  H«,  Kokain  und  Adrenalin  (Suprarenin).    Berliner  Klinik,  Heft  187, 
Januar  1904.     23  Seiten.    Preis  0,60  Mk. 

Eine  vortrefflich  geschriebene  zusammenfassende  Darstellung  des 
heutigen  Standes  der  Lehre  von  der  lokalen  Anästhesierung,  auf  Grand 
reicher  eigener  Erfahrung  und  mit  Berücksichtigung  der  neuesten  Fort- 
schritte. Die  Erfolge  der  Injektion  von  Kokain-Saprarenin-Mischnngen  sind 
nach  den  Ausführungen  des  Verfassers  äusserst  beachtenswert,  so  sehr,  das« 
jeder  Arzt  sich  mit  diesem  neuen  Verfahren  vertraut  machen  sollte.  Eis 
geringer  Suprarenin zusatz  erhöht  die  Intensität  und  die  Dauer  der  Kokain- 
wirkung ganz  wesentlich  und  ermöglicht  eine  Vereinfachung  und  Verbesserung 
der  Inflitrationstechnik  in  dem  Sinne,  dass  man  nicht  das  Operationsfeld 
selbst,  sondern  nur  diejenigen  Gewebe  seiner  nächsten  Umgebung  zu  infiltrieren 
braucht,  welche  die  zu  ihm  ziehenden  Nervenbahuen  enthalten.  Diese 
»zirkuläre  Analgesierung*'  hat  anscheinend  eine  bedeutende  Zukunft. 

Das  Heft  sei  zur  Anschaffung  lebhaft  empfohlen. 

Stoeltzner. 


Jahrbuch 

für  Kinderheilkunde. 

N.  F. 

Bd.  61. 

1906.                                    Heft  8. 

Herr  Dr.  NOPClliellll»  Spezialarzt  f&r  Kinder,  Hamburg,  schreibt: 

„Das  Kufek^sckt  Kindermehl  habe  ich  durch  praktische  Erfahrungen 
in  hnnderten  von  Füllen  schätzen  gelernt.  Bei  gesunden  Kindern  bewftbrt 
e:»  sich  vortrefflich  als  Zugabe  zur  Kuhmilch,  als  Übergang  von  der  reinen 
Milchernährnng  zu  festeren  Speisen.  Ganz  Hervorragendes  leistet  es  bei 
Störungen  der  normalen  Magen -Darm  fnnktionen  künstlich  gen&hrter  Säuglinge. 
Will  man,  wie  es  oft  notwendig  ist,  die  Kuhmilch  zeitweise  ganz  vermeiden, 
so  hat  es  natürlich  keinen  Sinn,  Präparate  anzuwenden,  die  selbst  wieder 
Milch  enthalten.  Das  Knfekemehl  ist  davon  frei,  in  derartigen  Fällen  also 
durchaus  angezeigt.  Es  ersetzt  bei  den  meisten  Formen  von  Diarrhoe  jegliche 
Medikation,  was  ich  als  besonderen  Vorteil  snsehe.  Überall  dort,  wo  man 
aus  ,altehrwürdiger'  Gewohnheit  sonst  Schleim  —  mit,  oder  bei  Erkrankungen 
ohne  Milch  —  gibt,  leistet  das  Knfekemehl  mehr  und  Besseres.  Die  gärenden, 
stinkenden  und  fettreichen  Stühle  hören  bei  seiner  Darreichung  gewöhnlich 
buld  auf.  Endlich  sah  ich  auch  bei  der  follikulären  Enteritis  und  besonders 
noch  bei  den  chronischen,  sonst  zur  Atrophie  führenden  Darmkatarrhen  mit 
dem  Mehle  oftmals  ganz  ausgezeichnete  Erfolge.** 

Ware  zu  Versuchszwecken  und  Literatur   stehen   den  Herren  Ärzten  gratis 
und  franko  zur  Verfügung. 

R.  Knfeke,  Bergedorf-Hamkurg  nnn  Wien  I. 


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sierenden Behandlung  in  Pflege,  Unterricht  oder  Erziehung 
bedürfen.  —  Vorzügliche  Lage.  —  Familiäre  Erziehung.  — 
Rationelle  Methoden  in  Unterricht  wie  in  Heilpflege.  — 
6  auüsteigende  Schulklassen. 

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Eine  anatomisch-klinische  Studie 

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DieNachmittags-  bezwAbenddosen  werden 
zweckmässig  durch  Darreichung  von  reinem 
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Auflage  von 


Die 


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Von 

Dr.  Bernhard  Pollack. 

Lex.  80.    Brosch.  Mk.  3,50  geb.  Mk.  4,50. 

Die  neue  Auflage  des  seit  Janger  Zeit  vergriffen  gewesenen  fiuehes 
hat  innerlich  und  in  seinem  Ausseren  eine  vollständige  Umwandlung  erfahren. 
Es  wird  daher  in  seiner  neueu  Gestalt  bei  wissenschaftlichen  Arbeiten  kaum 
entbehrlich  sein. 

Die 

Bulbär-  und  Pseudobulbärparalysen 

im  Kindesalter. 

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Dr.  GEORG  PERITZ, 

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XX. 

Arbeiten  aus  der  UniT.- Kinderklinik  und  -poliklinik  zu  Berlin. 

7. 

Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrungs-  und  Energie- 
bedürinis  des  natürlich  ernährten  Säuglings. 

Von 
Dr.  PAUL  REYHER, 

AsBlitent  der  Poliklinik. 

Untersuchungen,  wie  die  folgenden,  welche  im  wesentUcfaen 
auf  die  Feststellung  der  einzelnen  Nahrungsmengen  eines  ge* 
Sunden  Brustkindes  über  einen  grösseren  Zeitraum  hin,  auf  die 
Ermittelung  der  bei  dieser  Ernährung  wöchentUch  erzielten 
Körpergewichtszunahme,  auf  gelegentlich  ausgeführte  chemische 
Analysen  und  einzelne  kalorimetrische  Bestimmungen  des  Energie- 
gehaltes der  Muttermilch,  schliesslich  auf  die  genaue  Beobachtung 
der  Entwicklung  des  Kindes  im  ganzen  sich  erstrecken,  haben 
freilich  nur  einen  beschränkten  Wert  für  die  Erkenntnis  der 
genauen  Emährungsvorgänge  beim  Säugling,  da  sie  nur  einige 
Seiten  der  letzteren  beleuchten  und  nur  einen  einzelnen  Fall  be-* 
treffen.  Aber  es  kann  nicht  geleugnet  werden,  dass  ihnen  immer- 
hin eine  gewisse  Bedeutung  für  die  Aufklärung  einiger  Fragen 
der  Ernährungsphysiologie  zuerkannt  werden  muss  schon  im 
Hinblick  darauf,  dass  derartige  Nachforschungen  über  die  ganze 
Säuglingsperiode  oder  doch  wenigstens  den  grössten  Teil  des- 
selben ausgedehnt  werden  können,  während  vollständige  Stoff- 
und  Kraftwechseluntersuchungen  nur  einige  Tage  umfassen 
können,  in  Anbetracht  sowohl  der  Beschwerlichkeit  ihrer  Aus- 
führung als  auch  der  Gefahrdung  des  physiologischen  Verhaltens 
des  Yersuchskindes.  Wenn  auch  in  geringerem  Masse  als  diese, 
so  sind  doch  auch  jene  mit  recht  beträchtlicher  Mühe  verbunden. 
Infolgedessen  liegen  auch  heute  noch  nur  spärliche,  über  einen 
längeren  Zeitraum  angestellte  Beobachtungen  über  die  von  Brust- 
kindern aufgenommenen  Nahrungsmengen  vor  trotz  des  in 
jüngster  Zeit  diesem  Gegenstande  lebhafter  zugewandten  Interesses. 

Jatarbnch  f.  Kinderheilknude.    M.  F.    IJCI.    Heft  4.  36 


554  Key  her,  Beitrag  zar  Frage  nach  dem  Nahrung«-  und 

Und  als  einzige  Mitteilung,  welche  die  ganze  Zeit  vom  Tage  der 
Gebart  bis  zum  Termin  der  völligen  Entwöhnung  berücksichtigt, 
figuriert  immer  noch  die  bekannte  Ernährungsgeschichte  von  Feer 
(Beobachtung  II).  ^ 

Dieser  bisher  in  seiner  Art  alleinstehenden  Beobachtung 
möchte  ich  eine  ähnliche  gegenüber  stellen,  die  sich  auf  den 
ersten  Blick  schon  dadurch  von  jener  unterscheidet,  dass,  ab- 
gesehen von  der  ersten  Lebenswoche,  im  vorliegenden  Falle 
durchweg  weit  geringere  Tagesquantitäten  aufgenommen  worden 
als  von  dem  Kinde  Feers.  Auf  diese  Tatsache  werde  ich  weiter 
unten  noch  näher  eingehen. 

Wie  ich  schon  oben  bemerkt  habe,  bestehen  die  nach- 
folgend mitgeteilten  Beobachtungen  der  Hauptsache  nach  in  der 
Feststellung  der  durch  Einzelwägungen  vor  und  nach  jedem  An- 
legen an  die  Brust  gewonnenen  Nahrungsmengen  eines  natürlich 
ernährten  Säuglings,  umfassen  analog  der  II.  Beobachtung  Feers 
die  ganze  Stillperiode  und  zwar  vom  Tage  der  Geburt  bis  zum 
Zeitpunkt  der  völligen  Entwöhnung  und  beziehen  ausserdem  nach 
dieser  Zeit  noch  2  Wochen  ausschliesslicher  Kuhmilchernährung 
in  die  Betrachtung  herein.  Es  handelt  sich  dabei  um  mein 
eigenes,  erstgeborenes  Kind,  ein  Mädchen,  welches  mit  einem 
Anfangsgewicht  von  3290  g  und  einer  Körperlänge  von  60  cm 
am  26.  III.  1904  vormittags  10^/«  Uhr  von  einer  vollkommen 
gesunden  Mutter  geboren  wurde  und,  was  ich  besonders  hervor- 
heben möchte,  vom  Tage  der  Geburt  bis  zum  Abschluss  der 
vorliegenden  Betrachtungen  ohne  auch  nur  die  geringste  Störung 
seiner  Gesundheit  blieb  und  somit  als  ein  völlig  normales  Brust- 
kind angesehen  werden  darf.  Der  Säugling  hat  weder  eine  Ver- 
dauungsstörung irgend  welcher  Art  noch  einen  Katarrh  der 
oberen  Luftwege  durchgemacht,  während  bei  den  meisten,  bis- 
her nach  dieser  Richtung  beobachteten  Kindern  die  eine  oder 
andere  Störung  ihres  Wohlbefindens  eingetreten  ist.  Ebenso 
war  die  Mutter  des  Kindes,  welche  zur  Zeit  der  Geburt  desselben 
22  Jahre  alt  war,  während  der  ganzen  Dauer  der  Laktation 
gesund,  abgesehen  von  kleinen  Rhagaden  der  Brust  in  der 
2.  Woche,  welche  unter  Behandlung  mit  Arg.  nitr.-Lösung  und 
Benutzung  eines  Brustwarzenhütchens  rasch  abheilten.  Zum 
Beweise  für  eine  vollkommen  normale  Entwicklung  des  Versuchs- 
kindes  sei  ausser  den  aus  den  Tabellen  und  Kurven  ersichtlichen 


0  Jahrbuch  f.  Kinderheiik.    Bd.  43. 


EoergiebedürfDU  des  natürlich  ernährten  Säuglings.  556 

Anzeichen  eines  guten  Gedeihens  des  Säuglings  noch  folgendes 
angeführt:  Das  Kind  war,  was  ja  als  Ausdruck  subjektiven 
Wohlbefindens  betrachtet  werden  darf,  während  der  ganzen  Zeit 
der  Beobachtung  unausgesetzt  heiterster  Laune  und  hatte  stets 
ungestörten  Schlaf.  Die  Haut  war  immer  frei  von  jeder  Alteration, 
das  Fleisch  war  derb  und  kräftig,  so  dass  die  Aktionsfähigkeit 
der  Muskeln  frühzeitig  genug  sich  einstellte.  Der  Säugling  konnte 
Ende  des  ö.  Lebensmonats  selbständig  sitzen,  stellte  sich  Ende 
des  7.  Monats  unter  Benutzung  dargebotener  Unterstützung  auf 
die  Füsse  und  machte  im  Alter  von  9^/a  Monaten  die  ersten 
Gehversuche.  Uervorgehoben  sei  noch,  dass  das  Kind  un- 
gewöhnlich lebhaft  ist,  so  dass  hier  mit  einer  relativ  hohen  Zahl 
bei  der  Abschätzung  der  Grösse  der  äusseren  mechanischen  Arbeit 
gerechnet  werden  muss. 

Der  Durchbruch  der  Zähne  vollzog  sich  in  folgender  Weise: 
am  202.  Lebenstage,  also  etwa  in  der  Mitte  des  7.  Lebensmonats 
erschien  als  erster  Zahn  der  rechte  innere  untere  Schneidezahn, 
dann  folgte  am  238.  Lebenstage  der  entsprechende  Zahn  der 
linken  Seite,  am  278.  Tage  brach  der  linke  obere  innere  Schneide- 
zahn durch,  dem  am  301.  Lebenstage  der  rechte  obere  innere 
Schneidezahn  nachfolgte;  am  818.  Lebenstage  kam  dann  der 
rechte  obere  äussere  Schneidezahn  zum  Durchbruch,  so  dass  das 
Kind  im  augenblicklichen  Alter  von  10  Monaten  und  7  Tagen 
5  Zähne  besitzt. 

Die  Wägungen,  im  ganzen  ungefähr  3500  Einzelwägungen, 
.  wurden  in  den  ersten  Wochen  beinahe  ausschliesslich  von  mir 
selbst,  später  mit  einigen  Ausnahmen,  in  welchen  ich  sie  vor- 
nahm, nur  von  meiner  Frau  mit  peinlichster  Gewissenhaftigkeit 
ausgeführt.  Zum  Wägen  wurde  eine  gute  Säuglingswage  benutzt, 
welche  bis  auf  5  Gramm  genau  angab.  Durch  Abschätzen  wurde 
noch  eine  grössere  Genauigkeit  der  Zahlen  bis  auf  einzelne 
Gramme  zu  erreichen  gesucht. 

Als  Grenze  des  einzelnen  Lebenstages  wurde,  da  das  Kind 
kurz  vor  Mittag  geboren  wurde,  die  Mittagszeit  angesehen. 
Ausser  den  Zahlen,  welche  die  Wägungen  der  Nahrungsmengen 
lieferten,  wurde  noch  am  Ende  jeder  Woche  genau  zur  gleichen 
Tageszeit  das  absolute  Gewicht  des  Kindes  notiert,  mitunter  auch 
die  Körperlänge,  ferner  öfters  die  Zeit,  welche  für  die  Einnahme 
der  Einzelmahlzeit  gebraucht  wurde.  Alle  diese  Erhebungen 
finden  sich  in  der  unten  mitgeteilten  Zusammenstellung  der  ge- 
nossenen einzelnen  Milchquantitäten.     Weiterhin   hatte    ich   noch 

36» 


566  Eejher,  Beitrag  zor  Frage  oaeh  dem  NahniDga-  und 

Anfzeichnangen  über  die  Zahl,  Menge  and  Beschaffenheit  der 
Stahle  des  Kindes  gemacht.  Da  aas  ihnen  sich  keine  positiTen 
Scblfisse  ziehen  liessen,  so  habe  ich  von  einer  detaillierten  Mit- 
teilang  hierüber  Abstand  genommen;  jedenfalls  liess  sich  nicht, 
wie  Gregor^)  es  beobachtete,  ein  Einflnss  des  Fettgehaltes  der 
Nahrung  an  den  Tagen,  an  welchen  Fettbestimmangen  aasgefahrt 
worden,  auf  das  Aassehen  der  Stuhle  feststellen. 

1.  Zusammenstellung     der    Zahlen,     welche     die     einzeloen 
Nahrungsmengen  angeben. 

1.  Tag. 

Og 

2.  TBg. 

27.  III.   12      V.  r.     8  g 

4      N.  1.  15  , 
7        .    r.    0  „ 

28.  III.   10      V.  L  10  . 


29.  III. 


Ss.  83  g. 

S.fg. 

1 

N.  r.  30  K 

4 

.1.30, 

7 

,  r.  25  . 

10 

.1.20» 

3 

V.  r.  40  , 

5V» 

,  1.  40  . 

9'h 

,  r.  50  . 

S».  235  g. 

4.  Tag. 

1 

N.  1.  48  g 

4 

,  r.  55, 

7 

,  1.  65  , 

10 

.  r.  60, 

3 

V.  1.  80  , 

6'/s 

,  r.  92  , 

10 

,  1.  60. 

30.  III. 

6Vs    «    r.  92  ,  10    _^ 

Sa.  562  g. 
Sa.  460  g.  £Dde  der  1.  Woche:    Gewicht  3360  g 

AomerkaDg.  Der  darch  Perspiratio  insensibilis  beim  Trioken  ent- 
steheode  Gewichtsyerlust  wurde  aoberücksichtigt  gelasseD.  Da  tod  der 
4.  Woche  an  za  jeder  Mahlzeit  kaum  15  Minuten  gebraucht  wurden,  so  ist 
dieser  Fehler  unwesentlich. 


5.  Tag. 

1 

N.  r.  75  g 

4 

•  1.  65  . 

7 

,  r.  70, 

10 

•  1.  50, 

81.  III.  2 

V.  r.  65  , 

6»/. 

^  1.  85  , 

10 

n    r.  105  • 

Sa.  515  g. 

G.  Tag. 

1   N. 

1.  95  g 

4     n 

r.  70, 

7   . 

1.  60, 

10   , 

r.  90, 

1.  IV.  4»/»  V. 

1. 150  ,  (»/4  Std.  getrunk.) 

9'U^ 

r.  100  .  (Vi  Std.  getronk.) 

S 

».  565  g. 

7.  Tag. 

1 

N.  1.  90  g 

4V. 

n  r.  90  , 

7 

,  l.  80  , 

10 

-  r.  83  , 

2.  IV.  3V3 

V.  1.  100  , 

7 

y,     T.      35  , 

10 

«  I.  84  , 

I)  Volkmanns  Klin.  Vorträge  No    302. 


EnergiebedurfDU  des  natürlich  erofthrten  Säuglings.  657 

8.  Tag.  12.  Tag. 

1      N.  r.  85  g  IN.  L»)48  g 

4^4    ,    l.  60  ,  4'/.   „    r.    95  « 

7       „    r.  72  „  7       „    l.*)40  „ 

10       „    1.  55  .  10       ,    r.    65  ^ 

3.  IV.    3      V.  r.  95  „  7.  IV.    4      V.  I.    50  « 

77,   «    1.  70  «  71/5    ,    r.    90  „ 

10       «    r.  90  ,  10       ,    l.*)50  , 


4.  IV. 


Sa.  527  g. 

9.  TtLg. 

1 

4 

7 
10 

8'/4 

7'/. 
10'/, 

N.  1.     60  g 
.    r.     80, 
,     1.     35  , 
,    l.')  56  , 
V.  r.    105  . 
.    l.*)  78  , 
,    r.     90  . 

Sa.  503  g. 


10.  Tag. 

1      N.  l.*)60g 

4      »  r.  100  „ 

7      „   l.*)75„ 

10>/4  „  r.    55  „  (20  Min.  getrunk.) 

5.  IV.  3     V.  L«)  70  „  (40  Min.  getrank.) 

7V»»    r.  100  „  (30  Min.  getrank.) 

10     ,    l.*)60. 

Sa.  520  g. 


11.  Tag. 

r.   75g 

1.^)63  „(23Min.getrank.) 
r.lOO, 
l.*)a.r.  90  „ 
r.  70„ 
l.  70, 
lO'/i.  r.    90. 

Sa.  558  g.  Sa.  490  g. 


1 

N. 

4 

» 

7 

» 

10 

,1 

6.  IV.  4 

V. 

7 

11 

Sa.  438  g. 

18.  Taff. 

1       N.             r.    70  g 

4       ,              l.')40  , 

7       ,              r.  105  , 

10       ,   l.»)n.r.    70  , 

8. 

IV.    8'/,  V.  !.•)  u.  r.  100  . 

7'/.    ,              r.    80  , 

10"/».,              l.')70. 

S».  585  g. 

14.  Tag. 

12      V.  r.    85  g 

4»/i  N.  1.    60  , 

7       ,   r.    85  , 

IC/s   ,    1.    45  , 

9. 

IV.    8>/s  V.  r.  115  , 

8       ,    L*)50  , 

10       .   r.    95  . 

S«.  585  g 

Snd 

ie  der  2.  Woche:    Gewicht  8475  g. 

15.  T»r 

!>/>  N.  1.  75  g 

8»/«   ,    r.  90  , 

7'/,   ,    1.  55  , 

10       .    r.  90  , 

10. 

IV.    3      V.  1.  60  , 

7'/,   ,    r.  80  , 

10'/,    .    1.  40  . 

*)  Zu  den  mit  diesem  Stern  bezeichneten  Mahlzeiten  wurde  wegen 
schmerzhafter  Rhagaden  ao  der  Brust  die  Nahrung  mittelst  eines  aufgesetzten 
firustwarzenhütchens  abgesaugt.  Daher  sind  in  diesen  F&Uen  die  getrunkenen 
Quantitäten  durchschnittlich  geringer  infolge  der  Erschwerung  des  Saugens. 


658 


Reyher,  Beitrag  zur  Frage  uach  dem  Nahraugs-  und 

16.  Tag.  21.  Tag. 

^   ^-  '••  »0  g  1   N.  r.  100  e 

4   n  I.  70  .  ^ 


7   „  r.  90 
10   ^  l.  48 


4   „   J.  80  „ 

7   „   r.  80  „ 

10   „   I.  50  „ 


11.  IV.  3V,  V.  r.  110.  „.  r!  40  „ 

^   »  1-  6^  .  16.  IV.  6   V.   r.  105  ," 


IOV4  .  r.  75 

Sa.  548  g. 


10   ,.   I.  95  ., 


Ende  der 


17.  Tag. 

i   N.    1.  75  g 

7   ^     r.  85  , 

10   «  I.  a.  r.  80  . 

12.  IV.  2   V.  1.  u.  r.  100  „ 

6V2  «  1.  u.  r.  90  . 
10   «     l.*)60  ,        17.  IV. 
u.  r.  35  > 
Sa.  525  g. 

18.  Tag. 

2   N.  r.  100  g 

6   „  !•)«.  r.  90  „ 

10   „  r.  90  „ 

13.  IV.  2   V.  l.  60  . 

6V,  „  r.  100  „ 

10   «  1.  86  . 


18.  IV. 


Sa.  526  g. 

19.  Tag. 

l   N.   r.  100  g 

5   .   1.  70  , 

u.  r.  50  „ 

9Vs  .   r.  50  „ 

14.  IV.  6   V.   1.  100  ,  19  ]v 

9V,  >   r.  130  , 
Sa.  500  g. 

20.  Tag. 

1  N.  1.  70  g 
4  „  r.  90  „ 
7   „   I.  50  „ 

u.  r.  30  „ 
9^'4  V   r.  35  „ 

u.  l.  85  „  20.  IV. 

15.  IV.  6   V.   r.  90  „ 

10   „   1.  85  ». 


Sa.  550  g. 

r  3. 

Woch«:  Gewicht  3680  g. 

22.  Ta«. 

1 

N.  r.  100  g 

4 

„  1.  50  „ 

7 

„  r.  70  „ 

10 

V  »•  70  „ 

5 

V.r.  90  „ 

9V= 

„  1.  IOO„(25Min.(r«tr> 

ija.  480  g. 

28.  Tag. 

1 

N.  r.  1  .  ^ 

1  "^  nicht  gewogen 

4 

7 

„  r.    90  g 

10 

„  1.  70  „ 

5 

V.  r.  100  „ 

9V= 

„  1.  90.. 

Sa.  ca.  500  g. 

24.  Tag. 

I2V2 

N.   r.  100  g 

4 

„   1.  55  „ 

7 

„   r.  85  „ 

10 

«   i.  40  „ 

u.  r.  95  „ 

6 

V.   r.  90  „ 

9«/4 

„   1.  HO  ,. 

Sa.  575  g. 

26.  Tag. 

1 

N.   r.  90  g 

4"/4 

„   1.  70  „ 

7 

„   r.  100  „ 

11 

„   1.  50  „ 

u.  r.  60  „ 

5'/. 

V.   r.  100  „ 

10 

„   1.  65  „ 

u.  r.  40  „ 

Sa.  485  g.  Sa.  575  g. 


Energiebedärrnis  des  natörlieh  ern&hrten  S&uglings.  569 

26.  Tag.  SO.  Tag- 

,01/    V        1      «„  2      N.         r.l05g(25Min.getr.> 
13'/s  N.      1.    35  g  ,    „_ 

ü    r     70  '*   "  " 

*'*  "       \    f."  ll'/4  „l.u.r.llO„ 

•    ''^''  25.  IV.  5      V.        r.   60  „ 

8      „  1.   75  „ 


7'/: 


1 


lOV.   „       r.    90 

n.  1.    40 

21.  IV.    51/4  V.      r.  100 


10      „  r.    80, 


10       „        1.    90  „(30Min.getrO  Sa.  580  g. 

Sa,  575  g.  81.  Tag. 

2      N.      1.  45  g 

u.  r.  60,. 

6V,   „        1.  70  „ 

u.  r.  50  „ 

1       N.      r.  100  g                                    10       „        1.  40., 

4^3   »       1-    75  „                                                  u.  r.  85  „ 

7       »^       r-    70  „                      .26.  IV.    4V4  V.      r.  110,, 

10       „        1.    40  „                                     9,/^    „        1.  il5„ 

u.  r.    60  „ 


27.  Tag. 


22.  IV.    6^4  V.      r.  130 
10       , 


Sa.  525  g. 


1.  100  .  3^-  Tag. 

^      ^,^  1      N.      r.  125  g 

^^•^^^e-  4       „        I.    80  „ 

u.  r.    80  „ 
7       „       r.  110,, 
101/4   „        1.     70  „ 
u.  r.    50  „ 
27.  IV.    6      V.       1.  120  „ 
10       „       r.  140,, 


28. 

Tag. 

iv. 

N. 

110  g 

4V3 

»» 

60,. 

vh 

» 

100  „ 

10 

1» 

80  „ 

n. 

40  „ 

23. 

IV. 

b^h 

V* 

70  „ 

10 

V 

_l_ 

110  „ 

Sa. 

570  g. 

finde  der  4. 

Woche: 

Gewicht  8765  g, 

Körperlilnge  54  cm. 

29 

Tag. 

1 

N. 

r. 

105  g 

4V3 

1» 

1. 

80  „ 

7 

» 

r. 

50  „ 

n 

1. 

25,. 

10 

a 

r. 

.  1. 

36  „ 
80  „ 

24. 

IV. 

6 

V. 

r. 

100,, 

10 

» 

1. 

115  „ 

Sa.  725  g. 

88.  Tag. 

IN.        1.  85  g 

u.  r.  70  „ 

4Vs   „          l-  60  „ 

7       „         r.  90  „ 

11       „r.u.  l.  110,, 

28.  IV.    6      V.        r.  105  „ 

10       „         1.  110  „ 


Sa.  680  g. 

84.  Tag. 

1  N.  r.  110  g 
4  „  1.  u.r.  105,, 
7       „  r.    80  „ 

u.  1.     40  „ 
11       „  r.    90  „ 

29.  IV.    5^3  V.         r.     90  „ 
9  1.  125  „ 

Sa.  540  g.  Sa.  590  g. 


1      K.         r.  100  g 

a.L    43  ^ 

4=4  «   r.«.L  lOS  « 

I       ^  r-    85  ^ 

11       ^   Lo-r.     97  , 

i  V.     7      V.  r.   120  ^ 

r,  -,  L  110  ^ 


».rag. 

12 

V.   r.  I0&  g 

3 

tX.   L  75„ 

•-'.»„ 

7 

*   r.  »»^ 

».  L  30, 

II 

.   L  »5, 

«.  r.  75., 

».  IV.  « 

V.  ,.    »5„ 

9-, 

.  ,   L  «0„ 

Sa.  G6ä  g. 

S».«tög.  41.  Tag. 

Emde  fitr  5.  Woehe:    Gevieht  3940  jj.  12*  .  N.         r    HO  e 

M-TV-  S*';  „   l.«.r.  120  ^ 

l2r\,M.         r.  llOg  SV.  „   Lii.r.  100„ 

^      n          L  H0„  101,  ^    r.a.L  115  „ 

7V,  ^          r.  105  ^  6.  Y.     6      V.          r.  105  „ 

10',.  „  I.  o,  r.  HO  „  9'  4  „            L  120  „ 

1.  V.  5»;«  V.         r.  1 10  ., 

10      „  L  100  .,(15  Mio.  getr.) 

Sa.  645  g. 

87.  Tftg. 

1-,*  X.        r.  110  g 

4»,.   «         i.    95„ 

7V4   ^r.u.l.  115  „ 

11       „        1.    do,> 

u.  r.    70  „ 

2.  V.    6      V.        1.    50„ 

a.  r.  110,. 
10»/i   „         L  110,,  Sa.  665  g. 


7.  V. 


Sa.  STO  g. 

42.  tag. 

12'..  N. 

r.  100  g 

5'/,  „ 

1.  100  ., 

u-r.  S5  „ 

«'.»  „ 

r.  40„ 

a.l.  80  „ 

Wi:  „ 

1.  u.  r.  120  „ 

6     V. 

r.  140  „ 

9'/i  ,. 

1.  100  ., 

Sa.  690  g.  *°^®  ^^^  ^'  Woche:    Gewicht  4190  g. 

88.  Tag.  43^  j„ 


4      „  1.    85  „ 


9>/:   „  1.   100  „ 

Sa.  650  g. 


^'    "            *••"»»  7            r  u  1    120 

8.V."  V.   i:^::  «•^-  «'''^-    ^»«^ 

9V5  r  135  „ 

Sa.  545  g. 

39.  Tag:  *4.  Tag. 

i      N.  l.  u.  r.  120  g  .  12Vi  N.         r.  120  g 

4^4  •„  l.a.r.llO,,  3»/4  >,           1.  100  „ 

8V4  „  I.  u.  r.  105  „  6»/4  „    r.  u.  l.  120  „ 

II       „  l.u.r.  100,,  IP/5  „    Lu.r.  105  „ 

4.V.  6     V.         r.  110„  9.  V.    6»/*  V.          r.  110  „ 

9Vi              1.    75„(l3Min.getrünk.)  10      „           L  105  ., 

Sa.  620  g.  Sa   660  g. 


Energiebedarfnis  des  natürlich  ernährten  S&uglings.  661 

46,  Tag.  60.  Tag. 


10.  V. 


l'/s 

N. 

r. 

125  g 

*Vs 

M 

1. 

u.  r. 

130,, 

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r. 

u.l. 

60  „ 

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1. 

a.r. 

90  „ 

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V. 

r. 

120., 

»Vs 

»> 

l. 

105,, 

Sa.  680  g. 
46.  Tag. 


12»/4  N.    r. 

115  g 

4   „  l.n.r. 

95  „ 

VI,  „   r.n.l. 

90  „ 

10»/«  „  1.  n.  r. 

100,, 

5»/«  V.    r. 

110,, 

9'/j  „     1. 

170  „ 

13.  V. 


14.  V. 


Sa. 

620  g. 

48. 

Tag. 

12>/5 

N. 

r. 

u.l. 

102  g 

3»/« 

»» 

1. 

u.  r. 

95  „ 

6'/. 

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r. 

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110  „ 

11 

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1. 

u.  r. 

100,. 

6 

V. 

r. 

140  „ 

10 

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1, 

130  „ 

Sa.  680  g. 

48. 

Tag. 

1 

N. 

r. 

u.l. 

130  g 

4 

?1 

1. 

u.  r. 

105  „ 

7'/» 

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r. 

u.l. 

70  „ 

11 

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l. 

n.  r. 

140,, 

6«/s 

V. 

r. 

145,, 

9'/s 

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1. 

85  „ 

15.  V. 


2>/,N.    r. 

95  g 

n.  1. 

45,. 

3'/,  „  l.u.r. 

180,, 

6»/«  „  r.  n.  1. 

85,. 

1   „  l.».r. 

95  „ 

6   V.    r. 

130,, 

9'/.  »     1. 

100  „ 

Sa.  680  g. 

51.  Tag. 

12«/4N.  r.  110  g 
4  „  1.  u.  r.  135  „ 
7      „   r.  u.  1.  180  „ 

11.  V.    5»/i  V.      "  T.  110  l  ^^'1'  "  ^'  ^-  '■•  ^^^  '» 

16.  V.    6      V.  r.  120  „ 


Sa.  680  g. 

47.  Tag. 

l2»/4  N.  r.     70  g 

4V4  „   l.u.r.  115  „ 

7^2  „   r.n.l.  100  „ 

10»/4  „  1.    30  „ 

u.  r.    70  „ 

12.  V.    5«/4  V.  r.    95  „  j^    y 

9Vj  „    l.n.r.  140 


9»/4  „  1.  130 


Sa. 

735 

g- 

52. 

Tag 

•, 

1V4 

N. 

r. 

120 

g 

4 

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1. 

80 

11 

u.  r. 

10 

n 

7 

n 

r. 

105 

u 

11 

„  1- 

u.  r. 

140 

1» 

6'/4 

V. 

r. 

140 

11 

10'/. 

»» 

1. 

120 

.'1 

Sa.  715  g. 
68.  Tag. 


18.  V. 


12«/s  N. 

r.  180  g 

3'/.  ,. 

1. 

u.r,  125  „ 

6'/=  „ 

r. 

a.  1.  105  „ 

»1   „ 

1.  60  „ 
u.  r.  55  ,. 

6'h  V. 

r.  110  „ 

9'/.  M 

1.  110  „ 

Sa.  695  g. 
64.  Tag. 


19.  V. 


12'/8 

N. 

r. 

135  g 

3'/« 

« 

l. 

u. 

r. 

110  ., 

6«/« 

1» 

r. 

u 

1. 

125  „ 

n'/s 

11 

1. 

u 

r. 

110,, 

5'/. 

V. 

r. 

120,, 

9'/« 

11 

1. 

100  „ 

Sa.  675  g. 
Ende  der  7.  Woche:    Gewicht  4830  g.  Sa.  700  g. 


Reyber,  Beitrag  zar  Frage  Dach  dem  Nahrungs-  und 


30.  V. 


SS. 

Tag 

. 

12'/, 

N. 

r. 

125  g 

S'h 

.,   I. 

u.  r. 

115  „ 

6'h 

,.    r- 

a.l. 

95  „ 

11 

,.    1. 

u.  r. 

115  „ 

«■/•- 

V. 

r. 

140,, 

9'/. 

f? 

I. 

95  „ 

25.  V. 


Sa.  685  g. 


56.  TAg. 


60.  Tag. 

1      N.r.a.  1.165  g 
4      „  l.a.r.  180  „ 
7      „  r.a.1.100,, 
UV*  „  In.r.   80., 
6V5V.        r.l45„ 
10      „         J.   75  ^iod.  erst  5  IL 
45,,iDd.zweit51L 
25„iod.dritt5.M. 
15..  in  d.  letzt.  5M. 


12Vi 

N. 

r. 

115  g 

8V5 

ji 

l.u. 

r. 

110  ,, 

6V4 

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r.  0 

.1. 

125,, 

11 

»» 

La. 

r. 

120,, 

61/, 

V. 

r. 

125,, 

9'r 

»» 

l.u. 

r. 

155,, 

21.  V. 


Sa.  750  g. 
Ende  der  8.  Woche:    Gewicht  4515 
Körperl&Dge:  57*/i  cm. 


32.  V. 


33.  V. 


S7. 

TM 

12'/: 

N.  r. 

0.1. 

140  g 

8Vs 

«   1- 

a.  r. 

105  „ 

7 

»   I-. 

a.l. 

185  „ 

11'/« 

„   1. 

11.  r. 

110,. 

5»/4 

V. 

1. 

120,, 

»•/= 

»»   _ 

r. 

140, 

Sa.  720  g. 

68. 

Tag. 

12'/, 

N. 

1. 

110  g 

S'/s 

»   r. 

0.1. 

187  „ 

7 

„    I. 

u.  r. 

115« 

11 

V    r. 

a.l. 

85  „ 

6 

V. 

r. 

135,, 

9'/. 

»» 

1. 

125,, 

34.  V. 


Sft.  707  g. 

59.  Tag. 

12^4  N.  r.  u.  1.  135  g 

»Vs  „    1.  u.  r.  185  ,. 

«V»  „    r.u.l.  115  „ 

llVs  „   1.  u.r.  150  „ 

«VsV.,        r.  160  „ 

^V»  „  l.    80  „ 

u.  r.    50  „ 

Sa.  825  g. 


Sa.  770  g. 

61.  Tagr. 

1      N.         r.  110  g 

3».  „          1.    60  „ 

Q.  r.    45  „ 

6«/4  „   r.n.l.    70  „ 

11       ,,          1.    80  „ 

26. 

V. 

6      V.          r.  170  „ 
9'/,  „           l.  140  „ 

Sa.  675  g. 

62.  Tasr. 

12'/,  N.         r.  155  g 

«»/4   ,.           l.    75  „ 

a.  r.    65  „ 

7       „   r.u.1.  115,, 

11>/«  „   l.u.r.  105  „ 

27. 

V. 

7     V.          r.  185  ,. 
10      „          1.  140  „ 

Sa.  790  g. 

68.  Tag. 

1     N.  r.  Q.  i.  140  g 

4       „  l.u.r.    »5„ 

7'/4  „   r.u.l.  120  „ 

11       „    l.n.r.    95  „ 

28.  V. 

6</»  V.         r.  140  „ 

9'/.  „   l.u.r.  185  „ 

Sa.  725  g. 

lud« 

)  der  9.  Woche:   Gewicht  4740  g. 

64.  Tag. 

12';,  N.  r.  u.  1.  185  g 

3'/s  „    l.u.r.  115  „ 

6»/«   „   r.  ».  1.    95  „ 

ll'/4  „   l.u.r;    60  „ 

29. 

V. 

6'/4  V.         r.  160  „ 

9>/,  „           1.  120  „ 

n.  r.    25  ,. 

Sa.  710  g. 


EoergiebedfirfDis  des  natfirlich  orsahrten  S&agling?.  668 

66.  Tag. 

12»/4  N.  r.  u.  1.  140  „ 

SVs  >,    l.u.r.  110  „ 

61/,  „   r.  u.  1.    90  „ 

11       „   l.u.r.  120  „ 

30.  V.    5»/,  V.         r.  140  „  ,    y, 

10       „  I.    90„ 

11.  r.    85  „ 

Sa.  690  g. 

Ende  der  10.  Woche:  Gewicht  4920  g. 


71.  Tag. 

12Vj  N.  r.  u.  1.  180  g 


Sa.  775  g. 

66.  Tasr. 

1 

N.  r.a.l.  110  g 

3'/. 

1.    76  „ 
n.  r.    60  „ 

6»/. 

„    r.  u.  1,  105  „ 

11 

„   l.n.r.    95  „ 

81. 

V.    6 

V.          r.  150  „ 

9>/, 

I.  105  „ 

Sa.  700  g. 

67.  Tg- 

12«/ 

,  N.  r.  120  g 

SV: 

1  „  1.  100  „ 

6Vi 

:  „  r.  115  „ 

11 

„   1.    86,. 
u.  r.    25  „ 

1. 

VI.     6'/: 

,  V.  r.  155  „ 

10 

„1.    80  „ 
u.  r.    80  „ 

Sa.  760  g. 

68.  Tag. 

1 

N.         r.    80  g 

4 

„   1.  n.  r.  170  „ 

6'/« 

r.    50  „ 
a.  1.    35  „ 

ll'/4 

„   1.  u.  r.    96  „ 

3. 

VI.    7 

V.          r.  145  „ 

9'/s 

1.    75,. 

Sa.  650  g. 

69.  Tsff. 

12V,N. 

r.l05g 

8'/.., 

1. 151  „ 

«•/.  .,  « 

-.0.1. 110„ 

ll'/4,.  1 

.n.r.   95  „ 

LV] 

[.  6V,V. 

r.l55„ 

9*1,  „ 

1. 100  „(7  Min.  { 
u.  r.    10  „ 

70.  Tag 

^• 

12'/4 

N. 

r.  u.  1. 

145  g 

8'/« 

>1 

Lu.r. 

110,, 

6'/. 

99 

r.  u.  l. 

115,. 

11'/. 

9» 

l.  u.  r. 

100  „ 

7 

V. 

r. 

185,, 

9'/. 

» 

1. 

86., 

5.  VI. 


»•;«  „ 

*• 

4U  ^ 

u.  r. 

65  „ 

6»/«  „ 

r.  a.  1. 

105  „ 

11'/.  „ 

1. 

45  „ 

u.  r. 

55  „ 

6»/«  V. 

r. 

160,, 

9'/«  ,. 

I. 

110  „ 

u.  r. 

40  „ 

Sa.  800  g. 


72.  Tag. 

1'/.  N. 

r.  180  g 

u.  1.    80  „ 

4V4    » 

1,  u.  r.  115  „ 

7       „ 

r.  u.  1.    95  „ 

H'/.   „ 

1.    45  „ 

n.  r.    75  „ 

6.  VI.  6'/»  V. 

r.  125  „ 

10       „ 

1.  125  „ 

u.  r.    40  „ 

Sa.  780  g. 


78. 

Tag. 

1 

N. 

r.  u. 

1.  185  g 

4 

» 

1.  a. 

r.  100  , 

7 

* 

r.  a. 

1.  110  , 

11^4 

n 

1.  a. 

r.  110  , 

6V4 

V. 

r.  160  , 

10 

» 

L  150  . 

Sa.  780  g.  Sa.  765  g. 


564  Key  her,  Beitrag  lar  Frage  nach  dem  Nahraoga-  and 


74.  Tag. 

l 

N. 

r.  125  g 
u.  1.  40  „ 

4 

»1 

1.  40, 
u.  r.  60  „ 

7 

« 

r.  65  „ 
u.  1.  10  „ 

11  Vs 

» 

1.  n.  r.  70  „ 

8.  VI.  6»/« 

V. 

r.  180  , 

9»/4 

n 

1.  130  . 

Sa.  670  g. 

76.  Tag. 

12'/» 

N. 

r.  120  g 

S'k 

» 

1.  u.  r.  155  „ 

6'/4 

1» 

r.  a.  1.  135  „ 

\vu 

ff 

1.  u.  r.  125  „ 

9.  VI.  6»/4 

V. 

r.  125  , 

9*U 

1* 

1.  110  , 

Sa.  810  g. 


79.  Tag. 

12</4  N.  r.  120  g 

u.  I.    35  , 

3»/4    .    I.  u.  r.  125  . 

6«/4  ,  r.  u.  1.  106  , 
ll'/9    n    1.  u.  r.  100  , 

13.  VI.  71/4  V.  r.  150  , 

u.  I.    30  , 

10       «  l.  110  . 

ü.  r.    40  , 

Sa.  815  g. 

80.  Tag. 

IV4  N.  r.  u.  1.  160  g 

4       ,  1.  u.  r.  95  „ 

7       ,  r.  u.  J.  115  , 

111/4    ,  1.  a.  r.  95  . 

14.  VI.  6V9  V.  r.  170  „ 

10        ,  I.  a.  r.  220  . 


Sa.  770  g.  Sa.  855  g. 

76.  Tag.  «t-  Tag. 

1      N.           r.  125  g  1      N.  r.  a.  I.  HO  g 

4        »    1.  o.  r.  140  „  4        .    1.  u.  r.  100  , 

6Vi    .    r.  u.  1.  120  ,  "7       n    r.  q.  1.     90  , 

llVi    ,    1.  u.  r.  130  „  ll'/i    «    1-  tt-  r.  115  „ 

10.  VI.  7      V.           r.  160  ,                 lö.  VI.  e^h  V.  r.  170  „ 

IOV4    .              t.    90  .  »Vt    «    ^»  n»  r.  180  , 

Sa,  765  g.  Sa.  765  g. 

77  Tag.  ^^'  Tag. 

12»/4N.            r/l20g  121/s  N.  r.  u.  1.  135  ß 

4       ,    1.  u.  r.200:  3V.    «    1.  a.r.     90, 

7       ,    r.  u.  1.  100  „  «V.    .    r    u.  1.  110  , 

ll«/4    „    I.  u.  r.  130,  l^V»   -    *•"•'"•  *2^" 

1.  VL  Vk  V.            r.  155                     1«'  ^^^  ^V.  V.  r.  170  . 

10       ,    L  u.  r.  105  »V'    •              '-l^Ö, 


20 


Ende  der  11.  Woche:  Gewicht  5090  g.  ^^'  '^^  «* 

88.  Tag. 


78.  Tag. 


121/4  N.  r.  u.  1.  135  g 


1       N.  r.  n.  1.  170  g  3        ,    1.  a.  r.  140 

4       ,    i.  n.  r,  115  ,  51/»    ,    r.  a.  1.  140  „ 

7        ,    r.  u.  1.  100  ,  111/,    ^    1.  n,  r.  105  , 

llVt    •    l.  u.  r.  105  „  17.  VI.  71/4  V.  r.  185  , 

12.  VI,  7      V.  r.  140  ,  101/4    ,  1.    50  ,8ehrmft4e 

deswegen  nich  t  mehr. 


10       ,  I.  120  , 


Sa.  750  g.  Sa.  755  g. 


Energiebedarf nis  des  oatfirlich  erofthrten  S&agliog8.  506 

84  Tag.  89.  Tag. 

WU  N.  r.  u.  1.  155  g  IVs  N.  r.  n.  l.  160  g 

3»/4    ,    1.  u.  r.  165  ,  ^Vi    »    1.  ".  >-.  100  „ 

eVs    «    r.  a.  i.  110  «  7Vs    „    r.  u.  L  100  „ 

12       „    I.  u.  r.  130  «  IIV«    •    1-  ».  r.  100  „ 

18.  VI.  7       V.            r.  180  „  28.  VI.  7      V.            r.  165  , 

10       ,              1.     70  ,  SVs    »              l.     90  „ 

Sa.  810  g.  »•  '''    ^0  , 

Ende  der  12.  Woche:  Gewicht  5305  g,                                  ^*-  '^^^  «' 

Körperl&ngo:  60  cm.  dO.  Tag. 

12Vs  N.  r.  ü.  1.   145  g 

86.  Tag.  3Vj    n    l.  u.  r.    85  . 

1       N.  r.  u.  1.  205  g  ^'/»    »    ^-  ^-  '•  ^^^  • 

4       ,    1.  u.  r.  115  ,  ^        ,  ^^'/«    -    ^-  '»•  '*•  ^25  , 

7       .    r.  o.  1.  U5  :  24.  VI.  6»/.  V.            r.  155  . 

IIV»    n    I.  ".  r.  120  ,  ^'/*    "              ^'  ^^^  - 

19.  VI.  71/4  V.            r.  150  ,  Sa.  780  g. 

10       „             1.  120  ,  91.  Tag. 


Sa.  855  g.                             12Vs  N.            r.  130  g                                                           ! 

u.  l.  35  , 

3Vt   n    1.  u.  r.  95  . 

12./.  N.  r.  u.  1.  205  g                                ''''    "         ^^  ^^  '%  '                                                            j 

4        „    1.  u.  r.  140  .                                                    ü    I.  4ü  . 


86.  Tag. 


7       .    r.  u.  1.  140  .  25.  VI.  6      V.  r.  115  . 

ll»/4    r.    1.  u.  r.     90  „  ^,,  , 

20.  VI.  7      V.  r.  165  ,  '=    "       KJ60^ 

lOVs    »    I.  n.  r.  170  ,  «    ,  ^*-  '^^  «• 

-- — -— Ende  der  13.  Woche:  Gewicht  5440  g 

i>H.  910  g.  ® 

^  92.  TAg. 

101/       XT 

87.  Tag. 

IV»  N.  r.  u.  1.  115  g 

4       «    1.  u.  r.  115  „ 

7       «    r.  o.  I.  120  „ 

11V»   n    1.  n.  r.  105  , 

21.  VI.   6V,  V.  r.  u.  l.  155  « 

9Vs    n    I.  «.  r.  140  . 


Sa.  750  g. 


88.  Tag. 

I2V4  N.  r.  a.  I.  140  g 

3V.    r»    1.  u.  r.  155  , 

6V4   ,    r.  a.  1.  135  „ 

ll«/4    r    1.  u.  r.  115  „ 

23.  VI.  7Vs  V.  r.  u.  l.  190  « 

lOV»    n  1.  100  , 

tt»  r.    40  „  

S».  875  g.  Sa.  840  g. 


12«/. 

N. 

r.  170  g 

3Vf 

11 

1.  90  « 
u.  r.  b  „ 

6'/. 

n 

r.  95, 

11 

m 

1.  90  „ 

26.  VI.  5 

V. 

r.  155  , 

8 

w 

1.  25  „ 
u.  r.  55  , 

11 

» 

1.  135  « 

Sa.  820  g. 

98 

.Tag. 

2 

N. 

r.  155  g 

5'/4 

»» 

1. 

a.  r.  135  , 

8V4 

ff 

r.  135  , 

11'/. 

» 

l.  60  , 

27.  VI.  7'/« 

V. 

r.  145  . 

10'/« 

» 

I.  140  . 
D.  r.  70  , 

^66  Key  her,  Beitrag  zur  Frage  aach  dem  NabruDga-  und 

94.  Tag.  99.  Tag. 

VU   N.     r.  100  g  11/^  N.  r.  u.  1.  165  g 

4   „  l.  a.  r.  150  „  41/^  ^^  j.  ^^   r.  182  „ 

6»/4  „  r.  a.  1.  125  „  71/^  ^^  r.  u.  I.  123  „ 

llVi  M  l.  u.  r.  100  „  111/    1,  u.  r.  jqS  ., 

28.  VI.  VU  V.     r.  180  „  3.  VlI.  ö«/*  V.     r.  120  ., 

10   „  l.  n.   r.  170  „  9,/^  ^^     j  ,45^^ 


S».  775  g. 

96.  Ta«. 

1   N.  r.  u.  1.  145  g 

4   „  1.  u.  r.  140  „ 

7   „  r.  Q.  1.  95  „ 

ll>/j  „  1.  u.  r.  115  „ 

29. 

VI, 

7   V.     r.  150  „ 

10   „  l.  u.  r.  175  „ 

S».  820  g. 

98.  Tag. 

l»/4  N.     r.  105  g 

ü.  1.  45  „ 

4   „  1.  a.  r.  120  „ 

7   „  r.  a.  1.  110  „ 

11»/«  „  l.  u.  r.  120,, 

80 

.  VI 

.  6«/,  V.     r.  145  „ 

9»/«  „  1.  u.  r.  188  „ 

Sa.  883  g. 

97.  Ta«. 

1>/«  N.  r.  n.  1.  150  g 

4»/«  „  I.  n.  r.  105  „ 

7   „  r.  n.  I.  188  „ 

11'/.  ,.  1.  u.  r.  100  „ 

1. 

VII 

7   V.     r.  202  „ 
10   „     1.  104  ,. 

Sa.  799  g. 

98.  Tag. 

1   N.  r.  n.  1.  ICS  g 

4'/«  „  1.  D.  r.  120  „ 

6»/«  „  r.  u.  1.  100  „ 

11'/,  „  1.  u.  r.  110  „ 

2. 

VII 

7'/,  V.     r.  168  „ 

10'/«  „     1.  185  „ 

n.  r.  15  ., 

Sa. 

788  g. 

100 

.  Tag. 

12«/« 

N. 

r. 

156  g 

4 

n 

i. 

u.  r. 

90  „ 

7'/* 

1» 

r. 

u.  1. 

135,, 

11'/, 

n 

r. 

157,, 

4. 

VII 

.7'/, 

V. 

1. 

100,, 

9'/. 

»1 

r. 

135  ,, 

Sa. 

773  g. 

101 

.  Tag. 

12'/, 

N. 

1. 

u.  r. 

175  g 

8»/« 

1» 

r. 

Q.  1. 

162  „ 

6»/« 

>» 

r. 

0.  1. 

145,, 

11'/« 

II 

1. 

a.  r. 

105  „ 

5. 

VII 

•7'/« 

V. 

r. 
a.  1. 

106., 
50  „ 

10'/, 

»' 

1. 

u.  r. 

180  „ 

Sa.  928  g 

102.  Tag. 

IVs  N.  r.  a.  l.  162  g 


4'/. 

1» 

l. 

u. 

r. 

73  „ 

7 

W 

r. 

a. 

1. 

153,, 

H'/, 

II 

1. 

a. 

r. 

139,, 

6. 

VII. 

6»/« 

V. 

r. 

115  „ 

9*1* 

II 

r. 

0. 

1. 

167  „ 

Sa.  809  g. 

108.  Tag. 

12»/4  N.  1.  u.  r.  170  g 


Sa.  811  g.  

Ende  der  U.Woche:  Gewicht  5655  g.  Sa.  751  g. 


4 

II 

r. 

u. 

1. 

101  „ 

7V4 

11 

l. 

u. 

r. 

117  „ 

UV. 

II 

1. 

u. 

r. 

76  „ 

7. 

VII 

.  7 

V. 

r. 

161  ,. 

10 

II 

1. 

126,, 

Energiebedürfnis  des  natürlich  ern&hrten  S&aglings. 


667 


104.  Tng. 


1 

N.  r.  n.  1.  194  g 

4 

„    1.  u.  r.  181  „ 

7 

„    r.  u.  1.  125  „ 

11«/« 

„    1.  u.  r.  122  „ 

8. 

VII.  7Vs 

V.            r.  145  „ 

IC/s 

1.    99,. 

Sa.  816  g. 

106.  Tag. 

i»A 

N.  r.  a.  L  165  g 

♦•/« 

„    I.  u.  r.  161  ,. 

7'/. 

„    r.  a.  1.  120  „ 

ll»/4 

„    1.  u.  r.    95  „ 

9. 

VII.  7'/, 

V.            r.  100  „ 

10'/. 

1.  123  ., 

S».  754  g. 
Ende  der  15.  Woche:   Gewicht  5720 


106.  Tag. 


l'/4 

N. 

r. 

u. 

1. 

195  g 

5V4 

n 

l. 

u. 

r. 

165  „ 

^*U 

n 

r. 

a. 

1. 

128  „ 

11'/. 

19 

1. 

n. 

r. 

55  „ 

10.  VII.  VI, 

V. 

r. 

154  „ 

lO'/s 

n 

1. 

183,, 

Sa.  880  g. 


107.  Tag. 


1»/« 

N. 

r. 

96g 

5V« 

M 

1. 

u.  r. 

162,, 

8 

»> 

r. 

u.  1. 

138  „ 

ll'/s 

»» 

1. 

u.  r. 

93  „ 

11. 

VII.  7'/, 

V. 

r. 

191,, 

10'/, 

1» 

1. 

u.  r. 
Sa. 

182,, 
807  g. 

108. 

Tag. 

(Sehr  warm.) 

l'/s 

N. 

r. 

u.  1. 

107  g 

4'/5 

?» 

1. 

u.  r. 

lOi,, 

7 

»» 

r. 

u.  I. 

118  „    . 

11 

»1 

L 

u.  r. 

100,, 

12.  VII.  7'/s 

V. 

r. 

u.  1. 

179,, 

10'/, 

»1 

1. 

u.  r. 

134  „ 

109.  Tag  (sehr  warm). 

IVt  N.  r.  u.  1.  186  g 

4'/*  .    l.n.r.  128  , 

71/,  .    r.Q.l.  122  , 

UVj  .    l.u.r.    93  , 

18. 

VII.  7^4  V.      r.      120  , 

lO'/i   n    lu.r.  157  . 

Sa.  756  g. 

110.  Tag  (sehr  warm). 

1      N.  r.n.L  151  g 

4       ,    l.a.r.  100  , 

7«/4   n    r.u.l.  150  , 

llVs  ,    1  u.r.    97  „ 

14. 

VII.  Vit  V.          r.  100  ^ 

u.i.  110  „ 

101/4   .    r.u.l.  102  , 

Sa.  810  g. 

lll.  Tag  (sehr  warm). 

1      N.  l.n.r.  117  g 

4       »          r.    80  , 

u.  1.    45  . 

7       .    l.a.r.  117  „ 

lli/a  ,    r.n.l.  113  . 

15.  VII.  VU  V.  r.  u.  1.  183  „ 

101/4   ,    1.  u.  r.  160  „ 

Sa.  815  g. 

112.  Tag  (sehr  warm). 

11/4  N.  r.  u.  1.  127  g 

41/4   ,    l.u.r.  104  , 

71/4   .    r.Q.l.  HO  , 

ll»/4   „    l.a.r.  145  „ 

16. 

VII.  6>/4  V.          r.  147  „ 

9»/4   .    Lo.r.  117  • 

Sa.  738  g. 


Sa.  750  g. 
finde  der  16.  Woche:  Gewicht  5930  g. 
Körperlange  66  cm. 
118.  Tag 
(sehr  heiss;    mittags:    Schatten  30®  R., 
Sonne  38o  R.,  abends  IOV3  Uhr  19«  R.). 
12»/4  N.  r.  n.  1.  151  g 
l.n.r.  119  , 
r.  n.  1.  140  , 
l.u.r.  127  ^ 
r.  134  , 
1.  u.  r.  200  „ 
Sa.  871  g. 


3»/4 

6»/4     . 

llVs    - 
17.  VII.  6»/4  V. 

10         n 


688 


Reyher,  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrung«-  und 

114.  Tag.  119.  Tag. 

12«/4N.  r.u.l.  136  g  !•/,  N. 


4 

ll»/4     „ 

18.  VII.  7      V. 

10V4     . 


1.  u.  r.    86 

r.u.l.  130 

1.  u.r.  146 

r.  115 

u.l.    27 

1.  u.  r.  140  .. 

Sa.  780  g. 


71/4   , 

11       , 

(15  Min.    28.  VII.  7     V. 

.  getrnnk.)  10       ^ 


r.  123  g 

1.  131  . 

r.  u.  1.  170  „ 

l.u.r.  113  „ 

r.    99  , 

l.  130  , 


4V4     , 

7V4     . 

IIV4     , 

19.  VII.  7a/4  V. 
11        . 


116.  Tag. 

IV4N.  r.u.l.  110  g 


1.  u.  r.  95 
r.u.l.  140 
l.  u.r.  108 
r.  74 
l.u.r.  180 


Sa. 

707  g. 

11«.  Taar. 

2 

N. 

r.  u.  1. 

173  g 

5«/. 

ff 

1.  u.  r. 

166  , 

8'/» 

II 

r.  u.  1. 

168, 

11  t/s 

» 

1.  u.  r. 

105  , 

».VII 

•  Vh 

V. 

r. 

180, 

10'/: 

n 

1. 0.  r. 

125  . 

Sa.  857  g. 

117.  Tag. 

P/s  N.  r.  u.  1.  155  g 

4«/4  «  1.    70  , 

7>/4   »  r.  u.  l.  167  , 

UVs   »  l.a.r.  105  , 

21.  VII.  7^3  V.  r.    74  « 

IOV4   .  I.    95  . 


7V5  « 

10»/4     n 

22.  VII.  8      V 

10*/4     » 


Sa.  666  g. 

118.  Tag. 

P/4N.  r.  u.l.  187  g 

41/4    n    l.u.r.  123  . 

„    r.  u.  1.  152  , 

»    l.u.r.  112  „ 

r.  90  , 

1.  137  , 


Sa.  766  g. 
Snde  der  17.  Woche:  Gewicht  6080  g. 

120.  Tag. 

1  N.  r.u.l.  115  g 
3»/4  „  1.    99  „ 

7       „  r.  u.  1.  170  „ 

11       „  l.u.r.    94  „ 

24.  VII.  7Vs  V.  r.  u.  l.  125  „ 

lOV»  „  1.  u.  r.  160  „ 


Sa. 

763  g. 

121. 

Tag. 

»•/4 

N. 

r. 

n.l. 

168« 

4'A 

•1 

1. 

u.  r. 

108,, 

8'/4 

« 

r. 

u.l. 

120  „ 

ll'/l 

11 

1. 

u.  r. 

68  „ 

35. 

VII 

•7V4 

V. 

r. 

u.l. 

125,, 

11 

M 

L 

u.r. 

182« 

Sa. 

716  g. 

122. 

Tag. 

2 

N. 

r. 

n.l. 

136  g 

4»/« 

yy 

1. 

tt.  r. 

128,, 

8V4 

n 

r. 

a.l. 

117« 

ll'/s 

w 

1. 

u.r. 

85., 

2«. 

VII 

.  8 

V. 

r. 

n.l. 

181  „ 

Wh 

>» 

L 

u.  r. 

142  „ 

Sa.  739  g. 


128.  Tag. 

2>/4  N.  r.  u.  l.  120  g 


Sa.  801  g. 


6 

>» 

1. 

u. 

r. 

138  „ 

IU/4 

1» 

r. 

u. 

1. 

122, 

»7. 

VII.  7 

V. 

1. 

u. 

r. 

113,, 

10'/, 

19 

1. 

151  „ 

Sa.  689  g. 


£nergiebedürfDis  des  Datfirlioh  ern&hrten  S&ugliogs.  569 

124.  Tag. 


l'/4 

N. 

r. 

u.l. 

121  g 

4'/« 

n 

1. 

u.  r. 

125  „ 

VU 

» 

r. 

n.l. 

122,, 

11'/» 

n 

I. 

u.  r. 

84  „ 

28.  VII 

[-  vu 

V. 

r. 

u.l. 

150  „ 

lO'/s 

n 

L 

u.  r. 

190,, 

"sT" 

792  g. 

126. 

Tag. 

1'/» 

N. 

r. 

u.l. 

127  g 

5 

»> 

1. 

ü.  r. 

58  „ 
58  „ 

8 

n 

r. 

u.l. 

88  „ 

11'/« 

>» 

1. 

u.  r. 

115,, 

29.  VII 

•    7»/4 

V. 

r. 

131  „ 

11 

« 

1. 

u.  r. 

131  „ 

"sT 

708  g. 

126. 

Tag. 

. 

2'/. 

N. 

r. 

u.l. 

154  g 

{ 

5V4 

n 

1. 

u.r. 

107  „ 

8'/« 

r> 

r. 

u.l. 

105,, 

ll'A 

>9 

l 

u.r. 

82  „ 

80.  VII 

•7'/, 
9'/i 

V. 

r. 
I. 

88  „ 
108,, 

ll'/4 

1> 

L 

u.  r. 

100,, 

"sT 

744  g. 

Ende  der  18. 

Woche: 

Gewicht  6165  g. 

127. 

Tag. 

2V« 

N. 

r. 

u.l. 

110  g 

5»/4 

n 

1. 

u.  r. 

11»,, 

1 

8'/. 

19 

r. 

u.l. 

90  „ 

11'/« 

»» 

1. 

a.  r. 

104,, 

81.  VII 

.  8  . 

V. 

r. 

123,, 

11'/« 

»» 

1. 

u.  r. 

170  „  1 

C14'/,  M. 

Sa. 

716  g. 

getr) 

128. 

Tag  (sehr  heisa). 

2'/, 

N. 

r. 

95  g 

5'/4 

>» 

1. 
u.r. 

83., 
25  „ 

1 

8'/, 

)) 

r. 

u.l. 

150,, 

1.  VIII. 

12'/4  V. 

1. 

u.r. 

80  g 

8 

<» 

1. 

100,, 

11 

« 

r. 

n.l. 

169,, 

129. 

Tag  (sehi 

•  warm). 

2 

N. 

1.  u.  r. 

107  g 

5 

» 

r.  u.  1. 

93  „ 

8'/4 

» 

l.  u.  r. 

185,, 

11'/. 

i> 

r.  u.  1. 

80  „ 

2. 

VIII.  7'/, 

V. 

r. 
u.l. 

75  „ 
112  „ 

11'/. 

1» 

1.  u.  r. 

140,, 

Sa. 

792  g. 

180.  Taar  («ehr  schwal). 

2'/. 

N. 

r.  u.  1. 

107  g 

5'/. 

>» 

1.  u.  r. 

112,, 

8'/. 

M 

r.u.1. 

122  „ 

ll'/4 

»T 

1.  u.  r. 

87  „ 

8. 

VIII.  8 

V. 

r. 

88  „ 

11'/. 

9» 

1.  u.  r. 

104  „ 

Sa.  620  g. 

181.  Tag 

(sehr  warm;  4  N.  38^  R.  in  der  Sonne, 

7  N.  190  R.  im  Schatten). 

SVsN.r.  u.l.  132  g 

VU  „l.u.r.l87„ 

12      „r.u.  1.115,, 

4.VIIL7VjV.         1.100,, 

11       „  rn.l.  182„[Z.-T.^)24VaC.] 
Sa.  716  g. 

182.  Tag  (sehr  warm). 
3     N.  1.  u.  r.  181  g 
7      „  r.  n.l.  132  „ 

11  „  1.  n.  r.  130,,  (HMin.getr. 

5.  VII  r.  7'/2  V.        r.   66  „  (3 V»  M.  getr.) 
u.  1.   85  „  (5  Min.  getr.) 

ll»/4  „  l.u.r.  155,,  (Z.-T.  260  C.) 
Sa.  749  g. 

188.  Tag. 

3»/4  N.  r.  u.  1. 140  g  (Z.-T.  26o  C.) 
VI,  „1. u.r.  153 „(Z.-T. 25V,«C.) 
llVs  „  r.u.  1.100,, 

6.  VIII.  8     V.         r.   82  „ 
u.l.    48 „ 

12  „  L  u.r..  146  „(Z.-T.  26V8<>C.) 
Sa.  669  g. 

Ende  der  19.  Woche:  Gewicht  6185  g. 


Sa.  702  g.  1)  Z.-T.  =  Zimmertemperatur. 

Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    Heft  4.  37 


57Q  Keyher,  Beitrag  zur  Pr»ge  n»eh  dem  Nahrnngs-  und 

184,  Tag.  189.  Tag. 

4     N.r.a.l.mg  l'/f  f"-'- "J« 

7./«  „  1.  «.  r.  U5  „  (7./,  M.  getr.)  J   '  -  l'»-'«   ^J  -  l8ch«..»'tf t) 

11./.  „r.u.  1.108,.  ,J'"ir'!    1?" 

7VTTT  71/   V  r     75  ^^  '' »   ^•"•'^-    *^ " 

7.VIIL7/,V.        r.    75  „  12.VIII.  8    V.        r.llO, 

.I.a:r:i70::(9  Mi»,  getr.;  '''1^  ,  Lu.r.  198  ,  (Z.-T.  21«  C.) 


12 


Sa.  683  g.  Z..T.250C.)  Sa.  702  g. 

140.  Tagr. 


186.  Tag. 

4     N.  r.o.l.  160g  (Z.-T.20V3«C.) 
f  1. 4  Min.  getr. 

8      .  l.u.r.  140„{r.2»/4»       - 

l  Z.-T.   230  c. 
12      ,  r.u.l.  115«  18.  VIII. 

8.VIIL  8     V.        1. 140  «  (Z..T.  22 Vs«  C.) 
lli/s  ,  r.o.L160,(Z.-T.22V>oC.) 

Sa.  715  g.  Sa.  671  g. 


2'/,  N.  r.  n.  1. 

133  g 

5'/«   ,   l.a.r. 

125  , 

8'/s   «    r.n.l. 

70, 

11'/»    „           1. 

40  , 

u.  r. 

20  , 

8      V.         r. 

100. 

a.l. 

88  , 

ll'/s    .    l-u-r. 

145  . 

186.  Tasr. 


finde  der  20.  Woche:  Gewicht  6220  g. 
141.  Tag. 


3V,N.I.u.r.l47g(Z..T.22V,»C.)  N   r  n  1    100  . 

7'/,  „  r.n.l.  127„(Z.-T.22.MC.)  J  *  N.  r.u.l.  100g 

IIV,  „  l.u.r.  67„  J'    -       __  ,    ^,^ 


9.VIII.  8     V.        r.  122 


91/4    ,    r.a.l.  115 


,         ''  14.  VIII.   71/1  V.  Lu.r.  120 

'''^'   ^^"  lOV.    .    r.u.l.  165 


12      „  1  n.r.205.,(Z.-T.21V,oC.) 


Sa.  698  g.  S-^«^«- 


187.  Tag 


142.  Tag. 


IV'  N.  J.  u.  r.  140  ff 
4    N.r.n.l.l40g(Z..T.21VsOC.)  Jr   ^    ,.  ^.  1.    gO  . 

•   8     ,  l.u.r.  187,  (Z..T.21V,oC.)  ';    •    ^^^     ^ 

llV..r.u.l.   98,  12  r.u.  1.125, 

10.VIII.  7V.V.l.a.r.l50,  j^^jji     ^.^^  ^.  ,  ^  ,.,  j^g  ^ 

11     ,        r.  100, 


a.l.   55,  (Z.-T.  210  C.) 
Sa.  680  g. 

188.  Tag 


lOVs    ,    1.  u.  r.  150  , 
Sa.  691  g. 

148.  Tag. 

P/4  N.  r.u.l.  115g 


3    N.  Lu.r.  127  g  (Z.-T.  21«  C.)  4»/»   .    lu.r.  110  , 

7      ,  r.u.l.  130,  7*/,    ,    r.u.l.  65  , 

llVs»  Lu.r.  140,  UVs    «    I.u.r.  118  , 

ll.VIII.  7V4V.        r.lOO,(Z..T.  210  C.)  16.  VIII.    71/3  V.  r.u.l.  163  , 

10'/4  „  lur.  160  ,  (Z.-T.20V,oC.)  lOVs    ,    1.  u.  r.  155  , 

Su.  657  g.  Sa.  726  g 


Energiebedürfnis  des  natarlioh  ern&hrten  S&ngliogs. 


571 


144.  Tag. 

IVs  N.  r.  u.  1.  120  g 
41/5  .  1.  a.  r.  180  ^ 
7Vj    n    r.u  I.  117  „ 

llVs  »  l.u.r.  126  , 
17.  VIII.   7Vs  V.  r.u.l.  180  , 

lOV.   .    l.u.r.  150  „ 


Sa.  823  R. 

145.  Tag. 

1'/. 

N.  r.  u.  1.  120  g 

4'/. 

.  l.tt.r.  137  , 

7V» 

»  r.n.l.  88. 

11 

„  l.n.r.  111  „ 

i8.vin. 

7»/4 

V.  r.  u.  1.  140  „ 

loy« 

„  l..u.r.  181  „ 

Sa.  717  g. 

146.  Tag. 

i«/4 

N.  r.  u.  1.  151  g 

4'/« 

1.  76., 
n.  r.  48  „ 

7'/. 

„  r.u.l.  120,, 

18 

„  1.  u.  r.  151  „ 

19.  VIII 

7V. 

V.    r.  115  „ 

10>/. 

„  l.u.r.  142  „ 
Sa.  798  g. 

147.  Tag. 

l>i. 

N.  r.  n.  1.  150  g 

*•/. 

„  1.0.  r.  118  „ 

7'/. 

„  r.  Q.  1.  105  „ 

IIV. 

„  1.  u.  r.  86  „ 

20.V1IL 

7'/. 

V.  r.  u.  I,  150  „ 

iOV4 

„  1.  n.  r.  180  ., 

149.  Tag. 

IV»  N.  r.  Q.  1.  128  g 

4V8   „   l.u.r.  120  „ 

7Vs   „   r.u.l.  100  ., 

UV.   „   l.u.r.  112  „ 

22.VnL   7V4  V.  r.u.l.  149  „ 

IOV4   „   1.  u.  r.  160  ,, 

Sa.  769  g. 


4V. 

6V, 

28.VIII.12V4 

7V4 
10 


160.  Tag. 

N.  r.a.I.  110  g 

„   l.u.r.  111  „ 

„   r.u.l.  75  „ 

V.  1.  u.  r.  148  „ 

„   r.  u.  1.  138  „ 

„   1.  u.  r.  107  ,. 

Sa.  689  g. 


151.  Tag. 

l»/4  N.  r.  u.  1.  143  g 


24.  VIII 


4V4 
7V4 
11 

7 
IOV4 


„   l.u.r.  140  „ 

„   r.  a.1.  148  „ 

„   1.  u.  r.  70  „ 

V.         r.  85  „ 

u.  1.  25  „ 

„    1.  n.  r.  148  „ 

Sa.  759  g. 


Sa.  739  g. 
Ende  der  21.  Woche:  Gewicht  6265  g 


152.  Tag. 

IV4  N.  r.  u.  1.  153  g 

4Vs   „   l.u.r.  134  „ 

7V4    „   r.  u.  1.  100  „ 

IIV4   „   1.  u.  r.    65  „ 

2Ö.VIIL   8      V.  r.  a.l.  175  „ 

11       „   1.  u.r.  158  ,, 

Sa.  785  g. 


148.  Tag. 

IV4  N.  r.u.l.  167  g 

4V,   ,;    l.u.r.  110  „ 

7V.   „   r.u.l.  88  ., 

10«/4   „   l.u.r.  HO  „ 

51. VIII.   7V4  V.  r.u.l.  170  „ 

IOV4   ,y   1.  u.  r.  150  „ 

Sa.  795  g. 


158.  Tag. 

2      N.  r.  u.  1.  105  g 

5       „   l.u.r.  128  „ 

8V4   ,.   r.  u.  l.  100  „ 

ß.  VIII.  12V4  V.  l.  u.  r.  125  „ 

7V4    „   r.u.l.  122,, 

IOV4   „   J.  n.  r.  145  „ 

Sa.  725  g. 

37» 


164.  Tag. 

IV. 

N.  r.  D.  1.  180  g 

*v. 

„   I.D.r.  130  „ 

7>/4 

„   r.  u.  1.    96  „ 

12 

„    1.  0.  r.  100  ,. 

7'/4 

V.  r.  a.  1.  185  „ 

10>/4 

1.    95  ., 

572  Reyher,  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrnngs-  und 

159.  Tasr- 

IV»  N.  r.u.l.  140  g 

4V.  „    l.u.r.  112,, 

VU  „    r.u.l.    90  „ 

12       „    1.  tt.  r.  155  „ 

27.Vni.    VU  V.  r.u.l.  185  „  ^'  ^^-^'U    V.  r.u.l.  140  „ 

101/4     „    1.  n.  r.  182  „ 

Sa.  686  g. 
Ende  der  22.  Woche:  Gewicht  6400  g. 

155.  Tag. 

IV2  N.  r.u.l.  130  g 

41/5   „   Lu.r.  140  „ 

7V,  „  r.  u.  1.  138  „ 
111/,  ^^  i.Q.r.  112  „ 
28.  VIII.    71/,  V.  r.  140  „ 

lOV,   „    l.u.r.  155 


29.  VIII. 


Sa.  815  g. 

156.  Tag. 

2 

5 

8 

IIV» 

101/2 

N.  r.u.l.  122  g 
„    1.  u.  r.  155  „ 
„    r.u.l.   121  ., 
„   1.  u.  r.     VO  „ 
V.  r.u.l.  182  „ 
„    1.  n.  r.  117  „ 

Sa.  787  g. 


157.  Tag. 

11/,  N.  r.  u.  1.  155  g 

4»/4    „   1.  u.  r.  100  „ 

73/4    „    r.  u.  1.  125  „ 

12       .,    l.u.r.     95  „ 

30. VIII.   71/,  V.  r.u.l.  150  „ 

101/2    „    1.  n.  r.  155  ., 

Sa.  780  g.  Sa.  770  g. 

158.  Tag.  ißg.  xag. 


Sa.  769  g. 

160.  Tag. 

11/5  N.  r.a.l.  125  g 

41/5  ,,    l.u.r.  120,, 

VI,  „    r.u.l.  105,, 

111/,  ,,    i.a.r.     90  „ 

2. 

IX. 

7      V.  r.u.l.  173  „ 
10      „     l.u.r.    60  „ 

Su.  673  g. 

161.  Tag. 

l      N.  r.u.l.  110  g 

4       „    Lu.r.  120,, 

7       „   r.u.l.  115,, 

111/,    ,^   l.u.r.  105  „ 

3. 

IX. 

1 

71/5  V.  r.  u.  1.  160  „ 

10»/4  n    1.  n.  r.  145  „ 

Sa.  755  g. 

Ende  der  23.  Woche. 

Gewicht:   6440  g. 

162.  Tag. 

2      N.  r.u.l.  160  g 
5      „    1.  u.  r.  100  „ 
81/,  „    r.  u.  1.  130  „ 

4. 

IX 

11/5  V.  l.  u.  r.    95  ., 

71/.,,    r.u.l.  160  „ 

lOi/s  „    1.  u.  r.  125  „ 

l'/s  N. 

r.  a.  I. 

150  g 

2     N. 

r.  u.  l. 

82  g 

5       „ 

1.  a.  r. 

105  „ 

5       ., 

1.  n.  r. 

115,, 

8'/.  „ 

r.  u.  1. 

100,, 

8      „ 

r.  u.  1. 

115  „ 

11 '/4    V 

1. 

84  „ 

ll'/s  .. 

I.  u.  r. 

20  „ 

1.  VIII.  7'/-  V. 

r.  u.  1. 

200,, 

5. 

IX. 

7      V. 

r. 

146  „ 

lOVs  „ 

1.  u.  r. 

ito„ 

10'/4    „ 

1.  u.  r. 

180  „ 

Sa.  749  g.  Sa.  658  g. 


Bnergiebedürfnis  des  nat&rlich  ernährtoii  Säugliugs. 


573 


2 
5       , 

7»/4   ,. 

6.  IX.  12Vs  \ 

7       ,. 

10      „ 


7.  IX. 


164.  Tafir. 

N.  r.  u.  I.  150  g 

„   l.u.r.  120  „ 

„    r.  u.  1.  126  „ 

1.  u.r.  120  „ 

r.  u.  l.  140  „ 

1.  u.  r.  122  ., 

Sa.  778  g 


165.  Tasr. 

1  N.  r  u.l.  116  g 

4»/4  „  l.u.r.  150., 

8  ,.  r.  u.  l.  100  „ 

111/4  „  l.u.r.    75  „ 

7»/4  V.  r.  u.  1.  220  „ 

111/5  „   1.  u.  r.  165  ., 


Sa.  826  g. 


169.  Tag. 

2 

N.  1.  u.  r.  135  g 

5V4 
8 

„  r.u.I.  112  „ 
.,   l.u.r.  118  „ 

11. 

ll*/4 

IX.      7 

r.    75  „ 
V.  1.  u.  r.  140  „ 

lOVs 

„    1.  ü.  r.  150  „ 

Sa.  730  g. 

170.  Tag. 

1V>N 
7V»  „ 

ll»/4    „ 

12.  IX.  7      V 

r.u.  1.189  g 

l.u.r.l45.,(8Min.getr.) 
r.u.I.    75  „ 

l.u.r.l08„(  5 Min. getr.) 
r.u.I.  125,, 

10^/4  „ 

1.  u.r.  180,, 
Sa.  77-J  g. 

166.  Tag. 

3Vs  N.  r.  u.  L  155  g 
VU   »   li^r.  145  „ 

111/4  „  r.u.l.  115  „ 
8.  IX      71/4  V.  l.u.r.  168  „ 

11        „  r.u.I.  148  ., 


9.  IX. 


10.  IX. 


Sa.  731  g. 

167.  Tag. 

2 
5 

8 
12 

7 
10 

N.  1.  u.  r.  135  g 
„  r.  u.  1.  15?9  „ 
„    l.  u.  r.  100  „ 
„   r.  u.  l.  150  „ 

V.  l.u.r.  158  „ 
„  r.u.l.  112  ., 

Sa.  784  g. 

168.  Tag. 

1 
4 

7^4 

11V» 

8 
11 

N.  I.  u.  r.  135  g 
„   r.u.l.  109  „ 
„   1.  u.  r.  115  „ 
„    r.u.l.  110  „ 

V.  1.  u.  r.  180  „ 
V.  125  „ 

Sa.  774  g. 

£nd 

e  der  24.  Woche, 
iwicht:  6580  g. 

171.  Tag. 

11/4  N.  r.u.l.   85  g 

4       „  l.u.r.  100,, 

7      „  r.u.l.  105  „  (10  Min.  getr.) 

Ui/j  „  l.u.r.   60 „ 

18.IX.  7      V.r. u.l.  138,, 

10      „  v.u.  1.126,. 


14.  IX. 


15.  IX. 


Sa.614 

g- 

172.  Tagr. 

l'/i 

N. 

l.n.r. 

159  K 

*'lt 

>• 

r.  u.  1. 

113  „ 

7 

»» 

l.u.r. 

127  „ 

ll»/4 

« 

r.  u.  1. 

90  „ 

7'/» 

V. 

1.  u.  r. 

146  „ 

10>/, 

>» 

r.  u.  1. 

155., 

Sa. 

790  g. 

178.  Tag. 

IV. 

N. 

1.  u.  r. 

130  g 

4V. 

n 

r.  0. 1. 

118,, 

TU 

i> 

l.u.r. 

105  „ 

iiV. 

»» 

r.  n.  I, 

130,, 

8 

V. 

1.  u.  r. 

152,, 

11 

•? 

r.  u.  1. 

157  .. 

Su.  792  g. 


674  Reyher,  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrungs-  und 

174.  Tag.  179.  Tag. 

2      N.  l.n.r.  150  g  j      N.  1.  u.  r.  100  g 


5      „   r.  u.  1.    75  „ 
8      „   l.Q.r.  126 
IP/4    „  r.  Q.I.    61 


4^4  „  r.u.l.  75 
7V4  n  l.a.r.  88 
11       „   r.n.L    76 


16.  IX.      7      V.J.u.r.  160,,  ^  7^4  V.  n  u!  L  180 


10       „  r.u.l.  145 


ll»/4  „    I  u  r.  182 


^*-  '^^'^  «•  Sa.  696  g. 


176.  Tag. 


180.  Tag. 


Sa. 

626  g. 

181.  Tag. 

1 

N. 

1.  n.  r. 

100  g 

4 

» 

r.  u.  1, 

128  , 

TU 

» 

1.  u.  r. 

110, 

ll'/i 

y> 

r.  tt.  1. 

120. 

7'/« 

V. 

1.  u.  r. 

166  . 

10>/, 

I> 

r.  u.  1. 

91  , 

1      N.  l.u.r.    92  g 

4       „   r.a.l.  100  „  3V4>^.  r.u.l.  126  g 

7       „    Lu.r.  130,,  '^       -    ^«-r-  ^^  - 

12       „   r.a.l.  130,,  ^^'Z*    »   r« '^- *•  ^^  - 

17.  IX.      71/4  V.  1.  u.  r.  160  ,,  22.  IX.    Vj,  V.  1.  u.  r.  182  , 

10       „   r.u.l.  130  „  ^^V»    n  r.     85  ,  (4Mln.ttti.> 

Sa.  742  g. 
Ende  der  25.  Woche. 
Gewicht:  6545  g. 

176.  Tag. 

1      N.  l.u.r.  110  g 
4      „  r.u.l.   95 „ 

6»/4  „  l.u.r.100,,                        23.  IX 
IIV2  „  r.u.l.   80 „  

18.  IX.  VU  V.  1. u.r.  168  „  Sa.  715  g 

lOVs  „  r.u.l.  165.,  (  8Miii.getr.) 

Sa.  718  g. 

182.  Tag. 

177.  Tag.  IV2  N.  1.  u.  r.  129  g 
2  N.Lu.r.  110g  ^  »  '"•^•^-  ^3^  » 
4»/4„r.u.l.  95„(7Min.getrunk.)  7'|*  -  [' "' ^-  ^^  » 
7V,„l.o.r.lüO„  ^^'Z*    •  l-^-r-  95  , 

llV,„r.u.l.l05„  24.IX.    7V.  V.  r.  a.  1.  14a  . 

19.IX.7     V.l.u.r.l66„  1^''»    -    ^'^-^-  ^^'^  - 

10      .,  r.u.l.  110,,  Sa.  716  g. 

gj^   ggg  Ende  der  26.  Woche  Gew.  6580  g. 

178.  Tag. 
1     N.l.u.r.  115  g 
4      „  r.u.l.    75., 
7      „l.u.r.  123,, 

ll»/4„r.u.l.   84  „ 
20.  IX.  7     V.  1.  u.  r.  198  „  25.  IX. 

10      „  r.u.l.  110,,  (4Va  Min.  getr.) 
Sil.  705  g. 


188.  Tag. 

li/. 

N. 

r.  u.  1. 

120 

ß 

4'/, 

» 

1.  u.  r. 

106 

» 

Th 

9 

r.  u.  1. 

100 

g 

11-/4 

» 

l.u.r. 

85 

» 

7 

V. 

r.u.l. 

136 

» 

lOV» 

n 

1.  u.  r. 

135 

,(7V4M!n4««'-) 

Sa. 

682 

g- 

187. 

Tag. 

2V* 

N. 

r.  ü 

.1. 

128  K 

5 

9 

I.a. 

.  r. 

82  „ 

u. 

3  , 

K. 

-M. 

8 

71 

r.  a 

.1. 

83  „ 

a. 

17  „ 

K. 

IL 

n»/4 

n 

l.u. 

.  r. 

82  , 

u. 

5  » 

K. 

-M. 

7'/. 

V. 

r.  u 

J. 

152  . 

10'/. 

f» 

Ija. 

.  r. 

152  „ 

BnergiebedöriBis  den  Daturlieli  ernährten  Säaglings.  575 

184.  Tag. 

l»/4  N.  r.  u.l.  115  g  (7«/,M.getr.) 
u.     10  „  K.M.*)an- 
Terdnnnt) 
4J/^    „    1.  a.  r.  105  g 

u.      7  »  K.M. 
7^4    ,,    r.  u.  1.     95  „ 

a.      0  .  K.-M. 
(Kind  nahm  keine  Knhmilch  mehr)^^*  ^^* 

26.  IX.  12^4  V.  l.u.r.  120  g 

u.      5  ,  K.-M.  Sa.  679  u.  25  K.-M.  =  704  g. 
7»/4 '„    r.u.l.  180  ,  .gg    Tajr***>i 

10»/4    n    l.u.r.  119  ,  „        ^       ^ 

o.      9,  K.M.  IV.  N.  r.u.l.  120  g 

[Mischung**):  200  M.,  100  W.,  12  M.-Z.]  ^''»    »    ^'  ^'  ^'    ^^  *• 

S.  784  „.  31  K.-l4.  =  765g.  «''»   "   ''  ^  j;  '^  ^  ^.^ 

11  Vi    „    I.u.r.     60  „ 
186.  Tag.  80.  IX.    7      V.  r.  u.  l.  180  „ 

2       N.  l.u.r.  109  g  (r.  6Vi  Min.,  1.  4V»  Min.  getrunken) 

u.      5  «  K.-M.  10      V.  1.  u.  r.  105  g 

5       ,    r.  u.  1.     90  »  Sa.  665  u.  28  K.-M.  =  688  g. 

u.     15  „  K.M.  g-j   _ 

^^'/*   »    l.o.r.  173.  v  i^n« 

27.  IX.    7V4  V.  r.u.l.  150  „  *      ^-  "*•"*•  ^"^  " 

u.      O.K.-M.  ^V4    „    l.u.r.  108 


10       ,    1.  u.r.  155 


8       „   r.u.l.  140 


u.      0  ,  K.M.  ^'^    7V4V.r.u.  1.202,, 

Sa.  677u.20K..M.  =  697  g.  ^^       „   l.u.r.  180 


186.  Tag. 


Sa.  73dn.  0K.-M.  =  738  g. 
Ende  der  27.  Woche. 
Gewicht:  6620  g,    Körperl&nge:  70  cm. 


1       N.  r.u.l.  111  g 

5       ,    l.u.r.  125,  190.  Tag. 

u.      0  ,  K.-M.                       2  N.  r.u.l.  110  g 

7»/4    n    r.  u.  1.  100  g  5  „   1.  u.  r.  120  „ 

28.1X.  12V4  V.  l.u.r.  120  »  ^  „    r.u.l.    71  „ 

7V2    »    r.  u.  1.  155  «  «•     12  »,  K.-M. 

11        ,    l.u.r.     96  „  2.x.     7  V.  r.  u.  1.  182  „ 

u.      9  ,  K.-M.                    11  n   l.u.r.  190  g 

Sa.  707  n.  0  K.-M.  =  707  g.  Sa.  673  u.  12  K.-M.  =  685  g. 


*)  K.-M  =  Kuhmilch  aus  der  Milchkuranstalt  am  Viktoriapark. 

**)  M.  =  MiUfa,  W.  =r  Wasser,  M.-Z.  =  Milchzucker.  Die  Mischung 
bleibt  solange  dieselbe,  bis  eine  neue  Notierung  eine  Änderung  derselben 
anzeigt.  Die  Indikation  zur  Veränderung  der  Milchmischung  gab  das  Ver- 
halten des  Stuhles  ab. 

***)  An  diesem  Tage  wie  an  den  folgenden  wurde  die  Flasche  noch 
öfters  gereicht,  aber  nicht  angenommen. 


576  K^yheri  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrangs-  und 

191.  Tag.  106.  Tag. 

2      N.  r.  u.  1.  110  g  41/5  N.  r.  a.  1.  180  g 

5       „  l.u.r.  120  „ 

8V4   „  r.u.L  120  „ 

12       „  Lu.r.  34  „ 

2.  X.    7Vi  V.  r.  u.  1.  205  „ 

11       „  Lu.r.  152  „ 


7'/. 

• 

l.n.r. 

115  , 

11V« 

» 

r.  a.  1. 

101  , 

a. 

8  , 

K. 

-H. 

8. 

X.  vu 

V. 

r.Q.L 

179  , 

ll'/s 

n 

l.u.r. 

150  , 

Sa.  741  u.  0  K.M.  =  741  g.  Sa.  675  u.  8  K.-M.  ==  683  g. 

Ende  der  28.  Woche.    Gewicht:  6640  g. 

192.  Tag. 

2V»  N.  r.  u.  1.  185  g 

5Vs   „   l.u.r.  104  „  197.  Tag. 

81/.    „   r.  u.  1.    70  „  8V1  N.  r.  u.  1.  102  g 

u.    10  „  K..M.  6»/4   n  1.  u.  r.    97  „ 

(Mischung:  200  M.,  100  W.,  16  M.-Z.)  a.       14  „  K.-M. 

4.  X.    7      V.  r.  u.  1.  210  g  u»/,   ^  r.  u.  1.  142  „ 

10       „   1.  u.  r.  145  g  9.  X.  7V4  V.  1.  u.  r.  177  , 

Sa.  664  a.  10 K.-M.  =  674  g.  UV*  1.   r.  a.  1.  155  , 

Sa.  678  u.  14  K.M.  =  687  g. 


198.  Tag. 

2      N.  r.  u.  1.  132  g 

5»/4   „   l.u.r.  120,, 
10»/4   „    r.a.l.  135  „ 

198.  Tag. 

5.  X.     VU  V.  r.  u.  1.  186  „ 

2»/4N.  l.a.r.  120  g 

u.    19  „  K. 

-M. 

6     „               40  „K.-M.  (15  Min. 

IIV»   „   l.u.r.  129  „ 

r.u.l.    90«            getr.) 

Sa.  702  a.  19  K.-M.  =  721  g. 

8»/4»    In.r.    90« 

12      ,    r.u.  1.127, 

10.  X 

VU  V.  1.  u.  r.  162  „ 

194.  Tag. 

Sa.  72 

11      ,    r.u.  1.133. 

31/4  N.  r.  u.  1.  151  g 

2u.40K.-M=762g. 

VU   «   l.u.r.  100,, 

11»/*    „    r.a.l.     70  „ 

6.  X.    7»/4  V.  l.u.r.  213  „ 

ll»/4   „   r.u.l.  130,, 

199.  Tag. 

Sa.  664  u  0  K.M.  -^  664  g. 

21/s  N.               61  g  K.-M. 

195.  Tag. 

(Mischung:  300  M.,  100  W.,  15  M.-Z.) 
l.  u.  r.    85  g 

3»/4  N.  1.  u.  r.  120  g 

6     N.               39  „  K.-M. 

7»/4   „   r.u.l.  114  „ 

r.u.l.  123  „ 

u.      4  „  K. 

-M. 

9       ,    1.  u.  r.  104  , 

7.  X.  12»/.  V.  I.  u.  r.  130  „ 

ll»/4   »    r.u.l.    60  , 

78/4   „    r.u.l.  134  „ 

.  11. 

X.  VU  V.  1.  u.  r.  193  , 

12V.    .    l.«.r.  197  „ 

IOV4    .    r.u.l.  117  „ 

Sa.  695  u  4  K.-M.  =  699  g.  Sa.  682  g  n.  100  K.M.  =  782  g. 


EnergiebedCirfiiis  des  nat&rlich  ern&hrteo  Sfiugliogs.  577 

200.  Tag.  204.  Tag. 

VIa  N.  38  g  K..M.  Vh  N.  86  g  K.-IL 

l.u.r.  117  ,  l.u.r.    85  „ 

4»/4   „  26  «  K.-M.  4»/4  „   r.u.l.  110  „ 

(Misohang:   300  M.,  100  W.,  20  ll-Z.)  8      „  80  „  K.-M. 

r.  a.  1.  100  g  (MischoDg:  400  reioe  Milch  a.  15  g  M.Z.) 

8     N.  28  ,  K.-M.  ll'AN.  r.  o.  1.  18.^  g 

l.  u.  r.  100  „  16.  X.  7Vj  V.  1.  q.  r.  195  „ 

ll»/4   «    r.tt.l.  114  ^  10»/4   „  r.u.l.  132 


12.  X.  7V4  V.  1.  u.  r.  190  „  Sa.  657  u.  166  K.-M.  =  822  g 

101/,    ^    r.u.l.  150  , 

Sa.  771a.  92K.-M  =  86dg. 


201.  Tag. 


206.  Tag. 

2     N.  50  g  K.-M. 

1.  u.  r.    81  „ 
5Vj  „   r.  u.  1.    55  „ 
2     N.  18gK..M.  u.        15„K.-M. 

r.n-1.  i02  „  9       ,,   l.u.r.  120  „ 

5V>   n  72  ,  K.-M.  17.  X.  21/4  V.  r.  u.  1.  100  „ 

1-  »•  r.    75  „  71/,   ^   i  u.  r.  130  „ 

8>/,  „    r.  u.  1.    97  ,  101/,   „  80  „  K.-M. 

ll»/4   .    l.u.r.  100  „  r.  u.  1.     60  ., 

13.  X.  71/4  V.  r.  u.  I.  198  ,  g^   ^g  ^  j^^  j^  .^^  _  ggj 

10»/4    ,    I.  n.  r.  100  „  ^ 

Sa.  672  u.  90  K.-M.  =  762  g.  ^^^'  '^^ 


1-/4  IN.      30  g  K.-M. 
r.  u.  1.  60  , 

l»/4  N.       47  g  K..M.  ,  ^  ^  70  ^ 

^,;    ^•"•!:-^;i"  71/=  .l.a.r.  80. 

4»/4  „  r.u.l.  94  „  ^^3^  j^,^ 

7»/4  „       80  „  K.-M.   (Mischung:  450  M.,  150  W.,  15  M.-Z.) 

l.u.r.  40  „  ^gx.  12V,  V.r.u.l.  »0  g 

1/   «V  r.  u.  1.  00  ,, 


202.  Tag. 


14.  X.  7   V.  l.  u.  r.  200 
10   „  r.  u.  1.  125 


7   ,  1.  u.  r.  175 
IOV4  »      100  ,  K.-M. 
I.  n.  r.  58 


Sa.  661  u.  127  K.-M.  =  788  g.  ga.  523  u.  227  K.-M.  =  750  g. 

208.  Tag.  207.  Tag. 

IN.                55  g  K..M.  l»/4  N.               60  j;  K.-M. 

1.  u.  r.    90  „  1.  u.  r.    70  „ 

41/4  „    r.  u.  1.    90  „  4»/4    ,                90  „ 

Vj,  „                92  „  K.-M.  VI,   „              125  ,  K.-M. 

1.  u.  r.    58  .,  r.    35  , 

11       „   r.  u.  1.    75  „  19.  X.  I2V4  V.  1.  u.  r.  150  „ 

17.  X.  7      V.  1.  u.  r.  190  „  7^,    „  r.  u.  1.  168  « 

IOVj  „    r.u.l.  132  „  IOV4    ,              108  ,  K.-M. 
u.        10  ..  K.-M.      (Mischung:  450  M.,   150  W.,  iiO  M.-Z.) 

Sa.  635  u.  147  K.M.  =  782  g.  1-  "•  r-    70  g 
Ende  der  29.  Woche.  Gewicht:  6800  g.  Sa.  493  u.  383  K.M.  =  876  g. 


678  Key  her,  Beitrag  Eiir  Frage  nach  dem  Nafamngs-  und 

208.  Tag.  212.  Tag. 

1^4  N.              64gK..M.  2V4N.              9ögK..M. 

4       ^                68  ,  K.-M.  (Mischung:  450  M.,   150  W.,  25  M.  Z.> 

r.  u.  l.  110  ,  r.    75  g 

(r.  3  Min.,  I.  11/4  Min.  getrunken)  51/^    ^               uq  ,  K.M. 

VI,  N.              95  g  K..M.  8V2   .  r.  u.  I.  185  . 

12       «  1.  u.  r.  170  ^  12       .,               94  ,  K.-M. 

20.x.     7V2  V.  r.  ü.  1.  172  „  24.  X.    71/4  V.  1.  a.  1.  150  . 

^1       »              125  ,  K.-M.  101/,    ,              107  ,  K..M. 

>■  M'  r.    58  ,  r.    88  , 

Sa.  505  u.  852  K.-M  =  857  g.  Sa.  448  u.  406  K.-M.  ==849  g. 

209.  Tag. 
2      N.              46  g  K..M.  218.  Tag. 

IV4  N.  75  g  K.-M. 

8                       120      K  M  ^-  °-  '•  ^^  ' 

I             S  "  ^       -               ^^^  -  K..M. 

J.  u.  r.    80  ,  g                    •  jg^      1^  jj 

(beiderseits  je  2  Min.  getrankeu)  .0       "               110  " 

IIV4  N.  r.  a.  1  107  g  5»;  Y     7      v  l  „  r"i^ß  ' 

21.  A.     7       V.  i.  u.  r.  181  - 


r.  tt.  1.    80 
5       «  90  ,  K.-M. 


10       ,  90  „  K.-M. 

r.  n.  1.    56  , 
Sa.  504  u.  346  K.-M  =  850  g. 


10       »  115  «  K.-M. 

r.  tt.  1.    85  . 
Sa.  451  u.  430  K.-M.  =  881  g. 


210.  Tag.  214.  Tag. 

IV4  N.  42  g  K..M.  ,       N  1  u  r    75  L^ 

(Mischung:  600  reine  Milch  u.  20  M.-Z.)  ^ 

l.  u.  r.    81  g 
4V4  N.  94  ,  K.-M. 

1       „  55  «  K..M. 

r.  u.  1.    98  „ 

12       ,  1.  u.  r.    75  « 

22.  X.    Vli  V.  r.  u.  1.  176  , 

101/4    „  107  „  K.-M. 

1.  u.  r.    80  , 

Sa.  455  u.  298  K.-M.  =  753  g. 
Ende  der  30.  Woche  Gewicht:  6905  g. 

211.  Tag. 

l»/4  N.             117  g  K.-M.  IV4N.             80  g  K.-M. 

r.  u.  1.    43  „  r.u.I.    29  „ 

5       „              150  ,  K.-M.  4>/4  „            120„K..M. 

8       ,               85,  K.-M.  8'/.,,            150„K..M. 

1.  u.r.    44  „  27.X.  IV4V.  I.u.r.l33„ 

12       „  r.  u  1.  145  „  71/4  „  r.u.  1.130,, 

28.  X.    8      V.  1.  u.  r.  180  ,  IOV4  „             148  „  K.-M. 

11       „               125  .  J'»''.    60  „ 

Sa.  412  u.  477  K.-M.  =  880  g.  Sa.852u.498K.-M.=850  g. 


u. 

55  „ 

K. 

-M. 

4 

» 

100  , 

K. 

-M. 

Vh 

» 

r.  u.  1. 

101  n 
73  , 

K. 

-M. 

12 

1» 

1.  u.  r. 

86  „ 

26.x. 

7 

V. 

r.  u.  1. 

130  , 

IOV4 

n 

l.  n.  r. 

96  , 
70  . 

K. 

-M. 

Sa.  434 

n.  352  K 

..M.= 

786  g 

215 

.  Tag. 

Energiebedürfnis  des  natArlich  ero&lirten  S&agliDgs.  679 


216.  Tag. 

220.  Tag. 

p/s  N.              50gK.-M. 

IV2 

N.              90  g  K.-M. 

r.u.l.   54  „ 

r.a.l.   70  „ 

4»/,   „             120„K..M. 

4V. 

189„K..M. 

7»/4   „             132  „  K.-M. 

8 

150  „  K.-M. 

12     .„  I.u.r.l45„ 

12 

„  1.  a.  r,  140  „ 

71/4  V.  r.  u.  1.  125  „ 

1.  XL 

,    7 

V.  r.  u.  1. 180  „ 

10      „  l.u.r.    90  „ 

10 

70  „K.M. 

u.       70 .,  K.-M. 

l.u.r.   45  „ 

28.  X. 


Sa.  414  n.372  K.-M.=:786  g.  Sa.  435  u.  440K.-M.=875  g. 


217.  Tag. 

221.  Tag. 

P/4  N.              79  g  K.-M. 

IN.             70  g  K.-M. 

r.u.l.   5U 

r.u.l.   70  „ 

4»/4    „              118  „  ICM. 

4       „             151  „  K.-M. 

81/4  „           no„K..M. 

71/4   „             108  „  K.-M. 

IIV3   „  l.u.r.l30„ 

ll»/4   „  l.u.r.  122,, 

29.  X.   7      V.  r.  0. 1.  165  „ 

2.  XI. 

71/4  V.  r.  u.  1. 160  „ 

10       „  l.  u.  r.    75  „ 

IOV4   „             165,,  K.-M. 

Sa.  421a.  807  K.-M.=:  728  g. 

1.  u.r.   50  „ 

Snde  der  31.  Woche:  Gewicht  6960  g. 

Sa.  402  u.  494  K.-M. =896  g. 

218.  Tag. 

222.  Tag. 

12»i4  N.              50  g  K..M. 

2      N.            120  g  K.-M. 

(MiechuDg:    600  M.,  200  W,  30  M.-Z.) 

r.u.l.   50  „ 

r.  n.  1.    65  g 

5       „             113,,  K.-M. 

3»/4  N.             100  „  K.-M. 

8       „             147  „  K.-M. 

6V3   „             131  „  K.-M. 

111/4    „  1.  u.r.  140,, 

12       „  1.  u.  r.  152  „ 

3.  XI. 

71/4  V.  r.  u.  1. 189  „ 

30.  X.   7V3  V.  r.  u.  1. 130  „ 

IOV4    „             138  „  K.-M. 

lOV/s   „             170  .,  K.-M. 

Sa.379Ti.518K..M.=897g. 

Sa.847u.451K.-M.=798g. 

228.  Tag. 

219.  Tag. 

IN.            100  g  K.-M. 

IV4  N.l.  u.r.  110  g 

l.u.r.   80  „ 

4Vs   „              144  „  K.-M. 

8»/4   „             100  „  K.-M. 

8       „              100  „  K..M. 

7       „             140„K..M. 

12       „  l.a.r.l50„ 

11       „   r.u.l.  101,, 

31.  X.   71/2  V.  r.  u.  1.  154  „ 

4.  XI. 

7      V.  1.  u.  r.  166  „ 

W],  „             114,,  K.-M. 

10       „              115,,  K.-M. 

1.  u.  r.    59  „ 

r.  50  „ 

Sa.  478  n.  358 K.-M.  =  881  g.  Sa.  397  u.  455 K.-M- =852  g. 


680 


Reyher,  Beitrag  zar  Frage  nach  dem  Nahrangs-  und 


224.  Tag. 

IN.  120  g  K..M. 

4V4   „  110,,  K.-l£. 

1.  u.  r.   90  „ 
Vit   „  70  „  K.-M. 

ö.XL  121/4  V.  r.u.  1.120,. 
7       „  I.a.r.l45« 


10 


104  „  K..IL 


r.u.l.   43, 


Sa.  398  u.  404K.-M.=802  g. 

Ende  der  32.  Woche:  Gewicht  7060  g. 


226.  Tag. 

IV4N.  107  g  K.-M. 

l.  n.r.    55., 
41/.  n  141)  .  K..M. 

VI,  ,  185  ,  K.-M. 

ll»/4  ,  r.u.l.    75« 
6.  XI.  7»/4V.  1.  a.r.  150» 

11      .  123,  K.M. 

r.q.l.    47, 
Sa.  327  a.  560  K.-K.  =  887  g. 


228.  Tag. 

IN.  76  g  K.-Ii. 

r.  a.l.   54, 
4      ,  117  ,  K.M. 

7»/4  ,  145  ,  K.-M. 

IP/4  ,  l.a.r.l35, 
9. XL  7     V.  r.u.  1.125, 

IOV4  n  145  ,  K.-M. 

Sa.314a.483K.-M.=797  g. 

229.  Tag. 
IV4N.  90  g  K.-M. 

1.  u.  r.   40  , 
4V,  »  166  ,  K.-M. 

7»/4  ,  105  ,  K.-M. 

ll»/4  .,  r.  tt.  1. 120  , 
10.  XL  7     V.  l.  n.  r.  131  , 

IOV4  .  148  ,  K.-M. 

Sa.291a.509K.-M.=:800  g. 

230.  Tag. 

1*/«  N.  156  g  K.-M. 

4»/4  ,  223  ,  K.-M. 

8V4  n  116  ,  K.-M. 

ll»/4  «  r.u.Ll38, 
n.XL  7     V.l.u.r.  140, 
10      ,  180  , 


226.  Tag. 

2     N.  125  g  K.-M. 

*  51/4  »  142  .  K.-M. 

8      ,  150 ,  K.-M. 

12       .  L  u.  r.  106  , 
7.  XL  71/4  V.  r.  u.  L  140  , 

IOV4  »  134  ,  K.-M. 

Lu.r.    66  „ 
Sa.312u.551K.-M.  =  868g. 


Sa.  2780.675  K.-M.=953g. 
281.  Tag. 
2     N.  200  g  K.-M. 

41/.  „  180  ,  K.-M. 

6\',  ,  20  ,  K.-M. 

10      ,  10 ,  K.-M. 

ll»/4  ,  La.r.  155. 
12.  XL  7     V.r.  U.LI  10. 

10^4  n  110  ,  K.-M. 


Sa.  265  a.  520  K.-M. = 785  g. 

Ende  der  33.  Woche. 

227.  Tag. 

Gewicht  7135  g. 

1     N.            114  g  K.-M. 

282.  Tag. 

r.u.L   37, 

IN.            160  g  K..M. 

4^4  n             n8,K.-M. 

(Mischung:   750  M.,  250  W.,  35  M.-Z.) 

6»/4  ,             185  ,  K..M. 

4     N.            240gK.-M. 

111/4  ,  Lu.r.  124, 

7»/4  ,             175  ,  K.M. 

8.  XL  7      V.  r.  u.  1. 130  , 

111/,  ^  i.u.r.   80, 

10       ,              152  ,  K.-M. 

13.  XL  7i/,V.r.u.  1.    90, 

Lo.r.    10, 

lOV,  ,              190  , 

Sa.  301a.  519  K.-M. =820  g. 


Sa.l70a.765K.-M.=935g. 


Energiebedürfnis  des  natürlich  ernährten  S&nglings.  581 

288.  Tag.  288.  Tag. 

2»/4N.  185gK.-M.  1     N.  160gK.-M. 

6V>  »  200 ,  K.-M.  4      „  195  „  K.-M. 

14.  XL  1  Vj  V.  1.  u.  r.  100  ,  VU  „  130  „  K.-M. 

Vit  ,  r.^.l.  118  ,  111/^  ^^  l.u.r.  100  „ 

^^1*  »   195  ,  K.-M.  jg^j   ^     V.  r.u.l.    90  „ 

Sa.218u.580K.-M.=798g.  u.   50„K.-M. 

10      „  105  „  K.-M. 

284.  Tag.  Sa.  190 a.640 K.-M.  =  830  g. 

IV2N.  125  g  K.-M.  Ende  der  34.  Woche:  Gewicht  7240  g. 

4V2  „  220  ,  K.-M. 

8      „  120  „  K..M.  289.  Tag. 

ll»/4  .  l.u.r.   90  „ 

15.  XI.  7      V.  r.  u.  1.   95  . 

u    50  „  K.-M. 
10      „  1.S3  .  K.-M. 

Sa.  185  a.  668  K.-M.  =  853  g. 

285.  Tag. 

IV2N.  170g  K.M. 

4V2  »  180  „  K.M. 

8      ,  135  „  K.-M. 

12      ^  l.  u.r.  105  „ 
16. XI.  7VjV.  r.u.l.  110, 

IOV2  ,  225  ,  K.-M.(6Mln.gfr.) 

Sa.215u.710K.-M.  =  925g. 

286.  Tag. 

1^2  N.  210  g  K.-M. 

4"3„  215  „K.-M. 

7^'4  „  195  „  K.-M.(5Mln.gtr.) 

IP/4  „  l.u.r.    80 „ 
17.  XI.  7     V.r.u.  1.115,, 

u.    17„K.-M. 
10      „  219„K.-M. 


Sa.l95 

U856K. 

-M. 

,= 

1051  g 

287. 

Tag. 

1 

N. 

145  g 

K. 

-M. 

4 

?» 

215  „ 

K. 

-M. 

7»/4 

5' 

182,, 

K. 

-M. 

ll»/4 

»» 

1. 

80  „ 

18.  XI 

.  7 

V. 

r.u.l. 

.110,, 

u. 

.    30,. 

K. 

M. 

10 

»» 

185., 

JC. 

-M. 

IV. 

N. 

130  gK. 

M. 

4V. 

^» 

220  „K. 

-M. 

8 

« 

190  „K. 

-M. 

ll»/4 

»♦ 

l.u.r. 

.    60„ 

20.  XI 

.  8 

V. 

r.u.l. 

90  „ 

u. 

20  „K. 

-M. 

10«/4 

»» 

240„K. 

-M.(6BlIn.gtr.) 

Sa.l50 

U.800K. 

-mT^ 

:950  g. 

240. 

Tag. 

2V2 

N. 

124  gK. 

-M. 

5V. 

»» 

185  „K. 

M. 

) 

8V. 

»1 

120  „K. 

-M. 

ll»/4 

i< 

105  „K. 

-M. 

21.  XL 

.7^4 

V. 

l.u.r. 

135., 

10 

M 

215  „K. 

-M. 

Sa.  135 

U.749K. 

-M.=: 

=884  g. 

241. 

Tag. 

) 

1 

N. 

125  g  K. 

-M. 

4 

»» 

237  „K. 

-M. 

8V4 

>» 

225  „K. 

-M. 

iiV» 

>i 

r.u.l 

.    70  „ 

22.  XI 

.71/4 

V. 

l.u.r, 

.  100,, 

10 

»» 

220  „K. 

-M. 

Sa.  170 

U.807K. 

^uZ 

=  977  g. 

242. 

Tag. 

1 

N. 

140  g  K. 

M. 

4 

»1 

210  „K. 

-M. 

8 

n 

180  „K. 

-M. 

23.  XI 

.  7 

V. 

r.u.l 

.in„ 

u, 

.    55,.K. 

-M. 

10 

>i 

210  „K. 

-M. 

Sa.l90u.757K.-M.  =  947  g.  Sa.ll7u.795K.-M.=9r2  g. 


682 


Reyher,  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrangs-  and 


248.  Tag. 
1     N.  174  g  K.-M. 

4V,  „  190„K.-M. 

7V,  „  215 „K.-M. 

24.  XI.  TViV.  r.a.l.    85  „ 

a.    65„K..M. 
101/4  „  260,.  K.-M. 

Sa.85a.904K..M.»989g. 

244.  Tag. 

21/4  N.  180  g  K.-M. 

5      „  220  „K.-M. 

8V4,,  187  „K.-M. 

25.  XI.  6V4V.  r.u.L    90  „ 

a.  100„K.-M. 
10      „  243 ,,  K,-M. 

Sa.100a.880  K..M.=:::980  g. 

246.  Tag. 

IVjN.  165gK..M. 

4Vs  „  285„K.-M.(6»/4Min. 

7»/4„  226„K..M.    [getr.) 

26.  XL  7     V.r.u.  1.116,, 


IOV4  „ 


u.  109  „  K.-M. 
197  „  K.-M. 


Sa.ll6a.981K.-M.=:1047g. 

Ende  der  35.  Woche:  Gewicht  7415  g. 

246.  Tag. 

IN.  160  g  K.M. 

4      ,  179  „  K.-M. 

6V1  „  160  „  K.-M. 

27.  XI.  1      V.  1.  u.  r.    17  „ 

71/4   „r.tt.l.    70  „ 

a.l05„K.-M. 
IOV2   „  224„K.-M. 

Sa.87a.828K.-M.=r9l5g. 

247.  Tag. 

IVsN.  170gK.-M. 

(Mischang  =  1000  200  M.,  W.,  25  M.-Z.) 

4»/4N.  130  g  K.-M. 

7»/4  „  250 „K.-M. 

28.  XI.  VU  V.  r.  u.  1.   93  „ 

a.  100  „  K.-M. 
IOV4  „  222„K.-M. 

Sa.9da.872K.-M.==:965g. 


248.  Tag. 

1^4  N.  86  g  K.-M. 

4V4„  258„K..M. 

(Mischang:  1000  M.  200  W.,  30  M.-Z.) 

8     N.  200  g  K.-M. 

29.  XI.  7     V.  r.  u.  l.   85  „ 

a.  180  „  K.-M. 
10       „  171  „K.M. 

Sa.  85  0.840  K.-M.  ===  925  g. 

249.  Tag. 

IV4N.  154gK.-M. 

4V2„  205„K.-M. 

7»/4  „  195,.K.-M. 

30.  XI.  7     V.  r.  a.  l.   68  „ 

u.  150  „  K.-M. 
IOV4  „  195  „K.-M. 


Sa.68a.899K.-M.  =  967g. 

260.  Tag. 

IV,  N.  100  g  K.-M. 

4V>  „  240  „  K.-M. 

7»/4  „  200  „  K.-M. 

(Mischung:  1000  M.,  200  W.,  25  M.-Z.) 

ll»/4  N.  10  g 

a.  205  „K.M. 
1.XII.8     V.r.u.l.   50  „ 

u.  158  „  K.-M. 
111/4  „  200  „K.-M. 

Sa.50a.ll03K.-M.  =  1153  g. 

261  Tag. 

31/,  N.  205  g  K.-M. 

71/,  „  175„K..M. 

2.  XII.  7     V.r.a.l.    60  „  K.-M. 

u.  205  „K.-M. 

101/4  n  170  „K.-M. 

Sa.60a.755K.-M.=  8l5g. 

262.  Tag. 

11/,  N.  205  g  K.-M. 

41/,  „  200  „  K..M. 

81/,  „  150  „K.-M. 

3.X1I.  7     V.  r.u.L    10  „ 

o.200„K.-M. 
101/4  „  195„K.-M. 

Sa.l0a.935K.-M.=^945g. 

Ende  der  36.  Woche. 
Gewicht:  7480  g. 


Eoergiebedürfnis  des  oatärlioh  ernährten  Säuglings.  588 

258.  Tag. 

11/4  N.  160  g  K.-M. 

41/4  „  245  „  K.-M. 

7      „  180„K.-M. 

4.XII.  11/,  V.  200„K.-M. 

7»/4  „r.u.L    35  „ 

a.l65„K.-M. 
IIV4  „  180  „  K.-M. 

Sa.35n.ll80K.-M.=1165  g. 

264.  Tag. 

2^4  N.  85  g  K.-M. 

3Vi  „  147  „  K..M. 

1  )9  loO  I,  K.-M» 
5.  XII.  12»/,  V.  168,,  K.-M. 

7^4   „  r.u,l.   40  „ 

u.     105  „  K..M. 
10»/4   „  195  „  K.-M. 

Sa.  40  n.  925  K.-M.  ==:  965  g. 

265.  Tag. 

2  N.  160  g  K.-M. 
(Mischung:  1000  M.,  200  W.,  80  M.-Z.)  Sa.  1072  g  K.-M. 

4»/4   N.  220  g  K..M.  261.  Tag. 

8»/4   „  145  „  K..M.  2      N.    120  g  K..M. 

6.X1L  7      V.  r.  u.  I.   24  „  4V4    „      123  „  K.-M. 

u.     180  „  K.-M.  71/,   „     205  „  K.-M. 

IOV4   „  145  „  K.-M.  12.  XII.     7      V.    200  „  K.-M. 

Sa.  24  u.  860  K.-M.  =  874  g.  10»/4     ,,      195  „  K.M. 

Sa.  848  g  K.-M. 
256.  Tag.  262.  Tag. 

IVj  N.  175  g  K.-M. 
4  „  205  „  K.-M. 
6V3   „      130  „  K.-M. 

7.  XII.    7  '    V.     215  ,.  K.-M.  ^^'/»   »      ^^^  »  ^^•"^• 

13.  XII.     71/,  V.    210  „  K.M. 

10^/4   „      160  „  K.-M. 
Sa.  1073  g  K.-M. 

268.  Tag. 

1  N.  90  g  K.-M. 

4V2  „  250  .,  K,-M. 

7Vs  V  175  „  K.-M. 

14.  XII.     1  V.  230  „  K.M. 

8.  Xll.     7      V.     260  „  K.-M.                               7»/4  ,.  205  „  K.M. 

IOV2  «  200  .,  K.-M. 


268.  Tagr. 

2*U  N.    218  g 

K.-M. 

&'/,   „     250  „ 

K.-M. 

9       „     230,, 

K.-M. 

9.  XII. 

TU  V.    240  ,. 

K.-M. 

10>/4   „      197  ., 

K.-M. 

Sa.  1135  g 

K.M. 

259.  Tug. 

l>/>  N.    125  g 

K.-M. 

4'/.    „     255  „ 

K.-M. 

6'/j   „     210  „ 

K.-M. 

12       „      190  „ 

K.-M. 

10.  XII. 

VU  V.    222  „ 

K.M. 

10»/4   „     206  „ 

K.-M. 

Sa.  1207  g 

K.-M. 

End«  der  87.  Woche:   Gewicht  757Ö  g. 

260  Tag. 

iV4  N.     135  g 

K.-M. 

4'/,   .,     240  „ 

K.-M. 

8»/«  „     192  „ 

K.-M. 

11.  XII, 

12'/«  V.      65  „ 

K.-M. 

7'/4  „     245  „ 

K.-M. 

10'/,  „     195  „ 

K.-M. 

1'/.  N. 

100  g  K.-M. 

4'/4    « 

150  „  K.-M, 

T/.   » 

125  „  K.M. 

7      V. 

215  „  K.-M. 

10'/ijj_ 

166  „  K.-M. 

Sa. 

7469  g  K.-M. 

267.  TaflT- 

1'/,  N. 

188  g  K.M. 

4V4    „ 

180  „  K.-M. 

8       ., 

216  „  K.-M. 

7      V. 

260  „  K.-M. 

10'/«  „ 

220  „  K.M. 

Sa. 

1013  g  K.M. 

Sa.  1150  g  K.-M. 


584  Key  her,  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrongs-  and 


264.  Tag. 

267.  Taer. 

2      N.     135  g 

K.-M. 

2      N.    155  g 

K.-M. 

4»/4   „      210  „ 

K.-M. 

5       „     245  „ 

K-M. 

8V4   »      195  „ 

K..M. 

81/,   „      180  „ 

K.-M. 

15. 

XII. 

7V4  V.    240  „ 

K.-M. 

18.  XII. 

VI,  V.    215  ., 

K.-M. 

10^4   „     205  „ 

K.-M. 

10«/4   „     210  „ 

K.M. 

Sa.  985  g 

K.M. 

Sa.  1005  g 

K.-M. 

265.  Tag. 

IV2  N.      90  g 
3V2   „      175  „ 

K.-M. 

K.-M. 

268.  Tag. 

l»/4  N.     110  g 
4»/4   „      125  „ 
8       „      205  „ 

K.-M. 

IIV2   „      205  „ 

K-M. 
K.-M. 

K.-M. 
K.-M. 

16. 

XII. 

Vh\.    240  „ 

K.-M. 

12       „     210  „ 

K-M. 

IOV2   „      130  „ 

K.-M. 

19.  XII. 

7      V.     170  „ 

K..M. 

Sa.  1067  g 

K.-M. 

101/2   „      200,, 

K..M. 

266.  Tasr. 

Sa.  1020  e 

K.-M. 

l»/4  N.    100  g 

K.-M. 

Gewicht  am  Ende  der  39.  Woche 

4»/4   „      240  ,. 

K.M. 

7675  g. 

8V4   „      170  „ 

K.-M. 

17. 

XII. 

7^4  V.    220  „ 

K.-M. 

Gewicht  am  Ende  der  40.  Woche 

IOV4    „      175  „ 

K.-M. 

7815  g. 

Sa.  905  g 

K.-M. 

Ende  der  38.  Woche:  Gewicht  7630 

g« 

Körperlänge  72 

cm. 

Wenn  wir  diese  Zahlen,  welche  uns  ein  Bild  von  der  täg- 
lichen Nahrungszufuhr  geben,  betrachten  —  am  besten  orientiert  man 
sich  hierüber  in  der  beigefügten  Kurve  1  (S.  586)  —  und  im  grossen 
mit  den  Zahlen  der  sich  bisher  mit  dieser  Frage  beschäftigenden 
Arbeiten  vergleichen,  so  finden  wir,  dass  die  täglichen  Nahrungs- 
quantitäten, abgesehen  von  den  ersten  Wochen,  an  Höhe  ziemlich 
beträchtlich  zurückstehen  hinter  denen  der  meisten  Autoren. 
Nur  an  der  Breslauer  Kinderklinik  ist  ein  ähnlicher  Fall  von 
Czerny  und  Keller')  bei  dem  Kinde  Machill  beobachtet  worden. 
Würde  man  nun  in  unserem  Falle  aus  den  Zahlen  der  täglichen 
Nahrungsmengen,  wie  es  alle  Autoren  bisher  getan  haben,  unter 
Benutzung  des  bis  jetzt  angenommenen  durchschnittlichen  Kalorien- 
wertes der  Frauenmilch  von  650  pro  Liter  den  Energiequotienten 
berechnet  haben,  so  würde  sich  dieser  bedenklich  oft  dem  Werte 
des  Energiequotienten  genähert  haben,  der  nach  Heubner*)  mit 


^)  Des     Kindes     Ernährang,    Ernährangsstorungen    nnd    Ernährangi- 
therapie,  III.  u.  IV.  Abt.    Leipzig  u.  Wien  1902. 

*)  Zeitschr.  f.  Diät,  und  physik.  Therapie  1901. 


Energiebedürfnis  des  natürlich  ernährteD  Säuglings.  585 

einer  Höhe  von  70  Kalorien  pro  kg  Körpergewicht  gerade  einer 
Erhaltungsdiät  entspricht. 

Da  aber  auch  bei  diesen  geringen  Quantitäten  der  zu- 
geführten Nahrung  eine  relativ  gute  Körpergewichtszunahme  er- 
zielt wurde  —  wie  ich  schon  betont  habe,  ist  hier  bei  der  Be- 
urteilung der  Energiebilanz  in  Anbetracht  der  ausserordentlichen 
Lebhaftigkeit  des  Kindes  in  der  Gleichung  n  =  e  -f- 1  4~  ^  ^^^*  ^ 
ein  ziemlich  hoher  Wert  einzusetzen,  sodass  naturgemäiss  a  etwas 
niedriger  ausfallen  muss  (im  Durchschnitt  pro  Tag  bis  zum 
26.  Lebenstage  gerechnet  16,3  g,  und  zwar  im  1.  Vierteljahr 
pro  Tag  23,6  g,  im  2.  Vierteljahr  täglich  12,0  g  und  im  3.  Viertel- 
jahr 13,1  g  pro  Tag)  — ,  so  konnte  man  annehmen,  dass  viel- 
leicht durch  eine  besonders  konzentrierte  Nahrung  und  als  Folge 
davon  durch  einen  verhältnismässig  hohen  Kalorienwert  der 
Muttermilch  dieses  Verhalten  sich  erklären  Hesse.  Ich  habe  da- 
her an  verschiedenen  Tagen  der  Stillperiode  einige  quantitative 
Bestimmungen  der  Hauptbestandteile  der  Muttermilch  und  einige 
direkte  kalorimetrische  Untersuchungen  mittelst  der  Berthelot- 
Mahlerschen  Bombe  vorgenommen.  Die  Mehrzahl  der  chemischen 
Analysen  und  die  Bestimmungen  des  Kalorienwertes  der  Milch 
habe  ich  im  hygienischen  Institut  der  Universität  zu  Berlin  aus- 
geführt, nur  wenige  der  ersteren  im  chemischen  Laboratorium 
der  Kinderklinik  der  königl.  Charit^.  An  dieser  Stelle  möchte 
ich  gleich  Herrn  Geheimrat  Prof.  Dr.  Rubner,  sowie  den 
Herren  Dr.  Kuhtz  und  Dr.  Peters  für  die  gütige  Unterweisung 
meinen  verbindlichsten  Dank  aussprechen.  Leider  setzten  diese 
Untersuchungen  erst  am  115.  Lebenstage  des  Säuglings  ein,  da 
ich  im  Verlaufe  der  Nahrun gsmen gen bestimmungen  erst  durch 
meinen  hochverehrten  Chef,  Herrn  Geheimrat  Heubner,  darauf 
hingelenkt  wurde.  Ich  will  hier  gleich  bemerken,  dass  ich  einer 
Entgegenhaltung,  die  mir  vielleicht  gemacht  werden  könnte,  dass 
nämlich  derartige,  nur  gelegentlich  ausgeführte  Untersuchungen 
keinen  Kückschluss  auf  andere  dazwischen  liegende  Tage  ge- 
statten, erst  nach  der  Mitteilung  meiner  diesbezüglichen  Befunde 
Rede  stehen  werde. 

Was  die  Methodik  der  chemischen  Analysen  und  der 
kalorimetrischen  Bestimmungen  der  Frauenmilch  anbelangt,  so  sei 
zunächst  über  die  Art  der  Gewinnung  des  Untersuchungsmaterials 
kurz  folgendes  gesagt: 

Wie  ich  in  einer  Arbeit  über  den  Fettgehalt  der  Frauen- 
milch,   welche    wohl    ungefähr  zur    gleichen    Zeit    wie    die    vor- 

Jfthrbnch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.  Heft  4.  3g 


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Reyher,  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrungs-  etc. 


587 


liegende  veröffentlicht  werden  wird,  ausführlich  auseinandergesetzt 
habe,    ist  es   unbedingtes  Erfordernis  für  die  Erlangung 

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«inwandsfreier      Resultate,      bei     Untersuchungen     von 
Fraiienmilch    mit    Rucksicht    auf    die    Fettabsonderung 

38* 


588  Reyher,  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrangs-  und 

innerhalb  24  Stunden  bei  jeder  einzelnen  Mahlzeit  vor 
und  nach  dem  Anlegen  des  Kindes  jedesmal  genau  die 
gleiche  Menge  Milch  aus  der  Brustdruse  zu  entnehmen, 
die  Einzelportionen  zu  mischen  und  diese  Mischmilcb 
als  der  wirklichen  Zusammensetzung  der  getrunkenen 
Tagesmenge  entsprechend  zu  betrachten.  Gemäss  dieser 
Forderung  habe  ich  durch  Mischung  solcher  Einzelproben  während 
24  Stunden  eine  der  wirklichen  Zusammensetzung  der  Milch  des 
betreffenden  Tages  entsprechende  Tagesmischmilch,  bei  der  ersten 
Untersuchung  eine  solche  durch  Sammlung  während  48  Stunden, 
hergestellt  und  sowohl  zur  Untersuchung  auf  ihre  chemische  Zu- 
sammensetzung wie  auch  auf  ihren  Brennwert  verwendet.  Die 
Einzelproben  wurden,  bis  die  Mischmilch  fertig  war,  auf  Eis  — 
die  Untersuchungen  wurden  im  Hochsommer  angestellt  —  aufbe- 
wahrt und  dann  sofort  verarbeitet.  Es  trat  so  niemals  eine  Ver- 
derbnis der  Milch  ein. 

Die  Eiweissbestimmungen  wurden  durch  Multiplikation  der 
nach  Kjeldahl  gefundenen  N- Werte  mit  6,25  und  zwar  zur 
Kontrolle  doppelt  ausgeführt.  Der  pro^ntualische  Fettgehalt 
wurde  durch  Extraktion  mittelst  d^^s  Soxhletschen  Äther- 
extraktionsapparates aus  grösseren  Mengen  von*  Trockensubstanz 
(von  20  bezw.  25  ccm  Milch)  ermittelt.  Den  Zucker  habe  ich 
durch  Berechnung  bestimmt,  nämlich  durch  Subtraktion  von  £i- 
weiss,  Fett  und  0,20  pCt.  für  Asche  von  der  Menge  der  Trocken- 
substanz. 

Zwecks  Ermittelung  des  Kaloriengehaltes  der  Milch  habe 
ich  aus  Trockensubstanz  Tabletten  gepresst,  gewogen  und  in  der 
bekannten  Weise  in  der  Berthelot-Mahlerschen  Bombe  ver- 
brannt. 

Es  mögen  nun  die  Ergebnisse  meiner  Untersuchungen  folgen: 

(Siehe  die  Tabelle  auf  S.  589.) 

Wie  man  sieht,  ist  zu  verschiedenen  Zeiten  der  Laktations- 
periode, wenn  man  nur  das  Untersuchungsmaterial  in  einwands- 
freier  Weise  gewinnt,  die  Zusammensetzung  der  Frauenmilch 
innerhalb  recht  geringer  Grenzen  schwankend,  und  zumal  in  Bezug 
auf  den  Fettgehalt  im  grossen  und  ganzen  konstant. 

Es  hat  also  Heubner^)  mit  seiner  früheren  Behauptung,  die 


1)  Berlinor  Klin.  Wochenschrift  1894,  No.  37  u.  38. 


EDergiebedärfnifl  des  natürlich  ernährten  Säuglings.  589 

2.  Resultate  der  chemischen  Analysen   der  Frauenmilch. 


Trockon 
snbstanx 

pCt. 


Ei- 
weiss 
pCt. 


Fett 
pCt. 


Zucker 
pCt. 


1.  115./116./117.  Tag  der  Laktation  .  .  .  . 
(Entnahme  der  Milch  y.  19.  VIL04, 11  V.,  bis 
21.VII.04, 71/2  V.,  C2+62  ccni  Milch-  124ccm 

2.  127./128.  Tag  der  Laktation    .... 
^Entnahme  der  Milch  v.  31.  VIT.  04,  IIV4  V. 

bis  1.  VIII.  04,  8  V.,  62  ccm  Milch) 

3.  128./ 129.  Tag  der  Laktation 

(Entnahme  der  Milch  vom  1.  VIII.  04,  11  V 

bis  2.  VIII.  04,  7'/i  V.,  65  ccm  Milch) 

4.  I51./152.  Tag  der  Laktation 

(Entnahme    der    Milch    vom    24.   VIII.    04. 
IOV4  V.,  bis  25.  VIII.  04,  8  V.,  70  ccm  Milch 

5.  170/171.  Tag  der  Laktation 

(Entnahme  der  Milch  v.  12.  IX.  04,  10^4  V 

bis  18.  IX.  04,  7  V.,  85  ccm  Milch) 

6.  186./ld7.  Tag  der  Laktation 

(Entnahme  der  Milch  vom  28.  IX.  04,  10  V., 

bis  29.  IX.  04,  7^2  V.,  75  ccm  Milch) 

7.  208./209.  Tag  der  Laktation  i) 

8.  209./210.     „      „ 

9.  213./214.     „      „ 

10.  214./215.     „      „ 

11.  215./216.     „      „ 

12.  221./222.     „      „ 

13.  224.  „      „ 

14.  225.  „      „ 


18,19 
13,12 
12,96 
13,04 
12,28 
12,51 
14,48 


0,82 
1,06 


0,96 
0,81 
0,90 


4,59 


4,69 


4,46 


4,28 


4,76 


4,98 


5,98 
5,60 
5,63 
5,00 
5,31 
5,58 
4,90 
5,60 


7,58 


7,17 


7,60 
6,51 
6,43 


sich  auf  eine  grosse  Zahl  von  Analysen  von  Prof.  Hof  mann  in 
Leipzig  stützte,  vollkommen  recht,  dass  nämlich  die  Zusammensetzung 
der  Muttermilch  Monate  hindurch  eine  beständige  sei.  Freilich 
scheint  dies  nach  den  vorliegenden  Untersuchungen  nur  für  die  Zeit 
der  ausschliesslichen  Muttermilchernährung  des  Kindes  zuzutreffen. 
Wenigstens  ersieht  man  aus  der  Zusammenstellung  von  der 
7.  Untersuchung  ab,  welche  bereits  in  die  Zeit  der  Entwöhnung 
(Muttermilch    vom    208. — 209.   Tage    in    24   Stunden    nur    noch 


0  Von  diesem  Tage  an  konnten  nur  noch  wegen  der  rapiden  Abnahme 
der  Milchsekretion  kleine  Mengen  Milch  zur  Fettbestimmung  entnommen 
werden,  die  aber  mit  der  gleichen  Exaktheit  abgesaugt  und  gemischt  wurden 
wie  die  vorh  ergehen  den. 


690  Rejher,  Beitrag  lar  Frage  nach  dem  Nahronga-  and 

501  g)  fallt,  das8  in  der  Zeit  des  Yersiegens  der  Matterbrast 
der  Fettgehalt  der  in  24  Standen  getrankenen  Milchmenge  durch- 
schnittlich höher  ist.  Es  scheint  also  die  Natur  das  Bestreben 
zu  haben,  die  geringere  Quantität  der  Milch  durch  relativ  höheren 
Fettgehalt  auszugleichen. 

Jedenfalls  können  wir  wohl  annehmen,  dass,  wenn  in  den 
letzten  3  Monaten  ausschliesslicher  Muttermilch emährung  die 
Zusammensetzung  der  Frauenmilch  eine  ziemlich  gleichmässige 
ist,  dies  auch  für  die  früheren  Monate  der  Laktation  zutreffen 
wird,  wahrscheinlich  allerdings  mit  Ausnahme  der  allerersten 
Zeit,  welche  für  die  Absonderung  des  Colostrums  in  Betracht 
kommt. 

3.  Kalorimetrische  Untersuchungen. 

Entsprechend  den  chemischen  Analysen  der  Muttermilch 
ergeben  auch  die  nur  in  der  Zeit  der  alleinigen  Brustnahrung 
vorgenommenen  Bestimmungen  des  Kalorienwertes  der  Milch 
geringe  Schwankungen  um  einen  Mittelwert  von  76,6  grossen 
Kalorien  für  100  g  Milch  bezw.  765  grossen  Kalorien  für  einen 
Liter  Frauenmilch.  Als  kleinstef  Wert  wurden  75,4  grosse 
Kalorien  in  100  g  Frauenmilch  (=  5,747  grosse  Kalorien  für  1  g 
Trockensubstanz),  als  grösster  Wert  wurden  77,4  grosse  Kalorien 
pro  100  g  Milch  (=  5,952  grosse  Kalorien  für  1  g  Trocken- 
substanz) gefunden. 

Vergleichen  wir  diese  Zahlen  mit  den  von  Rubner')  ge- 
fundenen durchschnittlichen  Yerbrennungswerten  für  die  einzelnen 
organischen  Bestandteile  der  Frauenmilch,  so  finden  wir  zwischen 
beiden  eine  gute  Übereinstimmung.  Rubner  fand  nämlich  durch- 
schnittlich bei  Verbrennung  zweier  Frauenmilchproben: 
für  1  g  Frauenmilchfett:  9,244  gr.  Kai. 

für  1  g  N-haltige  Restsubstanz:  5,832     „       „ 

Für  1  g  Milchzucker  beträgt  bekanntlich  der  Verbrennungs- 
wert 3,951  g  Kalorien. 

Berechnen  wir  nun  von  der  zuerst  (105.  — 107.  Tag  der 
Laktation)  untersuchten  Milch  die  Verbrennungswärme  durch 
Multiplikation  der  durch  chemische  Analyse  gefunc|;enen  Zahlen 
mit  den  eben  aufgezeichneten,  so  ergibt  sich  in  100  g  Milch  ein 
Kaloriengehalt  von  77,200  grossen  Kalorien  bezw.  im  Liter  ein 
solcher  von  772  grossen  Kalorien,  während  die  direkte  Bestimmung 
für    einen  Liter  Frauenmilch    einen  Gehalt  von  769  grossen  Ka- 

0  Zeitschrift  für  Biologie,  ßd.  36,  1898. 


EnergiebeddrfDis  des  uatürlich  ernährten  S&nglings.  691 

lorien  (==  5,827  grossen  Kalorien  für  1  g  Trockensubstanz)  lieferte. 
Man  kann  also  daraas  ersehen,  dass  die  direkte  Untersuchung 
der  Verbrennungswärme  mit  der  durch  Berechnung  erhaltenen 
ganz  gut  harmonierende  Resultate  gibt.  Wenn  Kubner  für  eine 
fettreiche  Frauenmilch  nur  723,9  grosse  Kalorien  pro  Liter  fand^ 
so  liegt  dies  eben  daran,  dass  der  Fettgehalt  selbst  der  fettreichen 
Milch  hinter  dem  von  mir  gefundenen  noch  erheblich  zurückbleibt. 
Es  scheint  überhaupt  der  prozentuale  Fettgehalt  einer  Tages- 
mischmilch  in  den  Fällen  besonders  hoch  zu  sein,  in  welchen  die 
Brustdrüsen  nur  geringe  Quantitäten  Frauenmilch  pro  Tag  pro- 
duzieren. 

Wenn  wir  nun  den  Durchschnittswert  von  765  grossen 
Kalorien  pro  Liter  Frauenmilch  wenigstens  für  die  Zeit,  in 
welcher  wir  eine  gleichbleibende  Zusammensetzung  der  Frauen- 
milch voraussetzen  dürfen,  d.  h.  ungeföhr  von  der  3.  Woche  nach 
der  Entbindung  an  bis  zum  Beginn  der  Entwöhnung,  den  Be- 
rechnungen des  Energiequotienten  zugrunde  legen,  so  erhalten 
wir  folgende  Zahlen,  welche  in  den  beiden  hier  angefügten  Tabellen 
enthalten  sind. 

Zur  Erläuterung  der  Tabellen  seien  einige  kurze  Bemerkungen 
gemacht.  Da  ich  für  die  ersten  zwei  Wochen  nach  der  Geburt 
des  Kindes  eine  andere  durchschnittliche  chemische  Zusammen- 
setzung und  somit  vielleicht  einen  anderen  Brennwert  zu  erwarten 
hatte,  als  für  die  Zeit  der  Dauermilch,  so  habe  ich  den  Energie- 
quotienten für  die  ersten  14  Tage  nicht  berechnet.  Ebensowenig 
konnte  ich  für  die  Zeit  der  Entwöhnung  eine  Berechnung  des 
Energiequotienten  aufstellen,  da  in  dieser  Zeit,  wie  aus  den  Fett- 
bestimmungen hervorgeht,  ein  nicht  unbeträchtlich  höherer  pro- 
zentualischer  Fettgehalt  der  Frauenmilch  zu  verzeichnen  und  daher 
wohl  auch  ein  höherer  Kalorienwert  zu  erwarten  war.  Für  die 
Zeit  der  ausschliesslichen  Kuhmilchernährung  habe  ich  nach  dem 
Durchschnitt  einiger  über  die  Yiktoriaparkmilch  vorhandenen 
chemischen  Analysen  eine  Berechnung  des  Brennwertes  der  dem 
Kinde  verabreichten  Nahrungsmischung  vorgenommen.  Danach 
enthielten  100  g  der  reinen  Milch  durchschnittlich  73,1,  100  g 
des  Nahrungsgemisches  69,5  grosse  Kalorien.  Mit  Hilfe  dieser 
Zahl  liess  sich  auch  für  die  13  Tage  ausschliesslicher  Kuhmilch- 
emährung  der  tagliche  Energiequotient  ableiten. 

Eine  übersichtliche  Darstellung  des  durchschnittlichen 
Energiequotienten  pro  Woche  findet  sich  ausserdem  auf  Kurve  2 
unter  der  die  Wachstumskurve  wiedergebenden  Linie. 


592  Reyher,  Beitrag  zur  Frage  nach  dem  Nahrangs-  and 

Tabelle  L 


Lebens- 
tag 


T&gliche  Nahrangs- 

menge 

in  Gramm 


Mittleres 
Körpergewicht 
der  betr. Woche 


Anzahl  der  täg- 
lich zugeführt. 
Kalorien 


_L 


1. 

1 
^               1 

2. 

33 

3. 

235 

4. 

460 

5. 

515 

€. 

565 

7. 

562 

8. 

527 

9. 

503 

10. 

520 

11. 

558 

12. 

438 

13. 

535 

14. 

585 

15. 

400 

16. 

548 

17. 

525 

18. 

526 

19. 

5'JO              i 

20. 

485 

21. 

550 

22. 

480 

23. 

500 

24. 

575 

25. 

575 

26. 

575               1 

27. 

575 

28. 

570 

29. 

540 

30. 

580 

81. 

525 

32. 

725               ' 

33. 

630 

34. 

.090 

35. 

605               ' 

36. 

645 

37. 

690 

38. 

545 

39. 

620 

40. 

662               1 

41. 

670 

42. 

665               1 

43. 

650 

3325 


3420 


3550 


3700 


3850 


4065 


AQsafal  der  tiffUch 
pro  kg  KArper-Ge- 
wicht  sogeflUirton 

Kaiorf  «*B 
(BoergieqooUeBt) 


4260 


374,9 

105,6 

419,2 

118,1 

401,6 

118,1 

402,4 

ii8,4 

382,5 

107,7 

371,0 

104,5 

420,8 

118,5 

867,2 

99,2 

382,5 

103,4 

439,9 

119,0 

439,9 

119,0 

439,9 

119,0 

439,9 

119,0 

436,0 

118,0 

413,1 

107,2 

443,7 

115,2 

401,6 

104,3 

554,6 

144,0 

482,0 

125,2 

451,4 

117,2 

462,8 

120,2 

493,4 

121,3 

527,9 

129,8 

416,9 

102,5 

474,3 

116,6 

506,4 

124,5 

512,6 

126,1 

508,7 

125,1 

497,3 

116,7 

EnergiebedQrfnis  des  natürlich  ernährten  Stuglings. 


593 


Ansahl  der  täffUoh 

Lebens- 

Tägliche  Nahrungs- 

Mittleres 

Anzahl  der  täg- 

pro kg  KOrper-Qe- 

tag 

menge 

Körpergewicht 

lich  zugeführt. 

wicht  Engefdhrcen 

in  Gramm 

der  betr.  Wocüe 

Kalorien 

Kalorien 

(Eneigieqnoblent) 

44. 

660 

504,9 

118,5 

45. 

630 

482,0 

113,1 

46. 

680 

520,2 

122,1 

47. 

620 

474,3 

111,1 

48. 

680 

520,2 

122,1 

49. 

675 

516,4 

121,2 

50. 

680 

4415 

520,2 

120,1 

51. 

735 

562,3 

127,3 

52. 

715 

547,0 

123,9 

58. 

695 

531,7 

120,4 

54. 

700 

535,5 

121,3 

55. 

685 

524,0 

118,7 

56. 

750 

573,8 

129,9 

57. 

720 

4630 

550,8 

118,9 

58. 

707 

540,9 

116.« 

59. 

825 

631,1 

136,3 

60. 

770 

589,1 

127,2 

61. 

675 

516,4 

111,5 

62. 

790 

604,4 

130,5 

63. 

725 

554,6 

119,8 

64. 

710 

4830 

54B,2 

112,5 

65. 

775 

592,9 

122,8 

66. 

700 

535,5 

110,9 

67. 

760 

581,4 

120,4 

68. 

650               1 

497,3 

103,0 

69. 

730 

558,5 

115,6 

70. 

690 

527,9 

109,3 

71. 

800 

5005 

612,0 

122,3 

72. 

780 

596,7 

111,2 

73. 

765 

585,2 

110,9 

74. 

670 

512,6 

102,4 

75. 

770 

589,1 

111,7 

76. 

765 

585,2 

110,9 

77. 

810 

619,7 

123,8 

78. 

750 

5200 

573,8 

110,3 

79. 

815 

623,5 

119,9 

80. 

855 

654,1 

125,8 

81. 

•    765 

585,2 

112,5 

82. 

760 

581,4 

111,8 

83. 

755               1 

577,6 

111,1 

84. 

810               , 

619,7 

119,8 

85. 

855                         5375 

654,1 

121,7 

86. 

910 

696,2 

129,5 

87. 

750 

573,8 

106,7 

88.         1 

875 

669,4 

124,5 

594 


Reyher,  Beitrfcg  snr  Fr»ge  iweh  dem  Nahrangs-  nnd 


Antahl  der  tigUdi 

La  h  Ana. 

Tägliche  Nahraogs- 

Mittleres 

ADzahl  der  täg- 

pro kg  Körpe^Ge' 

tag 

meDge 

Körpergewicht 

lich  zngef&hrt. 

wicht  BaffefflbrtiB 

in  Gimmm 

der  betr.  Woehe 

Kalorien 

Keloiien 

(Enexfleqaotleiit) 

89. 

765 

585,2 

108,9 

90. 

780 

596,7 

111,1 

91. 

785 

600,5 

111,7 

92. 

820 

5550 

627,3 

118,1 

98. 

840 

642,6 

115,8 

94. 

775 

592,9 

106,8 

95. 

820 

627,8 

118,1 

96. 

883 

637,8 

114,8 

97. 

799 

611,2 

110,1 

98. 

811 

620,4 

111,1 

99. 

788 

5690 

603,8 

105,9 

100. 

773 

591,4 

103,9 

101. 

928 

706,1 

124,1 

102. 

809 

618,9 

108,8 

108. 

751 

574,5 

101,0 

104. 

816 

624,2 

109,7 

105. 

754 

576,8 

101,0 

106. 

880 

5825 

673,2 

115,6 

107. 

807 

617,4 

106,0 

108. 

788 

564,6 

96,9 

109. 

756 

578,3 

99,3 

110. 

810 

619,7 

106,4 

111. 

815 

628,5 

107,0 

112. 

750 

573,8 

98,5 

118. 

871 

5980 

666,8 

111,4 

114. 

780 

596,7 

99,7 

115. 

707 

540,9 

90,4 

116. 

857 

655,6 

109,6 

117. 

666 

509,5 

85,2 

118. 

801 

612,8 

102,4 

119. 

766 

586,0 

97,9 

120. 

768 

6100 

588,7 

95,7 

121. 

716 

547,7 

89,8 

122. 

739 

565,3 

92,7 

128. 

639 

488,8 

80,1 

124. 

122 

605,9 

99,3 

125. 

708 

541,6 

88,8 

126. 

744 

569,2 

93,3 

127. 

716 

6175 

547,7 

88,7 

128. 

702 

537,0 

86,9 

129. 

792 

605,9 

98,1 

130. 

620 

474,8 

76,8 

131. 

716 

547,7 

88,7 

182. 

749 

573,0 

92,8 

133. 

669 

511,8 

82,9 

Energiebedarfnis  des  Datftrlieh  emlhrton  S&ngtiDgs. 


595 


Li6b6]18- 

T&gliche  NahruDgs- 

Mittleres 

Anzahl  der  täg- 

Ansabl der  taclleh 
pro  kg  Körper  Ge- 

tag 

meoge 

Körpergewicht 

lich  zugeführt. 

wloht  ngeffthrten 

in  Gramm 

der  betr. Woche 

Kalorien 

Kalorien 

(Energieqnotifnt) 

134. 

683 

6200 

522,5 

84,3 

135. 

715 

547,0 

88,2 

136. 

698 

534,0 

86,1 

137. 

680 

520,2 

83,9 

138. 

657 

502,6 

81.1 

139. 

702 

537,0 

86,6 

140. 

671 

513,3 

82,8 

141. 

625 

6245 

478,1 

76,6 

14-2. 

691 

528,6 

84,6 

143. 

726 

555,4 

88,9 

144. 

823 

629,6 

100,8 

145. 

717 

548,5 

87,8 

146. 

798 

610,5 

97,8 

147. 

739 

565,3 

90,5 

148. 

795 

6835 

608,2 

96,0 

149. 

769 

588,3 

92,9 

150. 

689 

527,1 

83,2 

151. 

759 

580.6 

91,6 

152. 

785 

600,5 

94,8 

153. 

725 

554,6 

87,5 

154. 

686 

524,8 

82,8 

155. 

815 

6420 

623,5 

97,1 

156. 

787 

602,1 

93,8 

157. 

780 

596,7 

92,9 

158. 

749 

573,0 

89,3 

159. 

769 

588,3 

91,7 

160. 

673 

514,9 

80,2 

161. 

755 

577,6 

90.0 

162. 

770                         6510 

589,1 

90,5 

163. 

658 

508,4 

77,3 

164. 

778 

595,2 

91,4 

165. 

826               1 

631,9 

97,1 

166. 

731 

559,2 

85,9 

167. 

784 

599,8 

92,1 

168. 

774 

592,1 

90,9 

169. 

730 

6560 

558,5 

85,1 

170. 

772 

590,6 

90,0 

171. 

614 

469,7 

71,6 

172. 

790 

604,4 

92,1 

173. 

792 

605,9 

92,4 

174. 

717 

548,5 

83,9 

175. 

742 

567,6 

86,5 

176. 

718 

6540 

549,3 

84,0 

177. 

686 

524,8 

80,2 

178. 

705 

539,3 

82,5 

596 


Key  her,  Beitrag  zar  Frage  nach  dem  NahruogB-  and 


Lebens- 

Tägliche Nahrungs- 

Mittleres 

Anxahl  dertäg- 

Ansahl  der  tl«lieb 
pro  kgKOrper-Ge 

tag 

menge 

Körpergewicht 

lich  zugeführt. 

wicht  sngtfiuirten 

in  Grnmoi 

derbetr.Woche 

Kalorien 

KalorlflB 

(EnergleqaoUeDt) 

179. 

696 

532,4 

81,4 

180. 

626 

478,9 

78,2 

181. 

715 

547,0 

83,7 

182. 

716 

547,7 

83,8 

188. 

682 

6575 

521,7 

79.3 

184. 

734  +  31  K.  M. 

185. 

677  +  20  .    . 

186. 

707 

187. 

679  +  25  K.  M. 

188. 

665  +  23  „    , 

189. 

738 

190. 

673 +12  K.M. 

6630 

191. 

741 

192. 

664+    10  K.M. 

198. 

702  +  190  .    , 

194. 

664 

195. 

695+     4  K.M. 

196. 

675+     8  „    „ 

197. 

673+    14  ,    „ 

«7^0 

198. 

722-r   40  „    „ 

199. 

682+100  .    „ 

200. 

771  +    92  .    « 

201. 

672+    90  „    „ 

202. 

661  +  127  „    , 

203. 

635  +  147  „    „ 

204. 

657+165  „    „ 

6850 

205. 

546  +  145  ,    „ 

206. 

523  +  227  „    „ 

207. 

493  +  383  ,    , 

208. 

505  +  352  ,    , 

209. 

504  +  346  ,    , 

210. 

455  +  298  „    „ 

211. 

412  +  477  „    , 

6930 

212. 

443  +  406  „    „ 

213. 

451+430  „    „ 

214. 

434  +  352  ,    „ 

215. 

352  +  498  ,    , 

216. 

414  +  372  ,    , 

217. 

421  +  307  „    „ 

218. 

347  +  451  ,    „ 

7010 

219. 

473  +  358  „    „ 

220. 

435  +  490  „    „ 

221. 

402  +  494  ,    „ 

222. 

379  +  518  „    , 

223. 

397+4.15  ,    „ 

EnergiebedürfDis  des  natSrlich  ernihrteo  S&ugÜDg«. 


597 


Lebeos- 

T&gliche  Nahraogs- 

Mittleres 

An  zahl  der  täg- 

Aniatal der  UgUoh 
pro  kg  KörperGe- 

tag 

meoge 

Körpergewicht 

lich  zugeführt. 

wJcht  sngeftthrteu 

in  Gramm 

derbetr.Woche 

Kalorien 

Kalorien 

(Eneigieqnoüent) 

224. 

398+    404  K.M. 

225. 

827  +   560  «    ^ 

7100 

226. 

312 -f.   551  ,    „ 

227. 

301+  519  .    , 

228. 

814+  488  .    , 

229. 

291  +   509  ,    „ 

230. 

278+   675  «    „ 

231. 

265+   520,    « 

232. 

170+   765  .    „ 

7190 

233. 

218+    580  ,    , 

234. 

185  +   668  ,    , 

235. 

215+   710  „    „ 

236. 

195+  856  ,    . 

237. 

190+   757  „    , 

238. 

190+    640  «    , 

239. 

150+   800  ,    , 

7880 

240. 

135  +   749  ,    , 

241. 

170+   807  „    , 

242. 

117+   795  „    , 

243. 

85+   904  «    „ 

244. 

100+   880  „    „ 

245. 

116+   931  ,    , 

246. 

87+    828  ,    „ 

7450 

247. 

93+   872  „    . 

248. 

85+840.    . 

249. 

68+   899  „    ^ 

250. 

50+1103  «    , 

251. 

60+   755  .    , 

552. 

10+   935  ,    , 

253. 

35  +  1180  ,    ^ 

7580 

254. 

40+   925  ,    „ 

255. 

24  +   850  ,    , 

256. 

746  K.  M. 

518,5 

68,9 

257. 

1013    „    „ 

704,0 

93,5 

258. 

1185   „    « 

788,8 

104,8 

259. 

1207    .    „ 

838,9 

111,4 

260. 

1072 

7600 

745,0 

98,0 

261. 

848 

585,9 

77,1 

262. 

1078 

745,7 

93,0    . 

263. 

1150 

799,8 

105,2 

264. 

985 

684,6 

90,1 

265. 

1067 

741,6 

97,6 

266. 

905 

629,0 

82,8 

267. 

1005 

7655 

698,5 

91,2 

268. 

1020 

708,9 

92,6 

598 


Reyher,  Beitrag  znr  Frage  nach  dem  Nahrangs-  and 


Tabelle  ü. 


■1 

Körper 

gewicht 

2i 

o 

o 

1 

p 

NahraD  gsmenge 

D  urchschnittliche 

112 

•S  c 

^  2 

am 

Mittleres 

pro  Woche 

tägliche 

a  p  1 

_5  s 

-2 

Ende  der 

Gewicht 

in  Gramm 

Nahrungsmenge 

fs& 

2  "S 

ja  *^ 

2-i 

2 

Woche 

d.  Woche 

Sä 

»ii 

S    tC 

Ö2 

1. 

8360 

3825 

2870 

888,5 



+  70 

+  10,0 

2. 

8475 

8420 

8616 

516,5 

— 

+  115 

+  IM 

3. 

3630 

3550 

8624 

517,7 

111,6 

+  155 

+  2i,l 

4. 

3765 

8700 

8850 

550,0 

113,8 

+  135 

+  1W 

6. 

8940 

3850 

4195 

599,8 

119,0 

+  175 

+  25,0 

6. 

4190 

4065 

4497 

642,4 

120,8 

+  250 

+  35,7 

7. 

4380 

4260 

4595 

656,4 

117,8 

+  140 

+  20,0 

8. 

4515 

4415 

4960 

708,6 

123,1 

+  185 

+  26,4 

9. 

4740 

4630 

5212 

744,6 

123,0 

+  225 

+  82,1 

10. 

4920 

4830 

5015 

716,4 

117,4 

+  180 

+  25,7 

11. 

5090 

5005 

5360 

765,7 

113,3 

+  170 

+  243 

12. 

5305 

5200 

5510 

787,1 

115,9 

+  215 

+  30.7 

13. 

5440 

5375 

5720 

817,1 

116,8 

+  135 

+  19,3 

14. 

5655 

5550 

5697 

813,9 

112,1 

+  215 

+  30,7 

15. 

5720 

5690 

5614 

802 

107,8 

+   65 

+  9.8 

16. 

5930 

5825 

5556 

793,7 

104,2 

+  210 

+  30.0 

17. 

6080 

5980 

5448 

778,3 

99,5 

+  100 

+  14,3 

18. 

6165 

6100 

5101 

728,7 

91.4 

+  135 

+  19,8 

19. 

6185 

6175 

4964 

709,1 

87,8 

+   20 

+  2,9 

20. 

6220 

6200 

4806 

686,6 

84,7 

+   35 

+  5,0 

21. 

6265 

6245 

5119 

731,8 

89,6 

+   45 

+  6,4 

22. 

6400 

6335 

5208 

744 

89,8 

+  185 

+  19,3 

28. 

6440 

6420 

5828 

761,1 

90,7 

+   40 

+  5,7 

24. 

6580 

6510 

.5321 

760,1 

89,3 

+  140 

+  20,0 

25. 

6545 

6560 

5157 

736,7 

86,0 

-   85 

-  5 

26. 

6530 

6540 

4862 

694,6 

81,8 

—    15 

-  2,1 

27. 

6620 

6575 

4882  +     99t  K.  M. 

697,4  +      14,1  K.  M. 

— 

+   90 

+  12.9 

28. 

6640 

6630 

4814+    224  .    , 

687,6+     82     «    , 

— 

+   20 

+  2,9 

29. 

6800 

6720 

4816+   610  „    . 

688    +     87,1  .    , 

— 

+  160 

+  22,9 

80. 

6905 

6850 

3679  +  1916  «    . 

97    +   278,7  ,    „ 

— 

+  105 

+  35.0 

81. 

6960 

6930 

2927  +  2842  .    . 

418,1+   406      ,    , 

— 

+  55 

4.   7,9 

82. 

7060 

7010 

2831+8120  „    , 

404,4+   445,7  ,    « 

— 

+  100 

+  14,3 

83. 

7135 

7100 

2088  +  8817  »    , 

298,3+   545,8  «    , 

— 

+   75 

+  10,7 

84. 

7240 

7190 

1368  +  4976  „    „ 

194,7+   710,9  „    , 

— 

+  105 

+  15,0 

85. 

7415 

7880 

867  +  5866  ,    « 

123,9+   888     „    , 

— 

+  175 

+  25,0 

86. 

7480 

7450 

453  +  6282  ,    , 

64,7+   890,3,    , 

— 

+   65 

+  9,3 

87. 

7575 

7530 

99  +  6006  ,    , 

14,1+   858     .    „ 

— 

+   95 

+  18.6 

SS. 

7630 

7600 

-  +  7095«    , 

-  +  1013,6  „    . 

92,7 

+   55 

+  7.9 

Aus  den  Tabellen  ergibt  sich  ferner: 
für    das  1.  Vierteljahr  (3. — 13.    Woche)  ein    durchschnitt- 
licher £nergiequotient  von 114,6 


EDergiebedärfnis  des  natürlich  ernährten  S&uglings.  599 

für  das  2.  Vierteljahr  (14. — 26.  Woche)   ein  durchschnitt- 
licher Energiequotient  von 93,4 

für  die   13  Tage   ausschliesslicher  Kuhmilchemährung  (37. 

und  38.  Woche) 93,2 

Bemerkenswert  ist,  dass,  während  bei  ausschliesslicher  Brust- 
nahrung der  Energiequotient  mit  zunehmendem  Alter  des  Kindes 
allmählich  abnimmt,  er  sich  bei  ausschliesslicher  Euhmilch- 
nahrung,  also  bei  künstlicher  Ernährung,  in  der  37.  und  38.  Lebens- 
woche des  Säuglings,  d.  h.  am  Ende  des  3.  Lebensvierteljahres, 
noch  auf  derselben  Höhe  hält,  wie  im  2.  Lebensvierteljahr.  Es 
würde  dies  die  Angabe  Heubners  bestätigen,  dass  bei  künst- 
licher Ernährung  für  ein  gutes  Gedeihen  des  Kindes  ein  höherer 
Energiequotient  beansprucht  wird  als  bei  natürlicher  Ernährung. 
Es  liegt  nicht  in  meiner  Absicht,  eine  zahlenmässige  Ver- 
^leichung  der  Ergebnisse  der  bisherigen  hierhergehörigen  Ver- 
öffentlichungen mit  den  von  mir  gewonnenen  Zahlen  vorzunehmen, 
einesteils,  weil  bis  zum  Jahre  1902  bereits  Gzerny  und  Keller 
in  ihrem  Handbuche  über  des  Kindes  Ernährung,  Ernährungs- 
störungen und  Ernährungstherapie  eine  Zusammenstellung  des 
bis  dahin  vorhandenen  Materials  geben,  andemteils,  weil  zu  einer 
völlig  einwandsfreien  Beurteilung  der  uns  hier  interessierenden 
Fragen  noch  mehr  derartige  Nahrungsmengenbestimmungen  mit 
zahlreichen  möglichst  alle  Perioden  der  Stillzeit  umfassenden 
chemischen  und  kalorimetrischen  Untersuchungen  nötig  sind. 
Nur  auf  einen  Punkt  möchte  ich  noch  kurz  hinweisen.  Es  zeigt 
meines  Erachtens  auch  die  hier  mitgeteilte  Beobachtung,  wie 
wenig  man  lediglich  nach  der  Quantität  der  pro  Tag  vom  Kinde 
aufgenommenen  Nahrung  beurteilen  kann,  ob  die  Nahrungs- 
zufuhr ausreichend  ist  für  eine  gedeihliche  Entwicklung  des 
Kindes,  und  wie  allein  die  Berücksichtigung  des  Energiequotienten 
nach  Heubner  einen  zuverlässigen  und  brauchbaren  Massstab 
für  die  Beurteilung  dieser  Frage  abgibt.  So  ist  vielleicht  auch 
in  dem  Falle  Machill,  welchen  Gzerny  und  Keller  mitgeteilt 
haben,  die  Körpergewichtszunahme  von  etwa  15  g  pro  Tag  bei 
einem  angeblich  in  6  aufeinander  folgenden  Wochen  unter  die 
^ahl  70  sinkenden  Energiequotienten  so  erklärbar,  dass  eben  auch 
hier  ein  die  geringe  Quantität  kompensierender  höheren  Kalorien- 
wert der  Nahrung  vorgelegen  hat,  so  dass  der  Energiequotient 
sich  möglicherweise  doch  den  He  üb  n  ersehen  Zahlen  genähert 
hat.  Übrigens  ist  gemäss  den  ausserordentlich  geringen  täglichen 
^Nahrungsmengen  auch  die  durchschnittliche  tägliche  Zunahme 
-Ton    15  g    ziemlich    niedrig.     Es    wäre   durchaus   nicht  unwahr- 


600  Kejher,  Beitrag  zar  Frage  nach  dem  NahroDgs-  etc. 

scheinlich,  im  Gegenteil  sogar  höchst  wahrscheinlich,  dass  es 
sich  vielleicht  als  allgemeine  Regel  noch  herausstellen  wird,  dass 
in  allen  Fällen  von  geringerer  Produktivität  der  Brustdrüsen  in 
quantitativer  Beziehung  zum  Ausgleich  ein  entsprechend  höherer 
Brennwert  der  Muttermilch  zu  beobachten  sein  wird,  da  ja  die 
Natiir  uns  überall  das  Bestreben  der  Kompensation  deutlich 
genug  zu  erkennen  gibt.  Die  Erforschung  dieser  Beziehungen 
wäre  ein  durchaus  würdiger  Gegenstand  iiveiterer  eingehender 
Untersuchungen. 

Jedenfalls  ergibt  sich  als  hauptsächlichstes  Resultat  der 
vorliegenden  Arbeit,  dass  auch  in  einem  solchen  Falle,  in  welchem 
infolge  der  geringen  Nahrungsmengen  der  Energiequotient  ein 
sehr  niedriger  zu  sein  schien,  dieser  in  allen  Perioden  des 
Säuglingslebens  durchaus  den  vonHeubner  aufgestellten  Zahlen 
entspricht. 


8. 

Über  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch. 

Von 

Dr.  PAUL  REYHER, 

AiBiitent  der  PolikUnfk. 

Wenn  wir  in  den  bisherigen  Yeröffentlichangen  über  Analysen 
der  Fraaenmilch  die  Ergebnisse  der  einzelnen  Untersuchungen 
mit  einander  vergleichen,  so  finden  wir  bei  den  verschiedenen 
Autoren  mehr  oder  weniger  grosse  Abweichungen  der  Befunde 
in  Bezug  auf  das  quantitative  Mischungsverhältnis  der  einzelnen 
Bestandteile  der  Milch.  Am  deutlichsten  treten  diese  Differenzen 
zu  Tage  bei  den  bisher  vorliegenden  Fettbestimmungen  der 
Frauenmilch.  Während  bei  den  übrigen  Bestandteilen  der 
Frauenmilch  eine  gewisse  Übereinstimmung  der  Untersuchungs- 
resultate sich  wohl  erkennen  lässt,  kann  man  von  den  Unter- 
suchungen über  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch  ein  gleiches 
nicht  behaupten.  Zwar  ist  seit  den  Untersuchungen  von  Mendes 
de  Leon  allgemein  bekannt  —  Reiset  und  Heynsius  hatten 
schon  früher  auf  die  später  noch  öfters  bestätigte  Tatsache  auf- 
merksam gemacht  — ,  dass  bei  der  Entleerung  der  Brustdrüse 
die  zu  Beginn  der  Sekretion  ausfliessende  Milchportion  bei 
weitem  fettärmer  sei,  als  die  am  Ende  abgesonderte  Milchportion. 
Aber  im  übrigen  waren  die  Ergebnisse  der  Analysen  in  Bezug 
auf  den  Fettgehalt  doch  innerhalb  weiter  Grenzen  schwankend. 
Nach  einigen  Autoren  gilt  es  als  ausgemachte  Tatsache,  dass  die 
Schwankungen  im  Fettgehalt  der  Milch  derselben  Stillenden  zu 
verschiedenen  Zeiten  der  Laktation  grösser  seien,  als  die 
Differenzen,  die  sich  bei  Feststellung  des  Durchschnittsfett- 
gehaltes verschiedener  Frauen  ergäben. 

Diesen  Feststellungen  gegenüber  erhebt  sich  nun,  wenn 
man  nicht  a  priori  daran  glauben  will,  dass  die  Natur  sich  hier 
einer  sonst  nicht  gewohnten  Willkür  schuldig  machen  sollte,  die 
Frage,    ob    die  Yerschiedenartigkeit    in  den  Resultaten  der  Fett- 

Jfthrbueh  f.  Kinderbeil künde.    N.  F.    IJCI.  Heft  4.  89 


602  Rejher,  über  den  Fettgehalt  der  Fnaenmilch. 

bestimmaDgen  nicht  andere  ausserhalb  der  Natar  liegende  Ursachen 
habe.  Man  hat  da  Unterschiede  festgestellt  zwischen  der  Milch 
der  einzelnen  Individuen  in  Beziehung  auf  den  Fettgehalt  je 
nach  Rasse,  Konstitution,  Lebensalter,  Art  der  £mährung  der 
Mutter,  Anzahl  der  überstandeuen  Geburten,  Laktationsdauer, 
Haarfarbe,  Bestehen  oder  Nichtbestehen  der  Menstruation  und 
anderen  Faktoren,  man  hat  unbefriedigendes  Gedeihen  manches 
Brustkindes  auf  fehlerhafte  Zusammensetzung  der  Frauenmilch 
bezogen,  man  hat  auch  den  Versuch  unternommen,  für  die  hin 
und  wieder  bei  Brustkindern  auftretenden  leicht  djrspeptischen 
Stuhle  eine  Fettarmut  der  Milch  in  den  betreffenden  Zeit- 
abschnitten verantwortlich  zu  machen,  ohne  indes  meines  £r- 
achtens  für  die  Richtigkeit  der  geäusserten  Behauptungen  den 
ein  wandsfreien  Beweis  zu  erbringen.  Denn  einerseits  haben  sich 
die  verschiedenen  Autoren  verschiedener  Methoden  bedient, 
andererseits  kann  man  bei  einer  Anzahl  der  Untersucher  die 
Beschaffung  des  zur  Untersuchung  dienenden  Materials  nicht  als 
unanfechtbar  bezeichnen.  Und  hier  liegt  doch  höchst  wahr- 
scheinlich die  Quelle  der  Verschiedenheit  der  Untersuchungs- 
resultate: die  Art  der  Milchentnahme  ist  entscheidend  für  das 
Ergebnis.  Diese  Erkenntnis  ist  durchaus  nicht  neu.  Söldner 
sagt  in  seiner  1896  im  33.  Bande  der  Zeitschrift  für  Biologie 
erschienenen  Arbeit  „Analysen  der  Frauenmilch'':  „Es  ist  die 
Sammlung  geeigneter  Milchproben  für  die  Gewinnung  guter 
Mittelwerte  nicht  minder  wichtig,  als  die  Analysen.^  Und  doch 
ist  dieser  Satz  auch  von  späteren  Untersuchem  nicht  genügend 
beherzigt  worden,  wenigstens  ist  nicht  auf  alle  Gesetzmässig- 
keiten der  Sekretionsphysiologie  der  Brustdrüse,  soweit  es  das 
Verhalten  des  Fettes  angeht,  hinreichend  Rücksicht  genommen 
worden. 

Von  diesen  bis  jetzt  feststehenden  Daten  im  Sekretions- 
ablauf  der  Brustdruse  ist  in  erster  Linie  die  schon  vorhin  er- 
wähnte Tatsache  zu  nennen,  dass  mit  fortschreitender  Entleerung 
der  Drüse  der  Fettgehalt  ansteigt,  und  zwar  mitunter  von  dem 
minimalen  Anfangsgehalt  von  noch  nicht  1  pCt.  bis  zu  10  pCt. 
und  darüber. 

An  dieser  Stelle  seien  gleich  einige  hierher  gehörige  Zahlen 
angeführt,  welche  ich  selbst  gelegentlich  einer  zu  anderen  Zwecken 
Yorgenommenen  Untersuchung  der  Milch  meiner  Frau  gewonnen 
habe.  Danach  verhält  sich  die  vor  dem  Anlegen  des  Säuglings 
mittelst    einer    unten    noch    zu    beschreibenden    Milchpumpe    ab- 


Key  her,  Über  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch. 


603 


gesaagte  Milchmenge  zu  der  gleichen  nach  dem  Anlegen  er- 
haltenen Milchportion,  was  den  Fettgehalt  anlaugt,  folgender- 
massen: 

Tabelle  L 


Datum 

Tages- 
zeit 

Getrunkene 
Milchmenge 

Ab- 
gesaugte 
Milch- 
menge 

Seite 

der 

Brust 

Fettgehalt  in  pGt. 

vor  dem  nachdem 
Anlegen    Anlegen 

Zum 

Trinken 

gebrauchte 

Zeit 

22.  IX.  04 

<  180.  Lebens 
tag) 

10»/3 

Vorm. 

85  g 

(nnr 

rechts) 

5Vs  ccm 
5Vj  ccm 
5»/»  ccm 

I. 

0,94 
1,98 

1 
6,60 

4  Mio. 

30.  IX.  04 
<  188.  Lebeos- 
tag) 

7 
Vorm. 

180  g 

5Vf  ccm 
5Vt  ccm 
5'/«  ccm 
5Vj  ccm 

0,55 
0,87 

6,55 
3,42 

6V»  Min. 
4i/4  Min. 

3.  X.  04 
<191.  Lebens- 
tag) 

IIV» 
Vorm. 

152  g 

5>/j  CCUI 
5Vi  ccm 
5Va  ccm 
5'/2  ccm 

1'. 

1,10 
1      2,43 

5,64 
10,18 

1 

19.  X.  04 
<207.  Lebens- 
tag) 

4 
Nachm. 

1 

llOg 

1 

1 

5»/a  ccm 
5'/t  ccm 
5Va  ccm 
S'/j  ccui 

3,81 

1 

3,86 

9,50 
6,68 

3  Min. 
IV4  Min. 

Die  Kenntnis  dieser  Kegel  ist  von  entscheidender  Be- 
deutung für  die  Festsetzung  der  Methode  der  Milchgewinnung 
zum  Zwecke  der  Untersuchung  auf  den  durchschnittlichen  Fett- 
gehalt der  Frauenmilch.  Es  ist  ohne  weiteres  einleuchtend  — 
«nd  in  den  meisten  neueren,  einschlagigen  Arbeiten  ist  dies  auch 
beracksicbtigt  worden  —  dass  man,  wenn  man  von  einer  ein- 
maligen Mahlzeit  des  Säuglings  den  durchschnittlichen  Fettgehalt 
kennen  lernen  will,  füglich  sowohl  von  der  am  Anfang  als  auch 
von  der  am  Ende  der  Mahlzeit  abgesonderten  Milch  Proben  ent- 
nehmen muss.  Selbstverständlich  ist  eigentlich  hierbei,  dass  man 
von  der  Anfangs-  wie  Endportion  genau  die  gleiche  Menge 
nehmen  muss.  Aber  diese  notwendige  Voraussetzung  ist  bisher 
nicht  genug  betont  worden  und,  wie  in  einigen  Veröffentlichungen 
aus  der  mitgeteilten  Art  der  Milchgewinnung  hervorgeht,  nicht 
überall  gemacht  worden.  Auch  muss  es  als  unstatthaft  bezeichnet 
werden,    wenn    hei    der  Beschaffung  des  Untersuchungsmaterials, 

39* 


604  Key  her,  Über  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch. 

wie  es  auch  gemacht  worden  ist,  in  der  Weise  vorgegangen  wird, 
dass  beliebig  grosse  oder  auch  ,,möglichst  gleiche^  Mengen  Milch 
vor  und  nach  dem  Anlegen  entnommen  und  erst  nachher  „genau 
gleiche^  Quantitäten  abgemessen  und  gemischt  werden.  Ein  Bei- 
spiel möge  das  veranschaulichen. 

Nehmen  wir  z.  B.  an  —  nach  einigen  vorliegenden  Unter- 
suchungen bei  fraktionierter  Entleerung  der  Brustdrüse  sind  wir 
zu  der  Annahme  einer  regelmässigen  Steigerung  des  Fettgehaltes 
berechtigt  — ,  dass  der  Fettgehalt  der  vor  dem  Anlegen  entleerten 
ersten  10  ccm  1  pCt.,  der  der  nächsten  10  ccm  2  pCt.,  der  von 
weiteren  10  ccm  3  pCt.,  und  der  nach  dem  Anlegen  zuerst  ab- 
gesaugten 10  ccm  8  pCt.  und  der  dann  folgenden  10  ccm  9  pCt., 
der  hieran  sich  anschliessenden  10  ccm  10  pCt.  u.  s.  w.  betrage, 
so  würden  wir,  wenn  wir  beispielsweise  vor  dem  Anlegen  etwa 
20  ccm  und  nach  dem  Anlegen  etwa  30  ccm  entnehmen  und  von 
beiden  Portionen  genau  je  10  ccm  abmessen  und  vermischen 
würden,  bei  der  Untersuchung  einen  durchschnittlichen  Fettgehalt 
von  5,25  pCt.  erhalten. 

Berechnung:  1+2=3;  3:2=  1,5;  8  +  9+10  =  27; 
27:3  =  9;  9+1,5=10.5;  10,5:2  =  6,26  pCt. 

Würden  wir  dagegen,  wie  es  richtig  ist,  von  vornherein 
sofort  genau  gleiche  Mengen  entnehmen,  z.  B.  je  20  ccm,  und 
mischen,  so  würden  wir  den  der  Wirklichkeit  entsprechenden 
Durchschnittsgehalt  von  5  pCt.  erhalten. 

Berechnung:  1  +  2  =  3;  3:2  =  1,6;  8+9  =  17;  17:2  =  8,6; 
1,5  +  8,5  =  10,0;  10,0:2  =  6,0  pCt. 

Wir  würden  also  einen  höheren  Fettgehalt  annehmen,  als 
es  in  Wirklichkeit  der  Fall  ist.  Umgekehrt  würde  sich  ein  ge- 
ringerer Fettgehalt  ergeben,  wenn  wir  von  der  Anfangsmilch  die 
grössere  Quantität  und  von  der  letzten  Milch  die  kleinere  absaugen 
würden.  Wenn  dieser  Fehler  nun  bei  den  Einzelproben,  aus 
denen  sich  die  Tagesmischmilch  zusammensetzt,  mehrmals  be- 
gangen wird,  so  ist  klar,  dass  Unterschiede  von  1 — 2  pCt.  zwischen 
der  gewonnenen  und  der  dem  wahren  Sachverhalt  entsprechenden 
Zahl  immerhin  entstehen  können.  Beträchtlich  grösser  noch  aber 
können  diese  DifiFerenzen  sein,  wenn  überhaupt  ungleiche  Portionen 
genommen  und  vermischt  werden.  Die  eben  zur  Erklärung  heran- 
gezogenen Zahlen  mögen  auch  dies  dartun:  die  gefundene  Zahl 
würde  6  pCt.,  die  wirkliche  5  pCt.  Fettgehalt  ergeben. 

Berechnung:    I.   1  +  2  +  8  +  9+10  =  30;    30:5=  6pCt. 
II.  1  +  2  +  8  +  9  =  20;  20:4  =  5  pCt. 


Key  her,  Über  den  Fettgehalt  der  FraaeDmilch.  605 

Hier  erhielten  wir  also  bei  weitem  noch  grössere  Schwankungen 
des  Fettgehaltes,  wenn  sich  die  Fehler  bei  den  Einzelpfoben  an 
dem  einen  Tage  summieren  wurden,  am  anderen  Tage   nicht. 

Es  ist  naturlich  bei  der  Beurteilung  deir  Berechnungen  zu 
berücksichtigen,  däss  die  benutzten  Zahlen  willkürlich  angenommen 
sind  und  dass  die  Steigerung  des  Fettgehaltes  wahrscheinlich  in 
natura  nicht  so  rapid  verläuft,  Dass  aber  immerhin  in  Wirk- 
lichkeit eine  Vermehrung  des  Fettgehaltes  um  ca.  0,35  pCt.  von 
5Vi  z<i  5^/2  ccm  Milch  vorkommen  kann,  lehrt  die  erste  Unter« 
suchung  in  Tabelle  I,  bei  welcher  eine  Steigerung  des  Fettgehaltes 
von  0,94--- 6,60  pCt.  beobachtet  wurde,  bei  einer  Entnahme  von 
nur  85  g  Milch  durch  das  Kind  und  11g  Milch  durch  die  Milch- 
pumpe. 

Eine  zweitens  bei  Festsetzung  der  Methodik  der  Milchent- 
nahme zu  dem  hier  erörterten  Zwecke  zu  beachtende  Gesetz- 
mässigkeit in  der  Sekretionsphysiologie  der  Brustdrüse  ist  die 
Beobachtung,  dass  bei  jeder  innerhalb  24  Stunden  gebotenen 
Mahlzeit  des  Säuglings  der  Fettgehalt  der  anfangs  ausfliessenden 
Milch  ein  anderer  ist,  und  dass  ebenso  die  Zahlen  untereinander 
difiFerieren,  die  den  Fettgehalt  der  zum  Schluss  jedes  Saugaktes 
abgesonderten  Milch  angeben.  Dabei  scheint  es  Regel  zu  sein, 
dass,  je  geringer  zu  Beginn  einer  Mahlzeit  die  Füllung  einer 
Brustdruse  ist,  um  so  grösser  der  Fettgehalt  der  anfangs  entleerten 
Milch  ist,  während  die  Höhe  des  Fettgehaltes  der  Endportion 
sich  dann  nach  der  aus  der  Brust  vom  Säugling  konsumierten 
Milchmenge  richtet.  Bei  einer  Drüse  von  massiger  Produktivität 
würde  sich  dann  die  Beobachtung  machen  lassen,  dass,  je  mehr 
der  Tag  vorrückt,  vorausgesetzt,  dass  eine  längere  Nachtpause 
gemacht  wird,  umsomehr  der  Fettgehalt  der  Anfangsportion  be- 
tragen wird.  Es  ist  freilich  möglich,  dass  dieses  Verhalten,  wie 
gesagt,  nur  bei  einer  Brust  von  massiger  Leistungsfähigkeit  augen- 
fällig ist,  während  es  vielleicht  bei  reichlich  Milch  liefernden 
Brüsten  nicht  auffällt.  Jedenfalls  in  dem  von  mir  untersuchten 
Falle  konnte  diese  Erscheinung  nicht  nur  zahlenmässig,  wie  aus 
der  oben  mitgeteilten  Tabelle  hervorgeht,  an  allerdings  nur  spär- 
lichen Beispielen  festgestellt  werden,  sondern  sie  konnte  sogar 
direkt  mit  dem  Auge  bei  den  Einzelproben  beobachtet  werden, 
welche  die  Mischmilch  verschiedener  Tage  der  Laktationszeit 
lieferten,  deren  Fettgehalt  noch  unten  mitgeteilt  werden  soll. 

Aus  der  eben  angeführten  Wahrnehmung  geht  deutlich  genug 
hervor,  dass  man,  wenn  man  den  wirklichen  Durchschnittsfettgehalt 


(i06  Key  her,  Ober  deu  Fettgehalt  der  Prauenmileh. 

einer  Frau  gewinnen  will,  bei  jeder  einzelnen  innerhalb 
24  Stunden  dem  Säugling  gereichten  Brustmahlzeit 
genau  die  gleiche  Menge  Milch  vor  und  nach  dem  An- 
legen entnehmen  und  zusammenmischen  muss. 

Drittens  ist  noch  bei  Bestimmung  der  Art  der  Beschaffung 
von  f&r  unsere  Zwecke  geeignetem  Untersuchungsmaterial  zu  be- 
rücksichtigen, welche  Milchmengen  der  Säugling  in  derselben  Zeit- 
einheit in  verschiedenen  Phasen  der  Entleerung  der  Brustdruse 
aufnimmt.  Eine  grössere  Reihe  von  exakten  Beobachtungen  liegt 
hierüber  leider  noch  nicht  vor.  Nur  bei  Feer  konnte  ich  einige 
hierher  gehörige  Mitteilungen  finden.  Danach  trank  der  eine 
Säugling  (Mädchen  I): 

in  den  ersten     5  Minuten  112  g  Milch, 
„     „     zweiten  5         „  64  „       „ 

„      „     letzten    5         „  16  „       „ 

und  an  einem  späteren  Tage 

in  den  ersten         6  Minuten  110  g  Milch, 
„     „     folgenden  3         „  35  „       „ 

Ein  anderer  Säugling  (Knabe)  nahm  auf  am  95.  Lebenstage: 
in  den  ersten  7    Minuten  160  g  Milch, 

„      „     folgenden  3Vj         r>  50  „        « 

und  am  137.  Lebenstage: 

in  den  ersten         5  Minuten  100  g  Milch, 
„     „     folgenden  5         „  60  „        „ 

Ich  selbst  konnte  bei  meinem  eigenen  Kinde,  einem  Mädchen, 
am  60.  Lebenstage  folgende  Zahlenreihe  aufstellen.  Das  Kind 
trank: 

in  den  ersten      5  Minuten  75  g  Milch, 
„     „     zweiten    5        „         45  „       „ 
„      „     dritten     5         „         25  „       „ 
„      „     letzten     5         „         15  „        „ 
Hiernach  hat  also  das  Kind  in  der  ersten  Hälfte   der  Zeit- 
dauer seiner  Mahlzeit  dreimal  soviel  getrunken  als  in  der  zweiten 
Hälfte. 

Wie  schon  Feer  hervorhebt,  muss  diese  Erkenntnis  jeden 
Untersucher  davon  abhalten,  den  durchschnittlichen  Fettgehalt 
der  Frauenmilch  in  der  Weise  bestimmen  zu  wollen,  dass  man 
während  der  Entleerung  der  Brustdruse  in  „möglichst  gleichen 
Intervallen  Stichproben  entnimmt**,  mischt  und  so  den  Fettgehalt 
der  Einzelmahlzeit  feststellt,  wie  dies  Gregor  getan  hat.  Es  ist 
ohne  weiterem  aus  dem  Vorhergegangenen  ersichtlich,  dass  die  so 


Rejher,  Über  den  Fettgehalt  der  Fraaeomüch.  607 

gefundene  Zahl  darchaus  nicht  dem  durchschnittlichen  Fettgehalt 
der  getrunkenen  Milchmenge  entsprechen  kann. 

Abgesehen  davon,  dass  diese  Art  der  Milchgewinnung  in- 
folge der  häufigen  Alteration  von  Mutter  und  Kind  ganz  im- 
physiologisch  genannt  werden  muss,  bedingt  sie  auch,  da  die 
meisten  Stichproben  aus  der  zweiten  Hälfte  der  Sekretionszeit 
der  Brustdruse  stammen  werden,  wahrscheinlich  meistens  zu  hohe 
Fettwerte  der  Einzelportionen,  auf  jeden  Fall  aber  ein  unsicheres 
Ergebnis  der  Fettbestimmung.  Diese  Unsicherheit  der  Unter- 
suchungsresultate wurde  noch  grösser  sein,  wenn  ungleiche  Mengen 
als  Stichproben  gemischt  worden  wären,  was  allerdings  aus  der 
mitgeteilten   Versuchsanordnung  nicht  zu  ersehen  ist 

Man  durfte  hiernach  während  der  Mahlzeit  nur  Proben  zur 
Herstellung  der  Mischmilch  entnehmen,  wenn  man  in  der  Lage 
wäre,  dies  jedesmal  nach  dem  Abtrinken  einer  genau  gleichen 
MUchmenge  zu  tun.  Dies  ist  aber  unmöglich.  Die  Zeit  jeden- 
falls interessiert  hierbei  absolut  nicht. 

Schliesslich  verlangt  bei  Aufstellung  der  Yersuchsanordnung 
auch  noch  die  Tatsache  Berücksichtigung,  dass  die  vom  Brust- 
kinde genossenen  Einzelmablzeiten  hinsichtlich  ihrer  Quantität 
erheblich  differieren.  Es  ist  aus  diesem  Grunde  nicht  angängig, 
die  bei  Untersuchung  einer  Einzelmahlzeit  erhaltenen  Resultate 
der  Fettbestimmung  auch  auf  andere  Einzelmahlzeiten  zu  beziehen. 

Aus  diesen  Auseinandersetzungen  geht  unzweideutig  hervor, 
dass  die  bisher  gewöhnlich  gewählten  Wege,  um  ein  ein  wands- 
freies Untersuchungsmaterial  zu  erlangen,  durchaus  nicht  zu  einem 
brauchbaren  Resultat  zu  führen  brauchen. 

Wenn  auch  diejenige  Methode,  die  möglichst  grosse  Milch- 
mengen zur  Untersuchung  liefert,  oder  diejenige,  welche  möglichst 
zahlreiche  Stichproben  entnehmen  lässt,  der  Wahrheit  unter  Um- 
ständen sehr  nahe  kommende  Ergebnisse  natürlich  zeitigen  kann, 
da  selbstverständlich  mit  der  Zunahme  der  Menge  im  ganzen 
bezw.  mit  der  Steigerung  der  Zahl  der  Einzelportionen  die  Fehler- 
quellen immer  spärlicher  werden,  so  basieren  immerhin  solche  mit 
derartiger  Yersuchsanordnung  gewonnenen   Resultate    auf  Zufall. 

Es  sind  hauptsächlich  drei  Methoden  angewandt  worden. 
Camerer  und  Söldner  sammelten  in  den  12  Tagesstunden  die 
gesamte  Milch,  welche  sie  durch  Saugen  und  Streichen  erhalten 
konnten,  und  benutzten  sie  zur  Analyse.  Der  Fehler,  der  dieser 
Methode  anhaftet,  besteht  darin,  dass  eine  Brustdrüse  sich  künstlich 
nicht  soweit  entleeren  lässt,    als  dies    dem  Säugling   möglich  ist. 


608  Key  her,  Über  den  Fettgebalt  der  Frauenmilch. 

Es  werden  daher  die  hohen  Fettwerte  am  Schluss  des  Saugaktes 
nicht  zur  Geltung  kommen.  Wahrscheinlich  wird  also  das  Er- 
gebnis der  Fettbestimmung  zu  niedrig  ausfallen. 

Die  zweite  Methode  der  Milchgewinnung  wurde  in  der  Weise 
geübt,  dass  einige  Stunden  nach  dem  Trinken  des  Säuglings  aus 
der  einen  Brust,  die  andere  Brust  möglichst  vollständig  entleert 
wurde.  Schlossmann  bediente  sich  z.  B.  ihrer  bei  seinen  Unter- 
suchungen. 

Wie  die  rechnerischen  Darlegungen  zeigen,  genügt  auch 
diese  Art  der  Beschaffung  von  Untersuchungsmaterial  nicht  den 
Anforderungen,  die  man  an  eine  solche  zu  stellen  hat.  Die  so 
erhaltene  Milchmenge  entspricht  durchaus  nicht  der  vom  Säugling 
genossenen  Quantität. 

Schliesslich  hat  man  die  zur  Analyse  erforderliche  Milch- 
menge sich  dadurch  zu  verschafiFen  versucht,  dass  man  möglichst 
viele  Stichproben  während  der  einzelnen  Mahlzeiten  des  Säuglings 
abzog,  wobei  derselbe  sein  Sauggeschäft  natürlich  unterbrechen 
musste,  und  zusammenmischte.  Gregor,  welcher  in  dieser  Weise 
vorging,  glaubte  so  die  Milch  zu  untersuchen,  welche  das  Kind 
in  Wirklichkeit  trank.  Ich  brauche  hier  zum  Beweise  dafür,  dass 
der  von  ihm  für  die  Einzelmahlzeit  gefundene  Fettgehalt  durch- 
aus nicht  der  Wirklichkeit  zu  entsprechen  braucht,  nur  auf  die 
frühere  Erwähnung  der  Arbeit  Gregors  zu  verweisen. 

Wenn  wir  nun  für  viele  den  Pädiater  interessierenden 
Fragen  der  natürlichen  und  weiterhin  der  künstlichen  Säuglings- 
ernährung in  den  Analysen  der  Frauenmilch  eine  sichere  Grund- 
lage erblicken  wollen,  so  muss  dabei  selbstverständlich  voraus- 
gesetzt werden,  dass  die  zu  Grunde  zu  legenden  Analysen  nach 
gleicher  ein  wandsfreier  Methode  gewonnen  sind,  da  sich  ja  nur 
die  so  erhaltenen  Untersuchungsergebnisse  mit  einander  vergleichen 
lassen. 

Als  eine  solche  ein  wandsfreie,  allerdings  etwas  mühevolle 
Methode  der  Milchgewinnung  ist  die  folgende  zu  betrachten,  da 
sie  dem  physiologischen  Verhalten  der  Brustdrüsensekretion  nach 
jeder  Richtung  Rechnung  trägt. 

Man  entnimmt  durch  Saugen  innerhalb  24  Stunden  vor  und 
nach  jedem  Anlegen  des  Kindes  genau  die  gleiche  Menge  Milch 
und  giesst  diese  Einzelportionen  zu  einer  Mischmilch  zusammen, 
deren  Fettgehalt  dem  der  pro  Tag  vom  Säugling  getrunkenen 
Milchmenge  wirklich  entspricht.  Der  etwas  niedrige  Fettgehalt 
der  vor   dem  Anlegen   gewonnenen  Milchportion,    die    tatsächlich 


Key  her,  Über  den  Fettgehalt  der  Franenmilch. 


609 


ja  vom  Kinde  nicht  genossen  wird,  wird  ausgeglichen  durch  den 
etwas  höheren  Fettgehalt  der  nach  dem  Anlegen  abgesaugten 
Endportion.  In  dieser  Weise  bin  ich  verfahren,  um  bei  meiner 
Fran,  welche  ihr  erstes  Kind  stillte,  an  einer  Reihe  von  Taged 
den  Fettgehalt  der  innerhalb  24  Stunden  getrunkenen  Milch  zu 
bestimmen.  Ich  bin  mir  wohl  bewusst,  dass  die  geringe  Anzahl 
von  Analysen,  welche  ich  mitteilen  möchte,  es  noch  nicht  ge- 
stattet, die  Untersuchungsergebnisse  zu  verallgemeinern.  Die 
spärliche  Zahl  der  Fettbestimmungen  ist  leider  dadurch  bedingt, 
dass  ich  erst  am  115.  Tage  der  Laktation  auf  den  Gedanken 
kam,  bei  meiner  Frau  chemische 
Analysen  der  Milch  anzustellen, 
dass  fernerhin  diese  Analysen  nur 
in  Zwischenräumen  von  mehreren 
Tagen  vorgenommen  werden  konnten, 
da  sie  auch  mit  kalorimetrischen 
Untersuchungen  verbunden  wurden, 
und  dass  dann  schliesslich  bald  die  ^ 
Milchsekretion  versiegte.  Trotz  der 
geringen  Menge  von  Prozentzahlen 
des  Fettgehalt<3s  waren  die  Unter- 
suchungen mit  einiger  Mühe  ver- 
knüpft, da  zu  der  Zeit,  als  der 
Säugling  noch  ausschliesslich  die 
Brust  erhielt,  die  zu  den  Fett- 
bestimmungen benutzte  Mischmilch 
aus  24  genau  gleich  grossen  Eiuzel- 
portionen  sich  zusammensetzte;  es 
wurde  nämlich,  da  das  Kind  jedes- 
mal aus  beiden  Brüsten  trank,  aus  jeder  Brust  vor  und 
nach  dem  Anlegen  je  eine  Probe  entnommen,  so  dass  die 
täglich  verabreichten  6  Einzelmahlzeiten  zusammen  24  Einzel- 
proben lieferten.  Es  ist  also  nicht  zu  verkennen,  dass  dieser 
Weg  der  Milchentnahme  gewisse  Schwierigkeiten  bietet.  Der 
Untersucher  ist  hier  gezwungen,  bei  jeder  einzelnen  Mahlzeit  des 
Kindes  selbst  anwesend  zu  sein,  um  die  Entnahme  genau  gleicher 
Mengen  vorzunehmen,  oder  die  peinlichst  auszuführende  Milch- 
gewinnung durch  eine  zuverlässige  Person  ausführen  zu  lassen. 
Bei  meinen  Untersuchungen  hat  in  der  letzten  Zeit  meine  Frau 
sich  dieser  Aufgabe  mit  opferwilligster  Gewissenhaftigkeit  unter- 
zogen. 


BIO 


Key  her,  Ober  den  Fettgehalt  der  Fraoenmilch. 


In  Anbetracht  dieser  Schwierigkeiten,  die  es  mir  vorerst 
nicht  wieder  möglich  machen  werden,  diesbezügliche  Unter- 
suchungen anzustellen,  sei  es  mir  gestattet,  auch  diese  wenigen 
Zahlen  mitzuteilen,  umsomehr  als  diese  objektiven  Untersuchungs- 
resultate vollkommen  mit  den  theoretischen  Erwägungen 
harmonieren. 

Um  diese  nach  den  obigen  Betrachtungen  als  richtig  an- 
erkannte Methodik  der  Milchgewinnung  bequem  ausfuhren  zu 
können,  habe  ich  mir  nach  eigenen  Angaben  die  unten  ab- 
gebildete Milchpumpe  anfertigen  lassen,  welche  es  mir  ermöglichte, 
von  vornherein  gleich  das  genau  festgesetzte  Quantum  abzusaugen. 

Die  Fettbestimmungen  selbstwurden  mittelst  desA  damsschen 
Verfahrens  im  Soxhletschen  Ätherextraktionsapparate  ausgeführt. 

Die  Ergebnisse  seien  kurz  in  folgenden  zwei  Tabellen  zu- 
sammengestellt, von  denen  die  erste  die  Fettbestimmungen  aas 
der  Zeit  der  ausschliesslichen  Brusternährung,  die  zweite  die- 
jenigen aus  der  Zeit  des  allmählichen  Yersiegens  der  Brust  enthält. 


Tabelle  II. 


Durchschnittl. 

Tag  der 
Laktation 

Fettgehalt  in 

Tagesmenge 

T&giiche 

pCt  der  in 

der  Milch 

Fettmenge 

Bemerkungen 

24  Stunden  ge- 

in Gramm 

in  Gramm 

trunkenen  Milch 

115./ 116.  Tag 

4,59 

804 

36,89 

116/117.    „ 

4,59 

804 

36,89 

127./ 128.    „ 

4,69 

703 

32,97 

128./129.    , 

4,46 

821 

36,58 

J51./152.    ., 

4,28 

775 

33,17 

2.  Tag  der  Menstr. 

170./171.    „ 

4,76 

668 

31,80 

186./ 187.    „ 

4,98 

669. 

33,32 

2.Tagnachd. letzten 
Tag  der  Menstr. 

(Siehe  Tabelle  III  auf  S.  611.) 

Wie  aus  den  Tabellen  zu  ersehen  ist,  hält  sich  der 
prozentualische  Fettgehalt  der  innerhalb  24  Stunden  getrunkenen 
Milchmenge  an  den  verschiedenen  Tagen  der  Laktation  auf  an- 
nähernd konstanter  Höhe.  Selbst  in  der  Zeit  des  allmählichen 
Yersiegens  der  Quelle  der  natürlichen  Ernährung  ist  eine  an- 
nähernde Übereinstimmung  der  Fettwerte  der  täglichen  Nahrungs- 
menge   zu    beobachten.      Ich    glaube    sogar,    dass    die    Uberein- 


Hey  her,  Über  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch. 

Tabelle  UI. 


611 


Durch  sehn  ittl. 

Tag  der 
Laktation 

Fettgehalt  in 

Tagesmenge 

Tägliche 

pGt.  der  in 

der  Milch 

Fettmeuge 

Bemerkungen 

24  Standen  ge- 

in Gramm 

in  Gramm 

trunkenen  Milch 

208./209.Tag 

5,98 

501 

29,96 

2.  Tag  vor  Beginn 
der  Menstruation 

209./210.    , 

5,60 

481 

26,94^ 

Tag  vor  Beginn  der 
Menstruation 

213./214.    „ 

5,68 

449 

25,28 

Letzter  Tag  der 
Menstruation 

214./215.    « 

5,00 

352 

17,60 

2I5./216.    , 

5,31 

414 

21,98 

221./222.    „ 

5,58 

429 

23,94 

224. 

4,90 

398 

19,50 

225. 

5,60 

327 

18,31 

stimmuDg  eine  noch  vollkommenere  sein  würde,  wenn  es  gelänge^ 
jeden  auch  noch  so  kleinen  Yersuchsfehler  aaszuschalten. 

Wie  es  scheint,  ist  die  Natur  bestrebt,  die  Abnahme  der 
Quantität  der  Milch  am  Ende  der  Laktationszeit  durch  eine 
relative  Zunahme  des  Fettgehaltes  zu  kompensieren,  denn  die  in 
der  Tabelle  III  verzeichneten  Zahlen  sind  durchweg  höhere  als 
die  in  Tabelle  II.  Diese  Erscheinung  würde  in  vollem  Einklang 
stehen  zu  der  oben  mitgeteilten  Wahrnehmung,  wonach  der 
Fettgehalt  der  zu  Beginn  einer  Mahlzeit  des  Säuglings  ab- 
gesonderten Milch  um  so  höher  ist,  je  weniger  die  Brustdrüse 
gefüllt  ist.  Danach  würde  sich  die  Steigerung  des  Fettgehaltes 
in  der  Zeit  der  Ablaktation  durch  eine  entsprechende  Vermehrung 
des  Fettes  in  der  Anfangsmilchportion  jeder  einzelnen  Mahlzeit 
erklären. 

Weiterhin  zeigen  auch  noch  die  mitgeteilten  Untersuchungen, 
dass  die  pro  Tag  mit  der  Nahrung  dem  Kinde  zugeführte  ab- 
solute Fettmenge  nur  ganz  geringen  Schwankungen  unterworfen 
ist  und  nicht  so  ungeheuere  Differenzen  aufweist,  wie  sie  Gregor 
angegeben  hat  (im  1.  Falle  Schwankungen  zwischen  26,9  und 
56,5  g,  im  2.  Falle  zwischen  25,2  und  61,0  g  und  im  3.  Falle 
zwischen  19,8  und  37,4  g),  und  dass  es  schon  aus  diesem  Grunde 
nicht  angeht,  die  bei  Brustkindern  zuweilen  auftretenden  dys- 
peptischen  Stühle  auf  eine  besondere  Fettarmut  der  Nahrung  in 
dieser  Zeit  zu  beziehen. 


612  Key  her,  Über  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch. 

Übrigens  hat  bereits  Heubner  auf  Grund  einer  grösseren 
Zahl  von  Untersuchungen,  welche  Prof.  Hof  mann  in  Leipzig 
seiner  Zeit  ausgeführt  hat,  die  Tatsache  festgestellt,  dass  die 
Muttermilch  etwa  von  der  dritten  Woche  nach  der  Entbindung 
an  Monate  lang  eine  sehr  beständige  Zusammensetzung  hat, 
welche  in  geringen  Grenzen  um  folgende  Werte  schwankt: 

Eiweiss  Fett  Zucker  Asche 

1,03  pCt.    4,07  pCt.     7,03  pCt.    0,21  pCt. 

Auch  die  Fettbestimmungen  von  Johannessen  und  Wang 
ergeben  fast  übereinstimmende  Werte  für  den  Fettgehalt  der 
Milch  derselben  Frau  an  verschiedenen  Tagen. 

Es  wäre  naturlich  wünschenswert,  dass  mit  der  hier  an- 
gegebenen ein  wandsfreien  Methodik  weitere  Untersuchungen  zur 
völligen  Klärung  der  behandelten  Frage  angestellt  würden. 

Die  Frage  selbst  ist  für  den  Pädiater  wichtig  genug,  denn 
gerade  das  Fett  mit  seinem  hohen  Ealorienwert  macht  bei  der 
gegenwärtig  vertretenen  Anschauung  von  dem  regellosen 
Schwanken  seines  Gehaltes  in  der  Muttermilch  alle  Berechnungen 
der  mit  der  täglichen  Nahrung  zugeführten  Kalorien  illusorisch. 
Sollte  sich  durch  nachfolgende  Analysen  in  der  angegebeneD 
Weise  allgemein  der  Satz  aufstellen  lassen,  dass  der  prozen- 
tualische  Fettgehalt  der  täglich  vom  Kinde  genossenen  Mutter- 
milch annähernd  gleich  ist  während  des  grössten  Teiles  der 
Laktationsdauer,  so  würden  bei  künftigen  Messungen  der 
Nahrungsmengen  von  Brustkindern  gelegentlich  angestellte 
Analysen  genügen,  um  auch  für  die  übrige  Zeit  die  Zusammen- 
setzung der  Nahrung  und  die  Anzahl  der  mit  dieser  eingeführten 
Kalorien  zu  bestimmen. 

Um  zu  weiteren  derartigen  Untersuchungen  den  Anstoss 
zu  geben,  ist  der  hauptsächlichste  Zweck  der  vorliegenden  Arbeit. 

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614  Roy  her,  Über  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch. 

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Kinderheilk.     1895.    S.  126. 

32.  Raciborski,  Traite  de  la  mentrnation.     Paris  1868. 

33.  Reiset,  Ann.  de  Chimie  et  de  Physiqne.    3.  Ser.    T.  XXV.    S.  82. 

34.  Rotondi,  Alcune  considerazioni  sul  latte  muliebre.   Riv.  di  clin.  pediat. 

1903.    No.  11. 

35.  Rnbner    und    He  üb  n  er,    Die    natürliche    Ernährung    eines    Säuglings. 

Zeitschr.  f.  Biol.    Bd.  XXXVI.     1898. 

36.  Dieselben,  Zur  Kenntnis  der  natürlichen  Ernährung  des  Säuglings.  Zeit- 

schrift  f.   experiment.  Pathol.  u.  Therap.     I.  Bd.     1.  H.    Berlin  1905. 

37.  Schlossmann,  Zur  Frage  der  natürlichen  Säuglingsernähruug.  Arch.  f. 

Kinderheilk.    Bd.  XXX.     1900. 

38.  Derselbe,  Weiteres  zur  Frage  der  natürlichen  Säuglingsernährung.   Arch. 

f.  Kinderheilk.    Bd.  XXXIII.     1902. 

39.  Schreiber    und  Draeger,    Zur   Chemie    der   Frauen-    und    Kuhmilch. 

Centralbl.  f.  Stoffwechsel*  u.  Verdauungskrankh.     III.     431. 

40.  Schukowsky,  Zeitschr.  f.  Biol.    Bd.  IX.     1878.    S.  32. 

41.  Sharples    und  Darling,    Variation  in  che  composition  of  hnmac  milk. 

Boston  med.  and  surg.  Journ.     16.  April  1903. 

42.  Simon,  Die  Frauenmilch.     Berlin  1838. 

43.  Söldner,     Analysen     der    Frauenmilch.      Mit     einer    Einleitung    tod 

Dr.  Gamerer  und  Schlussbemerkungen  von  beiden  Autoren.     Zeitschr. 
f.  Biol.    Bd.  XXXIII.     1896. 

44.  Sourdat,  Gompt.  rend.     1870.     LXXI.     p.  87. 

45.  Thiemich,   Über  Veränderungen  der  Frauenmilch  durch  physiologische 

und    pathologische  Zustände.     Monatsschr.    f.  Geb.  u.  Gyn.     Bd.  Vlll. 
1898.     S.  521  u.  645. 

46.  Derselbe,   Über   den  Eiufluss    der  Ernährung    und   Lebensweise    auf  die 

Zusammensetzung    der    Frauenmilch.      Monatsschr.    f.    Geb.    u.    Gjd. 
Bd.  IX.    S.  504. 

47.  Tidy,  Clinical  lectures  and  reports  of  the  London  hospital  1867.    S.  77. 

48.  Vernois  und  Becquerel,  Du  lait  chez  la  femme.   Paris,  Bailiiere  1853. 


Zur  Kenntnis  des  Kreatininstoffwechsels 
beim  Säugling. 

Von 

Dr.  HANS  RIETSCHEL, 

ÄMtotent  der  Pollkliolk. 

Während  wir  durch  die  Arbeit  der  letzten  Jahre  in  der 
Erkenntnis  des  Stoffwechsels  der  Harnsäure  und  der  Purinbasen 
ein  gut  Stück  yorwärts  geschritten  sind,  sind  wir  leider  nicht  in 
der  Lage,  das  gleiche  vom  Kreatinin  zu  behaupten.  Von  der 
Harnsäure  und  den  Xantinbasen  wissen  wir,  dass  sie  Stoffwechsel- 
produkte spezifischer  Substanzen  im  Organismus  darstellen,  die 
wir  mit  dem  gemeinsamen  Namen  der  Nucleine  umfassen,  sodass 
also  die  Bildung  dieser  Körper  im  wesentlichen  vollkommen  ge- 
trennt yom  eigentlichen  Eiweisstoffwechsel,  dessen  hauptsächlichste 
Schlacke  wir  im  Harnstoff  sehen,  vor  sich  geht;  vom  Kreatinin, 
das  wir  als  konstanten,  stickstoffhaltigen  Bestandteil  des  Urins 
kennen,  steht  es  zunächst  noch  dahin,  ob  wir  es  ebenfalls  mit  einem 
Stoffwechselendprodukt  im  obigen  Sinne  zu  tun  haben.  In  den  Lehr- 
büchern^) der  Physiologie  wird  das  Kreatinin  als  ein  noch  nicht 
zu  Harnstoff  oxydiertes  Zwischenprodukt  aufgefasst.  Was  dieser 
Anschauung  soviel  Anhang  verschaffte,  war  das  chemische  Ver- 
halten des  Harnstoffes  und  Kreatinins  zueinander.  Schon 
Liebig^)  konnte  zeigen,  dass  Kreatin  und  dessen  Anhydrid 
Kreatinin  beim  Kochen  mit  Alkalien  unter  Wasseraufnahme  in 
MethylglycocoU  und  Harnstoff  zerfallen.  Wenn  dieser  chemische 
Vorgang  so  leicht  extra  corpus  demonstriert  werden  konnte,  war 
es  da  nicht  ebenso  gut  möglich,  dass  eine  ähnliche  Oxydation 
im  Körper  statthatte?  Die  Möglichkeit  einer  solchen  ist  selbst- 
redend ohne  weiteres  zuzugeben,  nur  wäre  es  wohl  fehl  gegangen, 

')  Neameister,  Lehrbuch  der  pliys.   Chemie.     S.  430. 
')  Liebig,  Annalen  der  Chemie.     62.     1847.     S.  310. 


616  Rietschel,  Zar  Kenntnis  des 

aus  einem  im  Keagensglas  relativ  leicht  sich  abspielenden  Prozess 
sofort  die  Folgerung  zu  ziehen,    dass    diese  Reaktion  in  gleicher 
Weise  im  Organismus  vor  sich  gehen  müsste.     Dazu  kennen  wir 
zu    wenig    all    die    Zwischenprodukte    des    Eiweissstoffwechsels, 
speziell  diejenigen,  welche  die  Brücke  zwischen  den  Aminosäuren 
und  dem  Harnstoff  bilden.    Auch  andere  Bedenken  erheben  sich. 
Wenn  wirklich  das  Kreatinin  nur  ein  Zwischenprodukt  im  Harnstoff- 
stoffwechsel   ist,    warum    verbrennt    dann  der  Körper  nicht  alles 
intermediär  gebildete  Kreatinin  zu  Harnstoff,   sondern  lässt  stets 
eine  ziemlich  konstante  Menge  unverbrannt  zur  Ausscheidung  ge- 
langen?  Mit  derartigen  Fragestellungen  kommen  wir  jedoch  über 
Vermutungen  nicht  hinaus;    wir  müssen  uns  an  das  Tatsächliche 
halten.     Was  wir  über  den  Kreatininstoffwechsel   wissen,    das  ist 
vor  allem,  dass  die  Kreatininausscheidung  von  der  Nahrung  scharf 
beinäusst    wird,    ganz    ebenso    wie    die    der  Harnsäure,    und  ich 
möchte    in  Analogie    dazu  diese  Form  des  Kreatininstoffwechsels 
als  „exogen**  bezeichnen.     Per  os  eingenommenes  Kreatin  —  und 
wir  nehmen  solches    besonders  mit  dem  zugeführten  Fleisch  und 
in    geringerem  Masse    auch    in    anderen    Nahrungsmitteln   —   er- 
scheint fast  quantitativ  im  Harn  als  Kreatinin  wieder.  Das  ist  durch 
die    Untersuchungen    von  Meissner^),  Voit*),    Rubner    u.  A.') 
als  gesichert  zu  betrachten.     Aus  dieser  Tatsache  allerdings  den 
Schluss  zu  ziehen,    dass    auch    die    im  Organismus   entstehenden 
Fleischbasen  das  gleiche  Verhalten  zeigen,  wie  es  z.  B.  Mallet^) 
tut,  ist  entschieden  nicht    berechtigt    und  auch   von  autoritativer 
Seite  zurückgewiesen   worden.     Dass    aber    neben    dem    mit    der 
Nahrung    eingeführten    und    quantitativ    durch    die    Nieren    aus- 
geschiedenen Kreatinin    ein    sicher    „endogen*^    entstandenes    ein 
regelmässig    erscheinender  Körper   im    Harn    ist,    erweisen    zahl- 
reiche Versuche.     Der  sicherste  Beleg  dafür  scheint  mir  der  am 
Hungerkünstler  Succi  von  Baldi*)  beschriebene  Versuch  zu  sein. 
Hier  war  bis  zum  17.  Hungertag  das  Kreatinin  noch  in  wägbaren 
Mengen    und    von  da  an    zwar  nur  in  Spuren,    aber   regelmässig 


>)  Meissner,  Zeitschr.  f.  rat.  Med.  4  (65).  S.  97.  Bd.  26.  S.  225. 
Bd.  31.     S.  283. 

>)  Voit,  Zeitchr.  f.  BioL     Bd.  4.     S.  114. 

8)  Rubner,  Zeitschr.  f.  Biol.    Bd.  84.     S.  265. 

«)  Malle t,  U.  S.  Depart.  of  Agrieult.  Balletin  60.  Cit.  nach  Maijs 
Jahresbericht.     XXIX.     S.  659. 

»)  Baldi,  Centralbl.  f.  klin.  Med.     Bd.  10.     S.  651. 


Kreatininstoffwechsels  beim  S&ngliog.  617 

vorhanden.  Das  Verhältnis  zam  Gesamtstickstoff  blieb  dauernd 
unverändert. 

Die  physiologische  Chemie  hat  uns  gezeigt,  dass  die  beiden 
Fleischbasen  konstant  im  Muskelfleisch  sich  vorfinden  und  als 
Zersetzungsprodukte  gewisser  Eiweissstofle  des  Muskels  aufzu- 
fassen sind.  So  entspann  sich  zunächst  die  Diskussion,  ob  etwa 
vermehrte  Muskeltätigkeit  auch  eine  Vermehrung  des  Ereatinin- 
gehalts  im  Harn  zur  Folge  hat  oder  nicht.  Es  hat  an  Vei-tretern 
beider  Anschauungen  nicht  gefehlt,  doch  kann  wohl  heute  nach 
den  Untersuchungen  von  Oddi  und  Tarnulli^),  Grocco^), 
Moitessier')  u.  A.  und  besonders  Gregor*)  als  gesichert  be- 
trachtet werden,  dass  verstärkte  Muskeltätigkeit  den  Kreatinin- 
gehalt  des  Urins  steigen  lässt.  Allerdings  geht  diese  Steigerung, 
wie  Gregor  besonders  hervorhebt,  im  allgemeinen  langsam  vor 
sich  und  erreicht  erst  am  nächsten  Tag,  event.  noch  später  ihr 
Maximum.  Damit  sind  wohl  die  meisten  gegenteiligen  Annahmen 
zu  erklären. 

Eine  zweite  wichtige  Frage,  ob  das  Kreatinin  des  Muskels 
mit  dem  des  Harns  identisch  sei  oder  nicht,  ist  heute  zugunsten 
der  ersteren  Auffassung  entschieden.  Pommerehne  und 
Toppelius^)  wiesen  die  vollkommene  Identität  dieser  beiden 
Stoffe  nach  und  widerlegten  zu  gleicher  Zeit  die  Angaben  John- 
sons"),  der  das  Kreatinin  des  Muskels  zwar  als  isomer,  aber  nicht 
als  identisch  mit  dem  des  Harns  ansah.  Mir  scheint  dieser  letzte 
Befund  von  ausschlaggebender  Bedeutung  für  die  Beurteilung  des 
Kreatininstoffwechsels  zu  sein;  leider  hat  er  nicht  die  genügende 
Würdigung  in  der  Literatur  erfahren.  Denn  diese  beiden  Tat- 
sachen (der  Vermehrung  des  Harnkreatinins  bei  grosser  Muskel- 
tätigkeit und  der  chemischen  Identität  des  Muskel-  und  Harn- 
Kreatinins)  mussten  unbedingt  dazu  führen,  im  Kreatinin  ein 
spezifisches  Stoffwechselendprodukt  der  Muskeltätigkeit  .zu  sehen. 
Nach  Tetanisierung  des  Muskels  steigt  der  Kreatingehalt,  wenn 
auch  unerheblich,  an:  in  sehr  erhöhtem  Masse  jedoch  beim  Hunger- 
zustand.    Demant')  konnte  bei  Tauben  im  vorgerückten  Hunger- 

0  Oddi  u.  Tarnulli,  Boll.  deirAcademia  med.  di  Roma.  1893. 
Bd.  XIX. 

*)  Grocco,  AnDali  di  clinica  e  di  farmocol.     1886.    Bd.  IV. 
>)  Moitessier,  Compt.  rendus  de  la  Soc.  de  Biol.    1891.   Bd.  43.    573. 
*)  Gregor,  Zeitschr.  f.  phys.  Chemie.    Bd.  31. 
*)  Pommerehne  u.  Toppelius,  Arcb.  de  pharmac.     284. 
<)  Johnson,  Proceedings  of  tho  London  Roy.  Soc.     1897.     Bd.  42. 
7)  Demant,  Zeitschr.  f.  phys.  Chemie.     1881.     Bd.   4.     S.  419. 
.tührbnch  f.  Kinderheilkuode.    N.  F.    TJCI,  Heft  4.  40 


618  Rietsehely  Zor  Kenntou  des 

zustand  zeigen,  dass  der  prozentische  Ereatingehalt  der  Moskeln 
um  das  Dreifache  desjenigen  beim  normalen  Tiere  gestiegen  war. 
Und  endlich  wissen  wir,  dass  bei  allen  Zustanden,  in  denen  ein 
Termehrter  Eiweisszerfall  im  Körper  statthat,  also  speziell  im 
Fieber  und  bei  kachektischen  E^rankheiten,  der  Ereatiningehalt 
im  Harn  erhöht  ist,  and  zwar  ungefähr  im  gleichen  Verhältnis 
zum  ausgeschiedenen  Harnstoff.  Damit  sind  aber  auch  unsere 
wesentlichsten  Kenntnisse  über  das  Kreatinin,  soweit  sie  den 
intermediären  Stoffwechsel  berühren,  erschöpft. 

Diesen  gleichen  Gedanken,  dass  das  Kreatinin  das  Stoff- 
wechselendprodukt eines  spezifischen  Muskelstoffwechsels  darstellt, 
fand  ich  in  der  schon  oben  erwähnten  Arbeit  von  Gregor,  die 
ich  aber  erst  im  Laufe  meiner  Untersuchungen  zu  Gesicht  bekam, 
nachdem  der  Plan  und  zum  Teil  die  Ergebnisse  fertig  standen. 
Verfasser  fuhrt  dabei  noch  die  eine  interessante  Notiz  an,  dass 
nach  von  Noorden^)  „in  derlnanition  die  gleiche  Menge  ELreatinin 
im  Harn  erscheint,  als  in  der  durch  die  Stickstoff berechnung  er- 
mittelten zersetzten  Muskelsubstanz  enthalten  ist^. 

Es  lag  daher  nahe,  einmal  beim  Säugling  an  die  Unter- 
suchung des  Kreatininstoffwechsels  zu  gehen,  speziell  darüber,  ob 
diese  Körper  auch  hier  als  regelmässiger  Bestandteil  des  Harns 
zu  finden  sei.  Da  die  Milch  als  nahezu  frei  yon  Fleischbasen  zu 
betrachten  ist,  konnte  man  yon  dieser  Untersuchung  eine  Vertiefung 
unserer  Kenntnisse  des  endogenen  fiLreatininstoffwechsels  erwarten. 
In  der  Literatur  sind  nur  ganz  vereinzelte  Angaben  —  zum  Teil 
sich  widersprechende  —  zu  finden.  Czerny  und  Keller  er- 
wähnen die  Kreatininausscheidung  in  ihrem  Handbuch  überhaupt 
nicht.  Auch  bei  Huppert*)  vermisse  ich  eine  Angabe  über 
Kreatininausscheidung  beim  Säugling.  Die  älteste  Angabe  datiert 
von  Hof  mann'),  der  den  Urin  von  Kindern,  die  mehrere  Wochen 
alt  waren,  auf  Kreatinin  untersuchte.  Er  benutzte  Mengen  von 
150—600  ccm,  konnte,  aber,  selbst  bei  wochenlangem  Stehen 
niemals  die  Ausscheidung  von  Kreatinin  -  Chlorzinkkristallen 
nachweisen.  £ine  gleiche  Beobachtung  ist  von  Pouchet^  zu 
berichten,  der  ebenfalls  beim  Säugling  stets  Kreatinin  vermisste, 
während  Grocco  in  vereinzelten  Fällen  imstande  war,  Kreatinin- 


i)v.  Noorden,  Pathol.  des  Stoffwechsels.    Bd.  93.    S.  169. 
*)  Neubaur-Yogel-Happert,  Analyse  des  Harns. 
>)  Hofmann,  Virchows  Archiv  48.     1869. 

^)  Po  ach  et,  Gontributions  k  la  eonnaissance  des  matiäres  extraociTSS 
-de  Tarine.    Joarnal  de  therap.  7.     (Zit.  nach  Malys  Jahresbericht.) 


Kroatin instoffwechseis  beim  Säagling. 


619 


'Chlorzinkkristalle  mikroskopisch  nachzuweisen  (pure  ossai  scarsi  e 
non  constantemente).     Damit  ist  die  Literatur  erschöpft. 

Es  war  gewiss  geboten,  diese  so  widersprechenden  Angaben 
einmal  nachzuprüfen;  Kollegen  Langstein,  der  mich  zu  dieser 
Arbeit  veranlasste,  spreche  ich  dafür  meinen  herzlichsten  Dank  aus. 

Die  Methode,  deren  ich  mich  bediente,  war  im  wesentlichen 
•die  völlig  gleiche  der  früheren  Autoren  (nach  Neubauer- 
Salkowski).  In  Bezug  auf  Einzelheiten  verweise  ich  auf  die 
Abhandlung  von  Gregor,  der  ihre  Yorzüge  und  Nachteile 
kritisch  beleuchtet  hat.  Speziell  kann  ich  die  Schwierigkeiten 
nicht  unerwähnt  lassen.  Mich  störten  besonders  am  Sauglings- 
nrin  die  amorphen  Niederschläge  nach  Chlorzinkzusatz,  die  ich 
bei  dem  Harn  erwachsener  Menschen  nicht  in  dem  Maasse  ein- 
treten sah.  In  der  Literatur  habe  ich  betreffs  dieses  Unter- 
schiedes zwischen  dem  Harn  von  Erwachsenen  und  Säuglingen 
nichts  gefunden,  doch  sind  überhaupt  die  Angaben  über  den 
Säuglingsurin  meist  mit  einigen  wenigen  Zeilen  abgetan. 

Die  Untersuchung  geschah  stets  mikroskopisch,  dann  wurde, 
gleichviel,  ob  Kristalle  von  Kreatininchlorzink  gefunden  wurden 
oder  nicht,  der  Niederschlag  in  wenig  Wasser  gelöst,  und  mit 
ihm  die  Weylsche  Reaktion  angestellt.  War  bei  beiden  Unter- 
suchungen die  Probe  negativ  ausgefallen,  so  konnte  man  an- 
nehmen, dass  kein  Kreatinin  im  Harn  enthalten  war^). 


^ 

Name  and  Alter 

Ern&hrang 

Diagnose 

Urin 

Kreatinin- 
chlorzink- 
krist. 

Weyl- 
sche 
Probe 

1. 

Kielinp,  Willy, 
5  Monate 

Kellersche 
Malzsappe 

Atrophie 

UO,alkal. 

— 

— 

2. 

Gimmel, 
6  Wochen 

t/,  Buttermilch, 
+  Vi  Mutter- 
milch 

Dyspepsia 
chron.  (in 
Reparation) 

140,  alkal. 

~-~ 

■""" 

d. 

Franke,  Paal, 
6  Monate 

Kellersche 
Malzsnppe 

Atrophie 

240,  sauer 

— 

— 

^• 

Henschke,  Gerhard, 
41/9  Monate 

Buttermilch 

Bnteiokatarrh 
(abgelaufen) 

80,  sauer 

— 

' — 

5. 

Kieling, 
6  Monate 

Kuhmilch 

Atrophie 

90,  saaer 

— 

— 

6. 

Kieling  and 
Henachke 

Kahmilch 
-|-  Buttermilch 

8.  0. 

850,  saaer 

— 

— 

')  Man  erh&lt  die  Probe  nach  Wejl  noch  mit  5  ccm  einer  Lösang,  dio 
nicht  mehr  als  0,3  p.  m.  Kreatinin  resp.  Kreatinin  chorzink  enth&lt  (Hnppert» 
Analyse  des  Harns  S.  894). 

40» 


620 


Kietschel,  Zar  KeoDtnis  des 


»3  1   Name  and  Alter 

1 

Ern&hrang 

Diagnose 

Urin 

CXM 

Weyl- 

sehe 

Probe 

7. 

Urio  zasam  menge- 

gössen  von  Aromen- 

kiodem 

— 

650,  sauer 

- 

8. 

Makowski,  Max, 
4  Monate 

Keilersche 
Malzsnppe 

Atrophie 

600,9chwach 
alkal. 

— 

9. 

Ernst,  Herbert, 
6i/s  Monate 

Enteritis 
(abgelaufen) 

160,  sauer 

10.            KieliDg, 
!          7  Monate 

Kahniileh 

Atrophie 

265,  sauer 

— 

— 

11. 

Hanke, 
15  Monate 

Pegninmileh 

Atroph.,  Lues 

310,  sauer 

— 

— 

12. 

Urin  z Qsam menge- 
gos8.v.  atroph.,nicht- 
fiebernd.  S&ngling. 

"^^ 

750,  sauer 

^~* 

KBWIfeClB 

+ 

13. 

Urin  zusammenge- 
gossen T.  Ammen- 
kindem 

520,  sauer 

" 

" 

14. 

Honke, 
15Vi  Monate 

Buttermilch, 
Amme 

Atrophie 

180,  sauer 

— 



15. 

GleisBoer 
3  Mooate 

Battermilcb 
+  Kuhmilch 

Lues 

170,  sauer 

— 



Die  im  folgenden  mitgeteilten  Resultate  sind  insofern  aber- 
raschend,  als  sie  in  den  Rahmen  des  vorhin  Erörterten  nicht 
hineinzupassen  scheinen.  Bevor  ich  sie  diskutiere,  seien  zwei 
Versuche  mitgeteilt,  die  ich  zu  gleicher  Zeit  am  Säugling  anstellte. 
Der  eine  sollte  die  Frage  beantworten,  wie  sich  per  os  ein- 
genommenes  Kreatinin  im  Säuglingsorganismus  verhält,  der  zweite 
sollte  über  die  Kreatininausscheidung  im  Fieber  Aufschluss  geben. 
Die  Beantwortung  der  ersten  Frage  ergibt  sich  aus  den  Resultaten 
folgender  zwei  Versuche: 


o 


Name  und 
Alter 


Franke,  Paul, 
6  Monate 

Makowski,  Maz, 
2  Monate 


Kellersche 
-|-  5  g  Liebigs  Fleiscl 
extrakt 

>/s  Kellersche  Malzs., 
Vs  Kuhmilch  +  10  g 
Liebigs  Fleischextrakt 


Stark  + 


Kreatiniostoffwechseis  beim  Sftagling. 


621 


Eine  quantitatire  BestimmuDg  des  ausgeschiedenen  Kreatinins 
wurde  nicht  vorgenommen,  da  in  beiden  Fällen  amorphe  Nieder- 
schläge daran  hinderten;  ob  sich  per  os  eingeführtes  Kreatinin 
im  Stoffwechsel  des  Erwachsenen  und  des  Säuglings  gleich  ver- 
hält,  das  mag  einer  späteren  Untersuchung  vorbehalten  bleiben. 

Die  zweite  Frage  fand  ihre  Beantwortung  durch  die  Resultate 
folgender  Versuche: 


Name  and  Alter 


Diagnose 


Urin 


Kreat.- 
Krlst. 


Weyl 


Schwedler,  Hellmuth, 
4  Monate 

Mann,  There«e 
Duoke,  Srich 


Otitis  media, 
39,5 

Tracheobronch., 
39,2 

Tracheobronch. 
38,6 


150, 
sauer 

110, 
sauer 

200, 
sauer 


vereinzelt 


+ 

Schwach 

+ 
Schwach 

+ 


In  dem  einen  dieser  Versuche  war  die  Kreatininausscheidung 
sicher,  in  den  beiden  andern  sehr  wahrscheinlich.  Nach  diesen 
Versuchen  scheint  es,  dass  die  Menge  des  im  Fieber  aus- 
geschiedenen Kreatinins  nur  äusserst  gering  ist. 

Schwierigkeiten  bereitet  entschieden  die  Deutung  des 
Fehlens  der  Fleischbase  im  Harn  nicht  fiebernder  Säuglinge.  Die 
nächstliegende  Erklärung  wurde  die  sein,  die  iMangelhaftigkeit  der 
Methode  dafür  haftbar  zu  machen,  und  dieser  Vorwurf  ist  gewiss 
nicht  Yöllig  zu  entkräften;  ich  habe  schon  ausgeführt,  dass  auch 
der  Methode,  die  als  die  beste  von  allen  gilt,  geringe  Fehler  an- 
haften, die  aber  natürlich  bei  sehr  kleinen  Mengen  viel  schwerer 
ins  Gewicht  fallen.  Zunächst  ist  darauf  zu  achten,  dass  der  Urin 
der  Säuglinge  nicht  alkalisch  reagieren  darf,  sondern  stets  mit 
Essigsäure  angesäuert  zur  Verwendung  kommen  muss.  Im 
alkalischen  Harn  geht  das  Kreatinin,  wie  es  scheint,  in  Kroatin 
über.  Auch  darüber,  ob  man  den  schwach  durch  Kalkmilch 
alkalisch  gemachten  Urin  vor  dem  Eindampfen  ansäuern  soll  oder 
nicht,  sind  die  Meinungen  geteilt.  Während  ich  im  Anfang  die 
Ansäuerung  unterliess,  tat  ich  es  später  stets  (mit  Essigsäure).  In 
beiden  Fällen  waren  die  Ergebnisse  die  gleichen. 

Der  amorphe  Niederschlag,  der  bei  Zusatz  von  Chlorzink 
meist  nach  einiger  Zeit  auftritt  wiikt  entschieden  auf  die  Be- 
urteilung, ob  eine  Ausscheidung  von  Kristallen  stattgefunden  hat 
oder    nicht,    recht    störend.      Wenn    man    schöne    Kristalle     von 


622  Rietschel,  Zar  KenotDis  des 

Kreatinin-ChlorzJDk  unter  dem  Mikroskop  zu  sehen  Gelegenheit 
hat,  so  ist  die  Diagnose  nicht  schwer,  aber  bei  kleinen,  nur  mit 
stärkerer  Yergrösserang  sichtbaren  Ertstallchen  ist  die  Unter- 
scheidung von  anderen  nicht  so  einfach,  zumal  öfter  noch  andere 
Salze  auskristallisieren  können.  Ich  möchte  dies  besonders  im 
Hinblick  auf  den  positiven  Befund  Groccos  hervorheben. 

Ich  muss  also  als  Resumä  meiner  Untersuchungen  zugeben,, 
dass  es  mir  nicht  gelang,  im  Harn  nichtfiebernder  Säuglinge  ein-' 
wandsfrei  Kreatinin  nachzuweisen. 

Daneben  diene  zum  Verständnis  dieses  auCFalligen  Verhaltens 
noch  folgende  Erwägung  : 

Es  war  von  vornherein  zu  erwarten,  dass  die  Ausscheidung 
von  Kreatinin  durch  den  Harn  von  Säuglingen  nur  äusserst  gering 
sein  konnte,  denn  die  Nahrung,  die  sie  geniessen,  ist  als  kreatin- 
und  kreatininfrei  zu  betrachten.  '  Zwar  geben  Weyl  für  das 
Kreatin,  Commoille  für  das  Kreatinin  an,  dass  diese  Stoffe 
wahrscheinlich  in  ganz  geringen  Mengen  in  der  Milch  enthalten 
seien;  ein  ein  wandsfrei  er,  exakter  Beweis  konnte  aber  auch  von 
ihnen  nicht  erbracht  werden,  da  eben  die  Mengen  verschwindend 
klein  sind.  Da  wir  oben  gesehen  haben,  dass  das  exogen  zu- 
geführte Kreatin  und  Kreatinin  auch  vom  Säugling  als  Kreatinin 
ausgeschieden  wird,  so  wird  wohl  auch  mit  den  in  der  Milch  zu- 
geführten Stoffen  dies  der  Fall  sein,  und  entzieht  sich  eben  der 
Nachweis  des  Stoffes  im  Harn  durch  die  geringe  Menge  desselben 
und  die  Schwierigkeit  der  Methode. 

Eine  zweite  Überlegung  kommt  hinzu.  Ich  war  aus  be- 
greiflichen Gründen  genötigt,  besonders  an  schwächlichen  Kindern 
zu  experimentieren,  bei  denen  die  Muskeltätigkeit  sehr  beschränkt 
blieb.  Da  wir  wissen,  dass  speziell  vermehrte  Muskeltätigkeit 
das  Auftreten  von  Kreatinin  im  Harn  begünstigt,  wird  das 
Fehlen  des  Stoffes  im  Harn  der  von  mir  untersuchten  Säuglinge 
deshalb  verständlicher,  da  hier  der  eigentliche  Muskelstoffwechsel 
durch  die  geringe  Bewegung  und  den  mangelnden  Gebrauch  ihrer 
Glieder  sehr  darniederliegt. 

Vielleicht  spielt  noch  eine  dritte  Konpouente  eine  Rolle,  die 
ich  jedoch,  da  sie  rein  hypotetischer  Natur  ist,  nur  kurz  andeuten 
will.  Beim  Säugling  fehlt  das  Stickstoffgleichgewicht,  dies  Grund- 
gesetz für  den  Stoffwechsel  des  Erwachsenen.  Ob  der  „Stickstoff- 
Hunger'^,  den  der  Sängling  in  so  starkem  Maasse  besitzt,  nicht 
auch  mit  dazu  beitragen  kann,  mit  der  Ausscheidung  stickstoff- 
haltiger Substanzen    so    sparsam  wie  möglich  zu  verfahren?     Es 


KreatiniDstoffwechseU  beim  S&ngling.  628 

Terlohnt  sich  nicht,  weitere  Gedanken  über  diesen  Punkt  za 
spinnen,  so  interessant  sie  wären,  da  sie,  wie  gesagt,  rein  hypo- 
thetischer Natur  sind. 

Jedenfalls  gibt  es  mannigfache  Gründe,  die  uns  das  Fehlen 
des  Kreatinins  im  Harn  nicht  fiebernder  Säuglinge  verständlich 
erscheinen  lassen.  Der  Gedanke,  daraus  eine  grundlegende  Ver- 
schiedenheit des  Stoffwechsels  des  Säuglings  von  dem  des  Er- 
wachsenen zu  schliessen,  ist  gewiss  nicht  J>erechtigt,  zumal  auch 
Schwierigkeiten  der  Methodik  dazutreten. 

Bei  dieser  Auffassung  können  wir  beim  Säugling  im 
Kreatinin  ebenso  das  Produkt  eines  spezifischen  Muskelstoff- 
wechsels sehen,  der,  wie  der  der  Harnsäure  und  der  Purinbasen, 
dem  eigentlichen  Eiweissstoffwechsel  als  koordiniert  anzureihen  ist, 
aber  von  ihm  unabhängig  im  Gesamtstoffwechsel  einhergeht. 


10. 

Ein  Beitrag  zur  Kenntnis 
der  hämorrhagischen  Erytheme  im  Kindesalter. 

Von 
Dr.  med.  et  phil.  LEO  LANGSTEIN, 

Anittenten  der  Poliklinik. 
(Hierau  Taf.  VIII.) 

,yDie  Klinik  wird  bemüht  sein  müssen,  die  klinische  Scheidung 
der  idiopathischen  und  symptomatischen  Formen  des  Erythems 
mit  immer  grösserer  Schärfe  durchzufahren."  So  schliesst 
Jadassohn^)  seine  zusammenfassenden  Ausführungen  über  das 
Erythema  exsudativum  multiforme  und  nodosum;  in  der  Unter- 
lassung genauer  Differenzierung  sieht  er  den  wesentlichsten 
Grund  davon,  dass  unsere  Kenntnisse  von  der  Stellung  des 
Erythems  im  nosologischen  System  so  wenig  gesichert  sind  und 
fortgesetzt  Wandlungen  erfahren.  Die  exakte  Analyse  der  ver- 
schiedenen Erythemformen  erscheint  jedoch  nicht  nur  dadurch 
erschwert,  dass  die  ätiologische  Forschung  bisher  grösstenteils 
im  Stich  gelassen  hat.  Auch  die  unzweifelhaft  vorhandenen  Be- 
ziehungen und  Übergänge  zu  einer  Reihe  von  Krankheitsbildern, 
die  in  ihrer  Pathogenese  weder  einheitlich,  noch  genügend  er- 
forscht sind,  der  Purpura  simplex,  dem  Morbus  maculosus,  der 
Purpura  infectiosa,  fulminans,  der  Poliosis  rheumatica,  ver- 
schiedenen Urticariaformen  erschweren  uns  die  Beurteilung.  Sehr 
gering  an  Zahl  sind  die  in  der  Literatur  beschriebenen  Fälle  von 
Erythem,  die  in  ihrem  klinischen  Verlauf,  in  ihrer  periodischen 
Wiederkehr    an    jenes  Krankheitsbild    anklingen,    das  Henoch*) 


')  JadassoliD,  Erythema  exsudativam  muitif.  u.  oodosiim.  Ergebnisse 
von  Lnbarsch-Ostertag  1897. 

')  Henoch,  Lehrbuch  il.  Kinder- Krankheiten  1899. 


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Langstein,  Ein  Beitrag  zar  KenDtnis  etc.  ^25 

als  eine  besondere  Form  der  Purpura  bezeichnet  hat.  Sowohl 
aus  diesem  Grunde,  wie  auch  wegen  bisher  noch  nicht  beob- 
achteter, resp.  beschriebener  Symptome  verdient  ein  von  mir 
poliklinisch  beobachteter  Fall  dieser  Art  ausfuhrlichere  Mitteilung. 
Die  Krankengeschichte  ist  folgende: 

Die  Eltern  des  Kindes  sind  gesund,  ebenso  5  Geschwister,  keine  Be- 
lastung in  der  Familie;  diese  hat  eine  gesunde  Wohnung  und  befindet  sich 
in  guten  äusseren  Verhältnissen.  Das  Kind  wurde  '/«  Jahre  von  der  Mutter 
gestillt  und  erhielt  dann  gemischte  Kost.  Es  zahnte  mit  6  Monaten,  lief  mit 
einem  Jahr  und  lernte  zu  gleicher  Zeit  sprechen.  Mit  drei  Jahren  überstand 
es  einen  kurzdauerndeo  Krampfanfaii  mit  nachfolgender  Bewusstlosigkeit, 
der  sich  nicht  wiederholte.  Im  Jahre  1902  litt  es  an  einer  Halsentzündung, 
die  nicht  ärztlich  behandelt  wurde.  Die  jetzige  Krankheit  begann  am 
38.  Mai  1903.  Die  Mutter  war  mittags  mit  den  Rindern  spazieren  gegangen, 
nachdem  ihr  unsere  Patientin  einen  roten  Fleck  am  Fusse  gezeigt  hatte,  den 
sie  auf  den  Druck  des  Strumpfes  bezog.  Als  sie  vom  Spaziergang  nach 
Hause  kam,  waren  Füsse  und  Unterschenkel  angeschwollen,  mit  kleinen 
roten  Flecken  bedeckt,  die  den  andern  Tag  die  Grösse  einer  Handfläche  er- 
reichten und  die  Haut  des  ganzen  Körpers  überzogen.  An  den  Genitalien 
waren  sie  am  dunkelsten  und  grössten.  Der  Stuhlgang  war  angeblich  mit 
Blut  durchzogen  und  yon  penetrantem  Geruch;  der  herbeigerufene  Arzt 
diagnostizierte  Purpura.  Er  stopfte  den  Stuhlgang  durch  Pulver;  die  Flecke 
verschwanden  erst  nach  drei  Wochen,  nachdem  sie  alle  Regenbogenfarben 
gewechselt  hatten. 

Nach  Utägiger  Gesundheit  des  Kindes  begann  plötzlich  sein  Kopf 
anzuschwellen.  Ähnliche  Flecke,  wie  das  erste  Mal,  traten  am  ganzen  Körper 
auf,  und  während  die  alten  verschwanden,  bildeten  sich  an  anderen  Stellen 
neue.  Ausserdem  bestanden  Anfälle  von  Atemnot.  Der  herbeigeholte  Arzt 
verordnete  Bäder  und  empfahl  frisches  Obst  als  Nahrungsmittel.  Nichts- 
destoweniger traten  neue  Nachschübe  auf.  Die  Anfälle  von  Atemnot  wieder- 
holten sich,  so  dass  das  Kind  am  17.  IX.  1903  in  das  Krankenhaus  Bethanien 
gebracht  werden  musste.  Dort  blieb  es  10  Wochen.  In  dieser  Zeit  setzten 
drei  weitere  Rezidive  ein.  Ans  äusseren  Gründen  musste  nun  das  Kind  aus 
dem  Krankenhause  genommen  werden,  blieb  zu  Hause  noch  14  Tage  im  Bett 
und  erholte  sich  leidlich.  Ende  Januar  begann  die  Krankheit  neuerlich. 
Während  derselben  übersäten  grosse  Flecken  die  Haut  des  ganzen  Körpers; 
es  stellte  sich  Atemnot  und  Herzklopfen  ein,  blutiger  Durchfall  trat  wieder 
auf,  und  das  Kind  hustete  Blut.  Vom  herbeigeholten  Arzte  \vurdc  in  erster 
Linie  die  Herzschwäche  behandelt.  Auf  diätetische  Massnahmen  —  das  Kind 
bekam  reichlich  Obst  und  frisches  Gemüse  —  erfolgte  Besserung.  Nach 
6  Wochen  kam  ein  neuerlicher  Anfall,  auf  den  auch  wieder  Besserung  folgte. 
Am  13.  VII.  1904  wurde  mir  das  Kind  in  die  Poliklinik  gebracht.  Zwei 
Tage  vorher  war  es  mit  Appetitlosigkeit  und  Durchfall  erkrankt.  Flecke  in 
grosser  Zahl  waren  aufgetreten.     Ich  erhob  folgenden  Status: 

Status  praesens:  Sehr  blasses  Mädchen,  6V3  Jahre  ult,  mit  wachs- 
bleicher Haut,  geringem  Fettpolster  und  schlaffer  Muskulatur.  Das  rechte 
obere  Augenlid   ist    leicht    ödematös,    die  Haut    desselben    blaurot    verfärbt. 


626 


Langsteio,  Ein  Beitrag  zar  Kenntnis 


Die  Conjanctiya  bulbi  des  rechten  Auges  ist  ödematös,  überragt  wallartig 
den  äusseren  Teil  der  Hornhaut,  das  linke  Auge  ist  normal.  Das  rechte 
Ohr  ist  so  stark  ödematös  geschwellt,  dass  die  Kontaren  yerwischt  sind,  die 
Haut  desselben  ist  stellenweise  blutig  suffundiert,  die  Lippenschleimhant  ist 
bleich  und  trocken.  Starker  Fötor  ex  ore.  Die  Zunge  zeigt  dicken  weissen 
Belag,  die  Tonsillen  sind  geschwollen,  der  Rachen  ist  gerötet,  das  Zahnfleisch 
ist  überall  stark  gelockert  und  zeigt  stellenweise  kleinste  Blutungen.  Kben- 
solche  von  Stecknadelkopf-  bis  Linsengrösse  finden  sich  auf  der  Schleimhaut 
der  Wangen  und  des  Zungengrundes  und  grössere  Blutungen  auf  der  Schleim- 
haut des  Mundbodens.  Die  Haut  der  oberen  Extremitäten  bis  zum  Ellbogen 
ist  frei.   Auf  der  Haut  der  Unterarme,  insbesondere  auf  der  Streckseite  der- 


selben, sind  zahlreiche  Hämorrhagien  yon  rotTioletter  Farbe,  die  w&hrend 
der  Untersuchung  unter  den  Augen  entstehen.  Die  Beugefi&chen  der  Finger, 
ebenso  wie  die  Nagelbetten  sind  blutig  suffundiert.  Auf  der  Beugefl&che 
der  Hände  bemerkt  man  typische  Urticaria -Effloreszenzen.  Die  Haut  des 
Rumpfes  zeigt  ebensolche  Hämorrhagien,  wie  die  der  Arme.  Am  meisten 
affiziert  ist  die  Haut  der  Unter-  und  Oberschenkel,  wie  ans  den  beigegebenen 
Photographien  und  der  gemalten  Abbildung,  die  die  Farbennaancen  recht 
gut  wiedergibt,  heryorgeht.  Die  befallene  Haut  grenzt  sich  gegen  die  ge- 
sunde in  Bogenlinien  ab.  Kreisrunde  Hämorrhagien,  die  in  der  Mitte  eine 
gelblich-braune  Insel  zeigen,  werden  yon  einer  blauroten  Zone  umgeben,  auf 
die  eine  hochrote  folgt,  die  mit  einem  scharfrandig  abschneidenden  Wall  in 
die  normale  Haut  übergeht. 

Die  Lungen    sind    ohne    pathologischen    Befund.    Das  Herz    ist   nach 
rechts    dilatiert,    die    Herztöne    sind    rein,    die    Herzaktion    ist    regelmässig, 


der  h&morrliagischeii  Erytheme  im  Kindesalter.  627 

182  Schläge  in  der  MiDOte.  Leber  und  Mils  sind  nicht  TergröBsert.  Die 
Faaegelenke  sind  geschwollen,  stark  schmershaft,  das  Kind  kann  wegen  der 
Schmerzen  nicht  stehen. 

Der  Stuhl  ist  ziemlich  stark  blntig,  stinkend,  im  Urin  siud  geringe 
Mengen  von  Eiweiss,  keine  Zylinder.  Die  Indikanreaktion  ist  ansserordent- 
lich  stark  positiv. 

W&hrend  das  Erythem  auf  der  Haut  der  Füsse  die  typische  Farben- 
ver&nderung  der  Hautblntnngen  durchmacht,  treten  in  den  folgenden  Tagen 
auf  der  Haut  des  Rumpfes  neue  Blutungen  auf.  Das  hervorstechendste 
Symptom  des  Krankheitsbildes  am  folgenden  Tage  sind  die  hochgradigen 
Ödeme  des  Hand-  und  Fussrnckeos  wie  auch  der  Gesichtshaut  von  der  Stime 
bis  zum  Munde,  so  dass  der  Gesichtsausdruck  an  den  eines  hochgradig 
ödematösen  Nierenkranken  erinnert.  Die  Augen  können  infolge  der  starken 
Schwellung  der  Lider  nicht  geöffnet  werden,  die  ödematösen  Stellen  sind 
auf  Druck  schmerzhaft.  £tii  ganz  charakteristisches  Aussehen  erhält  daa 
Gesicht  dadurch,  dass  die  Haut  der  Augenlider  bläulich  rot  verfärbt  ist  und 
zwar  in  zwei  ganz  genau  gleich  ausgedehnten  und  geformten,  dreieckigen, 
in  einer  schmalen  Brücke  auf  den  Nasenr&cken  konfluierenden  Bezirken. 
Die  Rötung  hat  Schmetterlingsform.  Autfallend  ist  ferner  die  symetrische 
Anordnung  der  Hämorrhagien ,  von  denen  die  Haut  der  beiden  medianen 
Hälften  der  Hände  eingenommen  ist. 

Das  subjektive  Befinden  der  Patientin  ist  durch  5  mal  am  Tage  auf- 
tretende Kolikanfälle  mit  blutiger  Diarrhoe  sehr  gestört.  In  der  Nacht  soll 
starker  Husten  und  Atemnot  bestanden  haben.  Die  Temperatur  ist  nicht 
fieberhaft,  die  Pulszahl  132;  kein  Blut  im  Urin«  Am  15.  VIT.  ist  das  ödem 
im  Gesicht  geschwunden,  dagegen  die  ganze  Kopfhaut  ödematös  und  schmerz- 
haft; die  Augen  können  wieder  geöffnet  werden.  Der  Augenspiegelbefund 
ergibt  im  Augenhintergrund  des  linken  Auges,  2  Papillenlängen  nach  links 
von  der  Papille,  eine  kleine  Hämorrhagie;  der  rechte  Augeohintergrund  ist 
normal.  Es  besteht  starker  Fötor  ex  ore,  kleinste  Blutungen  auf  dem  Zungen- 
grund  sind  hinzugekommen.  Am  18.  VII.  starkes  Ödem  links  von  der 
Wirbelsäule;  etwas  Blut  wird  ausgehustet.  Am  19.  VII.  ist  die  Geschwulst 
am  Rucken  verschwunden,  dagegen  sind  daselbst  viele  kleine  Hämorrhagien 
aufgetreten;  abends  gegen  6  Uhr  starker  Hustenanfall,  typischer  laryngealer 
Stridor.  Das  Kind  wird  dyspnoisch.  Noch  bevor  ein  Arzt  geholt  werden 
kann,  ist  der  Anfall  geschwunden.  Am  nächsten  Tage  hatte  ich  Gelegenheit, 
einen  solchen  Anfall  von  Atemnot  zu  beobachten.  Starker  Stridor,  inspira- 
torische  Einziehungen  des  Thorax.  Nach  10  Minuten  verschwand  die  Atem- 
not nach  Verabreichung  von  sehr  heissen  Handbädern.  In  den  nächst- 
folgenden Tagen  traten  neue  Ödeme  auf  der  Haut  der  Extremitäten  auf, 
während  die  alten  ungefähr  nach  12  stündigem  Bestand  wieder  schwanden. 
Starker  Acetongernch  aus  dem  Munde. 

Die  therapeutischen  Massnahmen  während  der  ganzen  Zeit  bestanden 
in  Verabreichung  von  Gelatine  innerlich,  gegen  den  Durst  wurde  Acidum 
haleri  verordnet.  Da  das  Kind  jedoch  zu  Hause  nicht  die  nötige  Wartung 
hatte,  wurde  es  am  23.  VII.  in  die  Klinik  aufgenommen.  An  diesem  Tage 
fanden  sich  noch  starke  Ödeme  auf  den  Unterschenkeln  und  Füssen,  starke 
Schmerzhaftigkeit  und  Schwellung  der  Fussgelenke,  ebenso  des  rechten  Knie- 
gelenkes.   Zahlreiche  Hämorrhagien  älteren   und  neueren  Datums  waren  auf 


628  Langstein,  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis 

der  Üs4it  des  ganzen  Körpers  verstreut;  das  Herz  war  ohne  pathologisches 
Befund,  die  Pulszahl  140,  im  Urin  war  kein  Blut  und  kein  Eiweiss.  Du 
KHid  erhielt  Karlsbader  Salz  in  der  üblichen  Weise,  ausserdem  wurden  zwei- 
mal t&glich  0,5  g  Aspirin  gegeben. 

Am  25.  VII.  waren  an  der  Herzspitze  und  der  Vena  jugularis  Ge- 
räusche hörbar. 

Blutbefund:  8  800000  rote  Blutkörperchen,  12000  weisse,  Hämoglobin^ 
gehalt  65  pCt.  In  den  nächstfolgenden  Tagen  verblassten  die  meisten  Flecke, 
während  nur  spärlich  neue  auftraten.  Am  5.  VIII.  waren  Haut  und  Schleim- 
häute des  Kindes  normal.  Blutbefund  3  083  829  rote  Blutkörperchen,  15680 
weisse.  Von  diesen  waren  66  pCt.  Ljmphozjten,  81  Gpt.  Nentrophile  polj- 
nukleare,  2,8  pOt.  Eosinophile.  Am  9.  VIII.  verliess  das  Kind  zum  ersten 
Mal  das  Bett  und  kurz  darauf  die  Klinik.  Am  24.  VIII.  berichtete  mir 
der  Vater  yon  einem  neuerlichen  Rezidiv;  er  schrieb:  Die  Krankheit  hat 
ebenso  begonnen,  wie  das  letzte  Mal,  die  Fasse  sind  geschwollen,  mit  zahl- 
reichen Flecken  bedeckt,  ebenso  der  Kopf.  Zahlreiche  Blutflecke  sind  auf 
der  Mundschleimhaut  zu  sehen.  Das  Kind  leidet  an  Atemnot  und  Koliken; 
das  Herz  arbeitet  schnell.  Der  Beginn  erfolgte  mit  Appetitlosigkeit  und 
starkem  Geruch  aus  dem  Munde.  Patientin  erholte  sich  yon  diesem  Rezidi? 
ziemlich  schnell  und  blieb  nun  8  Wochen  ganz  gesund.  Am  26.  IX.  erkrankte 
das  Kind  jedoch  neuerlich,  es  traten  Flecken  derselben  Form,  wie  zur  Zeit 
der  ersten  Beobachtung,  auf  der  Haut  der  Hände  und  Füsse  auf.  Am  1.  X. 
schwollen  Kopf  und  Gesicht  unförmig  an,  Bluthusten  und  Kolik  traten  aber- 
mals auf.  Nach  kurzer  Zeit  erfolgte  ohne  jegliche  Behandlung  der  Rück- 
gang sämtlicher  Symptome.  Am  1.  XI.  stellte  mir  der  Vater  das  Kind  in 
der  Poliklinik  wieder  vor.  Das  Kind  war  blass,  die  Haut  war  rein.  Die 
bereits  drei  Wochen  bestehende  Heilung  führte  der  Vater  auf  die  Verab- 
reichung von  Wachholderbeersaft  zurück,  der  ihm  von  befreundeter  Seite 
angeraten  war.  Der  Stuhlgang  des  Kindes  erfolgte  zweimal  täglich  regel- 
mässig.    Das  subjektive  Befinden  war  ausgezeichnet. 

Klinisch  imponierte  der  Fall  als  eine  Kombination  jener 
beiden  Formen  von  Purpura,  die  Henoch*)  von  der  gewöhnlichen 
Purpura  rheumatica  wegen  ihres  besonderen  Symptomenkomplexes 
abtrennen  zu  müssen  glaubt.  Denn  wir  finden  bei  unserer 
Patientin,  deren  krankhafte  Erscheinungen  in  Schüben  mit  mehr- 
tägigen resp.  mehrwochentlichen  Intervallen  eintraten,  neben  den 
Purpuraflecken  einerseits  echte  Urticariaeffloreszenzen  und  Ödeme 
(Form  1  der  Henoch sehen  Purpura),  andererseits  abdominale 
Erscheinungen  (Kolik  und  Erbrechen),  blutige  Stühle  (Form  2 
der  He n ochschen  Purpura).  Aber  auch  noch  eine  Reihe 
anderer,  nicht  minder  bemerkenswerter  Symptome  hat  die  Kranke 
dargeboten,  die  weder  Henoch  in  seinen  Krankengeschichten 
mitteilt,    und    deren    auch    Dusch  und  Ho  che*)    nicht  in   ihrer 

>;  Henoch,  1.  c. 

')  Dusch  und  Hoch G,  Hen  00 hsche  Purpura.    Festschrift  für  Henoch. 


der  hämorrhagischen  Erytheme  im  Kindesalter.  B29 

gründlichen  Bearbeitung  der  Henochschen  Parpara  Erwähnung 
ton.  Zu  diesen  Symptomen  rechne  ich  das  Glottisödem  und 
die  Blutungen  im  Augenhintergrund.  Ersteres  war  sicherlich  die 
Folge  einer  rasch  sich  entwickelnden  und  ebenso  schnell  schwinden* 
den  Urticaria  interna.  Die  rheumatischen  Erscheinungen, 
Schwellung  und  Schmerzhaftigkeit  der  Gelenke,  von  denen 
He  noch  sagt,  dass  sie  ein  minder  konstantes  Symptom  der  von 
ihm  beobachteten  Fälle  darstellten,  standen  bei  unserer  Patientin 
mit  im  Vordergrund  des  klinischen  Bildes.  Diese  Tatsache  zeigte 
die  Verwandtschaft  des  mitgeteilten  Falles  zu  jenen,  von  denen 
Wagner^)  eine  grosse  Reihe  als  Kombination  von  Purpura 
rheumatica  und  Erythem  in  der  ihm  eigenen  anschaulichen  Weise 
geschildert  hat  und  die  eine  Ergänzung  erfuhren  durch  einen  von 
Krämer^)  mitgeteilten  Fall  vonErythema  exsudativum  multiforme 
mit  Übergang  in  Morbus  maculosns.  Die  nahe  Verwandtschaft 
des  geschilderten  Krankheitsbildes  zur  Urticaria  einerseits,  zu  den 
rheumatischen  Erkrankungen  andererseits,  erschwert  eine  be- 
friedigende Deutung.  Dies  zeigen  insbesondere  zwei  Fälle  ans 
der  ungemein  grossen  Literatur  der  letzten  Jahre,  die  zu  dem 
an  unserer  Klinik  beobachteten  Fall  die  nächsten  Beziehungen 
haben  und  darum  im  Nachfolgenden  mitgeteilt  werden  mögen. 
Einer  dieser  Fälle  wurde  auf  der  Abteilung  von  Kenvers  be- 
obachtet und  von  Lentz")  beschrieben.  Es  handelte  sich  um 
einen  Mann,  der  unter  Erscheinungen  von  Seiten  des  Magendarm- 
kanals erkrankte,  im  Anschlnss  daran  von  einer  universellen  Urticaria 
befallen  wurde,  deren  einzelne  Effforeszenzen  in  der  Mitte 
hämorrhagisch  wurden.  Zu  gleicher  Zeit  schwollen  Knie-  und 
Schnltergelenk  an  und  wurden  stark  schmerzhaft  Die  von 
Lentz  vorgenommene  bakteriologische  Untersuchung  des  Blutes 
wie  der  Quaddeln  blieb  negativ,  und  dieser  Autor  kam  durch 
den  Verlauf  des  Falles,  die  Fieberlosigkeit,  die  Abhängigkeit  der 
Hautsymptome  von  der  Magendarmerkrankung  zu  der  Auffassung, 
dass  es  sich  um  eine  durch  Autointoxikation  bedingte  Urticaria 
handelte;  er  sah  keinen  Grund,  die  Exsudation  in  die  Gelenke 
auf  eine  infektiöse  Noxe  zurückzufuhren  und  seinen  Fall  unter 
die  rheumatischen  Infektionen  zu  rechnen. 


0  Wagn  er,  Parpara  and  Erythem.   Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  39, 48. 

>)  Kram  er,  Erjthema  ezsadaiivum  multiforme  mit  Übergang  etc. 
Inaug.-Diss.    Berlin  1896. 

*)  Lentz,  Über  einen  Fall  von  Urticaria  haemorrhagica.  Berl.  klin. 
Wochenschr.,  1898. 


630  Langst  ein,  Ein  Beitrag  aar  Keontnis 

Ebenso  interessant  in  seinem  Yerlaaf  ist  ein  Ton  Laing 
Gordon^)  im  vorigen  Jahr  beschriebener  Fall,  der  mit  unserem 
eine  grosse  Reihe  von  Symptomen  gemeinsam  hat.  Ich  ent- 
nehme den  karzen  Aaszug  ans  der  Krankengeschichte  wörtlich 
einem  von  Stamm  gegebenen  Referat.  ^14  Jahre  alter  Knabe 
erkrankte  mit  Gelenkschmerzen  ohne  Schwellung  und  Fieber. 
Dabei  Pnrpura-Ernptionen  auf  den  Streckseiten  beider  Beine  und 
Arme.  Am  nächsten  Tag  setzten  Koliken  und  Darmblutung  ein, 
in  24  Stunden  wurde  ca.  1  Liter  Blut  verloren.  In  den  nächsten  . 
Tagen  zeigten  sich  neben  den  Purpuraflecken  Urticaria-Eruptionen, 
die  Gelenkschmerzen  zogen  von  einem  Gelenk  zu  dem  anderen, 
die  Fussrücken  wurden  ödematös.  Wie  die  Urticaria  schwand 
und  an  anderen  Stellen  wieder  auftrat,  so  wechselte  auch  das 
Odem  von  Tag  zu  Tag  den  Ort;  bald  war  es  am  Ellbogen,  bald 
im  Gesicht  oder  am  Handgelenk.  Von  Zeit  zu  Zeit  traten 
Koliken  auf,  Nausea  und  galliges  Erbrechen.  Die  Darmblutung 
wiederholte  sich  nicht.  Das  Krankheitsbild  wurde  noch  ein 
bunteres,  indem  neben  der  Purpura  und  Urticaria  Erythema 
exsudativum,  steinharte  Knoten  auf  der  Hand,  auftraten,  die  bald 
verschwanden,  bald  in  neuer  Anordnung  wieder  sichtbar  wurden. 
Nach  8  wöchentlicher,  zeitweise  von  Fieber  begleiteter  Krankheit 
Hess  sich  in  der  Mitralgegend  ein  systolisches  Geräusch  nach- 
weisen. Als  der  Kranke  8  Wochen  später  als  Rekonvaleszent 
zu  betrachten  war,  setzte  eine  Chorea  ein.  Sie  dauerte  dann 
noch  etliche  Monate,  der  Knabe  erholte  sich  allmählich  bis  zur 
völligen  Gesundung.    Im  Urin  waren  niemals  abnorme  Bestandteile. 

Versuchen  wir  nun  unter  Mitberücksichtigung  dieser  beiden 
Fälle  aus  der  Literatur  eine  genaue  klinische  Differenzierung  des 
von  uns  beobachteten  Krankheitsbildes,  so  entfallt  unter  Berück- 
sichtigung des  klinischen  Verlaufes,  der  Fieberlosigkeit,  des 
schliesslichen  Ausganges  in  Heilung  die  Notwendigkeit,  die 
Differentialdiagnose  der  Sepsis  gegenüber  eingehend  zu  erörtern. 
—  Trotzdem  sei  bemerkt,  dass  in  der  Literatur  eine  Beobachtung 
von  Litten  existiert  (zit.  nach  Lenhartz,  Die  septischen  Er> 
krankungen),  nach  welcher  im  Verlaufe  einer  innerhalb  weniger 
Tage  zum  Tode  fuhrenden  septischen  Endocarditis  ein  Hautbild 
auftrat,  das  dem  an  dieser  Stelle  beschriebenen  ziemlich  genau 
entspricht. 

Es  handelt  sich  in  der  vorliegenden  Form  sicherlich  um  ein 

I)  Laing  Gordon,  The  Lancet.     1903. 


der  li&inorrhagischen  Erytheme  im  Kindesalter.  631 

in  die  g^rosse  Gruppe  der  Urticaria  gehöriges  Erythem  —  eine 
Auffassang,  die  auch  mein  Chef,  Herr  Geheimrat  He  ab  n  er, 
wie  auch  Prof.  Lesser  vertreten  haben  —  und  es  ist  wohl  mehr 
oder  weniger  Geschmackssache,  ob  wir  das  Erythem  als  Erythema 
urticatum  (eine  Bezeichnung,  die  ursprünglich  für  durch  Yer- 
Änderungen  am  Genitale  bedingte  Erythemformen  eingeführt 
wurde)  Erythema  Iris  oder  gyratum  bezeichnen.  Meiner  Auf- 
fassung nach  war  die  Gefössschädigung,  die  sämtliche  beobach- 
teten Erscheinungen  erklärt,  bedingt  durch  ein  im  Organismus 
kreisendes  Gift,  von  dem  ich  offen  lassen  möchte,  ob  es  chemischen 
oder  mikrobiotischen  Ursprunges  war. 

Für  die  anmittelbare  Umgebung  des  Kindes  war  am  auf- 
fallendsten, dass  jeder  Nachschub  mit  starkem  Fötor  ex  ore  und 
Magendarmerscheinungen  begann.  Fötor  ex  ore  ist  ein  Symptom, 
das  von  vielen  als  dasSymytom  eines  verdorbenen  Magens  bezeichnet 
wird;  wie  Czerny'O  jedoch  erst  jüngst  und  für  viele  Fälle  wohl  mit 
Recht  hervorgehoben  hat,  ist  es  ein  Zeichen  dafür,  dass  sich  ent- 
zündliche Vorgänge  im  Nasenrachenraum  abspielen  und  dass  das 
in  vermehrter  Menge  abgesonderte  Exsudat  Zersetzungen  erleidet, 
deren  Produkte  den  üblen  Geruch  bedingen.  Gerade  mit  Rücksicht 
darauf  ist  es  lehrreich,  aus  der  Zusammenstellung  Ehrmanns') 
über  das  Erythem  zu  erfahren,  dass  vom  Nasenrachenraum  aus- 
gehende Urtikariaformen  den  Dermatologen  schon  bekannt  sind. 
Mit  diesem  Hinweis  möchte  ich  aber  die  Möglichkeit  nicht  aus- 
schliessen,  dass  im  Darmkanal  sich  abspielende  Prozesse  in 
unserem  Falle  für  die  Ätiologie  verantwortlich  zu  machen  sind  — 
die  Beziehungen  der  Urticaria  zu  den  vom  Magendarmkanal  aus- 
gehenden Intoxicationen  sind  ja  schon  wiederholt  diskutiert  worden 
—  gerade  auch  von  Lentz — ,  und  Freund*)  hat  ja  als  Ursache 
des  Erythema  exsudativum  die  Gefässschädigung  durch  im  Magen- 
darmkanal in  abnormer  Menge  gebildete  Fäulnisprodukte,  Indol, 
Skatol  und  Diamine,  erwiesen  zu  haben  geglaubt.  Meines  Wissens 
ist  diese  Tatsache  noch  nicht  genügend  weiter  erforscht.  Von 
meiner  Patientin  kann  ich  jedoch  sagen,  dass  in  ihrem  Harn 
Indikan  in  abnorm  grossen  Mengen  vorhanden  war. 

Mir  erscheint  es  plausibler,  dass  das  beobachtete  Erythem 
eher  ein  autotoxisches  im  Sinne  Ehrmanns    gewesen  ist,   als  ein 

^)  Czerny,  Die  eysadative  Diathese.    Festschrift  1904. 
')  Ehrinann,  Handbuch  der  Hautkrankheiten  von  Mracek. 
•)  Frennd,    Über  Aatointoxikationserytheme.    Wiener    klin.  Wochen- 
«chrift  1896. 


^>*^2  Längste  in,  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  etc. 

infektiöses.  In  dieser  Annahme  kann  mich  auch  die  Tatsache 
nicht  beirren,  dass  bei  der  kleinen  Patientin  Symptome  nach- 
weisbar waren,  die  wir  bei  der  Purpura  resp.  Peliosis  rheumatica 
zu  beobachten  gewohnt  sind,  also  bei  Krankheiten,  die  wir  unter 
die  infektiös  rheumatischen  rechnen.  Gerade  in  dem  von  Laing 
Gordon  beobachteten,  mit  unserem  viel  Ähnlichkeit  zeigenden 
Fall  trat  als  Komplikation  eine  Chorea  auf,  die  Heubner  ja  als 
rheumatisches  Äquivalent  bezeichnet. 

Man  muss  sich  aber  doch  wohl  vergegenwärtigen,  dass  die 
Natur  einer  Reihe  von  Krankheitsprozessen,  die  wir  schlechtweg 
zu  den  rheumatisch  infektiösen  rechnen,  keineswegs  so  klar 
ist,  wie  manche  Autoren  es  hinzustellen  geneigt  sind,  und 
dass  die  Annahme  von  Cesare  Gattaneo^)  class  die  ver- 
schiedenen Erytheme  und  Purpuraformen  (Purpura  simplex, 
rheumatica,  fulminans,  Henochsche  Purpura,  Erythema  ui-ticatam) 
nicht  wesenverschieden,  sondern  die  Folge  einer  gemeinsamen 
noch  völlig  unbekannten  Ursache  sind,  viel  für  sich  hat.  Inwie- 
weit das  nervöse  Element  für  die  Symptomatologie  des  von  uns 
beobachteten  Falles  eine  Rolle  spielt,  möge  bei  der  grossen  Un- 
sicherheit auf  diesem  Gebiete  lieber  nicht  diskutiert  werden;  für 
den  Praktiker  ist  es  vielleicht  nicht  unwichtig,  zu  wissen,  dass 
der  Regelung  der  Darmfnnktionen  und  der  geeigneten  Ernährang 
wohl  die  scbliessliche  Genesung  zuzuschreiben  ist. 


1)  Cesare    Cattaneo,    Beitr.  zur  Ätiol.  a.   Pathol.  d.  prim.  Parpura 
im  Kindeaalter.    Nach  einem  Referat  im  »Archiv  f.  Kinderheilk.*    1904.  fl.  3. 


11. 

stoffwechselversuch  an  einem  Fall  von  infantilem 

Myxödem. 

Von 
Dr.  A.  HOUGARDY  und  Dr.  L.  LANGSTEIN, 

Jetst  Atilitotiteii  der  Kinderklinik  Anistenten  der  Poliklinik, 

in  Lfitttch. 

I. 

Der  StofiPwechsel  des  Myxödems  ist,  wenn  ¥^ir  vom  Studium 
über  das  Verhalten  der  Ozydationsprozesse,  des  Gaswechsels,  ab- 
sehen, von  der  Forschung  bisher  recht  stiefmütterlich  behandelt 
worden.  Lässt  sich  auch  aus  dem  somatischen  und  psychischen 
Verhalten  der  Myxödematösen  der  Schluss  ziehen,  dass  der  Stoff- 
umsatz bei  ihnen  herabgesetzt  ist,  so  wird  dies  doch  durch  /lie 
in  der  Literatur  vorliegenden  den  Eiweissumsatz  betreffenden 
Angaben  keineswegs  bewiesen.  Diese  beziehen  sich  insbesondere 
auf  die  Harnstoffausscheidung  beim  Myxödem. 

Mendel  spricht  bei  der  von  ihm  untersuchten  58jährigen 
myxödematösen  Frau  von  einer  Verminderung  der  Hammenge 
und  der  Hamstoffausscheidung,  die  auf  Schilddrüsentherapie  eine 
Vermehrung  erfuhren.  Ebenso  äussert  sich  Vermehren.  Napier 
gibt  an,  dass  die  Schilddrüsentherapie  beim  Myxödem  eine 
Steigerung  des  darniederliegenden  Eiweisstoffwechsels  be* 
wirke  *). 


1)  Mendel  sah  die  Harnmenge  von  1100  auf  1450,  2000,  1600  steigen. 
Die  t&gliche  HamstoffauBscheidang,  die  bei  dem  unbeeinflnssten  Prozess 
14^  g  betrag,  vermehrte  sich  auf  20,  25  bezw.  86,4  g  pro  die.  Sie  blieb 
dann  konstant  in  den  Grenzen  von  19 — 25  g. 

Vermehren  konnte  an  den  von  ihm  nntersachten  drei  myxödematösen 

Patienten  konstatieren,  dass  weniger  Stickstoff  im  Harn  ausgeschieden  wurde 

als  er  mit  der  Nahrung  einführte.    Es  bestand  also  eine  Stickstoffretention. 

Die  Diärese  stieg  nach  Verabfolgung  ton  Thyreoidin  auf  das  Doppelte  bezw. 

Jahrbach  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.  Heft  4.  41 


634  Hoagardj-Langstein,  StoffwechseUersucli 

Eine  Verwertang  der  eben  mitgeteilten  Angaben  in  dem 
Sinne,  dass  beim  Myxödem  eine  Herabsetzung  des  Stickstoff- 
Stoffwechsels  bezw.  eine  Insuffizienz  der  Harnstoffbildung  bestehe, 
ist  nicht  angängig;  denn  sie  sind  ohne  Berücksichtigung  der  zu- 
geführten  Nahrangsmengen  gemacht  resp.  ohne  diese  mitgeteilt. 
Überdies  spricht  ein  Teil  der  Autoren  von  verminderter  Stickstoff-, 
ein  anderer  von  verminderter  Harnstoff-Ausscheidung,  ohne  dass 
klar  wird,  ob  letztere  Angaben  mit  Rucksicht  auf  die  Ergebnisse  aus- 
geführter Harnstoff  bestimmungen  gemacht  sind.  Da  wir  Stickstoff- 
und  Harnstoffausscheidung  nicht  ohne  weiteres  mit  einander  identi- 
fizieren dürfen,  erwächst  die  weitere  Schwierigkeit,  sich  auf  Grund  des 
Mitgeteilten  ein  Bild  von  der  Stickstoff bilanz  der  Myxödematösen 
zu  machen.  Sind  wir  auch  durch  zahlreiche  Arbeiten  über  die 
Änderung  des  Stoffwechselchemismus,  die  eine  Folge  der  Schild- 
drüsenfütterung bei  Tieren  pder  der  Thyreoidintherapie  beim 
Menschen  ist,  wie  auch  über  den  Stoffwechsel  beim  Morbus 
Basedowii  verhältnismässig  gut  unterrichtet,  so  berechtigt  dies 
doch  höchstens  zu  vorsichtigen  Schlüssen  über  den  Stoffwechsel 
bei  einer  Krankheit,  die  wir  auf  den  Mangel  der  Schilddrüsen- 
funktion  zurückführen.  Zudem  ist  es  möglich,  dass  der  Stoff- 
wechsel bei  den  verschiedenen  Formen  des  Myxödems  ein  ver- 
schiedener ist. 

Wir  haben  daher  um  so  lieber  Gelegenheit  genommen,  eineu 
Stoffwechsel  versuch  (vom  respiratorischen  Gas  Wechsel  abgesehen), 
bei  einem  Falle  von  infantilem  Myxödem,  einem  2jährigen  Knaben, 
auszuführen,  als  eine  derartige  Untersuchung  in  der  Literatur 
bisher  nicht  vorliegt.  Dieselbe  wurde  nicht  nur  auf  die  Stickstoff- 
bilanz beschränkt,  sondern  auch  auf  den  Phosphor-  und  Kalkstoff- 
wechsel ausgedehnt. 

Die  Krankheitsgeschichte  des  Knaben' ist  folgende: 
Die  Eltern    des    im  Alter    von  2  Jahren  2  Monaten  stehenden  Rindes 
leben,   der  Vater   ist    gesund,   die  Matter   hat   nervöse  Beschwerden.    Zwei 
Geschwister  im  Alter  von  6  and  8  Jahren  haben  sich  gut  entwickelt,  waren 


Dreifache  an.  Bemerkenswert  erscheint  die  Angabe  Vermehrens,  das2> 
ungefähr  20  pGt.  des  eingeführten  Nahrangsstickstoffs  in  den  F&oes  aas- 
geschieden wurden,  und  dass  diese  Zahl  während  der  Behandlung  mit 
Thyreoidin  auf  14—11  pCt.  sank. 

Die  Angaben  Napiers  bezüglich  seiner  Untersuchungen  des  Stoff- 
wechsels an  einem  45jährigen  mjxödematösen  Patienten  lauten  dahin,  dass 
die  Harnstoffausscheidung  unter  gleichzeitiger  Zunahme  der  Diärese  von 
19,8  g  auf  31,9  resp.  36,7,  36,9  und  an  einem  Tage  sogar  auf  49,14  g  stieg. 


an  einem  Fall  von  infantilem  Myxödem.  635 

immer  gesund,  gehen  in  die  Schule  und  lernen  gut.  Die  Mutter  des  Knaben 
hat  zweimal  abortiert,  einmal  vor  der  Gebart  desselben.  Die  Wohnnng  der 
Eltern  ist  hell,  nicht  feucht.  Das  Kind  ist  seit  der  Gebart  aufiallend  dick 
und  tett.  14  Tage  lang  wurde  es  an  der  Brust  aufgezogen,  dann  erhielt  es 
zwei  Drittel  Milch,  zuletzt  Vollmilch.  Der  Appetit  war  immer  schlecht. 
Bei  jeder  Mahlzeit  Hess  es  einen  Teil  der  Milch  ans  dem  Munde  heraus- 
laufen. Im  Alter  von  einem  Vierteljahr  hatte  es  mehrere  Tage  Durchfall, 
sonst  stets  harten  Stuhl,  jeden  zweiten  Tag  von  selbst  oder  auf  Einlauf. 
Das  Kind  war  immer  ausserordentlich  ruhig.  Seit  der  Geburt  schlief  es 
sehr  viel.  Krämpfe  bestanden  nie.  Der  Kopf  des  Kindes  soll  bei  der  Ge- 
burt von  normaler  Grösse  gewesen  sein.  Die  Gebart  selbst  war  leicht. 
Die  Mutter  meint,  dass  der  Kopfumfang  unyerh&ltnismässig  schnell  ge- 
wachsen sei.  Als  das  Kind  1  Jahr  alt  war,  fiel  den  Eltern  auf,  dass  es  in 
der  Entwicklung  sehr  zurückgeblieben  war;  deshalb  sachten  sie  einen  Arzt 
auf,  der  englische  Krankheit  feststellte.  Trotz  Behandlung  derselben  trat 
keine  Besserung  ein.  Das  stumpfsinnige  Wesen,  die  unverhältnisroässige 
Dicke  des  Kopfes  und  Leibes  blieben  bestehen.  Mit  einem  Jahr  bekam  das 
Kind  den  ersten  Zahn,  den  zweiten  bald  hinterher.  Laufen  und  Sprechen 
hat  es  nie  gelernt.  In  der  letzten  Zeit  hat  es  sich  aufzustellen  versucht. 
Die  Mutter  glaubt,  dass  das  Kind  die  Eltern  erkennt;  der  Vater  ist  nicht 
dieser  Ansicht.  Gespielt  hat  es  noch  nie,  sich  höchstens  die  Hände  be- 
sehen und  sie  etwas  bewegt.  Es  lacht  fast  nie.  Meist  sieht  es  blöde  vor 
sich  hin. 

Bei  der  am  28.  V.  erfolgten  Aufnahme  wurde  folgender  Status  er- 
hoben; Der  Knabe  ist  69  cm  lang,  9125  g  schwer,  hat  einen  plumpen 
Knochenbau  und  massig  entwickelte  Muskulatur.  Deutliche  Zeichen  von 
Rachitis  mit  Ausnahme  einer  geringen  Anschwellung  der  Epiphysen  des 
Unterarms  und  einer  leichten  Krümmung  der  Unterschenkel  bestehen  nicht. 
Der  Schädelumfang  beträgt  46 Vi  cm,  die  Haare  stehen  dünn,  sind  trocken, 
aber  gut  entwickelt.  Die  grosse  Fontanelle  ist  noch  nicht  geschlossen,  in 
der  Pfeilnaht  ist  sie  noch  ^t,  in  der  Kronennaht  noch  3  cm  offen.  Craoio- 
tabes  besteht  nicht.  Das  Gesicht  sieht  gedunsen  aus,  die  Lidspalten  sind 
auffallend  klein,  die  Nase  ist  sattelartig  eingedrückt,  der  Nacken  ist  dick 
gewulstet.  Der  Gesichtsausdruck  ist  blöde,  der  Augenhintergrund  normal. 
Die  Nase  ist  für  Luft  gut  durchgängig,  Mund  und  Rachen  sind 
ohne  pathologischen  Befand.  Der  Oberkiefer  enthält  noch  keine  Zähne, 
während  im  unteren  die  beiden  mittleren  Schneidezähne  eben  durch- 
gebrochen sind.  Der  Hals  ist  kurz  und  dick.  In  der  Gegend  der  Schild- 
drüse fühlt  man  namentlich  beim  Schreien  eine  leichte  Resistenz,  die  wohl 
der  Schilddrüse  entsprechen  könnte.  Der  Brustkorb  hat  einen  Umfang  von 
50  cm,  der  Thorax  ist  wenig  nachgiebig,  Lungen-  und  Herzbefund  zeigen 
keine  Abweichungen  yon  der  Norm.  Der  Leib  erinnert  an  einen  Frosch- 
bauch,  es  besteht  ein  kleiner  Nabelbruch.  Leber  und  Milz  sind  nicht 
palpabel.  Der  Stuhlgang  ist  hart  und  fest,  der  Urin  hat  weder  Zucker 
noch  Eiweiss. 

Die  Haut  des  ganzen  Körpers  ist  eigentümlich  gedunsen  und  fühlt 
sich  derbe  infiltriert  an.  Am  deutlichsten  ist  diese  Beschaffenheit  im  Ge- 
sicht, doch  fällt  sie  auch  an  Händen  und  Füssen  auf. 

41* 


636 


Hoagardj-LaDgsteio,  Stoffwechsel versach 


Die  Wirbelsäale  zeigt  eine  bogenartige  Rjphoskoiiose  nach  rechts, 
die  Extremitäten  sind  kurz.  Die  Oberarme  messen  vom  Acromion  bis  zar 
Spitze  des  Olecranon  12  cm,  die  Unterarme  yon  der  Spitze  des  Olecranon 
bis  zum  Processos  styloideas  nlnae  10  cm,  die  Oberschenkel  vom  Trochanter 
major  bis  zar  Kniegelenkspalte  10  cm,  von  der  Kniegelenkspalte  bis  zur 
Spitze  des  Malleolas  eztemns  10  cm.  Das  Kind  kann  zwar  sitzen,  wenn  es 
angelehnt  wird,  fällt  jedoch  beim  Versuche,  frei  za  sitzen,  am.  Beim  Ver- 
suche, zu  stehen,  kann  es  sich  für  kurze  Zeit  auf  den  Beinen  halten,  macht 
aber  keine  Versuche,  zu  klettern  oder  zu  gehen.  £s  sieht  und  hört  gut. 
Bei  der  Geschmacksprüfung  zeigt  es  sich,  dass  die  Bepinselung  der  Zunge 
mit  Chinin  keinen  besonderen  Eindruck  auf  das  Kind  machte  Sjrup  scheint 
ihm  ein  gewisses  Wohlbehagen  zu  verursachen,  Salz  lässt  es  yöUig  gleich- 
gültig, bei  Vorhalten  von  Asa  foetida  wird  das  Kind  unwillig;  im  allgemeinen 
macht  es  den  Eindruck  eines  Idioten  geringen  Grades.  Es  schreit  viel 
und  lange,  anscheinend  ohne  Grund,  ebenso,  wenn  es  gestört  wird,  als  auch 


Vor  der  Behandlung. 


Nach  der  Behandlung. 


ohne  dass  sich  jemand  mit  ihm  beschäftigt  und  ohne  dass  es  Hunger  hat. 
Das  Geschrei  ist  gedehnt.  Das  Kind  beobachtet  yorgehaltene  Gegenstände, 
fixiert  sie  und  greift  nach  ihnen.  Die  Reflexerregbarkeit  ist  normal,  für 
die  elektrische  Erregbarkeit  ergibt  sich 

K  S  Z  bei  2,4  Mill.  Amp. 
AÖZ    ,    -       .        , 
A  S  Z    „    3,7      „        M 
KÖZ    ,12,4      ,        , 
Die  Ernährung   des  Kindes   bestand   anfänglich    in   5  Mahlzeiten  von 
je  100  ccm  Milch  und  50  ccm  8proz,  Oddalösung.     Zur  therapeutischen  Ad- 


an  einem  Fall  von  infantilem  Myxödem.  637 

Wendung  gelangten  Thjreoidintabletten  yon  Merk,  ä  0,1  g,  ans  den  Schild- 
dräsen  der  Schafe  (0,4  g  des  Pulvers  entsprechen  den  wirksamen  Bestand- 
teilen einer  ganzen  frischen  Schilddrüse  mittlerer  Grösse).  Der  erste  Stoff- 
wechseWersnch  begann  am  6.  VI.,  um  10  Uhr  vormittags,  nnd  dauerte  bis 
2um  11.  VI.,  10  Uhr  vormittags.  Die  Temperatur  war  w&hrend  dieser  Zeit 
vollkommen  normal,  das  Kind  hat  in  diesen  4  Tagen  am  25  g  ingenommen. 
Vom  11.  VI.  an  erhielt  das  Kind  t&glich  0,01  g  Thjreoidinpalver,  vom  15.  VI. 
an  täglich  0,025  g  Thyreoidin,  vom  24.  VL  au  0,04  und  0,025  g  Thjreoidin 
abwechselnd.  Der  zweite  Stoffwechsel  versuch  begann  am  11.  VII.  und 
wurde  am  15.  VIL  beendet.  Das  Kind  nahm  in  diesen  4  Tagen  um  100  g 
zu.  Vom  27.  VI.  bis  6.  VII.  war  das  Kind  auffallend  unruhig,  wollte  die 
Nahrung  nicht  nehmen,  zeigte  Fiebersteigerungen  bis  zu  38,3^  ohne  dass 
objektiv  etwas  nachweisbar  war.  Anfangs  Juli  trat  eine  nicht  fieberhafte 
leichte  Bronchitis  ein,  am  9.  jedoch  war  das  Kind  wieder  vollständig  wohl, 
viel  lebhaiter  geworden,  spielte  und  lachte,  hatte  keinen  blöden  Gesichts- 
Ausdruck  mehr,  nahm  an  allem  Anteil,  was  auf  die  Eltern  solchen  Eindruck 
machte,  dass  sie  das  ^ind  im  Spitale  zu  lassen  baten.  Das  Gewicht  des 
Kindes  ist  vom  28.  V.  bis  zum  15.  VII.  von  9125  g  bis  8425  g  gesunken. 

Dass  es  sich  im  Torliegenden  Falle  um  ein  typisches 
infantiles  Myxödem  handelt,  das  darch  Thyreoidin  -  Therapie 
eine  aafiPallende  Besserung  erfahr,  wird  wohl  aus  den  bei- 
gegebenen Photographien,  die  wir  der  Liebenswürdigkeit  des 
Herrn  Dr.  Salge  verdanken,  am  klarsten  ersichtlich. 

IL 

Wie  im  Torstehenden  mitgeteilt,  wurde  zur  Untersuchung 
des  StofiPwechsels  eine  4 tagige  Periode  ohne  Behandlung  und 
eine  4tägige  Periode  gewählt,  in  der  das  Kind  Schilddrüsen- 
tabletten erhielt.  Letztere  konnte  nicht  unmittelbar  an  erstere 
angeschlossen  werden,  da  das  Kind  ausserordentlich  unruhig, 
appetitlos  wurde  und  die  Nahrung  verweigerte.  Erst  nach  un- 
gefähr 3  Wochen  war  der  Allgemeinzustand  des  Kindes  ein  der- 
artiger geworden,  dass  Aussicht  auf  Erfolg  vorhanden  war,  den 
Stoffwechselversuch  bis  zum  Ende  durchzuführen.  War  in  der  ersten 
Periode  die  Schwierigkeit  vorhanden,  dem  Kinde  taglich  die 
gleiche  Menge  Nahrung  beizubringen,  da  es  wenig  Appetit  zeigte, 
so  war  bei  dem  gesteigerten  Appetit  in  der  zweiten  Periode  die 
Unmöglichkeit  vorhanden,  mit  derselben  Nahrungsmenge  für  das 
Kind  das  Auskommen  zu  finden.  So  wurde  wenigstens  Wert 
darauf  gelegt,  qualitativ  die  gleiche  Nahrung  in  beiden  Perioden 
zuzuführen.  Ein  exakter  Vergleich  der  Stoffwechselbilanzen  in 
beiden  Perioden  ist  dadurch  erschwert,  aber,  wie  wir  sehen 
werden,    in     gewissen    Punkten    mit    Rücksicht    auf    eindeutige 


638  Hougardj-Langstein,  Stoffwechsel  Teno  cli 

Yersuchsergebnisse    an     der    Hand    der    vorliegenden    Literatur 
möglich. 

Die  Nahrang  bestand  aus  Milch  und  Sproz.  Oddalösong. 
In  der  ersten  Periode  erhielt  das  Kind  500  ccm  Milch  und  250  ccm 
einer  Sproz.  Oddalösang  in  5  Mahlzeiten,  in  der  zweiten  Periode 
900  ccm  Milch  und  450  ccm  Oddalösang  in  6  Mahlzeiten^).  Die 
Nahrung  wurde  dem  Kinde  von  der  Wärterin  in  Gegenwart 
des  Arztes  genau  zugemessen  und  verabfolgt.  Überhaupt  wurde 
keine  Prozedur  vorgenommen,  ohne  dass  der  eine  von  uns  resp. 
eine  äusserst  zuverlässige  Wärterin  dieselbe  überwachte.  Die 
Ausführung  des  Stoffwechselversuches,  die  Lage  des  Kindes  im 
Bette,  gestaltete  sich  in  der  Weise,  wie  dies  Freund  s.  Zt.  an- 
gegeben hatte.  Bei  dem  relativ  schweren  Kinde  war  es  notwendig, 
die  ruhige  Lage  desselben  durch  Anlegung  d#r  Finkelsteinschen 
Hose  zu  gewährleisten.  Der  Harn  wurde  in  einem  Kezipienten 
aufgefangen,  ähnlich  dem,  wie  ihn  Freund  beschreibt;  nur  hat 
sich  eine  Abänderung,  die  wir  mitteilen  und  empfehlen  möchten, 
als  äusserst  zweckmässig  erwiesen.  Dieselbe  besteht  darin,  den 
Hals  des  gläsernen  Kezipienten  mit  dessen  Körper  durch  einen 
Schliff  zu  verbinden.  Es  ist  auf  diese  Weise  nicht  nötig,  bei 
jedesmaligem  Rezipientenwechsel  denselben  aus  dem  Gummirohr 
zu  ziehen,  wobei  l^cht  Einklemmungen  der  Haut  mit  folgendem 
ödem  zustande  kommen  können,  insbesondere,  wenn  nicht  immer 
eine  sorgfältige  Hand  zur  Stelle  ist.  Bei  unserem  Kezipienten 
ist  dies,  da  das  gläserne  Ansatzstück  beständig  mit  dem  Gummi- 
rohr in  Verbindung  bleibt,  nicht  zu  befürchten.  Der  Stuhl  — 
in  unserem  Falle  von  fester  Konsistenz  —  wurde  auf  Guttapercha- 
papier aufgefangen  und  sofort  nach  der  Absetzung  in  Arbeit  ge- 
nommen. Jede  in  den  mit  Chloralhydrat  beschickten  Kezipienten 
entleerte  Urinmenge  wurde  samt  dem  genau  gemessenen  Spül- 
wasser in  noch  körperwarmem  Zustande  in  eine  saubere,  mit 
Chloroform  beschickte  Flasche  gefüllt,  die  auf  Eis  gehalten 
wurde.  Nach  je  24  Stunden  wurde  der  absolut  unzersetzt  stets 
saure  Urin  verarbeitet. 

Die  Milch  wurde  jeden  Tag  in  frischem  Zustand  analysiert, 
von  der  für  je  vier  Tage  hergestellten  Oddalösung  wurde  nur 
eine    vollständige  Analyse    ausgeführt.     Stets  wurden  Kontroll- 


1)  Schon  8  Tage  vor  Beginn  eines  jeden  StoffwecheelTersaches  erhielt 
das  Kind  dieselbe  Nahrang  wie  in  der  Versachsperiode. 


an  eiaem  Fall  von  infantilem  Myxödem.  639 

bestimmungen  gemacht  and  aus  den  innerhalb  der  Fehlergrenzen 
übereinstimmenden  Werten  das  Mittel  gezogen. 

Methodisches. 

Die  StickstofFbestimmungen  wurden  nach  Kjehldal,  die 
Titrationen  wurden  mit  normal  Zehntelsäure  resp.  normal  Zehntel- 
lauge ausgeführt.  Zu  den  Ammoniakbestimmungen  kam  das  von 
Reich  angegebene  Verfahren  zur  Anwendung^  das  sich  sehr  gut 
bewährte.  Der  Harnstoff  wurde  nach  dem  von  Pfaundler  an- 
gegebenen Verfahren  bestimmt.  Die  Untersuchung  der  Stickstoff- 
verteilung im  Harn  gestaltete  sich  demnach  folgendermassen: 

Je  20  ccm  Harn  wurden  mit  40  ccm  Phosphorwolframsäure- 
lösung  versetzt,  der  Niederschlag  48  Stunden  absitzen  gelassen^ 
filtriert  und  in  je  15  ccm  des  Filtrates  der  Stickstoff  bestimmt. 
Der  resultierende  Wert  ergibt  den  Gehalt  an  Harnstoff-Stickstoff 
plus  dem  der  durch  Phosphorwolframsäure  nicht  fällbaren  Sub- 
stanzen. Andere  15  ccm  wurden  mit  10  g  Metaphosphorsäure 
18  Stunden  bei  einer  Temperatur  von  160  Graden  gehalten,  die 
restierende  Schmelze  in  Wasser  gelöst  und  das  in  Freiheit  ge- 
setzte Ammoniak,  nach  dem  Vorschlage  Kamer ers,  mit  Lauge 
destilliert.  Der  gefundene  Wert  wurde  als  Harnstoff-Stickstoff 
angesprochen.  Inwieweit  wir  dazu  berechtigt  sind,  soll  später 
noch  kurz  ausgeführt  werden. 

Die  Phosphorbestimmungen  wurden  nach  dem  Neumann- 
schen  neueren  Verfahren  gemacht,  das  wir  sehr  empfehlen 
können.  Milch,  Oddalösung  und  Harn  mussten  zu  diesem  Zwecke 
in  schwerschmelzbaren  Kolben  zuerst  unter  Zusatz  von  Kalilauge 
eingedampft  werden  (auf  je  25  ccm  Milch  resp.  Oddalösung  wie 
auf  je  50  ccm  Harn  kamen  15  ccm  einprozentiger  Kalilauge). 
Nach  vollständigem  Eindampfen  der  Flüssigkeit  wird  tropfenweise 
solange  die  Neumann  sehe  Mischung  zugefügt,  bis  die  Ver- 
aschung fertig  ist,  was  sich  dadurch  kundgibt,  dass  die  Flüssig- 
keit beim  Erhitzen  farblos  bleibt.  Nach  Erkalten  derselben 
setzt  man  50  ccm  einer  50proz.  Ammonitratlösung  zu  und  erhitzt 
auf  60 — 80  Grade.  Hierauf  werden  40  ccm  Ammon  -  Molybdat- 
lösung  zugefügt.  Unter  Umrühren  lässt  man  den  Niederschlag 
sich  bilden  und  schliesslich  absetzen;  hierauf  wird  er  filtriert  und 
solange  mit  destilliertem  Wasser  gewaschen,  bis  die  saure 
Reaktion  des  Waschwassers  geschwunden  ist. 

Hat  man  die  neutrale  Reaktion  erreicht,  wird  das  Filter 
samt  Niederschlag    in    150  ccm   Wasser  suspendiert.     Man  setzt 


640 


Hougardj-LangsteiD,  Stoff wecheeWerftach 


nun  ausser  der  zur  Lösung  erforderlichen  lultaormal  Kalilauge 
noch  5,6  ccm  derselben  zu.  Dann  wird  die  Flüssigkeit  solange 
gekocht,  bis  die  Dämpfe  ammoniakfrei  sind.  Nach  dem  Erkalten 
wird  unter  Zusatz  von  alkoholischem  Phenolphtalein  titriert^). 

Zur  Kalkbestimmung  mussten  Milch  und  Oddalösung,  wie 
vorher,  verascht  werden,  während  dies  für  den  Harn  unnötig 
war.  Der  resultierenden  Flüssigkeit  wurde  Ammoniak  zugesetzt, 
bis  eine  Trübung  entstand,  dieselbe  in  wenig  Säure  gelöst,  hierauf 
Ammoniumoxalat  und  Natriumacetat  zugesetzt.  Nach  24  Stunden 
wurde  der  gebildete  Niederschlag  von  Kalkozalat  auf  einem  kleinen 
Filter  gesammelt,  im  Platintiegel  geglüht  und  als  Calciumoxyd 
gewogen. 

Auch  zur  Phosphor-  und  Kalkbestimmung  des  feingepulverten 
Kotes  kam  die  Neumanusche  Methode  zur  Anwendung. 

Die  Yersuchsresultate,  an  die  sich  die  Besprechung  anreihen 
wird,  folgen  in  tabellarischer  Übersicht. 

1.  Bilanz  der  Einnahmen  und  Ausgaben. 
Nahrungs-,  Harn-  und  Kotmenge  der  Vorperiode. 


Datum') 

Vers.- 
Tag 

Nahrnngem. 

Harn 
+  Spülw. 

Haram.«) 

Kotmenge 
feucht       trocken 

7.-  8.  VI. 

8.-  9.  VI. 

9.-10.  VI. 

10.-11.  VI. 

I. 

U. 

III. 

IV. 

500  Milch +^M  Oddal. 
500    ,      +250    , 
500    .      +250    „ 
500    ,      +250    . 

390 
508 
515 

481 

866 
427 
402 
830 

28 

17,973 
21,6 
25,7 

5,6 
3,3 
4,3 
6 

Si 

1 

imme 
fittel 

— 

— 

1525 
881 

88,273 
22,068 

19,2 

4,8 

Nahrungs- 

,  Harn-  und  Kotmenge  der 

Thyreoidinperiode. 

Datum 

Vers.- 
Tag 

NahruDgsm. 

Harn 
+  Spaiw. 

Harem. 

Kots 
feucht 

aenge 
trocken 

11.-12.  VII. 
12.-13.  VII. 
18.-14.  VII. 
14.-15.  VII. 

I. 

IL 

IIL 

IV. 

900  Milch +450  Oddal. 
900    „       +450    „ 
900    ,       +450     , 
900    „       +450    « 

585 
795 
985 
625 

442 
586 
743 
410 

45,2 
46,7 
43,4 
34,2 

14,7002 
13,0673 
11,5096 
10,5112 

Si 

1 

imroe 
ifittel 

— 

— 

2181 
545 

169,5 
42,3 

49,7883 
12,447 

^}  Zur  Kontrolle  wurde  einigemale  der  Phosphor  nach  der  Wäge- 
methode  bestimmt.     Die  Werte  stimmten  innerhalb  der  Fehlergrenzen  Qberein. 

3)  Die  Resultate  vom  1.  Versuchstag  (6. — 7.  VI.)  konnten  wegen  des 
Verlustes  einer  geringen  Harnmenge  nicht  verwertet  werden. 

*)  Sämtliche  Harnmengen  waren  frei  von  Zucker  und  Eiweiss. 


an  einem  Fall  von  infantilem  Myxödem. 


641 


2.  Stickstoff-Bilanz. 
Allgemeine  Stickstoffe  Bilanz  in  der  ersten  Periode. 


N  in  Milligramm. 


Datum 

Vers.- 
Tag 

Klnfithr  in  mg 

(600  Milch 

+  96Ö  Oddalöinng) 

Harn 

Kot 

Ausfuhr 
(Harn  u.  Kot) 

Bilanz 

7.-  8.  VI. 

8.-  9.  VI. 

9.-10.  VI. 

10— 11.  VI. 

I. 

IL 

III. 

IV. 

3451 
4032 
3199 
8318 

1531,53 
1918,945 
1910,65 
1932,658 

252 
159 
196,6 
209 

1783,53 
2077,945 
2107,25 
2141,658 

+  1667,47 
+ 1954,055 
+ 1091,75 
+  1176  342 

Si 
1 

imme 
Mittel 

14000 
3500 

7293,783 
1823,445 

816,6 
204,15 

8110,383 
2027,595 

+  5889,617 
+  1472,404 

Die  Stickstoffretention  betrug  42  pCt. 
Allgemeine  Stickstoff-Bilanz  der  Thyreoidinperiode. 


N  in  Milligramm. 


Datam 


Vers.- 
Tag 


Einfnhr  In  mg  yon 

900  Mlloh 
+  4Sü  Oddalöanng 


Harn     |       Kot 


Ausfuhr 
(Harn  n.  Kot) 


Bilanz 


IL— i2.vn. 

12.-13.  VII. 
18.— 14.  VII. 
14.— 15.  VII. 


I. 

II. 

III. 

IV. 


5707,8 
5909,4 
5833,8 
6078,2 


2686,32 
3205,44 
3695,72 
3360 


407,484 
460 
418 
358 


3098,804 
3665,44 
4113,72 
3718 


+  2614 
+  2244 
+ 1720,08 
+  2355,2 


Summe  28524,2  12947,48      1643,484      14590,964         +8933,436 

Mittel  5881,05  3236,87       410,871       3647,741         +2233,359 

Die  Stickstoffretention  betrug  36,9  pCt. 
Ausnutzung  der  Nahrung  in  der  Yorperiode 


Datum 

Versuchs- 
Tag 

Eingef.  N  in 

Verlust  N 

durch  den 

Kot 

Verlust 
durch  den 
Kot  in  Proz. 

7  -  8.  VI. 

8.—  9.  VI. 

9.-10.  VI. 

10.-11.  VI. 

I. 

II. 

III. 

IV. 

3,451 
4,032 
3,199 
3,318 

0,252 
0,159 
0,1966 
0,209 

7,3 
8,9 
6,1 
6,8 

Summe 
Mittel 

14,000 
3,5 

0,8166 
0,20415 

6.» 

Ausnutzung  der  Nahrung  in  der  Thyreoidinperiode. 


Datam 

[ 
Versochs-  Eingef.  N.  in 
Tag                 g 

1 

Verlust  N 

durch  den 

Kot 

Verlust 
durch  den 
Kot  in  Proz. 

11.-12.   VII. 
12.-13.  VII. 
13.— 14.   VII. 
14.-15.  VII. 

I. 

II. 

III. 

IV. 

5,707 
5,909 
5,833 
6,073 

0,407 
0,460 
0,418 
0,358 

7,1 
7,8 
7,1 
5,8 

Summe 
Mittel 

23,524 
5,881 

1,643 
0,410 

6,9 

642 


Hongardy-Langsteiii,  StoffweehselTenaeh 


StickstofpTerteQiuig  im  Harn  der  Yorperiode,  aaf  100  mg  N 
berechnet,  in  Prozenten  ausgedrückt. 


Datam 


'  Versnchs- 
Tag 


N 


Dtucb 


wolfraauiai« 

nicht  flttbMor 

N 


7.—  8.  VL 

8.—  9.  VI. 

9.-10.  VL 

10.-11.  VI. 


IL 
III. 
IV. 


Samme 
Mittel 


5,9 
6,1 
6 
6,2 


87,7 
83,2 
83,4 

89,1 


24,2 
6,05 


343,4 

85,8 


Harnstoff 

N 


84 
79 
80,7 
83 


326,7 

81,67 


StickstofF^erteilung  im  Harn  der  Thyreoidinperiode,  aaf 
100  mg  N  berechnet. 


Datam 


Versnchs- 


I 


Durch 

Ammonisk  I      Phosphor- 
wolftmmaftore 
nicht  lillbarer 

N 


N 


IL— 12.  VIL 
12.-13.  VIL 
13.-14.  VIL 
14.-15.  VIL 


Harnstoff 

N 


I. 

3.3 

84 

82 

11. 

3 

91 

86 

IIL 

2,9        . 

94 

89 

IV. 

3          1 

85 

81 

Samme 

12,2       1 

354 

838 

Mittel 

3,05     ! 

88,5 

84.5 

3.  Phosphorbilanz. 

Phosphorbilanz  der  I.  Periode 
PsOs  in  Gramm. 


Datum 

Vers- 
Tag 

1 
Einfuhr  i     Harn 

Kot 

Ausfuhr 
(Harn  u.  Kot) 

Bilanz 

7.-  8.  VI. 

8.-  9.  VL 

9.-10.  VL 

10.-11.  VL 

I. 

IL 

IIL 

IV. 

1,1835 
1,1035 
1,1155 
1,2315 

0,4648 
0,5227 
0,528 
0,539 

0,2156 
0,1255 
0,1705 
0,2276 

0,6804 
0,6482 
0,6985 
0.7666 

+  0,5081 
+  0,4553 
+  0,417 
+  0,4649 

S 

amme 
hiittel 

4,6340 
1,1585 

2,0545 
0,5136 

0,7392 
0,1848 

2,7937 
0,6984 

+  1,8403 
+  0,4600 

Die  Phosphorretention  betrag  39,7  pCt. 


an  einem  Fall  von  infantilem  Mjxödem. 
PhosphorbilaDz  der  Thyreoidin-Periode. 


643 


n  ♦             Vers.. 
Datum          _, 

Tag 

Einfuhr 

Harn 

Kot 

Ausfuhr 
(Harn  u.  Kot) 

Bilanz 

11.-12.  VII. 
12.-18.  VII. 
18.-14.  VII. 
14.-15.  VII. 

I. 

II. 

III. 

IV. 

2,3823 
2,3568 
2,2748 
2,1803 

0,702 
0,7985 
0,928 
0,759 

1,045 
0,9248 
0,8288 
0,881 

1,747 
1,7233 
1,7568 
1,64 

+  0,6358 
+  0,658 
+  0,4175 
+  0,4908 

S 

amme 
Kfittel 

9,1432 
2,2858 

8,1875 
0,7968 

8,6796 
0,9199 

6,8671 
1,7168 

+  2,1961 
+  0,5490 

Die  Phosphorretention  betrug  24  pGt. 

Das  Verhältnis  von  Stickstoff  zu  Phosphor  in  der  Nahrung, 

im  Kot  und  im  Harn 

NrP.Os. 

I.  Periode. 


Datum 

Vers.- 
Tag 

Nahrung 

Harn 

Kot 

Retiniert 

7.—  8.  VI. 

8.-  9.  VI. 

9.-10.  VI. 

10.-11.  VI. 

I. 

IL 

III. 

IV. 

2,91 : 1 

3.6  :1 
2,8    :1 

2.7  :1 

3,3:1 
3,6:1 
3,6:1 
3,5:1 

1,1 :  1 
1,2:1 
1,1:1 
0,9 : 1 

3,3:1 
4,2:1 
2,6:1 
2,5:1 

Mittel 

3,0    :1 

3,5:1 

1,1:1 

3,2:1 

Das  Verhältnis  von  N :  PjOj  in  der  Thyreoidinperiode. 


n  ♦               Vers.. 
Datum            ^^^ 

Nahrung 

Harn 

Kot 

Retiniert 

11.— 12.  VII. 
12.-13.  VII. 
13.-14.  VII. 
14.-15.  VII. 

I. 

11. 

III. 

IV. 

2.4  :1 

2.5  :1 

2.6  :1 
2,8    :1 

3,8:1 
4,0:1 
4,2:1 
4.4:1 

0,38:1 
0,49 : 1 
0,5    :1 
0,4    :l 

4,1 : 1 
3.4:1 
3,4:1 
4,8:1 

Mittel 

2,57:1 

4,1:1 

0,44 :  1 

3.9:1 

4.  Kalkbilanz. 

Die  Kalkbilanz  der  ersten  Periode 

GaO  in  Gramm. 


Datum 

Vers.- 
Tag 

Einfuhr 

Harn 

Kot 

Ausfuhr 
(Harn  u.  Kot) 

Bilanz 

7.-  8.  VI. 

8.-  9.  VI. 

9.— 10.  VI. 

10.- 11.  VI. 

I. 

II. 

III. 

IV. 

1,268 
1,193 
1,234 
1,217 

0,4077 
0,614 
0,4544 
0,3978 

0,7721 
0,5269 
0,6315 
0,7736 

1,1798 
1,1409 
1,0859 
1.0714 

+  0,0832 
+  0,0521 
+  0,1481 
+  0,1496 

Si 

] 

imme 
liittel 

4,907 
1,226 

1,8759 
0,4689 

2,7081 
0,6770 

4,4780 
1,1195 

+  0,4833 
+  0,1088 

Die  Kalkretention  betrug  8,8  pGt. 


644 


Hoagardy-LaDgstein,  Stoffwechselversach 
Ealkbiiaaz  der  Thyreoidinperiode. 


Datum 

Vers.- 
Tag 

Einfuhr 

Harn 

Kot 

Ausfuhr 
(Harn  u.  Kot) 

Bilanz 

11.-12.  VII. 
12.-13.  VII. 
13.— 14.  VII. 
14.-15.  VII. 

I. 

IL 

III. 

IV. 

2,309 
2,2855 
2,228 
2,351 

0,6614 
0,46 
0,5663 
0,346 

1,461 
1,3715 
1,3157 
1,477 

2,1274 
1,8315 
1,8820 
1,823 

+  0,182 
+  0,454 
+  0,346 
+  0,528 

S 

umme 
Mittel 

9,1735 
2,2934 

2,0337 
0,5084 

5,6252 
1,4063 

7,6689 
1,9159 

+ 1,510 
+  0,376 

Die  Kalkretention  betrug  16,4  pCt. 


Das  Verhältnis  von  Kalk  (CaO)  zu  Phosphor  (PaOß) 

in  Nahrang,  Harn  und  Kot. 

1.  Vorperiode, 


Datum 

Vers.- 
Tag 

Nahrung 

Harn      1       Kot 

1 

Retioiert 

7.-  8.  VI. 

8.-  9.  VI. 

9.-10.  VI. 

10.-11.  VI. 

I. 

II. 

III. 

IV. 

0,9    :1 
0,92 :  1 
0,9    :1 
1,0   : 1 

0,87 : 1 
1,1    :l 
0,86 : 1 
0,73 : 1 

3,5:1 
4,2:1 
3,7:1 
3,4:1 

0,16:1 
0,11:1 
0,35 : 1 
0,32 : 1 

Mittel 

1,0   :1 

0,9    :1 

3,6:1 

0,23 :  1 

Das  Verhältnis  von  Kalk  zu  Phosphor  in  Nahrung, 
Harn  und  Kot  in  der  Thyreoidinperiode. 


Datum 

Vers.. 
Tag 

Nahrung 

Harn 

Kot 

Retiniert 

11.-12.  VII. 
12.-13.  VII. 
18.-14.  VII. 
14.-15.  VII. 

I. 

II. 

III. 

IV. 

0,97 : 1 
0,9    :1 
0,9    :1 
1,0   :1 

0,94 : 1 
0,47 : 1 
0,6    :1 
0,45 :  1 

1,3:1 
1,4:1 
1.5:1 
1,7:1 

0,28:1 
0,69 :  1 
0,82:1 
1,0   :1 

Mittel 

1,0   :1 

0,63 :  l 

1,5:1 

0,68 : 1 

Wenn  auch,  wie  aus  der  kritischen  Besprechung  der  er- 
hobenen Befunde  hervorgehen  wird,  die  Möglichkeit  besteht,  in 
Bezug  auf  einige  Punkte  bezüglich  des  Stoffwechsels  beim  infantilen 
Myxödem  feste  Anschauungen  zu  gewinnen,  so  kann  eine  er- 
schöpfende Deutung  doch  nicht  gegeben  werden.  Die  Schwierig- 
keiten, die  sich  einer  solchen  entgegenstellen,  sind  nicht  nur 
spezieller,  für  den  vorliegenden  Fall  geltender  Natur,  sondern 
allgemeinerer  Art.    Sie  erklären  sich  vor  allem  aus  der  Unmöglich- 


an  einem  Fall  von  infantilem  Myxödem.  645 

keit,  einen  solchen  Yersuch  durch  eine  längere  Zeitperiode,  ^rie 
dies  für  den  Erwachsenen  üblich,  auszudehnen,  und  es  hat  etwas 
Missliches,  aus  kurzen  Perioden  allgemeine  Schlüsse  zu  ziehen. 
Ausserdem  ist  der  hier  mitgeteilte  Versuch  der  einzige  bisher  in 
der  Literatur  vorliegende,  so  dass  Parallelen  nicht  zu  ziehen  sind. 
Es  lag  auch  nicht  die  Möglichkeit  vor,  durch  einen  Stoffwechsel- 
versuch an  einem  normalen  Kinde  zur  Klärung  beizutragen,  da 
sich  der  über  zwei  Jahre  alte  Knabe  in  seiner  körperlichen  Ent- 
wicklung ebenso  verhielt,  wie  ein  ungefähr  im  10.  bis  12.  Monate 
befindlicher  Säugling.  Stoffwechseluntersuchungen  aa  diesen 
Kindern  liegen  aber  bisher  in  der  pädiatrischen  Literatur  leider  nicht 
vor,  und  wir  selbst  haben  darauf  verzichtet,  einen  solchen  an- 
zustellen, da  ein  Vergleich  im  vorliegenden  Fall  doch  Einwänden 
Raum  gegeben  hätte.  Dass  die  beiden  Stoffwechselperioden  nicht 
unmittelbar  einander  folgten,  hatte  in  der  eingetretenen  Störung 
des  guten  Befindens  des  Kindes  seinen  Grund.  Dies  erschwert 
einen  Vergleich  ebenso  wie  die  notwendig  gewordene  Änderung 
der  Nahrungsquanten.  Die  Schwierigkeiten  allgemeinerer 
Natur,  die  sich  der  exakten  Deutung  der  Resultate  ent- 
gegenstellen, sind  dadurch  begründet,  dass  von  dem  grossen 
Yersuchs-Material,  das  speziell  bezüglich  des  Phosphor-  und 
Kalkstoffwechsels  in  der  Literatur  niedergelegt  ist,  nur  ausser- 
ordentlich wenige  Untersuchungen  allen  Anforderungen  genügen, 
und  für  die  Pädiatrie  speziell  eigentlich  das  meiste  zu  schaffen  ist. 

Nach  diesen  einleitenden  Worten  wollen  wir  die  Ergebnisse 
der  Untersuchung  kurz  und  vorsichtig  kritisieren. 

Was  zunächst  die  allgemeine  Bilanz  der  Einnahmen  und 
Ausgaben  anbelangt,  so  sehen  wir,  dass  die  Diurese  in  der 
Thyreoidinperiode  ungefähr  in  dem  Umfange  ansteigt,  als  dem 
Plus  an  zugeführter  Flüssigkeit  entspricht;  sie  zu  beurteilen,  ist 
deswegen  schwierig,  weil  die  zweite  Stoffwechselperiode  in  eine 
sehr  heisse  Zeit  fiel,  in  der  das  Kind  viel  Schweiss  verlor. 

Aus  der  Berechnung  der  Stickstoff bilanz  ergibt  sich,  dass  die 
Retention  in  der  ersten  Periode  42  pCt.,  in  der  zweiten  Periode 
36,9  pCt.  beträgt  —  also  kein  wesentlicher  Unterschied.  Die 
Retentionen  stehen  ungefähr  in  demselben  Verhältnisse,  wie  die 
zugeführten  Mengen;  in  absoluten  Zahlen  ausgedrückt,  beträgt  sie 
in  der  ersten  Periode  1,472  g,  in  der  zweiten  2,233  g.  Die  Aus- 
nutzung der  stickstoffhaltigen  Nahrung  ist  in  beiden  Perioden 
eine  vorzügliche,  sie  beträgt  94,1  resp.  93,1  pCt.  Diese  Tatsache 
ist  bemerkenswert,    da  Vermehren    in  der  zitierten  Arbeit   von 


646  Hoagardy-Laogstein,  StoffwechselTersuch 

einer  ausserordentlich  schlechten  AusnutzuDg  der  stickstoffhaltigen 
Nahrangsbestandteile  spricht,  die  sich  erst  auf  Thyreoidin  besserte. 
Möglicherweise  ist  diese  Tatsache  in  den  Versuchen  Yermehrens 
unabhängig  von  dem  myxödematösen  Zustand.  Ewald  gibt  au, 
dass  bei  der  Thyreoidintherapie  des  Myxödems  die  Ausnutzung 
eine  vorzügliche  ist.  Als  wichtiges  Ergebnis  unserer  Unter- 
suchungen möchten  wir  den  Befund  bezeichnen,  dass  der  grösste 
Teil  des  Stickstoffs  im  Harn  der  unbeeinflussten  Periode  als  Harn- 
stoff ausgeschieden  wird,  dass  also,  wie  aus  den  früheren  Unter- 
suchungen möglicherweise  erschlossen  werden  konnte,  eine  In- 
suffizienz der  Harnstoffbildung  nicht  besteht.  Während  in  der 
ersten  Stoff  wechselperiode  81,67  pCt.  des  Stickstoffs  als  Harnstoff- 
Stickstoff  zur  AusscheiduDg  gelangen,  beträgt  dieselbe  in  der 
Thyreoidinperiode  84,5  pCt.  —  ein  Unterschied,  der  innerhalb  der 
Fehlergrenzen  der  angewandten  Methodik  gelegen  ist^).  Auf  die 
anderen  durch  Phosphor -Wolframsäure  nicht  fällbaren  Körper 
entfallen  ungefähr  3  bis  4  pCt.  des  Gesamtstickstoffs'). 

Unter  diesem  leitenden  Gesichtspunkte  haben  wir  ebenfalls 
untersucht,  ob  in  den  beiden  Stoffwechselperioden  Aminosäuren 
ausgeschieden  werden,  und  sind  dabei  vollständig  dem  von 
Ignatowsky  angegebenen  Verfahren  gefolgt.  Die  Harne  jeder 
einzelnen  Periode  wurden  vereinigt  und  nach  dem  modifizierten 
Verfahren  von  Emil  Fischer  und  Bergell  untersucht.     Es  ge- 


1)  Ord  and  Georg iewskj  geben  an,  dass  in  den  von  ihnen  an  Myx- 
ödematösen angestellten  Stoffwechselyersuchen  während  der  Thyreoidinperiode 
der  grösste  Teil  des  Stickstoffes  als  Harnstoff  zur  Ausscheidung  gelangte. 

*)  Speziell  in  letzter  Zeit  ist  man  gewöhnt,  diesen  Stickstoff  als  Amino- 
säurenstickstoff zu  bezeichnen.  Da  in  der  pädiatrischen  Literatur  bei  den 
Stoffwechseluntersnchungen  auf  die  Stickstoff  Verteilung  des  Harns  grosser 
Wert  gelegt  wird,  ist  es  vielleicht  am  Platze,  kurz  die  Kritik  wiederzugeben, 
die  Ignatowsky,  ein  Schüler  Friedrich  Müllers,  erst  jüngst  an  den  bei 
solchen  Bestimmungen  in  Anwendung  gebrachten  indirekten  Methoden  geübt 
hat.  Ignatowsky  zeigt,  dass  höchstens  ein  geringer  Anteil  des  durch 
Phosphor -Wolframsäure  nicht  fällbaren  Stickstoffs  auf  Aminosäuren,  ein 
grösserer  Teil  wohl  auf  den  Stickstoff  der  Hippursäure  entfällt.  Er  weist 
ferner  darauf  hin,  dass  die  Methodik  auch  in  geübten  Händen  beträchtliche 
Fehler  birgt,  so  dass  man  auf  die  indirekt  ermittelte  Differenz  des  Harnstoff- 
stickstoffs und  des  durch  Phosphor -Wolframsäare  nicht  fällbaren  Stickstoffs 
nicht  allzugrosses  Gewicht  legen  darf,  vielmehr  verlangen  muss,  dass,  im  Falle 
die  Werte  für  den  Harnstoffstickstoff  abnorm  ausfallen,  erst  der  positive  Nach- 
weis des  Vorhandenseins  von  Aminosäuren  erbracht  werde,  bevor  die  Differenz 
auf  diese  bezogen  wird. 


an  einem  Fall  von  infantilem  Myxödem.  647 

lang  ans  nicht^Naphtbalinsuifoverbindangen  der  Aminosäuren  dar- 
zustellen. 

Bezüglich  der  Ammoniakwerte  ist  zu  bemerken,  dass  der 
Koeffizient  in  der  ersten  Periode  6,  in  der  zweiten  3  beträgt,  die 
absoluten  Mengen  Ammoniaks  jedoch  ungefähr  die  gleichen  sind. 

Der  Übersicht  halber  soll  der  PhosphorstofFwechsel  gemein- 
sam mit  dem  EalkstofFwechsel  besprochen  werden. 

In  der  ersten  Periode  wurden  von  1,1585  g  Phosphor  0,46  g 
retiniert,  also  39,7  pCt.,  in  der  zweiten  von  2,2858  g  0,549,  also 
24  pCt.  Im  Kote  wurden  in  der  ersten  Periode  ungefähr  18  pCt., 
in  der  zweiten  40  pCt.  des  eingeführten  Phosphors  aus- 
geschieden; von  1,226  g  Kalk  wurden  in  der  ersten  Periode  täg- 
lich nur  0,1083  g,  in  der  Thyreoidinperiode  von  2,2934  g  0,376  g 
retiniert,  die  Kalkretention  betrug  in  der  ersten  Periode  demnach 
8,8,  in  der  zweiten  16,6  pCt.  Die  Kalkausfuhr  im  Kote  stieg  in 
der  Thyreoidinperiode  auf  61  pCt.  Wir  sehen  demnach,  dass 
bei  Mehrzufuhr  von  Sticksto£F,  Phosphor  und  Kalk  absolut  mehr 
retiniert  wird;  prozentisch  sinkt  jedoch  in  der  Thyreoidinperiode 
die  Retention  des  N  und  P,  während  die  des  Kalkes  nicht  nur 
prozentisch,  sondern  auch  absolut  ansteigt. 

Sich  eine  richtige  Vorstellung  von  dem  Phosphorstoffwechsel 
beim  Myxödem  zu  machen,  ist  deswegen  nicht  leicht,  weil  erst 
in  alleijüngster  Zeit  sich  unsere  Anschauungen  über  die  Physio- 
logie des  Phosphorstoffwechsels  zu  klären  beginnen.  Ins- 
besondere durch  die  Arbeiten  von  Ehrström,  Büchmann, 
L.  F.  Meyer,  wissen  wir,  dass  Stickstoff-  und  Phosphorstoffwechsel 
ziemlich  unabhängig  von  einander  sind,  dass  die  aus  dem  Ver- 
hältnis von  Stickstoff  zu  Phosphor  gezogenen  Schlüsse  fast 
illusorisch  werden.  Soviel  steht  fest,  dass  einer  erhöhten  Phosphor- 
einfuhr auch  eine  erhöhte  Retention  entspricht  und  dass  im  Kote 
physiologischerweise  Mengen  bis  zu  30  pCt.  des  eingeführten 
Phosphors  wieder  erscheinen;  die  Retention  des  Phosphors  in 
unserer  unbeeinfLussten  Versuchsperiode  muss  als  ausserordent- 
lich hoch  bezeichnet  werden,  ebenso  wie  die  Ausfuhr  durch  den 
Kot  in  der  mit  Thyreoidin  behandelten.  Da  wir  wissen,  dass 
für  den  Phosphorgehalt  des  Kotes  3  Quellen  in  Betracht  kommen, 
der  unresorbierte  Phosphor,  der  Phosphor  des  Darmsekrets  als 
solchen  und  der  durch  die  Darmwand  ausgeschiedene,  besteht 
die  Unmöglichkeit,  zu  sagen,  auf  Kosten  welcher  Fraktion  die 
Mehrausscheidung  des  Phosphors  in  der  Thyreoidinperiode  zu 
setzen   ist;    soviel    können   wir  wohl  sicher    annehmen,    dass    ein 


648  Hottgardy-LangstelD,  Stoffwechsel versach 

Teil  der  Mehraasscheidang  in  der  zweiten  Periode  durch  die  er- 
höhte Ealkausfahr  bedingt  ist,  der  ja,  wie  von  Noorden  gezeigt 
hat,  den  Phosphor  mitreisst.  Bei  den  hohen  Werten  der  Phosphor- 
ausfahr  in  der  Thyreoidinperiode,  die  wir  erhalten  haben,  ist  es 
immerhin  bemerkenswert,  dass  schon  von  anderer  Seite  auf  die 
Beeinflnssang  des  Phosphorstoffwechsels  durch  die  innere  Sekretion 
der  Schilddruse  aufmerksam  gemacht  worden  ist.  Roos  kommt 
auf  Grund  seiner  sorgfältigen  Versuche  über  die  Einwirkung  der 
Schilddrüse  auf  den  Stoffwechsel  des  Hundes  zu  der  Anschauung, 
dass  der  Schilddrüse  ein  erheblicher  Einfluss  auf  den  Phosphor- 
stoffwechsel zukommt,  denn  der  Mehrausscheidung  von  P.  bei 
Einnahme  von  Schilddrüse  entsprach  in  seinen  Versuchen  eine 
Verminderung  auf  fast  die  Hälfte  nach  Entfernung  des  Organs. 
Roos  sagt:  „Ob  dieser  Einfluss  der  Schilddrüse  so  zu  denken  ist, 
dass  die  Ausscheidang  des  Phosphors  ohne  die  Schilddrüse  nicht 
genügend  stattfinden  kann,  so  dass  ohne  dieselbe  eine  Art  von 
Phosphorretention  zustande  kommt,  oder  ob  der  Organismus  nur 
mit  Hülfe  einer  von  der  Schilddruse  gelieferten  Substanz  genügend 
Phosphor  assimilieren  kann,  dafür  müssten  erst  weitere  Anhalts- 
punkte gewonnen  werden." 

Ein  interessantes  Relief  zu  den  Versuchen  von  Roos  bildeten 
die  an  der  Klinik  von  Kraus  ausgeführten  Stoffwechselversuche 
von  Scholz  an  Basedowkranken.  Söholz  konstatierte  bei  der 
Thyreoidinbehandlung  von  Basedowkranken  eine  Erhöhung  der 
Phosphorausscheidung  durch  den  Kot  um  den  zehnfachen  Betrag  • 
bei  den  Gesunden'  trat  eine  Erhöhung  um  ungeföhr  24  pCt.  ein. 
Scholz  bekennt  sich  auf  Grund  dieses  Ergebnisses  zu  der  An- 
schauung, dass  die  Glandula  thyreoidea  einen  gewichtigen  Einfluss 
auf  den  Phosphorstoffwechsel  ausübt.  „Dieser  Einfluss  der  Schild- 
drüse wird  so  zu  denken  sein,  dass  ohne  dieselbe  eine  Phosphor- 
retention und  unzweckmässige  Verwendung  im  Körper  resultiert, 
während  krankhaft  gesteigerte  Tätigkeit  der  Drüse  einen  intesti- 
nalen Phosphor- Diabetes  und  damit  vielleicht  allmählich  empfind- 
lichen Phosphormangel  zur  Folge  hat.  Der  Tatsache,  dass  die 
Phosphorausfuhr  vorwiegend  durch  den  Darm  erfolgt,  legt  Scholz 
mit  Rücksicht  auf  die  bisherigen  Kenntnisse  des  Phosphor- 
stoffwechsels kein  grosses  Gewicht  bei.  Zugunsten  seiner  Auf- 
fassung führt  er  an,  dass  Kocher  bei  seinen  Basedowkranken 
durch  Eingabe  von  Natriumphosphat  Besserung  erzielt,  und  er 
weist  auch  hin  auf  die  nicht  allzu  seltenen  Knochenaffektionen 
bei  Basedowkranken. 


ftn  einem  Fall  yon  infantilem  Myxödem.  649 

Da  von  anderen  Forschern,  so  von  Magnus-Levy,  von 
£.  Yoit,  eine  Beeinflassang  des  Phosphorsto£Fweclisels  durch  das 
Thyreoidin  nicht  gefunden  wurde,  möchten  wir  auch  unsere 
Resultate  vorläufig  nicht  in  dem  Sinne  verwerten,  wie  Roos  und 
Scholz;  doch  erscheint  gerade  unter  dem  Gesichtspunkte  der 
Arbeiten  dieser  beiden  Forscher  die  Phosphorretention  resp.  die 
durch  das  Thyreoidin  bedingte  Phosphormehrausscheidung  in 
unserem  Falle  bemerkenswert.  Leider  fehlt  in  den  Versuchen 
von  Scholz  die  Ealkbilanz,  die  uns  etwas  Näheres  über  die  Art 
der  von  ihm  konstatierten  Phosphorausscheidung  sagen  wurde, 
und  in  unseren  Versuchen  kommt  als  ein  die  Beurteilung  ausser- 
ordentlich komplizierender  Faktor  hinzu,  dass  wir  es  mit  einem 
wachsenden  Organismus,  mit  einem  Kinde,  zu  tun  haben. 

Noch  ein  paar  Worte  über  den  Kalkstoffwechel.  Hier  fällt 
vor  allem  die  ausserordentliche  geringe  Retention  von  Kalk  in 
der  unbeeinflussten  Stoffwechselperiode  auf,  obwohl  genügend  Kalk 
in  der  Nahrung  geboten  wurde  and  auf  Grund  der  Unter- 
suchungen von  Reidel  die  Verhältnisse  für  die  Ealkresorption 
in  unserem  Falle  als  ausserordentlich  günstig  bezeichnet  werden 
müssen.  Die  Zahl  von  0,1083  g  retinierten  Kalkes  pro  die 
ist  mit  Rü(^ksicht  auf  die  Angaben  von  F.  Voit,  dass  dieselbe 
beim  Kind  normalerweise  ungefähr  0,3  beträgt,  ausserordentlich 
gering,  so  dass  man  wohl  auf  Grund  unserer  Stoffwechselbilanz  — 
ohne  sich  in  das  Gebiet  der  Hypothese  zu  verlieren  —  von  einem 
Damiederliegen  des  Kalkstoffwechsels  beim  infantilen  Myxödem 
sprechen  kann.  Ungleich  besser  stellt  sich  die  Kalkbilanz  in  der 
Thyreoidinperiode,  in  der  0,376  pro  die  retiniert  wurden,  wenn 
wir  auch  bei  der  Beurteilung  dieser  Tatsache  nicht  vergessen 
dürfen,  dass  die  Kalkausscheidung  sich  verzögern  kann,  so  dass 
eine  Retention  möglicherweise  nur  vorgetäuscht  ist;  immer- 
hin erscheint  es  doch  sehr  bemerkenswert,  dass  in  der  Thyreoidin- 
periode die  Menge  retinierten  Kalkes  im  Gegensatz  zu  der  des  Stick- 
stoffs und  Phosphors  nicht  nur  absolut,  sondern  auch  prozentisch 
anstieg,  und  wir  dürfen  wohl  von  einer  Erhöhung  des  Kalkstoff- 
wechsels durch  Zufuhr  von  Thyreoidin  sprechen  —  dies  um  so 
eher,  weil  wir  aus  den  klassischen  Untersuchungen  Eiseisbergs 
den  Einfluss  der  Schilddruse  auf  das  Knochenwachstum  kennen: 
eine  Tatsache,  die  ja  zum  Versuch  einer  Schilddrüsenbehandlung 
der  Rachitis  geführt  hat. 

Wir  beabsichtigen,  den  hier  mitgeteilten  Versuch  dadurch 
zu  vervollständigen^    dass  wir  einen  Stoffwechselversuch  mit  Be- 

jAbrbuch  f.  KJDderhellknnde.    N.  F.    LXT.     Heft  4.  42 


650 


Hoagardy-Langstein,  Stoffwflchselversaoh 


rücksichtigung  der  Kalk-  und  Magnesiaausfuhr  bei  mit  maximalen 
Dosen  von  Thyreoidin  gefütteHen  Hunden  anschliessen. 

Yersuchs-Protokolle. 
I.  Tag. 

Stiekstoff. 

n 


5  com  Milch  verbr. 


10  com  Odd&lösang  yerbr. 


Gesamt- N  in  10  ccm  Harn  u,  Spülwasser 


18,6^8 
18.6^8 

38,1  ^sf 


10' 


Ammoniakstiekstoff  in  80  ccm 


Ko^ 


28  mg  N. 


6,04  mg  N. 


89,27  mg  N. 


7  mg  N. 


Stickstoff  der  durch  Phosphorwolframs&are  f  12,4  S 
nicht  f&llbaren  Substanzen!) 


I^fosl 

i;^;*^}  17,23  mg  N. 

HaroBtoff-N  in  5  ccm  P*''  ^^?|  16,52  mg  N. 
llI,7  10S/  * 

KotN  in  0,3888=12,5^8 
Phosphor  und  Kalk  in  P|()(  und  CaO. 

25  ccm  Milch  ^^»^  g  P.O,  +  0,0482  g  CaO 
10,0478  g  P,0,  +  0,0488  g  CaO 

50  ccm  Harn  u.  Spülwasser  P^^f^  «  o'^*  t  n'^^^  ^  ^'^ 
*^  10,0685  gPfOj +0,056    g  CaO 

1,0042  g  Kot  enthalten  0,0829  g  PfO| 

0,8572  g  Kot  enthalten  0,1361  g  CaO 

n.  Tag. 

Stickstoff. 


5  ccm  Milch 


10  ccm  Harn  u.  Spülwasser 


Ammoniak-N  in 


34.1^S| 
24,2^8 

|27,3^S| 

5.0^8 

n   _ 


33,81  mg  N. 


88,15  mg  N. 


i. 


mg  N. 


10' 


>)  Wir  bezeichnen  ihn  künftig  als  Ng. 


aa  einem  Fall  von  infantilem  M jz5dem 

n 
IM 
Nt  in  5  ecm 


661 


Harnstoff-N  in  5  ccm 


15,89  mg  N. 


15,12  mg  N. 


Kot-N  in  0,4783  r=  16,3  ^ö  S  »=  33,82  mg  N. 

Phosphor  and  Kalk. 

ox  ii-,  u  /^Ö44    g  P.O,  +  0,0432  g  CaO. 

25  cem  Milch  ^^^^^^  ^  P,0,  +0,0448  g  CaO. 

^  „        .  „     .  (0,0615  gP,0,+ 0,078   gCaO. 

50  cem  Harn  +  Spfilwa«.er  (^  ^g^g  ^  p^^^  ^  ^^  ^^^^  ^  ^aO. 

1,14      g  Kot  enthalten  0,2002  g  CaO. 
1,1281  g  Kot  enthalten  0,038    g  PiO«. 


III.  Tag. 

Stickstoff. 


5  ccm  Milch 


10  ccm  Harn  -f*  Spülwasser 


18.3^S| 
18,1^S 


26,4 


10* 

±< 
10* 


Ammoniak-N  in  30  ccm 


Nj  in  5  ccm  < 


Harnstoff- N  in  5  ccm 


|26,6^S 
4,9  ^S 
4,8j^3S 

11     ^S 

10,7^8 
10,7  ^S 


25,48  mg  N. 


37,1  mg  N. 


6,7»  mg  N. 


15,47  mg  N. 


14,98  mg  N. 


0,3062  g  Kot  =  10  jQ  S  =  14  mg. 
Phosphor  und  Kalk. 

25  ccm  Milch  ^^^^^^  ^  P,0s  +  0,0475  g  CaO. 

'^..      u       ^  Q  -1  l^'^^^2  g  P,05  +  0,0572  g  CaO. 

dO  ccm  Harn  +  Spulwasser  ^^^^  ^  p^^^^  _^_  ^  ^^^^  ^  (,^q 

1,072    g  Kot  enthalten  0,0425  g  P1O5. 
1,2022  g  Kot  enthalten  0,1809  g  CaO. 

42* 


662 


Hoogardj-Laogsteio,  Stoff weelueUenaeh 


IV.  Taff. 

Stickstoff. 


5  com  Milch 


10  ccm  Harn  -f*  Spülwasser 


19    is 
19,1  ^S 

26,6  ^&\ 
•28.8^  s( 


26,67  mg  N. 


40,18  mg  N. 


Ammoni»k-N  in  30  ccm  ' 


7,49  mg  N. 


N,  10  5  ccm  I         *^     \  17,92  mg  N. 
|l2.9äs| 

Harnstoff-N  in  5  ccm  f         ^^     \  16,780  mg  N. 
P     löS) 

0,277  g  Kot  =  6,9  ^  S  =  9,66  mg  N. 


25  ccm  Milch 


Phosphor  und  Kalk. 

10,0459  g  P,0»  +  0,0483  g  CaO. 
10,0449  g  P,0.  +  0,0191  g  GaO. 

oO  ccm  Harn  +  Spülwaaser  ^.^  p^^^^  ^„^  ^^^,^^^^  ^  ^^^^g  ^  ^^^ 

1,0052  g  Kot  enthalten  0,038    g  P|0|. 
1,000    g  Kot  enthalten  0,1289  g  CaO. 


Y.  Tag. 

Stickstoff. 

Jjg g  I 

5  ccm  Milch  l      ^^     \  25,2  mg  N. 

(is^sl 


10  ccm  Harn  -|-  Spulwasser 


AmmoLiak-N  in  25  ccm 


2,8^S| 


3-2,8  jö 
32,8  ^s| 


45,92  mg  N. 


s 


^3,78  mg  N. 


«n  eioem  Fall  Ton  infaDtilem  Myxödem. 


663 


N|  in  5  ccm 


{         IJ*    }  19,46  mg  N. 
14,0  jöS 


Harn  Stoff- N  in  5  cem 


|1«,2^S 


10' 


|18,0^S 


k  18,84  mg  N. 


0,703  g  Kot  =  19,8  j^  S  ==  27,72  mg  N. 
Phosphor  und  Kalk. 


25  ccm  Milch 


(0,0479  g  P,0,  +  0,0500  g  CaO. 
)0,0488  g  P,0»  +  0,0508  g  GaO. 

inn  TT  •      .    Q  -1  1^'^^^^  8  P.O,  +0,1186  g  CaO. 

100  ccm  Unn  +  Spülwasser  ^^^^^  ^  P.Os  +0.1124  g  CaO. 

0,785    g  Kot  enthalten  0,0544  g  PiO». 
1,4662  g  Kot  enthalten  0,1487  g  CaO. 

VI.  Tag. 

Stickstoff. 


5  ccm  Milch  < 


10  com  Harn  +  Spülwasser  i 


Ammoniak-N  in  25  ccm  ^ 


18,7  ^S| 
n 

lö 

n 

lö 
n 

lö 
2,4- 


18,9 
29,0 
28,6 


10 


26,82  mg  N. 


»'40,82  mg  N. 


mg  N. 


N2  in  5  ccm  < 


(»8-2  ä 


(18,2iöS 


Harnstoff-N  in  5  ccm  i 


12,5^8 
12,5^8 


y  18,48  mg  N. 


}.17,5mgN. 


0,4861  g  Kot  =  12,2  j^  8  =  17,08  mg  N. 

Phosphor  and  Kalk. 

«  <..™  M.-I.l,  '<^'^*  K  P,0.  +  0,0490  g  CaO. 
2o  ccm  Milch  ^oojjg  ^  p,0,  +0,0498  g  CaO. 

.^  „.     ,c     ,  (0,09998  gP,0,  + 0,0575  g  CaO. 

100  ccm  üriD  +  SpQlwaa.er  ^^^^^  ^  p^^^  ^  g  p^^^^  ^^^  ^^j^^^^ 

0,6856  g  Kot  enthalten  0,045    g  PtO,. 
0,958    g  Kot  enthalten  0,0855  g  CaO. 


654 


Hoagardj-Langstein,  Stoffwechselvenach 


VII.  Tag. 

Stickstoff. 


5  ccm  Milche 


18,5 


n 


10  ccm  Harn  4-  Spülwasser  ^ 


[18,5  j^Sj 

26,8  ^S 
26,8  ^S 


S,9  mg  N. 


^37,52  mg  N. 


Ammooiak-M  in  25  ccm 


Nj  in  5  ccm 


Jl2,( 
|l2,( 


,8  j-Q  S 


Harnsloff-N  in  5  ccm  • 


.2,8  mgN. 


17,78  mg  N. 


16,8  ^S. 


0,7491  =  19,5  Yq  S  =  27,30  mg  N. 


/0,0 
25  ccm  Milch  ^qq 


Phosphor  und  Kalk. 

/0,0512  g  P,0,  +0,0474  g  CaO. 
),0524  g  P,0,  +  0,8482  g  CaO. 

inn  TT        I  G  - 1  P'^^^1  «  PfOs  +  0,0576  g  CaO. 

100  ccm  Harn  +  Spulwasser  ^^^^  ^  P,0,  +0,0572  g  CaO. 

0,505  g  Kot  =  0,032    g  P,0,. 
1,306  g  Kot  =  0,1315  g  CaO. 


Vm.  Tag. 

Stickstoff. 


5  ccm  Milch 


10  ccm  Harn  +  Spülwasser 


Ammoniak-N  in  25  ccm 


19.4  j^S 

19.5  ^S 

n 
38,4  jqS 

38.4  ^  S 
n  _ 


10' 


3,0 


27,23  mg  N. 
53,76  mg  N. 
4,06  mg  N. 


an  einem  Fall  von  infantilem  Myxödem. 


666 


Ns  in  5  ccm 


Harnstoff-N  in  5  ccm 


16,2  ^S 
IM^S 
15,6  ^S 
15,8  ^S 


2,82  mg  N. 


21,98  mg  N. 


0,8792  g  Kot  =  21,4  jq  S  ==  29,96  mg  N. 
Phosphor  and  Kalk. 
25  ccm  Milch 


rO,0475  g  PjOs  +  0,0514  g  CaO. 
10,049    g  PaOs  +  0,0509  g  CaO. 


,nn  u         .    Q   -1  P'^2^  K  P2O5  +0,0557  g  CaO. 

100  ccm  Harn  +  Spülwasser  |q  ^ggj  ^  P.O*  +0,0549  g  CaO. 

0,582  g  Kot  =  0,0488  g  P.Os. 
0,6      g  Kot  =  0,0884  g  CaO. 


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drüsenexstirpation.     Arch.  f.  klin.  Chirurgie.    49.     S.  310. 
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Meyer,  L.  F.,   Beiträge    zur  Kenntnis  des  Phosphorstoffwechsels.     Zeitschr. 

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656  Hoagardj-Langsteto,  Stoff weohselTersuch  etc. 

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1893.    2.    217. 
Pfaundler,  Jahrbach  für  Kinderheilkande.    54. 
Reich,  Inaug.-Diss.     Breslau.     1902. 
Roos,    Über    die    Einwirkung    der    Schilddrüse    auf   den    Stoffwechsel   etc. 

Zeitschr.  f.  phjsiol.  Chem.     1895/96.     21.     19. 
Reidel,  Über  die  Resorption  und  Ausscheidung  des  Kalkes.    Arch.  f.  experim. 

Pathol. 
Scholz,   Über  den  Einfluss  der  Schilddrüseusnbstanz    auf  den  Stoffwechsel, 

insbesondere  bei  Morb.  Bas.    Gentralbl.  f.  inn.  Med.     1895.    48. 
Vermehren,  Über  die  Behandlung  des  Myxödems.  Deutsche  med.  Wochenschr. 

1893.     11. 
Veit,  £.,  Zeitschr.  f.  Biologie.    Bd.  16.    S.  62. 
Veit,  F.,  Stoffwechseluntersuchungen  beim  Hunde  mit  frischer  Schilddrüse  ete. 

Zeitschr.  f.  Biologie.    Bd.  95.     1897. 


Vereinsberichte 


Bericht  Aber  die  8.  Versammlung  der  Verelnigungr 
sttddeatseher  Kinderärzte 

am  IL  Dezember  1904  za  Frankfurt  a«  M. 

1.  6  e  r n  8  h  e  i  m -Worms,  Fall  TonHernla  lambalis  spUFla  bei  Sjftbrigem 
Mädchen,  die  im  1.  Lebensjahre  sich  im  Anschlnss  an  Poliomyelitis  ent- 
wickelt hat. 

2.  PriTatdozent  H.  Koeppe-Giessen.  Blutforsehung  and  Seram- 
therapie.    (Der  Vortrag  erscheint  im  Jahrbuch  als  Originalmitteilnng.) 

8.  Dr.  A.  de  Bary- Frankfurt  a.  M.  Fälle  YOn  angewöhnlieher 
WaehstamsstOranff  des  Obersehenkels.  8  Fälle.  Bei  2  Kindern  ein- 
seitige, bei  einem  doppelseitige,  von  der  unteren  Femurepiphjse  ausgehende 
Wachstumshemmung  des  Oberschenkels,  welche  zu  Verkürzungen  Ton  8  bis 
10  cm  geffihrt  haben.  Die  Epiphyse  dabei  verdickt,  plump,  ron  unregel- 
mässiger Form,  an  Stelle  der  Knorpelepiphyse  ist  eine  knöcherne  Kante 
durchzufühlen.  Röntgenaufnahme  ergab  in  allen  Fällen  einen  dichten 
(Knochen-)  Schatten,  welcher  die  Epiphysenlinie  durchsetzte  und  strahlige 
Verästelungen  in  den  Bereich  des  epiphysären  und  diaphysären  Knochens 
anssandte.  Von  der  Epiphysenknorpellinie  wären  nur  noch  Reste  vorhanden, 
welche  unregelmässig  gelagert  waren  und  zur  Erklärung  der  Deformierung 
der  Epiphyse  heranzuziehen  sind.  Die  Knorpelungen  der  übrigen  Knochen 
der  Kinder,  die  im  Alter  von  11 — 13  Jahren  standen,  waren  normal. 

Ätiologisch  waren  die  gewöhnlichen  ursächlichen  Momente  der  Epi- 
physenlösung  (schweres  Trauma,  Osteomyelitis,  Tuberkulose)  anszuschliessen, 
auch  die  hereditäre  Syphilis  konnte  in  2  Fällen  bestimmt  ausgeschlossen 
werden  und  war  nur  in  einem  (einseitigen)  Falle  mit  Rücksicht  auf  die 
Anamnese  nicht  ganz  abzulehnen,  obwohl  das  Kind  nie  Erscheinungen  florider 
Lues  gezeigt  hat.  Dagegen  waren  alle  drei  Kinder  früher  sehr  rachitisch, 
und  lernten  erst  mit  4 — 5  Jahren  laufen.  Dieses  Moment  bei  Rachitis  wird 
für  die  Ätiologie  infofem  verwertet,  als  angenommen  wird,  dass  bei  den 
weichen  hyperämischen,  rachitischen  Knochen  geringfügige  Traumata,  ähnlich 
wie  zu  Frakturen,  auch  zu  Verletzung,  also  partieller  Lösung  der  Epiphyse 
führten,  welche  mit  vorzeitiger  Verknöcherung  ausheilten.  Dafür  spricht 
auch  die  Stelle  der  Erkrankung,  indem  gerade  das  untere  Femur-Ende  bei 
dem  häufigen  Fallen  der  Kinder  auf  die  Knie  relativ  oft  traumatischen  In- 
sulten ausgesetzt  ist. 

4.  Dr.  Gaben -Brach-Frankfurta.M.  a)  Fall  von  multipler  L&hmang 
der  Arme  und  Beine  nach  Poliomyelitis.  Der  lOjährige,  mit  hochgradigen 
Pedes  vari  behaftete  Knabe  verfügt   an    den    oberen  Extremitäten    fast   nur 


658  Vereiosberichte. 

aber   die  Schultermuskulatnr,    die    ihn   u.    a.    bef&higt,  tod    grossem  Talent 
zeugende  farbige  Zeichnungen  zn  entwerfen. 

b)  Fall  von  SklePOdermie  bei  4j&hrigem  Mädchen,  seit  etwa  einem  Jahr 
bestehend.    Indaratives  Stadium  mit  beginnender  Atrophie. 

5.  Dr.  Grossmann-Frankfurt  a.  M.  a)  Ein  Kind  Ton  Vs  Jshre,  bei 
dem  am  7.  Tage  post  partum  eine  apfelsinengrosse,  bereits  eitrig  belegte 
und  an  einer  Stelle  perforierte  Myelomeningoeele  der  Sakralgegend  ezstirpiert 
wurde.    Glatte  Heilung. 

b)  Ein  1  jähriges  Kind,  das  im  Oktober  d.  J.  wegen  einer  Menln- 
Sroeele  saeralls  anterior  operiert  wurde.  Der  Fall  stellt  ein  Unikum  dar, 
insofern  der  hühnereigrosse  Tumor  nicht  in  das  Becken  hineingewachsen 
war,  sondern  unter  den  Weichteilen  der  rechten  Glntaealgegend  zum  Vor- 
schein kam,  so  dass  er  von  hier  aus  entfernt  werden  konnte«  Glatte  Heilung. 
Das  Röntgenbild  zeigt  deutlich  einen  Defekt  der  drei  unteren  Sakralwirbel- 
körper auf  der  rechten  Seite. 

c)  Ein  Kind  von  Vs  J^l^re  mit  einer  reehtsseitigen  angeborenen 
Kntegelenksluxation  nach  vorn. 

6.  Professor  M.  Neiss er- Frankfurt  a.  M.  Ober  Agglutination.  Das 
Agglutinationsphänomen  berührt  zwei  Forschungsgebiete.  Einmal  die 
Immunitätslehre,  welche  zumal  seit  der  Ehrlich  sehen  Seitenketten  lehre, 
plausible  und  fruchtbare  Vorstellungen  für  das  Zustandekommen  des  Agglotinins 
geschaffen  hat.  Die  Ehrlichsche  Seitenkettenlehre  hat  auch  die  erste 
plausible  Erklärung  für  die  rätselhafte  Spezifität  der  Agglutinationsreaktion 
und  für  die  noch  rätsei  halte  ren  Ausnahmen  von  dieser  Regel  geliefert.  Es 
blieb  noch  zu  erklären,  welche  Kräfte  die  mit  dem  Agglutinin  beladenen 
Bakterien  zusammentübren,  sodass  sie  nunmehr  Haufen  bilden.  Das  neuere 
Studium  der  Golloide  hat  auch  hier  Erklärungen  geschaffen.  Danach  sind 
es  in  letzter  Linie  die  Ionen  der  Salze,  welche  infolge  ihrer  elektrischen 
Ladungen  ausflockend  zu  wirkend  imstande  sind.  Die  Ausflockung  der  mit 
Agglutinin  beladenen  Bakterien  steht  in  Parallele  zu  der  Ausflockung  feinster 
Ton  partikelchen  etc.  durch  Salze.  Viel  wunderbarer  ist  es,  dass  normale 
Bakterien,  die  ja  auch  Suspensionen  sind,  durch  Salze  nicht  ausgeflockt 
werden.  Es  beruht  das  in  dem  Eiweisscharakter  der  Bakterien,  da  Eiweiss- 
Substanzen  gleichsam  Schntzkörper  gegen  die  Salzausflockung  sind.  Diese 
Schutzkörper  der  Bakterien  bilden  im  Tierkörper  einen  Antischutzkörper, 
der  die  Bakterien  ihres  Schutzkörpers  beraubt. 

7.  A.  y.  Mettenheim  er- Frankfurt  a.  M. 

a)  Mlkromelie  bei  einem  7  jährigen  Mädchen. 

b)  Fälle  mit  Missbildung  der  Mundhöhle. 
a)  omonatl.  Kind  mit  Spaltung  der  Zunge. 

ß)  4  Fälle  von  partiellem  Mangel  des  knöchernen  Gaumen- 
gewölbes  ohne  gleichzeitigen  Mangel  der  Gaumensehlelmhaat. 
(Insuffiz.  velo-palatina  Lermojez.)  , 

8.  Dr.  Blumenfeld -Kassel  berichtet  über  die  dortselbst  seit  Mai  d.  J. 
bestehende  und  von  ihm  ins  Leben  gerufene  MilehkQehe  fdr  S&llglinge. 
Die  Milcbküche  stellt  sich  die  Aufgabe,  in  erster  Linie  an  Minderbemittelte 
und  Ud bemittelte  eine  einwandsfreie,  dem  jeweiligen  Alter  entsprechend 
zusammengesetzte  Säuglingsnahrung  in  trinkfertigen  Einzelportionen  zo 
billigem  Preise  abzugeben.    Während  die  Anstalt  anfangs  auf  die  Wohltätig- 


Vereioigang  niederrheinisch-westf&lischer  Kinderärzte.  660 

keit  weitester  Kreise  angewiesen  war,  wird  jetzt  aus  städtischen  Mitteln  ein 
namhafter  Zaschnss  gewährt,  so  dass  keine  finanziellen  Schwierigkeiten  mehr 
bestehen«  Vortragender  erläutert  an  der  Hand  von  Abbildungen  die  muster- 
giltigen  Einrichtangen  der  Milchkfiche,  und  dürfte  diese  wohl  die  erste  sein, 
welche  im  grossen  und  ganzen  den  Grundsätzen  entspricht,  die  Schlossmann 
auf  dem  letzten  Naturforschertag  in  Breslau  anfgestellt  hat.  [Von  dem  mit- 
geteilten Zahlenmaterial  sei  erwähnt,  dass  während  der  letzten  6  Monate 
(Mai  bis  Oktober)  ca.  110000  Flaschen  Säuglingsnahrnng  verabreicht  wurden: 
Die  Zahl  der  Terpflegton  Kinder  betrug  durchschnittlich  110.  Der  Verbrauch 
an  Milch  beziffert  sich  auf  mehr  als  20000  Liter.] 


Vereinigung  niederpheiniseh-westfällsehep  Kinderärzte. 

19.   Sitzung   am    13.  November  1904    zu   Köln. 

Herr  Seiter  -  Solingen  stellt  einen  9  jährigen  Knaben  vor  mit 
progressiver  Muskelatrophie  (Pectoralis),  Schulterblattmuskulatur,  Biceps  völlig 
atrophierty  die  übrige  Armmnskulatur  bis  auf  kleine  Funktionsreste.  Räckeo- 
muskulatur  völlig  atrophisch,  Oberschenkel-  und  Unterschenkelmuskulatur 
erheblich  in  der  Funktionsfähigkeit  herabgesetzt.  Tibialis  p.  und  Gastroknemius 
erhalten.  Gesichtsmuskiilatur  wenig  funktionsfähig  —  Muskelerregbarkeit 
herabgesetzt,  keine  £ntartungsreaktion,  keine  Sensibilitätsstörungen,  keine 
SphinkterläbmuDgen.  Dabei  ist  der  Knabe  leicht  imbezill,  trotz  3  jährigen 
Unterrichts  nicht  in  der  Lage,  leichte  Exempel  (4  -|-  3)  zu  lösen.  'S.  ent- 
wickelt dann  die  Änderungen  in  den  Anschauungen  über  die  Art  der  Er- 
krankung und  führt  zum  Schiasse  die  von  Torgar  in  Nothnagels  Lehr- 
buch angegebene  Einteilung  in  spinale,  neurale  und  myogene  Formen  der 
Muskelatrophie  an,  innerhalb  deien  es  allerhand  Übergänge  und  Misch- 
formen gibt. 

Herr  Maas -Aachen  Über  Taubstummheit  führt  aus:  Unter 
Taubstummheit  versteht  man  denjenigen  krankhaften  Zustand,  welcher  auf 
einer  angeborenen  oder  im  frühen  Kindesalter  erworbenen  Anomalie  des 
Gehörorganes  beruht,  infolge  welcher  eine  dauernde  und  so  bedeutende 
Herabsetzung  des  Gehörs  eingetreten  ist,  dass  das  Individuum  durch  Hülfe 
des  Gehörs  allein  die  Sprache  nicht  erlernen  konnte  oder  die  Sprache,  falls  sie 
schon  beim  Eintritt  der  Taubheit  erlernt  war,  nicht  auf  diese  Weise  hat  er- 
halten können.  Demgemäss  unterscheidet  man  eine  angeborene  und  eine  er- 
worbene Taubstummheit;  diese  ist  etwas  häufiger  als  jene.  Das  männliche 
Geschlecht  wird  von  der  Taubstummheit  häufiger  betroffen  als  das  weibliche. 
Als  Ursache  der  angeborenen  Taubstummheit  betrachtet  man  die  Vererbung 
und  die  Blutsverwandtschaft  der  Eltern.  Die  erworbene  Taubstummheit  ent- 
steht am  häufigsten  im  Anschluss  an  Himentzündung  und  epidemischer 
Genickstarre,  ferner  durch  Ohrenerkrankungen  im  Anschluss  an  Scharlach, 
Diphtherie,  Masern,  Typhus,  Mumps,  Influenza,  Keuchhusten  und  Lungen- 
entzündung.    Die  meisten  Erkrankungen,  welche  zur  Taubstummheit  führen. 


660  Vereinsberiohte. 

treten  im  2.  Lebensjahre  aaf.  Man  nimmt  im  allgemeinen  an,  dass  vor  dem 
8.  Lebensjahre  erworbene  Taubheit  regelmftssig  zur  Taabstammheit  führt, 
in  einzelnen  Fällen  trat  noch  bei  Erkrankung  nach  dem  18.  Lebensjahre 
Scummheit  auf.  Die  Verhütung  der  Taubstummheit  wäre  in  vielen  Pälleo 
möglich,  wenn  man  den  Ohrenleiden  der  Kinder  grössere  Beachtung  schenkte. 
Von  grosser  Wichtigkeit  für  die  Ausbildung  der  Taubstummen  ist  der 
systematische  Taubstummenunterricht,  welcher  sich  besonders  in  Deutschland 
zu  hoher  Blüte  entwickelt  hat.  Neuerdings  versucht  man  die  vorhandenen 
Hörrestc  der  Taubstummen  durch  geeignete  Uörübungen  besser  auszunutzen. 
Genauere  Untersuchungen  an  Taubstummen  haben  nämlich  ergeben,  dass  viele 
noch  über  einen  ansehnlichen  Hörrest  verfügen  ^). 

Herr  Brehmer- Solingen  berichtet  über  einen  Fall  von  Blennorrhoea 
neonatorum  mit  Arthritis  gonnorrhoica  und  demonstriert  eines  der  eitrigen 
Gelenke  mit  den  mikroskopischen  Präparaten  des  gonokokkenhaltigen  Binde- 
haut- und  Gelenkeiters.  Bericht  über  die  Literatur  das  seltenen  Falles 
von  Ophthalmoblennorrhoe  mit  Arthretis  blennorrhoica  erscheint  an  anderer 
Stelle  ausführlicher. 

Herr  Seiter  demonstriert  Präparate  eines  Falles  von  eitriger 
Pericarditis.  Dieselben  stammen  von  einem  ca.  3  Monate  vorher  von 
Empyema  pleurae  operierten  Falle,  der  angeblich  gut  ausgeheilt  war.  Bei 
der  klinischen  Beobachtung  fand  sich  eine  Herzfigur,  die  oben  an  der 
2.  Rippe  abwärts,  aber  sonst  keine  Vergrössernng  zeigte.  Spitzenstoas  loco 
typico,  keine  Geräusche.  Die  Leber  war  stark  vergrössert,  hart,  druck- 
empfindlich. Gesieht  gedunsen,  leicht  livide.  Keine  Temperatursteigerung. 
Punktion  des  Herzbeutels  erfolglos.  Bei  der  Autopsie  fand  sich  der  Herz- 
beutel an  der  Herzspitze  in  ziemlich  grosser  Ausdehnung  verwachsen,  desgl. 
an  den  Austrittstellen  der  grossen  Gefässe,  dazwischen  zog  sich  ringförmig 
um  das  Herz  ein  Wall  von  Eiter  (ca.  eine  Tasse  voll).  Hierdurch  wurde 
der  negative  Erfolg  der  Punktion  und  der  Mangel  von  physikalischen  An- 
zeichen für  Pericarditis  erklärt 

Herr  Rensburg-Elberfeld:  Pädiatrische  Arbeiten  fiber  Körpersäfte 
(Blut,  Serum)  in  diagnostischer  und  therapeutischer  Beziehung  (Sammelreferat, 
zu  kurzem  Referate  nicht  geeignet.) 

Zur  Diskussion:  Herr  Siegert:  Ich  glaube,  eine  perniziöse  Anämie 
als  klinische  Einheit  gibt  es  nicht.  Perniziös  nennen  wir  jede  schwerste 
Anämie  —  aus  welchem  Grund  immer  —  die  die  bekannten  Blutbilder  zeigt 
und  zum  Tode  fuhrt.  Perniziös  kann  unter  ungünstigen  Umständen  jede 
Anämie  werden.  Jedenfalls  fehlt  jede  Veranlassung,  das  klinische  Bild  der 
perniziösen  Anämie  als  berechtigt  anzunehmen. 

Herr  Seit  er:  Um  das  Verhalten  der  Leukozyten  bei  Appendicitis 
festzustellen,  gehört  eine  Reihe  von  Untersuchungen.  Wir  sind  aber  hier 
bei  der  Appendicitis  der  Kinder  zu  kurzem  Entschluss  gezwungen  —  also 
durfte  eine  solche  Untersuchung  aus  praktischen  Gründen,  ganz  abgesehen 
von    dem    noch    zweifelhaften    Wert,    nicht    brauchbar    sein.   —    Zwischen 


1)  Der  Vortrag  ist  in  den  Würzburger  Abhandlungen,  IIL  Jahrgang, 
Heft  II  erschienen. 


VereioigaDg  niederrheinisch-westfftliBcher  Kinderärzte.  661 

AD&mie  und  perniziöser  An&mie  ist  nur  ein  gradueller  Unterschied,  ebenso 
wie  im  Blatbofund :  ob  wir  berechtigt  sind,  den  Begriff  der  perniziösen 
An&mie  als  Krankheit  sui  generis  festzuhalten,  ist  zweifelhaft. 

Herr  Koch -Wiesbaden  fragt  an,  ob  bereits  Publikationen  über  eine 
Einwirkung  der  gegen  Scharlach  injizierten  Sera  verschiedeuer  Herkunft  auf 
die  Blutbeschaffenheit,  insonderheit  die  bei  Scharlach  gefundenen  Hyper- 
leukozjten  Torliegen. 

Herr  Block -Köln  möchte  die  Anaemia  splenica  als  Krankheit  sui 
generis  betrachten,  da  sie  trotz  der  grossen  Häufigkeit  der  Magendarm- 
erkranknngen,  aus  denen  sie  nach  Senator  resultiere,  nur  selten  beobachtet 
wird.  Die  Fälle  gehen,  wie  B.  in  8  Fällen  konstatierte,  nicht  selten  an 
interknrrierenden  Krankheiten  zu  Grunde.  Das  Hauptsymptom  an  der  Krank- 
heit ist  der  Milztumor,  die  Anämie  oft  nicht  einmal  als  sehr  hochgradig  zu 
bezeichnen.  Key. 


Literaturbericht 

Zusammengestellt  von  Dr.  B.  SALGE, 

Aitiitent  an  der  ünireniats-Kinderkllnlk  In  BerllD. 

X.  Krankheiten  der  ResplratlODSorgrane. 

Zur  direkUn  Bronchoskopie  Mwecks  Extraktum  queUbarer  Fremdkörper,  Von 
Mefarlcorn.  Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  40.  1904. 
Die  Aspiration  quellbarer  Körper  (Bohnen),  die  stets  bei  jüngeren 
Kindern  beobachtet  wird  und  in  der  H&ufigkeitsslcala  der  „verschlackten* 
Fremdkörper  an  zweiter  Stelle  steht  —  auf  8  Knochenstücke  5  Bohnen  — 
zeigt  ein  geradezu  typisches  Verhalten  dadurch,  j,da68  auf  den  anfllnglich 
starken  Reiz,  den  der  frisch  aspirierte,  noch  mobile  Fremdkörper  setzt,  eine 
Pause  der  Ruhe  folgt,  in  der  die  Bohne,  ohne  die  Trachea  oder  einen 
grösseren  Bronchus  zu  obturieren,  sich  irgendwo  festsetzt,  ohne  einen 
nennenswerten  Reiz  auszuüben,  die  Beschwerden  anscheinend  behoben  sind 
und  die  Beobachter  über  den  Ernst  der  Lage  get&uscht  werden  können; 
dass  aber  dann,  je  nach  der  Quellfähigkeit  des  aspirierten  Körpers  12  bis 
24  Stunden  nach  der  Aspiration  yon  neuem  schwere  Erscheinungen  ein- 
setzen; die  Atmung  wird  behindert,  neuer  heftiger  Hustenreiz,  bronchitisches 
Rasseln^  tritt  auf  etc.  etc.  —  Verf.  pl&diert  auf  Grund  seiner  Erfahrungen 
dafür,  „bei  Aspiration  von  Bohnen  oder  dergl.  seitens  jüngerer  Kinder  von 
vornherein  auf  die  direkte  obere  Bronchoskopie  zu  verzichten  und  dem 
rascheren,  leichteren  und  sichereren  Vorgehen  mit  primärer  Tracheotomie 
den  Vorzug  zu  geben".  '  Misch. 

Über  Bronckoskopie,  Von  Neumayer.  Münch.  med.  Wochenschr.  No.  88 
und  89.  1904. 
Bei  den  mitgeteilten  10  F&llen  wandte  Verf.  8  mal  die  obere  Broncho- 
skopie an,  darunter  bei  Kindern  von  13  und  9  Monaten,  wodurch  die  bis- 
herige Altersgrenze  von  2  Jahren  für  die  obere  Bronchoskopie  beträchtlich 
tiefer  gerückt  wird.  Auch  bei  den  Säuglingen  ging  die  Einführung  des 
Instruments  leicht  und  ohne  Schädigung  der  Luftwege  von  statten.  Bei 
Kindern  wurde  stets  Chloroform-Narkose  angewendet,  sonst  kam  Verf.  mit 
20proz.  Kokain- Anästhesie  aus.  Misch. 

Ein  bronckoskopiscker  Fremdkörper-FcUL    Von  M.  Heydenreich.    Deutsche 

med.  Wochenschr.    No.  47.     1904. 

Aspiration    einer  Glasperle    bei    einem    6jährigen   Kinde.     Infolge  zu 

engem  Tubus  gelang  es  nicht,  den  Fremdkörper  zu  entfernen,    der  aber  im 

Anschluss  an  die  Bronchoskopie  von  dem  Kind  spontan  ausgehustet  wurde. 


X.  Krankheiten  der  Respirationsorgane.  663 

Infolge    Verletzungen    kam    es    zu    bronchopneumoniscben    Herden.      Nach 
mehreren  Wochen  yöllige  Heilung.  Misch. 

ConiriSutiom  d  Peiude  de  la  p€Uhogenie  de  la  crise  dans  la  Pneumonie  f^rineuse. 
Von  M.  Tchisfovitch.    Ann.  de  l'inst  Fast.     1904.    No.  5. 

Verf.  hat  yerschledene  Versuche  über  die  Ursache  der  Krise  bei  der 
Pneumonie  angestellt.  Schon  in  früheren  Versuchen  hatte  Verf.  festgestellt, 
dass  bei  Tieren,  welche  sich  in  Heilung  yon  einer  Pncumokokken-Infektion 
befanden  —  Hunde  und  Hammel  bekommen  bei  Einführung  von  Pneumo- 
kokken in  die  Trachea  eine  typische  Pneumonie  —  man  eine  starke  Leuko- 
zytose und  mikroskopisch  eine  sehr  starke  Aufnahme  der  intraalyeol&ren 
Diplokokken  in  Zellen  beobachten  kann,  während  in  einer  tödlichen  Infektion 
sich  die  Zahl  der  polynukleären  Leukozyten  im  Blut  vermindert  und  auch 
die  Phagozytose  nicht  auftritt.  Dagegen  kann  nach  seiner  Meinung  eine 
Zerstörung  oder  Abschw&chung  der  Pneumokokken  nicht  die  Ursache  der 
Krise  sein,  denn  noch  zur  Zeit  der  Sjrise  kann  man  den  Lungen  mit  einer 
Prayazspritze  reichlich  yirulente  Pneumokokken  entnehmen.  Ausserdem 
konnte  T.  keine  bakterizide  Wirkung  des  Blutes  während  der  Krise  auf  die 
Pneumokokken  desselben  Kranken,  die  während  des  Höhepunktes  der 
Krankheit  entnommen  waren,  nachweisen.  Antitozische  Eigenschaften 
meint  er  nach  Untersuchungen  von  Isaeff  dem  Blute  der  Pneumonie- 
Rekonvaleszenten  nicht  zusprechen  zu  können.  Dagegen  spielen  yielleicht 
^Agglutinine,  welche  durch  Zusammenballung  der  Kokken  die  Phagozytose 
erleichtem  und  Stimuline,  welche  die  Phagozytose  stimulieren^,  eine,  wenn 
auch  sekundäre  Rolle.  Mäuse,  welche  mit  einer  Mischung  Ton  Kultur 
und  von  Blut  nach  der  Krise  Infiziert  waren,  starben  später,  als  solche  mit 
einer  Mischung  von  Kultur  und  normalem  Blut  infizierten.  Die  Phago- 
zytose scheint  ihnen  jedenfalls  die  Hauptrolle  zu  spielen.  Jap  ha. 

Bemerkungen  Mur  Perkussion  der  Lungenspitzen.    Von  L.  Jundell.  Centralbl. 
f.  innere  Medizin.    XXV.  Jahrgang.     1904.    No.  17. 

Verf.  macht  bei  der  Perkussion  der  Lungenspitzen  auf  einige  Unter- 
suchungsmassregeln aufmerksam,  die  leicht  vergessen  werden,  dass  nämlich 
erstens  die  Kraft  des  Perkussionsstosses  stets  senkrecht  auf  die  Lungenober- 
fiäche  wirken  muss,  und  dass  zweitens  Ton  der  Stellung  des  Fingers  bezw. 
des  Plessimeters  z.  B.  in  der  Supraklavikular grübe  der  Schall  abhängig  ist. 
Das  Wall  ersehe  Verfahren,  das  die  alte  symmetrisch -komparative 
Methode  verwirft  und  den  Lungenschall  an  sich  beurteilt  und  nur  vergleicht 
mit  dem  normalen  Lungenschall  an  derselben  Stelle,  will  Verf.  nur  als  eine 
wertTolle  Ergänzung  aufgefasst  wissen,  nicht  aber  als  einen  Ersatz  der  alten 
vergleichenden  Methode.  Rietschel. 

Über  die  Behandlung  eines   Tkoraxempyems   mittels   der  Müllerscken  Dauern 
kanüle  bei  einem  ^monatlichen  Kinde.  Von  Barth.  Münch.  med.  Wochen 
Schrift.  1904.    No.  39. 

Metapneumonisches  Empyem  bei  einem  5  monatigen  Brustkind.  Die 
Behandlung  mit  der  Dauerkanüle  resp.  dem  ihr  folgenden  Gummidrain 
dauerte  63  Tage.  Zur  Nachbehandlung  ist  kein  so  langer  Drain  nötig,  wie 
l^eim  Bül auschen  Verfahren.  Einen  weiteren  Vorteil  soll  die  sehr  tief 
hinten  unten  am  Thorax  liegende,  nach  aufwärts  gerichtete  Kanüle  bieten 
durch  guten  Abfluss  des  Eiters.  Misch. 


664  Literaturbericht. 

Paikogetüe  des  irouhUs  meninges  au  cours  des  infecHons  aiguis  de  rappanU 
respiratoire  (Pneumonie  et  bronckopneumonie).  Von  P»Nobecourt  und 
K.  Voisin.     Gazette  des  hopitaux.     1904,     No.  50. 

Am  Schlüsse  einer  längeren  Literaturübersicht  und  nach  eigenen  Er- 
fahrungen kommt  Verfasser    zu  folgenden  Schlüssen: 

Im  Verlaufe  der  Pneumonien  und  Bronchopneumonien  kommt  es,  sowohl 
durch  direkte  Einwirkung  der  durch  den  Blutstrom  yerschleppten  Mikro- 
organismen (meist  Pneumokokken  oder  Streptokokken),  wie  auch  ihrer 
Toxine  zu  einer  Schädigung  der  Meningen,  welche  erst  eine  gewisse  Inten- 
sität erreicht  haben  muss,  um  klinisch  in  die  Erscheinung  zu  treten.  Dass 
sie  auch  sonst  vorhanden  ist,  ergibt  die  Untersuchung  des  Liquor  cerebro- 
spinalis, oder  bisweilen  die  histologische  Untersuchung  an  der  Leiche. 

Die  Virulenz  der  Keime  und  die  Dispohition  des  Individuums  erklären 
die  Unterschiede  in  den  einzelnen  Fällen.  Moltrecht« 


XII.  Krankheiten  der  Verdauangsorgane. 

Un  cos    d'appendicite    ches    le    chimpanze.    Von    M.  Weinberg.      Ann.    de 
l'inst.  Pasteur.     1904.    No.  5. 

Bei  einem  plötzlich  zugrunde  gegangenen  Schimpansen  fand  sich  bei 
der  Obduktion  eine  Appendicitis,  ausserdem  allerdings  Ulzerationen  an  des 
P eye r sehen  Plaques.  Im  Dünndarm  und  Coecum  fanden  sich  zahlreiche 
Askariden.  Verf.  hält  nun  diese  Parasiten  für  die  Ursache  der  Appendicitis, 
ebenso  wie  das  in  einer  früher  hierorts  referierten  Arbeit  Metschnikoff 
getan  hat,  in  diesem  Falle  handelte  es  sich  allerdings  um  Trichocephalus. 
Der  Grund  wäre  der,  dass  die  Parasiten  die  Darm-Mucosa  verletzen  und 
nun  Bakterien  durch  die  Läsion  eindringen.  Nach  den  Angaben  des  ^^rl, 
lässt  auch  Czerny  in  Heidelberg  bei  allen  Patienten  mit  Appendicitis,  bei 
denen  man  Parasiten  vermutet,  eine  anthelmintische  Kur  einleiten.  Jeden- 
falls rät  der  Verf.,  in  jedem  Falle  nach  Eiern  im  Stuhl  zu  suchen,  bei  Askariden 
genügt  meist  ein  einziges  Präparat,  bei  Trichocephalen  etwa  12  Präparate. 
Dennoch  soll  man  auch  bei  negativem  Ausfall  eine  anthelmintische  Kor 
einleiten,  da  eventuell  nur  männliche  Würmer  im  Darm  sind.  Jap  ha. 

Über Netaechinococcus,  Von  Gangele.  Münch.  med.  Wochenschr.  No.41.  1904. 
Die  mitgeteilte  Beobachtung  betrifft  einen  10jährigen  Knaben,  bei 
dem  ohne  vorhergehende  Störungen  ein  kindskopf grosser  Tumor  in  der 
linken  Bauchseite  bemerkt  wurde,  der  hinter  den  Bauchdecken  freibeweglich 
lag  und  dessen  Dämpfung  direkt  in  die  der  Milz  überging.  Verf.  hält  die 
Möglichkeit  der  Primärinfektion  des  Netzes  aufrecht.  Misch. 

Oxyuris  vermicularis  in  der  Darmwand*  Von  0.  Wagener.  Deutsches 
Archiv  f.  klin.  Medizin.  Bd.  81.  H.  3/4. 
Ein  5jähriges  Mädchen  war  an  Scharlachsepsis  gestorben  und  wie6 
parenchymatöse  Entzündungsveränderungen  am  Darm  auf.  Parasiten  wurden 
daselbst  nicht  gefunden.  In  einigen  Pey ersehen  Platten  dagegen  bi» 
stecknadelkopfgrosse  kalkige  Gebilde,  Körnchen,  die  nach  Entkalkong 
sich  im  Schnitte    als    eingebettete  Oxyuren    erwiesen,    entweder    anter   den 


XlII.  Krankheiten  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane.  (165 

Follikeln  oder  oberflächlicher.  Der  Verf.  nimmt  an,  dass  die  jungen  Tiere 
in  die  nicht  mehr  ganz  normalen  Wände  eingedrungen  sind  und  dort  bei 
der  Ausheilung  verkalkten.  Spiegelberg. 

Über  thten  FcUl  van  Carcinoma  coli  bei  einem  i^  jährigen  Knaben.  Von  Bruno 
Kuczjiiski.    Prager  med.  Wochenschr.    No.  41.     1904. 

Klinisch  bot  der  Sjranke  das  Bild  der  Darmob turation.  Bei  der  vor- 
genommenen Laparotomie  wurde  das  Garcinom  gefunden.  Die  Sektion 
ergab  die  Diagnose:  Carcinom  der  linken  Kolonflexur,  sekundäres  Garcinom 
der  regionären  Lymphdrüsen  und  der  Leber«  Obsolete  Lymphdrüsentuber- 
kulose. Histologisch  erwies  sich  die  Neubildung  als  Adenocarcinom.  Die 
Arbeit  bringt  wichtige  statistische  Untersuchungen  über  die  Häufigkeit  des 
Garcinoms  im  Kindesalter.  N curat h. 

Über  Purgen.    Von  Gundrum.    Wiener  klin.  Rundschau.     1904.     No.  36. 

Verf.  empfiehlt  das  Purgen  unter  anderm  auch  bei  Kindern  als  ein 
prompt  wirkendes,  gern  genommenes  Abführmittel,  an  das  auch  bei  häufigerer 
Darreichung  keine  Gewöhnung  eintreten  soll.  Er  gab  die  „Baby-Purgen- 
tabletten*' in  Wasser  oder  Milch  aufgelöst  sogar  drei  Monate  alten  Säug- 
lingen. Die  Entleerungen  sind  weich,  reichlich  und  schmerzlos.  Das  wirk- 
same Prinzip  der  Purgentabletten  ist  bekanntlich  Phenolphtaleiu  dem  Verf. 
das  Epitheton  eines  idealen  Mittels  gibt.  Spanier- Hannover. 

Leukogytenaähiung  nnd  FrukoperaHon  bei  EpUyphHtis.  Von  Berndt.  Münoh. 
med.  Wochenschr.    No.  50.     1904. 

Der  Wert  der  Lenkozytenzählung  ist  sehr  beschränkt;  vielfach  war 
gerade  bei  den  schweren  Fällen  des  Verfassers  die  Leukozytenzahl  wenig 
erhöht.  Ein  ausschlaggebendes  Moment  für  die  Unterscheidung  zwischen 
schweren  und  leichten  Fällen  von  Epityphlitis  sieht  Verf.  dagegen  in  dem 
Verhalten  des  Pulses.  Eine  Pulszahl  von  100  und  darüber,  wobei  der  Puls 
nicht  besonders  klein  zu  sein  braucht,  lässt  den  dringenden  Verdacht  einer 
schweren  Erkrankung  entstehen.  Bleibt  die  Pulszahl  im  Laufe  der  ersten 
12  Stunden  in  derselben  Höhe,  so  erscheint  dem  Verf.  die  sofortige  Operation 
dringend  geboten. 

Eine  grosse  Reihe  von  Krankengeschichten  von  Kindern  und  Er- 
wachsenen illostriärt  die  sehr  lesenswerten  Ausführungen.  Misch. 


XUL  Krankheiten  der  HarB-  und  Gesehleehtsorgane. 

Über  physiologische  und  pathologische  Albuminurie.  Von  H.  S  e  n  a  t  o  r.  Deutsche 
med.  Wochenschr.    No.  50.    1904. 
Zusammenfassende  Darstellung  unserer  Kenntnisse  über  die  Albuminurien. 
Der  orthotischen  Albuminurie  werden  Kreislaufstörungen  zugrunde  gelegt. 

Misch. 
Eine  neue  Methode  der  Hydrocele-Behandlung.     Von    Rupfle.     Münch.    med. 
Wochenschr.     No.  48.     1904. 
Empfehlung  von  Adrenalin-Injektionen,  die  Verf.  bei  zwei  Erwachsenen 
mit   bestem  Erfolg   angewendet   hat,   nachdem    sie    ca.    10  Jahre    lang   alle 
2—3  Monate  erfolglos  punktiert  waren.  Misch. 

Jabrbaeh  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.  Heft  4.  43 


666  Literaturbericht. 

KasuisHsche  MUteÜungen.  Vod  Stciohardt.  Archiv  f«  KiDderheilkande. 
XXXVIII.  Bd.  1.  u.  2.  H. 
Nierensarkom  im  Kindesalter.  KraDkheitsgesehiohte,  Sektionsberieht 
und  Epikrise  eines  Falles  tod  linksseitigem  Nierensarkom  bei  einem  SVsj&lur. 
Knaben.  Der  Tumor  wog  fast  18  Pfand  und  hatte  einige  Metastasen  in 
Leber  und  Lunge  veranlasst.  Spanier- Hannover. 

Bin  Fali  von  TorsUm  des  Sameusiranges,  Von  Grunert.  Manch,  med. 
Wochenschr.     No.  43.     1904. 

Die  Fälle  von  Torsion  d^s  Samenstrangs,  deren  Kasuistik  noch  klein 
ist,  verlaufen  unter  dem  Symptomen  komplex  einer  inkarzerierten  Hernie, 
zunächst  sehr  stürmisch,  dann  unter  plötzlichem  völligen  Verschwinden 
der  Erscheinungen.  Die  Folge  ist  immer  zunächst  eine  starke  Hyperämie 
bis  zur  Infarktbildung  und  schliesslich  Nekrose  des  Hodens.  Abnormitäten 
während  des  Descensus  testiculi  prädisponieren  zur  Torsion. 

Beobachtung  an  einem  5jährigen  Knaben.  Misch. 

Oher  Theocin  als  Diureticum  im  Kindesalier,  Von  Gut  mann.  Archiv  f. 
Kinderheilk.  XXXVIH.  Bd.  8.  u.  4,  H. 
Verf.  hat  das  Theocin  bei  8  Patienten  im  Alter  von  2  bis  9  Jahren 
in  Dosen  von  mehrmals  täglich  0,3  angewendet  und  durch  das  Mittel  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  eine  sehr  lebhafte  Steigerung  der  Diurese  erreicht,  die 
oft  ganz  gewaltige  Urinmengen  zutage  förderte,  selbst  da,  wo  Digitalis* 
Diuretin  und  beide  kombiniert  absolut  nichts  mehr  ausrichten  konnten.  Die 
UrinmengA  ging  gleich  am  1.  oder  spätestens  2.  Tage  beträchtlich  in  die 
Höhe,  um  dann  meist  noch  während  der  Verabreichung  des  Mittels,  und 
zwar  manchmal  recht  rapid  wieder  zu  sinken.  Ein  direkter  Einüuss  auf 
Herztätigkeit  und  Blutdruck  liess  sich  niemals  feststellen;  eine  schädliche 
Einwirkung  auf  die  Nieren  war  nicht  im  geringsten  zu  bemerken.  Der 
günstige  Erfolg  zeigte  sich  bei  Hjdropsien  kardialen  Ursprungs,  während 
ein  Fall  von  renalem  Hydrops  weniger  eklatant  beeinflusst  wurde.  Von  un- 
angenehmen Nebenwirkungen  wurden  ndr  Störungen  von  Seiten  des  Magens, 
Brechreiz  oder  auch  Erbrechen  beobachtet,  die  Verf.  dem  sehr  schlechten 
Geschmack  des  Mittels  zuschreibt.  Verf.  empfiehlt  das  Theocin  als  das  zurzeit 
am  besten  wirkende  Diureticum.  Spanier- Hannover. 


XIV.  JKrankhelten  der  Haut 

Über  Urticaria^  Siropkulus  infantum  und  Prurigo,    Von   Joseph.      Areh.  f. 
Kinderheilk.    XXXVIIL  Bd.     1.  u.  2.  H. 

Während  die  gewöhnliche  Urticariaquaddcl  nur  ein  ephemeres  Dasein 
fristet  und  keine  besondere  Bedeutung  beansprucht^  erstreckt  sich  die  in  der 
frühesten  Kindheit  beginnende  Urticaria  pigmentosa  über  Jahre,  ja  Jahr- 
zehnte hinaus,  bleibt  ziemlich  un beeinflusst  durch  die  Therapie  und  ver- 
schwindet meist  spontan  im  Pubertätsalten  —  Den  ungleich  häufiger  auf- 
tretenden Strophulus  infantum  s.  Liehen  urticatus,  der  gleichfalls  in 
frühester  Kindheit  beginnt  und  meist  gesunde,  kräftige  Kinder  anfallsweise 
befällt,  bezeichnet  Verf.  im  wesentlichen  als  eine  alimentäre  Urticaria;  hier 
erfolgt   die  Spontanheilung   schon    im  Alter   von    3  bis  4  Jahren,   mitunter 


XIV.  Krankheiten  der  Haut  667 

allerdings  erst  im  5.  bis  6.  Lebensjahre.  Die  Behandlang  besteht  in  erster 
Linie  in  Regeiang  der  Ern&hrnng  —  bei  j&ngern  Kindern  Milch  Wechsel,  bei 
altern  Vermeiden  von  rohem  and  geräuchertem  Fleisch,  rohem  Obst,  gewöhn- 
lieheln  Leitungswasser.  Daneben  eTentuell  innerlich  Menthol,  mehrmals 
tgl.  0,1,  oder  Hefe,  als  gewöhnliche  Bierhefe  oder  in  Form  des  Cerolin. 
Äusserlich  gegen  das  Jacken  Aufpinseln  einer  lOproz.  Schüttelmixtur  von 
Liqu.  carbon.  detergens  anglicus  oder  von  BromoeoU.  solab.  oder  von 
Eaguform.  solab.  —  Die  Prurigo  beginnt  im  2.  odei^  3.  Lebensjahre 
mit  Quaddelnbildung,  die  eine  grosse  Ähnlichkeit  mit  den  Eruptions- 
erscheinungen des  Strophulus  infantum  haben,  aber  fast  ausschliesslich  an 
den  Streckseiten  der  obem  und  untern  Extremitäten  ausgebildet  sind, 
während  der  Strophulus  ohne  BoTorzugung  bestimmter  Regionen  auftritt. 
Ferner  sind  bei  der  Prurigo  häufig  schon  im  Beginn  der  Erkrankung  die 
Inguinaldrüsen  geschwollen,  und  es  stellt  sich  fast  immer  und  sehr  bald  in- 
folge der  Kratzeffekte  ein  sekundäres  Ekzem  ein,  das  bei  Strophulus  stets 
fehlt  trotz  des  auch  hier  heftigen  Juckreizes  und  trotz  noch  so  rielen 
Kratzens  —  ein  wesentliches  differential-diagnostisches  Merkmal  beider 
Affektionen.  Man  unterscheidet  eine  Prurigo  mitis  und  Prurigo  ferox;  die 
erstere  heilt  immer,  aber  auch  bei  der  Prurigo  ferox  kann  man,  wenn  auch 
erst  nach  Jahren,  einen  guten  Erfolg  erzielen.  Die  Behandlung  braucht  auf 
die  Ernährung  kein  besonderes  Gewicht  zu  legen.  Innerlich  wird  Jodleber- 
tran oder  Solut.  acid.  sulfur.  verabreicht.  Äusserlich  kommt  1-  bis  5proz. 
Naphtholsalbe  oder  Euguform.  solub.  pur.  oder  in  10-  bis  20proz.  Salben  in 
Anwendung;  2mal  wöchentlich  ein  Bad.  Spanier-Hannover. 

Über  wUeUr  auftretenden  Herpes  aoster,  im  besonderen  über  Zoster  erythematosus 

und  Zoster  vegetans.   Von  Vorn  er.     Mönch,  med.  Wochenschr.    No.  39. 

1904. 

Mitteilung  dreier  Fälle  von    rezidivierendem  Herpes    zoster,   darunter 

einer  im  Gebiet  des  Nervus  anricularis  magnus   auf  der  Haut   des  äusseren 

Ohres   bei   einem    5 jähr.  Knaben;    einer   im  Ausbreitungsgebiet   des  Mervns 

frontalis,  bei  dem    aber   die    zweite  Eruption   vom  Beginn   bis    zum  Ablauf 

der  Erkrankung   niemals    auch    nur   eine  Spur   von  Bläschenbildung  zeigte, 

sondern  von  Anfang  an   als    diffuse  Rötung    und  Schwellung   der   befallenen 

Hantpartie  verlief.   Im  dritten  Fall  wandelten  sich  die  Bläschen  des  Rezidivs 

in    granulationsartige   Geschwulstchen    um,    die   an    luetische  Papeln,   aber 

auch  an  Pemphigus  vegetans  erinnerten.    Hier   war   das  Gebiet  des  Nervus 

bnccinatorius  betroffen.  Misch. 

Über  Elephantiasis  congenita.  Von  Norbert  Swoboda.  Mitteil.  d.  Ge seilsch. 
f.  innere  Med.  u.  Kinderh.  1904.  Beilage  VIII. 
Bericht  über  4  Fälle,  in  denen  zum  Teil  die  unteren  Extremitäten  und 
der  Rumpf,  zum  Teil  Zunge,  Ohrläppchen  und  Mundhöhlenboden  betroffen 
waren.  Besprechung  der  Fälle  vom  pathologisch-anatomischen  und  vom 
ätiologischen  Standpunkt.  Neurath. 

Über  Ätiologie  und  Pathogenese  des  Erythema  nodosum.    Von  E.  Hoff  mann. 
Deutsche  med.  Wochenschr.    No.  51.     1904. 

Die  Untersuchungen  ergeben,  dass  dem  Erythema  nodosum  eine  akute 
metastatisehe  Entzündung  einer  tiefen  subkutanen  Vene  zugrunde  liegt. 
Einmal  gelang  es,  in  einem    frischen  Knoten    spärliche,    in    staphylokokken- 

48* 


668  Literaturbericht. 

ähnlichen  Gmppen  gelagerte  Kokken  in  Schnittpräparaten    darzustellen    und 
bei  einer  Züchtung  einen  Staphjlococcus  albus  zu  kultivieren.         Misch. 

Zur  KasMisHk  der  kongenitalen  Onychogryphosis,  Von  C.  Müller.  Mönch, 
med.  Wochenschr.  No.  49.  1904. 
Die  Onjchogryphosis  ist  eine  anormale  Wachstumstendenz  des  Nagels, 
die  unter  starker  Homproduktion  zu  Veränderungen  der  ganzen  Nagelplatte 
in  ihren  Tersckiedenen  Durchmesssem  führt.  Das  14jährige  Mädchen  litt 
neben  den  beschriebenen  und  abgebildeten  Nagelyeränderungen  an  kon- 
genitaler Alopecie  und  an  Psoriasis.  Misch. 

Über  Keraminseire,  Von  P.  6.  Unna.    Monatsh.  f.  prakt.  Dermatologie.   1904. 
Bd.  39.    p.  73. 

Die  Keraminseife  ist  eine  neutrale  Kali-  und  Natronseife,  die  als  Medi- 
kament Perubalsam,  als  Korrigens  Nelkenöl  und  Zimmtöl  enthält.  Sie  zeigt 
offenbare  Vorzüge  in  Betreff  der  Reinigung  Ton  Ternachlässigten,  krustösen 
Flächen,  der  raschen  Desodorisierung,  der  nachhaltigen  Stillung  des  Juckens, 
der  Eintrocknung  und  Sistierung  rasch  fortschreitender  Eruptionen  der 
Ekzeme,  doch  empfiehlt  Unna  neben  der  Seifenanwendung  noch  den  reich- 
lichen Gebrauch  von  Öl  als  bestes  Adjuvans,  da  sonst  zuweilen  die  Haut  so 
trocken    wird,    dass    dicke  Krusten  nicht  einmal  abfallen. 

Als  Hanptgebiet  der  Keraminseife  anerkennt  Unna  das  chronische, 
stark  juckende,  krustöse  Kinderekzem,  nebenher  zeigt  sie  auch  bei  Impetigo 
vnlgaris,  bei  einfachen  FoUiknlitiden  auf  fettreicher  Haut,  bei  juveniler 
Akne  pustulosa  und  bei  Liehen  urticatus  entschieden  günstigen  Einfluss. 

Die  Seife  wird  von  Töpfer  in  Leipzig  in  den  Handel  gebracht. 

Schleissner. 


XV.  Krankheiten  der  Bewegungsorg&ne.    Verletzanflpen. 
Chlrorglsehe  Krankheiten. 

Beitrag  zur  Frage  der  ehirurgiscke»  Behandlung  des  Hydrocepkalus  internus, 
VonN.  P.  Trinkler.  Arch.  f.  Kinderheilk.  XXXVILBd.,  3.  und  4.  Heft. 
Verf.  glaubt,  man  solle  den  Patienten  mit  Hydrocephalus  internus, 
trotz  der  geringen  Errungenschaften  auf  diesem  Gebiete,  chirurgische  Hilfe 
angedeihen  lassen  und  sich  yorläufig  auch  mit  dem  Resultate  einer  geringen 
Besserung  zufrieden  geben,  besonders  der  sogen,  erworbene  Hydrocephalus, 
der  sich  erst  später,  wenn  die  Fontanellen  bereits  verwachsen  sind,  ent- 
wickelt, gestattet  eine  etwas  günstige  Prognose  der  Behandlung.  Verf.  be- 
richtet über  einen  derartigen,  von  ihm  selbst  behandelten  Fall.  Bei  dem 
9jährigen  Knaben  waren  erst  im  7.  Lebensjahre  die  ersten  Erscheinungen  des 
Hydrocephalus  aufgetreten:  immer  häufiger  und  heftiger  werdende  Kopf- 
schmerzen, oft  Yon  Erbrechen  begleitet,  später  eine  schnell  bis  zur  Blindheit 
führende  Herabsetzung  des  Sehvermögens  und  eine  allmähliche  gleichmässige 
Vergrössernng  des  Kopfes.  Die  3  mal  ausgeführte  Punktion  eines  Seiteo- 
yentrikels  hatte  ein  allerdings  nur  kurze  Zeit  währendes  Aufhören  der  Kopf- 
schmerzen und  des  Erbrechens,  sowie  eine  geringe  Aufbesserung  des  Sehver- 
mögens zur  Folge.  Spanier- Hannover. 


XY.  Krankheiten  der  Bewegangsorgane.     Verletzangen  etc.         669 

The  operaüve  ireaimeni  of  kertäa  in  infani  and  yonug  cküdren,  360  cause' 
euüoe  eases.  Von  Harold,  J.  Stiles.  Brit.  med.  Joam.  1.  Oct.  1904. 
Verf.  spricht  sich  neuerdings  wieder,  nunmehr  gestutzt  auf  eine  recht 
erhebliche  Anzahl  von  Fällen,  für  eine  operative  Behandlung  der  Brüche 
bei  jungen  Kindern  aus.  Über  die  Methodik  möge  das  Original  eingesehen 
werden,  nur  sei  erw&hnt,  dass  der  Verf.  die  Wunde  gar  nicht  verbindet,  nur 
das  Kind  mittels  einer  durch  Abbildungen  erläuterten,  anscheinend  ganz 
zweckmässigen  Bandage  am  Bett  befestigt.  Von  den  360  Fällen  hatten 
30  schon  Einklemmungserscheinungen,  der  Versuch  der  Taxis  lässt  oft  üble 
Folgeerscheinungen  zurück.  Manchmal  ist  die  Differentialdiaguose  gegenüber 
der  Hydrocele  schwer,  umsomehr,  als  beide  Affektionen  manchmal  zugleich 
vorkommen.  Das  Goecum  fand  sich  24  mal  im  Bruchsack,  man  kann  dann 
den  Proc.  vermiformis  durch  das  Scrotum  darchstossen,  in  5  von  den  36  Fällen 
bei  Mädchen  fand  sich  Ovarium  und  Tube  im  Sack;  in  7  Fällen  war  der 
Sack  tuberkulös,  auch  diese  Fälle  heilten  bis  auf  einen  per  primam.  Nur 
4  Rückfalle  wurden  beobachtet,  doch  ist  die  seit  der  Operation  verflossene 
Zeit  bei  vielen  Fällen  noch  zu  kurz  gewesen,  als  dass  man  etwas  Sicheres 
aussagen  könnte.  Unter  860  Fällen  passierten  5  Todesfälle,  einer  wird  aber 
auf  das  Konto  der  vorangegangenen  Taxis  geschoben,  einer  passierte  bei 
einem  frühgeborenen,  4  Monate  alten,  sehr  zarten  Kind  mit  doppeltem  Bruch. 
Im  ganzen  hält  der  Verf.  die  Operation  für  ebenso  ungefährlich,  wie  beim 
Erwachsenen,  26  pCt.  der  Operierten  waren  im  1.  Lebensjahre.  Fast  macht 
•es  den  Eindruck,  als  ob  Brüche  in  England  häufiger  wäreu  als  hier. 

Japha. 

Die  Behandlung  der  Hernien  mit  Alhoholinjeküonen.  Von  Brodnitz.  Münch. 
med.  Woohenschr.    No.  41.    1904. 

Verf.  hat  über  70  Fälle  von  Leistenhernien,  darunter  fast  die  Hälfte 
Kinder,  ambulant  mit  den  neuerdings  wieder  empfohlenen  Alkoholinjektionen, 
und  zwar  bei  Kindern  mit  besonders  befriedigendem  Resultate  behandelt. 
Injiziert  wurden  je  nach  der  lokalen  Reaktion  der  Umgebung  jeden  2.  bis 
3.  Tag  0,5 — 1  g  absol.  Akohol.  Bei  Kindern  tritt  häufig  schon  nach  8  bis 
4  Injektionen  eine  gleichmässige  Schwellang  und  Verdickung  des  den  Bruch- 
kanal umgebenden  Gewebes  ein;  die  Injektionen  müssen  aber  auch  noch 
nach  diesem  Verschluss  der  Bruchpforte  fortgesetzt  werden.  Bei  den  be- 
handelten Kindern  konnte  noch  nach  6  Monaten  ein  voller  Erfolg  konstatiert 
werden. 

Die  Injektionen  sind  aber  sehr  schmerzhaft;  ein  länger  andauerndes 
Spannungsgefühl  sehr  lästig;  als  Komplikationen  können  Ödem  des  Scrotum 
und  Verdickung  des  Samenstrangs,  auch  Hjdrocelen  auftreten.  Zuweilen 
ist  die  lokale  Reaktion  sehr  heftig,  und  manchmal  tritt  ziemlich  hohes  Fieber 
ein.  Bei  schwächlichen  Kindern  und  bei  Verwendung  von  mehr  als  1  g 
Alkohol  wurden  erbsengrosse  Hautnekrosen  in  der  Nähe  der  Injekt^onsstelle 
beobachtet.  Misch. 

RadUtale  Heilung  des  rachiHschen   und  statischen  Plattjnsses   mittels  Sehnen- 
plasHh,    Von  Jucre  Hevesi.    Deutsch,  med.  Wochenschr.  No.  45.  1904. 
Ausführliche    Beschreibung   des   vom    Verf.  geübten   Verfahrens,   den 
Plattfnss  durch  Sehnentransplantationen  zu  korrigieren. 


670  Literatarbericht. 

Osüomalaeie   infanüie,     Gemt    vaigttm»    Osieopsaikyrasis,     Von    M.    Broca. 
(Revae  meosueile  des  maladies  de  Penfance.    XZII.     Okt.  1904.) 

Verf.  bespricht  zunächst  Ätiologie  and  Therapie  des  Genn  valgum  der 
Rachitiker  and  des  Pabertätsalters,  um  im  Anechlass  das  Krankheitsbild  einer 
kindlichen  Osteomalacie  —  Osteopsathyrosis  —  an  der  Hand  eines  Falles 
za  besprechen.  Die  Krankheit  ist  selten,  betrifft  Kinder,  die  keine  Spar  von 
Rachitis  haben  oder  gehabt  haben.  Die  Ätiologie  ist  unbekannt,  doch 
scheint  sie  hereditär  zu  sein  und  familiär  aufzutreten  (es  betraf  2  mal  zwei 
Geschwister).  Der  Verlauf  ist  schubweise  mit  eingeschobenen  Besserungen, 
um  aber  schliesslich  doch  letal  zu  enden.  Zunächst  Mattigkeit  und  Gelenk- 
schmerzen, dann  Genu  valgum,  später  Knochenbrüchigkeit  und  schliesslich 
unter  allgemeinen  nekrotischen  Erscheinungen  Exitus.  Alle  therapeutischen 
Maasnahmen  waren  erfolglos.  L.  Ball  in. 

TraUement  du  pied  bot  congenital  vatus  equin  par  U  redressement  manuel. 

Von   MUe.    C.  Djlion.    Archives  de    mÄdecine    des   enfants.    Tome   7. 

No.  10.  Oktober  04. 
Der  angeborene  Pes  equinovarus  ist  bei  rechtzeitig  eingreifender  Be- 
handlung durch  manuelles  Redressement  yollkommen  heilbar. 

Pfaundler. 
Die  Therapie  der  Klumpfüsse  Neugeborener  in  den  ersten  Wochen  nach  der 

Geburt,    Von  J.  Fick.    Zeitschr.  f.  orthopädische  Chirurgie.    XIII.  Bd. 

2.  und  3.  Heft. 
Verf.,  empfiehlt  die  Behandlung  möglichst  bald  nach  der  Geburt  ein- 
zusetzen. Nach  Redressement,  das  leicht  zu  bewerkstelligen  ist,  kommt 
der  Fnss  auf  eine  Aluminiumsohle,  und  es  wird  dann  ein  Zweiz 5 gel  verband 
angelegt.  Der  hintere  Zügel  hat  die  Aufgabe,  die  Ferse  zu  pronieren,  der 
vordere  die,  den  vorderen  Fussteil  zu  abdnzieren,  zu  pronieren  und  dorsal- 
wärts  zu  flettieren.  Durch  allmähliches,  tägliches  Anziehen  der  Zügel  kann 
die  Stellung  des  Fusses  nachkorrigiert  werden.  Zur  Beseitigung  des  zuletzt 
übrig  bleibenden  Spitzfusses  wird  der  Dreizügelverband  angelegt.  Die  Be- 
handlung dauert  so  nur  einen  Monat.  Zur  Nachbehandlung  ist  nur  das 
Tragen  eines  Gummizügelapparates  und  Massage  nötig.  Geissler. 

Streckbett  für  Säuglinge  mit  Obersckenkelbruch.  Von  M.  Landau.  Deutsche 
med.  Wochenschr.  No.  50.  1904. 
Der  durch  Zeichnungen  illustrierte  Apparat  ermöglicht  es,  die  Säug- 
linge bei  der  Extension  jederzeit  aufzunehmen,  zu  reinigen,  oder  an  die 
Brust  zu  legen,  ohne  dass  das  gebrochene  Bein  seine  richtige  Stellung  unter 
dem  Zuge  auch  nur  einen  Augenblick  verlässt.  Misch. 

Zur  Behandlung  des  SchUßuüses.  Von  Höh  mann.    Aus  dem  orthopädischen 

Ambalatorium  (Prof.  Lange).     Zeitschrift    für   orthopädische  Chirurgie. 

XIIL  Bd.     1.  Heft. 

Verf.  bespricht  kurz  die  verschiedenen  Operationsmethoden  bei  dieser 

Krankheit  und  weist  auf  die  häufigen  Rezidive    und  ihre  Ursache    hin.    Die 

neue  Methode  besteht  darin,  dass  der  M.  sternocieidomastoideus  nicht  unten 

am  stemoklavikularen  Ansatz,   sondern    oben  am  Ansatz  am  Warzenfortsatz 

durchschnitten  wird.    Die  Vorzüge  sind  einmal    ein    kosmetischer,  weil   die 

Narbe  in  die  Haar-   und  Ohrgrenze  verlegt,  und  die  Halsmodellierung  dabei 


XV.  Krankheiten  der  Be^egungsorgane.    Verletzungen  etc.         671 

erhalten  wird,  nnd  daon  ein  funktioneller,  weil  das  Redressement  des  Kopfes 
vollständiger  ist.  Der  Muskel  ist  meist  an  seinem  unteren  Ende  mit  der 
Umgebang,  mit  der  Unterlage,  mit  andern  Muskeln  und  der  Halsfassie  fest 
verwachsen,  und  dies  macht  ein  voUständiges  lledressement  oft  unmöglich. 

Geissler. 
Oder  Hnen  Fall  von  Gemu  varum  parcUyHcum,  Von  Vüllers.     Zeitschrift  für 
orthopädische  Chirurgie.    XIII.  Bd.     1.  Heft. 

Es  handelte  sich  in  dem  Falle  um  eine  statische  Belastungsdeformität, 
welche  sich  auf  Grund  einer  Lähmung  entwickelte.  Die  Seltenheit  dieser 
Deformität  ist  dadurch  zu  erklären,  dass  die  seitlichen  Bandmassen  des 
Kniegelenkes,  die  bei  den  Lähmungen  nicht  betroffen  werden,  der  seitlichen 
Verbiegung  einen  Widerstand  entgegensetzen.  In  diesem  Falle  fiel  er  weg. 
Das  Kind  pflegte  meistens  mit  antergeschlagem  Bein  zu  sitzen  uod  hatte 
dadurch  die  Bänder  gedehnt.  Geissler. 

Über  die  sogenannte  Coxa  valga.   Von  Turner.     Zeitschrift  für  orthopädische 

Chirurgie.    XIIL  Bd.     1.  Heft. 

Die  Coxa  vara  stellt  das  unvorteilhafte  Resultat  des  Kampfes  zwischen 
den  natürlichen  Massnahmen  zur  Festigung  des  Gebietes  des  Schenkelhalses, 
die  sich  im  zweckmässigen  Bau  desselben  äussern,  und  der  auf  demselben 
ruhenden  Last  dar.  Die  Coxa  valga  resultiert  aus  dem  Fehlen  der  Belastung 
des  Caput  femoris.  Alle  Momente,  die  in  ihrer  Wirkung  nicht  nur  die  Last 
vom  Caput  femoris  entfernen,  sondern  noch  einen  Zug  auf  die  Extremität  in 
der  Richtung  nach  unten  ausüben,  können  Coxa  valga  erzeugen.  Sie  ist 
charakterisiert  durch  Geraderichtung  des  zwischen  den  Schenkelhals  und  der 
Diaphjse  liegenden  Winkels.  Bei  Röntgenaufnahme  eines  durch  einen 
solchen  Schenkelhals  geführten  Sägeschnittes  fällt  das  Fehlen  irgend  eines 
Systems  von  Knochenbalken  auf,  wie  wir  es  beim  normalen  Knochen  sehen. 
Vom  therapeutischen  Standpunkt  hat  diese  Deformität  wenig  Interesse. 

Geissler. 
Zur  Therapie  der  Skoliosen,    Von    Gerson.     Zeitschrift   für   orthopädische 

Chirurgie.    XIII.  Bd.     1.  Heft. 

Verf.  betont  den  geringen  Wort  der  selbsttätigen,  nur  den  hinteren 
Rippenbnckel  berücksichtigenden  Redressions^ersuche  und  betont  die  hohe 
Wichtigkeit  der  Eiobeziehong  des  vorderen  Rippenbuckels  in  die  Behand- 
lung. Druck  auf  den  hinteren  Rippenbuckel  allein  verursacht  keine  wirk- 
liche Redression,  sondern  nur  eine  Verlagerung,  wobei  sich  der  vordere 
gleichzeitig  mehr  vorwölbt.  Es  muss  daher  gleichzeitig  auch  auf  den  vordern 
Rippenbuckel  ein  Druck  ausgeübt  werden.  Zu  diesem  Zweck  hat  Verf.  eine 
Vorderplatte  in  dem  Hof  faschen  Sitzrahmen  eingefügt. 

Geissler. 

Klinische  Studien  über  die  Dorsalskoliose.  Von  J.  Hoff  mann.  (Aus  dem 
orthopädischen  Institut  von  Lfining  und  Schulthess.)  Zeitschrift  für 
orthopädische  Chirurgie.    XIII.  Bd.     I.  Heft. 

Die  klinischen  Studien  erstrecken  sich  über  166  Fälle  (52  einfache, 
105  komplizierte  Dorsalskoliosen  und  9  Cervikaldorsalskoliosen),  die  von 
1 — 13  Jahren  beobachtet  wurden.  Es  zeigte  sich,  dass  die  komplizierten 
Dorsalskoliosen  mehr  als  die  einfachen  die  Tendenz  haben,  die  Richtung 
ihrer  Krümmungsscheitel  zu  ändern,  noch  mehr  die  Cervikaldorsalskoliosen. 


672  Literaturbericht. 

Die  rechtskoDTexen  behalten  dieselbe  Richtung  öfters  bei  als  die  links 
konvexen.  Bei  den  beiden  ersten  Formen  zeigt  sich  ein  Vorwiegen  der 
rechts  überhängenden,  bei  den  Cervikaldorsalskoliosen  der  links  überhängenden 
Formen.  Der  Krümmnngsscheitel  hat  bei  den  einfachen  und  Cervikaldorsal- 
skoliosen mehr  Tendenz  zur  Besserung  als  bei  den  komplizierten,  die  links- 
konvezen  mehr  als  die  rechtskonvexen.  Das  Wandern  des  Krümmongs- 
scheitels  nach  unten  ist  bei  den  linkskonvexen  deutlicher  als  bei  den 
rechtskonvexen.  Bei  den  Gegenkrümmungen  wurde  eine  Verminderung  der 
rechtskonvexen  und  eine  Vermehrung  der  linkskonvexen  Krümmungen  ge- 
funden. Betreffs  der  Torsion  zeigte  sich,  dass  in  der  Brustwirbelsäule  die 
Rechts torsion,  in  der  Lendenwirbelsäule  die  Linkstorsion  die  grössten  Zahlen 
aufweist,  und  dass  in  der  Lendenwirbelsäule  die  Torsion  um  10  pCt  der 
Fälle  öfters  persistiert  als  in  der  Brustwirbelsäule.  Im  einzelnen  sei  auf  das 
Original  verwiesen.  Gei ssler. 

ÜBer  Gelenkentzündungen  im  SäuglifigscUter  und  ihre  äHologiscken  Beziehungen 
8u    späteren    Deformitäten.     Von    Drehmann.      Zeitschrift    für    ortho- 
pädische Chirurgie.    XIII.  Bd.    2.  u.  8.  Heft. 
Verf.  bespricht  die  Ätiologie  der  Gelenkentzündungen    im  Kindesalter 
und  weist  darauf  hin,  dass  diese  später  verschiedene  Deformitäten  verursachen 
können.     So  sah    er  Hüftgelenksluxationen    danach    entstehen,    die    in   ihrer 
äusseren    Gestalt    von    angeborenen    Verrenkuogen    nicht    zu    unterscheiden 
waren,  ferner  beobachtete  er  das  Auftreten  von  Coxa  vara  im  Anschluss  an 
solche  Gelenkentzündungen.  Gei  ssler. 


XVI.  Hygiene.    Statistik. 

Versorgung  der  Städte  mit  Kifidermilch.    Von  Tr u  m  pp.    Münch.  med.  Wochen- 
schrift.   No.  38.     1904. 

Zusammenfassung  der  Vorschläge  und  Forderungen,  die  Verf.  auf  der 
Delegierten -Versammlung  der  Vaterländischen  Frauen -Vereine  vom  Roten 
Kreuz  im  Mai  1904  zu  Berlin  aufgestellt  hat.  Danach  sollten  grosse  Gnts- 
verwaltungen  in  der  Nähe  der  Städte  dafür  gewonnen  werden,  dass  sie 
Stallung  und  Milchbetrieb  nach  hygienischen  Anforderungen  und  unter 
ärztlicher  Aufsicht  einrichten.  Trockenfütterung  der  Kühe  ist  nicht  unbedingt 
notwendig.  Schleunige  Ablieferung  der  Milch  an  städtische  Zentralen,  die 
von  den  Kommunen  unterhalten  werden.  Sterilisierung  und  Abfüllung  der 
Milch  in  Einzelportionen;  Abgabe  zum  Selbstkostenpreis  oder  umsonst. 

Misch. 
Discussion  on  the  control  oj  the  milk  supply.  Brit.  med.  Journ.  27.  August  1904. 
Das  Referat  von  J.  S.  Haidane  bespricht  zunächst  die  Gefahren, 
welche  von  einer  unsauberen  Milch  drohen,  dann  die  nötigen  Mittel  zur 
Abwehr  bei  der  Milchproduktion,  dem  Transport,  dem  Verkauf  und  schliess- 
lich in  Bezug  auf  die  besonders  zubereitete  Kindermilch.  Zu  einem  kurzen 
Referat  ist  die  Arbeit  nicht  geeignet.  Jap  ha. 

CondUUms   de  production   du   lait   au  Danemark.    Von  H.  de  Rothschild. 
Rev.  d'Hygiene  et  de  Med.  Infant.    1904. 
Jedem,    der   sich    für    die  Art  der  Milchgewinnung  interessiert^   kann 
die    vorliegende    Arbeit    zur    Lektüre    recht   empfohlen    werden.     Nach    der 


XVl^  Hygiene.     Statistik.  673 

Sehilderaog  des  Vert.  müssen  in  D&Demark  wirklich  ideale  Zustände  in  dieser 
Beziehung  herrsehen.  Verf.  führt  das  darauf  zurück,  dass  Dänemark  ausser- 
ordentlich viel  Butter  exportiert  und  die  Molkereibesitzer  die  Fettprodnktion 
der  einzelnen  Kuh  aufs  äusserste  zu  steigern  suchen.  Wie  minntiöse  Vor- 
schriften da  beobachtet  werden,  die  im  übrigen  besondere  Verbände  noch 
kontrollieren,  ist  wirklich  interessant.  Z.  B.  wird  das  Verhältnis  der  Fett- 
produktion zur  dargereichten  Nahrung  genau  berechnet,  die  Nahrung  ist 
genau  vorgeschrieben,  und  der  Nährwert  der  einzelnen  Futtersorten  ist 
genau  bestimmt  worden.  Andererseits  ist  yon  Interesse  die  Fürsorge  bei 
Krankheiten,  namentlich  bei  Tuberkulose.  Hiermit  soll  der  Inhalt  der 
lesenswerten  Arbeit  nur  kurz  angedeutet  werden.  Jap  ha. 

Zur  Frage  des  Enikeimens  der  Kindermilch  im  Hause.    Von  Fürst.     Arch. 
f.  Kinderheilk.    XXXVIII.  Bd.     1.  u.  2.  H. 

Eine  warme  Empfehlung  des  Kobrak sehen  Pasteurisierangsapparates. 

Spanier- Hannover. 
Versuche  mit  dem.  Lakiovishosimeter  von  Micault,    Von  A.  Czapek.     Monats- 
schrift f.  Kinderheilk.    Bd.  III.     November  1904.    p.  289. 

Der  angegebene  Apparat  hatte  im  Jahre  1902  in  einem  Preisausschreiben 
für  ein  Verfahren,  das  jedermann  die  Beurteilung  der  Güte  von  Milch  er- 
möglichen sollte,  den  Preis  erhalten.  Der  Apparat  besteht  aus  einem  kleinen 
verzinnten  Kupferreservoir,  aus  dem  die  Milch  durch  eine  Glaskapillare  ab- 
fliessen  kann,  wenn  der  beide  abschliessende  Hahn  geöffnet  wird.  Indem 
man  die  Temperatur  der  abfliessenden  Milch  und  die  Zeit,  welche  zwischen 
dem  Beginn  und  dem  Ende  des  Abfallens  vergeht,  abmisst,  hat  man  die  beiden 
Werte  gefunden,  aus  denen  man  mit  Hilfe  der  Tabellen  die  Güte  der  Milch 
beurteilen  und,  wenn  man  noch  das  spezifische  Gewicht  der  Milch  festgestellt 
hat,  sogar  den  Fettgehalt  der  Milch  bestimmen  können  soll.  Die  Be- 
stimmung beruht  auf  der  mit  der  Konzentration  der  Milch  wechselnden  Vis- 
kosität; indessen  ist  diese  Erscheinung  so  kompliziert,  dass  eine  Fett- 
bestimmung hieraus  zu  machen,  von  vornherein  unwahrscheinlich  erscheint. 

Die  erhaltenen  Resultate  wurden  kontrolliert  durch  die  Gerb  ersehe 
Acidobutyrometrie,  welches  Verfahren  besonders  zuverlässige  Resultate  ergibt 
und  leicht  ausführbar  ist.  Die  Versuche  fielen  für  das  neue  Instrument  sehr 
ungünstig  aus.  Das  Verhältnis  des  nach  Gerber  bestimmten  und  des  nach 
Micault  berechneten  Fettgehaltes  schwankte  zwischen  0,82—3,70.  Auch  ist 
die  Kalibrierung  des  Instrumentes  nicht  ganz  zuverlässig,  wodurch  der  Wert 
der  beigegebenen  Tabellen  ganz  illusorisch  wird. 

Damit    hatte    sich    das    Instrument    als    unbrauchbar    erwiesen,    denn 

1.  wäre  die  viskosimetrische  Milchprüf nng  höchstens  bei  Vollmilch  anzu- 
wenden, die  in  keiner  Weise  verändert  worden  ist;  bei  den  gebräuchlichen 
Milchmisch nngen  gibt  sie  Zahlen,  welche  dem  Fettgehalt  nicht  parallel  gehen; 

2.  macht  die  Veränderlichkeit  des  Wasserwertes  das  Instrument  an  und  für 
sich  unbrauchbar.  Schleissner. 

Die  Prophylaxe  der  Kinderkrankheiten  in  der  Stadt  New  York.  Von  L.  Wa  c  h  e  n  - 

heim.    Monatsschr.  f.  Kinderheilk.     Sept.  1904.    p.  241. 

Die  Gesundheitsbehörde   von  New  York    ist  durch  ausreichende  Geld 

mittel  und  ein  genügendes  Personal    in    die  Lage  versetzt,    die  hygienischen 

Verhältnisse    der  Stadt  und  ihrer  Bevölkerung  fortschreitend  zu  verbessern; 


674  ,       Literaturbericht, 

onterftatzt   wird   sie   hierin    von    zahlreichen    privaten  WohlUttigkeitsimter- 
nehmnngen. 

Die  Milchkontroile  wird  sehr  streng  gehandhabt,  die  Milch  kontiniuer- 
lieh  autersacht  und  ihre  Verfälschangen  strengstens  bestraft;  die  Qualität  der 
Mileh  hat  sich  dadarch  sehr  gehoben.  Sehr  Erspriessliebes  leisten  auch  die 
Polikliniken  and  die  Strauss- Stiftung,  die  den  Armen  gute  Milch,  bereits  in 
Flaschen  sterilisiert,  zu  niedrigem  Preise  liefern.  Mit  der  Nahrnngt- 
färsorge  geht  die  Belehrung  Hand  in  Hand.  Im  Sommer  werden  die  Ärzte, 
die  w&hrend  des  Schuljahres  als  Schul&rzte  funktionieren,  als  „Summer  corps* 
formiert,  mit  der  Aufgabe,  die  ärmere  Bevölkerung  zu  visitieren,  dabei 
speziell  nach  magend armkranken  Kindern  zu  forschen  und  den  Muttern  mfind- 
lich  and  schriftlich  entsprechenden  Rat  zu  erteilen;  gleichzeitig  wird  ein  in 
der  Umgangssprache  der  Familie  abgefasster  „Vorschriftszettel"  mit  den  ein- 
fachsten Yerhaltungsmassregeln  übergeben. 

Um  den  Kindern  auch  reinere  Luft  zu  verschaffen,  veranstalten  einige 
Wohltätigkeitsgesellschaften  während  der  heissen  Monate  täglich  Wasser- 
fahrten auf  den  sogenannten  schwimmenden  Hospitälern,  wobei  auch  gesunde 
Kinder  bis  zu  sechs  Jahren  zugelassen  werden;  schwerkranke  Fälle  kommen 
in  die  Seesanatorien  derselben  Gesellschaften,  wo  sich  die  Kinder  wochenlang 
an  der  kühlen  Seeluft  erholen  können.  Auch  die  Wohnungsfrage  geht  durch 
neue  strengere  Bauvorschriften  und  durch  die  Fürsorge  der  Stadtverwaltung 
einer  Besserung  entgegen.  Infektionskrankheiten  müssen  binnen  24  Stunden 
augezeigt  werden;  nach  einigen  Stunden  findet  sich  ein  Inspektor  ein,  der 
für  Isolierung  Sorge  trägt  und  irgendwelche  vom  Hausarzte  begehrte  Leistungen 
ausfuhrt.  In  Diphtherie-  und  Scharlachfällen  wird  ein  Plakat  mit  dem  Namen 
der  Krankheit  in  zoligrossen  Buchstaben  nebst  Warnung  an  die  Wohnnngstür 
geheftet.  Pockenfälle  werden  stets  in  das  Pockenspital  entfernt.  Nach  jeder 
Infektionskrankheit  erfolgt  nach  Entfernung  des  Patienten  oder  nach  einem 
entsprechenden  Zeitraum  die  Desinfektion  der  Wohnung;  Bettwäsche  u.  dgL 
sterilisiert  das  Amt  mittels  Dampf  unentgeltlich.  Die  bakteriologische  Diagnose 
der  Diphtherie  wird  seit  ungefähr  12  Jahren  von  der  Behörde  unentgeltlich 
ausgeführt  und  das  Resultat  dem  Hausarzte  durch  Telephon  und  Post  unver- 
züglich mitgeteilt.  Das  Gesundheitsamt  bereitet  auch  ein  Heilserum,  das  den 
Armen  umsonst,  den  anderen  zu  massigen  Preisen  verabfolgt  wird. 

Gesetzlicher  Impfzwang  besteht  zwar  nicht,  doch  müssen  alle  Schal- 
kinder —  und  der  Schulzwang  ist  sehr  streng  —  geimpft  werden ;  tatsächlich 
sind  also  alle  Schulkinder  vakziniert.  Pockenepidemien  sind  demgemäss  in  der 
Stadt  nicht  endemisch,  sondern  werden  nur  gelegentlich  eingeschleppt,  wobei 
die  Schuljugend  so  gut  wie  ganz  verschont  bleibt.  Die  Prophylaxe  der  Tbk. 
umfasst  ein  Spackgesetz,  ein  Hospital  für  leichte  und  namentlich  eins  für 
unheilbare  Fälle;  die  Entfernung  widerspenstiger  Lungenkranker,  die  durch 
unhygienisches  Verhalten  Anstoss  erregen,  erfolgt  jetzt  ebenfalls  gewaltsam, 
und  zwar  in  ein  vom  Gesundheitsamt  selbst  verwaltetes  Spital.  Ein  Komitee 
sucht  durch  Vorlesungen,  Flugschriften  etc.  zur  Belehrung  beizutragen. 

Durch  alle  diese  Vorkehrungen  gelang  es  innerhalb  der  letzten  30  Jahre 
die  Mortalität  von  30  auf  18  pro  Mille  herabzudrücken;  die  Ersparnis  an 
Menschenleben  betrifft  zum  allergrössten  Teile  die  Kinder  unter  5  Jahren. 

Schleissner. 


1.  Allgemeines.    Anatomie  und  Physiologie  etc.  67& 

I.    Allgemeines.    Anatomie  und  Physiologie.    Allgemeine  Pathologie' 

und  Therapie. 
MüeUung  über  den  EiseMgehali  der  FroMenmUek,    Von  C  am  er  er.    Zeitschr» 
f.  Biologie.    XL  VI. 
Frfihmilch    vom   3. — 12.   Tag    der   Laktation    enthält   auf  Grund   der 
Analysen    Söldners    in    100    ccm   0,13   mg    Fe^Ot,    also    in    100   g   Asche 
50,2  mg  FesOs.  L.  Langstein. 

Zur  Frage  der  ZuckerÜidung  aus  Biweiss.  Von  H.Lüthje.  Arch.  f.  d. 
ges.  Phjsiol.  106,  106. 
Exakter  Stoffwechselversaeh  an  einem  Hände  mit  experimentellem 
Pankreasdiabetes.  Selbst  anter  Zagrandelegang  der  Pflügerschen  Zahl 
f&r  prfiexistierendes  Glykogen  beweist  dieser  Versuch  schlagend,  dass  919  g 
Zucker  ans  anderem  Material  entstanden  sind  als  Zucker.  Dieses  Material 
ist  im  vorliegenden  Fall  wohl  sicher  Eiweiss.  L.  Langstein. 

Der   Harnstoff  im    menschlichen    Urin.     Von    W.    Camerer.      Zeitschr.   f. 

Biologie.  XLVI,  822. 
Camerer  gibt  in  dieser  lesenswerten  Abhandlung  zun&chst  eine 
•kritische  Übersicht  über  die  Dignit&t  der  seit  Lieb  ig  in  Anwendung 
kommenden  Harnstoffbestimmungen.  Er  bespricht  dann  insbesondere  die 
Untersuchungen  Moors  bezüglich  des  Ureins  und  sieht  in  der  Abhandlung 
Erbe  US,  der  das  Urein  leugnet,  eher  eine  Bestätigung,  als  eine  Wider- 
legung der  Angaben  Moors.  Camerer  selbst  nimmt  in  vorliegender 
Abhandlung,  die  ausserordentlich  viele  methodische  Fortschritte  anregt, 
bezüglich  deren  auf  das  Original  verwiesen  werden  muss,  noch  keinen 
abschliessenden  Standpunkt  bezüglich  der  Praexistenz  des  Ureins  ein.  Nicht 
einverstanden  kann  sich  Referent  damit  erklären,  dass  Camerer  es  ala 
wahrscheinlich  bezeichnet,  dass  beim  Diabetes  und  bei  Magen-  und  Darm- 
krankheiten  der  S&uglinge  schwere  Störungen  der  Leberfunktion  vorliegen,  die 
sekund&r  zur  gesteigerten  Ammoniakbildung  resp.  Ausscheidung  fuhren. .  In 
den  Schlussbemerkungen  interessiert  besonders  die  Mitteilung  Camerers, 
wie  oft  vom  Praktiker  fälschlich  die  Diagnose  des  Diabetes  auf  Grund 
reduzierender  Wirkung  des  Urins  gemacht  werde.  Der  Vorschlag  Camerers, 
hier  durch  eine  Verfeinerung  der  Zuckerproben  Wandlung  zu  schaffen,  ist 
sicherlich  beherzigenswert.  L.  Langstein. 

Beiträge  sur  Kenntnis  des  Labensyms.    Von  E.  Moro.    CentralbL  f.  Bakteriol., 

Parasitenkunde  u.  Infektionskrankh.     I.  Abt.     XXXVII,  4. 

Die  Magenschleimhaut  des  Neugeborenen  enthält  wirksames  Labenzym 
und  zwar  ist  dasselbe,  unabhängig  von  der  ersten  Nahrungsaufnahme,  im 
nüchternen  Magen  nachweisbar.  Damit  büsst  die  Annahme  Fulds,  dass  wir 
im  Lab  den  Antikörper  des  Kaseins  zu  sehen  haben,  an  Wahrscheinlichkeit 
ein.  Rinderlab  und  Menschenlab  sind  spezifischer  Natur  —  allerdinga 
scheint  eine  nicht  geringe  Universalität  tierischer  Labenzyme  vorhanden  zu 
sein.  Die  von  Szydlowski  berichtete  Tatsache,  dass  Frauenmilch  Antilab- 
enthält,  konnte  Moro  bestätigen.  Die  autilabende  Wirkung  der  Frauenmilch 
ist  interessanterweise  nur  für  Kuhlab  spezifisch.  L.  Langstein. 

Neuere  Forschungen  auf  dem  GeUete  der  Eiweisschemie,  Von  £.  Abderhalden.. 

Medizinische  Klinik.     1905.     1  u.  2. 
In     gedrängter     Übersicht      werden      die     Resultate     der     neuesten 


676  Literatarb  cri  cht. 

fTorscbuDgen  aut  dem  Gebiete  der  Eiweisscbemie  mitgeteilt  —  mit  besonderer 
BerücksichtiguDg  der  Yerdienste  Emil  Fischers  um  das  Eiweissproblem. 
Auf  Grand  neuer,  noch  nicht  publizierter  Versuche  kommt  Abderhaden 
zur  Auffassung,  dass  im  Magen-Darmkanal  nur  eine  partielle  Hydrolyse  der 
Eiweisskörper  stattfinde,  nicht  eine  totale,  wie  dies  Kutscher,  Seemann 
und  Gohnheim  annehmen.  In  ähnlicher  Weise  soll  sich  die  Spaltung  der 
Proteinstoffe  bei  der  Antolyse  yollziehen.  Von  besonderem  Interesse  erscheint 
dem  Referenten  die  mitgeteilte  Beobachtung,  dass  Koma- Harn  Tyrosin  ent- 
halte. Die  Tatsache  steht  in  guter  Übereinstimmung  mit  dem  zuerst  vom 
Referenten  erhobenen  Befand,  dass  der  schwere  Diabetiker  Homogentisin- 
s&ure  im  intermedi&ren  Stoffwechsel  nicht  vollständig  zu  verbrennen  imstande 
sei.  Es  besteht  demnach  beim  Diabetiker  eine  Störung  im  Abbau  der 
«romatischen  Gruppe  des  Eiweissmolekuls.  L.  Langstein. 

Dis  Bedeutung-  der  Verdauung  der  Eiweisskörper  für  deren  AssimiiaiUm. 
Von  E.  Abderhalden.  Centralblatt  für  Stoffwechsel  und  Verdauungs- 
krankheiten.    V.     24,  647. 

Enthält  zumeist  theoretische  Auseinandersetzungen  über  Verdaaiing 
und  Assimilation  —  unter  der  Voraussetzung,  dass  im  Magen-Darmkanal  nur 
•eine  partielle  Hydrolyse  der  Proteiustoffe  stattfinde.  Die  hier  zum  Ausdruck 
gebrachte  Auffassung  vom  Wesen  des  Verdauungsprozesses  lehnt  sich  eng  an 
<iie  von  Hamburger  vertretene  an.  L.  Langstein. 

Über  das  Verkaiien  van  Monaminosäuren  im  hungernden  Organismus,  Von 
Rahel  Hirsch.     Zeitschr.  f.  exp.  Pathologie  u.  Therapie.     I. 

10  g  per  es  zugefuhrtes  i  Alanin  (Aminopropionsäure)  werden  voll- 
ständig zu  Harnstoff  verbrannt.  Subkutan  injiziertes  i  Alanin  wird  vom 
Hungerhund  nicht  vollständig  oxydiert.  Das  unverändert  ausgeschiedene 
Alan  in  ist  optisch  aktiv  —  ein  gewissen  Substanzen  aus  der  Kohlehydrat- 
reihe analoges  Verhalten.  Ebenso  wie  das  Hangertier  verhält  sich  das 
Phlorhidzinhungertier,  ebenso  wie  der  gefütterte  Hund  das  reichlich  gefütterte 
Tier,  dem  das  Pancreas  exstirpiert  wird. 

Das  wichtige  Versuchsergebnis  der  Arbeit  ist  die  Klarstellung^  dass 
Unterschiede  im  Aminosäurenstoffwechsel  des  gefütterten  und  des  hungernden 
Organismus  bestehen.  L.  Langstein.. 

Über  cUls  Verkaiien  der  Aikaiie»  auf  das  Knockenwacksium,  Von  Hans 
Aron.    (Vorläufige  Mitteilung.)    Arch.    f.    d.    ges.  Physiol.     106.     S.  91. 

Untersuchungen,  welche  der  Erforschung  der  Lecksacht  der  Rinder 
dienten,  führten  Verfasser  zu  bemerkenswerten  Ergebnissen  bezüglich  des 
Einflusses  von  Natrium-  und  Kaliumgehalt  der  Nahrung  auf  Kalkansatz  und 
Knochenbildung. 

Bei  stark  vermindertem  Natrium-  und  hohem  Kaliumgehalt  der  Nahrung 
bleiben  trotz  ausreichender  Calcium-  und  Phosphorzufuhr  Kalkansatz  und 
Knochen  wachst  nm  hinter  der  Norm  zurück.  Die  chemische  Analyse  solcher 
Knochen  ergab,  dass  die  absolute  Menge  des  gebildeten  Knochens  vermindert, 
dagegen  die  Zusammensetzung  der  Knochen  die  gleiche  wie  die  normaler 
Knochen  ist.  Die  Alkalien  sind  an  die  Knochenphosphate  so  fest  gebunden, 
^aas  sie  weder  darch  Aas  waschen  noch  durch  anhaltendes  Kochen  der  Asche 
mit  Wasser  gelöst  werden  können.  Auch  im  Reagenzglas  spielen  sich 
zwischen  Calciumphosphaten  und  Alkalichloriden  chemische  Vorgänge  ab,  die 


I.  Allgemeines.    Anfttomie  aud  Physiologie  etc.  677 

geeignet  sind,  auf  den  biologischen  Einflass  des  Alkaligehaltes  der  Nahrong^ 
auf  das  Knochenwachstum  einiges  Licht  zu  werfen.  Bezüglich  dieser  ver- 
weist  der  Autor  auf  die  ausführlich  folgende  Mitteilung. 

L.  Langstein. 
/.  Theorie  der  Osmose  und  Narkose,    a.  Der  Oberfläckendruck   und  seine  Be- 

deutungr  im  Organismus.  Von  J.Traube.  Pflügers  Archiv.  Bd.  105.  1904. 
Ausgehend  von  einem  Ergebnis  früherer  Untersuchungen,  dass  «je 
grösser  die  Geschwindigkeit  der  Osmose  eines  wasserlöslichen  Stoffes  ist, 
derselbe  umsomehr  die  Eapillaritätskonstante  {y)  des  Wassers  erniedrigt*',, 
stellt  Verf.  die  Theorie  auf,  dass  die  Differenz  der  Oberflächenspannungen 
zweier  Flüssigkeiten  —  der  Oberflächendruck  —  die  treibende  Kraft  der 
Osmose  sei.  Dieser  Druck  ist  natürlich  Töllig  verschieden  vom  osmotischen 
Druck.  Im  Anschlnss  daran  entwickelt  er  auch  eine  neue  Theorie  der 
Narkose,  wonach  die  narkotische  Wirkung  von  Stoffen  von  ihrer  Kapillar- 
aktivität, d.  h.  den  Oberflächendruck  in  Flüssigkeiten  zu  erniedrigen,  abhängt. 
In  der  zweiten  Abhandlung  zieht  Verf.  von  seiner  Theorie  einige 
Folgerungen  für  das  Gebiet  der  Biologie  und  teilt  einzelne  Versuche  mit,, 
die  sehr  beachtenswert  sind  (Galle,  Harn).  Näheres  muss  in  der  Original- 
abhandlung nachgelesen  werden.  Rietschel. 
Beitrag  stur  Kasuistik  der  Halsrippen,    Von  Hugo  Levi.    Neurol.  CentralbL 

1904.  No.  21. 
Das  sonderbare  Zusammentreffen  von  Halsrippen  mit  organischen  Er- 
krankungen des  Zentralnervensystems  (Syringomyelie)  wurde  bereits  von 
Borchardt  hervorgehoben.  Auch  Verf.  weiss  über  einen  Fall  zu  berichten, 
bei  dem  beiderseitige  Halsrippen  mit  multipler  Sklerose  kombiniert  gewesen. 
Dieser  Zusammenhang  ist  vielleicht  kein  zufälliger.  Die  vorhandenen  Hals- 
rippen könnten  die  Bedeutung  von  Degenerationszeichen  besitzen,  wie  man 
sie  bei  angeborenen  Krankheiten  des  Zentralnervensystems  häufig  findet.  Die 
Syringomyelie  und  multiple  Sklerose  hierher  einzureihen,  ist  wohl  denkbar,, 
da  man  zum  mindesten  eine  kongenitale  Disposition  zu  diesen  Krankheiten 
voraussetzen  muss.  Zapper t. 

Über  Sckwangersckaftsreaküonen  fötaler  Organe  und  ihre  puerperale  Involution, 

Von   J.    Halban.     Vortr.    i.    d.    k.    k.    Gesellsch.    der    Ärzte    in    Wien. 

11.  Nov.  1904.  Nach  Wiener  klin.  Wochenschr. 
Die  Untersuchungen  führten  zur  Annahme,  dass  die  chemischen  Stoffe,, 
welche  während  der  Schwangerschaft  im  Blute  der  Mutter  zirkulieren,  auch 
in  den  Kreislauf  der  Frucht  übergehen  und  im  Organismus  der  Frucht  analoge 
Veränderungen  hervorrufen,  wie  im  Körper  der  Mutter.  So  wären  die 
Graviditätsreaktionen  der  Mamma  durch  die  Schwangerschaftssubstanzen 
(bei  Mutter  und  Kind)  bedingt,  die  Milchsekretion  aber  wäre  das  erste 
Stadium  der  puerperalen  Involution.  Hierher  gehören  weiter  die  an 
Menstruation  erinnernden  Veränderungen  am  fötalen  Uterus,  die  fötale  Hyper- 
trophie und  die  Genitalblutungen  neugeborener  Mädchen,  weiter  toxische 
Nebenwirkungen  der  Schwangerschaftssubstanzen  (Hyperleukozytose,  Fibrin- 
vermehrung des  Blutes  bei  Mutter  und  Kind).  Auch  die  Prostata  der  Frucht 
macht  eine  fötale  Hypertrophie  durch.  Die  wirksamen  Substanzen  sind  von 
der  Placenta  sezernierte  Produkte.  Auch  die  Eklampsie  ist  ein  Effekt  dieser 
Stoffe,  die  von  der  Placenta  an  den  mütterlichen  und  dem  fötalen  Organismus^ 
abgegeben  werden.  Neurath. 


^78  Literatarbericht. 

Vroaeny   defekt  prsnick  svalu  lere  sirany,    (Angeborener  Defekt  der  Brost- 

muskulatur  der  linken  Seite.)    Von  Kopfstein.    Casopis  lekarn  ceskjeh. 

1904.    No.  48  u.  44. 

Bei  einem  9jährigen,   sonst  gesunden  Knaben  zeigte  sich  angeborener 

Defekt  des    linken  M.  pectoralis    maior   und  minor,   anch  der  Deltoides  war 

links  wesentlich  schwächer  als  rechts.    Der  Hnmerns  zeigte  eine  Verkürzung 

▼on  3  cm   gegen    den    der   rechten  Seite;    die  Brustwarze   stand  links  2  cm 

•höher  als  rechts^ 

Bei  der  Geburt  hatte  der  Pat.,  entsprechend  dem  hinteren  inneren 
Winkel  der  linken  Parietale  einen  linsengrossen  Hautdefekt  gezeigt,  der  bald 
yerheilte;  Tielleicht  waren  amniotische  Verwachsungen,  die  diesen  Hautdefekt 
herbeigeführt  hatten,  auch  Ursache  des  Muskeldefektes.         Schleissner. 

£in  FaU  von  beiderseitigem  Lipotna  fHomfptae,  Von  Königsberger.  Müneh. 
med.  VITochenschr.    No.  5.     1905. 

Beobachtung  bei  einem  12jährigen  Kafirmädchen.  Entwicklung  der 
Geschwülste  zu  einem  Gewicht  von  35  Pfund  innerhalb  2  Jahre. 

Misch. 

Xiber  extreme  Körpergemichtsabmakmen  bei  Kindern  der  ersten  swei  Lebens- 
fahre.  Von  Robert  Qu  est  Monatsschr.  f.  Kinderheilkunde.  Bd.  IH. 
Jan.  1905.    p.  453. 

Die  Torliegende  Arbeit  sucht  auf  Grund  von  Krankengeschichten  die 
Frage  zu  beantworten,  welche  Grösse  der  Gewichtsabsturz  bei  einem  Säug- 
linge überhaupt  erreichen  kann  und  bei  welcher  äussersten  Grenze  die  Er- 
haltung des  Lebens  noch  möglich  ist;  die  grösste  von  Q.  beobachtete  Körper- 
gewichtsabnahme betrug  39,9  pCt.  bei  letalem  Ausgange;  die  grösste,  bei 
der  noch  Reparation  möglich  war,  34,8  pCt. 

Bei  den  an  Ernährungsstörungen  erkrankten  Kindern  ist  vor  allem 
auffallend,  dass  die  extremen  Körpergewichtsabstürze  sich  nie  rapid,  sondern 
io  Wochen  und  Monaten  Tollziehen;  die  akuten  Fälle  erreichen  trotz  an- 
dauernden Erbrechens  und  profuser  Diarrhöen  nie  eine  Abnahme  Ton  über 
25  pCt.,  u.  zw.  weil  sie  schon  vorher  sterben;  bei  chronischen  Fällen  zieht 
sich  aber  das  Leben  lange  genug  hin,  um  eine  solche  Abnahme  zu  er- 
möglichen. Der  Hauptunterschied  in  den  Körpergewichtsabnahmen  bei  akuten 
und  chronischen  Fällen  liegt  in  der  Grösse  der  täglichen  Körpergewichts- 
verluste. Bei  akuten  Fällen  betragen  dieselben  100  bis  200  g  und  darüberi 
und  die  Gewichtskurve  zeigt  schroffen,  fast  vertikalen  Abfall;  bei  chronischen 
Fällen,  wo  die  täglichen  Abnahmen  geringer  sind,  sieht  man  ein  langsameres, 
aber  stetes  Absinken  der  Körpergewichtskurve;  dieselbe  verläuft  in  einer 
Linie,  welche  mit  der  vertikalen  einen  Winkel  von  etwa  45 <>  bildet,  und  zeigt 
nur  bei  akuten  Exacerbationen  und  plötzlichem  Nah rungs Wechsel  grössere 
Schwankungen. 

Die  Schlusssätze  lauten:  Extreme  Körpergewichtsabnahmen  bei 
Kindern  der  ersten  zwei  Lebensjahre  kommen  am  häufigsten  bei  chronischen 
Ernährungsstörungen  und  Tuberkulose  vor.  Die  änsserste  Abnahme,  die  mit 
der  Erhaltung  des  Lebens  noch  vereinbar  ist,  beträgt  84  pCt.  des  Körper- 
gewichtes. Die  Heilung  solcher  Fälle  kann  zumeist  nur  durch  Anlegen  sn 
-die  Brust  noch  erreicht  werden,  jedenfalls  ist  dieser  Weg  sicherer  als  jede 
•künstliche  Ernährung.  Schleissner. 


I.  Allgemeines.     Anatomie  und  Physiologie  etc.  679 

Üher  Trockenmilch  und  ihre  Verwendung  cUs  NakrungsmUtei,    Von  A.  Jaquet. 
Korrespondenzblatt  f.  Schweizer  Ärzte.     1904.    No.  23. 

Unter  der  Bezeichnaag  ^pondre  de  lait  complet  Klaus**  bringt  die 
Schokoladenfabrik  J.  Klaus  in  Locle  und  Mortean  ein  Präparat  in  den 
Handel,  das  aus  reiner  Milch  hergestellt  wird,  und  zwar  im  wesentlichen 
nach  folgendem  Verfahren:  die  Milch  fällt  in  feinem  Regen  auf  zwei 
parallel,  in  entgegengesetzter  Richtung  rotierende  Zylinder,  welche  von 
innen  erhitzt  werden  bis  zu  einer  100 <^  Celsius  übersteigenden  Temperatur; 
im  Augenblick,  wo  die  Milch  die  Zylinderfläche  in  dünnem  Strahl  erreicht, 
tritt  sofortige  Verdampfung  ein,  eine  Überhitzung  des  Produktes  wird  dadurch 
verhindert,  dass  sich  zwischen  Milch  und  Zylinderfläche  eine  Wasserdampf- 
schicht bildet.  Die  verdampfte  Milch  gelangt  durch  die  Rotation  der  Walzen 
in  den  zwischen  ihnen  gelassenen  Spalt  von  1—2  Millimetern,  wo  sie  kom- 
primiert wird;  aus  dem  Spalt  fällt  sie  in  einen  Rezipienten,  wo  weitere 
Trocknung  und  Abkühlung  stattfindet.  Die  Masse  wird  dann  noch  gebrochen 
und  gesiebt,  und  das  so  gewonnene  pulverförmige  Produkt  ist  die  sogenannte 
Trockenmilch. 

Prof.  Jaquet  hat  nun  dieses  Präparat  einer  näheren  Untersuchung  unter- 
zogen. Dasselbe  gibt  mit  warmem  Wasser  eine  vollständig  homogene 
Emulsion,  die  sich  von  der  natürlichen  Milch  in  Aussehen  und  Geschmack 
nicht  unterscheidet.  Wenn  man  186  Gramm  Trockenmilch  zur  Herstellung 
von  1  Liter  Milch  verwendet,  so  erhält  man  eine  Milch,  deren  Zusammen- 
aetzung  ungefähr  der  mittleren  Zusammensetzung  der  Kuhmilch  entspricht, 
wie  ans  den  ausführlich  mitgeteilten  chemischen  Untersuchungen  der  Trocken- 
milch seitens  des  Verfassers  hervorgeht.  Das  Präparat  erwies  sich  ferner 
als  steril;  die  daraus  hergestellte  Milch  veränderte  bei  Zimmertemperatur 
2 — 3  Tage  lang  nicht  ihre  Acidität,  die  von  vornherein  sehr  gering  ist.  Das 
Verhalten  des  Milchpulvers  gegen  die  Einwirkung  von  Lab  ist  insofern  von 
dem  Verhalten  der  normalen  Milch  verschieden,  als  die  mit  dem  Pulver 
hergestellte  Milch  nicht  in  zusammenhängenden  Klumpen  gerinnt  wie  die 
normale  Milch,  sondern  in  eine  körnige  Creme,  wie  dies  bei  der  Labwirkung 
auf  Frauenmilch  der  Fall  ist. 

In  einem  Stoffwechselversuch  an  sich  selbst,  sowie  an  seinem  7  Monate 
alten  Knaben  konnte  Verfasser  gute  Verdaulichkeit  und  Assimilierbarkeit  der 
Trockenmilch  erweisen.  Die  Haltbarkeit  der  Trockenmilch  ist  eine  vorzüg- 
liche, 6  Monate  alte  Präparate  waren  so  tadellos  wie  frische. 

Die  Vorzüge  eines  solchen  Präparates,  besonders  für  die  Ernährung 
der  Säuglinge  in  grossen  Städten,  sind  handgreiflich,  und  weitere  grössere 
Versuchsreihen  damit  dürften  nicht  ausbleiben.  R.  Rosen- Berlin. 

Brustsaugen  und  Flasckensaugen.    Von  A.  Schmidt.    Münch.  med*  Wochen- 
schrift No.  48.     1904. 

Empfehlung  eines  auf  Anregung  des  Verfassers  hergestellten  Sang- 
«topfenmodells  „Vulkansauger**,  bei  dem  das  Mitschlucken  von  Luft  ver- 
mieden nnd  der  Saugakt  dem  Brustsaugen  konform  gemacht  wird. 

Misch. 

Welche  praktischen  Resultate  liefern  uns  die  neuesten   Forschungen  auf  dem 

Gehlete  der  Biologie  der  Frauenmilch  und  der  verschiedenen   Tiere.    Von 

Korybut-Daszkiewicz.  Czasopismo  lekarskie.  1904.  No.  7.  (Polnisch.) 

1.  Die  Milch   enthält   gewisse   Fermente,    welche    bei  der  Sänglings- 

•emährung  eine  bedeutende  Rolle  spielen.    Wir  müssen  daher  Mittel  suchen, 


680  Liter  aturbericht. 

um  die  Benutzung  roher  Milch  bei  künstlicher  Ernährung  zu  ermöglichen 
ohne  Besorgnis  der  Infektion  mit  Tuberkulose  oder  anderen  Krankheiten. 
2.  Es  sollen  daher  Musterstallungen  angelegt  werden  unter  Kontrolle  von 
Ärzten  und  Veterinären,  um  womöglich  auch  die  Yiehtuberkulose  einza- 
schränken.  3.  Bis  dahin  ist  das  Kochen  der  Milch  als  kleineres  Übel  weiter 
anzuwenden,  da  die  Vorbeugung  der  Tuberkulose  wichtiger  ist,  als  der  Ver- 
lust der  biologischen  Eigenschaften  der  Milch  durch  Vernichten  der  Fermente. 
4.  Es  kann  keine  Nahrung  die  Muttermilch  ersetzen;  es  soll  demnach  Pflicht 
der  Arzte  sein,  die  Mutter  auf  diesen  Umstand  aufmerksam  zu  machen. 

Jan  Landan-Krakau. 

Über  den  therapeuHschen  Wert  der  Glycero-  PkospheUverbinduugen  bei  Kindern, 
Von  J.  Smoleüski.    Medjcyna  1904.     No.  35—37.    (Polnisch.) 

Verfasser  wendete  diese  Verbindungen  in  34  Fällen  an  und  zwar  bei 
19  Säuglingen  im  Alter  von  1 — 11  Va  Monaten  und  bei  15  Kindern  von 
1 — 5  Jahren.  Die  Kinder  wurden  durchnittlich  24  Tage  beobachtet.  Es 
waren  meistens  Kinder  mit  Konstitutionskrankheiten  und  damiederliegender 
Ernährung.  Intern  wurde  Calcaria  et  Natr.  glycerino-phosphoricnm  gereicht 
in  Form  des  Gljcero-Phosphate  granulc  Robin  und  die  Mischung:  Calcariae 
glycerino-phosphoric.  2,0 — 2,50  -|-  Natr.  gljcerin.-phosphorici  0,50  -{~  Aqu. 
destill.  160,0  +  Syr.  simplic  20,2  Da.:  2—3  Esslöffel  täglich,  je  nach  dem 
Alter.  Subkutan  wurde  das  fertige  Präparat  Natr.  gljcerino-phosphorieum 
Robin  verwendet. 

Verfasser  bemerkt:  1.  In  keinem  Falle  waren  schädliche  Neben-£r- 
scheinungen  zu  beobachten.  2.  In  vielen  beobachteten  Fällen  war  Besserung 
in  Form  von  Gewichtszunahme,  Besserung  des  Appetits  und  der  Stimmung  des 
Kindes  zu  bemerken.  3.  Obwohl  bei  der  Rachitis  kein  besonderer  Erfolg 
zu  sehen  war,  glaubt  Verfasser,  dass  ein  abschliessendes  urteil  erst  nach 
längerer  Beobachtung  abgegeben  werden  könnte.  4.  Betreffs  der  Wirkung 
der  Präparate  geht  Verfassers  Ansicht  dahin,  dass  dieselben  als  Derivate 
des  Lecithins  den  Mangel  an  Lecithin  in  verschiedenen  Körperteilen  ersetzejk» 

Jan  Landau -Krakau. 
Gefahren   der  Sckultzescken   Schwingungen.     Von    Hengge.      Mnnch.    med. 
Wochenschr.  No.  48.     1904. 

Subseröse  und  intraparenchymatöse  Blutungen  bei  3  Kindern,  zu  deren 
Wiederbelebung  Schultzesche  Schwingungen  angewandt  wurden.  Verfasser 
rät  die  Anwendung  der  Schwingungen  möglichst  einzuschränken,  und  bei 
Obduktionen  Neugeborener  für  Befunde  von  Biotungen  und  Läsionen  erst 
bei  Ausschluss  der  Schultz  eschen  Schwingungen  Erstickung,  Geburtstrauma, 
Eklampsie  etc.  verantwortlich  zu  machen.  Misch. 

Die  angeblichen   Gefahren  und  die  sicheren    Vorteile  der  künstlichen   Atmuttg 
durch   Schwingen    des    tief- scheintoten   Kindes,     Von    B.    S.    Schnitze. 
Beobachtungen  über  die  Gefahren  Schultz  escher  Schwingungen.     Von 
G.  Burckhard- Würzburg.     Münch.  med.  Wochenschr.  No.  6.    1905. 
Die  subkapsularen  Blutungen  in  Leber  und  Nebenniere  etc.,  die  jüngst 
aU   Folgen    des  Schwingens    gedeutet   wurden,    sind,    lange  ehe   Kinder   ge- 
schwungen wurden,  den  pathologischen   Anatomen  des  vorigen  Jahrhunderts 
als  typisch  für  in  der  Geburt  gestorbene  Kinder  bekannt  gewesen.     Auch  B. 


I.  Allgemeines.     Anatomie  und  Physiologie  etc.  681 

tritt  an  der  Hand  grossen  Materials  ffir  die  Schwingungen  ein,  deren  Teehni)L 
man  allerdings  beherrschen  müsse,  und  die  bei  Frahgebnrten  in  der  Tat 
Vorsicht  erfordern.  Misch. 

BgsHmmung  der  Fieberhöhe  durch  Dauermesswig,  Von  Oertmann.  Mfinch. 
med.  Wochenschr.  No.  48.  1904. 
Die  Schwierigkeit,  daaernd  an  geeigneter  Stelle  ein  Maximaltherroometer 
liegen  za  lassen,  hat  bisher  die  Einführung  der  Dauermessung  verhindert; 
ohne  diese  kennt  man  nor  die  Temperatarverh&ltnisse  su  den  Messungs- 
Zeiten,  die  der  Zwischenzeit  bleiben  anbekannt.  Mit  dem  vom  Verfasser 
konstruierten  Pessarthermometer  ist  die  Dauermessung  ohne  Belästigung  des 
Exploranden  ausführbar  und  eine  brauchbare  Methode  gegeben.      Misch. 

Über  die  AnwenduHg^  abgetöteter  Typhusbojrillen  Mur  Ausführung  der  Gruber- 
WUialscheu  ReahHon.  Von  Georg  Klien.  Therapeutische  Monatshefte 
1905.  Heft  1. 
Wenn  auch  die  Gr über- W idaische  Reaktion  nicht  ganz  eindeutig 
für  die  Tjphnsdiagnose  rerwertet  werden  kann,  so  bedeutet  sie  doch  immer- 
hin ein  wichtiges  Hülfsmittel,  das  im  Verein  mit  anderen  Symptomen  zur 
Diagnose  des  Typhus  führt.  Für  den  Praktiker  war  aber  die  Ausführung 
der  Reaktion  bisher  schwierig,  es  fehlte  ihm  meistens  neben  den  technischen 
Hfilfsmitteln  vor  allem  der  geeignete  Typhusbazillen- Stamm.  Schon  Widal 
fand,  dass  auch  abgetötete  Typhusbazillen  die  Agglutinationsfthigkeit  be- 
wahren. Der  Verfasser  verwandte  für  seine  Untersuchungen  das  Fickersche 
Diagnostikum,  das  von  der  chemischen  Fabrik  Merck- Darmstadt  in  den 
Handel  gebracht  wird  und  das  abgetötete  Typhusbazillen  und  die  spezifisch 
agglatinablen  Stoffe  enth&lt.  Mit  diesem  Diagnostikum  kann  man  den  Ausfall 
der  Reaktion  mit  blossem  Auge  feststellen.  Die  Ausführung  der  Reaktion 
(Bereitung  der  verschiedenen  Serum-Verdünnungen)  entspricht  dem  üblichen 
Widal  sehen  Verfahren.  Es  wird  nun  eine  ganze  Reihe  von  Fällen  von 
Typhus  mitgeteilt,  bei  denen  die  Reaktion  ausgeführt  wurde,  und  zwar  mit 
positivem  Erfolge;  zur  Kontrolle  wurde  das  Serum  anderer  Kranker  mit  dem 
Fickerschen  Diagnostikum  geprüft;  es'erfolgte  keine  Reaktion. 

Auf  Grund  seiner  sorgfältigen  Untersuchungen  glaubt  demnach  Ver- 
fasser, das  Fickersche  Diagnostikum  zur  Ausführung  der  Agglotinations- 
probe  dem  praktischen  Arzt  empfehlen  zu  können  als  bequemes  und  gutes 
Hilfsmittel  für  die  oft  schwierige  Typhusdiagnose.  R.  Rosen -Berlin. 

Über  ein  neues  Verfcihren  sur  Gewinnung  von  Antikörpern.  Von  F.  Loeffler. 
Deutsch,  med.  Wochenschr.  No.  52.  1904. 
Die  von  Koch  geübte  Methode  der  Zerreibnng  der  Bazillen  zu  feinstem 
Pulver,  bis  keine  intakten  Bazillen  mehr  in  der  Verreibung  nachweisbar 
sind,  Iftsst  die  Gefahr  bestehen,  dass  vereinzelte  infektionstüchtige  Gebilde 
intakt  bleiben.  L.  erhitzt  deshalb  die  getrockneten  Infektionserreger  bis 
auf  die  zu  ihrer  sicheren  Abtötung  notwendigen  Temperaturen.  Seine  Ver- 
suche ergaben,  dass  dabei  die  Fähigkeit  der  Infektionserreger,  spezifische 
Antikörper  zu  bilden,  erhalten  bleibt.  Diese  Methode  gewährleistet  eine 
ganz  gefahrlose  Antikörpergewinnung  und  gestattet,  alle  möglichen  Substanzen, 
Mikroosganismen,  Organteile  von  gesunden  und  kranken  Individuen,  Ge- 
schwülste aller  Art  zur  Antikörperbirdung  in  bequemer  Weise  zu  verwenden. 

Misch. 
Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    N.  F.    I.XI.    4.  44 


682  Literatnrbericht. 

KasuisHscher  BgUrag  »ur  Kenntnis  der  GynäkomasHe.   Von  Sommer.  Mäneh. 
med.  Wocheoschr.  No.  40.     1904. 

Kräftig  entwickelte  Mammae  mit  deutlich  palpierbaren  D rasen l&ppehen 
bei  einem  15  jährigen  Knaben.  Ob  ein  Zusammenhang  mit  Masturbation  be- 
steht, der  in  derartigen  Fällen  schon  ätiologisch  nachgewiesen  wurde,  wird 
nicht  erörtert.  Misch. 

Beitrag  zur    Wirkung    subkutaner    Arseneinspritsungen    bei    Kindern.     Von 
M.  Biehler.     Kronika  lekarska  20,  21.  1904.    (Polnisch.) 
Es    wurden    behandelt    mit    Natrium    cacodylicum    neun    Rinder,   mit 
Arrhenal  9  Kinder,  mit  Ferrokodjl  fünf  Fälle. 

Verfasserin  gelangt  auf  Grund  ihrer  Beobachtungen  zu  folgenden 
Schlüssen : 

1.  £s  wurden  in  keinem  der  Fälle  üble  Nacherscheinnngen  beobachtet 

2.  Es  wurden  auch  keine  lokalen  Erscheinungen  bemerkt,  wie  z.  B. 
Abszesse  an  der  Injektionsstelle,  Schmerzhaftigkeit  u.  dergl. 

8.  Die  Kinder  vertragen  gut  das  Steigern  der  Dosis. 

4.  Es  wurde  Gewichtszunahme  bemerkt,  wie  auch  Besserung  des  Appetits 
und  des  allgemeinen  Aussehens. 

5.  Diese  Kakodylpräparate  solten  besonders  in  der  pädiatrischen  Praxis 
Anwendung  finden,  da  sie  weniger  giftig  sind,  als  Arsenik  in  der  jetzt  ge- 
bräuchlichen Form.  Jan  Landau-Krakan. 

Hundertjahrfeier  des  Edinburgh  Medical  Journal,  Januarheft  tpos*  Abschnitt 
„Kinderkrankheiten**  von  M.  Dunlop. 
Unter  allen  behandelten  Fächern  kommt  dieser  Abschnitt,  wie  zu  er- 
warten, seht  zu  kurz.  Der  Aufsatz  bringt  eine  Darstellung  der  Entwicklung 
der  Kinderheilkunde  in  England  in  100  Jahren,  bezw.  eigentlicli  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  im  Zusammenhang  mit  der  internationalen 
Entwicklung  des  Faches.  Die  Auswahl,  die  der  Verfasser  bei  der  Aufuhrung 
von  Lehrbüchern  und  Literatur  macht,  ist  entschieden  verunglückt;  so  nennt 
er  für  Frankreich  überhaupt  nur  Rilliet  und  Barthez  und  in  grossem 
Sprunge  Grancher  und  C  o  m  b  y ,  für  Deutschland  aber  ausschliesslich  Vogel, 
Henoch,  Gerhardt;  besser  geht  er  bei  den  Zeitschriften  vor.  Die  grösste 
Förderung  des  Fortschrittes  in  der  Kinderheilkunde  schreibt  er  Amerika  zu. 
(Wenigstens  hat  dieses  einen  weiten  Vorsprnng  vor  der  englischen  Pädiatrie. 
Ref.)  Spiegelberg. 


II.  ErkrankuDgen  der  Neageborenen. 

/feierte  Kiemengangfistel,  Exitus  am  vierten  Tage.  Von  H.  Gramer.  Monats- 
schrift f.  Kinderheilk.  Sept.  1904.  p.  252. 
Es  handelt  sich  in  der  vorliegenden  Beobachtung  um  einen  links  neben 
dem  Ösophagus  gelegenen  Fistelgang;  eine  innere  Öffnung  desselben  war  in  der 
Ösophagusschleimhaut  auf  der  linken  Seite  in  der  Höhe  des  Sinus  piriformis 
nachweisbar.  Die  Erkrankung  entwickelte  sich  in  kürzester  Zeit  nnd  führte 
noch  vor  Ablauf  des  4.  Lebenstages  zum  Tode.  Der  Grund  hierfür  liegt  in 
erster  Linie  wohl  in  der  Streptokokkeninfektion,  die  durch  die  Kommuni- 
kation mit  dem  Ösophagus  entstand.  Das  Kind  zeigte  intra  vitam  neben  den 
Erscheinungen  der  Sepsis  aashaft  stinkende  Mekoniumentleerungen ;    bei  der 


III.  Säaglingsernähraog.    Magendarmkrankheiten  etc.  ggg 

Sektioo  fanden  sich  in  der  Dunndarmwand  massenbaft  stecknadeikopfgrosse 
Knötehen,  in  denen  Streptokokken  nachweisbar  waren.  Vielleicht  w&re  es 
möglieh  gewesen,  bei  rechtzeitiger  Eröffnung  des  Herdes,  bevor  noch  die 
rapide  Eiterung  eintrat,  den  tödlichen  Ausgang  za  rerhindern. 

Schleissner. 
Kongenitales  Cystadenom  der  rechten  Parotis,    Von  G.  Frhr.  v.  Saar.    Prager 
med.  Wochenschr.    No.  52.     1904. 
Es  handelte   sich    am  eine  enorm  grosse  Geschwolst,    die  klinisch  als 
Sarkom  angesprochen,   anatomisch    und  histologisch  als  Cjstadenom  erkannt 
wurde.  Neurath. 

Beitrag  zur  Melaena  neonatorum.  Von  IsidorFischer.  Wiener  med .  Presse. 
No.  52.     1904. 

Nach  einer  gründlichen  Darleg aug  der  Ansichten  über  Anatomie  und 
Ätiologie  der  Melaena  berichtet  F.  über  das  Auftreten  der  Krankheit  bei  den 
ersten  zwei,  in  einem  Intervall  von  14  Monaten  geborenen  Kindern  toU- 
st&ndig  gesund  erscheinender  Eltern.  Beide  Kinder  starben.  Mehr  des 
Trostes  halber,  als  aus  LuesTordacht  wurde  nun  eine  Behandlung  der  Mutter 
mit  Quecksilbervaginalkugeln  eingeleitet.  Das  3.  Kind  blieb  gesund.  In  der 
Literatur  finden  sich  5  Beobachtungen  von  famiü&rer  Melaena. 

Fischer  denkt  nicht  daran;  in  seinem  Falle  eine  syphilitische  Ätiologie 
anzunehmen,  sondern  ist  nur  geneigt,  eine  konstitutionelle  Basis  der  Melaena 
neonatorum  zu  yermuten.  Neurath. 

Ü6er  Gonokokkensepsis  der  Neugeborenen,  Von  Brehmer.  Manch,  med. 
Wochenschr.     No.  2.     1905. 

Kasuistische  Mitteilung.  Im  Anschluss  an  Ophthalmoblennorrhoe  traten 
eitnge  Erkrankungen  der  Gelenke  auf,  die  bei  der  Sektion  neben  Gonokokken 
andere  Kokken  erwiesen.  Misch. 


III.  SftaglingMm&hniDg.    Magendarmkrankheiten  der  S&uglinge. 

Zur  Frage  der  epUMeiiaien  Veränderungen  bei  den  Magendarmkrankheiten  des 
Säuglings.  Von  Tugendreich.  Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  6.  1905. 
Neben  der  Vermeidung  kadayeröser  Veränderungen  etc.  ist  für  die 
intestinalen  Erscheinungen  auch  der  Verdauungszustand  zu  berücksichtigen. 
Die  durch  Resorption  (des  Fettes)  bedingten  Veränderungen  des  Epithels 
sind  Gegenstand  der  vorliegenden  experimentellen  Untersuchungen.  So  werden 
die  nach  Baginsky  pathologischerweise  vorkommenden  Epitheldefekte  in 
ähnlicher  Weise  durch  die  Verdauung  hervorgerufen;  und  auch  an  den  Kernen 
werden  als  Folge  der  Verdauung  Bilder  gefunden,  die  grosse  Ähnlichkeit  mit 
von  anderer  Seite  als  pathologisch  beschriebenen  karyolytischen  Vorgängen 
haben.  Misch. 

Beitrag  stur  Sänglingsernäkmng*     Von  J.  Wislocki.     Czasopismo   lekarskie. 

1904.    No.  7.    (Polnisch.) 

Verf.  gelangt  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Die  Muttermilch,  eventuell  die 

Ammenmilch,  bt  die  geeignetste  Säuglingsnahrung;  2.  bei  Unmöglichkeit  der 

Darreichung  derselben  soll  frische,   gate  Kuhmilch  gereicht  werden,  indem 

44» 


684  BesprechuDgen. 

die  Kinder  aufs  Land  geschickt  werden  oder  daroh  Errichtung  von  Master- 
milchhallen  in  der  Stadt.  Zn  wenig  wird  Ziegenmilch  angewendet,  obwohl 
dieselbe  leichter  za  beschaffen  ist  als  andere  Miichgattungen ;  8.  wenn  frische 
(rohe.  Anm.  d.  Ref.)  Milch  nicht  verwendet  werden  kann,  soll  dieselbe  kon 
gekocht  and  nicht  lange  aufbewahrt  werden;  4.  sterilisierte,  pasteorisierte 
u.  dergl.  Milch  ist  die  ungeeignetste  Nahrung  für  einen  S&ugling  und  wirkt 
immer  nach  einiger  Zeit  schlecht  ein  auf  die  Gesandheit  des  Kindes. 

Jan  Landau-Krakaa. 

Die  Pylorusstenose  der  Säugiimge,   Von  Job.  Schmidt    Manch,  med.  Wochen- 
schrift.   No.  7.     1905. 
Enth&lt  eine  zusammenfassende  Darstellung  des  Standes  der  Frage  mit 
einem  Bericht  über  zwei  eigene  Beobachtungen.   Beide  Kinder  wurden  operativ 
behandelt  und  starben;  angeblich  weil  sie  zu  sp&t  operiert  wurden. 

Misch. 

Verdauungsstörungen  bei  Säugli$igen  infolge  der  Verabreichung  koker  Fett- 
mengen.  Von  L.  Emmet  Holt.  Medicai  Nows.  1905.  No.  2. 
Mehrere  Erkrank ungsf&Ue  nach  l&ngerer  Verwendung  zu  fettreicher 
Nahrung.  Im  ersten  gedieh  das  Kind  bei  regelmässigem  Gebrauche  6proz. 
Mischung  8  Monate  lang  unter  starker  Zunahme  äusserlich  vorzfiglich  (Stuhl?), 
bekam  dann  schwere  nervöse  Anf&Ue,  Lebervergrösserong,  Fettdiarrhoe, 
brauchte  auf  Diat&nderung  8^/3  Monate  bis  zur  Heilung;  das  vierte  (zwei  und 
drei  ähnliche  Fälle)  Kind  bekam  habituelles  Erbrechen,  ernsten  Darmmagen- 
katarrh,  der  durch  Waschungen  geheilt  wurde.  In  einem  fünften  endlich 
traten  neben  Obstipation  (!),  habituellem  Erbrechen  und  Ekzemen  besonders 
wieder  die  nervösen  Erscheinungen  hervor.  Holt  knüpft  daran  für  seine 
Landsleute  die  Mahnung,  bei  einzelnen  Nahrnngsmischnngen  die  Fettprozente 
genau  zu  beachten.  Spiegelberg. 

Säuglingsemäkrung  und Milckmodifikation.   Von  R,  E.  van  Gieson.   Medicai 
News.     1904.    No.  20. 

G.  will  noicht  Formeln  konstruieren,  sondern  die  Grundsätze  erörtern, 
auf  welche  solche  aufgebaut  werden  können^.  Zu  diesem  Zwecke  verbreitet 
er  sich  ziemlich  weitschweifend  über  die  ganze  langjährige  einschlägige 
Literatur.  Spiegelberg. 


Besprechungen. 


Graneher  und  Comby,  TraUe  des  maladUs  de  ren/ance.  II.  Edition. 
Tome  IV.     Paris  1905.    Massen  et  Cie. 

Der  nunmehr  in  2.  Auflage  vorliegende  vierte  Band  des  rühmlichst 
bekannten  fünf  bändigen  Handbaches  enthält  die  Krankheiten  des  Nerven- 
systems, der  Muskeln  und  der  Haut  und  umfasst  in  der  neuen  Auflage  nicht 
weniger  als  1076  Seiten. 

Hervorgehoben  sei  die  Vollständigkeit  des  Inhalts;  die  Psychosen  des 
kindlichen   Alters    und   die   Sprachstörungen   findet   der  Belehrangsuchende 


Bespreohangen.  685 

ebeD80  sachkaodig  abgehandelt  wie  diejenigen  Erkrankungen,  die  in  allen 
Lehrbüchern  beschrieben  sind.  Besonderer  Wert  ist  offenbar  aaf  diejenigen 
pathologischen  Zust&nde  gelegt  worden,  die  zur  Zeit  lebhaft  diskutiert  werden. 
So  hat  z.  B.  der  Meningismus  eine  ausführliche  Darstellung  erfahren.  Auch 
der  «paraljsie  doulourease'^  ist  ein  besonderes  Kapitel  gewidmet. 

Von  Einzelheiten  sei  nur  erw&hnt,  dass  der  Bearbeiter  der  epidemischen 
Cerebrospinalmeningitis,  Baginsky,  die  ätiologische  Bedeutung  desMeningo- 
coccus  intracellularis  voll  anerkennt.  Stoeltzner. 

▼•  Imerwol»  Les  infectUms  iniramuscuiaires  de  sublime  ä  dose  massive  conire 
ia  syphüis  infanüle,    Extrait  de  la    Semaine  M4dicale    du    22.  juin  1904. 

In  kurzer  Form  der  Inhalt  der  vorstehend  referierten  Abhandlung. 

Ref.  kann  ans  eigener  Erfahrung  gerade  der  letzten  yon  ihm  klinisch 
behandelten  F&lle  die  Empfehlung  der  Sablimatinjektionen  für  die  Therapie 
der  Syphilis  hereditaria  unterstützen.  Nur  muss  bemerkt  werden,  dass  die 
Methode  der  Sublimatinjektionen  denn  doch  von  keinem  anderen  als  Lew  in 
herrührt  und  nur  nach  ihm  benannt  werden  kann.  Sa  Ige. 

Praasnitz,  W.»  Grundsüge  der  Hygiene,  München,  1905,  J.  F.  Lehmann. 
7.  erweiterte  und  vermehrte  Auflage. 
Über  das  Prausnitzsche  Lehrbuch  der  Hygiene  braucht  kaum  mehr 
eine  Kritik  geschrieben  zu  werden.  Es  gilt  wohl  allgemein  wegen  seiner 
objektiven  und  knappen  Schreibart  als  eines  der  besten  Bücher,  die  den 
Studenten  und  den  jungen  Arzt  in  das  Studium  der  Hygiene  einführen. 
Auch  die  neue  7,  Auflage  zeigt  wieder  einige  Erweiterungen,  besonders  in 
dem  Kapitel  „Infektionskran kheiten'S 

Ludwig  F.  Meyer. 

Moorad«  S.,  Päediairiske  ForelaestUnger  og  Siudies  an  den  Raekke,  (Pädia- 
trische Vorlesungen  und  Studien.    2.  Reihe.)  Kopenhagen  1903. 

Diese  Arbeit  ist  eine  Fortsetzung  der  früher  im  Jahrbuch  für  Kinder- 
heilkunde besprochenen  ersten  Vorlesungsreihe  des  Verfassers,  die  sich 
wesentlich  mit  der  objektiven  Untersuchung  bei  dem  Kinde,  mit  Gewichts- 
verhältnissen und  der  körperlichen  Entwicklung,  mit  der  allgemeinen  Hygiene 
und  mit  der  Ernährungs frage  beschäftigte. 

In  der  vorliegenden  zweiten  Vorlesungsreihe,  die  wie  die  erste  für 
Arzte  und  Studierende  in  Kopenhagen  abgehalten  ist,  werden  die  in  der 
Kinderheilkunde  so  wichtigen  Kapitel  der  akuten  und  chronischen  Ver- 
dauungsstörungen bei  Säuglingen  behandelt. 

In  der  ersten  Vorlesung  gibt  Verf.  eine  Darstellung  der  Pathologie 
und  Behandlung  der  „Dyspepsie  und  Obstipation  bei  Brustkindern'',  in  der 
zweiten  spricht  er  über  „akute  toxiinfektiöse  Gastro-Enteritis  bei  künstlich 
ernährten  Säuglingen^,  in  der  dritten  und  vierten  über  ^Chronische  Dyspepsie 
(Catarrhus  gastro-intestinalis  chronicus)^  und  in  der  fünften  über  „Atrophia 
infantilis*. 

Aus  dem  Texte  sieht  man,  dass  die  Vorlesungen  von  Krankenvor- 
stellungen begleitet  waren. 

Wie  die  dargestellten  Anschauungen  über  die  Entwicklung  der 
Symptome  und  über  die  Behandlung  aus  den  praktischen  und  selbständigen 
Erfahrungen  des  Verfassers  hervorgegangen  sind,  so  sind  auch  die  Vor- 
lesungen dem  Bedarf  des  praktischen  Lebens  angepasst.    Sie  geben  in  einer 


686  Internationaler  Kongress  etc.  —  Berichtigung. 

wirklich  knappen  und  klaren  Form  und  in  einer  angenehmen  Sprache  die 
wichtigsten  Stützpnnkte  zum  Verständnis  der  oft  so  verwickelten  Symptomen- 
komplexe bei  den  erw&hnten  Krankheiten  und  yerteilen  gewöhnlieh  Licht 
und  Schatten  gleichmässig  unter  den  streitenden  Hypothesen  und  Theorien 
über  die  Ätiologie  und  Pathogenese. 

Ab  und  zu  nimmt  Verf.  auch  offen  seinen  persönlichen  Standpunkt, 
und  ob  man  selbst  nicht  immer  mit  seiner  Auffassung  ganz  und  gar  einig 
sein  kann,  merkt  man  doch  bald,  dass,  wie  gesagt,  selbständige  Beobachtungen 
und  selbständige  Erfahrungen  zugrunde  liegen. 

Es  ist  der  erfahrene  Kliniker,  der  spricht,  deshalb  ist  auch  die 
Behandlung  der  verschiedenen  Affektionen  klar  und  übersichtlich  dargestellt. 
Bemerkenswert  sind  die  Ausführnngen  über  die  hübschen  Resultate,  die 
Verf.  bei  vielen  Fällen  von  Atrophia  infantilis  und  Kronescher  Dyspepsie 
mit  roher  (ungekochter)  Milch  erreicht  hat  und  die  dazu  auffordern,  das 
Mittel  bei  diesen  so  verhängnisvollen  Leiden  zu  versuchen.  Vielleicht  kann 
man  sagen,  dass  die  ausgezeichnete  Art  und  Weise,  in  der  die  Milch- 
versorgung Kopenhagens  geordnet  ist,  die  Anwendung  nur  solcher  Milch 
erleichtert  hat.  Es  ist  deshalb  gewiss  richtig,  dass  Verf.  vor  einer  kritik- 
losen Anwendung  roher  Milch  warnt. 

Auch  die  zweite  Reihe  pädiatrischer  Vorlesungen  hat  im  Norden 
viele  Leser  gefunden,  und  man  wird  mit  grosser  Freude  noch  weiteren 
Fortsetzungen    entgegensehen.  Axel  Johanne sen. 


Erster  Internationaler  Konsrress  für  Kindererzlelmng 
und  Jngendsehatz  In  der  Familie. 

Der  Kongress  wird  im  September  1905,  während  der  Welt- 
ansstellung, in  Lüttich  stattfinden.  Der  Vorstand  des  Kongresses,  die  inter- 
nationale Schutz-Kommission,  die  Fremden-Kommission  setzen  sich  ans  den 
bekanntesten  Philantropen,  Gelehrten,  Philosophen,  Ärzten,  Pädagogen  u.  s.  w. 
zusammen. 

Die  wichtigsten  Fragen,  welche  sozusagen  jeden  Menschen  interessieren, 
bilden  das  Programm  des  Kongresses. 

Der  Prospekt  wird  frei  zugesandt.  Anfragen  sind  zu  richten  nach 
44,  rue  Rubens,  Brüssel. 


Berichtigung. 

In  der  Arbeit:    »Die  Acidose   im  Kindesalter*,   Heft   3   dieses   Jahr- 
buches, tragen  die  N.-Tabellen  im  Protokolle  irrtümlich  falsche  Versnchszahlen. 

Es  muss  heissen  statt  1. — 4.,  statt  2. — 5.»  4.— !•,  5. — 2.  Versuch. 

Der  NHs-Coefficient  beträgt  in  Tabelle  5  am  6.  Tag  11,3  statt  8,8,  am 
7.  Tag  10,8  statt  9,1. 

In   Tabelle  8  ist   der  absolute  NHa-Wert  des  5.  Tages  irrtumlich  mit 
484  statt  mit  1484  angegeben. 

L.  Langstein.    L.  F.  Meyer. 


Jahrbuch  für  Kinderheilkunde. 


N.  F.   Bd.  61. 


1905. 


Heft  4. 


^•^^^^^^^99   Anzeigen.   €€€€€€€€€(«•» 


Von  Autoritäten  der  Kinderheilkunde  und 
Taueenden  von  Anten  empfohlen,  im  Ge- 
brauche der  grössten  Kinderbospiläier 
Deutechlands,   Österreich-Ungarne  «tc. 

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darmicranice  Kinder. 


Eufeke's  Eindermehl  als  Zusatz  zur  Milch  ereetzt  am 
liefen  .die  üuttermilch.  Die  Kinder  gedeihen  vorzQg- 
■ich  dabei  und  leiden  nicht  an  VerdauungeetOrungen. 


KufttkeiiMhl     ist 
monat^n  unentbehriioh 
durchfalli  Dannkatpppk,  Dia 
In  Anw( 


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kommt  ImI 
rrhSe  ato.  ali 


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Herren  Anten  ftostenfrei. 

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Sparsamer  Verbrauch,  daher  billig  in  der  Anwendung. 

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Influenza-,   Diphtherie-Pneumonie)   durch    grosse  Dosen  Creosotal 
10  bis  15  g  pro  die  in  4  Portionen,  bei  Kindern  Tagesdosis  bis  6  g 

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globin  und  Zuclcer  noch  besten  Malaga 
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elobin-Prä parates  wird  von  keinem  anderen 
Priparat  auch  nur  annihemd  erreicht  und 
erklärt  sich  aus  diesem  .Qemgenommen- 
werden*  seine  vorzflgliche  Bekömmlichkeit. 
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Haemoglobln  und  reinem  Kakao.  Der- 
selbe empfiehlt  sich  überall  dort,  wo  man 
eine  längere  Haemoc lobin-  Kur  beabsichtigt, 
und  zwar  als  tägliches  Prflhstflcksgetränk. 
DieNachmittan-  bezw.Abenddosen  werden 
zweckmässig  durch  Darreichung  von  reinem 
Perdynamin  verabfolgt. 

Originaldof  e  2.50  Mark. 


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Leeithin-Kakao) 


enthält  neben  den  Bestandteilen  des  Per- 
dynamin noch  in  der  Flasche  2,5  Gramm 
Lecithin  e  vitello  in  denkbarster  Reinheit 
und  Güte.  Der  Geschmack  des  Präparates 
ist  hervorragend  und  wird  dieser  und  die 
vollendetste  Wirkung  stets  und  allseitig 
gelobt. 

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besteht  lediglich  aus  chemisch  reinem 
LeeitiiiB  e  vitello  und  reiBem  Kakao. 

Eine  Orig inaldose  enthält  3.0  gr.  Lecithin. 
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Verantwortlich  für  Inserate:  8.  Karger  in  Berlin  NW.  6. 
Gedruckt  bei  Imberg  &  Lefson  In  Berlin  8W 


n/iOubm^  r.JGuderheüktwiie.    N.  F.  Bd.  LXI. 
FyJ. 


Taf^  IX. 


Fi/f.^, 


Fuf..3. 


Mor», 

1MHX  •jt\m  Mfiro. 


Verlauf  von  s\  Kurt/ er  in  Beriin  XW  h\ 


LiÖuAnst  vHiBaiiiwarth  Wen     \  \  , 


./a/irbtttfi  f.KiderheHhiimle.li.  F.  Bd.  LXl. 
Fi4f.7. 


Tam.\. 


V  '^    ^/ 


Fiif.9. 


Fi(f.  tl. 


Moro, 

pinx.lirvll  Mfiit>. 


Füf.8. 


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I~.  .AriM  '■  Th  J?.-^mi«»v,irih \\'tT. 


Vej'latf  von  S.Kartfer  in  Brrlin  .Vir  0. 


XX(. 

An«  der  K.  K.  pädiatrisohen  Klinik  ia  Wien.    (Vorstand  Prof.  Eseberich). 

Morphologische  und  biologische  Untersuchungen 
über  die  Darmbakterien  des  Säuglings. 

Von 
Dr.  ERNST  MORO, 

gew.  Assiitenten  der  Klinik. 
(Hierzu  Taf.  IX  u.  X.) 

I. 

Die  Bakterlenflora  des  normalen  Fraaenmllehstuhles. 

Das  Stadium  der  Darmbakterien  des  Säuglings  war  seit 
Escherichs  grundlegenden  Arbeiten  auf  diesem  schwer  zugäng- 
lichen Gebiete  vielfach  der  Gegenstand  eingehender  Unter- 
suchungen. Insbesondere  begegneten  jene  Bakterienarten,  welche 
mit  der  Entstehung  von  Darmerkrankungen  in  ätiologische  Be- 
ziehung gebracht  werden  konnten,  stets  einem  ungeschwächten 
Interesse.  Das  Feld  der  normalen  Bakterienflora  des  Säuglings- 
darmes lag  hingegen  lange  Zeit  hindurch  völlig  brach  da,  bis 
erst  in  der  jüngsten  Zeit  die  Anwendung  besonderer  Kultur- 
methoden, vor  allem  des  anueroben  Züchtungsverfahrens,  eine  Fülle 
wertvoller  Entdeckungen  zeitigte,  die  für  die  Erkenntnis  der 
Vegetation  im  Säuglingsdarm  von  hervorragender  Bedeutung  sind. 

Die  vorliegenden  Untersuchungen  beschäftigen  sich  lediglich 
mit  den  normalen  Darmbakterien  des  gesunden  Brustkindes  und 
wurden  ursprünglich  nur  in  der  Absicht  unternommen,  in  der 
vielumstrittenen  Frage  der  gramisch  färbbaren  Bazillen  des  Brust- 
milchstuhles, deren  Deutung  bereits  auffällige  Wandlungen  durch- 
machte, eine  endgiitige  Klärung  herbeizuführen.  In  wie  weit 
dieses  Ziel  erreicht  wurde,  entgeht  meiner  Beurteilung,  denn  ich 
habe  die  Erfahrung  gemacht,  dass  die  genauere  Erforschung 
selbst  der  scheinbar  einfachsten  Verhältnisse,  wie  solche  beim 
Brustkind  vorherrschen,  zur  Zeit  noch  mit  einer  ungeahnten 
Fülle  von  Schwierigkeiten  verbunden  ist. 

Andererseits  drängten  sich  mir  durch  die  gemachten  Beob- 
achtungen weitere  biologische  Fragen  auf,  deren  Beantwortung 
ich    zum  Teil   auf  experimentellem  Wege  zu  lösen  bestrebt  war. 

Jahrbuch  lür  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    5.  45 


688  Moro,  Morphologische  and  biologische  Untersach  od  gen 

Das  bakterioskopische  Stahlbild  and  seine  Deutung. 

Die  erste  ausfubrliche  Beschreibung  des  Stahlbildes  bei 
natürlich  ernährten  Säuglingen  stammt  von  Es  che  rieh.  Die 
früheren  zerstreuten  und  ungenauen  Bemerkungen  über  das  Vor- 
kommen und  das  mikroskopische  Aassehen  der  Stufalbakterien 
bei  Säuglingen  können  unberücksichtigt  bleiben,  zamal  dieselben 
zumeist  ohne  Angabe  der  Ernährungsweise  erfolgten.  Im  übrigen 
entsprangen  diese  Untersuchungen  der  vorbakteriologischen  Zeit 
und  wurden  mit  völlig  unzureichenden  Hilfsmitteln  ausgeführt; 
daraus  erklären  sich  auch  die  zahlreichen,  zumeist  nicht  unwesent- 
lichen Widersprüche. 

Nachdem  Esche  rieh  seiner  Verwunderung  darüber  Aus- 
druck verleiht,  dass  die  so  auffällige  und  leicht  zu  konstatierende 
Tatsache  der  nahezu  schematischen  Einfachheit  des  mikro- 
skopischen Brustmilchstuhlbildes  allen  früheren  Untersachem  völlig 
entgangen  ist,  gibt  er  eine  genaue  Charakteristik  der  obwaltenden 
Verhältnisse,  welche  an  Schärfe  und  Präzision  nichts  zu  wünschen 
übrig  lässt.  Von  den  dabei  erhobenen  Befanden  seien  folgende 
massgebenden  Punkte  hervorgehoben: 

Der  grösste  Teil  der  Fukalsubstanz  beim  Brustkind  besteht 
aus  Bakterien,  und  zwar  scheint  ihre  Zahl  hier  noch  grösser  zu 
sein  als  im  Kot  der  Erwachsenen;  auch  gegenüber  dem  Mekonium 
ist  dieselbe  hier  erheblich  vermehrt. 

Noch  überraschender  als  diese  Erscheinung  ist  jedoch  die 
Beobachtung,  dass  diese  zahllose  Masse  von  Bakterien  unter  sich 
so  ähnliche  Verhältnisse  und  Formen  aufweist,  dass  sie  auf  den 
ersten  Blick  als  Beinkultur  einer  Art  von  schlanken  Bazillen 
imponiert.  Dieselben  sind  bald  regellos  angeordnet,  bald  in 
kleinen  Gruppen  oder  Schwärmen  anzutreffen,  wobei  die  Stäbchen 
mit  der  Längsachse  meist  parallel  gestellt  erscheinen,  bald  ohne 
erkennbare  Gruppierung  wie  ein  Netzwerk  das  ganze  Gesichts- 
feld erfüllen. 

An  den  meisten  Exemplaren  ist  ihre  Stäbchenuatur  gat 
ausgesprochen;  die  Ecken  sind,  wenn  auch  etwas  abgeschrägt, 
doch  deutlich  vorhanden.  Der  Längsdurchmesser  übertrifft  um 
ein  Bedeutendes  die  Breite.  Ihre  Länge  schwankt  zwischen 
1—5  jj.,  ihre  Breite  beträgt  0,2 — 0,4  jj.  und  darüber.  Jedoch 
können  sowohl  Längen-  als  auch  Breitendurchmesser  dieser 
Stäbchen  in  beträchtlichen  Grenzen  schwanken,  so  dass  zuweilen 
ein    wechselndes  Bild   zustande  kommt.     Besonders    auffallig    ist 


ubar  die  Darmbakterieo  dea  S&aglings.  689 

•dies  bei  Stuhluntersuchungen  an  verschiedenen  Kindern,  während 
^ie  Bakterienvegetation  desselben  Kindes  und  noch  mehr  der- 
selben Entleerung  ein  mehr  übereinstimmendes,  gleichartiges  Aus- 
sehen darbietet. 

Manchmal  findet  man  auffällig  kurze  Formen,  meist  einzeln 
oder  mit  Einschnürung  versehen  und  mit  stärker  abgerundeten 
Ecken,  am  häufigsten  jedoch  sind  die  mittelgrossen  Bazillen, 
meist  deutlich  abgesetzte  gerade  oder  seltener  winkelig  gebogene 
Kurzstäbchen.  In  anderen  Stühlen  endlich  sieht  man  gestreckte, 
um  fast  das  Doppelte  längere  Formen,  an  denen  eine  Ein- 
schnürung nicht  zu  bemerken  ist.  Dieselben  zeigen  nicht  selten 
eine  leichte  Krümmung  und  ungefärbte  Stellen  in  ihrem  Verlaufe. 
Den  eigentümlichsten  Anblick  gewähren  jedoch  die  gleichsam 
„punktierten^  Bazillen,  bei  denen  der  kleine  farbbare  Rest  des 
Zellprotoplasmas  sich  in  eine  einzige,  in  der  Mitte  gelegene  Kugel 
zusammengezogen  hält,  während  die  distalen  Enden  wie  leere 
Hüllen  nur  mehr  den  Kontur  erkennen  lassen.  Bei  Doppel- 
stäbchen liegt  der  gefärbte  Punkt  an  den  sich  berührenden 
Enden.  Seltener  begegnet  man  Formen,  wobei  die  gefärbten  und 
ungefärbten  Stellen  im  Verlaufe  des  Stäbchens  abwechseln. 

Am  Rande  der  dichteren  Haufen  gewahrt  man  schon  bei 
400facher  Vergrösserung  einzelne  geringe  Eigenbewegung 
zeigende  schlanke  Kurzstäbchen. 

Während  in  vielen  Fällen  die  Anwesenheit  einzelner  Kokken 
zu  konstatieren  ist,  konnten  Kettenbildungen,  Scheinfäden,  endo- 
gene und  freie  Sporen,  mit  Jod  sich  färbende  Bazillen,  Spiralen 
oder  kommaförmig  gekrümmte  Formen  unter  normalen  Ver- 
hältnissen niemals  beobachtet  werden. 

Die  oben  beschriebenen  Stäbchen  finden  sich  in  solcher 
Überzahl,  dass  man  im  Gesichtsfeld  kaum  einige  Mikroorganismen 
auffinden  kann,  die  sich  schon  durch  ihr  mikroskopisches  Aus- 
sehen von  ihnen  scharf  unterscheiden.  Doch  gelingt  es  meist, 
jedoch  nicht  immer,  noch  eine  zweite  Art  von  Bazillen  zu 
differenzieren,  die  sich  durch  ihre  kürzeren,  dickeren,  plumperen 
Formen  auszeichnet.  Sie  finden  sich  meist  vereinzelt  oder  als 
eingeschnürte  Stäbchen,  seltener  in  Gruppen  oder  kürzeren  Ketten 
in  den  Präparaten.  Ihre  Zahl  ist  wechselnd,  oft  so  gering,  dass 
sie  nur  nach  langem  Suchen  entdeckt  werden,  manchmal 
reichlicher  in  kleinen  Haufen,  aber  stets  unter  normalen  Ver- 
hältnissen weit  hinter  den  schlanken  Kurzstäbchen  zurückstehend. 

45» 


690  Moro,  Morphologische  und  biologische  ÜDtersachungon 

Ihre  Grössenmaasse  wechseln  weit  weniger  —  Länge  0,8 — 1,5  fi. 
Breite  0,6—1,0  ji. 

Mit  diesen  beiden  Stabchenarten  ist  die  Zahl  der  normal 
und  konstant  im  Milchkote  vorkommenden  Mikroorganismen  er- 
schöpft. 

Die  Präparate  wurden  mit  Gentianaviolett-Lösung  in  der  ge- 
wöhnlichen Weise  gefäi*bt. 

Die  in  der  Überzahl  vorhandene  schlanke  Stäbchenart 
wurde  von  Escherich  bekanntlich  als  Bacterium  coli 
commune  angesprochen,  während  das  ovale  Kurzstäbcheu, 
welches  im  mikroskopischen  Stuhlbild  nicht  konstant  anzutreffen 
ist,  von  Escherich  mit  seinem  aus  dem  Darminhalt  und  der 
Milch  isolierten  Bacterium  lactis  aörogenes  identifiziert 
wurde. 

Einen  wichtigen  und  sehr  wertvollen  Aufschluss  in  dieser 
Frage  gab  später  die  von  Escherich  an  den  Stuhlpräparaten  zu- 
erst in  Anwendung  gebrachte,  modifizierte  Weigertsche  Fibrin- 
färbemethode, welche  die  grampositiven  von  den  gramnegativen 
Bakterien  scharf  differenzierte.  Dabei  stellte  sich  nämlich  her- 
aus, dass  die  das  einheitliche  Bild  des  Frauenmilchstuhlpräparates 
ausmachende  Stäbchen  Vegetation  grampositiv  ist,  während  in 
den  mikroskopischen  Bildern  normaler  Kuhmilchstuhle  die  gram- 
negativen Arten  vorherrschen  und  die  verschiedenen  grampositiven 
Formen  stark  in  den  Hintergrund  treten.  Diese  eigentümliche 
Erscheinung  erregte  anfangs  insbesondere  deshalb  grosses  Inter- 
esse, da  die  Bakterien  der  Coligruppe,  sowohl  das  Bacterium 
coli  commune  als  auch  das  Bacterium  lactis  aerogenes, 
stets  und  unter  allen  Umständen  gramnegativ  gefunden  wurden. 
Es  musste  folgerichtig  daraus  geschlossen  werden,  dass  im  Brust- 
milchstuhl besondere  Verhältnisse  obwalten  dürften,  die  beim 
Bacterium  coli  commune  diese  mikrochemische  Reaktion, 
nämlich  die  Widerstandsfähigkeit  gegenüber  der  entfärbenden 
Jodjodkaliumlösung,  hervorrufen. 

In  der  Tat  gelang  es  Alexander  Schmidt,  eine  Erklärung 
für  dieses  eigenartige  Verhalten  des  Bacterium  coli  com- 
mune zu  geben,  indem  er  den  Grund  dafür  vermeintlich  in  dem 
grossen  Fettgehalt  der  Frauenmilchstühle  fand.  Zu  diesem 
Schlüsse  drängte  ihn  sowohl  die  Beobachtung,  dass  die  gram- 
positiven Formen  auch  in  den  von  Flaschenkindern  stammenden 
Fettstühlen  in  überwiegender  Zahl  angetroffen  werden,  als  auch 
der  positive  Ausfall  seiner  Züchtungsversuche  auf  Buttergelatine, 


über  die  Darmbakterien  des  S&agÜDgs.  691 

wobei  das  B.  coli  commune  allmählich  die  Farbbarkeit  nach 
Gram  angenommen  hatte. 

Diese  Ergebnisse  stiessen  späterhin  auf  Widerspruch 
{Jakobsthal,  Lehmann  und  Neumann).  Auch  Escherich, 
der  die  Schmidtschen  Versuche  in  der  Folge  mehrmals  wieder- 
holte, erhielt  kein  positives  Resultat. 

Im  Jahre  1900  nahm  ich  auf  Anregung  des  Herrn  Professors 
Escherich  mit  besonderer  Berücksichtigung  eventueller  fermen- 
tativer  Einflüsse  des  Stuhles  resp.  der  rohen  Menschenmilch  diese 
Versuche  wieder  in  Angriff.  Es  ergab  sich  jedoch  auch  hier 
•ebensowenig  wie  mit  Zuhülfenahme  der  Serumreaktion  ein  Resultat, 
•das  irgendwie  verwertbar  gewesen  wäre. 

Bald  darauf  schien  mir  ein  besonderes  Eulturverfahren, 
nämlich  die  Züchtung  auf  sauren  Nährböden,  insbesondere  auf 
saurer  Bierwürzebouillon,  die  ganze  Frage  mit  einem  Male  auf- 
zuklären, indem  auf  diesen  Nährböden  grampositive  Bazillen,  die 
morphologisch  mit  jenen  des  Frauenmiichstuhles  identisch  zu  sein 
schienen,  fast  in  Reinkultur  gewachsen  waren.  Die  nähere  Unter- 
suchung dieser  Bazillen  ergab,  dass  es  sich  um  eine  neue,  von 
den  Bakterien  der  Coligruppe  wohl  zu  differenzierende  Art 
handelte,  die  ich  wegen  ihrer  Vorliebe  für  saure  Nährböden  mit 
dem  Namen  Bacillus   acidophilus  belegte. 

Mit  Rücksicht  darauf,  dass  das  Ausstrichpräparat  des 
Frauenmilchstuhles  den  Eindruck  einer  Reinkultur  erweckt,  dass 
die  isolierten  Bazillen  mit  den  bakterioskopisch  dargestellten 
Formen  gut  übereinstimmten,  und  dass  ihre  typischen  Kolonien 
auf  den  Platten  in  sehr  grosser  Zahl  angingen,  zweifelte  ich 
nicht  daran,  dass  der  B.  acidophilus,  resp.  die  Gruppe  der 
acidophilen  Bakterien  es  seien,  welche  dem  Stuhle  des  aus- 
schliesslich an  der  Brust  genährten  Säuglings  sein  charakte- 
ristisches mikroskopisches  Aussehen  verleihen. 

Mit  dem  einzigen  Unterschiede,  dass  ich  die  Stäbchen  als 
„an  ihren  Enden  meist  etwas  zugespitzt^  bezeichnete,  deckte  sich 
meine  damalige  kurze  Beschreibung  des  bakterioskopischen  Bildes 
des  Frauenmilchstuhles  mit  jener  ursprünglich  von  Escherich 
gelieferten  vollkommen. 

Fast  zu  gleicher  Zeit  erschien  eine  Mitteilung  von  Tissier, 
worin  er  ebenfalls  behauptet,  dass  die  von  Escherich  zuerst 
beschriebene  „chromophile  Reaktion"  des  Frauenmilchstuhles  nicht 
durch  das  B.  coli  commune,  sondern  durch  eine  neue,  streng 
anaerobe  Bakterienart  bedingt  sei,    die    er    wegen  ihrer  Vorliebe 


692  Moro,  Morphologische  und  biologische  ÜDiersuchuDgen 

sich  an    den  Enden    einfach    zu    verzweigen,    Bacillus    bifidas^ 
communis  nannte,  ^ 

Nach  Jahresfrist  folgte  sodann  seine  ausführliche  Arbeit: 
,,Recherches  sur  la  flore  intestinale  des  nourrissons**,  worin 
Tissier  u.  a.  das  bakterioskopische  Bild  des  Brustmilchstuhles 
etwa  folgen dermassen  beschreibt:  Das  Präparat  ruft,  oberflächlich 
betrachtet,  den  Eindruck  einer  Reinkultur  hervor,  da  es  nur  von 
ein  und  derselben  Bakterienart  gebildet  wird.  Die  Bazillen  sind 
klein,  dünn,  von  mittelmässiger  Länge  (1—5  fi)  und  2— 4  [i  breit. 
Ihre  Enden  sind  dünn  auslaufend  und  endigen  in  feinen  Spitzen. 
Ihrer  Gestalt  nach  sind  sie  meistens  geradlinig,  selten  eingebogen. 
Zumeist  sind  sie  in  Diplobazillenform  angeordnet,  wobei  sich  die 
Stäbchen  in  einer  verengten  Partie  treffen,  der  der  dickere  Körper 
folgt  Die  Farbe  fixiert  sich  hauptsächlich  nur  an  diesen  dickeren 
Partien,  während  die  peripheren  Ausläufer  weniger  gefärbt  er- 
scheinen. Es  kann  sogar  vorkommen,  dass  die  sich  ver- 
schmälernden Enden  leeren  Hüllen  entsprechen  und  der  Farbstoff 
sich  nur  im  Mittelpunkte  des  Stäbchens  konzentriert,  wie  diea 
Escherich  beschrieben  und  gezeichnet  hat. 

Färben  wir  die  Präparate  nach  der  Gram  sehen  Methode,, 
so  sehen  wir  vor  allem,  dass  das  Bild  sehr  von  der  Intensität 
der  Färbung  abhängt.  Manchmal  erscheinen  dabei  die  Stäbchen 
plumper  und  ihre  Ausläufer  abgerundeter,  aber  trotzdem  sind 
alle  diese  Formen  nicht  gleich  gefärbt,  sondern  weisen  den  Anblick 
partienweiser  Entfärbung  auf,  einige  davon  sind  ganz  blau,  andere 
ganz  rot,  wieder  andere  teils  blau,  teils  rot. 

Diese  Bazillen  und  Diplobazillen,  die  ein  und  derselben  Art 
anzugehören  scheinen,  sind  oft  parallel  angeordnet,  oft  wirr 
durcheinander  gekreuzt,  ihre  Masse  ist  eine  so  grosse,  dass  bei 
etwas  dickerem  Ausstrich  die  Präparate  das  Bild  eines  dichten 
Filzwerkes  hervorrufen. 

Bei  genauerer  Durchmusterung  des  Präparates  finden  wir 
manchmal  Diplobazillen,  wobei  das  eine  Glied  kürzer  ist  als  ge* 
wohnlich  und  das  andere  sich  in  der  Form  eines  Y  verästelt. 

Nur  äusserst  spärlich  kann  man  im  Präparate  kleine  Diplo- 
kokken und  hie  und  da  einige  ovale  gramnegative  Formen  sehen,, 
welche  nur  mit  Mühe  aufzufinden  sind. 

Jenes  Bakterium,  welches  dem  Brustmilchstuhl  sein  charak- 
teristisches Aussehen  verleiht,  ist  der  Bacillus  bifidu& 
communis. 


über  die  Darmbakterien  des  S&nglingg.  69? 

Einer  späteren  Arbeit  Rodellas  entnehmen  wir  folgende 
Bemerkungen,  die  auf  das  mikroskopische  Aussehen  des  Frauen- 
milchstuhles  Bezug  nehmen: 

„Trotzdem  nun  Moro  unbestreitbar  das  Verdienst  zukommt, 
in  eine  Sache  Einheit  und  System  gebracht  zu  haben,  welche 
man  sich  bis  dahin  vielförmiger  und  mannigfaltiger  vorstellte,  als 
sie  tatsächlich  ist,  muss  ich  dennoch,  gestutzt  auf  mehr  als  ein- 
jährige Beobachtungen,  sagen,  dass  die  Angaben  Moros  nicht 
völlig  den  Tatsachen  entsprechen,  wenigstens  nicht  mit  der 
Sicherheit,  womit  er  sich  ausdruckt.  Erstens  erhält  man,  wie 
ich  früher  schon  bemerkte,  dasselbe  Resultat  bei  vielen  direkten 
Stuhlpräparaten  von  Flaschenkindern  wie  bei  solchen  von  Brust- 
kindern, d.  h.  es  finden  sich  auch  in  diesen  die  sogenannten 
säureliebenden  Bazillen  vorherrschend  vor.  Letztere  kommen 
etwa  wie  Diphtheriebazillen  lange  Stäbchen  vor,  welche  gerade 
oder  gebogen  sind  und    manchmal    zugespitzte  Enden    aufweisen. 

„Andererseits  geschieht  es  nicht  selten,  dass  auch  in  mikro- 
skopischen Stuhlpräparaten  von  durchaus  gesunden  Brustkindern 
neben  den  sogenannten  säureliebenden  spezielle  Formen  zum 
Vorschein  kommen,  wie  z.  B.  jene,  die  Escherich  „punktierte 
Bazillen^  nannte,  und  noch  verschiedene  andere  Mikroorganismen. 
Eine  wesentlich  beständigere  Beziehung  als  in  der  Art  der  Milch- 
ernährung habe  ich  zwischen  den  makroskopischen  und  mikro- 
skopischen Eigenschaften  der  Fäces  gefunden. 

„Die  Fäces  von  eidottergelber  Farbe,  weicher  Konsistenz 
und  leichtsaurer  Reaktion,  solche  also,  welche  als  Normaltyp  des 
Säuglingsstuhles  beschrieben  werden,  seien  sie  nun  von  Brust- 
kindern oder  von  Flaschenkindern,  weisen  in  den  direkten  mikro-r 
skopischen  Präparaten  immer  die  als  säureliebend  bezeichneten 
Bazillen  in  grosser  Anzahl  oder  fast  allein  auf.  Die  anderen 
Stühle,  ebenfalls  von  gesunden  Kindern,  zeigen  fast  immer,  ob 
von  Brust-  oder  Flaschenkindern  stammend,  eine  grössere  oder 
geringere  Mannigfaltigkeit.  Die  sogenannten  säureliebenden  Bazillen 
wurden  bei  Brustkindern  häufiger  als  bei  Flaschenkindern  ge- 
funden, aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  die  Fäces  von  soge- 
nanntem idealem  Typus  bei  den  ersteren  in  grösserer  Häufigkeit 
beobachtet  werden  als  bei  den  zweiten.  — ^ 

"Wir  werden  auf  diese  Yorstellun gen  Rodellas  im  folgenden 
noch  zurückkommen.  Es  sei  jedoch  schon  hier  erwähnt,  dass 
sich  dieselben  als  unrichtig  erwiesen. 


694  Moro,  Morphologische  uDd  biologische  Uotersuchangen 

Ferner  fiel  es  Rodella  auf,  dass  in  den  nach  der  Tuberkel- 
bazillenfärbung  angefertigten  Stuhlpräparaten  darmkranker  Säug- 
linge sich  rundliche,  säurefeste  Gebilde  mikroskopisch  nachweisen 
Hessen,  die  sich  nach  kultureller  Feststellung  als  Sporen  anaärober 
Bazillen  erwiesen.  Im  Anschlüsse  daran  sagt  Rodella:  „Dass 
auch  in  normalen  Stuhlgängen  sich  regelmässig  sporentragende 
Bazillen  befinden,  haben  wir  schon  mitgeteilt.  Doch  zeigten  bei 
unseren  damaligen  Untersuchungen  die  direkten  mikroskopischen 
Stuhlpräparate  nie  so  reichliche  freie  Sporen  von  anaeroben 
Bazillen.'^  Rodella  gibt  zwar  nicht  näher  an,  ob  die  hier  ge- 
meinten Stuhlgänge  von  Brust-  oder  Flaschenkindern  stammen, 
jedoch  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  darunter  auch  erstere 
zu  verstehen  sind,  da  die  von  ihm  isolierten  sporenbildenden 
Anaäroben  zumeist  lediglich  aus  Brustmilchstühlen  gezüchtet 
wurden. 

Adolf  Schmidt  lehnt  sich  in  der  Charakteristik  des  bak- 
terioskopischen  Bildes  normaler  Frauenmilchstühle  an  die  von 
Escherich  und  mir  gegebeneu  Beschreibungen  an,  mit  der  Ein- 
schränkung, dass  nach  seinen  Präparaten  die  Stäbchen  plumper 
und  an  den  Ecken  abgerundet  seien. 

Aus  diesen  Literaturangaben  ist  ersichtlich,  dass  sich  die 
Beschreibung  des  mikroskopischen  Stuhlbildes  von  Brustkindern 
nicht  nur  nicht  deckt,  sondern  sogar  in  ziemlich  weiten  Grenzen 
divergiert.  Dies  muss  umsomehr  wundernehmen,  als  es  sich  da- 
bei immer  um  ein  und  dasselbe  Material .  und  allem  Anscheine 
nach  sogar  um  ein  und  dieselbe  Bakterienart  handelt.  Die  Ur- 
sache dieser  Differenzen  liegt  darin,  dass  die  in  Rede  stehende 
Bakterienart  sich  durch  eine  sehr  grosse  Polymorphie  auszeichnet; 
dass  ihre  Gestalt  und  die  Darstellung  ihres  feineren  Baues  von 
der  jeweils  angewendeten  Färbemethode  in  hohem  Grade  abhängig 
ist;  dass  der  morphologische  Charakter  der  Bazillen  in  den  Stuhl- 
gängen verschiedener  Kinder  auch  unter  normalen  Verhältnissen 
zuweilen  auffallende  Verschiedenheiten  aufweist  und  dass  sich 
begreiflicherweise  die  einzelnen  Autoren  dem  subjektiven  Einflüsse 
der    erhaltenen  Kulturergebnisse    nicht   völlig  entziehen  konnten. 

In  Anbetracht  der  vorliegenden  Widersprüche  sei  es  mir 
gestattet,  im  folgenden  mit  besonderer  Berücksichtigung  aller 
Momente  noch  einmal  eine  genaue  Beschreibung  des  bakterio- 
skopischen  Stuhlbildes  von  Brutskindern  zu  geben,  da  dessen 
Kenntnis  für  die  Beurteilung  des  morphologischen  Verhaltens 
dieser  Bakterien  unerlusslich  ist. 


über  die  Darmbakterien  des  S&uglings.  695 

i 

Von  allen  in  Anwendung  gebrachten  Färbemethoden  be- 
währte sich  weitaus  am  allerbesten  die  von  Escherich  für  die 
Stuhlfärbung  empfohlene  Weigertsche  Fibrinfarbemethode:  die 
Färbung  nach  Weigert-Escherich^).  Sie  ist  meiner  Ansicht 
nach  überhaupt  die  einzige  Methode,  welche  für  die  Stuhlfärbung 
im  allgemeinen  in  Betracht  kommt,  da  sie,  abgesehen  von  der 
sofortigen  Differenzierung  der  grampositiven  von  den  gramnegativen 
Arten,  die  ja  auch  der  ursprunglichen  Gram  sehen  Methode  eigen 
ist,  den  feineren  Bau  zartgeformter  Bazillen  viel  schärfer  und 
deutlicher  hervortreten  lässt  als  letztere,  bei  welcher  störende 
Farbstoffniederschläge  unvermeidlich  sind.  Die  schönsten  und 
reinsten  Präparate  erhält  man,  wenn  man  auf  die  Nachfärbung 
mit  einer  Kontrastfarbe  (Fuchsinrot)  ganz  verzichtet,  was  in 
unserem  Falle  ohne  weiteres  gestattet  ist,  da  es  sich  ja  hier  im 
wesentlichen  um  das  Studium  grampositiver  Arten  handelt;  die 
bei  der  Nachfarbung  mit  verdünnter  wässeriger  Fuchsinlösung 
rotgefarbten  Partien  des  Bazillenkörpers  werden  dabei  viel  distinkter 
dargestellt. 

Die  Färbung  mit  den  übrigen  üblichen  Farblösungen  gibt 
zumeist  ganz  undeutliche  und  unbrauchbare  Präparate. 

Die  das^  charakteristische  Bild  des  normalen  Frauenmilch- 
stuhles zusammensetzenden  Bazillen  erwecken  den  Eindruck,  dass 
es  sich  hier  um  ein  und  dieselbe  Bakterienart  handelt.  Bei  ge- 
nauerer Durchmusterung  zahlreicher  Präparate  sehen  wir  jedoch, 
dass  die  darin  vorhandenen  Formen  drei  Haupttypen  angehören, 
die  ich  als  einfache  Form,  verzweigte  Form  und  köpfchen- 
tragende Form  bezeichne. 

Die  einfache  Form  (Tai.  IX,  Fig.  1)  ist  am  allerhäufigsten 
vertreten.  In  vielen  Präparaten  ist  sie  ausschliesslich  vorhanden, 
und  es  beziehen  sich  darauf  alle  bisher  gelieferten  Beschreibungen, 
ausgenommen  jener  von  Tissier,  welcher  zum  ersten  Male  ver- 
7.weigte  Bakterienformen  im  Brustmilchstuhl  gesehen,  beschrieben 
und  abgebildet  hatte.  Die  Einzelindividuen  sind  Langstäbchen 
von  wechselnden  Dimensionen.  Ihr  Längen-  und  Breitendurch- 
messer schwankt  in  nicht  allzugrossen  Grenzen.  Länge:  3 — 5  ji, 
Breite:  0,2—0,4  [i.     Sie  sind  gestreckt  oder  leicht  gebogen.     An 


1)  Vergl.  darüber  A.  Schmidt:  Zur  Kenntnis  der  Bakterien  des 
Säaglingsfäces.  Wr.  klin.  Wschft.  1892,  No.  45  und  Escherich:  Über 
Streptokokkeneoteritis  im  SäugHugsalter.  Dieses  Jahrbuch,  Bd.  49,  1899, 
woselbst  sich  eine  genaue  Beschreibung  des  Verfahreus  vorfindet. 


696  Moro,  Morphologische  and  biologische  UntersuchnngeD 

ihren  Enden  sind  sie  entweder  m&ssig  verschmälert,  etwas  zu* 
gespitzt  oder  abgerundet.  Zylindrische  Formen  fehlen  voll- 
kommen. Manchmal  ist  nur  das  eine  Ende  verschmälert,  während 
das  andere  kolbig  angeschwellt  erscheint;  dabei  resultieren  plumpe 
Eommaformen.  Die  Bazillen  liegen  einzeln  oder  als  Doppel- 
stäbchen (Diplobazillen)  da,  wobei  der  sie  verbindende  Teil 
schmäler  ist.  An  einigen  Doppelstäbchen  sehen  wir,  dass  der 
eine  Teil  kurz  dick  und  plump,  der  andere  hingegen  fein  und 
schlank  erscheint,  was  die  Form  köpfchentragender  Bakterien 
vortäuschen  kann.  Bei  einzelnen  Exemplaren  sieht  man  in  der 
Mitte  des  Körpers  eine  leichte  Auftreibung,  die  den  Farbstoff 
gieriger  aufnimmt.  Zuweilen  gewahrt  man  zwei  gebogene  Stäb- 
chen sich  gegenübergestellt  anreihen,  was  den  Eindruck  einer 
einfachen  kleinen  Spirale  hervorruft. 

Ihre  Gesamtanordnung  hängt  in  hohem  Grade  von  der 
Dicke  und  Richtung  des  Ausstriches  ab.  In  feinen,  zum  Studium 
der  Einzelexemplare  angefertigten  Präparaten  bietet  die  Gruppierung 
nichts  Charakteristisches  dar.  Man  findet  Gruppen  und  Schwärme 
mit  parallel  gestellten  oder  sich  kreuzenden  Individuen,  oft  in 
fischzugartiger  Anordnung. 

Die  Bazillen  sind  exquisit  grampositiv.  Man  beobachtet 
jedoch  nicht  unbeträchtliche  Unterschiede  in  der  Intensität  der 
Färbung  bei  verschiedenen  Kindern  und  selbst  bei  verschiedenen 
Stuhlgängen  ein  und  desselben  Säuglings.  Dabei  ist  hervor- 
zuheben, dass  die  schwächer  tingierten  Partien  auch  bei  Über- 
färbung gar  nicht  oder  nur  wenig  verändert  werden.  Dies  führt 
uns  zur  Beschreibung  jener  Formen  des  gleichen  Bazülus,  die 
sowohl  die  Weigert-Escherichsche  Färbung  als  auch  die 
Färbung  mit  anderen  Anilinfarbstoffen  nur  schlecht  annehmen 
und  die  zuerst  Escherich  als  „punktierte^  Bazillen  beschrieben 
hat.     (Taf.  IX,  Fig.  2.) 

Diese  Formen  kommen  dadurch  zustande,  dass  der  Farbstoff 
nur  von  der  zentralen  Partie  aufgenommen  wird,  während  die 
beiden  peripheren  Enden  sich  kaum  färben.  Die  Darstellung 
dieser  Formen  macht  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  es  sich  dabei 
um  das  Vorhandensein  echter  Hüllen  handelt,  während  sich  das 
Bakterienprotoplasma  im  Zentrum  zusammengezogen  hatte.  Das 
gefärbte  Zentrum  ist  oft  rundlich  geformt  und  die  beiden  Enden 
spitz  zulaufend,  wodurch  diese  Formen  das  Aussehen  eines  Auges 
erhalten.  An  den  meisten  Exemplaren  sehen  ^r  jedoch  auch 
an  den  äussersten  Enden  winzige  Ansammlungen  der  chromatischen 


über  die  Darmbakterien  des  S&ogliogs.  697 

Substanz,  die  sich  in  der  Form  je  eines  kleinen  Punktes  an  der 
äussersten  Peripherie  darstellen  lassen.  Oft  gliedern  sich  mehrere 
dieser  Formen  aneinander,  wodurch  grössere,  vielfach  gekörnte 
Stäbchen  gebildet  werden.  (Gescheckte  Bazillen.)  In  seltenen 
Fallen  liegt  die  chromophile  Partie  ganz  gegen  die  Peripherie 
verschoben,  wobei  dann  die  eine  Hälfte  des  Stäbchens  gefärbt, 
die  andere  ungefärbt  erscheint.  Bei  einzelnen  dieser  letzteren 
Formen  bildet  der  gefärbte  Teil  an  dem  einen  Ende  des  Stäbchens 
eine  kugelförmige  Anschwellung,  wobei  Köpfchenformen  mit 
schwach  gefärbten  Schwänzen  zustande  kommen.  In  jedem  der* 
artigen  Präparate  sieht  man  auch  ganz  leere  Hüllen,  welche  von 
der  Jodjodkaliumlösung  fast  vollständig  entfärbt  werden  und  nur 
mehr  einen  zarten  Kontur  erkennen  lassen.  Diese  Formen  nehmen 
aber  die  Kontrastfarbe  (Fuchsinrot)  noch  gierig  auf  und  können 
im  Gram  sehen  Präparate  das  Vorhandensein  gramnegativer 
Arten  vortäuschen^). 

Bei  sehr  genauer  Durchmusterung  können  wir  in  den  meisten 
Präparaten  auch  verzweigte  Formen  wahrnehmen. 

Die  verzweigte  Form  kann,  wie  schon  erwähnt,  in  manchen 
Präparaten  vollständig  fehlen,  in  anderen  hinwiederum  ist  sie 
reichlich  vorhanden,  jedoch  niemals  in  dominierender  Menge. 
Auch  hierin  finden  wir  bei  verschiedenen  Säuglingen  verschiedene 
Verhältnisse.  Der  häufigste  Typus  der  verzweigten  Form  ist  der, 
dass  sich  das  eine  oder  beide  äussersten  Enden  des  Stäbchens 
in  der  Längsachse  teilen.  Dadurch  kommen  Gebilde  zustande, 
wie  wir  sie  in  Taf.  IX,  Fig.  3  r.  H.  abgebildet  sehen. 

Der  morphologische  Charakter  dieser  Gebilde  ist  von  grossem 
Interesse,  da  der  Mechanismus  der  Verzweigung  bei  diesen  Bazillen 
ein  ganz  eigentumlicher  und  bisher  noch  nicht  beobachteter  ist. 
Die  Verzweigung  erfolgt  nämlich  nicht  in  der  bekannten  Weise 
einer  Astbildung,  so  zwar,  dass  der  Bakterienleib  neue  seitliche 
Auswüchse  hervorspriessen  lässt,  wie  wir  dies  z.  B.  bei  dem  viel- 
fach   verzweigten    Aktinomyces,    Taf.  X^  Fig.   11,    in    schöner 

1)  Ein  besonders  schönes  Bild  erhielt  ich  unlängst  bei  der  Färbung 
eines  Franenmilchstuhlpräparates,  welches  lediglich  aus  punktierten  Bazillen 
xusaminengesetzt  war,  mit  konzentrierter,  wässeriger  Methjlenblaulösung. 
Während  die  gramisch  färbbare  zentrale  Partie  sich  blau  färbte,  erschienen 
die  beiden  Enden  der  Bazillenkörper  dunkelrot  tingiert,  und  zwar  konzentrierte 
sich  der  rote  Farbstofi  der  Methylenblanlösung  in  der  Form  je  eines  ruoden 
Kerns  an  den  Polen  der  Bakterien,  deren  Hülle  besonders  deutlich  zur  Dar- 
stellung gebracht  werden  konnte. 


698  Moro,  Morphologisoho  und  biologiache  Untersach ud gen 

Weise  zu  sehen  Gelegenheit  haben,  sondern  vielmehr  so,  dass 
sich  das  Ende  des  Stäbchens  nur  spaltet,  ohne  neue  Substanz 
anzusetzen. 

Die  verzweigten  Enden  sind  entsprechend  der  Natur  ihres 
Zustandekommens  zumeist  schwächer  gefärbt  als  der  übrige 
Bakterienkörper.  Dies  ist  um  so  ausgesprochener  bei  jenen 
Formen,  wobei  sich  die  einfache  Endverzweigung  noch  einmal 
spaltet.  Solche  Bazillen  erwecken  den  Eindruck,  als  wären  sie 
an  ihrem  äussersten  Ende  zart  aufgefasert,  und  erinnern  mit 
ihren  zumeist  plumpen  Körpern  an  das  Bild  eines  Eorallentieres. 
Zuweilen  sind  die  aufgefaserten  Enden  so  zart,  dass  sie  sich 
schneckenartig  zusammenrollen.  Ist  die  Zahl  der  peripheren 
Fasern  eine  grosse,  so  erwecken  diese  Bazillen  den  Eindruck, 
als  wären  sie  mit  einem  zarten  Bürstenbesatz  versehen. 

Die  Spaltung  bleibt  nicht  immer  auf  die  äussersten  Enden 
beschränkt,  sondern  kann  zuweilen  bis  zur  Mitte  des  Bakterien- 
körpers erfolgen,  wobei  die  von  Tissier  beschriebenen  Y-Formen 
zustande  kommen. 

Manchmal  ist  das  gespaltene  Ende  noch  von  einer  mehr 
oder  minder  gespannten  und  gut  färbbaren  Hülle  umgeben. 
Derartige  Gebilde  sind  herzförmig,  und  erinnern  die  damit  be- 
hafteten Bazillen  lebhaft  an  die  Gestalt  langer  Röhrenknochen. 
Besonders  deutlich  tritt  das  bei  jenen  Formen  zutage,  die  nur 
an  einem  Ende  die  eben  beschriebene  Gestaltung  aufweisen  und 
an  dem  anderen  Ende  eine  kolbige  Auftreibung  zeigen. 

In  den  meisten  Fällen  geht  dem  Akte  der  Spaltung  die  An- 
sammlung der  chromatischen  Substanz  an  den  peripheren  Enden 
voraus.  Wir  finden  dieselbe  auch  häufig  an  den  Spitzen  der 
bereits  erfolgten  Verzweigung  in  der  Form  eines  kleinsten 
kugeligen  Gebildes  konzentriert.  Diese  Formen  erinnern  natur- 
gemäss  in  ausgesprochener  Weise  an  die  Gestalt  der  Wald-  oder 
Weinbergsschnecke.  Der  Körper  der  sich  verzweigenden  Formen 
ist  zumeist  massig  aufgetrieben.  Seitliche  Sprossen  wurden  in 
keinem  Nativpriiparate  vorgefunden. 

Die  kopfch entragende  Form  (Taf.  IX,  Fig.  3  1.  H.)  ist 
in  den  Präparaten  ebenso  selten  und  vereinzelt  vorhanden  wie 
die  verzweigte,  doch  dürfte  sie  niemals  vollständig  vermisst 
werden.  Es  gilt  auch  hier  die  Beobachtung,  dass  ihr  gehäuftes 
Auftreten  von  individuellen  Verhältnissen  abhängig  ist.  Bei  der 
genaueren  Durchsicht  derartige  Präparate  kann  man  konstatieren, 


über  die  Darmbakterien  des  S&ugÜDgs.  699 

dass  darin  kleine  schlanke  Stäbchen  vorherrschen,  die  un- 
verkennbar dem  Typus  der  einfachen  Form  entsprechen.  Wir 
sehen  auch  hier  zahlreiche  Exemplare  mit  peripherer  Ansammlung 
der  chromatischen  Substanz,  welche  Erscheinung  der  späteren 
Eöpfchenbildung  vorangeht.  Hie  und  da  sind  kleine  kugel- 
förmige Anschwellungen  nur  an  einem  oder  an  den  beiden 
Enden  angedeutet,  die  durch  ihre  weitere  Vergrösserung  sich  in 
der  Folge  zu  typisqhen  Köpfchen  entwickeln.  Ist  das  Köpfchen 
nur  an  einem  Ende  vorhanden,  so  resultieren  die  mit  einem 
längeren  oder  kürzeren  Schwanz  versehenen  Köpfchenbakterien, 
sind  an  beiden  Enden  Köpfchen  nachzuweisen,  so  entstehen 
Hantelformen.  Der  Schwanz  der  Köpfchenbakterien  kann  dabei 
kurz  oder  lang,  geradegestreckt  oder  gebogen  sein.  Bei  manchen 
Exemplaren  ist  derselbe  ganz  blass  gefärbt  und  weist  in  seinem 
Verlaufe  nur  mehr  disseminierte,  punktförmige  Farbstoffansamm- 
lungen auf.  Dies  ist  das  Vorzeichen  seines  bevorstehenden  Zer- 
falles, und  man  sieht  dann  in  der  Tat  nicht  selten  einzelstehende 
Köpfchen  im  Präparate,  die  bei  ungenügender  Kenntnis  der 
morphologischen  Verhältnisse  das  Vorhandensein  von  Kokken  vor- 
täuschen können.  Die  eben  beschriebenen  Erscheinungen  gelten 
auch  für  die  Hantelformen;  manchmal  ist  dabei  das  Mittelstück 
so  zart,  dass  daran  Windungen  und  Schlingenbildungen  be- 
obachtet werden  können. 

Sehr  interessant  und  merkwürdig  ist  die  Beobachtung,  dass 
es  auch  Kombinationen  der  verzweigten  und  köpfchen- 
tragenden  Form  gibt  (Taf.  IX,  Fig.  3  1.  H.).  Sie  kommen  so 
zustande,  dass  sich  das  gebildete  Köpfchen  an  einem  oder  an 
beiden  Enden  einfach  spaltet. 

In  derartigen  Präparaten  ist  die  eigentliche  verzweigte  Form 
garnicht  oder  nur  ganz  vereinzelt  vorhanden. 

In  Anbetracht  dessen,  dass  die  in  Rede  stehenden  Bazillen 
Verzweigungen  zu  bilden  imstande  sind,  erscheint  die  Ziehl- 
Neelsonsche  Färbung  im  Nativpräparate  gerechtfertigt  und  ge- 
boten. Die  Ergebnisse  mit  dieser  Methode  waren  jedoch  durch- 
wegs negativ,  sämtliche  Bakterien  nur  mit  der  Kontrastfarbe 
(Methylenblau)  tingiert.  Es  geht  daraus  hervor,  dass  diese 
Bakterien  im  Nativpräparat  nicht  säurefest  sind. 

Die  Behandlung  der  Stuhlpräparate  mit  Lugol  scher  Lösung 
ergab  mir  anfänglich  nur  negative  Resultate.  Später  hingegen 
erhielt  ich,  nach  einer    mir  von  Herrn  Dr.  Passini  mitgeteilten 


700  Moro,  Morphologische  und  biologische  Untersachangeo 

Methode^),  fast  in  jedem  Braststiihlpräparate  in  Bestätigung  der 
Passinischen  Befunde  positive  Jodreaktion.  Die  in  den  Bakterien- 
leibern  eingeschlossene  Granulöse  erschien  nicht  blauschwarz, 
sondern  dunkelbraunrot,  war  zumeist  in  geringer  Menge  vor- 
handen und  ganz  unregelmassig  oft  nur  streckenweise  verteilt. 
Dabei  sei  erwähnt,  dass  die  Granulöse  fast  immer  nur  auf  die 
peripheren  Enden  der  Bakterien  beschränkt  blieb,  während  das 
Zentrum  frei  war. 

Betrachten  wir  ein  im  Wasser  verriebenes  Stuhlpartikelchen 
oder  den  flussigen  Anteil  eines  eben  entleerten  Stuhles  im 
frischen  und  ungefärbten  Zustande  unter  dem  Mikroskope  (im 
hängenden  Tropfen),  so  erblicken  wir  ein  wirres  Durcheinander 
sich  massig  lebhaft  bewegender  schlanker  Stäbchen,  während  an 
anderen  Stellen  starre,  unbewegliche,  dicht  zusammengesetzte 
Bakterienhaufen  zu  sehen  sind.  Die  Beobachtung,  dass  die  mit 
geringer  Eigenbewegung  ausgestatteten  Formen  in  ganz  frisch  ent- 
nommenen Stühlen  vorherrschen,  während  die  starren,  unbeweg- 
lichen Massen  die  Flora  älterer,  von  der  Windel  entnommener 
oder  anderweitig  der  atmosphärischer  Luft  ausgesetzten  Stuhl- 
teile ausmachen,  legt  die  Vermutung  nahe,  dass  es  sich  im 
letzteren  Falle  um  ein  totes  Bakterienmaterial  handelt.  Bei  ge- 
nauerer Durchsicht  der  Einzelexemplare  kann  man  konstatieren, 
dass  die  beweglichen  Individuen  lange  schlanke  Stäbchen  sind, 
in  deren  Leibessubstanz  man  nicht  selten  schwächer  lichtbrechende, 
dunkle  Körnchen  findet. 

Aus  der  ganzen  Beschreibung  geht  hervor,  dass  es  sich 
hier  entweder  um  verschiedene,  jedenfalls  aber  einander  sehr 
nahestehende  Arten  oder  aber,  was  wahrscheinlicher  ist,  um  den 
ganz  ungeahnten  Polymorphismus  ein  und  derselben  Spezies 
handelt.     Darüber  wird  uns  die  Kultur  Aufschluss  geben. 

Was  die  übrigen,  sich  schon  im  mikroskopischen  Präparate 
als  verschiedenartig  dokumentierenden  Mikroorganismen  betrifft,  so 
kann  ich  mich  darin  ganz  kurz  fassen,  denn  sie  finden  sich, 
wenn  überhaupt  im  bakterioskopischen  Bilde  des  normalen 
Frauenmilchstuhles,  so  selten  und  spärlich  vor,  dass  sie  nach 
Übereinstimmung  sämtlicher  Autoren  oft  nur  mit  Mühe  auf- 
findbar   sind,    und    deshalb  —  unter    normalen  Verhältnissen  — 


^)  W&hrend  ich  die  ursprunglicheu  Präparate  vital  färbte,  fixierte 
ich  späterhin  die  zart  beschickten  Deckgläser  über  der  Flamme  and 
schloss  das  gefärbte  Präparat  ein. 


über  die  Darmbakterien  des  Säuglings.  701 

dos  einheitliche  Gesamtbild  niemals  störend  zu  beeinflussen  ver- 
mögen. Davon  sind  in  erster  Linie  zu  erwähnen  ovale  gram- 
negative, einzelne  oder  in  kleinen  Gruppen  gelagerte  Eurz- 
stubchen  der  üoligruppe  oder  zumeist  in  Diplokokkenform  an- 
wesende vereinzelte  Kokken,  die  nach  Tissier  mit  dem  Strepto- 
coccus Hirsch-Libmann  identisch  sein  sollen.  Das  Auftreten 
wie  immer  gearteter  Sporen  konnte  ich  im  normalen  Frauenmilch- 
stuhle niemals  sehen. 

Ich  musste  bei  der  Beschreibung  des  Nativpräparates 
längere  Zeit  verweilen,  weil  nur  die  exakte  Kenntnis  dieser  Ver- 
hältnisse eine  richtige  Verwertung  der  Kulturergebnisse  er- 
möglicht und  weil  ieh  mich  späterhin  auf  die  bereits  ge- 
schilderten Details  des  öfteren  berufen  muss. 

Über  ein  eigenartiges  und  gesetzmässiges  Verhalten 
der  normalen  Bakterienflora. 

Während  schon  die  absolute  Einheitlichkeit  der  Stuhlflora 
bei  Brustkindern  allein  genug  Anregung  zu  ihrer  genaueren  Er- 
forschung gibt,  geschieht  dies  in  um  so  höherem  Grade  erst 
dann,  wenn  wir  die  Umstände  kennen,  welche  eine  Änderung  im 
Florenbilde  hervorrufen.  Je  eingehender  man  sich  mit  dem 
Studium  der  obwaltenden  Verhältnisse  befasst,  desto  näher  und 
greifbarer  rückt  an  uns  die  Vorstellung  heran,  dass  es  sich  hier 
nicht  um  gleichgültige,  sondern  um  physiologisch  wichtige  Fragen 
handeln  dürfte,  die  allerdings  zu  ihrer  Beantwortung  noch  einen 
grossen  Aufwand  von  Mühe  und  Arbeit  erheischen. 

Die  Bakterienflora  des  Frauenmilchstuhles  ist  eine  einheit- 
liche, aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nur  von  ein  und  derselben 
Bakterienart  gebildete.  Daran  ändert  sich,  solange  das  Kind  an 
der  Brust  trinkt  und  darmgesund  ist,  so  gut  wie  garnichts.  Die 
Flora  ist  demnach  konstant  und  im  wesentlichen  nur  von  der 
Art  der  Ernährung  und  von  jeweiligen  Krankheitszuständen  des 
Darmes  abhängig. 

Über  die  Art  und  Weise  ihres  Zustandekommens  werden 
wir  später  sprechen,  wenn  wir  uns  mit  der  Einwanderung  von 
Mikroorganismen  in  den  Darm  des  Neugeborenen  beschäftigen 
werden.  Vorläufig  sei  nur  mit  Nachdruck  hervorgehoben,  dass 
die  beschriebene  Flora  mit  den  ersten  Frauenmilchstühlen  er- 
scheint, um  erst  mit  den  letzten  Frauenmilchstühlen,  also  nach 
Einleitung  der  künstlichen  Ernährung  mit  Kuhmilch,  zu  schwinden. 


702  Moro,  Morphologische  nod  biologische  ÜDlersnchaDgeii 

Sie  ist  demnach  etwas  dem  Darme  resp.  Stahle  des  normalen 
Brustkindes  Eigentumliches  und  Spezifisches,  und  wir  haben  schon 
im  Hinblick  darauf  das  Kecht,  von  einer  „physiologischen 
Stuhlflora"  —  im  engeren  Sinne  des  Wortes  —  zu  sprechen. 
Diese  Behauptung  wird  späterhin  gelegentlich  noch  vielfach 
erhärtet   werden. 

Das  Erscheinen  dieser  Flora  koinzidiert  somit  mit  der 
natürlichen  Ernährung  ihres  Wirtes. 

Wird  der  Neugeborene  von  Beginn  an  mit  Kuhmilch  oder 
anderweitig  künstlich  ernährt,  so  kommt  in  seinem  .Darme  nie- 
mals die  physiologische  Flora  zustande.  Wir  sehen  in  den  Stuhl- 
präparaten das  bekannte  Bild  der  gemischten  Euhmilchstuhlflora, 
das  sich  im  Gegensatz  zu  dem  eingangs  geschilderten  durch  eine 
Vielgestaltigkeit  der  Flora  und  das  Überwiegen  gramnegativer 
Arten  auszeichnet. 

Wird  jedoch  einem  künstlich  ernährten  Säugling  —  obgleich 
in  vorgerückterer  Altersperiode  —  aus  irgend  einem  Grunde 
Frauenmilch,  sei  es  an  der  Brust  oder  aus  der  Flasche  gereicht, 
so  erscheint  in  seinem  Stuhle  schon  am  zweiten  oder  dritten 
Tage  mit  absoluter  Sicherheit  die  physiologische  Flora. 

Ebenso  rasch  und  prompt  wie  ihr  Auftreten  erfolgt  auch 
ihr  endgültiges  Schwinden  aus  dem  Stuhlbilde  bald  nachdem  die 
künstliche  Ernährung  eingeleitet  wurde. 

Diese  Verhältnisse  scheinen  nicht  nur  für  den  Säugling, 
sondern  auch  in  beschränkterem  Maasse  für  den  Erwachsenen 
Geltung  zu  haben.  In  dem  von  Schlossmann  und  mir  an- 
gestellten Versuche  über  die  Ernährung  des  Erwachsenen  mit 
Frauenmilch  fiel  es  uns  nämlich,  ohne  darauf  ein  besonderes 
Augenmerk  zu  richten,  auf,  dass  in  den  normalen  Menschen- 
milchstühlen  der  Versuchsperson  die  gramisch  farbbaren  Arten 
in  auffallender  Weise  überwogen  und  dass  laut  Notiz  auch  das 
Auftreten  grampositiver  geschwungener  Fäden  und  vieler  „ge- 
fleckter" Bazillen  konstatiert  werden  konnte. 

Das  Bild  beim  „Allaitement  mixte"  hängt  in  erster  Linie 
von  den  Mengenverhältnissen  der  bei  gefütterten  Nahrung  ab. 
Allein  wir  beobachten  schon  bei  Zufütterung  geringer  Kuhmilch- 
mengen, dass  die  physiologische  Flora  an  ihrer  ursprünglichen 
Einheitlichkeit  Einbusse  erleidet  und  viele  Individuen  zur 
Bildung  von  Involutionsformen  hinneigen. 

Von  der  Stichhaltigkeit  der  Behauptung  Rodellas,  dass 
die  Stuhlflora    der  Säuglinge   von  der  Beschaffenheit  des  Stuhles 


aber  die  Darmbakterien  des  Sänglings.  703 

im  höheren  Grade  abhängig  sei,  als  von  der  Art  der  Ernährung 
(vgl.  S.  9),  konnte  ich  mich  niemals  überzeugen.  Das  Floren- 
bild bleibt  ein  gleiches,  ob  wir  es  nun  mit  einem  normalen  oder 
aber  dyspeptischen  Stuhl  zu  tun  haben,  ob  wir  die  gutverdauten 
homogenen  Partien,  die  knolligen  Fettsäurereste  oder  die  flüssigen 
Anteile  der  Stühle  zum  Ausstrich  verwenden.  Eine  Ausnahme 
hiervon  bildet  nur  die  Bakterioskopie  der  Schleimpartikel,  falls 
dieselben  im  Stuhle  wesentlich  vermehrt  sind.  Es  ergibt  sich 
dabei  das  gehäufte  Auftreten  von  Golibakterien  und  intestinaler 
Kokken.  Das  Zustandekommen  dieser  Vegetation  gehört  bereits 
in  das  Gebiet  pathologischer  Erscheinungen  und  ist  eben  dadurch 
zu  erklären,  dass  sich  diese  normalen  Bewohner  höherer  Darm- 
partien bei  lebhafter  Schleimsekretion  vermehren  und  mit  der 
gesteigerten  Peristaltik  im  Stuhle  erscheinen.  Die  Richtigkeit 
dieser  Annahme  wird  dadurch  bekräftigt,  dass  es  auch  auf 
experimentellem  Wege  nach  Verabreichung  grösserer  Galomeldosen 
gelingt,  ein  derartiges  Verhalten  hervorzurufen  (Verfasser,  Tissier). 

Das  Verhalten  der  Stuhlflora  in  pathologischen  Fällen  ge- 
hört nicht  mehr  in  den  Bereich  unserer  jetzigen  Betrachtungen. 
Ich  will  nur  erwähnen,  dass  auch  dabei  gewisse  Gesetzmässig- 
keiten stattfinden,  indem  bei  bakteriellen  Darminfekten  noch  vor 
dem  Abklingen  der  intestinalen  Symptome  sich  die  physiologische 
Flora  in  ihrer  ursprünglichen  Form  wiederum  einstellt. 

Von  besonderem  biologischen  Interesse  ist  das  vorläufige 
Ergebnis  einiger  Vorversuche  an  Tieren  (Hund  und  Eatze),  deren 
Weiterfuhrung  in  der  geeigneten  Jahreszeit  ich  mir  vorbehalte. 
Die  bakteriologische  Untersuchung  der  Stühle  der  jungen  Tiere 
während  ihrer  Säugungsperiode  zeigte  nämlich  ein  von  dem  Ver- 
halten der  normalen  menschlichen  Stuhlflora  vielfach  verschiedenes 
und  abweichendes  Bild.  Es  liegt  demnach  der  Schluss  nahe, 
dass  es  sich  beim  menschlichen  Säugling  um  spezifische  Ver- 
hältnisse handelt. 

Die  Ergebnisse  der  Kultur 

hängen  ganz  von  der  angewandten  Methode  ab.  Sie  sind  so  viel- 
fältig und  divergent,  dass  sie  anfänglich  leicht  eine  Verwirrung 
hervorrufen  können,  und  das  ist  wohl  der  Hauptgrund,  warum 
das  so  einheitliche  mikroskopische  Bild  bereits  einer  so  ver- 
schiedenartigen Deutung  begegnete. 

Uberimpft  man  von  einem  normalen  Brustmilchstuhle  in 
der    gewöhnlichen  Weise  auf  Agar,    Gelatine    oder    Bouillon,    so 

Jahrbach  Ittr  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    5.  46 


704  Moro,  Morphologische  and  biologische  Untersach  an  gen 

«rhält  man  ^ohl  immer  ein  und  dasselbe  Resultat:  Bacterium 
<;oii  commune  in  Reinkultur  oder  aber  häufiger  in  Gesellschaft 
intestinaler  Diplokokken,  welche  jedoch  leicht  bei  Fortführung 
der  Impfung  eliminiert  werden  können. 

Überimpfen  wir  vom  Brustmilchstuhle  auf  Milch  in  ver- 
schiedenen Verdünnungen,  so  gelingt  es  uns  daraus  in  den 
meisten  Fällen  leicht,  nebst  dem  B.  coli  noch  einen  zweiten  ihm 
morphologisch  sehr  nahestehenden  Bazillus  zu  isolieren :  das 
Bacterium  lactis  u^rogenes. 

Uberimpft  man  von  einem  normalen  Brustmilchstuhl  auf 
saure  Nährböden  (saure  Bierwurzebouillon,  essigsaure  Bouillon), 
so  ist  uns  dadurch  ein  Mittel  in  die  Hand  gegeben,  das 
Wachstum  der  obligaten  Colibakterien  wesentlich  einzu- 
schränken oder  aber  in  stärkerer  Konzentration  (5  pCt.)  TöUig 
hintanzuhalten,  und  wir  gewinnen  eine  neue  Bakteriengruppe,  die 
säureliebenden  Bazillen,  als  deren  Repräsentanten  ich  den 
B.  acidophilus  des  Frauenmilchstuhles  hingestellt  habe.  Sehr 
häufig  findet  sich  auf  diesen  Nährböden  in  Gesellschaft  des 
Acidophilus  der  Soorpilz  oder  andere  Hefen. 

Dies  sind,  oberflächlich  betrachtet,  die  wichtigsten  Ergebnisse 
-der  aeroben  Züchtung,  da  dieselben  konstante  Befunde  darstellen. 

Ganz  anders  verhalten  sich  die  Ergebnisse  der  an  aeroben 
'Zuchtungsmethoden,  die  eine  ausserordentlich  reiche  und  un- 
gewöhnlich reiche  Ausbeute  gestatten.  Die  Notwendigkeit  der 
anaSroben  Kultur  in  der  bakteriologischen  Untersuchung  der 
ääuglingsstuhie  wurde  insbesondere  von  Tissier  und  Rodella 
nachdrucklich  betont,  und  es  war  deren  Anwendung  auf  diesem 
Gebiete  sowohl  bei  diesen  beiden  Forschem,  als  auch  bei  Passini 
von  grossem  Erfolg  begleitet.  Auf  diesem  Wege  gelang  es 
Tissier  und  Rodella,  neue  und  interessante  Arten  aufzudecken, 
während  Passini  das  konstante  Vorkommen  der  Buttersäure- 
bazillen im  normalen  Säuglingsstuhle  konstatieren  konnte. 

Man  bediente  sich  dabei  allgemein  der  Züchtung  in  „hoher 
Schicht'',  die  auch  bei  diesen  Untersuchungen  fast  ausschliesslich 
angewendet  wurde.  Die  Methode  ist  sehr  verlässlich  und  im 
Prinzip  ausserordentlich  leicht  auszuführen. 

Trotzdem  muss  ich  gestehen,  dass  ich  damit  anfanglich 
zahlreiche  Misserfolge  zu  verzeichnen  hatte.  Eine  der  Haupt- 
schwierigkeiten liegt  darin,  dass  oft  die  Anwesenheit  von  Coli- 
bakterien oder  Diplokokken  eine  Weiterentwicklung  der  ver- 
impften Anaeroben    vollständig    verhindert.     Im    besonderen    gilt 


über  die  Oarmbakterien  des  Sftaglings.  705 

HÜes  fGr  die  Kultur  auf  Zackeragar,  ein  sowohl  den  Colibakterien, 
als  auch  den  Diplokokken  besonders  zusagender  Nährboden, 
welcher  vom  B.  coli  energisch  vergoren  und  zerrissen  wird. 
Und  gerade  die  Anwesenheit  von  Zucker  ist  em  für  das  Wachs- 
tum gewisser  Ana€robien  unumgänglicher  Faktor.  Meine  Er- 
fahrung geht  dahin,  dass  jene  Kulturen,  wobei  es,  obgleich  nur 
zur  stellenweisen  Entwicklung  von  Colikolonien  kommt,  nicht 
mehr  verwei-tbar  sind,  da  durch  die  infolge  der  Gasbildung  ein- 
tretende Zerreissung  der  Agarsäule  die  Colibakterien  auf  weite 
Strecken  hin  versprengt  werden,  was  sich  auch  in  einer  leichten 
Trübung  und  im  charakteristischen  Geruch  solcher  Kulturen 
kundgibt.  Derartige  störende  Verunreinigungen  können  sich 
auch  auf  den  letzten  Verdünnungen  einstellen. 

Ein  weiterer  Übelstand  ist  in  dem  ausserordentlich  häufigen 
Auftreten  von  Mischkolonien  zu  suchen,  wobei  insbesondere  streng 
anaörobe  mit  fakultativ  anaöroben  Arten  vereint  sind.  Dieser 
Umstand  bringt  es  mit  sich,  dass  bei  der  weiteren  Überimpfung 
einer  derartigen  Kolonie  der  fakultative  Ana€robier  infolge  seiner 
grösseren  Lebensfähigkeit  auf  künstlichen  Nährböden  weiterhin 
allein  zur  Entwickelung  gelangt,  während  die  streng  anaerobe 
Art  vollständig  verloren  geht.  Auf  diese  Schwierigkeit  hat 
bereits  Cahn  aufmerksam  gemacht,  der  sich  sogar  zu  der  Be- 
hauptung hinreissen  Hess,  dass  die  anscheinend  reinen  Kolonien 
immer  Mischkolonien  seien.  Diese  Neigung  zur  Bildung  von 
Mischkolonien  fasst  Cahn  als  Symbiose  auf.  Obgleich  diese 
Auffassung  keineswegs  von  der  Hand  zu  weisen  ist,  sO'  scheint 
es  sich  doch  in  erster  Linie  um  Mängel  der  Technik  zu  handeln, 
da  man  bei  einer  besseren  Verteilung  der  Originalsubstanz  diese 
Schwierigkeit  grösstenteils  umgehen  kann. 

Es  ist  demnach  geboten,  für  vorliegenden  Zweck  bei  der 
Anlegung  von  Schüttelkulturen  in  „hoher  Schicht**  und  bei  der 
weiteren  Überimpfung  der  gewachsenen  Kolonien  folgende  Momente 
zu  berücksichtigen  : 

1.  ist  es  unbedingt  notwendig,  nur  ganz  frisch  entleerte 
Stühle  zur  Züchtung  anaörober  Arten  zu  verwenden.  Mit  dem 
von  der  Windel  entnommenen  Material  hat  man  sehr  oft  Miss- 
erfolge, da  die  sauerstoffempfindlichen  ana€roben  Keime  durch 
den  Zutritt  von  Luft  so  alteriert  werden  können,  dass  sie  nicht 
mehr  entwickelungsfähig  sind.  Betrachtet  man  einen  derartigen 
Stuhl  im  hängenden  Tropfen,  so  kann  man  sich  angesichts  der 
absoluten  Immobilität  der  Bakterien   davon   überzeugen,  dass   es 

46* 


706  Moro,  Morphologische  und  biologische  UntersachoDgen 

sich    hier    um    ein    grösstenteils    abgestorbenes  Material  handelt. 
Eine  besondere  Methode  der  Kotentnahme  ist  überflüssig. 

2.  ist  es  zu  empfehlen,  die  Züchtung  nur  in  grossen 
Eprouvetten  vorzunehmen  (Kubikinhalt  100  g).  Dadurch  erzielt 
man  eine  gute  Verteilung  des  verimpften  Materials  und  vermeidet 
die  Bildung  von  Mischkolonien. 

3.  Die  Verteilung  soll  nicht  in  der  Weise  erfolgen,  dass 
man  den  verflüssigten  Nährboden  schüttelt,  sondern  soll  vielmehr 
durch  das  rasche  Schwenken  einer  dicken,  zirka  20  cm  langen 
Platinöse  bewerkstelligt  werden,  deren  Ende  sich  vorzugsweise 
in  den  tiefsten  Partien  der  Agarschicht  zu  bewegen  hat. 

4.  Zur  Vermeidung  oberflächlicher  Rasenbildungen,  obligater 
Aerobier,  ist  es  angezeigt,  den  erstarrten  Nährboden  überdies 
noch  mit  flüssigem  Agar  oder  sterilem  Olivenöl  zu  überschichten. 

5.  Die  beschickten  Nährböden  haben  mehrere  Tage  (4  bis 
6  Tage)  im  Thermostaten  zu  verweilen,  weil  eine  grössere  Anzahl 
der  AnaSroben  zuweilen  erst  nach  Ablauf  dieser  Frist  zu  wachsen 
beginnend) 

Als  Nährboden  wurde  entweder  gewöhnliches  Agar  oder 
Zuckeragar  (2  pCt.  mit  einem  Zusatz  von  0,6  pCt.  ameisensauren 
Natrons)  verwendet. 

Verfahren  wir  in  der  geschilderten  Weise,  so  sehen  wir 
das  Zuckeragar  oft  tagelang  ganz  unverändert.  In  typischen 
Fällen  gewahren  wir  erst  am  dritten  Tage  oder  später  eine  auf- 
fallend zahlreiche  Entwicklung  winziger,  weisslicher  Kolonien 
zumeist  in  der  Tiefe  des  Zuckeragar,  wobei,  wie  bereits  Ti ssier 
hervorgehoben  hat,  die  oberste  Agarschicht  frei  bleibt,  sodass 
eine  fingerbreite,  oberflächliche  freie  Zone  zustande  kommt.  Die 
Kolonien  sind  immer  glattrandig,  linsenförmig  und  bieten  sonst 
nicht  Charakteristisches  dar,  als  dass  sie  nach  einigen  Tagen 
scheibenförmig  durcheinanderwachsen  und  sich  am  Objektträger 
nicht  leicht  verschmieren  lassen. 


')  Die  EDtnahme  der  za  untersnch enden  Kolonien  geschieht  am  besten 
in  der  Weise,  dass  man  mit  einer  gebogenen,  festen  Plattenschanfel  anter 
drehenden  Bewegungen  sich  immer  wieder  ein  neues  Stück  der  Agars&ure 
herausholt,  das  man  weiterhin  in  der  Petrischale  in  kleinere  Plättchen 
zerteilen  kann.  Die  Kolonien  können  dann  einzeln  herausgehoben  und 
behufs  orientierender  Untersuchung  auf  dem  Objektträger  unter  dem  Mikro- 
skope betrachtet  und  weiter  verarbeitet  werden. 

Die  isolierten  Kolonien  wurden  entweder  auf  gleiche  Weise  weiter- 
behandelt, oder  aber  behufs  Beobachtung  ihres  Wachstums  in  Stich  und 
Strich  sowie  auf  anderen  Nährböden  im  Bnchnerrohre  fortgezüchtet. 


über  die  Darmbakterien  des  Säuglings.  707 

Betrachten  vfir  das  Aasstrichpräparat  unter  dem  Mikro- 
skope, so  erhalten  wir  bei  der  Durchsicht  verschiedener  Kolonien 
verschiedene  Bilder.  Manchmal  sind  die  Bazillen,  welche  durch- 
wegs grampositiv  sind,  gut,  manchmal  nur  stellenweise  gefärbt, 
and  entsprechen  in  ihrer  Gestaltung  vollkommen  dem  von  uns  bei 
der  Beschreibung  der  einfachen  Form  (S.  695)  gegebenen  Bilde. 
Andere  Kolonien  hinwiederum  sehen  wir  aus  grossen  gigantischen 
Formen  zusammengesetzt,  die  an  ihren  Enden  keulenförmige  Auf- 
treibungen tragen  und  hie  und  da  einfach  verzweigt  erscheinen 
(Taf.  IX,  Fig.  6).  Endlich  finden  wir  in  anderen  Kolonien  durch- 
wegs vielfach  verzweigte  und  mit  mächtigen  Gabelungen  ver- 
sehene Formen.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  es  sich 
dabei  um  ein  und  dieselbe  Bakterienart  handelt,  da  wir  durch 
Uberimpfung  wenn  auch  nicht  immer  die  einfache  Form  in 
<lie  verzweigte  Form  überzuführen  imstande  sind. 

Wir  haben  einen  äusserst  polymorphen,  streng  anaSroben 
Bazillus  vor  uns,  der  sich  unschwer  mit  dem  von  Ti ssier  be- 
schriebenen B.  bifidus  communis  identifizieren  lässt. 

Ausserdem  finden  wir  in  den  Kulturen  stets  noch  andere 
Kolonien  vor.  Einige  davon  haben  auf  den  ersten  Anblick  eine 
grosse  Ähnlichkeit  mit  den  soeben  geschilderten,  nur  besitzen 
sie  anstatt  des  völlig  glatten  einen  gezahnten  Rand,  der  sich  mit 
dem  Alter  der  Kultur  dendritisch  verästeln  kann.  Diese  Kolonien 
bekunden  sich  im  Ausstrichpräparate  als  Mischkolonien  des  B. 
bifidus  communis  mit  dem  B.  acidophilus.  Beider  Weiterver- 
impfung  derartiger  Kolonien  wächst  regelmässig  der  Acidophilus 
allein  (Gähn).  Reine  Acidophilus- Kolonien  traf  ich  auf 
anagrobem  Zuckeragar  nur  selten  an. 

Andere  winzige  glattrandige  Kolonien  bildet  der  B.  exilis 
Tissier,  der  auch  oft  mit  dem  Acidophilus  vergesellschaftet  ist. 

Kolonien,  die  sich  ebenfalls  fast  konstant  vorfinden,  jedoch 
schon  durch  das  blosse  Ansehen  sich  von  den  Erstgenannten 
unterscheiden,  sind  die  grossen,  üppig  wachsenden  Kolonien  des 
weissen  Staphylococcus.  Manchmal  überziehen  sie  die  Agar- 
obeifiäche  mit  einem  saftigen  Rasen.  Allein  auch  andere,  den 
Streptokokken  zuzurechnende  kleinere  Kolonien,  die  zumeist 
n  den  tieferen  Schichten  des  Zuckeragar  gedeihen,  sind  nicht 
selten.     Hie   und  da  fanden  wir  sie  vermischt  mit  dem  Bifidus. 

Häufig  finden  wir  die  Agaroberfiäche  auf  den  ersten  Ver- 
dünnungen von  einer  weisslich  matten  dichtgefalteten  Haut  über- 


708  Moro,  Morphologische  and  biologische  Untersachnngen 

zogen,  die  sich  bei  der  näheren  Untersuchung  als  dem  B. 
mesentericus  vulgatus  Flügge  zugehörig  erweist. 

Alle  diese  Bakterienarten  erscheinen,  falls  sie  im  Einzelfalle 
vorhanden  sind,  schon  weit  vor  dem  Wachstum  der  ersten  anae- 
loben  Bifiduskolonien,    die    uns    hier   am  meisten  interessieren. 

Eine  weitere,  sehr  zweckmässige  Modifikation  in  der  An- 
legung anaerober  Kulturen  der  Darmbakterien  besteht  darin, 
dass  man  das  zu  untersuchende  Material  vorher  auf  80^  C.  durch 
20  Minuten  erhitzt]  und  in  heisses  Agar  überimpit.  Diese 
Methode  durfte  besonders  bei  der  Untersuchung  der  sporenreicfaen 
Stuhle  Erwachsener  angezeigt  sein,  jedoch  leistete  sie  auch  in 
unserem  Falle  grosse  Dienste  und  wurde  schon  vorher  von 
Spiegelberg  und  Rodella  bei  der  Züchtung  sporentragender 
Bakterien  und  der  Ana^roben  des  Säuglingsstuhles  mit  Erfolg 
angewendet.  Dieses  Verfahren  ist  ein  elektives,  indem  auf  diese 
Weise  nur  sporenbildende  und  hitzebeständige  Keime  am  Leben 
bleiben  und  sich  weiter  entwickeln  können.  Es  erschliesst  uns 
somit  wiederum  ein  neues  Gebiet  anaSrober  Arten,  und  ihr  reich- 
haltiges Ergebnis  beweist,  dass  eine  grosse  Anzahl  der  Kot- 
bakterien gegen  Hitze  sehr  widerstandsfähig  ist. 

Dabei  kam  stets  gewöhnliches  zuckerfreies  Agar  zur  An- 
wendung. 

Besonders  auffallend  ist  das  Erscheinen  kleiner,  gegen  die 
Umgebung  schlecht  abgegrenzter,  in  der  Folge  wattebauschartiger 
Kolonien,  die  in  ihrer  Umgebung  massige  Gasbildung  verursachen. 
Zuweilen  erscheint  der  Nährboden  infolgedessen  stellenweise  auf- 
gelockert und  zerrissen  und  das  ausgepresste  Kondenswasser 
stark  getrübt.  Das  Ausstrichpräparat  einer  derartigen  Kolonie 
zeigt  das  Vorhandensein  grampositiver  Stäbchen,  die  zumeist  nxxt 
stellenweise  gefärbt  sind  und  an  dem  einen  Ende  zuweilen  ein 
Köpfchen  tragen  (Taf.  X,  Fig.  8).  In  älteren  Kulturen  sehen 
wir,  dass  sich  der  Inhalt  dieses  Köpfchens  nicht  mehr  färben 
lässt,  sondern  nur  mehr  zartkonturiert  erscheint  (Taf.  X,  Fig.  7). 
Wir  haben  es  also  mit  einer  echte  Sporen  bildenden  Bakterien- 
art zu  tun,  die  mit  den  zuerst  von  Escherich  als  für  das 
Mekonium  charakteristisch  beschriebenen  und  in  jüngster  Zeit 
von  Rodella  aus  dem  Milchstuhl  gezüchteten  Köpfchen- 
bakterien  identisch  ist. 

Ein  weiterer,  nahezu  konstanter  Befund  in  derartigen  Kulturen 
sind  diffuse,  flockige  Kolonien  von  unregelmässigem  und  rund- 
lichem   Bau    und    verdichtetem    Zentrum,    welche    besonders    in 


aber  die  DarmbakterieD  des  SAaglinga.  709 

älteren  Ealturen  intensiTe  Gasbildung  verursachen.  EröiSnet  man 
eine  derartige  Kolonie,  deren  Ausbreitung  zuweilen  den  ganzen 
Querschnitt  der  Agarsäale  einnimmt,  so  bemerkt  man  einen 
sehr  penetranten  Geruch,  welcher  lebhaft  an  Skatol  erinnert. 
Das  Ausstrichpräparat  davon  zeigt  das  Vorhandensein  langer, 
meist  geradegestreckter,  häufig  verfilzter,  grampositiver  Fäden, 
die  zumeist  in  lebhafter  endogener  Yersporung  begriffen  sind. 
Einen  derartigen  Bazillus  hat  auch  Bodella  aus  dem  Milchstuhl 
gezüchtet,  jedoch  war  es  ihm  nicht  möglich,  diese  Species  mit 
schon  bekannten  zu  identifizieren.  Wahrscheinlich  handelt  es 
sich  um  einen  fäulniserregenden  Buttersäurebazillus. 

Sehr  häufig  trifft  man  in  diesen  Kulturen  den  Mesentericus 
und  den  unbeweglichen  Buttersäurebazillus  (Grassberger 
und  Schattenfroh)  an,  und  in  den  oberflächlichsten  Schichten, 
zuweilen  an  der  Oberfläche  selbst,  üppige  Kolonien  des  Acti- 
nomyces  chromogenes  Gasperini.  Letztere  Bakterienart 
wurde  bereits  von  Gähn  einmal  aus  dem  Bruststuhl  gezüchtet, 
genauer  beschrieben,  irrtümlicherweise  für  eine  neue  Art  gehalten 
und  mit  dem  Namen  B.  aärobius  ramificatus  belegt. 

Auch  Rodella  hat  den  Aktinomyces  der  normalen  Säug- 
lingsstühle unrichtig  gedeutet,  indem  er  auf  der  seiner  Abhandlung 
über  die  sogen,  säureliebenden  Bazillen  des  Säuglingsstuhles 
(Gentralbl.f.Bakt.,Bd.29, 1901)  beigeschlossenen  Tafel  einen  typischen 
vielfach  verzweigten  und  in  Fragmentationsversporung  begriffenen 
Aktinomyces  abbildet  und  für  echte  Verzweigungen  des  Aci- 
dophilus  ausgibt. 

Ein  besonderes  Ergebniss  fördert  die  anaSrobe  Züchtung 
auf  dem  Wege  gewisser  Anreicherungs-Methoden  zutage. 

Die  erste  Methode  (Botkinsche  Anreicherungs-Methode) 
besteht  darin,  dass  man  in  grossen,  mit  Patentverschluss  ver- 
sehenen, somit  luftdicht  verschli essbaren  Flaschen  Milch  sterilisiert 
und  vor  der  Beschickung  dieselben  nochmals  durch  20  Minuten 
auf  80®  C.  erwärmt.  Hiernach  wird  rasch  geöffnet  und  nach 
Durchbohrung  der  dicken  Rahmschichte  in  die  Tiefe  der  Milch 
eine  grössere  Menge  frischen  oder  pasteurisierten  Brustmilch- 
stuhles eingetragen.  Die  feste  Fettschichte  und  der  luftdichte 
Yerschluss  garantieren  eine  strenge  Anaerobiose.  In  jedem  Falle 
entsteht  in  der  Milch  nach  24  Stunden  im  Brutschrank  eine 
ungewöhnlich  stürmische  Gärung.  Das  geronnene  Kasein  hat 
sich  am  Boden  des  Gefasses  angesammelt,  und  das  klare  Serum 
ist   von    zahllosen    Gasbläschen    durchsetzt.      Eröffnet    man    am 


710  Moro,  Morphologische  and  biologische  Untersuchangen 

nächsten  Tage  die  Milchflasche,  so  spritzt  der  Fettpfropfen  zu- 
meist im  Bogen  heraus  und  die  geronnene  Milch  verbreitet  einen 
angenehmen  aromatischen  Buttersäuregeruch. 

Untersuchen  wir  den  Inhalt  im  Ausstriche,  so  ergibt  sich 
ein  sehr  einheitliches  Bild  in  der  Form  zahlreicher  plumper, 
zumeist  zylindrisch  geformter  grampositiver  Stäbchen,  die  im 
Nativpräparate  unbeweglich  sind.  Die  Bestimmung  lässt  die 
Identität    mit    dem    unbeweglichen  Buttersäurebazillus  zu. 

Die  zweite  Methode  geht  dahin,  anaSrobe  Fäulniserreger, 
die  auf  zuckerhaltigen  Nährböden  nicht  zur  Entwicklung  gelangen, 
auf  Eiweisnährböden  zu  züchten.  Zu  diesem  Zwecke  wird  in 
grösseren  Eprouvetten  Eiklar  (im  gespannten  Dampf  bei  150^  C.) 
sterilisiert,  und  diese  bräunliche  Masse  in  zuckerfreier  Bouillon 
aufgeweicht.  Die  Eiweissnährböden  weiden  wie  oben  vor  dem 
Yerimpfen  nochmals  erhitzt,  reichlich  mit  pasteurisiertem  Brust- 
milchstuhl beschickt  und  im  Buchnerrohr  gehalten.  Auf  diese 
Weise  gelingt  es  oft,  aus  dem  Brustmilchstuhl  den  B.  putrificus 
coli  Bienstock  zu  gewinnen.     (Passini.) 

Überblicken  wir  nochmals  rasch  die  Ergebnisse  der  Kultur, 
so  fällt  es  vor  allem  auf,  dass  die  Züchtung  auf  künstlichen 
Nährböden  eine  grössere  Anzahl  von  Bazillenarten  aufdeckt,  als 
dies  mit  Kucksicht  auf  die  Einheitlichkeit  des  bakterioskopischen 
Stuhlbildes  zu  erwarten  gewesen  wäre.  Dies  ist  nur  ein  Beweis 
für  die  grössere  Empfindlichkeit  der  Kultur,  und  ich  bin  mir 
auch  dessen  wohl  bewusst,  dass  trotzdem  damit  noch  nicht  die  Ge- 
samtheit jener  Bakterienarten  erschöpft  ist,  die  unter  normalen 
Verbältnissen    den    Darm    des    gesunden   Brustkindes    bewohnen. 

Allein  uns  interessiert  nunmehr  vor  allem  die  eingangs 
gestellte  Frage,  welche  von  den  gefundenen  Bakterienarten  das 
charakteristische  Bild  der  „physiologischen  Stuhlflora''   ausmacht? 

Diese  Frage  können  wir  jetzt  mit  Bestimmtheit  in  Über- 
einstimmung mit  Tissier  dahin  beantworten,  dass  ohne 
Zweifel  die  Masse  der  Bazillen  des  normalen  Brust- 
milchstuhles mit  dem  B.  bifidus  communis  Tissier 
identisch  ist. 

Gestützt  wird  diese  Behauptung  von  der  Tatsache,  dass 
der  B.  bifidus  communis  morphologisch  mit  den  gramisch 
färbbaren  Bazillen  des  Brustmilchstuhles  in  allen  Einzelheiten 
vollkommen  übereinstimmt  und  dass  die  Kolonien  des  B.  bifidus 
in    anaörobem  Zuckeragar    in    überaus  reichlicher  Zahl    wachsen. 


über  die  Darmbakterien  des  Säaglings.  711 

in  einer  Menge,  die  allen  andersartigen  Kolonien  weit  überlegen 
ist.  Wir  finden  in  den  Bifiduskulturen  die  einfache  Form,  ge- 
fleckte Individuen,  köpfchen  tragen  de  Formen  und  typische  Ver- 
zweigungen, alles  Erscheinungen,  die  wir  bereits  bei  der  Besprechung 
des  bakterioskopischen  Stuhlbildes  hervorgehoben  haben.  Aller- 
dings sind  diese  Formen  in  den  Kulturen  zuweilen  so  vielgestaltig 
und  verzerrt,  dass  ihre  Zusammengehörigkeit  und  Einheitlichkeit 
nur  mehr  mit  Mühe  zu  erkennen  ist. 

Einen  hinreichenden  Beweis  dafür,  wie  schwierig  eine  Voll- 
ständigkeit in  der  Kultivierung  der  normalen  Darmbakterien  zu 
erreichen  ist,  liefern  gerade  die  jüngsten  Arbeiten  von  Tissier 
und  Rodella.  Tissier,  der  bestrebt  war,  ein  erschöpfendes 
Bild  der  normalen  Stuhlflora  bei  Säuglingen  zu  geben,  der  eine 
grössere  Anzahl  neuer  Arten  beschreibt  und  sich  mit  Vorliebe 
der  anaSroben  Züchtungsmethode  bediente,  erwähnt  mit  keiner 
Silbe  der  Buttersäurebazillen,  die  als  eminente  Gährungs- 
erreger  im  Säuglingsdarme  sicherlich  eine  grosse  Rolle  spielen. 
Auch  fällt  es  auf,  dass  Tissier  das  Vorhandensein  des  Acido- 
philus  in  den  Stuhlgängen  von  Brustkindern  leugnet,  während 
Oahn,  Rodella  und  ich  denselben  aus  jedem  Brustmilchstuhl 
in  reichlicher  Menge  zu  isolieren  imstande  waren.  Rodella 
hinwiederum,  der  sich  lediglich  mit  dem  Studium  der  Anaäroben 
des  Säuglingsstuhles  beschäftigt  hat,  beschreibt  eine  grosse  Menge 
streng  anaerober  Bakterienarten  aus  normalen  und  pathologischen 
Fällen,  ohne  auch  nur  ein  einziges  Mal  den  häufigsten  und  auf- 
fallendsten Vertreter  derselben,  den  B.  bifidus  communis,  in 
Händen  gehabt  zn  haben. 

Aus  diesen  Kulturergebnissen  geht  hervor,  dass  als  konstante 
Bakterien  des  normalen  Brustmilchstuhles  angesehen  werden 
müssen:  der  B.  bifidus  communis  und  die  Köpfchenb akter ien, 
das  B.  coli  commune  und  das  B.  lactis  uero genes,  der 
B.  acidophilus,  der  unbewegliche  Buttersäurebazillus 
{Gasphlegmonebazillus)   und  der  intestinale  Streptococcus. 

Von  jenen  Bakterien,  welche  zwar  häufig,  aber  nur  in- 
konstant aus  normalen  Brustmilchstühlen  isoliert  werden,  seien 
genannt:  der  weisse  Staphylococcus,  intestinale  Diplo- 
kokken, der  B.  putrificus  coli,  der  bewegliche  Butter- 
säurebazillus (Amylobakter  Gruber),  der  B.  mesentericus 
vulgatus,  der  B.  exilis,  der  Aktinomyces  chromogenes, 
Sarcinen,  der  Soorpilz  und  andere  Hefen. 


712  Moro,  Morphologische  and  biologische  UntersuchuDgen 

Bacillus   bifidas  communis. 

Nachdem  wir  in  voller  Bestätigung  der  Befunde  Tissiers 
den  obigen  Bazillus  als  jene  an  der  Zusammensetzung  der  physio- 
logischen Stnhlflora  hauptsächlich  beteiligte  Bakterienart  kennen 
gelernt  hatten,  erübrigt  es  nur  noch,  sein  morphologisches  Ver- 
halten in  der  Kultur  zu  besprechen. 

Das  Wachstum  in  der  anagroben  Kultur  auf  Zuckeragar 
(hohe  Schicht)  wurde  bereits  geschildert.  Betrachten  wir  eine 
jener  winzigen  Kolonien  unter  dem  Mikroskope,  so  sehen  wir 
daran  nichts  besonders  Charakteristisches.  Ihr  Rand  ist  glatt  oder 
leicht  eingekerbt,  das  Zentrum  etwas  dunkler^).  Die  Kolonie 
hat  die  Form  eines  zarten  Schüppchens,  lässt  sich  zumeist  in 
toto  leicht  herausheben  und  nur  schwer  auf  dem  Objektträger 
verreiben.  Diese  Härte  der  Kolonie  ist  für  ältere  Kulturen 
geradezu  typisch.  Mit  dem  Alter  der  Kultur  wachsen  die 
Kolonien  ziemlich  rasch,  und  man  beobachtet  auch  solche  von 
0,5—2  mm  d.  Während  sie  anfangs  gegen  die  Umgebung  stets 
scharf  abgegrenzt  erscheinen,  können  sie  sich  in  seltenen  Fällen 
späterhin  auch  dijBTus  verbreiten.  Zuweilen  wachsen,  besonders  in 
der  Tiefe,  mehrere  linsenförmige  Kolonien  scheibenförmig  durch- 
einander, wodurch  solide  sternförmige  Gebilde  zustande  kommen. 

Die  Bazillen,  welche  diese  Kolonien  zusammensetzen,  weisen 
sehr  verschiedene  Formen  auf.  In  jungen,  Stägigen  Kulturen 
sehen  wir  sehr  häufig  Formen,  welche  mit  der  von  mir  als  ein- 
fache Form  (s.  Taf.  IX,  Fig.  1)  beschriebenen  vollkommen  über- 
einstimmen. Bald  aber  nehmen  die  Bakterien  sehr  abenteuerliche 
Gestalten  an,  von  denen  grosse  Formen  mit  kolbigen  und  kugeligen 
Auftreibungen  und  Endanschwellungen,  grosse,  einfach  und  viel- 
fach (hirschgeweihartig)  verzweigte  Formen,  sowie  Kombinationen 
der  letzteren  am  häufigsten  vertreten  sind. 

Es  ist  nicht  vollkommen  richtig,  wenn  Tissier  sagt,  dass 
die  Verzweigungen  immer  erst  in  älteren  Kulturen  auftreten;  wir 
sahen  Verzweigungen  bereits  am  3.  Tag,  während  andere  Kolonien 
in   der    gleichen  Kulturröhre    noch    das  Aussehen    der    einfachen 


1)  Hie  und  da  sehen  wir  unter  dem  Mikroskope  schappchenförmige 
Kolonien,  an  deren  Peripherie  sich  hüschelförmige,  aus  einem  zarten  Gewirr 
von  Fäden  zusammengesetzte  Auswüchse  hefinden.  Diese  Kolonien  sind 
zumeist  Mischkolonien  mit  dem  Acidophilus.  Es  können  aber  auch  ähn- 
liche Formen  künstlich  durch  Quetschung  einer  glattrandigen  Kolonie  hervor- 
gerufen werden. 


über  die  Darmbakterien  d«6  Säagiings.  7.13 

Form  darboten.  Auch  gelingt  es  bei  mehrfacher  Überimpfung 
nicht  in  jedem  Falle,  die  einfachen  und  Keulenformen  in  ver- 
zweigte überzufahren.  Es  ist  vielmehr  anzunehmen,  dass  sich 
verschiedene  Stämme  und  Rassen  derselben  Art  in  diesen  Punkten 
verschieden  verhalten.  Das  eine  steht  fest,  dass  die  Züchtung 
auf  Zuckeragar  (besonders  mit  einem  geringen  Zusatz  von 
ameisensaurem  Natron)  die  Bildung  von  Verzweigungen  einiger- 
massen  begünstigt.  Wahrscheinlich  handelt  es  sich  hier  um  ganz 
besondere  Wachstumsenergien  auf  dem  Höhepunkte  der  Vegetation, 
um  abortive  Wuchsformen;  vielleicht  sind  die  kolbigen  End- 
anschwellungen und  die  Verzweigungen  als  Hemmangsmissbildungen 
infolge  von  mangelndem  Raum  aufzufassen  (Lubarsch,  Friedrich), 
keinesfalls  aber  als  Zeichen  der  eintretenden  Involution. 

Taf.  IX,  Fig.  6  zeigt  uns  eine  Menge  charakteristischer  Formen 
ans  dem  Ausstriche  einer  jungen,  3 tägigen  Kolonie.  Es  ist  leicht, 
im  Bilde  alle  3  Formen,  die  einfache,  die  köpfchentragende  und 
die  verzweigte  Form,  wiederzuerkennen.  Wir  sehen  auf  dem  Bilde 
auch  einen  Vertreter  jener  Bazillenform,  die  Escherich  als 
„punktierte  Bazillen^  des  Brustmilchstuhles  beschrieben  hat.  Im 
besonderen  sei  auf  die  zahlreich  vorhandenen  köpfchentragenden 
Formen  hingewiesen.  Bemerkenswert  ist  die  Tatsache,  dass  sich 
in  Gesellschaft  dieser  riesigen  Wuchsformen  oft  rundliche,  intensiv 
gefärbte  Gebilde  vorfinden,  die  auf  den  ersten  Blick  wie  eine 
Verunreinigung  mit  grossen  Kokken  erscheinen.  Betrachtet  man 
jedoch  diese  kugeligen  Gebilde  näher,  so  erkennt  man  leicht,  dass 
sie  fast  durchwegs  nicht  regelmässig  geformt,  oft  bimförmig  sind. 
Die  weitere  Untersuchung  eines  derartigen  Materials  ergibt  mit 
Sicherheit,  dass  auch  diese  kokkenförmigen  Gebilde  in  den  poly- 
morphen Formenbereich  des  Bifidus  einzubeziehen  sind. 

Desgleichen  ist  zu  beobachten,  dass  manche  Rassen  ganz 
klein  bleiben  und  eine  Länge  von  2 — 3  (ii  nicht  überschreiten, 
während  andere  schon  am  3.  Tage  zu  Riesenformen  auswachsen 
und  diese  ihre  Grösse  auch  nach  mehrfacher  Überimpfung  bei- 
behalten. Tissier  beobachtete  diese  kleinen  Formen,  die  er 
„formes  naines^  nannte,  besonders  in  Mischkulturen  mit  anderen 
Bakterienai*ten  (z.  B.  mit  B.  coli  commune). 

In  Taf.  IX,  Fig.  5  sind  verzweigte,  in  Taf.  IX,  Fig.  6  köpfchen- 
tragende Zwergformen  abgebildet.  Zwischen  den  verzweigten 
sehen  wir  auch  Köpfchenformen,  während  in  Fig.  5  nur  köpfchen- 
tragende Formen,  einige  davon  mit  fragmentierten  Schwänzen, 
aber  keine  Verzweigungen  vorhanden  sind. 


714  Moro,  Morphologische  mid  biologische  üntersochoogen 

Uberimpft  man  da^on,  so  vermisseD  wir  in  der  nächsten 
Generation  regelmässig  die  Köpfchen  nnd  nehmen  narmehr  ge- 
krümmte and  gewundene  „krümelige^  Gebilde  wahr,  die  zu- 
weilen einfach  verzweigt  sind.  Diese  krümeligen  Formen  sind  in 
älteren  Eultaren  ausserordentlich  häufig.  Auch  die  Kolonien  der 
mir  von  Herrn  Dr.  K.  Tissier  aus  Paris  freundlichst  über- 
sandten 12  Tage  alten  Kulturen  wiesen  ausschliesslich  derartige 
Gebilde  auf. 

Sehr  erwähnenswert  ist  unsere  Beobachtung,  dass  diese 
krümeligen  Formen  (Originalkultur  Tissier)  mit  der  Ziehl- 
Neelsonschen  Färbemethode  behandelt,  die  rote  Farbe  zum  Teil 
gut  beibehielten.  Es  handelt  sich  demnach  um  säurefeste  Gebilde, 
die  auch  einer  10  Minuten  langen  Einwirkung  einer  ISproz. 
Salpetersäure  Widerstand  leisteten.  Wir  sahen  diese  Formen  teils 
ganz,  teils  stellenweise  rot  gefärbt.  Die  säurefesten  Partien  im 
Inneren  des  Bakterienleibes  erinnern  ihrem  Aussehen  nach  an 
Sporen,  jedoch  fehlt  ihnen  das  eigentliche  Attribut  derselben, 
nämlich  die  Hitzebeständigkeit.  Trotzdem  glauben  wir  diese 
Gebilde  als  eine  Art  von  Dauerformen  ansprechen  zu  dürfen, 
wie  solche  auch  bei  anderen  Bakterien,  insbesondere  beim  Tuberkel- 
bazillus (Coppen  Jones  U.A.),  in  dieser  Weise  beschrieben  worden 
sind.  Die  Beobachtung  der  Säurefestigkeit  älterer  Bifidus- 
exemplare  ist  auch  für  die  Einreihung  dieser  Bakterienart  in  das 
botanische  System  verwertbar. 

Eine  andere  Form,  die  wir  in  älteren  Bifiduskulturen  des 
öfteren  zu  Gesicht  bekommen,  wurde  von  Tissier  als  „formes 
vesiculeuses'  beschrieben  und  als  Degenerationserscheinung  ge- 
deutet. Sie  sind  jedoch  nach  unseren  Erfahrungen  vollkommen 
lebensföhig  und  können  mit  Leichtigkeit  fortgezüchtet  werden. 

Besonders  deutlich  zeigen  sie  sich  dann,  wenn  man  das 
Ausstrichpräparat  von  einer  älteren  derartigen  Kolonie  fixiert 
und  mit  wässeriger  Methylenblaulösung  behandelt.  Die  färb  bare 
Substanz  schwindet  fast  vollkommen,  und  es  sind  allenthalben 
nur  Aufblähungen  der  Bakterienhülle  zu  beobachten.  Fast  an 
allen  Exemplaren  sehen  wir  das  Plasma  polwärts  in  Form  einer 
dem  Bazillus  anliegenden  Kugel  austreten,  die  sich  durch  Quellung 
mächtig  vergrössern  kann.  (Taf.  X,  Fig.  12.)  Dieses  Phänomen 
wurde  von  A.  Fischer  bei  verschiedenen  Bakterienarten,  ins- 
besondere schön  beim  Diphtheriebazillus  und  beim  Yibrio  der 
Cholera  beobachtet  und  mit  dem  trefiPenden  Namen  „Plasmopty  se*' 
belegt.     Diese  Erscheinung,  deren  Zustandekommen  durch  osmo- 


über  die  Darmbakterien  des  SäugÜDge.  715 

tische  Wechselbeziehungen  zwischen  Bakteriensubstanz  und  um- 
gebendem Medium  bedingt  ist,  tritt  nur  unter  besonderen  Umständen 
auf;  zumeist  dann,  wenn  die  in  einem  salzreicheren  Medium 
gewachsenen  Bakterien  plötzlich  in  eine  salzarme  Flüssigkeit 
übergehen.  Die  unter  hohem  osmotischen  Innendruck  stehenden 
Zellen,  die  plötzlich  in  ein  Medium  von  geringerem  Aussendruck 
gebracht  werden,  platzen  unter  Ausspeiung  der  Protoplasten. 
Die  „formes  vesiculeuses^  sind  demnach  streng  genommen  nur 
Artefakte  und  haben  mit  Degenerationserscheinungen  nichts  zutun. 

Bemerkenswert  ist  die  Beobachtung,  dass  gerade  diese 
Formen  in  2  proz.  Kochsalzlösung,  unter  dem  Mikroskope  be- 
trachtet, lebhafte  Eigenbewegung  zeigten. 

Tissier  spricht  dem  Bifidus  die  Eigenbewegung  ab.  Wir 
haben  jedoch  schon  gelegentlich  der  Besprechung  des  bakterio- 
skopischen  Stuhlbildes,  in  Ubereinstinoimung  mit  Escherich 
(vgl.  S.  692),  darauf  hingewiesen,  dass  diese  Bazillen  im  frischen 
Nativpräparate  deutliche,  wenn  auch  geringe  Eigenbewegung 
zeigen.  (Hängender  Tropfen.)  Die  Bewegungen  der  Bakterien 
sind  langsam,  wälzend  oder  wackelnd;  und  auch  in  der  Kultur 
finden  wir,  solange  es  sich  um  unverzweigte  Formen  handelt, 
stets  nur  eigenbewegliche  Individuen,  bei  denen  Ortsveränderungen 
zu  konstatieren  sind. 

Allerdings  ergab  mir  bisher  der  sicherste  Beweis  der  Eigen- 
bewegung, d.  i.  der  Nachweis  von  Geissein*),  nur  negative 
Resultate.  Eine  Verwechslung  mit  Brownscher  Molekular- 
bewegung erscheint  aber  dadurch  ausgeschlossen,  dass  neben 
beweglichen  Exemplaren  im  Gesichtsfelde  auch  starre,  unbeweg- 
liche Formen  zu  sehen  sind  und  dass  die  Bewegungen  bei 
Zusatz  eines  Tropfens  von  1  ^/oo  Sublimatlösung  sofort  zum  Still- 
stand kommen. 

Der  Bifidus  gehört  zu  den  granulosebildenden  Bakterien- 
arten.    Diese  Eigenschaft    beobachteten    wir    bereits    im  Nativ- 

1)  Zar  Anwendung  gelangten  sowohl  die  Löfflersche  als  auch  die 
Hinterbergersche  Methode  mit  van  Ermengems  Beize.  Während  aus 
dem  Nachweise  der  Begeisselung  mit  Bestimmtheit  auf  vorhandene  Eigen- 
bewegnng  geschlossen  werden  kann,  darf  man  umgekehrt  aus  dem  negativen 
Ergebnis  keineswegs  den  Mangel  der  Eigenbeweglichkeit  folgern.  Denn 
erstens  können  sicherlich  bewegliche  Arten,  wie  z.  B.  Micrococcns  agilis, 
mit  und  ohne  Geissein  auftreten,  und  zweitens  wurde  Eigenbewegnng  wahr- 
genommen bei  Bakterienarten,  bei  welchen  ein  Geisseinachweis  bisher  noch 
niemals  gelang:  z.  B.  beim  Diphtherie-  and  Tuberkelbazillas,  beim  Aktino- 
myces  asteroides  etc.  etc. 


716  Moro,  Morphologische  and  biologische  UDtersachangeo 

präparat;  aber  auch  aas  älteren  Zuckeragarkulturen  erhalten 
wir  gelegentlich  Präparate,  wobei  die  Bakterien,  nach  ent- 
sprechender Behandlang  mit  Jodjodkaliamlösang  (vgl.  Anm.  S.  700), 
dunkelbraanrot  erscheinen.  Aach  hier  ist  die  Yerteilang  der 
Granalose  nar  aaf  bestimmte  Partien  des  Bakterienleibes 
beschränkt. 

Ein  besonderes  Verhalten  zeigt  der  Bifidas  auf  der  anae- 
roben Platte.  Es  war  uns  nämlich  bisher  nicht  gelungen, 
den  Bifidus  auf  der  Zuckeragarplatte  unter  streng  anagroben 
Verhältnissen  zum  Wachstum  zu  bringen.  Der  Vorwurf  einer 
ungenügenden  Ana€robiose  ist  in  diesem  Falle  ungerechtfertigt 
und  überflüssig  (Gohnsche  Methode),  da  es  seinerzeit  Passini 
gelungen  war,  den  Bifidas  unter  vermindertem  Luftdruck  (Stand 
der  Quecksilbersäale:  100  mm)  sowohl  auf  der  Zuckeragarplatte, 
als  auch  am  Zirckeragarstrich  zur  Entwicklung  üppiger  Kolonien 
zu  veranlassen.  Es  ist  sehr  wohl  möglich,  dass  der  Bazillus  die 
Wasserstoffatmosphäre  nicht  verträgt  oder  aber,  dass  er  zu 
seinem  Oberflächenwachstum  eine  ganz  bestimmte  Sauerstoff- 
spannung beansprucht. 

Dass  gewisse  Bakterienarten  in  dieser  Richtung  sehr  empfind- 
lich sein  können,  beweist  das  Verhalten  des  Erregers  des  senchen- 
haften  Abortes  der  Haustiere  auf  künstlichen  Nährböden.  Bang 
erreichte  eine  Kultur  dieser  Bakterien  nur  in  einem  Medium, 
das  eine  geringere  Sauerstoffspannung  als  die  atmosphärische 
Luft  aufwies,  oder  aber  dann,  wenn  den  Bakterien  eine  sehr  hohe 
Sauerstoffspannung  geboten  wurde  —  niemals  jedoch  in  atmo- 
sphärischer Luft. 

Desgleichen  konnte  ich  auf  der  schrägen  Oberfläche  des 
Ausstriches  auf  Zuckeragar  (im  Buchnerrohre)  niemals  eine 
Kolonie  erhalten. 

Im  Zuckeragarstich  wächst  er  immer  sehr  üppig.  Sein 
Wachstum  lässt,  wie  dies  bei  allen  Anaerobiern  der  Fall  ist,  die 
oberflächlichste  Strecke  des  Stichkanals  frei  und  ist  an  den 
tiefsten  Partien  am  intensivsten.  Die  Kultur  im  Stichkanal  ist 
unregelmässig  und  gegen  die  Umgebung  zuweilen  unscharf 
abgegrenzt. 

Auf  Zuckerbouillon  (anaerob)  gedeiht  der  Bifidus  sehr  gut. 
Sein  Wachstum  bleibt  auf  den  Boden  des  Gefässes  beschränkt, 
während  die  darüberstehende  Bouillon  zumeist  eine  deutliche 
Trübung  aufweist.  Der  gebildete  Bodensatz  besteht  aus  weissen, 
lockeren,  schmierigen  Fetzen.     Unter  dem  Mikroskop    sehen   wir 


aber  die  Darmbakterien  des  S&oglings.  717 

zumeist  lange,  wurmförmig  gewundene  F&den,  die  zuweilen  schöne 
Verzweigungen  tragen. 

Die  Milch  wird  vom  Bifidus,  trotzdem  dieser  Nährboden 
sein  Wachstum  zu  begünstigen  scheint,  ausserlich  gar  nicht 
verändert. 

Im  Gegensatze  zu  Tissier  konnte  ich  stets  auch  auf 
zuckerfreiem  Nährboden,  so  auf  gewöhnlichem  Agar  und  in  ge- 
meiner zuckerloser  Bouillon,  den  Bifidus  zum  Wachstum  bringen, 
ohne  dass  damit  eine  auffällige  Einschränkung  seiner  Entwicklung 
herbeigeführt  wurde.     Die  Bouillon  blieb- klar. 

Auf  der  Gelatine  gelang  es  mir  ebensowenig  wie  Tissier, 
eine  Kultur  zu  erhalten.  Dieses  Verhalten  führe  ich  auf  eine 
grosse  Empfindlichkeit  dieses  Darmbazillus  gegen  niederere 
Temperaturgrade  zurück^  da  mir  auch  bei  Verimpfung  auf  das 
ihm  zusagende  Agar,  bei  einer  Temperatur  von  17 — 20®  sein 
Wachstum  ausblieb.  Durch  diese  Kälteempfindlichkeit  erklärt 
sich  auch  die  Erscheinung,  dass  eine  mir  im  Winter  vorigen 
Jahres  von  Herrn  Dr.  Tissier  aus  dem  Institut  Pasteur  zu- 
gekommene, wohlverpackte  Sendung  frischer  Bifiduskulturen  voll- 
kommen abgestorben  war,  obgleich  der  Bazillus  unter  normalen 
Verhältnissen  sich  noch  nach  Ablauf  eines  Monats  als  vollständig 
lebensfähig  erweist  und  leicht  fortgezüchtet  werden  kann. 

Nach  Tissier  ist  der  Bifidus  nicht  tierpathogen.  Über 
die  biochemischen  Leistungen  dieses  Bazillus  habe  ich  bislang 
noch  keine  Untersuchungen  angestellt. 

Die  Einreihung  des  Bifidus  in  das  System  stösst  vorläufig, 
mit  Rücksicht  auf  die  mangelhafte  Kenntnis  der  anaöroben 
Bakterien  überhaupt,  auf  so  grosse  Schwierigkeiten,  dass  ich 
mich,  um  wertlosen  Vermutungen  aus  dem  Wege  zu  gehen,  nicht 
berufen  fühlen  kann,  in  dieser  Richtung  eine  Entscheidung  zu 
tre£Fen. 

Die  Köpfchenbakterien. 

Diese  Bakterienart  wurde  bereits  im  Jahre  1886  von 
Escherich  in  den  Ausstrichpräparaten  des  Mekoniums  gesehen 
und  beschrieben. 

„Die  eine  der  sporentragenden  Arten  gehört  den  sogen. 
Kopfchenbakterien  an,  wobei  ich  dieselben  mit  diesem  Namen 
lediglich  ihrer  Form  wegen  benenne.  Sie  bestehen  aus  einem 
4—7  |i  langen,  sehr  schlanken  Stiele,  auf  dem  eine  glänzende 
Spore  aufsitzt;    dieselbe    ist    in   der  Richtung  des  Fadens  längs- 


718  Moro,  Morphologische  usd  biologische  Untersuchungeo 

oval,  erreicht  in  diesem  Durchmesser  bis  zu  1,5  fi.  Bei  einzelnen 
sporentragenden  Formen  ist  der  Faden  nicht  mehr  gerade,  sondern 
schlängelt  sich  unter  Verjüngung  seines  peripheren  Endes.  Dass 
das  helle,  glänzende  Köpfchen  als  Spore  zu  deuten  ist,  ergibt 
sich  aus  dem  Verhalten  gegen  Anilinfarben,  indem  es  nach  Be- 
handlung mit  konzentrierter  Schwefelsäure,  sowie  in  heisser 
konzentrierter  Farbstofflösung  die  Anilinfarben  aufnimmt,  während 
es  bei  der  gewöhnlichen  Färbemethode  ungefärbt  bleibt.  Ausser 
den  eben  beschriebenen  Formen  finden  sich  auch  noch  Fäden 
mit  kleineren,  intensiv  färbbaren  Köpfchen  (Stadium  der  Sporen- 
bildung) und  endlich  solche,  an  denen  das  letztere  fehlt.*' 
(Escherich,  Darmbakterien  des  Säuglings.  S.  19.)  Escherieb 
vergleicht  sehr  zutreffend  die  Form  dieser  Köpfchenbakterien  mit 
Spermatozoen. 

Escherich  hielt  diese  Bakterienart  als  besonders  charakte- 
ristisch für  die  Flora  des  Mekoniums,  jedoch  gelang  es  ihm  trotz 
sorgfaltigster  Züchtungsversuche  niemals,  die  Köpfchenbakterien 
in  Kultur  zu  erhalten. 

Es  ist  in  der  Tat  sehr  auffallend,  dass  diese  Bakterien- 
formen,  wie  wir  sehen  werden,  in  besonders  reichlicher  Menge 
fast  in  jedem  Mekoniumstuhl  anzutreffen  sind,  während  ihre 
Anwesenheit  im  Ausstrichpräparate  des  normalen  Frauenmilch- 
stuhles nicht  mit  Sicherheit  konstatiert  werden  kann.  Die  un- 
sichere Bestimmung  der  Köpfchenbakterien  im  mikroskopischeo 
Bilde  des  Frauenmilchstuhles  ist  wohl  darauf  zurückzuführen, 
dass  die  meisten  köpfchentragenden  Bazillen  darin  zweifelsohne 
in  den  polymorphen  Formenkreis  des  B.  bifidus  communis  ein- 
zubeziehen  sind. 

Allein  der  empfindlichere  kulturelle  Nachweis  lässt  fast 
niemals  im  Stiche.  Auf  der  anaöroben  Kultur  erhalten  wir 
Bakterienformen,  die  mit  der  von  Escherich  gegebenen  Be- 
schreibung vollkommen  übereinstimmen  und  die  sich  von  der 
Bifidusgruppe  streng  unterscheiden  lassen. 

Das  erstemal  erhielt  ich  die  Köpfchenbakterien  als  zufällige 
Befunde  im  Sommer  v.  J.  in  Kultur,  und  zwar  auf  gewöhnlichem 
Agar  (anagrob,  hohe  Schicht),  als  ich  erfolglos  damit  beschäftigt  war, 
auf  diese  Weise  den  Bifid  us  aus  den  Stühlen  von  Brustkindern  zu 
isolieren*).  Diesem  Ergebnis  schenkte  ich  anfänglich  keine  Beachtung, 


')  Die    direkte  Züchtung    des  Bifidus  aus  Brnstmilchstuhlen  gelingt, 
wie  erwähnt,  am  besten  mit  Zuckeragar. 


über  die  Darmbakterien  des  Säugling».  719 

bis  mir  später  eine  Arbeit  von  Rodella  zeigte,  dass  es  diesem 
Forscher  bereits  im  Jahre  1902  gelungen  war,  eine  den  Escherich- 
schen  Eöpfchenbakterien  nahestehende  Art  (Bazillus  No.  3)  aus 
Milchstfihlen  regelmässig  zu  isolieren.  Darin  empfiehlt  Rodella 
die  bereits  geschilderte  Methode  zur  Kultivierung  sporentragender 
Bakterien  aus  Säugliogsstühlen,  welche  darauf  beruht,  das  Stnhl- 
muterial  vorher  zu  erhitzen  und  in  heisses  Agar  zu  verimpfen. 
Auf  diese  Weise  erzielte  ich  späterhin  fast  regelmässig  positive 
Resultate,  sowohl  aus  den  normalen  Frauenmilchfäces,  als  auch 
AUS  Mekoniumstühlen. 

Die  von  Rodella  gegebene  kurze  Beschreibung  seines 
Bazillus  3  deckt  sich  bis  auf  einige  Punkte  gut  mit  den  unten 
mitgeteilten;  als  wesentlichster  Unterschied  sei  nur  hervorgehoben, 
•dass  ich  bei  den  Eöpfchenbakterien  in  a^en  ihren  Entwicklungs- 
Stadien  sehr  lebhafte  Eigenbewegung  beobachtete,  während  Rod  ella 
seinem  Bazillus  3  die  Eigenbewegung  abspricht.  Vielleicht  ent- 
springt diese  Behauptung  Rodellas  auf  einem  Beobachtungs- 
fehler seinerseits,  da  es  ja  von  vornherein  zu  erwarten  war,  dass 
^in  echter  Sporenträger,  wie  es  die  Regel  ist,  Eigenbewegung 
besitzt  und  die  vielfach  gewundenen  Schwänze  dieser  Bakterien 
«chon  im  fixierten  Präparate  auf  das  Vorhandensein  von  Eigen- 
bewegung hinweisen. 

Über  die  Morphologie  dieses  Bazillus  geben  die  bei- 
geschlossenen Abbildungen  den  besten  Aufschi uss  (Taf.  X,  Fig.  7 
und  8).  In  jüngeren  Agarkultnren  sehen  wir  fast  ausschliesslich 
verschieden  lange,  schlanke,  meist  etwas  gekr&mmte  Stäbchen, 
von  denen  einige  an  ihrem  Ende  ein  intensiv  farbbares  Köpfchen 
tragen.  Selten  sehen  wir  auch  beide  Enden  des  Bakterienkörpers 
mit  Köpfchen  behaftet.  Die  Köpfchen  sind  niemals  rund,  sondern 
immer  in  der  Ebene  des  Stäbchenverlaufes  längsoval  und  sitzen 
dem  Bazillus  mit  ihrer  verjüngten  distalen  Partie  auf.  Sie  sind 
^rampositiv,  jedoch  ist  ihre  Färbbarkeit  nach  Gram,  wie  die  Ab- 
bildungen zeigen,  stets  nur  partiell  und  wenig  intensiv. 

In  älteren  Kulturen  nehmen  die '  Köpfchen  den  Farbstoff 
gar  nicht  mehr  an;  nur  ihre  Kontur  und  das  Halsstück  bleiben 
gefärbt,  während  das  Köpfchen  selbst  einen  eigentümlichen  Glanz 
aufweist.  In  derartigen  Präparaten  sind  immer  auch  mehrere 
freie,  ungefärbte  Köpfchen  und  Bakterienfragmente  zu  sehen,  und 
es  hat  den  Anschein,  als  würden  die  Schwänze  dieser  Bakterien 
«inem  Auflösungsprozesse  anheimfallen  (Taf.  X,  Fig.  7).  Färben 
wir    ein    solches  Präparat    nach    der    modifizierten   Möllerschen 

Jahrbuch  lür  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    5.  47 


720  Moro,  Morphologische  und  -biologische  Uotefsachangen 

Methode,  so  bleiben  die  Köpfchen  rot  gefärbt,  und  die  Erhitzung 
der  Kultur  lässt  bei  folgender  Uberimpfung  in  der  nächsten 
Generation  wiederum  eine  Menge  junger  Wuchsfonnen  erscheinen. 
Wir  haben  es  also  hier  mit  echtem  Sporenmaterial  zu  tun. 

So  gelang  es  mir,  2  bis  höchstens  3  Generationen  lort- 
zuzüchten,  allein  die  Lebensfähigkeit  dieser  Bakterienart  auf  dem 
üblichen  künstlichen  Nährboden  scheint  eine  so  geringe  zu  sein, 
dass  es  mir  bisher  nicht  gelungen  ist,  dieselbe  längere  Zeit 
hindurch  in  Kultur  zu  erhalten.  Falls  keine  neue  Yersporung 
eintritt,  so  bleiben  die  Bazillen  in  der  Kultur  winzige,  zarte, 
kurze  Fadenstäbchen,  die  sehr  lebhafte  Eigenbewegung  zeigen, 
nach  Gram  zumeist  nicht  mehr  färbbar  sind  und  bald  zu  längeren, 
nur  mehr  fragmentiert  färbbaren  Scheinfaden  auswachsen.  In 
diesen  Stadien  lassen  sich  die  Bazillen  in  der  Regel  nicht  mehr 
weiterzüchten.  Oft  zeigen  auch  diese  kleinen  Formen  die  Neigung 
zur  Köpfchenbildung.  Bemerkenswert  ist  auch  ihr  Verhalten  zur 
Jodjodkaliumlösung,  indejQ  diese  zarten,  kleinen  Stäbchenfast  regel- 
mässig eine  deutliche  Polförbung  aufweisen,  die  sich  in  der  Dar- 
stellung eines  winzigen  schwärzlichen  Kernchens  an  einer  oder 
an  beiden  Spitzen  des  Bakterienkörpers  zu  erkennen  gibt.  Viel- 
leicht sind  diese  Gebilde  als  Vorstadien  der  nunmehr  ausbleibenden 
Versporung  anzusehen. 

Interessant  ist  die  Beobachtung,  dass  mir  einmal  eine  der- 
artige, mit  B.  coli  zufällig  verunreinigte  Kultur  in  kürzester  Zeit 
wiederum  vollkommen  versport  hat. 

In  der  tiefen  Agarkultur  bieten  die  Kolonien  anfanglich 
kein  von  den  beschriebenen  Bifiduskolonien  abweichendes  Ver- 
halten dar.  Nach  einigen  Tagen  jedoch  —  selten  schon  von 
Beginn  an  —  zeigen  sie  eine  charakteristische  Form,  die  Rodella 
(im  Gelatinestich)  zutreffend  mit  einem  zerzupften  Wattebäuschchen 
vergleicht.  In  der  Reinkultur  tritt  regelmässig  s^uch  auf  zucker- 
losem, gewöhnlichem  Agar,  anfänglich  nur  in  der  Umgebung  der 
Kolonie,  massige  Gasbildung  auf,  die  jedoch  nach  einigen  Tagen 
so  intensiv  werden  kann,  dass  die  Agarsäule  stellenweise  zer- 
rissen wird.  Im  ausgepressten,  trüben  Kondenswasser  sind  die 
Bazillen  stets  reichlich  vorhanden. 

Im  Agarstich  sehen  wir  nach  einigen  Tagen  geringe  Ent- 
wicklung in  der  Tiefe  des  Stichkanals.  Als  besonders  charakte- 
ristisch für  die  Stichkultur  wird  von  Rodella  ein  feinverästeltes 
Wachstum  angegeben,    das   er  mit  dem  umgekehrten  Bilde  eines 


über  die  Darmbakterien  des  Säaglings.  721 

Tannenbaumes  vergleicht.  Ich  konnte,  wohl  zufällig,  ein  derartig 
verästeltes  Auswachsen   meiner  Stichkultaren    nicht   beobachten. 

In  der  Gelatine  (hohe  Schicht)  gewahrt  man  nach  einigen 
Tagen  in  der  Tiefe  das  Auftreten  vereinzelter  wattebausch-r 
artiger  Kolonien  und  in  ihrer  Umgebung  ziemlich  starke  Gas- 
bildung. Eine  Verflüssigung  der  Gelatine  wurde  auch  nicht  im 
beschränkten  Maasse  wahrgenommen. 

Die  Bouillon  wird  massig  getrübt.  Das  Wachstum  des 
Bazillus  bleibt  jedoch  in  der  Regel  nur  auf  den  Boden  des  Ge- 
fasses  beschränkt. 

Die  Milch  wird  nicht  sichtlich  verändert.  — 

Es  tritt  nun  die  Frage  an  uns  heran,  ob  wir  das  Recht 
haben,  den  beschriebenen  Bazillus  als  eine  selbständige  Spezies 
aufzufassen,  oder  ob  er  sich  mit  bereits  beschriebenen  Arten 
identifizieren  lässt.  Diese  Frage  wurde  bereits  von  Es  eher  ich,, 
gelegentlich  seiner  Beschreibung  der  Köpfchenbakterien  des  Meko- 
niums aufgeworfen.  Escherich  wies  dabei  auf  die  äusserliche  Ähn- 
lichkeit' dieser  Bakterien  mit  dem  von  Bienstock  beschriebenen 
und  abgebildeten  B.  putrificus  hin,  ohne  sich  hierin  irgendwie 
bestimmt  zu  äussern.  Diese  Andeutung  verschaffte  sich  jedoch 
späterhin  in  der  einschlägigen  Literatur  als  eine  mehr  oder  minder 
feststehende  Tatsache  Eingang  und  wird  auch  im  Tissierschen 
Werke  als  solche  angeführt.  Ich  habe  den  B.  putrificus  Bien- 
stock nach  der  bereits  angegebenen  Methode  (S.  710)  aus  dem 
Brustmilchstuhle  gezüchtet  und  seine  Bestimmung  mit  einer  mir 
von  Herrn  Dr.  F.  Passini  liebenswürdigerweise  zugesandten 
Originalkultur  sichergestellt.  Obgleich  die  sporulierende  Form 
des  Putrificius  unter  Umständen  vielleicht  auch  eine  ähnliche  Ge- 
staltung aufweisen  kann,  wie  wir  sie  bei  den  abgebildeten  Köpfchen- 
bakterien sehen,  lässt ,  sich  doch  schon  rein  morphologisch  eine 
Unterscheidung  der  beiden  Arten  insofern  durchfuhren,  als  sich 
die  Putrificusbakterien  gerade  durch  eine  auffallende  Starrheit 
und  durch  einen  plumpen  Bau  auszeichnen  und  der  Breitendurch- 
messer ihrer  Köpfchensporen,  wie  Bienstock  selbst  sagt,  jenen 
der  Stäbchen  nur  wenig  oder  gar  nicht  überragt.  Übrigens  gehen 
diese  Angaben  am  besten  im  Vergleiche  aus  der  Bienstockschen 
Abbildung  hervor.  Da  wir  jedoch  mit  Rücksicht  auf  den  viel- 
fach erwähnten  Polymorphismus  der  Anaeroben  auf  das  morpho- 
logische Verhalten  dieser  Bakterien  kein  grosses  Gewicht  legen 
dürfen,  so  stütze  ich  mich  in  der  Differenzierung  hauptsächlich 
auf  die  kulturellen  Merkmale,  die  sofort  die  Entscheidung  herbei- 

47* 


722  Moro,  Morphologische  and  biologische  ÜntenochoDgeo 

f&hren,  insofern  als  u.  a.  der  B.  patrificas  die  Oelatine  anter 
Bildung  übelriechender  Fäuhiisprodakte  in  toto  Terflössigt,  während 
wir  bei  den  Eöpfchenbakterien  nicht  einmal  die  Andeatung  einer 
Gelatinererflüssigung  beobachtet  nnd  in  keiner  Kultur  einen  Üblen 
Geruch  wahrgenommen  haben.  Die  Köpfchen bakterien  haben 
demnach  mit  dem  B.  putrificus  bis  auf  eine  rein  äusserliche 
Ähnlichkeit,  nämlich  die  Bildung  von  Kopfchensporen,  nichts 
gemein. 

Viel  eher  noch  könnte  es  sich  darum  handeln,  dass  die 
Köpfchenbakterien  in  den  Formenkreis  des  Bifidus  einzubeziehen 
sind  und  dass  die  Köpfchen  bakterien  die  sporulierende  Form  des 
Bifidus  darstellen.  Diese  Vermutung  erscheint  um  so  berechtigter, 
wenn  wir  uns  ein  ähnliches  Verhalten  der  anaöroben  Buttersäure- 
bazillen (vergl.  dieses  Kap.)  vor  Augen  halten.  Als  gemeinschaft- 
liche Punkte  wären  zu  erwähnen:  Die  Ana^robiose,  die  Färbbarkeit 
nach  Gram  und  die  Bildung  köpf chen förmiger  Endanschwellungen. 
Besonders  wenn  wir  den  zweiten  Punkt  ins  Auge  fassen,  finden 
wir  in  der  Färbbarkeit  beider  Bakterienarten  insofern  ein  auf- 
fallend ähnliches  Verhalten,  als  auch  die  Köpfchenbakterien 
typischerweise  die  Gramsche  Färbung  nur  partiell  annehmen, 
wodurch  Formen  entstehen,  die  sich  vom  Bifidus  nicht  unter- 
scheiden lassen.  Ich  erinnere  nur  an  die  „punktierten^  und  „ge- 
fleckten" Formen  der  Köpfchenbakterien.  Auch  in  der  Köpfchen- 
bildung weisen  beide  Bakterienarten  grosse  morphologische  Ähn- 
lichkeiten auf.  Allein  auch  diese  Frage  wird,  abgesehen  von  allen 
anderen  Momenten,  schon  damit  irrelevant,  dass  es  mir  niemals 
gelungen  ist,  die  Köpfchenbakterien  in  die  dem  Bifidus  eigentüm- 
liche Vegetationsform  überzufuhren.  Niemals  ist  in  den  Kulturen 
der  Köpfchenbakterien  auch  nur  eine  Andeutung  echter  Ver- 
zweigungen zu  sehen  gewesen. 

Meine  Untersuchungen  über  diese  interessante  Bakterienart 
sind  noch  nicht  abgeschlossen,  insbesondere  steht  die  Prüfung  der 
biochemischen  Leistungen  bisher  noch  aus.  Die  vorhandenen 
Lücken  sind  darauf  zurückzuführen,  dass  die  Köpfchenbakterien 
nur  äusserst  schwer  auf  unseren  Nährböden  lebensfähig  erhalten 
bleiben. 

Die  anaäroben  Buttersäurebazillen. 

Die  regelmässige  Anwesenheit  von  Buttersfinrebazillen  im 
Säuglingsstuhle  wurde  bereits  im  Jahre  1894  von  Flügge  nach- 


aber  die  Darrobakterien  des  SäagÜDge.  723 

gewiesen,  und  zwar  für  den  Botkinschen  Bacillus  butyricuß^)^ 
der  nach  Flügge  stets  in  den  Fäces  auch  von  wenigen  Tage  alten^ 
nur  mit  Frauenmilch  genährten   Säuglingen  vorhanden  sein  soll. 

Diesem  Befund  wurde  jedoch  in  der  Folge  wenig  Beachtung 
geschenkt,  bis  Passin  i  auf  der  Naturforscher  Versammlung  in  Karls* 
bad  (1902)  über  eigene  Versuche  berichtete,  aus  denen  hervorginge 
dass  aus  den  normalen  Stühlen  von  Brustkindern  stets  der  un- 
bewegliche ButtersäurebazillusGrassberger  undSchatten- 
froh,  und  in  vielen  Fällen  auch  der  bewegliche  Buttersäure- 
bazillus (Amylobakter  Gruber)  und  der  fäulniserregende 
Buttersäurebazillus  (B.  putrificus  Bienstock)  auf  dem 
Wege  besonderer  Kultur  verfahren  isoliert  werden  konnten. 

Über  die  Methoden  zur  Gewinnung  des  unbeweglir.hen 
Buttersäurebazillus  und  zur  Isolierung  des  B.  putrificus 
habe  ich  bereits  berichtet.  Für  die  Kultivierung  des  beweg- 
lichen Buttersäurebazillus  empfiehlt  sich  das  Beyerinksche 
Anreicherungs  verfahren  ^). 

Was  die  Morphologie  und  Biologie  dieser  noch  ungenügend 
erforschten  Bakteriengruppe  betrifiFt,  so  verweise  ich  auf  die  aus* 
führlichen  Arbeiten  von  Grassberger  und  Schattenfroh. 
Jedenfalls  ist  der  konstante  Befund  von  Buttersäurebazillen  im 
normalen  Brustmilchstuhle  von  grossem  physiologischem  Interesse 
und  für  die  Erkenntnis  der  bakteriellen  Gährungs-  und  Fäulnis- 
vorgänge im  Darmkanale  des  Säuglings  sehr  belangreich. 

Neuere  Beobachtungen  haben  ergeben«  dass  der  un- 
bewegliche Buttersäurebazillus,  dessen  Name  insofern  nicht 
ganx  richtig  ist,  als  er  auf  geeigneten  Nährböden  in  seiner  sporen- 
tragenden Form  Eigenbewegung  gewinnt,  mit  dem  Gasphleg- 
monebazillus  (B.  emphysematosus  E.  Fraenkel)  identisch  ist 
(Passini).  Im  Säuglingsdarm  findet  er  sich  konstant  in  seiner 
sporogenen,  vielleicht  auch  in  seiner  asporogenen  Form  vor.  Das 
Vorhandensein  der  ersteren  Form  beweist  der  positive  Ausfall 
der  Botkinschen  Anreicherungsmethode  und  sein  Wachstum  auf 
den  von  erhitztem  Material  angelegten  ana€roben  Agarkulturen. 
In  der  anaeroben  Milchkultur  finden  wir  ihn  regelmässig  in  Form 
kurzer,  plumper,  grampositiver  Stäbchen,  die  niemals  Sporulation 

^)  Nach  den  UntersiichangeD  von  Grassberger  und  Schattenfrob 
ist  der  B.  batyricus  BotkiD  keine  einheitliche  Bakterienart. 

'^)  Glakose  und  Pepton  ää  5  g  werden  auf  100  g  Wasser  in  einer  eng- 
halsigen  Flaeche  faeiss  aaf  das  za  nntersuchende  Matertal  gegossen  and  luft- 
dicht verschlossen  in  den  Thermostaten  gestellt. 


724  Moro,  Morphologische  und  biologische  Unters  ach  an  gen 

zeigen.  Uberimpft  mao  davon  auf  den  Passini  sehen  Eiweiss- 
nährböden,  so  gelingt  es  zumeist  leicht,  ihn  in  seine  sporogene 
Form  überzuführen.  Mit  der  Änderung  seines  Morph ismus  hält 
eine  merkwürdige  Änderung  seines  Chemismus  gleichen  Schritt. 
Während  die  Bazillen  in  ihrer  üsporogenen  Form  eine  stürmische 
Kohlehydrat  -  Gährung  unter  Bildung  von  Buttersäure,  Milch- 
säure, Kohlensäure,  Wasser  und  geringen  Mengen  von  Alkoholen 
I  eingehen,    rufen    sie    in    ihren    sporogenen  Formen    auf   Eiweiss- 

nährböden  typische  Fäulniserscheinungen  hervor  und  sind  im- 
I  Stande,  fibrinlösende   Fähigkeiten  zu   entfalten  (6 rassberge r, 

Passini). 

Der  bewegliche  Buttersäurebazillus  (Amylobakter 
Gruber)  peptonisiert  im  Gegensatze  zum  Bazillus  der  Gasphleg- 
mone  niemals  Eiweiss  und  kann  auf  allen  Nährböden,  auch  auf 
Milch  und  Zuckeragar,  zur  Versporung  gebracht  werden.  Seine 
Spaltungsprodukte  bei  der  Vergährung  von  Kohlehydraten  sind 
jenen  des  Gasphlegmonebazillus  annähernd  gleich. 

Der  Bacillus  putrificusBienstock,  dessen  morphologische 
Eigenschaften  wir  bereits  bei  der  Besprechung  der  Köpfchen- 
bakterien  Escherichs  teilweise  kennen  gelernt  haben,  be- 
ansprucht ein  besonderes  Interesse,  da  er  nach  Bienstocks  Unter- 
suchungen über  die  Ätiologie  der  Eiweissfäulnis  das  Prototyp  der 
faulniserregenden  Mikroben  ist.  Er  vermag,  wie  nur  wenige  seiner 
Verwandten,  Fibrin  unter  Bildung  stinkender  Fäulnisprodukte 
zum  vollständigen  Zerfall  zu  bringen.  Diese  Eigenschaft  ent- 
faltet der  B.  putrificus  nach  Bienstock  nur  unter  streng 
anagroben  Verhältnissen  oder  aber  im  Zusammenleben  mit  anderen 
aäroben  Bakterienarten,  welche  den  vorhandenen  Sauerstoff  für 
sich  in  Anspruch  nehmen  und  aufbrauchen.  Von  besonderem  Inter- 
esse ist  Bienstocks  Beobachtung,  dass  von  dieser  Mithilfe  das 
B.  coli  und  das  B.  lactis  a€rogenes  eine  besondere  Aus- 
nahme machen,  indem  sie  trotz  ihres  Sauerstoffbedürfnisses  den 
B.  putrificus  in  seiner  fäulniserregenden  Wirkung  hemmen.  Diese 
beiden  Arten  wären  demnach  als  echte  Antagonisten  der  Fäulnis 
anzusehen.  Darnach  zieht  Bienstock  den  Schluss:  „dass  die 
Anwesenheit  dieser  Bakterien  im  Darm  einen  Schutz  für  den 
Organismus  vorstellt,  deren  toxische  Wirkung  auf  jenen  bei  un- 
begrenzter Entwicklung  der  Fäulnisprodukte  nicht  zweifelhaft 
sein  kann." 

Ein  weiteres  interessantes  Versuchsergebnis  Bienstocks 
geht  dahin,  dass  bei  der  Fibrinföulnis  ana^rober  Spaltpilze  niemals 


aber  die.  Darmbakterien  des  Säuglings.  725 

Indol  auftritt^),  währeod  in  Gesellschaft  mit  anderen  Bakterien- 
arten,  insbesondere  mit  dem  B.  coli,  die  Spaltung  sehr  bald  bis 
zur  Indolstufe  fortschreiten  kann.  Desgleichen  führt  Bien- 
stock  die  antiputride  Fähigkeit  der  rohen  Milch  auf  daa  stetige 
Vorhandensein  der  Colibakterien  in  der  Milch  zurück. 

Als  eine  weitere  Stütze  seiner  Vermutungen  zieht  Bien- 
stock  die  Ergebnisse  seiner  neueren  Untersuchungen  ins  Feld, wo- 
nach es  ihm  nicht  mehr  gelang,  seinen  Putrificus  aus  den  mensch- 
lichen Stuhlgängen  zu  züchten.  Nach  seiner  Ansicht  müsste  eine 
Abtötung  der  mit  der  Nahrung  eingeführten  Putrificuskeime  durch 
die  spezifische  Lebenstätigkeit  der  obligaten  Darmbakterien,  ins- 
besondere der  Coli-  und  Lactisbakterien  erfolgt  sein.  Auch  seine 
Selbstversuche,  die  darin  bestanden,  dass  er  längere  Zeit  hindurch 
Putrificussporen  enthaltende  Gartenerde  zu  sich  nahm,  fielen  im 
negativen  Sinne  aus. 

Den  Bienstockschen  Befunden  wurde  nun  in  allerjüngster 
Zeit  von  Passini  mehrfach  widersprochen.  Passini  gelang  es, 
den  Bienstockschen  Bazillus  auf  dem  Wege  seiner  Anreiche- 
rungsmethode (S.  710)  aus  den  Stühlen  von  Erwachsenen  regel- 
mässig zu  isolieren;  wiederholt  gelang  ihm  auch  die  Kultur  aus 
normalen  Stühlen  von  Brust-  und  Flaschenkindern  und  aus  dem 
Mekonium.  Allerdings  mussten  von  normalen  Frauenmilchstühlen 
stets  grössere  Mengen  (mehrere  Ösen)  der  pasteurisierten  Fäces 
in  den  Nährboden  eingetragen  werden,  um  den  Fäulniserreger 
zum  Wachstum  zu  bringen.  Auch  blieb  bei  ein  und  demselben 
Ausgangsmaterial  1  eine  grössere  Anzahl  der  angestellten  Proben 
frei,  woraus  der  Schluss  zu  ziehen  war,  dass  im  normalen  Brust- 
milchstuhle nur  eine  geringe  Sporenanzahl  vorhanden  sein  kann. 
In  Stühlen  von  Flaschenkindern  ist  er  zumeist  reichlicher  zu 
finden,  und  es  genügt  eine  geringere  Aussaat  des  pasteurisierten 
Stuhlmaterials  um  eine  Kultur  zu  erreichen. 

Auch  Passini  führt  die  beschränkte  Vegetation  der  ein- 
geführten ubiquitären  Putrificussporen  auf  ungünstige  Wachs- 
tumsbedingungen im  Säuglingsdarm  zurück,  da  darin  die  säure- 
bildenden Bakterien  bis  zum  Ende  des  Darmtraktus  günstigen 
Nährboden  zum  Gedeihen  vorfinden  und  gegenüber  den  eiweiss- 
spaltenden  die  Vorherrschaft  behalten.  Diese  antiputride  Wirkung 
darf  jedoch  nicht  allein  dem  B.  coli  und  dem  B.  lactis  aerogenes 


>)  Wird  von  Passini  auf  Grund  eigener  Versuche  bestritten  (Zeitschr. 
Hyg.  u.  Inf.    49.  Bd.     1905.    Nachtrag). 


726  Moro,  Morphologische  aod  biologische  üntenachangeD 

als  der  Ausdruck  einer  ihnen  eigentümlichen  spezifischen  Funktion 
zugeschrieben  werden;  daran  sollen  sich  nach  Tissier  in  ähn- 
licher Weise  der  B.  bifidus  communis  und  der  intestinale 
Streptococcus,  nach  Passini  insbesondere  der  unbewegliche 
Buttersäurebazillus  (die  asporogene  Yegetationsform  des  Gras- 
phlegmonebazillus)  beteiligen,  wie  überhaupt  alle  jene 
Bakterienarten,  die  die  Eigenschaft  haben,  Kohlehydrate  zu  ver- 
gären, hingegen  keine  oder  nur  sehr  schwache  eiweitshaltende 
Fähigkeiten  besitzen.  Die  Behinderung  der  Fäulnis  erfolgt  dabei 
lediglich  durch  die  Wirkung  der  gebildeten  Säure,  weshalb  auf 
kohlehydratfreien  Eiweissnährböden  der  Putrificus  seine  Fäolnis- 
wirkung  auch  in  Gesellschaft  der  genannten  antagonistisch 
wirkenden  Bakterienarten  in  ungestörter  Weise  zu  entfalten  im- 
stande ist. 

Der  sichere  Nachweis  und  die  Reinkultur  des  B.  putrificus 
aus  normalen  Brustmilchstühlen  gelang  mir  in  mehreren  daraufhin 
untersuchten  Fällen  erst  kürzlich,  und  zwar  ein  einziges  Mal;  ich 
konnte  daher  über  diesen  interessanten  Darmbazillus  vorläufig 
nur  referierend  auf  Grund  der  Bienstockscben  Originalarbeiten 
und  der  jüngsten  Passini  sehen  Versuche  berichten. 

Jene  Bakterienart,  deren  häufigen  Befund  in  den  aus  pasteuri- 
sierten Brustmilchstühlen  angelegten  anaSroben  Agarkulturen  ich 
bereits  gelegentlich  der  Besprechung  der  Eulturergebnisse  mit- 
geteilt habe  (vergl.  S.  708),  ist  ebenfalls  sehr  wahrscheinlich  in 
die  Gruppe  der  faulniserregenden  Buttersäurebazillen  einzureihen. 
Der  Bazillus  wurde  zuerst  von  Rodella  aus  Stühlen  von  Flaschen- 
kindern isoliert;  ich  kann  die  häufige  Anwesenheit  dieser  oder 
einer  ihm  sehr  nahestehenden  Spezies  für  die  Fäces  gesunder 
Brustkinder  bestätigen.  Seine  hervorstechendste  Eigenschaft,  die 
ihn  von  den  übrigen  Bazillen  dieser  Gruppe  unterscheidet,  ist 
sein  Yermögen,  auf  künstlichem  Nährboden  (Agar,  Gelatine, 
Milch)  Skatol  zu  bilden.  Der  Bazillus  ist  im  hohen  Grade 
tierpathogen. 

In  der  anaäroben  Agarkultur  sehen  wir  zumeist  in  der  Tiefe 
Kolonien  erscheinen,  die  sich  von  den  übrigen  vor  allem  durch 
ihr  rasches  Wachstum  und  durch  ihre  Ausbreitung  auszeichnen. 
Die  Kolonien  weisen  anfangs  einen  rundlichen  Bau  auf  und  sind 
niemals  gegen  die  Umgebung  scharf  abgrenzt.  Sie  nehmen  bald 
die  charakteristische  Gestalt  eines  zusammenhängenden  Watte- 
bausches an  und  können  in  dieser  Form  einen  Durchmesser  von 
8—10  mm  erreichen.    Eröffnen  wir  eine  derartige  Kolonie,  so  finden 


über  die  Darmbakterien  des  S&ogliDge.  727 

wir  das  Innere  derselben  in  eine  lockere,  schmierige  Masse  um* 
gewandelt,  die  einen  penetranten  Skatolgeruch  verbreitet.  In  der 
Umgebung  der  Kolonie  tritt  massige  Gasbildung  auf,  die  ins* 
besondere  auf  zuckerfreiem,  aber  auch  auf  zuckerhaltigem  Agar 
zu  beobachten  ist. 

Das  Ausstrichpräparat  einer  derartigen  Kolonie  (Taf.  X^ 
Fig.  9)  zeigt  langgestreckte,  manchmal  gebogene  Stäbchen,  die 
zumeist  in  lebhafter  Sporulation  begriffen  sind.  Die  rundlichen 
Sporen  sind  entweder  zentral  oder  peripher,  zuweilen  an  beiden 
Enden  der  Stabchen  eingelagert.  Daneben  finden  sich  auch 
kürzere  Formen  ohne  Sporen.  Der  Bazillus  ist  grampositiv.  Im 
Jodpräparat  keine  Farbenreaktion.  Träge  Eigenbewegung  vor* 
banden.  Bei  mehrfacher  Uberimpfung  neigen  die  Bazillen  zur 
Bildung  langer  Scheioföden,  die  nurmehr  zart  und  fragmentiert 
farbbar  sind. 

In  der  anaeroben  Gelatinekaltur  (hohe  Schicht)  konnte  ich 
das  von  Rodella  beschriebene  Wachstum,  wonach  die  Kolonien 
rund,  scharfbegrenzt  und  mit  geschlängelten  Ausläufern  versehen 
sein  sollen,  nicht  beobachten.  Die  Gelatinekolonien  wiesen  viel- 
mehr einen  ähnlichen  Bau  auf,  wie  die  oben  beschriebenen. 
Der  Geruch  nach  Skatol  ist  in  ebenso  intensiver  Weise  auch 
auf  diesem  Nährboden  zu  konstatieren,  und  war  die  Gelatine 
eine  Zeitlang  in  ihrer  ganzen  Säule  von  zahlreichen  grösseren 
und  kleineren  Gasbläschen  durchsetzt,  die  aber  späterhin  ver* 
schwanden.  Eine  typische  Verflüssigung  der  Gelatine  kam  nicht 
zu  Stande.  Nur  im  Bereiche  der  Kolonien  war  der  Nährboden 
etwas  zerfallen  und  aufgeweicht. 

Die  Bouillon  wird  anfangs  getrübt,  später  klärt  sich  diese 
Trübung  zum  grössten  Teil  wieder  auf  und  die  Bazillen  (lange 
Fäden)  sammeln  sich  am  Boden  des  Gefässes  in  Form  einer 
lockeren,  schmierigen  Masse  an. 

Die  Milch  wird  selbst  nach  mehreren  Tagen  äusserlich  nicht 
merklich  verändert;  daran  ist  nur  eine  etwas  dunklere,  bräun- 
liche Verfärbung  und  auch  hier,  besonders  ausgesprochen,  der 
intensive  Geruch  nach  Skatol  zu  beobachten. 

Sehr  beachtenswert  ist  die  hohe  Tierpathogenität  dieser 
Bakterienart.  2  Kaninchen  (Körpergewicht  1500  g  und  1 100  g) 
gingen,  das  eine  nach  subkutaner,  das  andere  nach  intraperitonealer 
Einverleibung  junger  Bouillonkulturen,  das  erstere  im  Verlaufe 
von  6  Tagen,  das  andere  am  4.  Tage  zugrunde.  Das  auffallende 
Sektionsergebnis    ist    die  Entstehung    eines    sehr    ausgebreiteten,, 


728  Moro,  Morphologische  und  biologische  Unters  ach  angen 

salzigen  Ödems  an  der  Injektionsstelle  und  eine  starke  Yermehrong 
der  blutig  tingierten  Peritonealflüssigkeit,  worin  die  Bazillen  ziemlich 
reichlich  nachweisbar  waren.  Die  tierpathogenen  Eigenschaften 
dieses  Bazillus  erinnern  lebhaft  an  das  Bild,  welches  der  B.  des 
malignen  Ödems  im  Tierkörper  zu  erzeugen  pflegt.  Dieser 
Bazillus  unterscheidet  sich  aber  vom  Ödembazillus  u.  a.  durch 
seine  regelmässige  Färbbarkeit  nach  Gram  und  insbesondere 
durch  seine  konstante  Skatolbildung  auf  kunstlichen  Nährböden. 
Da  mir,  ebensowenig  wie  Rodella,  eine  Einreibung  dieser 
Bakterienart  in  das  mangelhafte  System  der  Anaerobier  unmöglich 
ist,  so  möge  die  gegebene  Beschreibung,  welche  sich  mit  der 
Rodellaschen  fast  in  allen  wesentlichen  Punkten  deckt,  vorläufig 
hinreichen. 

Aber  auch  der  Bazillus  des  malignen  Ödems  wurde 
bereits  vielfach  im  normalen  menschlichen  Stuhle  nachgewiesen. 
Er  wurde  von  französischen  Autoren  (Mac^)  als  regelmässiger 
Darmbewohner  bezeichnet,  eine  Angabe,  die  jedoch  Passini 
nicht  bestätigen  konnte.  Dass  dieser  Anaärobier  im  normalen 
Stuhle  vorhanden  sein  kann,  ergibt  sich  aber  daraus,  dass  es 
Rode  IIa  gelang,  einen  in  seinem  morphologischen  und  biologischen 
Verhalten  mit  Sicherheit  als  typischen  B.  des  malignen  Ödems 
«.nzusprechenden  Mikroorganismus  aus  den  Fäces  eines  ge- 
sunden Brustkindes  zu  kultivieren  (Passini). 

Die  Kenntnis  dieser  Bakterienarten  ist  schon  deshalb  von 
grossem  Interesse,  weil  ihr  Vorhandensein  im  normalen  Stahl 
mit  Nachdruck  darauf  hinweist,  dass  beim  Studium  pathogener 
Darmbakterien,  das  anaörobe  Kulturverfahren  besonders  berück- 
sichtigt werden  müsse. 

Die  obligaten  Milchkotbakterien  Escherichs. 

B.  coli  commune  und  B.  lactis  aSrogenes  sind  in  jedem 
Brustmilchstuhle  vorhanden.  Wir  haben  bereits  hervorgehoben, 
dass  die  Bakterien  dieser  Gruppe  im  Ausstrichpräparate  des 
normalen  Brustmilchstuhles  zwar  zuweilen  fehlen  können,  allein 
die  aßrobe  Kultur  ergibt  in  jedem  Falle  reichlich  ein  positives 
Resultat.  Nur  die  anaSrobe  Zuckeragarkultur  bleibt  zuweilen  auch 
in  der  Originalverdünnung  von  B.  coli  verschont,  was  wohl  darauf 
zurückzuführen  ist,  dass  die  in  grosser  Anzahl  gewachsenen 
Bifiduskolonien  die  Entfaltung  vereinzelter  Keime  des  Colibazillus 
verhindern.     Immerhin    ist    diese    Tatsache    ein   Hinweis    darauf. 


über  die  Darmbakterien  des  Säuglings.  729 

dass  die  Menge  der  Colibakterien  im  normalen  Brustmilchstuhle 
keine  übermässig  grosse  sein  kann,  da  das  ß.  coli  im  allgemeinen 
auch  auf  sauerstofffreien  Nährboden  gut  und  üppig  gedeiht. 

Die  Vegetation  der  Coligruppe  scheint  sich  beim  Brustkinde 
vorzugsweise  auf  die  höher  gelegenen  Darmabschnitte  zu  be- 
schränken. Ein  Beweis  dafür  ist  u.  a.  die  Beobachtung,  dass  mit 
dem  Einsetzen  katarrhalischer  Darmzustände  in  jedem  Falle  das 
zahlreiche  Auftreten  von  Colibakterien  im  Stuhle  der  Brustkinder 
zusammenfallt. 

Wir  werden  auf  diese  wichtige  Bakteriengruppe  gelegentlich 
der  Untersuchungen  über  die  Verteilung  der  obligaten  Bakterien 
im  Säuglingsdarm  zurückkommen. 

Die  acidophilen  Bakterien. 

Im  Januar  1900  veröffentlichte  ich  eine  kurze  Notiz  über 
die  gramisch  färbbaren  Bazillen  des  Brustmilchstuhles  und  suchte 
diese  Bakterien  mit  jener  Art  zu  identifizieren,  die  sich  auf 
sauren  Nährböden  aus  jedem  Brustmilchstuhl  in  beträchtlicher 
Menge  elektiv  züchten  lässt,  ohne  dabei  die  Färbbarkeit  nach 
Oram  einzubüssen.  Diese  neue  Bakterienart  nannten  wir  wegen 
ihrer  Vorliebe  für  saure  Nährböden  B.  acidophilus.  (Taf.  X, 
Fig.  10.) 

Bald  darauf  berichtete  Finkeiste  in  über  Versuche,  die  an 
der  Berliner  Klinik  schon  seit  Jahresfrist  im  Gange  waren, 
wonach  es  ihm  gelungen  war,  säureliebende  Bazillen  nach 
der  Heymannschen  Methode  auch  aus  den  Stühlen  darmkranker 
Säuglinge  zu  isolieren. 

Zu  gleicher  Zeit  konnte  Escherich  zeigen,  dass  epidemisch 
auftretende  Brechdurchfalle  im  Grazer  Kinderspital  auf  die 
Infektion  mit  gleichgearteten  oder  sehr  nahe  verwandten  Bakterien- 
arten zurückzuführen  seien,  und  beschrieb  auf  Grund  dieser  Be- 
funde ein  sowohl  klinisch  wie  auch  bakteriologisch  wohlcharak- 
terisiertes Krankheitsbild,  die  blaue  Bazillose.  Im  Anschlüsse 
daran  liess  ich  eine  genaue  Beschreibung  der  neuen  Bakterienart 
des  normalen  Brustmilchstuhles  folgen.  Ich  kann  mich  daher, 
um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  mit  dem  Hinweis  auf  die  darin 
gegebenen  morphologischen  und  biologischen  Details  begnügen. 
Es  erscheint  nur  notwendig,  auf  Grund  der  neu  erhobenen  Befunde 
eine  Korrektur  anzubringen,  die  sich  übrigens  aus  dem  Vorher- 
gehenden von  selbst  ergibt. 


730  Moro,  Morpboiogisehe  and  biologriache  Untersachangen 

Id  meiner  Abhandlung  über  den  B.  aeidophilas  sah  ich  mich 
nämlich  zur  Aafstellang  der  Behauptung  veranlasst,  dass  diese 
Bakterienart  die  einheitliche  Flora  des  normalen  Frauenmilch- 
stuhles darstellt.  Diese  Annahme  beruht  auf  einer  Täuschung,  die 
auf  die  Vernachlässigung  der  ana^robeu  Züchtungsmethoden  zurück- 
zuführen ist.  Der  B.  acidophilus  ist  zwar  in  jedem  Brustmilch- 
stuhl in  grosser  Menge  vorhanden,  worauf  die  zahlreichen 
Kolonien  auf  der  Agarplatte  (bes.  saures  Bierwürzeagar)  hin- 
deutete, allein  die  dominierende  Stellung  ist  unbedingt  dem  B. 
bifidus  communis  einzuräumen. 

Eine  sichere  DifiFerenzierung  der  beiden  Arten  im  bakterio- 
skopische  Präparaten  ist  nicht  gut  möglich,  da  dieselben  in  ihren 
einfachen  Formen  einander  sehr  ähnlich  sehen  können;  es  sei 
denn,  dass  auf  die  morphologische  Eigentümlichkeit  des  Acidophilus 
zu  langen  Coccohazillenketten  auszuwachsen  ein  besonderes  Ge- 
wicht gelegt  wird,  eine  Erscheinung,  die  Tissier  und  Cahn.als 
besonders  charakteristisch  für  den  Acidophilus  hingestellt  wissen 
wollen.  Nichtsdestoweniger  beansprucht  diese  Gruppe  von 
Bakterien  auch  bei  ausschliesslicher  Berücksichtigung  der  nor- 
malen Yerhältnisse  unser  volles  Interesse,  da  sie  konstante  Darm- 
bewohner sind. 

Seitdem  wurde  der  B.  acidophilus  aus  den  Stühlen  von 
Säuglingen  vielfach  gezüchtet,  und  es  liegen  bereits  mehrere 
Beschreibungen  dieser  Bakterienart  vor,  welche  untereinander 
gut  übereinstimmen.  (Tissier,  Rodella,  Cippolina,  Weiss.) 
Nur  bezüglich  der  Verzweigungen  herrschen  prinzipielle  Differenzen^ 
indem  einige  Forscher  (Tissier,  Cahn)  dem  B.  acidophilus  die 
Fähigkeit  absprechen,  sich  zu  verzweigen,  während  andere  Autoren 
(Finkelstein,  Rodella,  Verf.)  behaupten,  solche  gesehen  zu 
haben.  In  der  einer  Abhandlung  Rodellas  beigegebenen  Tafel 
sind  deutliche  Verzweigungen  eines  typischen  Acidophiluaknäuels 
abgebildet. 

Ganz  vereinzelt  steht  der  negative  Befund  Tissiers  da, 
wonach  der  Acidophilus  nur  in  .den  Stuhlgängen  künstlich  er* 
nährter  Säuglinge  anzutreffen  sei.  Diese  Behauptung  steht  in 
einem  ungeklärten  Widerspruche  mit  dem  Resultate  von  Rodella 
und  Cahn,  die  den  Acidophilus  in  Übereinstimmung  mit  meinen 
Befunden  regelmässig,  u.  zw.  in  erheblicher  Menge  aus  normalen 
Brustmilchstühlen  gewinnen  konnten.  Wie  wir  bereits  bei  der 
Besprechung  der  Eulturergebnisse  hervorgehoben  haben,  beeinflusst 
er    sogar    in  vielen    Fällen    störend    die    Isolierung    des    Bifidus, 


fiber  die  D^rmbakterien  des  Sftagliogs,  731 

indem  er  mit  Vorliebe  mit  letzterem  vergesellschaftet  ist  und 
zur  Bildung  ronMischkolcnien  Anläse  gibt  (Cahn). 

Für  den  fi.  acidophilus  und  seine  Verwandten  ist  und  bleibt 
das  charakteristischste  Merkmal  die  grosse  WiderstandsfUiigkeit 
gegenüber  hohen  Säuregraden.  Ich  konnte  ein  üppiges  Wachstum 
des  Acidophilus  auf  Nährböden  erzielen,  deren  Säuregrad  ^/loKOH 
entsprach.  Dabei  war  die  Wahl  der  Säare,  ob  Mineralsäure  oder 
organische  Säure,  ziemlich  gleichgültig.  Cahn  erreichte  noch 
ein  gutes  Wachstum  durch  Umzüchtung  bis  zu  30  pCt.  Normal- 
Essigsäure. 

Weiss  schreibt  über  den  B.  acidophilus:  „Auffallend  ist, 
•dass  der  Bazillus  innerhalb  gewisser  Sänregrade  ein  um  so  reich- 
licheres Sediment  bildet,  in  je  stärkerer  Säurelösung  er  geimpft 
wird,  d.  h.  dass  er  sich  nicht  allein  der  Säure  akkommodiert, 
sondern  dass  sich  sogar  sein  Wachstum  entsprechend  dem  Säure- 
grade proportional  zu  verbessern  scheint.^ 

Diesen  Erhebungen  zufolge  ist  der  Rodellasche  Vorwurf, 
<lass  man  einen  Bazillus,  der  auch  auf  alkalischen  Nährböden  gut 
wächst  —  was  ohne  weiteres  zugegeben  werden  muss  — ,  mit  dem 
Prädikat  „säureliebend ^  versieht,  und  sein  Vorschlag,  diese  Ba- 
zillen besser  „säureertragend^  zu  nennen,  nicht  genügend  begründet. 

Eine  weitere  konstante  Eigenschaft  des  Acidophilus  ist 
«eine  Fähigkeit,  Kuhmilch  zur  labartigen  Gerinnung  zu  bringen, 
während  er  die  Frauenmilch  unter  gleichen  Versuchsverhältnissen 
nicht  zur  Gerinnung  zu  bringen  vermag.  Diesem  Verhalten 
wurde  von  mehreren  Seiten  eine  ungebührende  Bedeutung  bei- 
gemessen. (Fischl,  Biedert.)  Die  labartige  Wirkung  teilt  der 
B.  acidophilus  auch  mit  vielen  anderen  Bakterienarteut  und  es 
spricht  das  Ausbleiben  der  Gerinnung  in  der  Frauenmilch  nur 
für  die  allgemeine  Schwierigkeit,  Frauenmilch  zur  Koagulation 
zu  bringen,  ohne  für  den  Acidophilus  selbst  etwas  Spezifisches 
zu  sein. 

Auch  beim  Acidophilus  beobachten  wir,  ebenso  wie  beim 
Bifidus,  ein  Ausbleiben  seines  Wachstums  auf  Gelatine.  Dieses 
Verhalten  wurde  von  mir  auf  sein  Unvermögen,  niederere 
Temperaturgrade  schadlos  zu  ertragen  (20 — 22®  C),  zurückgeführt 
und  von  Weiss  bestätigt. 

Sehr  interessant  ist  die  Mitteilung  Cahns,  wonach  er  den 
Acidophilus  immer  post  mortem  in  den  Organen  darmkranker 
Säuglinge,  zuweilen  auch  in  dem  sofort  steril  entnommenen 
Herzblut  fand. 


732  Moro,  Morphologische  und  biologische  Untersuch  od  gen 

Meine  seinerzeitige  Vermutung,  dass  wir  unter  dem  Spezies- 
begriffe B.  acidophilus  nicht  eine  einzige  Art,  sondern  vielmehr  — 
ähnlich  wie  beim  B.  coli  commune  —  eine  Gruppe  morphologisch 
und  biologisch  nahe  verwandter  Bakterienarten  zu  verstehen  haben, 
hat  sich  in  der  Folge  vielfach  bestätigt.  (Rode IIa,  Cahu, 
Kohlbrugge,  Cipollina,  Weiss.)  Es  wurden  insbesondere 
aus  den  Stuhlen  und  aus  dem  Darminhalt  erwachsener  Menschen 
mehrere  Bakterienarten  und  Varietäten  gezüchtet  und  beschrieben, 
die  von  den  Autoren  sämtlich  der  Gruppe  der  acidophilen 
Bakterien  untergeordnet  wurden. 

Erklärung  der  Abbildungen  auf  Taf.   IX  und  X. 

Färbung  nach  Weigert-Escherich,   ohne    Kontrastfarbe.    VergrösseruDg: 

ca.  800  fach,  homog.  Immers.  Win  ekel,  Göttingen. 

Taf.  IX. 

Ansstrichpräparat  eines  normalen  Frauenmilchstuhles.    B.  bifidns 

einfache  Form,  nur  ganz  yereinzelt  Verzweigte. 

Ausstrichpräparat  eines  normalen  Frauenmilchstuhles.    B.  bifidus 

sogen,  „punktierte  Bazillen**  (B.  bifidus). 

Zwei  Ausstrichpräparate  normaler  Frauen  milchstähle. 

Linke  Hälfte:  köpfchentragende  Form  des  B.  bifidus. 

Rechte  Hälfte:  verzweigte  (gespaltene)  Form  des  B.  bifidus. 

Ausstrichpräparat   einer   älteren    Kultur   auf  gemeinem   Agar.    B. 

bifidus  köpfch entragende  Zwergformen. 

Ausstrich präparat   einer   2  Wochen    alten    Kultur   auf   Zuckeragar. 

B.  bifidus  verzweigte  und  iüvolvierte  Formen.    (Zwergformen.) 

Ausstrichpräparat  einer  4tägigen  Kultur  auf  Zuckeragar.  B.  bifidns 

einfache,    punktierte,    köpfchentragende    und   verzweigte   Formen. 

(Riesenformen.) 

Taf.  X. 
Ausstrichpräparat   einer   älteren    Kultur    auf   gemeinem    Agar   der 
Köpfchenbakterien. 

Ausstrichpräparat   einer  jüngeren  Kultur   auf  gemeinem  Agar   der 
Köpfe  henbakterien. 

Ausstrichpräparat  des  in  Yersporuug  begriffenen  skatolbiidenden, 
anaeroben  Buttersäurebazillus;  ältere  Kultur  auf  gemeinem  Agar. 
Ausstrich  präparat  einer  Bouillonkultnr  des  B.  acidophilus. 
Ausstrichpräparat  einer  Agarstrichknltur  des  Actinomyces 
chromogenes. 
Fig.  12:  Ausstrich  präparat  einer  5  Tage  alten  Znckeragarkultur  von  6. 
bifidus.     In  Plasmoptyse  begrifiene  Formen. 

Literatur. 

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a.  d.  Handb.  der  Ernährungstherapie  und  Diätetik  v.  E.  v.  Leyden» 
II.  Aufl.     1904. 


Fig. 

1 

Fig. 

2 

Fig. 

3 

Fig. 

4 

Fig. 

5 

Fig. 

6 

Fig. 

7 

Fig. 

8 

Fig. 

9 

Fig. 
Fig. 

10 
11 

über  die  DarmbakterieD  des  Säuglings.  733 

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734        Moro,  Morphologische  and  biologische  untersuch angen  etc. 

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•38.  Rodella,  Über  an  aerobe  Bakterien  im  normalen  Säuglingsstuhle.  Zeitsehr. 
f.  Hyg.    Bd.  89.     1902. 

39.  Derselbe,   Über   die  Bedeutung   der   im  Sftuglingsstuhle   vorkommenden 

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(Schluss  im  n&chsten  Heft.) 


XXIL 

Ober  „paradoxes  Schwitzen'*  beim  Kinde/) 

Von 

Dozent  Dr.  JüLIüS  ZAPPERT 

In  Wien. 

Wenn  ich  mir  erlaube,  in  dieser  Yersammlung,  in  welcher 
sonst  nur  die  Resultate  längerer  Untersuchungen  und  eingehender 
Studien  zur  Besprechung  kommen,  Ihre  Geduld  für  kurze  Zeit 
mit  der  Darlegung  eines  Einzelfalles  in  Anspruch  zu  nehmen,  so 
bedarf  dies  einiger  entschuldigender  Bemerkungen.  Es  schien 
mir  nämlich  einerseits  nicht  überflüssig,  Sie  mit  einer  Beobachtung 
bekannt  zu  machen,  die,  soweit  meine  Literaturstudien  reichen, 
«in  nicht  nur  im  Kindesalter,  sondern  auch  in  späteren  Lebens- 
perioden bisher  unbeschriebenes  Symptomenbild  darstellt,  und  ich 
glaubte  andererseits  Ihre  Aufmerksamkeit  auf  die  Pathologie  des 
Schwitzens  überhaupt  lenken  zu  dürfen,  welcher  gerade  von 
kinderärztlicher  Seite  noch  wenig  Interesse  entgegengebracht 
wurde.  So  fand  ich  als  Illustration  dieser  letzten  Behauptung 
in  den  Registern  des  Jahrbuchs  für  Kinderheilkunde  nicht  einen 
einzigen  Fall  von  Störung  der  Schweisssekretion  yerzeichnet. 

Das  Kind,  über  welches  ich  Ihnen  berichten  will,  ist  ein  derzeit  nahezu 
6j ähriges  Mädchen.  Dasselbe  stammt  von  blats verwandten  jüdischen 
Eltern  ab  (Cousin  und  Cousine),  doch  möchte  ich  in  parenthesi  bemerken, 
dass  ich  nicht  geneigt  bin,  darin  überhaupt  ein  allzu  schwer  belastendes 
Moment  zu  erblicken.  Die  Familie,  aus  welcher  die  Eltern  stammen,  ist 
übrigens  gesund,  nervös  nicht  belastet,  die  Eltern  selbst,  welche  verschiedenen 
Familientjpen  entsprechen,  völlig  gesund.  Ein  zweites  Kind  ist  bisher  nicht 
vorhanden.  Das  Kind  selbst  war  mit  einem  Gewicht  von  nahezu  8  kgr  ge- 
boren, wurde  an  der  nicht  sehr  reichen  Mutterbrust  gestillt,  gedieh  körperlich 
ziemlich  langsam,  hatte  aber  weder  Rachitis  noch  irgend  eine  andere  belang* 
reichere  Krankheit.  Geistig  entwickelte  es  sich  ziemlich  rasch,  konnte  bereits 
mit  IVf  Jahren  sprechen,   mit   ca.   1  Jahr  laufen  und  bietet  derzeit  das  Bild 


1)  Vortrag,    gehalten    in    der  Sektion    für  Kinderheilkunde  der  Natar- 
forscherversammlnng  zu  Breslau. 

Jahrbuch  fflr  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    Heft  5.  48 


736  Zftppert,  Über  «pftradozes  Schwitien*'  beim  Kinde. 

eines   etwas  aufgeregten,   lebhaften,   normalen  Kindes  TOn    zartem  Knochen- 
bau dar. 

Die  ersten  Erscheinungen  des  abnormen  Schwitzens  bot  da«  Kind  im 
Alter  von  2  Jahren.  Bei  Eintritt  der  kalten  Witterang  fiel  es  anf,  dass 
das  Mädchen,  wenn  es  anf  die  Strasse  gebracht  wurde,  am  Handröcken  sehr 
rasch  auftretende  starke  Schweisssekretion  zeigte.  Diese  Schwitzanf&lie,  die 
sich  mehrmals  täglich  einstellten,  nahmen  allmählich  an  In-  und  Extensität 
zu.  Der  Verlauf  einer  solchen  Attacke  war  stets  folgender:  Zuerst 
schwitzten  die  Handrücken,  dann  die  Streckseiten  des  Vorder- 
armes, dann  jene  des  Oberarmes,  dann  der  Nacken  nnd  schliess- 
lich die  Brust.  Auf  dem  Höhepunkt  der  Seh  weisser  uption  sind  die  ge- 
nannten Teile  mit  grossen  Schweissperlen  bedeckt,  sie  ffihlen  sich  sehr  kalt 
an,  die  Haut  ist  blass,  nur  die  Handrficken,  die  der  Luft  ausgesetzt  sind,, 
erscheinen  auffallend  rot.  Subjektive  Beschwerden  sind  recht  gering  und 
bestehen  höchstens  in  einem  unangenehmen  Kältegefühl.  Lästiger  wird  von 
Matter  und  Kind  der  Umstand  empfunden,  dass  bei  einem  solchen  Seh  weiss- 
ausbruch  das  Hemdchen  des  Kindes  yöllig  durchnässt  wird  nnd  mehrmals- 
täglich  gewechselt  werden  mnsste. 

Diese  Schwitz  an  fälle  treten  während  der  Krankheitsperiode  mit  der 
Sicherheit  eines  Experimentes  auf,  wenn  das  Kind  bei  kühlerer  Temperatur 
anf  die  Strasse  geschickt  wird,  ohne  dass  die  Art  der  Bekleidung  hierbei  einei» 
Einflass  ausübt.  Ebenso  stellt  sich  der  Seh  weiss  ein,  wenn  das  Kind  kühl  ge- 
waschen oder  im  kühleren  Zimmer  ausgekleidet  wird.  Hervorzuheben  ist  die 
Angabe  der  gut  beobachtenden  Mutter,  dass  während  der  Periode  des 
Schwitzens  auch  geistige  Anstrengung  dasselbe  hervorrufen  soll.  Die 
Schweisssekretion  hört  sofort  auf,  wenn  das  Kind  zu  Bett  gebracht  oder 
wenn  durch  Laufen,  Springen  eine  Erhöhung  der  Körperwärme  erzielt  wird.  Die 
Seh  Weissproduktion  ist  an  den  genannten  Körperteilen  scharf  begrenzt  nnd 
läset  sich  an  Nacken  und  Brust  durch  eine  Linie  abgrenzen,  die  etwa  der 
Taille  entspricht.  Die  Mutter  hat  dies  anschaulich  in  der  Weise  angegeben, 
dass  bei  sehr  schweren  Schwitzanfällen  der  obere  Besatz  des  Höschens,, 
nicht  aber  die  andern  Teile  desselben  nass  werden.  Niemals  sind  die 
Handflächen,  Stirne  und  andere  Teile  der  Körperoberfläche  an 
dem  Schwitzakte  beteiligt.  Diese  Schwitz periode  dauerte  das  erste 
Mal  mit  kleinen  Unterbrechungen  nahezu  den  ganzen  Winter  hindurch  und 
stellte  sich  auch  während  des  Sommers  bei  raschem  Eintritt  kühler  Witterung 
vorübergehend  ein.  Das  Schwitzen  begann  an  den  Händen,  nahm  rasch 
seine  Ausbreitung  über  die  genannten  Teile,  blieb  in  diesem  Stadium  durch 
eiuige  Wochen  und  nahm  dann  allmählich  ab.  Während  des  Höhestadiums 
traten  mehrmals  täglich  Schweisseruptionen  auf,  darunter  auch  solche,  die 
abrupt  verliefen  und  sich  nur  auf  die  Handrücken  beschränkten. 

In  den  folgenden  Wintern  wiederholte  sich  die  Krankheit,  sie  ver- 
lief aber  kürzer,  weniger  heftig,  vielleicht  beeinflasst  durch  eine  Arsenikkar, 
die  ich  jetzt  jedesmal  za  Beginn  des  Schwitzzustandes  einleite.  Die  Pansen 
zwischen  den  Anfällen  vergrössem  sich  immer  mehr  and  mehr,  die  Dauer 
desselben  wird  immer  kürzer;  die  vorletzte  Attacke  dauerte  ungefähr  5  bis 
6  Wochen  und  verlief  sehr  schwach.  Man  hat  den  Eindruck,  als  ob  der 
Zustand  allmählich  in  Besserung  übergehe. 


Zappers,  Über  «paradoxes  Schwitzen''  beim  Kinde.  737 

Ausserhalb  dieser  Sehwitzanfälle  neigt  das  Kind  —  ebenso 
wie  sein  Vater  —  überhaupt  sehr  wenig  zum  Schwitzen.  Bei  starker 
Erhitzung  und  im  heissen  Sommer  findet  man  manchmal  die  Haut  feucht, 
Schweisstropfen  stellen  sich  nie  ein.  Aber  auch  bei  diesem  natürlichen 
Schwitzen  bleiben  die  Handflächen,  die  Fasssohlen,  die  Achselhöhle  frei,  und 
man  kann  auch  hierbei  konstatieren,  dass  die  Nässung  der  Dorsalfläcben 
der  Vorderarme  unverhältnismässig  stark  ist.  Pilocarpininjektion  habe  ich 
nicht  vorgenommen,  da  ich  bloss  zu  experimentellen  Zwecken  das  Mittel 
doch  nicht  bei  einem  so  kleinen  Kinde  anwenden  wollte. 

Gegenüber  diesen  bemerkenswerten  Störungen  der  Schweisssekretion 
ist  der  objektiye  Untersuchungsbefund  bei  dem  Kinde  ein  negativer. 
Dasselbe  ist  zart  gebaut,  fettarm,  aber  gut  ge^bt;  es  ist  sehr  lebhaft,  spricht 
viel,  hatte  früher  oft  recht  unruhige  Nächte^  aber  keine  PayoranAllle.  Es 
ist  körperlich  recht  widerstandsfähig,  geschickt,  hat  im  heurigen  Sommer 
ohne  eigentlichen  Unterricht  Schwimmen  gelernt  und  wagte  sich  allein  in 
den  See  hinaus,  «an  welchem  es  Sommeraufenthalt  hatte.  Der  Nerrenstatus 
ist  ein  yoUkommen  normaler,  insbesondere  bestanden  auch  während  einer 
Sohwitzperiode  weder  Störungen  der  motorischen  Funktionen,  noch  solche 
der  taktilen  oder  thermischen  Sensibilität  Sympathikussymptome  von  seiten 
der  Pupillen  waren  während  des  Schwitzanfalles  nicht  zu  beobachten;  der 
Harn  ist  eiweiss-  und  zuckerfrei. 

Ich  habe  den  Fall  als  paradoxes  Schwitzen  bezeichnet, 
indem  ich  mich  hierbei  an  einen  anlangst  gebrauchten  Terminus 
von  Schlesinger  anschloss.  Dieser  benennt  mit  diesem  Aus- 
druck solche  Fälle,  bei  denen  Schweisssekretion  nicht  bei  Wärme-, 
sondern  bei  Eälteeinwirkung  auftrat. 

Unser  Fall  ist  aber  noch  paradoxer  als  die  beschriebenen, 
da  das  Schwitzen  nicht  nur  lediglich  bei  Kälteeinwirkung  auf- 
trat, sondern  sich  ausschliesslich  auf  Hautpartien  be- 
schränkte, die  sonst  weniger  schwitzen,  während  die 
gewöhnlichen  Prädilektionsstellen  des  Schweisses  voll- 
kommen frei  blieben.  Auffallend  ist  endlich  das  anfallsweise 
Auftreten  der  Seh  weisse  in  Form  mehrwöchentlicher,  vor  über- 
gehender Erankheitszustände  und  die  anscheinende  Tendenz 
zum  Verschwinden  des  ganzen  Zustandes. 

In  der  recht  grossen  Literatur  über  Schweissanomalien  ist 
mir  ein  Fall  mit  ähnlichem  Symptomenkomplex  nicht  begegnet, 
namentlich  glaube  ich  in  dem  ausschliesslichen  Schwitzen  so- 
zusagen schweissstummer  Hautpartien,  sowie  in  dem 
periodenweisen  Abiauf  der  Krankheit  ganz  ungewöhnliche  Merk- 
male erblicken  zu  dürfen. 

Die  Fälle  von  Anomalien  der  Schweisssekretion, 
welche  recht  zahlreich  in  der  Literatur  niedergelegt  sind,  be- 
ziehen sich  teils  auf  Hyperhidrosis  des  ganzen  Körpers,  teils 

48* 


738  'Zapp ort,  Über  „paradoxes  Schwitzen**  beim  Kinde. 

—  und  dies  ist  sehr  häufig  —  auf  übermässiges  Schwitzen 
einzelner  Körperteile,  so  namentlich  einer  Körperhälfte, 
einzelner  Extremitäten,  bestimmter  Gesichtsanteile,  der 
Hände,  der  Füsse  etc.  Manchmal  besteht  dabei,  wie  in 
unserem  Falle,  Anidrosis  der  anderen  Körperpartien.  Meist 
handelt  es  sich  hierbei  um  einen  Dauerzustand,  der  spontan 
oder  in  Begleitung  organischer  Störungen  eingesetzt  hat  und 
wenig  Neigung  zur  Besserung  aufweist. 

Die  Hyperhidrosis  kann  nach  experimentellen  und  klinischen 
Studien  von  verschiedenen  Stellen  des  Nervensystem  es  ausgelöst 
werden  und  daher  als  Begleitsymptom  eine  Reihe  von  Erkrankungen 
desselben  vorkommen.  So  gibt  es  Anomalien  der  Schweisssekretion 
bei  cerebralen  Affektion en(Paralyse,Epilepsie,Hemiplegieetc.), 
bei  spinalen  Erkrankungen  (Syringomyelie,  Tabes,  Myelitis, 
Poliomyelitis  etc.),  bei  Schädigungen  des  Sympathicus,  sowie 
des  peripheren  Nervensystems  (Nerven Verletzungen,  Poly- 
neuritis). Ferner  begleiten  sudorale  Anomalien  eine  Reihe  so- 
genannter Neurosen,  wie  Hysterie,    Neurasthenie,   Migräne. 

Alle  diese  ursächlichen  Momente  können  für  unseren  Fall 
keine  Gültigkeit  haben,  da  sowohl  eine  jede  organische  Läsion 
als  auch  jede  ausgesprochene  Neurose  fehlt.  Teuscher  (Neurol. 
Centralbl.,  1897)  stellt  eine  eigene  Gruppe  von  halbseitiger  Hyper- 
hidrosis als  Folge  nervöser  Degeneration  auf,  die  sich  zum  Teil 
mit  den  angeführten  Neurosen  deckt,  zum  Teil  die  Schwitzanomalie 
als  einziges  Degenerationszeichen  aufweist.  Logischerweise  müsste 
man  unseren  Fall  in  diese  letzte  Gruppe  einreihen,  ohne  aber 
damit  viel  mehr  gewonnen  zu  haben,  als  eine  landläufige  Be- 
zeichnung, die  den  Fall  nicht  weiter  erklärt. 

Ich  wäre  geneigt,  diese  Bezeichnung  zur  nervösen  Degeneration 
lieber  fallen  zu  lassen  und  in  teilweisem  Anscliluss  an  Raymond 
und  Kaiser  (s.  Teuscher)  diesen  und  ähnliche  Fälle  in  eine  eigene 
als  selbständige  Krankheit  sich  repräsentierende  Gruppe,  jene  der 
sudoralen  Reflexneurosen  einzureihen.  Das  Charakteristische 
dieser  Zustände  bestände  darin,  dass  —  bei  Fehlen  anderer 
Krankheiten  —  entweder  der  das  Schwitzen  auslösende 
Reiz  oder  die  Lokalisation  der  Schweisseruption  oder 
die  Intensität  derselben  oder  —  was  meistens  der  Fall 
ist  —  alle  diese  Momente  von  der  Norm  abweichen. 

In  diese  Gruppe  würden  jene  Fälle  gehören,  bei  denen  auf 
Grund  von  Affekten,  Hitze,  Bettwärme,  halbseitiges 
Schwitzen  auftritt.    Hier  ist  der  den  Schweiss  auslösende  Rei2 


Zappert,  Über  nparadoxos  Schwitzen**  beim  Kinde.  '    739 

annähernd  normal,  die  Verteilung  des  Schwitzens  hingegen  un^ 
gewöhnlich.  Aus  dem  Eindesalter  sind  mir  solche  Fälle  nicht 
bekannt. 

Hierher  wären  ferner  die  Fälle  von  Akrohyherhidrosis  ein- 
zureichen, bei  denen  unter  psychischen  Eindrücken  oft  sehr  gering- 
fugiger  Natur  —  z.  B.  Gefühl  fixiert  zu  werden  —  eine  starke 
Schweisseruption  an  Nasenspitze,  Stirne,  Händen,  Fassen  etc.  auf- 
tritt. Man  könnte  hei  dieser  Erscheinung  sowohl  in  dem  ungewöhn- 
lichen Reiz  als  auch  wieder  in  der  Intensität  der  Reaktion  da^ 
Krankhafte  erblicken. 

Eine  nicht  gar  seltene  Gruppe  von  Schweissanomalien  stellen 
jene  Fälle  dar,  die  durch  das  Auftreten  von  halbseitigem 
oder  auch  von  fleckenweisem  Schwitzen  des  Gesichtes  beim 
Kauen  meist  saurer  oder  gewürzter  Speisen  gekennzeichnet  wird. 
Diese  sonderbare  Erscheinung  trifft  man  auch  bei  Kindern,  sowie 
überhaupt  bei  mehreren  Mitgliedern  einer  Familie  an. 

Eine'  eigene,  interessante  Unterabteilung  dieser  sudoralen 
Reflexneurosen  wird  durch  die  Fälle  paradoxen  Schwitzens 
gebildet.  Es  ist  dies  eine  Schweisseruption  unter  Umständen, 
welche  sonst  die  Sekretion  verhindern,  namentlich  auf  Kälte- 
einwirkung, sowie  das  Ausbleiben  des  Schweisses  bei  Wärme. 
Einen  sehr  interessanten  Fall  dieses  paradoxen  Schwitzens,  der 
einige  Ähnlichkeit  mit  dem  unserigen  darbietet,  beschreibt  Kaposi 
(Arch.  f.  Dermatol.  u.Syph.,  49)  und  unabhängig  davon  Marischier 
(Wien.  klin.  Wochenschr.,  1899).  Es  handelte  sich  hier  um  einen 
14  jährigen  kyphoskoliotischen  polnischen  Juden,  der  seit  seinem 
6.  Lebensjahre  bei  Kälteeinwirkung  eine  starke  Schweissabsonderung 
zuerst  an  den  Wangen,  dann  am  Halse,  den  Schultern,  den  Armen 
und  schliesslich  der  Brust  darbot.  In  der  Wärme  und  nach  körper- 
lichen Anstrengungen  verschwindet  die  Schweisssekretion.  Im 
Sommer  schwitzen  die  genannten  Teile  weniger,  dagegen  die  Beine 

'Stärker.  Diese  abnorme  Schweissbildung  kann  jederzeit  durch 
Kälteeinwirkung  ausgelöst  werden.  Kaposi  ist  geneigt,  eine  spinale 
Affektion  dem  Leiden  zugrunde  zu  legen,   welches   die  Schweiss- 

' Zentren  im  unteren  Halsmarke  und  oberen  Brustmark  in  Mit- 
leidenschaft gezogen  hat.  Er  bezeichnet  die  Krankheit  als  „Hyper- 
idrpsis  spinalis  superior^  und  denkt    an  das  Vorhandensein  einer 

•Hydromyelie.  Dagegen  fasst  Marischier  denselben  Fall  lediglich 
als  Neurose  auf. 

,  Bei  unserem  Falle  von  ^paradoxem  Schvritzen^  liegt  keinerlei 

Anhaltspunkt  für  ein.  spinales  Leiden  vor  und   wir  haben  bei 


740  Zappert,  Über  „paradoxes  Schwitzen*  beim  Kinde. 

dem  ganzen  Verlaufe  desselben  wohl  das  Recht,  von  einer  RefJex- 
neurose  zu  sprechen.  Von  dem  Kaposi  sehen  Patienten  unter- 
scheidet sich  unsere  Patientin  dadurch,  dass  hierbei  jene  Haut- 
steilen,  die  sonst  Prädilektionssitz  des  Schwitzens  sind,  frei  bleiben, 
sich  die  Schweisseruption  an  ungewöhnlichen  Hautpartien  lokali- 
siert. Der  Fall  stellt  ferner  durch  das  periodenweise  Auftreten 
der  Schwitzkrankheit,  durch  den  Beginn  in  frühester  Kindheit, 
sowie  durch  die  anscheinende  Tendenz  zur  Heilung  einen  von  der 
erwähnten  Beobachtung  des  Wiener  Klinikers  abweichenden  Be- 
fund dar.  Wir  können  also  unseren  Fall  als  eine  periodisch 
wiederkehrende,  prognostisch  günstige  reflektorische 
Schwitzneurose  von  dem  Charakter  der  paradoxen 
Schwitzens  bezeichnen. 

Damit  sind  wir  allerdings  der  Aufgabe  nicht  enthoben,  nach 
einem  zentralen  Angriffspunkt  bezw.  einer  Auslösungs- 
stelle für  den  abnormen  Schwitzreflex  zu  suchen.  Auf 
Grund  mehrfacher  Untersuchungen,  die  Schlesinger  (Festschrift 
für  Kaposi,  Arch.  f.  Dermatol.  u.  Syphil.,  1900)  letzthin  kritisch 
geordnet  und  erweitert  hat,  müssen  wir  im  Rückenmarke  Zentren 
für  die  Schweisssekretion  annehmen.  Als  derartige  paarige, 
„spinale  Schweissterritorien  erster  Ordnung*'  sind  zu  betrachten: 
„Je  eine  Gesichtshälfte,  je  eine  obere  Extremität,  die  obere 
Rumpf-,  Hals-,  Nacken-  und  Kopfhälfte,  je  eine  untere 
Extremität".  Es  ist  auch  der  Versuch  gemacht  worden,  diese 
Schweisszentren  innerhalb  des  Rückenmarkes  zu  lokalisieren. 
Klinische  Erfahrungen  lehren,  dass  nicht  nur  die  einzelnen 
Schweisszentren  ineinander  übergehen,  indem  eine  Schweiss- 
eruption zuerst  in  einem  Schweissterritorium  beginnt,  dann  ein 
anderes  anfasst  (z.  B.  Kaposis  Fall  mit  Beginn  des  Schwitzens 
im  Gesicht  und  Fortschreitens  desselben  auf  den  Arm  und  die 
Brust),  sondern  dass  auch  spinale  Zentren  zweiten  Ranges 
existieren,  welche  eine  Schweisseruption  an  beschränktere 
Hautpartien  beeinflussen,  als  es  dem  Ausbreitungsgebiet 
der  Zentren  erster  Ordnung  entsprechen  würde. 

Unser  Fall  könnte  als  Bestätigung  für  diese  letztere  Annahme 
herangezogen  werden,  da  wir  ja  die  Seh  Weissabsonderung  nur  an 
einem  ganz  beschränkten  Teil  der  oberen  Extremität 
auftreten  sehen  und  daher  annehmen  müssen,  dass  die  Dorsalfläche 
der  Hand,  und  des  Armes  eigene  spinale  Schweisszentren  besitzen, 
die  von  jener  der  Beugefläche  räumlich  getrennt  sind.  Es  ist  auch 
nicht  uninteressant,    dass   die  Verteilung  der  suderalen  Anomalie 


Zappert,  Über  «paradoxes  Schwitzen''  beim  Kinde.  741 

an  den  Armen  sich  annähernd  an  die  sensible  Ausbreitung 
der  Radialnerven  halt,  gleichfalls  eine  Bestätigung  einer  Be- 
hauptung Schlesingers,  nach  welcher  die  Schweissfasem  „in 
Bezug  auf  die  periphere  Ausbreitung  der  segmentalen  Verbreitung 
der  sensiblen  Nerven  näher  stehen,  als  der  motorischen^. 

Welches  freilich  die  Ursachen  sind,  die  in  unserem  Falle 
eine  derartige  paradoxe  Reaktion  und  Labilität  einzelner  spinalen 
Schweisszentren  bewirkt  haben,  bleibt  unklar,  und  es  steht  frei, 
darin  das  einzige  Zeichen  einer  nervösen  Degeneration  —  viel- 
leicht als  Folge  der  Eonsanguinität    der  Eltern  —  zu  erblicken. 

Jedenfalls  hielt  ich  mich  für  berechtigt,  auf  Grund  dieses 
Falles  Ihre  Aufmerksamkeit  auf  die  Anomalien  des  Schwitzens 
bei  Eandem  lenken  zu  dürfen  und  glaube,  dass  ein  näheres  Ein- 
gehen auf  diese  bisher  wenig  beachteten  Störungen  einige  Aus- 
beute erwarten  Hesse. 


XXIIL 

Ans   der  Nervenabteilnng   des    ersten   öffentlichen   Kinder- Kran  keninstitate» 

in  Wien. 

Klinische  Studien  über  Poliomyelitis. 

n. 

Klinische  Untersuehnngren  an  240  F&llen  von  spinaler 
Kinderlähmangr. 

Von 

Dr.  RUDOLF  NEÜRATH. 

Die  durch  eine  Reihe  von  Jahren  an  der  Nervenabteilong 
des  ersten  öffentlichen  Kinderkrankeninstitates  zur  Untersachung 
gekommenen  Fälle  von  Poliomyelitis  wurden  von  Zappert  vor 
4  Jahren  zu  Studien  über  das  gehäufte  Auftreten  der  spinalen 
Kinderlähmung  und  über  ihre  Ätiologie  verwertet  (Jahrbuch  für 
Einderheilkunde  N.  F.  Bd.  LIII).  Die  damals  in  Aussicht  ge- 
stellte Ordnung  des  Materiales  vom  klinischen  Gesichtspunkte 
wurde  durch  äussere  Gründe  verzögert.  Indem  wir  nun  die 
seither  neu  beobachteten  Fälle  mit  berücksichtigen,  ergänzt  sich 
das  vorliegende  Material  auf  240  Fälle,  die  vom  Jahre  1886  bis 
1903  zur  Beobachtung  gekommen  sind.^)  In-  dieser  Zeit  kamen 
an  allen  Abteilungen  des  Institutes,  allen  den  inneren  Erkrankungen, 
wie  den  spezialistischen  Ordinationen  bestimmten,  250000  Kinder 
zur  Untersuchung,  es  entspräche  daher  der  Häufigkeit  der  Polio- 
myelitis unter  allen  Erkrankungsfällen  des  Kindesalters  einem 
Verhältnis  von  ca.   1  :  1000. 

Die  relativ  grosse  Zahl  der  FäUe,  manche  Abweichungen 
im  Verlaufe  und    in  der  Verteilung    der  Lähmungsgebiete   lassen 

1)  Die  Terzeichneten  Befände  stammen  Ton  den  jeweilig  leitenden 
Ärzten  der  Nervenabteilnng,  doch  habe  ich  selbst  sicher  mehr  als  die  Hftlfte 
der  Fälle  teils  als  interimistischer  J^eiter,  teils  als  Gast  der  mir  befreundeten 
Vorstände  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt. 


Nearath,  Klioische  Stadien  über  Poliomyelitis.  743 

eine  klinische  Bearbeitung  unseres  Materiales  dankbar  erscheinen; 
Wiewohl  eine  Berücksichtigung  der  uferlosen  Literatur  unseres 
Gegenstandes  alle  auffallenden  Details  als  bereits  beobachtet  und 
bekannt  erscheinen  liesse,  dürfte  die  Analyse  eines  grösseren 
Materiales    doch  symptomatisch  wie    statistisch  Interesse    bieten. 

Die  Nachteile  für  die  klinische  Beurteilung,  die  sonst  ein 
ambulatorisches  Erankenmaterial  gegenüber  dem  liegenden  Spitals- 
material empfinden  lässt,  möchte  ich  gerade  für  die  Poliomyelitis 
nicht  gar  hoch  anschlagen.  Allerdings  entgingen  uns  in  der  Regel 
die  ersten,  oft  stürmisch  verlaufenden  Tage  des  Initialstadiums,  das 
ja  so  sehr  dem  Ausbruch  akuter  Infektionskrankheiten  zu  ähneln 
pflegt,  dass  Fehldiagnosen  die  Regel  sind.  Aber  wir  haben  immerhin 
unter  unseren  Fällen  eine  Anzahl  relativ  frischer  Fälle,  die  bereits 
wenige  Tage  nach  Beginn  ins  Ambulatorium  gekommen  waren 
und  nach  mehrtägigen  Pausen  wieder  erschienen,  einigermassen 
die  Verfolgung  des  Krankheitsverlaufes  gestatteten.  Der  Mangel 
der  Obduktionen  kann  gerade  bei  der  quoad  vitam  günstigen 
Prognose  der  Poliomyelitis  nicht  empfunden  werden.  So  scheint 
uns  denn  ein  ambulatorisches  Material  für  eine  klinische  Studie 
der  spinalen  Kinderlähmung  geeignet.  Selten  ist  wohl  ein  Autor 
in  der  glücklichen  Lage  Medins,  der  gelegentlich  einer  Epidemie 
eine  grössere  Anzahl  von  Poliomyelitis  vom  Ausbruch  der  Krank- 
heit an  genau  beobachten  konnte. 

Das  Alter  unserer  Patienten  schwankte  vom  ersten  Lebens- 
tage bis  zu  16  Jahren.  Fünfmal  war  angeblich  die  Krankheit 
angeboren. 

Es  standen  zur  Zeit  des   Krankheitsbeginnes    im  Alter    von 

Va— ^'a  bis  1—1   bis  2—2  bis  3  —  3  bis  4  Jahren 

81       60  73  35  18       Fälle 

4  bis  5— 5  bis  6—7—12—15  Jahren 

7  12      11    Fälle 

19  mal    Hess    sich    die    Zeit    des   Beginnes    der    Krankheit    nicht 

eruieren.    Wir  finden  also  die  grösste  Häufigkeit  der  Erkrankungen 

im  Alter  von  6  Monaten    bis  zum  Ende  des  dritten  Jahres,  und 

am  stärksten  disponiert  das  2.  Lebensjahr.     Auch  Sinkler  fand 

von    86  Fällen  53    bis    zur    oberen    Altersgrenze    von  2  Jahren. 

Allen    Starr    (nach    Williamson)     bezeichnet     ebenfalls     das 

2.  Lebensjahr  als  vorwiegend  betroffen  (472  von  595  gesammelten 

Fällen).     Seeligmüller  fand  den  Krankheitsbeginn  am  häufigsten 

im  1.  und  2.,  seltener  im  3.  und  noch  seltener  im  4.  Jahre;    als 

jüngste  Fälle    bezeichnet    er    drei  im  Alter    von  ca.  10  Wochen. 


744  Neurath,  Klioisohe  Stadien  über  Poliomyelitis. 

Duchenne  hebt  unter  seinen  Fällen  einen  am  12.  Tage  und 
einen  mit  4  Wochen  hervor.  Er  und  Sin  kl  er  finden  als  obere 
Orenze  das  Alter  von  6  Jahren. 

Von  einigen  Autoren  wird  eine  ungleiche  Häufigkeit  je  nach 
dem  Geschlechte  der  Erkrankten  hervorgehoben.  Wir  haben 
«ine    derartige,    statistische    Trennung    för    überflüssig    gehalten. 

Wenn  wir  unser  Krankenmaterial  vom  symptomatischen 
Gesichtspunkte  durchgehen,  so  sind  wir,  was  das  Initialstadium 
anbelangt,  auf  anamnestische  Angaben  angewiesen,  da  Fälle  in 
den  ersten  Stunden  der  Krankheit  der  ambulatorischen  Unter- 
suchung nicht  zukommen.  Im  allgemeinen  gestatten  die  Er- 
hebungen die  Annahme,  dass  mitunter  dem  mehr  oder  weniger 
brüsken  Einsetzen  der  Krankheit  vage  prämonitorische  Er- 
scheinungen, wie  Müdigkeit,  Abgeschlagenheit,  Appetitlosigkeit, 
unterbrochener  Schlaf  vorangegangen  sind;  wie  in  einem  Falle 
Seeligmüllers,  in  welchem  Weigerung  zu  laufen,  vier  Wochen 
vor  Krankheitsbeginn  bestanden  haben  soll,  gab  auch  in. einem 
unserer  Fälle  (hemiplegische  Lähmung)  die  Mutter  an,  dass  das 
Kind  schon  lange  vorher  zeitweilig  gehinkt  hätte. 

Dass  sich  das  Initialstadium  langsam  aus  prämonitorischen 
Symptomen  entwickeln  und  diese  in  eigenaptiger  Weise  die 
dauernden  Ausfallerscheinungen  andeuten  können,  zeigt  folgender 
Fall: 

Ein  7  Jahre  altes  Mädchen,  das  früher  an  Wadenkrämpfen 
litt,  fühlte  sich  einige  Tage  vor  Pfingsten  unwohl,  hatte  Kopf- 
schmerzen, vielleicht  auch  Fieber.  Pfingstsamstag  Besserung, 
das  Kind  ging  in  die  Schule.  Heimgekommen,  erzählte  es,  dass 
die  rechte  Hand  beim  Schreiben  gezittert  hätte,  der  Lehrer  habe . 
es  für  Ungeschicklichkeit  gehalten  und  ihr  einen  Schlag  auf  die 
Wange  gegeben.  Am  Arm  war  nichts  zu  bemerken,  sie  hatte 
keine  Schmerzen  und  konnte  Arm  und  Hand  gut  bewegen.  Auch 
die  Nacht  darauf  verlief  gut.  Doch  Pfingstsonntag  früh  klagte 
sie  über  Nackenschmerzen,  es  bestand  Fieber.  Beim  Frühstück 
hatte  sie  das  Gefühl,  als  ob  der  Arm  herunterfiele.  Sie  konnte 
nicht  essen.  Schmerzen  im  Arm.  —  Schlaffe  Lähmung  des 
rechten  Armes,  Bewegungen  in  Schulter  und  Ellbogen  fehlend, 
Händedruck  sehr  schwach,  Atrophie,  am  ausgeprägtesten  im 
Oberarm. 

Hier  möchte  ich  eines  anderen,  von  mir  auch  anato^lisch 
untersuchten  Falles  (der  in  den  „Arbeiten  aus  dem  neurologischen 
Institut  der  Wiener  Universität",  Bd.  XII,  publiziert  werden  soll) 


Neurath,  Klinische  Stadien  aber  Poliomyelitis.  746 

gedenken,  in  welchem  die  Poliomyelitis  in  drei  durch  Symptomen- 
lose  Intervalle  getrennten  Attacken  verlief. 

Das  fieberhafte  Initialstadium  dauerte  gewöhnlich  kaum 
länger  als  zwei  bis  drei  Tage.  Als  längste  Dauer  finden  wir 
unter  unseren  Fällen  zwei  Wochen  (in  zwei  Fällen)  und  drei 
Wochen  (in  zwei  Fällen).  Einmal  schloss  sich  die  Lähmung 
direkt  an  eine  mit  lange  dauernden  Fiebertemperaturen  einher- 
gehende Scarlatina  an.  Eine  Beziehung  zwischen  Intensität  und 
Dauer  des  Fiebers  zur  Ausdehnung  der  Lähmung  konnten  wir 
nicht  konstatieren.  Soweit  anamnestische  Daten  zu  gewinnen 
waren,  liessen  93  Fälle  einen  fieberhaften  Beginn,  40  ein  Ein- 
setzen unter  Konvulsionen,  tiefem  Koma  oder  sonstigen  nervösen 
Symptomen,  und  24  eine  brüsk  einsetzende  oder  ohne  vorher- 
gehende Erscheinungen  sich  inszenierende  Lähmung  erkennen. 
Lungenkatarrh  oder  Lungenentzündung,  Darmkatarrh,  Rheuma- 
tismus, Influenza,  schweres  Zahnen  waren  oft  von  Ärzten  oder 
Eltern  gestellte  Verlegenheitsdiagnosen,  nach  den  verkannten, 
vieldeutigen  Anfangssymptomen  der  Krankheit  gestellt. 

Unter  den  Einzelsymptomen  der  fieberhaft  einsetzenden  Er- 
krankungen möchte  ich  die  Schmerzhaftigkeit  der  gelähmten 
Partien  auf  Berührung  und  die  spontanen  Schmerzen  im  Nacken 
and  im  Rücken  hervorheben.  Wir  finden  in  19  Fällen  derartige 
Angaben.  In  einem  Falle,  der  einen  Tag  nach  Beginn  der 
Krankheit  mit  einer  rechtsseitigen  Schulterlähmung,  und  in  einem 
andern,  der  10  Tage  nach  Beginn  mit  einer  Lähmung  der  linken 
unteren  Extremität  zur  Beobachtung  kam,  konnten  wir  selbst  noch 
eine  Schmerzhaftigkeit  bei  passiver  Bewegung  der  betrefiFenden 
Extremität  konstatieren.  In  den  übrigen  lauteten  die  Angaben 
der  Eltern  so  präzise,  dass  sie  vertrauenswürdig  schienen. 

Die  Schmerzen  im  Beginn  der  Poliomyelitis,  ein  weniger  be- 
kanntes Detail  für  solche  Beobachter,  welche  ältere  Fälle  zu  be- 
obachten Gelegenheit  haben,  sind  vielfach  Gegenstand  klinischer 
Studien  gewesen.  Gowers,  Laborde,  Laurent,  Kalev, 
Kirschbaum,  Marie,  Leyden  und  Goldscheider,  Baudron, 
Duquennoy,  Medin  betonen  einerseits  spontane  Schmerzen  im 
Genick,  im  Rücken,  und  in  die  Extremitäten  ausstrahlend, 
andererseits  Hyperästhesie  der  Haut  und  der  betroffenen 
Muskulatur.  Bei  ganz  kleinen  Kindern  wird  durch  heftiges 
Schreien  den  Schmerzen  ein  unbestimmter  Ausdruck  gegeben, 
grössere  können  deutliche  Angaben  machen.  Duquennoy  widmet 
der  Kinderlähmung  mit  schmerzhaftem  Beginn  eine  These;  diese 


746  Neurath,  Klinische  Stadien  über  Poliomyelitis. 

Form  der  Poliomyelitis  wäre  charakterisiert  durch  heftige 
Schmerzen  im  Initialstadium  and  durch  Kontrakturen  in  den 
Muskeln,  welche  sich  später  als  von  der  Lähmung  betroffen  er- 
weisen. Die  Schmerzen  wären  entweder  durch  Ausbreitung  der 
Myelitis  auf  sensible  Fasern  fuhrende  Rückenmarkspartien  oder 
auf  eine  konkomitierende  Meningitis  zu  beziehen.  Die  Schmerzen 
verschwinden  immer  im  Laufe  weniger  Wochen. 

Eine  andere,  seltenere  Erscheinung  des  Liitialstadiums  sind 
Störungen  der  Harnentleerung.  Gowers  will  Sensibilitäts- 
störungen immer  mit  Inkontinenz  gleichzeitig  bei  Poliomyelitis 
beobachtet  haben.  Nach  Charcot  tritt  Blasenlähmung  öfters  bei 
der  Poliomyelitis  der  Erwachsenen  auf,  gehört  aber  nicht  zum 
typischen  Bilde  der  spinalen  Kinderlähmung.  Wir  fanden  bei 
7  Fällen  Angaben  Ober  Störungen  der  Urinentleerung.  In  einem 
Falle  (Lähmung  beider  unteren  Extremitäten)  bestanden 
Schmerzen  beim  Urinieren,  in  zwei  Fällen  (ebenfalls  beide  Beine 
betroffen)  bestand  während  des  Initialstadiums  Harnverhaltung, 
in  4  Fällen  trat  Inkontinenz  ein;  von  diesen  war  in  zwei  Fällen 
eine  Paraplegie  (der  unteren  Extremitäten),  in  einem  eine  Lähmung 
des  linken  Beines,  in  einem  eine  gekreuzte  Lähmung  (rechte 
untere  und  linke  obere  Extremität)  vorhanden;  hier  bestand 
auch  Inkontinenz  des  Rektums.  Immer  war  die  Störung  der 
Harnsekretion  ein  ganz  passageres  Symptom  des  Initialstadiums, 
nie  war  sie  im  eigentlichen  Lähmungsstadium  zu  finden.  Nur  in 
einem  Falle,  den  wir  8  Tage  nach  Einsetzen  der  Krankheit  zu 
sehen  Gelegenheit  hatten,  bestand  sie  noch  zur  Zeit  der  Unter- 
suchung. 

Durch  die  eventuelle  tiefe  Benommenheit  während  der  fieber- 
haften 'Initialperiode  der  Poliomyelitis  ist  die  Harnretention  resp. 
-Inkontinenz  sicher  nicht  zu  erklären.  Dagegen  scheint  die  auf- 
fallende Tatsache  zu  sprechen,  dass  sie  nach  unseren  Er- 
fahrungen sich  immer  zu  Lähmungen  der  unteren  Extremitäten 
oder  zu  Affektionen  des  Lumbaisegmentes  gesellt;  in  dem  einen 
der  erwähnten  Fälle  bestand  ausserdem  auch  ein  Herd  im 
Zervikalsegment. 

Die  im  Initialstadium  öfters  verzeichneten  Konvulsionen 
treten  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  als  Detail  des  fieber- 
haften Allgemeinzustandes  in  Erscheinung;  dass  dieselben  nicht 
als  Herdsymptome  eines  etwa  vom  Rückenmark  auf  das  Gehirn 
und  seine  Häute,  sondern  als  Attribut  des  Infektes  au&nfassen 
sind,  dafür    spricht  ihr    Auftreten    auch   bei  den  räumlich  ferne 


Nearath,  Klinische  StndieD  über  Poliomjelitis..  747 

liegenden  Lombalherden,  bei  den  Lähmungen  der  unteren 
Extremitäten.  Einiges  Interesse  bietet  das  Vorkommen  prämo- 
nitorischer  motorischer  Reizphänomene  gerade  in  den  später  ge- 
lähmten Partien  (in  zwei  unserer  Fälle). 

Das  charakteristische  Symptom  der  Poliomyelitis  sind  die 
motorischen  Ausfallserscheinungen.  Die  Lähmung  tritt  meistens 
noch  während  der  Fieberperiode,  seltener  erst  sofort  nach  Ablauf 
derselben  in  Erscheinung.  Das  Höhestadium,  die  grösste 
Intensität  und  Extensität  der  Lähmung  wird  gewöhnlich  rasch 
erreicht  und  eine  Zunahme  des  betroflFenen  Gebietes  wird  ent- 
weder nicht  oder  nur  in  den ,  ersten  Tagen  beobachtet.  In 
sieben  unserer  Fälle  soll  —  nach  Angabe  der  Eltern  —  die  Ent- 
wicklung der  Lähmung  successive  in  den  ersten  24  bis  48  Stunden 
bis  zur  Höhe  erfolgt  sein.  Doch  sind  solche  Angaben  wenig 
verlässlich. 

Das  rasch  erreichte  Maximum  der  Lähmung  ist  von 
wechselnder  Dauer.  Selten  entspricht  es  von  Anfang  an  der 
Ausdehnung  der  Dauerlähmung.  Meist  betrifft  es  mehrere 
Extremitäten,  z.  B.  beide  Beine,  aber  in  ungleicher  Intensität,  so 
dass  schon  relativ  früh  die  dauernde  Lähmung  der  einen,  die 
passagere  der  anderen  Extremität  auseinandergehalten  werden 
kann.  Öfters  restringiert  sich  eine  initiale  hemiplegische 
Lähmungsform  später  auf  Funktionsausfall  des  Beines,  während 
der  Arm  sich  erholt.  Aber  wenn  beim  ersten  Choc  nur  eine 
Extremität  betroffen  ist,  kann  sich  bald  zeigen,  dass  nur  ein  oder 
der  andere  Muskel  oder  eine  Muskelgruppe  dauernd  geschädigt 
bleibt.  Die  von  manchen  Autoren  erwähnte  vollständige  Wieder- 
herstellung nach  Schwinden  der  initialen  Lähmijingsattacke  konnten 
wir  leider  in  keinem  unserer  Fälle  konstatieren.  In  einem  Falle 
wurde  Zunahme  des  Lähmungsgebietes  nach  sechs  Tagen  an- 
gegeben; es  soll  ursprünglich  nur  das  linke  Bein,  nach  sechs  Tagen 
auch  das  rechte  von  der  Parese  betroffen  worden  sein,  und  beide 
Extremitäten  blieben  dann  dauernd  gelähmt.  In  einem  zweiten 
Falle  änderte  sich  ein  hemiplegischer  Lähmungstypus  erst  nach 
längerer  Zeit  in  einen  paraplegischen. 

Als  Grenzen  der  Besserungsmöglichkeit  gibt  Seeligmüller 
6 — 9  Monate,  Williamson  9  Monate,  Kirschbaum  2  Monate 
an.  Nach  unseren  Erfahrungen  ist  vor  Ablauf  von  9  Monaten  und 
vielleicht  gar  einem  Jahre  die  Hoffnung  auf  Verkleinerung  des 
Lähmungsgebietes  nicht  aufzugeben. 


748 


Nearfcth,  Klinische  Studien  über  Poliomyelitis. 


Eine  statistische  Ordnung  unseres  Materials  vom  Gesichts- 
punkte  der  Verbreitung  der  Lähmung,  also  der  funktionellen 
Projektion  der  Ruckenmarksläsionen  auf  das  Muskelsystem  ver- 
langt naturgemäss  ein  gleiches  Krankheitsstadium  der  zu  ver- 
wertenden Beobachtungen.  Die  grosse  Mehrzahl  unserer  Fälle 
kam  im  Dauerstadium,  in  der  Epoche  der  Lähmung  zur  Unter- 
suchung. Die  wenigen  nur  im  Initialstadium  untersuchten  frischen 
Fälle  geben  eine  kaum  zu  beachtende  Fehlerquelle. 

Tabelle. 


Eigene 
Fälle 

Seelig. 
müller 

A.  Starr 

Kirsch- 
baum 

Wenden- 
burg 

Allgemeine  Lfthmnng 

Hemiplegie 

Gekreuzte  Lfthmang   .     . 

Beide  Arme 

Rechte  obere  Extrem it&t 
Linke  obere  Extremität . 
Beide   nnt.  Extremitäten 
Rechte  untere  Extremität 
Linke  untere  Extremität 

Stamm 

8  Extremitäten  .... 

1 
19 
2 
2 
13 
16 
52 
61 
74 

2 

2 

1 

1 

9 

4 

14 

15 

27 

47 

83 

8 

6 

26 

21 

170 

123 

128 

26 

12 

3 

2 

6 

6 

14 

14 

5 

10 
3 
3 
25 
12 
21 
48 
45 

240 

75 

595 

45 

172 

Wir  finden  (siehe  Tabelle!)  unter  unseren  Fällen  187  mal 
oder  in  78  pCt.  der  Beobachtungen  ein  Betroffensein  der  unteren 
Extremitäten,  während  in  31  Fällen  oder  12,6  pGt.  eine  Lähmung 
der  oberen  Extremitäten  und  in  22  Fällen  (mehr  als  9  pCt.) 
sowohl  der  oberen,  als  auch  der  unteren  Extremitäten  vorliegt 
Aehnlich  findet  Seeligmüller,  Allen  Starr,  der  seine  eigenen, 
Seeligmüllers,  Duchennes  und  Sinklers  Fälle  zusammen- 
stellt, Kirschbaum  und  Wendenburg  eine  perzentuell  hervor- 
ragende Beteiligung  der  Beine  i.  e.  des  Lumbaisegmentes.  Ent- 
sprechend den  Erfahrungen  Gowers  finden  auch  wir  die  an- 
dauernde Lähmung  linksseitiger  Extremitäten  häufiger  als  rechts- 
seitiger, und  den  Unterschied  an  den  Beinen  grösser  als  an  den 
Armen.  Relativ  selten  war  vom  Anbeginne  an  nur  ein  Bein 
betroffen,  gewöhnlich  setzte  die  Lähmung  als  Paraplegie  ein, 
wobei  schon  im  Initialstadium  ein  stärkerer  Funktionsausfall  der 
einen,  dauernd  betroffenen  Seite  zu  konstatieren  war.  Wenn  wir 
beide  Extremitäten  daher  52  mal  betroffen  finden,  so  sind  dieser 


Nenrath,  KliniBöhe  Stndieo  über  Poliomyelitis.  749 

Zahl,  sicher  einige  Fälle  sabsumiert,  die  später  noch  einen  Rückgang 
der  Lähmung  und  vielleicht  eine  tadellose  Funktion  einer  Ex- 
tremität ergeben  hätten.  Die  Frequenzzahl  der  Lähmung  einer 
oder  beider  oberen  Extremitäten,  31,  ist  im  Vergleich  zur  grossen 
Statistik  A.  Starr  hoch,  während  sie  hinter  den  Zahlen  anderer 
Statistiken  (Kirschbaum,  Wendenburg)  relativ  klein  erscheint. 
Für  das  Vorkommen  spinaler  hemiplegischer  Lähmung  hingegen 
ergibt  unsere  Zusammenstellung  relativ  viel  höhere  Zahlen  als 
die  anderer  Statistiken. 

Nur  ein  Teil  der  uns  zur  Verfugung  stehenden  Kranken- 
geschichten ist  von  genügender  Ausführlichkeit,  um  Zahl  und  Art 
der  gelähmten  Extremitätenmuskeln  bestimmen  zu  können.  An 
den  oberen  Extremitäten  fanden  wir  oft  den  bekannten  Oberarm- 
typus, Lähmung  des  Deltoideus,  Biceps,  Brachialis  internus  und 
Supinator  longus;  manchmal  waren  Deltoideus,  Biceps,  Triceps, 
Supra-  und  Infrascapularis  gleichzeitig  betroffen.  Unter  den  Oberarm- 
muskeln ist  das  häufigste  Opfer  der  Poliomyelitis  wohl  der 
Deltoideus,  der  als  Ganzes  oder  in  einer  seiner  Portionen  gelähmt 
sein  kann.  Wenn  Marie  zugleich  mit  der  Schlüsselbeinportion 
den  Serratus  anticus  major,  zugleich  mit  der  hinteren  und  mittleren 
Portion  der  Subscapularis  gelähmt  fand  —  leider  versagte  unser 
Material  die  Prüfung  solcher  Gruppierungen,  —  so  ist  das  eine 
neue  Tatsache,  die  eine  regionäre  Anordnung  der  Zentren  funktionell 
nahestehender  Muskeln  im  Rückenmark  erweist.  An  den  Vorder- 
armen fanden  wir  meistens  die  Dorsalseite  gelähmt,  so  dass  die 
aktive  Extension  im  Handgelenk  behindert  oder  unmöglich  war. 
Von  den  Muskeln  der  Hand  waren  in  zwei  Fällen  die  Lumbricales 
betroffen.  Im  grossen  und  ganzen  waren  die  proximal  gelegenen 
Muskeln  der  oberen  Extremität  viel  häufiger  gelähmt,  als  die 
distalen. 

In  einem  Falle,  ein  Sjähriges  Kind  betreffend,  das  im  Alter 
von  1^/9  Jahren  erkrankt  war,  blieb  von  einer  initialen  Total- 
lähmung des  linken  Armes  als  perennierender  Ausfall  das  typische 
Bild  einer  peripheren  Kadialislähmung  mit  der  charakteristischen 
Handstellung. 

Ein  genau  beobachteter  Fall  mit  Lähmung  der  Handmuskeln 
sei  ausführlicher  wiedergegeben;  er  zeigt  eine  auffallend  grosse 
Zahl  der  betroffenen  Extremitätsmuskeln. 

Ein  drei  Jahre  altes  Kind  war  Yor  einigen  Monaten  unter  Fieber  er- 
krankt. Damals  zeigte  sich  eine  Lähmnng  der  linken  oberen  Extremität  und 
eine  leichte  Schwäche  der   rechten    oberen  Extremit&t.    Bei   unserer  Unter- 


750  Neurath,  Klinisclie  Stadien  über  Poliomyelitis. 

Buchung  fanden  wir:  Die  rechte  obere  Extremit&t  mager,  schwach;  die  linke 
obere  Extremit&t:  Mm.  supra  und  infrapinatus,  Deltoidee,  Bicepa  sehr  ab- 
gemagert, Triceps  gut,  Atrophien  der  kleinen  Handmnskeln. 

Rechter  Oberarm       12^/«  cm,  linker  Oberarm       11  Vt  cm  im  Umfang. 

Rechter  Vorderarm  14      cm,  linker  Vorderarm  IS'/s  cm  im  Umfang. 

Hjperextension  des  linken  Daumens,  Beugestellung  der  übrigen  Finger. 
Leichte  Krallenhand.  Starke  Herabsetzung  der  motorischen  Kraft.  Leichtes 
Schlottergelenk  der  linken  Schulter,  Bicepsreflez  links  fehlend.  Die  ganze 
Konfiguration  der  oberen  Extremitäten  yer&ndert,  die  Konturen  mehr  gerad- 
linig, die  Abmagerung  deutlich  ins  Auge  springend.  Stemokleidomastoideus 
wesentlich  abgemagert,  ebenso  Pectoralis  major,  Mm.  axillaris.  Biceps  stark. 
Triceps  weniger  stark  betroffen.  Die  Beugemuskeln  des  Vorderarmes  beim 
Zufühlen  sehr  schwach.  Aktive  Beweglichkeit  im  schlotternden  Schulter- 
gelenk  fast  aufgehoben,  ebenso  im  Eübogengelenk.  Passiv  kein  Widerstand. 
Im  Handgelenk  die  Bewegungen  frei.  Die  Finger  in  der  Ruhe:  der  Daumen 
gestreckt  und  stark  abduziert,  die  übrigen  Finger  im  Metakarpo-phalangeal- 
Gelenk  leicht  dorsal  überstreckt,  in  den  Phalangealgelenken  gebengt,  und 
zwar  Zeige-  und  Mittelfinger  stärker  als  die  anderen.  Den  Daumen  zu  beugen 
gelingt  nur  mit  Überwindung  von  Widerstand,  ebenso  die  passive  Gerade- 
richtung der  anderen  Finger.  Aktiv  sind  nur  Beugungen  der  Fingergelenke 
gut  ausführbar,  Streckung  nur  in  massigem  Grade.  Der  Daumen  wird  im 
Phalangealgelenke  gut,  im  Metakarpophalangealgelenke  schlecht  gebeugt. 
Die  linke  Vola  manus  flacher  als  die  rechte,  infolge  Atrophie  des  Thenar. 
Der  Handrücken  links  ebenfalls  weniger  gewölbt,  die  Furchen  zwischen  den 
Metakarpalknochen  sehr  deutlich. 

An  den  unteren  Extremitäten  waren  von  den  Muskeln  des 
Unterschenkels  besonders  häufig  die  der  peronealen  Gruppe  an- 
gehörigen  betroffen,  und  zwar  in  manchen  Fällen  ganz  isoliert, 
so  dass  der  Ausfall  der  Pronation  und  Abduktion  die  alleinige 
funktionelle  Schädigung  bildete.  In  vielen  Fällen  gesellte  sich 
aber  hierzu  eine  Lähmung  der  vom  Tibialis  versorgten,  an  der 
Vorderfläche  des  Unterschenkels  gelegenen  Muskel.  Von  dem 
motorischen  Apparat  der  Oberschenkel  war  die  Streckmuskulatur, 
in  erster  Linie  der  Quadriceps  am  häufigsten  das  Opfer  der 
Krankheit.  Nie  war  der  Ileopsoas,  einmal  —  in  einem  Falle  von 
Hemiplegie  —  die  Glutaealmuskulatur  betroflFen. 

In  19  Fällen  war  die  Lähmungsform  eine  hemiplegische. 
Von  der  cerebralen  Hemiplegie  unterschieden  sich  die  Beobach- 
tungen durch  die  bekannten  Charaktere  der  schlaffen  spinalen 
Paresen.  Zehnmal  betraf  die  Lähmung  die  linke,  neunmal  die 
rechte  Seite.  In  zehn  Fällen  war  der  Funktionsausfall  Von  An- 
beginn halbseitig  und  blieb  dauernd  hemiplegisch;  dabei  war  nie. 
die  ganze  Muskulatur  der  betroffenen  Extremitäten  in  Mitleiden- 
schaft gezogen,  sondern  jeweilig  funktionell  nahestehende  Muskel- 
gruppen.    An  den  oberen  Extremitäten  mit  Vorliebe  der  Deltoi- 


Neurath,  Klinische  Stadien  über  Poliomjelitis.  751 

deus,  der  Biceps,  seltener  Vorderarm-  und  Handmuskulatur,  an 
•den  unteren  Gliedmassen  häafig  die  Peroneal-  oder  Tibialisgroppe, 
manchmal  der  Quadriceps.  Gerade  unter  den  hemiplegischen 
Lähmungsformen  haben  wir  ausgesprochen  frische  Fälle,  die  mit- 
unter interessante  Variationen  des  Krankheitsbildes  in  kurzem 
Verlaufe  zu  beobachten  Gelegenheit  gaben.  So  entwickelte  sich 
in  einigen  Fällen  aus  einer  anfanglich  alle  Extremitäten  betrefiFenden 
Lähmung  allmählich  durch  Rückkehr  der  Funktionsfähigkeit  auf 
«iner  Seite  eine  dauernde  hemiplegische  Lähmungsform.  Wie 
weit  eine  initiale  komplette  Hemiplegie  im  weiteren  Verlaufe  sich 
bis  zur  Dauerlähmung  einiger  weniger  Muskeln  zuriickbilden  kä,nn, 
zeigt  folgender  genau  beobachteter  Fall: 

Ein  11  Monate  altes,  früher  gesnndes  Kiud  war  vor  12  Tagen  unter 
Erbrechen,  Diarrhoe  und  Fieber  erkrankt;  am  3.  Tage  der  Erkrankung  stellten 
sieh  leichte  klonische  Zuckungen  im  Gesiebte  ein.  Seither  wird  die  linke 
Seite,  Arm  und  Bein,  nicht  bewegt.  Die  Geburt  des  Kindes  war  m&ssig 
leicht.  Asphjxie  durch  5  Minuten.  Bei  der  ersten  Untersuchung  am  7.  VII. 
wurde  konstatiert:  gut  entwickeltes  Kind,  die  Fontanelle  für  eine  Fingerkuppe 
cffen,  Pupillen  gleich,  gut  reagierend.  Im  Faoialisgebiet  keine  deutliche 
Differenz.  Der  rechte  Arm  agiert  lebhaft,  der  linke  hängt  wie  leblos,  fällt 
erhoben  schlaff  herab.  Passive  Bewegungen  in  Schulter  und  Ellbogengelenk 
£nden  keinen  Widerstand,  aktive  Bewegungeu  unmöglich.  Bewegungen  der 
Hand  und  def  Finger  im  ungef&hr  normalen  Ausmass  möglich.  Reflexe  rechts 
auslösbar,  links  fehlend.  Das  rechte  Bein  wird  lebhaft  bewegt,  das  linke 
liegt  bewegungslos  und  schlaff;  nur  im  Fuss  und  den  Zehengelenken  aktive 
Bewegungen  möglich;  das  linke  Bein  etwas  kühler.  Patellarsehnenreflex 
rechts  auslösbar,  links  nicht  Ebenso  Achilless'ehnenreflex,  Sensibilität  und 
Sphinkteren  intakt.  Mitte  September:  Der  linke  Arm  hat  sich  erholt,  wird 
Anscheinend  ebenso  gut  bewegt  wie  der  rechte.  Das  linke  Bein  abgemagert. 
Linker  Unterschenkel  IG^si  rechter  18  cm  Zirkumferenz.  Patellarsehnenreflex 
ohne  Ausschlag,  aber  mit  fühlbarem  Zucken  des  Quadriceps.  Linker  Fuss 
in  schlaffer  Spitzfussstellung.  Die  linke  Schulter  hängend.  Mitte  Oktober: 
Das  Kind  sieht  gut  aus,  fühlt  sich  ganz  wohl,  Bewegungen  der  linken  oberen 
Extremität  ganz  gut,  nur  bleibt  die  Schulter  noch  um  ein  geringes  zurück 
gegenüber  der  rechten  Seite.  Keine  Atrophie,  kein  Temperaturunterschied. 
Triceps-  und  Yorderarmreflex  beiderseits  gleich.  Die  linke  untere  Extremität 
deutlich  atrophisch,  namentlich  der  Unterschenkel.  Wadenumfang  rechts 
18>/9i  links  17  cm.  Gjanose  und  kühlere  Temperatur  links.  Aktive  Be- 
wegungen im  Hüft-  und  Kniegelenk  möglich,  hingegen  im  Sprunggelenk  nur 
im  Sinne  der  Plantarflexion.  Sensibilität  nicht  verändert.  Patellarsehnen- 
reflex links  nicht  auslösbar. 

Der  Rückgang  der  Lähmung  kann  aber  auch  eine  anfangs 
hemiplegische  Lähmungsform  im  späteren  Verlauf  als  Monoplegie 
erscheinen  lassen.  Wir  finden  im  ganzen  7  solche  Fälle  ver- 
zeichnet, die  insofern  Interesse  verdienen,  als  es  in  4  Fällen  die 

Jahrbuch  für  Kiuderheilkande.    N.  F.    LXI.    Heft  6.  49 


752  Neurath,  Klinische  Studien  über  Poliomyelitis. 

obere  Extremität,  in  3  Fällen  die  untere  war,  die  sich  erholte. 
Die  Rückkehr  zar  Funktionstachtigkeit  war  fast  komplet,  nur 
ein  schwächerer  Ausschlag  bei  Prüfung  des  Patellarsehnenreflexes, 
ein  gerade  noch  merkliches  Hängen  des  äusseren  Fussrandes  an 
der  unteren  Extremität,  eine  leichte  Abflachung  des  Schülter- 
konturs  mag  als  Rest  der  Schädigung  geblieben  sein. 

Einen  merkwürdigen  Verlauf  nahm  die  Krankheit  bei  einem  yor  einem 
halben  Jahre  erkrankten  2^/4  Jahre  alten  Kinde,  bei  dem  die  Poliomyelitis 
unter  Fieber  und  Konvulsionen  einsetzte  und  zu  einer  schlaffen,  typisch 
spinalen  rechtsseitigen  Hemiplegie  führte.  Parallel  mit  der  allmählichen 
Erholung  und  wiederkehrenden  Funktionstüchtigkeit  des  rechten  Armes  nahm 
aber  die  Beweglichkeit  des  rechten  Beines  in  den  nftohsten  Wochen  ab.  Bei 
der  Untersuchung  des  Knaben  fanden  wir  an  den  oberen  Extremitäten  keine 
Atrophie,  keine  Verkürzung,  gute  Ausführung  der  aktiven  Bewegungen, 
gleiche  motorische  Kraft  beider  Seiten,  keine  Ataxie.  Die  nnteren  Extremi- 
täten kühler  als  die  oberen,  keine  auffallende  Atrophie,  jedoch  grosse  Schlaff- 
heit s&mtlicher  Muskeln.  Patellarsehnenreflex  beiderseits  fehlend ;  der  Plantar- 
reflex links  auslösbar,  rechts  fehlend.  Aufgefordert  die  Füsse  zu  heben, 
vollführt  Patient  dies  mit  Hilfe  der  H&nde.  Bewegungen  in  den  Hüftgelenken 
möglich,  solche  in  den  Kniegelenken  nicht  ausführbar.  Zehenbewegnngen 
möglich.  Sensibilität  intakt,  ebenso  die  Funktion  der  Hirnnerven.  Die 
elektrische  Erregbarkeit  der  rechten  Unterschenkelmuskulatnr  stärker  herab- 
gesetzt als  der  linken. 

Es  wäre  verlockend,  die  klinischen  Ausfallserscheinungen 
und  das  wechselnde  Bild  solcher  Beobachtungen  zur  genaueren ' 
Lokalisation  des  Entzündungsprozesses  zu  verwerten.  Anatomische 
Erfahrungen  lassen  einen  solchen  Versuch  nicht  erfolgreich  er- 
scheinen. Sicher  ist  wohl  nur  eine  Alteration  des  Gervikal-  und 
des  Lumbaisegmentes  bei  der  poUomyelitischen  Hemiplegie.  Die 
Anatomie  der  Poliomyelitis  zeigt,  dass  selbst  bei  monoplegischen 
Formen  sich  insofern  ein  Kontrast  gegen  die  klinischen  Er- 
scheinungen erweisen  kann,  als  neben  den  klinische  Symptome 
hervorrufenden  poliomyelitischen  Herden  sich  auch  in  solchen 
Rückenmarkshöhen  Herde  finden  lassen,  von  denen  wir  hätten 
Ausfallserscheinungen  erwarten  müssen. 

Von  den  in  der  Statistik  erwähnten  2  Fällen  gekreuzter 
Lähmung  betraf  der  eine  die  rechte  obere  und  die  linke  untere 
Extremität.  Genauer  beobachten  Hess  sich  der  folgende,  die 
linke  obere  und  die  rechte  untere  Extremität  betreffende  Fall: 

Das  2^4  Jahre  alte,  vorher  bis  auf  Diarrhoe  gesunde  Kind  ist  Tor 
8  Tagen  unter  starkem  Fieber  und  Erbrechen  erkrankt  Tags  darauf  war 
das  Allgemeinbefinden  schon  leidlich  gut.  Früher  war  das  Kind  schon  gut 
gelaufen.  Seit  dieser  fieberhaften  Erkrankung  nun  besteht  eine  Lfthmnng 
des  linken  Armes    und    des    rechten  Beines.    Das  Kind   ist   dem  Alter  eo^ 


Nearath,  Klinische  Studien  über  Poliomyelitis.  753 

sprechend  gross,  blass.  Die  Papillen  gleich,  reagieren.  Facialisinnervation 
intakt.  Der  Kopf  wird  gut  bewegt  Der  linke  Arm  h&ngt  im  Ellenbogen- 
gelenk schlaff,  auf  Nadelstiche  keine  Bewegung  im  Ellenbogengelenk,  nur 
leichte  Retraktion  in  der  Schulter.  Die  linke  Deltoidensgegend  undeatlich 
abgeflacht.  Fingerbe wegnn gen,  Beugung  und  Streckung  im  Handgelenk  sind 
möglich.  Das  rechte  Bein  ziemlich  unbeweglich,  nur  die  Zehen  werden 
etwas  bewegt.  Patellarsehnenreflex  rechts  fehlend,  links  yorhanden.  Herab- 
gesetzte faradische  Erregbarkeit  der  gelähmten  Muskeln. 

In  vier  Fällen  ergab  die  Anamnese,  resp.  der  klinische 
Befand  eine  Mitbateiligung  der  Nackenmuskalatar.  Interessant 
ist,  dass  in  drei  dieser  Fälle  sich  die  Nackenlähmung  als  passa- 
geres  Initialsymptom,  aber  als  solches  die  Fieberperiode  wochen- 
lang überdauernd,  zu  einer  Lähmung  der  unteren  Extremitäten 
(in  zwei  Fällen  beider,  in  einem  der  linken  Extremität)  gesellte. 
In  einem  Falle,  der  genau  beobachtet  werden  konnte,  handelte  es 
sich  um  eine  ausgesprocheneCucuUarislähmung  bei poliomyelitischer 
Lähmung  beider  oberen  Extremitäten. 

In  zwei  Fällen  bestand  eine  deutliche  Lähmung  der  Bauch- 
muskulatur; der  eine  betraf  ein  acht  Monate  altes  Kind  mit 
Paraplegie  der  unteren  Extremitäten;  die  Krankheit  hatte  vor  vier 
Monaten  eingesetzt.  Das  Abdomen  erschien  linkerseits  wie  auf- 
geschwollen, deutlich  voller  als  rechts,  besonders  in  der  Unterbauch- 
gegend. Bei  jeder  inspiratorischen  Zwerchfellbewegung  wölbte  sich 
das  linke  Hypochondrinm  noch  stärker  vor.  Der  andere  Fall 
betraf  eine  frische  allgemeine  Lähmung  und  war  weniger  deutlich. 

Von  Hirnnerven  war  der  Facialis  in  sechs  Fällen  betroffen. 
Eine  solche  auf  Lokalisation  des  Prozesses  in  der  Oblongata  zu 
beziehende  Facialisparese  fand  sich  dreimal  bei  Lähmungen  der 
unteren  Extremitäten,  zweimal  bei  Lähmung  der  linken  oberen 
Extremität,  einmal  bei  gekreuzter  Lähmung  (rechte  obere  und 
linke  untere  Extremität).  —  Ob  die  in  einem  Falle  von  hemi- 
plegischem  Lähmungstypus  konstatierte  Ungleichheit  der  Pupillen 
bei  intakter  Reaktion  der  Poliomyelitis  zur  Last  zu  legen  ist, 
bleibt  fraglich.  Hingegen  wurde  in  einem  anderen  Falle,  in 
welchem  die  Krankheit  mit  linksseitigen  Konvulsionen  (ein- 
schliesslich der  Augenmuskeln)  begonnen  hatte,  und  in  welchem 
Strabismus  convergens  sin.  bei  linksseitiger  Beinlähmung  dauernd 
bestehen  blieb,  von  den  Eltern  das  Schielen  mit  Sicherheit  auf 
das  Einsetzen  der  Kinderlähmung  zurückdatiert. 

Charakteristisch  für  die  spinale  Lähmung  gegenüber  zentralen 
Paresen  ist  die  rasch  eintretende  Muskelatrophie,  die  bald  neben 

49* 


754  Nearath,  Klinische  Studien  über  Poliomyelitis. 

der  veränderten  elektrischen  Erregbarkeit  durch  Volumenver- 
minderung der  betroffenen  Muskulatur  kenntlich  wird.  Wir 
konnten  in  zwei  Fällen  schon  am  Ende  der  zweiten  Woche  eine 
Abnahme  der  Zirkumferenz  (der  unteren  Extremität)  um  1  cm 
konstatieren.  Bei  länger  bestehenden  Lähmungen  nahm  die 
Differenz    gegenüber  dem  gesunden  Bein  grosse  Dimensionen  an. 

Die  elektrische  Erregbarkeit  wurde  in  einer  relativ  geringen 
Anzahl  der  Fälle  untersucht.  Die  faradische  Erregbarkeit  zeigte 
sich  in  einem  Falle  nach  14  Tagen  stark  herabgesetzt.  Oft 
konnte  Entartungsreaktion  nachgewiesen  werden.  Eine  frühzeitige 
Beurteilung  der  dauernd  gelähmt  bleibenden  Muskeln  schon  im 
Stadium  der  initialen,  weitverbreiteten  Lähmungen  haben  wir 
mittels  elektrischer  Untersuchung  nur  in  einem  Falle  (Paraplegie 
—  vollständige  Erholung  eines  Beines)  mit  Erfolg  versucht. 

Als  letztes  Stadium  der  Krankheit  bezeichnet  man  gewöhn- 
lich das  der  Deformitäten;  diese  sind  zum  Teile  die  Folgen 
der  Wirkung  antagonistisch  arbeitender  Muskeln,  die  weiter 
funktionieren,  während  die  Gegenwirkung  der  gelähmten  Muskel- 
apparate ausföllt;  so  kommt  es  zu  Kontrakturstellungen,  die  eine 
weitere  Funktionshemmung  der  betroffenen  Extremitäten  invol- 
vieren. In  diese  Kategorie  gehören  die  spastischen  Spitzfuss- 
und  Hackenfussstellungen,  die  selteneren  mehr  oder  weniger  spitz- 
winkeligen Kniegelenkskontrakturen.  Solche  Kontrakturen  kamen 
uns  weit  seltener  zur  Beobachtung,  als  die  einem  späteren  Stadium 
entsprechenden  Entspannungsdeformitäten,  wie  Subluxationen  im 
Schultergelenk  infolge  schlaff  hängender  und  der  Schwere  unter- 
worfener Oberextremitäten. 

Eine  häufige  Deformität  bilden  die  Entwicklungsstörungen 
der  gelähmten  Extremitäten,  die  sich  in  der  überwiegenden  Mehr- 
zahl der  Fälle  als  Zurückbleiben  im  Längenwachstum,  in  einer 
sehr  kleinen  Zahl  von  Ausnahmsfallen  in  einer  Längendifferenz 
zu  Gunsten  der  gelähmten  Seite  äussern.  Dass  es  sich  bei  der 
Hemmung  des  Längenwachstums  der  Knochen  der  gelähmten 
Seite  nicht  nur  um  ein  Stehenbleiben  der  Entwicklung  auf  der 
Altersstufe,  die  dem  Einsetzen  der  Krankheit  entspricht,  handelt, 
dafür  spricht  das  fortgesetzte,  wenn  auch  verlangsamte  Wachstum, 
radiologische  Befunde,  die  auf  trophische  Störungen  hinweisen, 
und  endlich  eine,  schon  von  Seeligmüller  hervorgehobene 
Inkongruenz  zwischen  Muskel-  und  Knochenatrophie.  Die 
Statistik  der  überaus  seltenen  Fälle  von  Längendifferenzen  der 
symmetrischen  Extremitäteilknochen   zu   Gunsten    der    gelähmten 


Nearath,  Klinische  Stadien  über  Poliomyelitis.  755 

Seite  konnte  ich  (1901)  am  einen  Fall  vermehren,  in  welchem 
diese  Differenz  dadurch  zustande  kam,  dass  die  Rachitis  in  dem 
funktionstüchtigen  Bein  stärker  lokalisiert  erschien  und  hier  eine 
Entwicklungshemmung  der  Knochen  herbeiführte,  während  das 
fnnktionsarme  gelähmte  Bein  schwächer  von  der  Rachitis  affiziert 
war  und  hier  die  Entwicklungshemmung  nicht  oder  in  geringerem 
Ausmaasse  ausgesprochen  war. 

Die  radiologische  Untersuchung  einschlägiger  Fälle,  die  in 
unserer  fortgesetzten  Beobachtung  stehen,  ist  noch  nicht  ab- 
geschlossen, und  behalte  ich  mir  vor,  über  die  Frage  der  Ent- 
wicklungsstörung der  Knochen  poliomyelitisch  gelähmter  Ex- 
tremitäten späterhin  meine  Untersuchungsresultate  bekannt  zu 
geben. 

Literatur. 

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Charcot,  Klinische  Vorlesangen. 

Duchenne,  Paul,  Arch.  gen^r.     1864. 

Duquennoy,  Sar  nne  'forme  a  debut  douloureux  de  la  paralysie  infantile. 
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Neurath,  R.,  Über  seltenere  Knochendeformit&ten  nach  spinaler  Kioder- 
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Sinkler,  Wharton,  On  the  palsies  of  children.  Amer.  Journ.  of  med. 
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Allen  Starr,  Albatts  System  of  Med.  Zit.  bei  Williamson:  Acute  anterior 
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Wendenburg,  K.  F.,  Poliomyelitis  ant.  acuta.  Statistik  der  in  d.  Göttinger 
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Zappert,  Über  gehäuftes  Auftreten  und  Gelegenheitsnrsachen  der  Polio- 
myelitis.   Jahrb.  f.  Kinderheilk.    N.  F.    LUX. 


XXIV. 

Tuberkulose  im  ersten  Lebensgahre. 

Nach  den  Beobachtangen  im  Kinderspital  Zürich. 

Von 
Dr.  FRITZ  STIRNIMANN. 

Die  grundlegende  Arbeit  von  Herrn  Dr.  O.  Naegeli,  Privat- 
dozenten in  Zürich,  über  Häufigkeit,  Lokalisation  und  Ausheilung  der 
Tuberkulose  (Virchows  Archiv  für  pathologische  Anatomie  und 
Physiologie  und  für  klinische  Medizin,  160.  Bd.)  enthält  keine 
Fälle  aus  dem  ersten  Lebensjahre;  die  Arbeit  selbst  weist  darauf 
liin,  dass  das  Eantonsspital  Zürich,  dessen  Sektionsmaterial  sie 
verwertet,  im  ganzen  relativ  wenig  '  Kinder  aufnimmt,  da  ein 
besonderes  Kinderspital  existiert:  „dann  sind  unter  den  unserm 
Institute  (pathol.-anat.  Institut  der  Universität  Zürich)  vom 
Kantonsspital  zugehenden  Leichen  relativ  sehr  viele  Diphtherie- 
f&lle,  und  andererseits  äusserst  wenige  Klnochentuberkulosen^ 
(Naegeli). 

Die  Beobachtungen  von  sichern  Tuberkulosen  im  Kinder- 
spitale  Zürich,  soweit  sie  das  erste  Lebensjahr  betreffen,  zusammen- 
zustellen, war  die  mir  gestellte  Aufgabe. 

Nach  dem  Vorbilde  der  oben  zitierten  Arbeit  wurden  bloss 
diejenigen  Fälle  zusammen  genommen,  die  noch  im  ersten  Lebens- 
jahre auf  dem  Sektionstische  pathologisch-anatomisch  als  Tuber- 
kulosen verifiziert  werden  konnten.  Die  Sektionen  sind  meistens 
von  Herrn  Prof.  Dr.  0.  Wyss  selbst  ausgeführt  worden;  die 
Protokolle  derselben  wurden  nach  seinem  Diktate  niedergeschrieben. 
Dadurch  ist  ihr  wissenschaftlicher  Wert  gesichert. 

Bei  Durchsicht  der  Sektionsprotokolle  gelang  es,  unter 
601  Fällen,  die  aus  dem  ersten  Lebensjahre  zur  Sektion  gelangten, 
41  sichere  Tuberkulosen  herauszufinden.  Dabei  wurden  aber  aUe 
diejenigen  Protokolle  bei  Seite  gelassen,  die  zwar  wahrscheinlich 
von  Tuberkulösen  stammen,  die  aber  als  solche  nicht  klar  waren. 
Andererseits  sind  leider  die  Protokolle  von  4  weitem  Fällen,  die 
aut  Sektionsverzeichnis  und  Krankenjournal  des  Kinderspitals 
Tuberkulose  aufwiesen,  nicht  mehr  erhältlich  gewesen;  jedoch 
lagen  die  histologischen  Präparate  eines  dieser  Fälle  mir  vor,  so 
dass  auch  dieser  Fall  gesichert  ist. 


Stirnimann,  Taberkalose  im  ersten  Lebensjahre.  757 

Die  Häufigkeit  tuberkulöser  Befunde  bei  den  Sektionen  des 
Kinderspitals  im  ersten  Lebensjahre 

42 

beträgt  somit  — ^  :=    7,1  pCt. 

28 
Davon  sind  Knaben  ^=^  =  10,3    „ 

12 

Mädchen  ■g:^=    5,4    „ 

Obige  Auseinandersetzungen  lassen  folgern,  dass  die  er- 
haltenen Zahlen  bloss  als  Minimalzahlen  Geltung  haben  können. 
Jedenfalls  sind  sie  für  die  heutigen  Verhältnisse,  wo  infolge  der 
Diphtherieserumtherapie  die  Sterblichkeit  in  den  Kinderspitälern 
bedeutend  abgenommen  hat,  zu  niedrig. 

Tuberkulose  als  direkte  Todesursache  konnte  nur  in  5  Fällen 
ausgeschlossen  werden.  Dabei  handelt  es  sich  nur  in  einem  Fall 
um  eine  Todesursache,  bei  der  jeder  direkte  oder  indirekte 
Kausalnexus  mit  Tuberkulose  auszuschliessen  ist  und  die  Tuber- 
kulose wirklich  nur  Nebenbefund  ist,  nämlich  in  einem  Fall  Ton 
Masernpneumonie. 

E.  K.,  geb.  26.  V.  1885,  gest  9.  V.  1886. 

Familienanamnese  gibt  keine  Anhaltspunkte  für  heredit&re  Belastung. 
Pat  ausgetragen,  gestillt,  nachher  Kuhmilch.  Niemals  Gastroenteritis. 
Keuchhusten. 

Status  praesens.  28.  lY.  1886.  Hühnerbrust.  Respiration  56,  keuchend. 
Über  den  Lungen  rechts  unten  hinten  im  Infraskapularraum  Knisterrasscln 
links  etwas  gedämpfter  Perknssionsschall.  Rechts  Torn  einige  grossblasige 
Ronchi.  Starke  Corjza.  Am  Rumpf  und  an  den  Armen  ein  kleinfleckiges 
Exanthem.    Temperatur  38,4.    Puls  144. 

8.  V.    Masernexanthem  deutlich. 

8.  V.  Exanthem  blast  ab.  Über  dem  Gebiete  der  Dämpfung  deutliches 
Bronchialatmen.    Kräftezustand  schlecht. 

9.  V.     Exitus  letalis. 
Anatomische  Diagnose: 

Doppelseitige  lobäre  Masernpneumonie.  Schwellung  der  Bronchiai- 
drösen  mit  Käseherden,  ebenso  der  Drüsen  der  Bifurkation  und  der  Trachea. 
Larjngitis  catarrhalis.  Bronchitis.  Miliartuberkulose  des  Peritoneums.  Dick- 
darmkatarrh. 

In  2  Fällen  war  Gastroenteritis  Todesursache,  wie  sie  bei 
durch  anderweitige  Erkrankungen  geschwächten  Kindern  oft  ein- 
tritt, jedoch  ohne  dass  Amyloidosis  oder  tuberkulöse  Geschwüre 
des  Darmes  erwähnt  werden.  In  einem  Fall  schloss  sich  an 
einen  Senkungsabszess    eine    akute    Peritonitis    durch   Sekundär- 


758  Stirnimann,  Tuberknlose  im  ersten  Lebensjahre. 

infektion;    ein  Kind    starb    infolge  Erysipel,    ausgehend    von    der 
Operationswunde  bei  Coxitis  tuberculosa. 

Um    ganz    sicher    zu    gehen,    rechne    ich   nur  den  Fall  von 
Masempneumonie   als  nicht  letale  Tuberkulose  und  erhalte  somit 
Sicher  letale  Tuberkulosen     .     .     37  =  88,0pCt. 

yy      nicht   letale   Tuberkulosen       1  =    2,3     „ 
Unbestimmt 4=   9,4     „ 

Unter  den  letalen  Tuberkulosen  finden  wir  23  Fälle  von 
Miliartuberkulose,  d.  h.  62,1  pCt.  oder  54,4  pCt.  der  der  Gesamt- 
heit, also  bei  über  der  Hälfte  der  Fälle. 

Heilungstendenz  des  tuberkulösen  Prozesses  irgendwelcher 
Art  findet  sich  in  keinem  Falle  auch  nur  andeutungsweise.  Es 
ist  dies  bei  dem  kleinen  Zeitraum,  über  den  der  kindliche 
Organismus  zur  Abwehr  verfügen  konnte,  kaum  denkbar,  wenn 
er  überhaupt  einer  Abwehr  fähig  ist. 

Pathologisch- anatomischer  Befund. 

Respirationsorgane.  In  den  Lungen  finden  sich  in 
26  Fällen  mehr  oder  weniger  ausgedehnte  käsige  Herde.  In 
6  Fällen  sind  beide  Lungen  befallen,  die  rechte  allein  in  15  Fällen, 
wobei  die  Tuberkulose  6  mal  nur  im  Oberlappen,  1  mal  nur 
im  Mittellappen  und  5  mal  nur  im  Unterlappen  lokalisiert  war. 
Nur  links  fand  sie  sich  5  mal,  2  mal  nur  im  Unterlappen,  i  mal 
im  Oberlappen. 

Kavernen  fanden  sich  in  11  Fällen.  4  mal  im  linken  Ober- 
lappen, 4  mal  im  linken  Unterlappen,  wobei  ein  Fall  2  Kavernen 
im  gleichen  Lappen  zeigte.  Im  rechten  Oberlappen  wiesen  3  Fälle, 
im  rechten  Unterlappen  2  Fälle  Kavernen  auf,  während  der  Mittel- 
lappen niemals  Höhlenbildung  zeigte.  Die  Ausdehnung  der 
Kavernen  war  linsen-  bis  haselnussgross;  in  einem  Fall  dagegen 
war  fast  die  ganze  linke  Lunge  in  eine  jauchige  Höhle  ver- 
wandelt. 

Aus  den  Sektionsprotokollen  ist  nicht  sicher  eruierbar, 
welche  Form  der  Lungentuberkulose,  ob  bronchogene  oder  lym- 
phogene  oder  pneumonische  Form,  vorhanden  gewesen  sei.  Über 
die  histologischen  Untersuchungen  siehe  später. 

2  Fälle  weisen  Tuberkulose  der  Bronchialmukosa  auf,  von 
denen  ein  Fall  frei  von  Lungentuberkulose  ist.  Die  Trachea  ist 
in  2  Fällen  von  Miliartuberkulose  mitergrifPen  und  weist  miliare 
Tuberkel  auf. 


Stirn imann,  Taberkulose  im  ersten  Lebensjahre.  759 

Der  Larynx  ist  2  mal  Sitz  der  Erkrankung,  wobei  ein  Fall 
keinen  Eäseherd  in  der  Lunge  besitzt.  Der  eine  Fall  bot  da» 
Bild  der  ulzerösen  Larynxtuberkulose,  der  andere  mit  Granulom- 
bildung    bot   das  klinische  Bild  einer  chronischen  Larynxstenose. 

Die  Pleura  war  häufig  mitbeteiligt:  4  mal  fand  sich  rechts- 
seitige exsudative  Pleuritis,  Omal  fibrinöse  Pleuritis  rechterseits^ 
5  mal  linkerseits,  einmal  beiderseits.  Pleuraempyem  war  in  einem 
Falle  rechts,  im  andern  Falle  links. 

Bei  34  Fällen  waren  die  Hilusdrüsen  der  Lungen  von  tuber- 
kulösen Prozessen  ergrifPen,  6  mal  nur  rechts,  3  mal  nur  links. 
In  5  Fällen  fehlte  in  den  Protokollen  eine  Angabe  Ober  die  Be- 
schaffenheit der  Hilusdrüsen.  In  3  Fällen,  darunter  2  Lungen- 
tuberkulosen mit  Kavernen,  wird  ausdrücklich  erwähnt,  dass  in 
den  Hilusdrüsen  wohl  Schwellung  und  Hyperämie,  aber  keine  Yer- 
käsung  zu  finden  gewesen  sei.  6  mal  fanden  sich  bei  bestehender 
Hilasdrüsenverkäsung  noch  die  Trachealdrüsen  affiziert,  2  mal 
waren  alle  Drüsen  vom  Hals  bis  zur  Bifurkation  von  tuberkulösen 
Prozessen  ergriffen.  Nur  8  Leichen  zeigten  tuberkulös  veränderte 
Gervikaldrüsen,  4  ebenso  affizierte  mediastinale  Lymphdrüsen. 

Die  durch  den  tuberkulösen  Prozess  vergrösserten  Hilus-- 
drüsen  bewirkten  in  fast  Vs  ^^^  Fälle,  nämlich  bei  6,  eine  Kom- 
pression der  Bronchen;  einmal  brach  der  tuberkulöse  Lymph- 
drüsenabszess  in  den  linken  Bronchus  und  zugleich  in  den 
Oesophagus  durch. 

Was  nun  die  Miliartuberkulose  der  Lungen  anbetrifft,  so  fand 
sie  sich  rein  in  8  Fällen.  Von  diesen  weisen  7  Fälle  Hilusdrüsen-- 
tuberkulöse  auf,  der  achte  Fall  Caries  des  Felsenbeins  und  Hals- 
drüsentuberkulose. 18  Obduktionsprotokolle  notieren  neben  miliaren 
Tuberkelknötchen  noch  ausgedehnte  käsige  Herde.  In  12  Fällen 
sah  man  die  miliare  Aussaat  der  Tuberkulose  auf  der  Pleura: 
einmal  nur  links,  einmal  nur  rechts  und  10  mal  beiderseits. 

Der  pathologisch-anatomische  Befund  ergab  am  Herzen  in 
2  Fällen  Miliartuberkel  im  Endokard.  In  einem  von  diesen  Fällen 
fand  sich,  ausser  einem  miliaren  Knötchen  an  einem  Trabekel  des 
Conus  pulmonalis,  an  der  Mitralis  ein  kleines  gallertiges  Knötchen. 
Eine  ähnliche  Notiz  enthält  ein  weiterer  Sektionsbericht: 

„An  der  Mitralis  sind  eine  grössere  Zahl  gelatinöser  Auflagerangen  am 
Rande  vorhanden,  einige  sind  fast  2  mm  gross.  Sie  liegen  aaf  der  Fläche, 
welche  dem  Atriam  zugekehrt  ist,  und  wenige  haben  eine  weisse  Farbe.  Daa 
grösste,  2  mm  grosse,  dreieckig  gestaltete  Knötchen  weist  eine  opake,  tuberkel- 
ähnliche  Beschaffenheit  auf  and  unterscheidet  sich  ganz  wesentlich  von  den 
Veränderungen  akuter  Endokarditis." 


760  Stirnimann,  Tuberkulose  im  ersten  Lebeosjahre. 

Diese  klappenständigen  Knötchen,  die  ausdrücklich  von  den 
gewöhnlichen  Auflagerungen  auf  den  Klappen  unterschieden  waren, 
sind  Gegenstand  einer  Dissertation  von  Dr.  Reichenbach  gewesen. 
Die  ursprüngliche  Ansicht,  dass  es  sich  um  miliare  Tuberkel  handle, 
hat  sich  jedoch  histologisch  nicht  bestätigt,  sondern  es  handelte 
sich  um  in  Resorption  begriffene  sogenannte  Hämatome  der  Klappe. 

Im  übrigen  fand  sich  das  Myokard  2  mal,  das  Perikard  7  mal 
als  Sitz  miliarer  Tuberkel. 

Im  Yerdauungstraktus  verteilen  sich  die  tuberkulösen 
Befunde  folgendermassen:  Im  Magen  fanden  sich  2  mal  tuberkulöse 
Ulcera;  in  einem  dieser  Fälle  ist  kein  weiterer  Darmabschnitt 
ohne  Ulcus  auf  tuberkulöser  Basis.  Im  Duodenum  war  einmal 
ein  Ulcus  zu  sehen,  im  Jejunum  4  mal,  im  Ileum  15  mal;  die 
Coecalklappe  war  4  mal  ergriffen,  einmal  davon  sogar  vollständig 
zerstört;  das  Coecum  wies  in  3  Fällen,  das  Colon  in  8  Fällen 
tuberkulöse  Ulcera  auf. 

Von  diesen  ib  Fällen  mit  tuberkulösen  Prozessen  am  Yer- 
dauungstraktus interessiert  uns  besonders  ein  Fall,  wo  ausser 
der  Lokalisation  am  Darm  und  dem  zugehörigen  Lymphsystem 
bloss  noch  ein  Hode  mit  seinem  Samenstrang  Sitz  der  Erkrankung 
war,  während  an  dem  Respirationstraktus  nichts  zu  finden  war; 
er  wird  später  ausführlich  erwähnt  werden.  11  unter  diesen 
Fällen  zeigen  Käseherde  in  den  Lungen,  6  weitere  Yerkäsung 
der  Hilusdrüsen. 

Im  dazu  gehörigen  Lymphdrüsengebiet  erwähnen  die  Pro- 
tokolle eine  verkäste  Drüse  an  der  Cardia,  17  Fälle  von  Yer- 
käsung der  mesenterialen  Lymphdrüsen;  2mal  waren  die  Retro- 
peritonealdrüsen  und  2  mal  die  periportalen  Drüsen  ergriffen. 

Ausserdem  finden  sich  2  Fälle  mit  Konglomerat-Tuberkel 
der  Leber  und  eine  ausgedehnte  Tuberkulose  der  Milz. 

Tuberkulöse  Abszesse  werden  erwähnt:  Periproctitis  (1  Fall), 
parumbilicaler  Abszess  mit  Fistel,  paranephritischer  Abszess 
mit  Durchbruch  in  das  Rektum. 

Miliartuberkel  fanden  sich  im  Oesophagus  (1  Fall),  in  der 
Mucosa  des  Magens  (3  Fälle),  im  Duodenum  (1  Fall),  im 
Jejunum  (8  Fälle),  im  Ileum  (12  Fälle),  im  Processus  vermiformis 
(3  FäUe)  und  im  Colon  (6  Fälle). 

In  der  Leber  sah  man  in  17,  in  der  Milz  in  allen  23  Fällen 
Ton  Miliartuberkulose  die  miliare  Aussaat.  Daneben  wurden 
notiert  einmal  Miliartuberkulose  der  Gallenblase,  ein  anderes  Mal 
der  Gallengänge  und  zweier  N^ebenmilze. 


Stirn  im  ADD,  Tuberkulose  im  ersten  Lebensjahre.  761 

Im  Peritoneum  war  die  Verteilung  folgende:  Magenserosa 
2  Fälle,  Darmserosa  10  Fälle,  Mesenterium  4  Fälle,  Omentum 
majus  6  Fälle,  Milzserosa  21  Fälle,  Leberserosa  20  Fälle,  parie- 
tales Peritoneum  4  Fälle.  Zudem  fand  sich  noch  in  6  Fällen 
Miliartuberkulose  der  Mesenterialdrüsen. 

Unter  den  Urogenitalorganen  erwiesen  sich  einmal 
«der  linke  Hode  mit  dem  zugehöHgen  Samenstrang,  ein  anderes 
Mal  die  rechte  Nebenniere  verkäst.  Nephrophthise  wird  nie 
«rwähnt. 

Miliartuberkel  der  Niere  zeigten  18  Leichen  auf  beiden 
Seiten,  2  nur  rechts.  Die  Blase  wies  einmal,  das  linke  Ovarium 
ein  anderes  Mal  Miliartuberkel  auf. 

Im  zentralen  Nervensystem  erwähnen  die  Sektions- 
berichte einen  Fall  von  Solitärtuberkel.  Derselbe  befand  sich  in 
den  linken  Ganglien  in  der  Nähe  des  Thalamus  opticus  und  des 
Nucleus  caudatus. 

Miliartuberkel  zeigten  7  Fälle  in  der  Pia,  3  im  Ependym 
der  Seitenventrikel,  1  in  der  Dura  und  1  im  Plexus  chorioides. 
2  mal  führte  die  Miliartuberkulose  zur  Thrombose  der  Art.  fossae 
Sylvii  und  zu  ausgedehnten  ischämischen  Erweichungen  des  Ge- 
]iims,  in  dem  einen  Falle  verbunden  mit  Hämorrhagie  in  die 
Himventrikel. 

Die  Knochentuberkulosen  sind  mit  9  Fällen  vertreten. 
6  Fälle  davon  zeigten  Caries  ossis  petrosi  (rechts  1,  links  4). 
2  mal  kam  es  dabei  zu  völliger  Zerstörung  des  Facialis  in  seinem 
Verlauf  durch  das  Felsenbein.  3  der  Fälle  endeten  durch  Miliar- 
tuberkulöse. 

Weitere  Lokalisationen  sind:  Caput  humeri  sin.  mit  sekundärer 
Schultergelenkstuberkulose,  distale  Epiphyse  des  rechten  Humerus 
mit  sekundärer  Ellbogentuberkulose,  rechter  Daumen  und  Zeige- 
finger (Spina  ventosa),  Manubrium  stemi.  Kopf  und  Hals  des 
rechten  Femur  2  Fälle,  linkerseits  desgl.,  Condylus  externus  des 
rechten  Femur,  Tibia  und  Fibula  mit  sekundärer  Tuberkulose  des 
Talocruralgelenkes. 

Von  diesen  Knochentuberkulosen  ist  nur  eine  isoliert,  2  mul- 
tipel, 8  durch  anderweitige  Tuberkulosen  kompliziert,  5  endeten 
durch  Miliartuberkulosen. 

Primäre  Gelenkstuberkulose  findet  sich  in  einem  Fall  von 
Oonitis  tuberculosa  purulenta:  die  Epiphysen  waren  intakt  und 
nur  die  Synovialis  ergriffen. 

Von    den    mit    dem  tuberkulösen  Krankheitsprozess    kausal 


762  Stirnimaon,  Taberkalose  im  ersten  Lebensjahre. 

yerbandenen  sekandären  ObdaktioDsbefanden  bleibt  za  erwähnen 
ein  Fall  von  Amyloidosis  der  Leber  und  der  Milz,  eine  Hydro- 
nephrose,  yerarsacht  durch  den  erwähnten  paranephritischen 
Abszess  sowie  ein  Fall  von  Luftblasen  im  Herzen.  Für  letztere 
lässt  sich  kaum  eine  weitere  Ätiologie  finden  als  die  im  gleichen 
Falle  vorhandene  Lymphadenitis  cervicalis  suppurativa. 

Nebenbefunde. 

Die  Sektionsprotokolle  geben  den  Ernährungszustand  3  mal 
als  gut,  5  mal  als  mittelmässig,  32  mal  als  schlecht  an. 

Weitere  Befunde  sind: 

Gastroenteritis  (6  Fälle),  Peritonitis  acuta  (2  Fälle),  Fett- 
leber (5  Fälle),  Muskatnussleber,  Perisplenitis  (2  Fälle). 

Larjmgitis  (2  Fälle),  Bronchitis  (3  FäUe),  Bronchopneumonie 
(12  Fälle),  Lobäre  Pneumonie,  Emphyeema  alveolare  (6  Fälle)^ 
Bronchiektase  (ohne  Zusammenhang  mit  dem  tuberkulösen 
Prozess,  Pertussis!). 

Endocarditis  verrucosa  (4  Fälle),  Degeneratio  myocardii, 
Pericarditis  fibrinosa  (2  FäUe). 

Nephritis  parenchymatosa  chronica  (4  Fälle),  Nierensand, 
Hirnödem  (2  Fälle),  multiple  punktförmige  Himhämorrhagien^ 
Hydrocephalus  extemus. 

Erysipel  (2  Fälle)  Furunculosis. 

Die  Frequenz  der  Miliartuberkulose  der  verschiedenen 
Organe  ergibt  folgende  Zusammenstellung: 

1.  Müz  (Pulpa) 23 

Milzserosa 21 

2.  Leber 17 

Leberserosa 20 

3.  Niere 18 

4.  Pleura 12 

5.  Ileum 12 

6.  Darmserosa 10 

7.  Jejunum 8 

8.  Lungen    ........       8 

9.  Pia 8 

10.  Pericard 7 

11.  Colon 6 

12.  Mesenterialdrüsen      ....  5 

13.  Magen 3 

14.  Endocard 2 

15.  Myocard 2 


Stirnimann,  Tuberkalose  im  ersten  Lebensjahre.  763 

Dazu  je  ein  Miliartuberkel  im  Oesophagus,  im  Duodenum, 
in  der  Blase  und  im  Ovar. 

Histologisch -bakteriologische  Untersuchung. 

Yon  10  Fällen  waren  noch  Präparate  in  der  pathologischen 
Sammlung  des  Einderpitals  vorhanden,  die  zur  nachträglichen 
mikroskopischen  Untersuchung  gelangten. 

I.    £.  D.,  6  Monate  alt. 

a)  Lobuläre  Herde  an  der  Peripherie  der  1.  Lunge.  Die  Präparate 
zeigen  zirkumskripte  Stellen  yon  Eoagalationsnekrose,  ohne  Erweichung, 
umgeben  Ton  einem  Leukozyten  wall.  Das  Orceinpräparat  hebt  innerhalb  der 
nekrotischen  Masse  die  Alveolärstraktur  der  elastischen  Fasern  henror.  Wo 
•die  pneumonischen  Herde  an  die  Pleura  stossen,  ist  dieselbe  yerdickt,  zeigt 
dilatierte  Gefässe  und  eingelagerte  nekrotische  Partien.  Bronchen  mit 
Schleim  erfüllt.  Gegen  die  Basis  wird  eine  verstopfte  Vene  durch  einen 
Tuberkel  komprimiert.  Die  Yenenwand  ist  an  einer  Stelle  infiltriert,  endo- 
thellos. Auch  die  gegenüberliegende  Wand  ist  mehr  als  5  mal  yerdickt, 
in  den  mittlem  Schichten  nekrotisch  mit  Leukozyten  wall  gegen  das  Lumen 
hin,  einige  Riesenzellen  y  er  vollständigen  das  Bild  eines  Yenentuberkels. 
In  Lumen  der  Vene  rote  Blutkörperchen  und  zahllose  Lymphozyten. 

b)  Ein  Präparat  der  peribronchialen  Drüsen  der  1.  Lungo  zeigt  aus- 
gedehnte Koagulationsnekrosen  mit  beginnender  Erweichung  im  Zentrum, 
«pärliche  Langhanssche  Zellen  und  Leukozyten  wall. 

IL    H.  W.,  7  Monate  alt. 

Lunge.  Oberlappenknötchen.  In  der  Nähe  der  Bronchen  und  inter- 
stitiellen Septen  miliare  nekrotische  Herde,  die  grossem  mit  beginnender 
zentraler  Erweichung.  Tnberkelbazillen  konnten  im  Präparat  nachgewiesen 
werden. 

III.  W.  W.,  a  Monate  alt. 

a)  Käsig  entarteter  Teil  eines  lobnlärpneumonischen  Infiltrates  im 
i.  Unterlappen,  umgeben  von  abkapselndem  Bindegewebe.  Lungenalyeolen 
sind  z.  T.  trei,  z.  T.  mit  Sekret  erfüllt,  z.  T.  in  Koagulation snekrose  aufgegangen. 
Auf  der  Pleura  findet  sich  ein  dünner  Fibrinbelag.  Die  nekrotischen  Massen 
eind  von  grosser  Ausdehnung;  in  denselben  lassen  sich  die  elastischen  Fasern 
in  der  für  die  Langen  typischen  Anordnung  nachweisen.  Leukozytenwall 
ondeutlich,  Riesenzellen  sind  vorhanden. 

b)  Miliare  Knötchen  in  der  Oberfiäche  der  Lunge  des  1.  Unterlappens, 
im  normalen  Lungengewebe  zirkumskripte  miliare  Stellen  mit  Koagulations- 
nekrose,  umgeben  von  einem  Leukozyten  wall,  Riesenzellen  und  epitheloiden 
Zellen.  An  einzelnen  Stellen  finden  sich  bloss  zirkumskripte  Leukozyten- 
ansammlungen ohne  Koagulationsnekrose.     Tuberkelbazillen  sichtbar. 

c)  Bronchialdrüsen.  Im  adenoiden  Gewebe  findet  sich  ausgedehnte 
Koagulationsnekrose  mit  Erweichung;  epitheloide  Zellen  finden  sich  am 
Rande.    Tuberkelbazillen  nachweisbar. 

IV.  A.  B.,  9  Monate  alt. 

a)  Komprimierte  Lunge.  Ausgedehnte  Massen  in  Koagulationsnekrose 
zeigen    sehr    viele  zusammengedrängte,    an  den  Knorpelringen  leicht  kennt- 


764  StirDimano,  Taberkulose  im  ersten  Lebensjahre. 

liehe    Qoerschnitte    von    Bronchen.     Das    Orceinprfiparat    weist    durch    die 
elastischen  Fasern  die  kollabierten  Alyeolen  nach. 

b)  Taberkulose  Drüsen  im  Hilns  mit  angrenzendem  Gewebe.  Aas- 
gedehnte Koagulationsnekrose  mit  sp&rlichen  epitheloiden  Zellen  im  adenoiden 
Gewebe.  Im  angrenzenden  Langengewebe  sind  die  Alveolen  mit  Exsudat 
und  Leukozyten  gefüllt.  Die  Pleura  ist  verdickt.  In  den  verkästen  Drüsen 
finden  sich  Tuberkelbazillen  in  Haufen. 

V.  A.  C,  5  Monate  alt. 

a)  Miliartuberkel  der  1.  Lunge.  Miliartuberkel  von  typischem  Bau  mit 
deutlich  nachweisbaren  Tuberkelbaziilen. 

b)  Linker  Oberlappen.  Kleine  Kavernen.  Ebenfalls  typische  Miliar- 
tuberkel mit  zentraler  Zerfallshöhle.    Tuberkelbazillen  nachgewiesen. 

VI.  E.  K.,  7  Monate  alt. 

a)  Miliartuberkulose  der  Langen.  Verdichtete  miliare  Herde  im  Longen- 
gewebe  mit  Koagulationsnekrose  in  der  Mitte,  Riesenzellen  und  Leukozyten- 
wall.  In  den  Verdichtungen  weist  Orcein  elastisches  Gewebe  nach.  Tuberkel- 
bazillen vorhanden. 

b)  Lunge,  Bronchen,  Hilusdrüsen.  Im  Lungengewebe  zeigt  sieh  eine 
ausgedehnte  Koagulationsnekrose  mit  Erweichung.  Die  Bronchialschleimhaot 
desquamiert.  Die  Bronchialdrüsen  sind  in  eine  strukturlose  nekrotische 
Masse  ohne  Erweichung  verwandelt. 

c)  Milz  zeigt  miliare  Koagulationsnekrosen. 

d)  Leber.  Das  Lebergewebe  ist  in  einem  Teil  der  Pr&parate  undeutlich. 
Die  Blutgefässe  sind  stark  dilatiert;  in  ihrer  Umgebung  finden  sich  viele 
Lymphozyten,  die  an  einzelnen  Stellen  kleine  Lymphome  bilden.  Ver- 
einzelte miliare,  raodliche  Stellen  von  Koagulationsnekrose  ohne  eigentlichen 
Leukozyten  wall,  ohne  Riesenzellen  (miliare  Gummata).  Die  Wand  der  Äste 
der  Art.  hepatica,  besonders  deren  Intima,  ist  stark  verdickt.  (Sndarteriitis.) 
Kein  Amyloid  war  nachweisbar,  auch  keine  Tuberkelbaziilen. 

VII.  F.  Z.,  8  Monate  alt. 

a)  Käseherd  in  der  Milz.  Mikroskopisch  zeigt  sich  ein  Konglomerat- 
tuberkel von  typischer  Anordnung,  in  der  Mitte  Erweichung  und  Nekrose 
darum  Langh  ans  sehe  Riesenzellen  und  am  Rand  kleinzellige  Infiltration 
dabei  Mangel  von  Gefässen.  Tuberkelbaziilen  konnten  nicht  nachgewiesen 
werden. 

b)  Ulcus  im  Goecum.  Submucosa  an  einzelnen  Stellen  verdickt,  die 
im  Zentrum  erweicht  sind ;  an  einigen  Stellen  münden  sie  sinnös  ins  Darm* 
lumen.     Keine  Riesenzellen,  TuberkAlbazillen  nicht  nachgewiesen. 

VIIL    E.  W.,  1  Monat  alt. 

Lunge,  deren  Alveolen  mit  Exsudat  und  Leukozyten  erfüllt  sind.  Im 
Gewebe,  ausgehend  von  den  interstitiellen  Septen,  finden  sich  runde,  geftss- 
lose  Partien  von  Koagulationsnekrose  mit  spärlichen  Riesenzellen.  Pleura 
verdickt,  mit  dilatierten  Gefässen,  ohne  Anflagerangen.  Tuberkelbaziilen 
nicht  nachweisbar. 

IX.    J.  A.,  6  Monate  alt. 

a)  Ulcus  ilei.  Defekt  des  Epithels  und  der  Submucosa  bis  auf  die 
Muscularis.  Defektränder  sinuös,  deren  Submucosa  verdickt  mit  Koagulations- 
nekrose, Erweichung  und  Riesenzellen,  Serosa  unverändert.  Tuberkelbaziilen 
nicht  nachweisbar. 


Stirnimann,  Taberkolose  im  ersten  Lebensjahre«  765 

b)  Mesenterialdrüse.     Koagalatioosnekrotische  Herde  mit  Rietenzellen 
am  Rande.    Tnberkelbazillen  konnten  nachgewiesen  werden. 
X.    A.  K.,  11  Monate  alt. 

a)  Miliartaberkulose  der  Lunge.  Im  Lungengewebe,  das  im  Zustande 
der  Leukozytenpneumonie  sich  befindet,  runde,  gef&sslosey  nekrotische  Partien 
mit  erweichtem  Zentrum  und  Riesenzellen  am  Rande.  Tnberkelbazillen  konnten 
nachgewiesen  werden. 

b)  Ulcus  palati.  Mehrschichtiges  Platten  epithel,  Drüsenschl&nche  und 
in  der  Tiefe  quergestreifte  Muskelfasern.  Eine  Randpartie  epithellos,  verdickt, 
mit  starker  Leukozyteninfiltration,  auf  dem  sinuösen  Grunde  Epitheloidzellen, 
keine  Riesenzellen.    Tuberkelbazillen  nachgewiesen. 

Die  Präparate  haben  in  allen  diesen  Fällen  deatlich  gezeigt, 
dass  es  sich  um  tuberkulöse  AfFektionen  gehandelt  hat;  sie  konnten 
die  makroskopisch  gestellte  Diagnose  nur  bestätigen.  Wenn 
auch  No.  VI  noch  luetische  Erscheinungen  aufweist,  so  sichert 
der  Nachweis  der  Tuberkelbazillen  dennoch  die  Diagnose  der 
Miliartuberkulose  der  Lungen. 

In  6  Fällen  konnten  im  Fuchsinpräparat  Tuberkelbazillen 
direkt  nachgewiesen  werden. 

Wenn  die  Zahl  der  histologischen  Untersuchungee  auch 
keine  komplette  ist,  so  bietet  ihr  Resultat  doch  ein  wertvoller 
Beleg  für  die  Richtigkeit  der  Diagnosen.  Wenn  man  den 
langen  Zeitraum,  über  den  sich  die  Fälle  erstrecken,  in  Betracht 
zieht,  muss  man  sich  wundern,  dass  noch  soviel  Material  vor* 
banden  war. 

Verlauf  der  tuberkulösen  Erkrankung. 

Die  ersten  Symptome  der  später  als  tuberkulös  erkannten 
Krankheiten  traten  sehr  verschieden  früh  auf. 

Ein  Kind  hatte  schon  von  Geburt  an  „geschwollene  Drüsen** 
am  Hals,  ein  zweites  soll  schon  am  ersten  Tage  gehustet  haben. 

Husten  findet  sich  als  auch  dem  Laien  sofort  auffallendes 
Symptom  am  häufigsten  verzeichnet;  er  trat  ein  in  folgendem 
Alter:  20  Tage,  1  Monat  (3  Fälle),  2Va  Monat,  3  Monat  (4  Fälle), 
4  Monat,  1  Monat  (2  Fälle),  femer  bei  einem  Fall  von  käsiger 
Pneumonie  2  Tage  vor  dem  Tode. 

Schwellung  der  Halslymphdrüsen  trat  sonst  einmal  im  2., 
einandermal  im  4.  Monat  auf. 

Kontrakturen  infolge  osteogener  Gelenktuberkulose  stellten 
sich  ein  am  Knie  im  4.  Monat,  an  der  Hüfte  im  4.,  6.  und 
7.  Lebensmonat;  Steifheit  des  Vorderarms  bei  Ellenbogentuber- 
kulose wurde  im  7.  Monat  bemerkt. 


766  StirDimaDB,  Tuberkulose  im  ersten  Lebensjahre. 

Otorrhoe  trat  einmal  im  7.  Monat  als  erstes  Symptom 
tuberkulöser  Infektion  auf.  Eine  Hodenfistel  wurde  im  10.  Monat 
bemerkt. 

Starke  Abmagerung  deuteten  bei  zwei  3  Wochen  und  einem 
ß  Wochen  alten  Kinde  auf  ein  schweres  Leiden  hin,  ohne  dass 
•die  Abmagerung  durch  eine  schwere  Gastroenteritis  bedingt  war. 
Leichte  Dyspepsien  bestanden  allerdings;  aber  die  klinische 
Diagnose  Atrophia  infantum  zeigt  bei  allen  deutlich,  dass  die 
Abmagerung  am  meisten  ins  Gewicht  fiel. 

In  einem  Fall  begann  die  Erkrankung  mit  „Gichtern'',  in 
•einem  weitern  mit  Fieber. 

Beim  Eintritt  ins  Einderspital  ergab  der  Status  praesens 
folgende  Symptome,  die  wissenschaftlich  besser  als  die  vorher- 
•erwähnten  verwertbar  sind,  die  bloss  den  Anamnesen  entstammen. 

Schlechte  Ernährung  zeigten  bei  der  Aufnahme  ins  Spital 
25  Kinder,  mittlere  7,  gute  8.  Starke  Anämie  wurde  bei 
16  Kindern  festgestellt. 

26  Kinder  waren  rachitisch.  Die  Rachitis  gab  sich  kund 
durch  die  Schwellung  der  Rippenknorpelenden  (22  Fälle), 
Schwellung  der  Epiphysen  der  Extremitätenknochen  (4  Fälle), 
Hühnerbrust,  Pes  valgus  rhachiticus.  In  4  Fällen  war  bestehender 
Oraniotabes  das  einzige  rachitische  Symptom. 

Fieber  bestand  bei  19  Kindern;  nicht  gezählt  sind  hier  die- 
jenigen, bei  welchen  sich  das  Fieber  sicher  aus  einer  andern 
Ursache  (Erysipel  etc.)  eingestellt  hatte.  Der  Verlauf  des  Fiebers 
zeigte  nichts  typisches:  dreimal  bestand  leicht  angedeuteter 
Typus  inversus.  Einige  Kinder  traten  mit  subnormalen  Tem- 
peraturen ein. 

Tuberkulöse  Lymphome  wurden  klinisch  am  Hals  8  mal, 
•davon  2  mal  beidseitig,  in  der  Achselhöhle  2  mal,  in  der  Leiste 
4  mal  und  in  der  Kniekehle  einmal  festgestellt. 

2  Fälle  zeigten  einen  Gibbus  in  der  Lendenwirbelsäule. 

Die  Lungenbefunde  waren  in  keiner  Weise  typisch,  niemals 
derart,  dass  aus  dem  blossen  einmaligen  Befund  hätte  auf  eine 
Tuberkulose  geschlossen  werden  können. 

Rasseln  war  bei  17  Kindern  zu  hören,  bei  8  beiderseits,  bei 
£  bloss  rechts,  bei  4  bloss  links. 

Bei  20  Kindern  wurden  Dämpfungen  über  dem  Lungen- 
{[ebi^t  festgestellt:  beiderseits  bei  4,  nur  rechts  bei  11,  nur  links 
bei  5. 

Dyspnoe  trat  bei  5  Kindern  auf. 


StirnimanD,  Tuberkulose  im  ersten  Lebensjahre.  767 

Otorrhoe    zeigte    sich    bei    8  Patienten   3  mal    blos   rechts, 
3  mal  bloss  links  und  2  mal  beiderseits.    Periphere  Facialisparalyse 
komplizierte  4  mal  die  Erkrankung:  2  mal  rechts  und  2  mal  links. 
7  Kinder  bekamen  im  Verlaufe  der  Erkrankung  Konvulsionen; 
Nackenstarre  Hessen  4  mal  die  Diagnose   auf  Meningitis  stellen. 
In    einem  Falle    mit  Thrombose    der    r.   Art.   fossae   Sylvii   und 
beiderseitigen   ischämischen  Erweichungen  im  Gebiete  der  motori- 
schen Grosshirnbahnen  bestand  spastische  Lähmung  mit  Kontraktur 
der  Extremitäten  und  des  Unterkiefers. 

Weitere  Symptome  kachektischer  Art  ergänzen  das  klinische 
Bild:    Allgemeine  Furunkulose  (5  mal),    multiple  Abszesse,    Soor 
(4  mal). 

Das  Todesalter  variiert  zwischen  27  und  355  Tagen. 
1.  Vierteljahr:  27,  33,  74,  87,  91  Tage    ......     =     5 

II.  „  100,  ca.  134,  140,  143,  146,  155,  157, 
158,  158,  162,  171,  174,  177,  178,  ca.  180, 
ca.  180 =16 

III.  „  195,    210,    ca.  220,    221,    ca.  225,    232, 

ca.  ••240,  248,  248,  267,  ca.  270,  ca.  270    =  12 

IV.  „  284,    ca.  300,   311,   316,  336,  348,  348, 

352,  355 =    9 

42 
Daraus  ergibt  sich,  dass  die  Sterblichkeit  im  2.  Quartal 
am  'grössten  war:  Über  Va  d^r  Kinder,  die  für  diese  Arbeit 
in  Betracht  kommen,  fallen  hierher;  etwas  weniger  fallen  ins 
3.  Quartal^  während  im  ersten  Quartal  bloss  Vs  ^^  Tuberkulose 
verstarben.  Drückt  man  die  Häufigkeit  in  den  verschiedenen 
Quartalen  in  Prozenten  aus,  so  erhält  man: 

1.  Quartal  11,9  pCt.  2.  Quartal  38,0  pCt. 

3.         ^        28,5     „  4.         „        21,4      „ 

Diagnose. 

Die  Möglichkeit,  die  klinische  Diagnose  Tuberkulose  zu 
stellen,  hängt  ab  von  dem  Sitz  der  Erkrankung.  Caries  wurde 
in  jedem  Falle  sicher  intra  vitam  diagnostiziert,  da  hier  zur 
klinischen  Untersuchung  fast  immer  noch  die  Autoskopie  in  vivo 
kam.  „Skrophulöse  Drüsen"  und  Meningitis  tuberculosa  machten 
keine  diagnostischen  Schwierigkeiten.  Letztere*  konnte  zweimal 
nicht  diagnostiziert  werden,  da  Nackenstarre  nicht  vorhanden  war. 

Jahrbuch  ftlr  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    Hett  5.  50 


768  Stirnimann»  Taberkulose  im  ersten  Lebensjahre. 

In  4  Fällen  wurde  die  Tuberkulose  der  Lungen  als  wahr- 
scheinlich hingestellt.  Da  das  Sputum  ohne  besondere  Kunst- 
griffe nicht  erhältlich  ist,  wurde  nie  eine  klinische  Untersuchung 
auf  Tuberkelbazillen  gemacht.  Die  Diagnose  stutzte  sich  haupt- 
sächlich auf  bestehende  Dämpfungen  über  dem  Gebiete  der 
Lungen,  die  zum  Teil  sehr  intensiv  und  nie  von  deutlich  lympani- 
tischem  Beiklang  begleitet  waren,  dazu  Fieberlosigkeit  oder  nur 
ganz  leichte  Temperatursteigerungen  und  starke,  immer  zunehm^ide 
Atrophie.  In  2  Fällen  lagen  noch  weitere,  sicher  als  tuberkulös 
erkennbare  Affektionen  vor;  zweimal  bestand  hereditäre  Belastung. 

In  2  Fällen  mit  intensiven  Dämpfungen  (Schenkelschall)  ohne 
Tympanie  und  zugleich  bestehender  Fieberlosigkeit  (bei  einem 
nur  35,8®)  wurde  vielleicht  deshalb  die  Diagnose  nicht  gestellt, 
weil  die  Dämpfungen  sich  über  dem  Gebiet  der  Unterlappen  be- 
fanden. Der  pathologisch-anatomische  Befund  zeigt  aber,  dass 
die  kindliche  Tuberkulose  bezüglich  Lokalisation  nicht 
denselben  Gesetzen  unterworfen  ist,  wie  die  Tuberkulose 
der  Erwachsenen. 

Fieber  bestand  trotz  Käseherden  in  der  Lunge,  wenn  da- 
neben noch  eine  frische  Aussaat  miliarer  Tuberkel  stattfand 
(2  Fälle)  oder  zugleich  noch  eine  richtige  Bronchopneumonie  vor- 
handen   war.     Dadurch  wird    allerdings  die  Diagnose  unmöglich. 

Miliartuberkulose  wurde  intra  vitam  nie  mit  Sicherheit 
diagnostiziert:  die  Krankengeschichten  enthalten  auch  keine  An- 
gaben über  Beobachtung  von  Chorioidealtuberkel.  Nur  durch 
das  plötzliche  Auftreten  einer  Meningitis,  wobei  sowohl  purulente 
Infektion  als  auch  die  Verbreitung  der  Tuberkulose  per  continui- 
tatem  ausgeschlossen  werden  muss,  legt  die  Wahrscheinlichkeit 
einer  solchen  nahe.  In  einem  Falle  von  Miliartuberkulose  wurde 
l'yphus  abdominalis  diagnostiziert,  doch  findet  sich  im  Status  die 
Bemerkung;  „Roseolen  nicht  deutlich  zu  sehen." 

Bei  3  Fällen  wurde  die  klinische  Diagnose  Lues  congenita 
gestellt.  Ein  uneheliches  Kind,  dessen  Vater  viel  an  Hautaus- 
schlägen und  Kopfschmerzen  leidet,  selbst  neben  seiner  Lungen- 
affektion  allgemeine  Furunkulose  aufweist,  kam  mit  derselben,  von 
der  med.  Poliklinik  gestellten  Diagnose,  welche  aber  im  Kinder- 
spital nicht  mehr  aufrecht  erhalten  wurde.  Ein  zweites  Patientchen 
wies  neben  Furunkulose  noch  Pemphigus  auf;  ein  weiteres  ein 
erst  maculopapulöses,  dann  schuppendes,  nicht  sehr  ausgeprägtes 
Exanthem  und  Coryza.  In  keinem  Falle  lässt  das  klinische  Bild 
Tuberkulose  vermuten,  und  erst  die  Obduktion  legte  es  klar,  dass 


StirnimanD,  Taberkalose  im  ersten  Lebeosjahre.  769 

es  sich  in  beiden  ersten  Fällen  nicht  um  Lues  handelte.  Dagegen 
zeigt  ein  weiterer  Fall  beide  Krankheiten  nebeneinander,  wie  die 
spatere  histologische  Untersuchung  lehrt:  In  den  miliaren  Lungen- 
herden lassen  sich  Tuberkelbazillen  nachweisen,  während  gleich- 
zeitig die  Leber  miliare  Gummata  und  Endarteritis  obliterans 
aufweist. 

Weitere  Diagnosen  waren:  Atrophie  (6  Fälle),  Rachitis 
gravis  (5  Fälle),  Gastroenteritis  (5  Fälle),  Pertussis  (5  Fälle,  vide 
später). 

Die  Leichen  der  Kinder,  bei  denen  die  wenig  befriedigende 
Diagnose  Atrophie  gestellt  werden  musste,  sind  stets  mit  be- 
sonderer Sorgfalt  auf  tuberkulöse  Veränderungen  untersucht  worden, 
jedoch  ist  nur  bei  einem  Teil  der  Fälle  durch  die  Obduktion 
Klarheit  geschaffen  worden.  Atrophie  für  sich  allein  berechtigt 
nicht  zur  Stellung  der  Wahrscheinlichkeitsdiagnose,  wenn  man 
auch  an  Tuberkulose  denken  muss. 

Was  die  Rachitis  gravis  anbetrifft,  so  lassen  die  mitgeteilten 
Krankengeschichten  keineswegs  schliessen,  dass  die  Tuberkulose 
die  Rachitis  zu  einer  schweren  gemacht  habe;  trotzdem  in  27  Fällen 
Rachitis  vorhanden  war,  ist  sie  doch  nur  in  5  Fällen  derart  in 
den  Vordergrund  getreten,  dass  sie  das  Bild  beherrschte  u^d 
gerade  diese  Fälle  weisen  verhältnismässig  geringe  Ausdehnung 
des  tuberkulösen  Prozesses  auf. 

Ursachen  der  tuberkulösen  Infektion. 

A  priori  sollte  man  schliessen, dassKinder,dieim  erstenLebens- 
jahre  schon  an  Tuberkulose  sterben,  kongenital  an  dieser  Krankheit 
leiden,  sei  es  nun,  dass  konzeptionelle  oder  placentare  Infektion 
vorliege.  Dafür  sind  nur  2,  leider  von  Laien  stammende  An- 
gaben vorhanden:  Husten  von  Geburt  an  und  geschwollene  Hals- 
lymphdrüsen. 

Für  ersteren  Fall  gibt  die  Anamnese  an,  dass  beide  Eltern 
lungenleidend  sind  und  die  Grossmutter  mütterlicherseits  an  Aus- 
zehrung gestorben  ist. 

Im  zweiten  Falle  ist  die  Heredität  nicht  so  genau;  bloss 
weitere  Verwandte  waren  an  Tuberkulose  erkrankt. 

In  13  von  allen  Fällen  ist  die  Abstammung  von  tuberkulösen 
Eltern  durch  die  Anamnese  sichergestellt;  in  7  Fällen  gibt  die 
Anamnese  nicht  direkt  Tuberkulose  an,  sondern  spricht  von 
Husten,  kränklich  sein  etc.  9  Anamnesen  haben  über  die  Heredität 
keine  Angaben,  wohl  deshalb,  weil  keine  erhältlich  waren,  12 mal 

50* 


770  Stirnimaon,  Tuberkulose  im  ersten  Lebensjahre. 

versichert  uns  die  Anamnese  ausdrücklich,  dass  in  der  Familie 
keine  Tuberkulose  vorhanden  sei. 

Was  die  13  Fälle  mit  sicherer  Heredität  betrifft,  so  litt  in 
11  Fällen  die  Mutter  an  Phthise,  nur  2  mal  ist  sie  gesund,  und 
dafür  ist  der  Vater  tuberkulös;  im  oben  angeführten  Falle  sind 
beide  Eltern  tuberkulös.  Die  starke  Belastung  von  Seiten  der 
Mutter  erklärt  sich  durch  die  Möglichkeit  plazentarer  Infektion  und 
durch  den  späteren  engen  persönlichen  Verkehr.  Dass  diebetreffenden 
Mütter  gestillt  haben,  steht  in  keiner  Anamnese.  Eine  Anamnese, 
die  nicht  unter  die  angeführten  13  fallt,  gibt  an,  dass  in  der 
Familie  des  Vaters  mehrere  schwindsüchtige  Mitglieder  seien. 

Es  wird  wohl  auffallen,  dass  bloss  in  ^j^^  die  tuberkulöse 
Belastung  festgestellt  ist,  vorhanden  ist  sie  sicher  bei  weit  mehr 
gewesen.  Dass  sie  bei  allen  vorhanden  gewesen  sei,  darf  auf 
keinen  Fall  angenommen  werden,  und  so  muss  nach  weiteren 
Momenten  gesucht  werden,  die  eine  Infektion  post  partum  er- 
möglicht oder  erleichtert  haben. 

Zwei  der  Kinder  sind  Frühgeburten,  das  eine  wurde  6,  das 
andere  8  Wochen  zu  früh  geboren. 

Unehelich  sind  2  Kinder;  6  waren  bei  anderen  Leuten  an 
der  Kost. 

Grosse  Geschwisterzahl  wird  in  2  Anamnesen  angegeben. 

Vor  dem  Manifest  werden  der  letalen  Krankheit  litten  8  Kinder 
an  Gastroenteritis,  10  an  sonstigen  leichteren  Verdauungsstörungen. 
Masern  wären  in  2  Fällen  vorangegangen. 

Pertussis  bestand  bei  5  Kindern;  bei  3  davon  trat  akute 
Miliartuberkulose  auf,  eine  nicht  ungewöhnliche  Nachkrankheit 
der  Pertussis. 

Der  Infektions  weg  ist  durch  das  gewaltige  Vorwiegen 
der  tuberkulösen  Erkrankungen  des  Respirationstraktus  gegeben 
für  Fälle,  bei  denen  die  extrauterine  Erwerbung  wahrscheinlicher  ist. 

Daneben  kommt  noch  die  Infektion  durch  die  Nahrung, 
speziell  der  Milch  in  Frage. 

11  Kinder  wurden  von  der  Mutter  gestillt;  keine  dieser 
Mütter  war  aber  tuberkulös.  Über  die  Verwendung  von  Kuh- 
milch oder  deren  Surrogaten  geben  leider  die  .wenigsten  Anam- 
nesen Auskunft. 

Da  die  Kinder  das  Sputum  verschlucken,  können  nur  die- 
jenigen Fälle  sicher  für  die  Infektion  durch  den  Darm  in  Betracht 
kommen,  deren  Respirationstraktus  keine  tuberkulöse  Erkrankung 


Stirnimaou,  Taberkulose  im  ersten  Lebensjahre.  771 

aufwies.   Unter  den  mitgeteilten  Fällen  triflFt  dies  nur  bei  folgendem 
Falle  zu: 

J.  G.,  geb.  17.  X.  1889,  gest.  19.  IX.  1890. 

AnamDese:  Matter  leidet  an  Lungenschwindsucht.  In  der  Familie 
mütterlicherseits  ist  Tuberkulose  heredit&r. 

Pat.  soll  bis  zur  20.  Woche  gesund  gewesen  sein,  dann  Lungenkatarrh. 
Nachher  starke  Abmagerung.  Mit  25  Wochen  wurde  der  L  Hoden  geschwollen, 
5  Wochen  später  entstanden  im  1.  Scrotura  2  Fisteln,  am  Nabelring  eine 
Fistel,  die  fäkulenten  Eiter  entleerten. 

Status  praesens  9.  IX.  90 :  Extreme  Abmagerung,  Rachitis.  Bei  der 
Perkussion  ergibt  sich  über  den  Lungen  weder  Dämpfung  noch  Schall- 
▼erkürzung,  keine  Rasselgeräusche.  Abdomen  allseitig  aufgetrieben.  Fistel 
am  Nabelring,  2  am  1.  Scrotam. 

13.  XL  Nabelfistel  blutig  erweitert.     19.  IX.  Exitus  letalis. 

Anatomische  Diagnose:  Rachitis.  Tuberculosis  intestini,  peritonei, 
testis  sinistri,  lymphogland.  mesenter. 


Vergleich  mit  den  Tuberkulosen  späterer  Lebensalter. 

Da  die  zitierte  Arbeit  von  Herrn  Dr.  Nägeli  den  vorliegen- 
den Zusammenstellungen  zum  Vorbild  gedient  hat,  so  werden  nur 
die    darin    angegebenen    Resultate    zum   Vergleich   herangezogen. 

Allerdings  sind  die  darin  enthaltenen  Zahlen  über  die 
Häufigkeit  der  tuberkulösen  Befunde  nicht  direkt  vergleichbar: 
Die  erhaltenen  Resultate  müssen  als  Minimalzahlen  betrachtet 
werden  aus  Gründen,  die  zum  Teil  schon  angeführt  worden  sind. 
Soweit  Herr  Professor  0.  Wyss  die  Sektionen  ausgeführt  hat, 
sind  auch  die  Resultate  sicher  mit  denen  von  Herrn  Dr.  Nägeli 
vergleichbar,  die  Sektionen  wurden  mit  der  grösstmöglichsten 
Sorgfalt  ausgeführt,  und  die  betreffenden  Protokolle  registrieren 
alles  mit  peinlicher  Genauigkeit.  Leider  sind  einige  Protokolle 
von  andern  diktiert  worden,  bei  diesen  vermisst  man  sowohl  die 
Beobachtungsgabe  des  Erfahrenen  als  auch  die  Exaktität  des 
Ausdrucks. 

Die  Kindersektionen  von  Herrn  Dr.  Nägeli   (1 — 18  Jahre) 

ergaben  eine  Häufigkeit  von  -      (17  pCt.),  während   bei   den  Sek- 

oo 

tionen  unter  einem  Jahr  im  Kinderspital    eine    minimale    Häufig- 

42 
keit  von'^TTT-  =7,1  pCt.  konstatiert  wurde.     Laut  ersterer  Arbeit 

wurde  bei  12  Neugeborenen  und  16  Kindern  unter  einem  Jahr 
trotz  sorgfaltiger  Durchmusterung  aller  Organe  und  trotz  histolo- 
gischer Nachuntersuchung    nichts    Verdächtiges    gefunden.      Dies 


772  Stirnimanu,  Taberkalose  im  ersten  LebeDsjahre. 

berechtigt  doch  zum  Schlüsse,  dass  die  Häufigkeit  tuberkulöser 
Befunde  bei  Kindern  unter  einem  Jahr  kaum  viel  vom  erhaltenen 
Resultate  di£Perieren  kann. 

Geheilt  ist  innerhalb  der  Altersgrenzen  1 — 18  Jahre  —  nach 

lo 

Nägeli;  unter   einem   Jahr   wurde    nie    die    geringste    Heilungs- 

tendenz  beobachtet. 

Bezüglich  der  Mortalität  ergibt  sich  folgender  Vergleich: 

unter  1  Jahr     1 — 18  Jahre     Erwachsene 

sicher  letale  FäUe  87,8  pCt.  66,6  pCt.       29—38  pCt 

sicher  nicht  letale  Fälle        2,4  pCt.  33,3  pGt. 

(Nägeli). 

Über  die  Lokalisation  gibt  folgende  Zusammenstellung  Aus- 
kunft. 

Bei  den  Kindersektionen  fand  Nägeli  in  allen  Fällen  Tuber- 
kulose der  Tracheobronchialdrüsen ;  bei  den  Sektionen  im  Kinder- 
spital finden  sich  34  von  42  Fällen  damit  behaftet.  Diese  Differenz 
erklärt  sich  daraus,  dass  nur  die  verkästen  Lymphdrüsen  in 
Betracht  gezogen  werden  konnten,  da  den  Sektionsprotokollen 
keine  Notizen  über  die  Ergebnisse  eventueller  histologischer  Unter- 
suchungen beigegeben  sind. 

Die  Zahlen  über  die  Lungenerkrankungen  differieren  relativ 

25  9 

wenig.  —  (60,9 pCt.)  gegen  j^  (60,0pCt.)  bei  Kindern  (1—18  Jahre) 

und  —  (76,6  pCt.)  bei  Erwachsenen.  Das  Vorwiegen  der  Erkran- 
kungen der  rechten  Lunge,  das  schon  die  Kindersektionen  von 
Nägeli  aufweisen,  zeigt  sich  bei  den  Kindern  unter  einem  Jahr 
noch  ausgeprägter: 

Unter  1  Jahr  1—18  Jahre 

Beide  Lungen  ^  =  24  pCt.  —  =  53,3   pCt. 

Rechte  Lunge  allein  sl  =  60  pCt.  Tr  =  40  pCt. 

Linke         „  „  ä  =  ^^  P^*-  J5  =  ^'^  P^*' 

Während  der  Unterschied  zwischen  rechts  und  links  so  be- 
deutend ist,  dass  in  21  von  25  Fällen  die  rechte  Lunge  erkrankt 
ist,  ist  keine  Präponderanz  der  Oberlappen  zu  konstatieren;  eher 
scheint    es,  das  die  Unterlappen    vorwiegen,  wenn    man    die    auf 


Stirnimann,  Taberkulose  im  ersten  Lebensjahre.  773 

einen  einzelnen  Lappen  lokalisierten  Erkrankongen  in  Betracht 
zieht.  Auch  die  Kavernen  finden  sich  in  fast  gleicher  Anzahl  in 
den  Ober-,  wie  in  den  Unterlappen. 

Die  makroskopische  Form  der  Tuberkulose  ist  ausschliesslich 
die  Yerkäsong;  für  die  mikroskopische  Beurteilung  lagen  leider 
so  wenig  Präparate  vor,  dass  aus  ihnen  nichts  allgemeines  ge- 
schlossen werden  kann. 

Häufig  ist  die  Miliartuberkulose,  sie  hat  bei  mehr  als  der 
Hälfte  der  Kinder  (61  pCt.  der  letalen  Fälle)  zum  Tode  geführt. 
Es  ist  dies  um  so  auffallender,  wenn  wir  mit  den  Resultaten  von 
Nägeli  vergleichen: 

Kindesalter  (1—18)         18—30  30—40  40—50 

20  pCt.  15  pCt.         24  pCt.        30  pCt. 

Im  Falle  I  war  der  Schnitt  des  histologischen  Präparates 
so  glücklich  getroffen,  dass  ein  ulzerierender  Yenentuberkel  im 
Lungenhilus  als  Ausgangspunkt  der  miliaren  Aussaat  festgestellt 
werden  konnte. 

Leider  ist  die  Beobachtungsreihe,  auf  die  sich  diese  Arbeit 
stützt,  nicht  so  gross,  dass  sich  aus  den  erhaltenen  Zahlen 
weiteres  schliessen  liesse ;  einen  Beitrag,  wenn  auch  von  relativem 
Wert,  liefert  sie  dennoch  zur  Kenntnis  der  Krankheit,  die  bei 
uns  am  meisten  Opfer  fordert,  wenn  man  die  Zahl  der  Lebens- 
jahre, die  sie  vernichtet,  in  Betracht  zieht. 

Therapie. 

Der  heutige  Stand  der  Wissenschaft  gibt  uns  leider  noch 
kein  Mittel  in  die  Hand,  das  kausal  die  Tuberkulose  zu  heilen 
vermag. 

Für  die  Lungentuberkulose  wurden  meistens  Wickel  um  die 
Brust  angewandt,  dazu  wurde  ein  Expectorans  (Ammonium 
carbonicum,  Liquor  ammoni  anisatus)  verordnet. 

Chirurgisch  wurde  in  10  Fällen  eingegriffen:  Fussgelenks^ 
resektion,  Trepanation  des  Processus  mastoides  (2  Fälle),  Gelenks- 
inzision,  Inzision  kalter  Abszesse  (3  Fälle),  Eiteraspiration,  blutige 
Erweiterung  einer  Nabelfistel,  Rippenresektion,  Jodoformöl-In- 
jektion. 

Wenn  alle  diese  therapeutischen  Eingriffe  bei  den  Fällen 
dieser  Arbeit  nutzlos  waren,  so  berechtigt  dies  doch  nicht  zu  dem 
Schlüsse,  dass  jede  Therapie  nutzlos  sei.  Wieviele  Kinder,  die 
ohne  objektive  Symptome  im  ersten  Lebensjahre  an  Tuberkulose 


774  StirnimanD,  Taberknlose  im  ersten  Lebensjahre. 

erkrankt  waren,  erst  später  der  Krankheit  erlagen  oder  gar 
dieselbe  überwanden,  lässt  sich  nicht  feststellen.  Die  Art  und 
Weise,  wie  die  Aufgabe  dieser  Arbeit  gestellt  wurde,  schloss  auchFalle 
von  der  Betrachtung  aus,  die  im  1.  Lebensjahre  zwar  manifest  an 
Tuberkulose  erkrankten,  aber  nicht  daran  starben,  so  dass 
die  Diagnose  nicht  auf  dem  Sektionstische  verifiziert  werden 
konnte. 

Es  bleibt  mir  noch  die  angenehme  Pflicht,  an  dieser  Stelle 
meinem  verehrten  Lehrer,  Herrn  Professor  Dr.  O.  Wyss,  meinen 
aufrichtigsten  Dank  auszusprechen  für  die  Unterstützung,  die  er 
mir  bei  der  Abfassung  dieser  Arbeit  angedeihen  Hess. 


XXV. 

Aus  dem  staatl.  serotherapeutischen  Institate  in  Wien. 
(Vorstand  Prof.  R.  Perltauf.) 

Bemerkungen  zu  „Beitrag  zur  Serumbehandlung 
der  Diphtherie'*  von  Dr.  S.  Sehön-Ladniewsld, 

gleichzeitig  ein  Beitrag 

zur  Frage  der  Haltbarkeit  des  Diphtherieheilserums. 

Von 
Privatdozent  Dr.  R.  KRAUS, 

Awiitent  am  Institute. 

Herr  Dr.  Schön-Ladniewski  hat  im  Augustheft  dieser 
Zeitschrift^)  Fälle  von  diphtheritischen Erkrankungen  veröffentlicht, 
bei  denen  trotz  Injektion  von  Heilserum  ein  letaler  Ausgang 
erfolgte;  er  bezieht  denselben  auf  die  Minderwertigkeit  resp.  den 
eingetretenen  Verlust  an  Antitoxingehalt  im  verwendeten  Serum, 
wofür  er  die  vom  hiesigen  Institute  vorgenommene  Nachprüfung 
anführte,  welche  die  Zurückziehung  der  betreffenden  Serien  aus 
dem  Handel  zur  Folge  hatte. 

Es  würde  aus  der  Mitteilung  hervorgehen,  dass  völlig  Anti- 
toxin bares  Serum  in  den  genannten  Fällen  vorgelegen  hat  und 
es  werde  dem  Rückgang  der  Heilsera  an  Antitoxinen  für  die 
Praxis  eine  ausserordentliche  Bedeutung  zukommen,  da  ja  Leben 
und  Tod  davon  abhängig  erscheinen  würden. 

So  verhalten  sich  die  Dinge  nun  nicht;  um  einen  solchen 
verhängnisvollen  Irrtum  aufzuklären  und  die  bei  manchen  Seris 
auftretende  Abnahme  an  Antitoxinen,  wie  sie  tatsächlich  vor  sich 
geht,  genauer  mitzuteilen,  ist  der  Zweck  folgender  Ausführungen. 
Herr  Dr.  Ladniewski  konnte,  wie  auch  der  Leser  seines  Auf- 
satzes, zur  Vorstellung  gelangen,  dass  das  Serum  der  Serien  508, 
509,  515  völlig  unwirksam  geworden  ist,  weil  das  Institut  glatt- 


J)  Iir.  Folge,  10  Bd.,  Heft  2. 


776 


Kraus,  BemerkuDgen  zu  ,,Boitrag  zur  SerumbchandluDg 


weg  nur  die  Abnahme  von  Antitoxin  bekannt  gibt,  die  Zarack- 
nähme  der  betreffenden  Serien  verfügte  und  keine  Angabe  über 
die  Grösse  des  Verlustes  machte.  Der  Grund  für  dieses  Vor- 
gehen liegt  aber  nicht  etwa  in  der  Grösse  des  Verlustes,  wie 
man  annehmen  könnte,  sondern  in  der  Prüfungstechnik. 

Das  in  den  Handel  gebrachte  Diphtherieserum  wird  vor 
der  Verfüllung  sowohl  in  der  Produktions-Abteilung  des  Institutes, 
als  auch  im  Hauptinstitut  nach  der  Ehrlichschen  Bestimmung 
ausgewertet.  Die  Überprüfung  des  im  Handel  befindlichen  Serums 
erfolgt  je  nach  der  Wertigkeit  des  Serums  im  fünften  und  im 
dritten  Monat.  Wird  bei  der  Überprüfung  des  Serums  eine 
Abnahme  an  Antitoxineinheiten  gegenüber  der  Wertangabe  kon- 
statiert, so  wird  das  Serum  ohne  Rücksicht  auf  kleinere  oder 
grössere  Verluste  von  Antitoxineinheiten  durch  Zirkulamoten  aus 
dem  Handel  eingezogen.  Die  Eruierung  des  tatsächlichen  Wertes 
würde  zu  viel  Zeit  in  Anspruch  nehmen. 

Ganz  konform  mit  den  Angaben  von  Marx  geht  aus  der 
folgenden  Tabelle  hervor,  dass  die  meisten  Sera  für  gewöhnlich 
auch  nach  Monaten  in  ihrem  Antitoxingehalt  nicht  zurückgehen. 


Tag  der  Prfifuiig 
des  Serums 

Nachgewiesener 

Wert 

nach  Ehrlieh 

.Tag 
der  ÜberprAfang 

Nach- 
gewiesener 

Wert 

5.  XII.  1902 

200f. 

4.  VIIL  1903 

dOOf. 

16.  IL  1903 

180 

8.  VIIL  1903 

180 

28.  IL  1903 

200 

16.  X.  1903 

200 

9.  III.  1908 

200 

16.  X.  1908 

200 

16.  IV.  1908 

200 

9.  XL  1908 

200 

18.  VL  1903 

800 

9.  XL  1903 

300 

3.  VIL  1903 

200 

24.  XII.  1903 

200 

7.  VII.  1903 

800 

26.  X.  1903 

300 

19.  VIII.  1903 

220 

11.  L  1904 

220 

23.  IV.  1903 

400 

12.  XII.  1904 

400 

19.  VIII.  1903 

150 

3.  IIL  1904 

150 

19.  VlIL  1903 

200 

3.  III.  1904 

200 

25.  VIL  1903 

200 

3.  IIL  1904 

200 

19.  VIIL  1903 

200 

6.  IV.  1904 

200 

28.  X.  1903 

350 

14.  IIL  1904 

350 

Diese  aus  einer  grossen  Reihe  von  Überprüfungen  heraus- 
gegriffenen Bestimmungen  lehren,  dass  die  im  Handel  befindlichen 
Sera  zum  grossen  Teil  nicht  in  ihrem  Antitoxingehalte  abnehmen. 
Dass  daneben    auch  Sera   angetroffen   werden,  die  bei  der  Über- 


der  Diphtherie**  toh  Dr.  S.  Schön-LadDiewski  etc. 


777 


prufuDg  nicht  den  Antitozingehalt  aufweisen,  wie  er  ursprünglich 
gefanden  wurde,  ist  eine  Erfahrungstatsucke,  die  allen  Prüfungs- 
stationen geläufig  ist  und  die  auch  Marx  in  dem  angeführten 
Artikel  bespricht.  Die  Ursachen  für  die  Abnahme  des  Antitoxin- 
gehaltes der  Sera  in  vitro  kennen  wir  nicht  Wir  begegnen  aber 
dieser  Erscheinung  der  Abschwächung  nicht  nur  beim  Diphtherie* 
antitoxin,  sondern  auch  bei  anderen  Antitoxinen  (Tetanus),  bei 
Ambeceptoren,  Agglutininen,  Präcipitinen.  Bei  den  letzteren 
wissen  wir,  dass  die  Abschwächung  in  der  Weise  erfolgt,  dass 
die  funktionelle  Fähigkeit  (Koagulabilität)  zunächst  verloren  geht, 
die  bindende  Fähigkeit  aber  erhalten  bleibt,  wobei  gleichzeitig 
eine  Erhöhung  der  Avidität  verbunden  sein  kann  (Proagglutinoide, 
Propräcipitoide  Eisenberg  und  Volk,  Kraus  und  v.  Pirquel, 
Müller).  Erst  nachdem  auch  die  bindende  Eigenschaft  verloren 
gegangen  ist,  haben  solche  Immunsera  eine  Abnahme  ihres  Gehaltes 
an  Agglutinin  und  Präcipitin  erfahren.  Diese  Abschwächung 
erfolgt  sehr  allmählich,  so  dass  man  noch  nach  Jahr  und  Tag 
Agglutinin  fast  ohne  Abschwächung  finden  kann.  Die  Ab- 
schwächung der  Antitoxine  erfolgt  in  der  Weise,  dass  das  anti- 
toxische  Serum  antitoxinärmer  wird,  d.  h.  einen  geringeren  Anti- 
toxingehalt aufweist  als  vorher.  Die  folgende  Tabelle  zeigt  dieses 
Verhalten  des  antitoxischen  Diphtherieserums. 


Bei  der  Überpr&fuiig 

Tag  der  Prüfung  des 
Serums 

NacfagewlAsener  Wert 

betragt  die  Abnahme  an 
An  titoxi  nei  nh  eiten 

höchstens 

28.  IL  1908 

aoof. 

100 

22.  V.  1903 

500 

100 

25.  VIL  1903 

400 

100 

7.  VII.  1903 

220 

100 

28.  IX.  1903 

500 

100 

29.  VII.  1908 

300 

50 

8.  VII.  1908 

300 

20 

28.  X.  1903 

550 

150 

28.  X.  1908 

500 

100 

28.  X.  1903 

500 

100 

16.  I.  1904 

700 

100 

22.  X.  1903 

200 

810 

28.  X.  1908 

800 

100 

Der  grösste  Verlust,  den  die  Sera  erfahren  haben  kdonten, 
beträgt  150  f.  An)litoxineinheiten   in    1  com.     Die    meisten    Sera 


778  Kraas,  Bemerkungen  zu  , Beitrag  zur  Sernmbehandlung 

erleiden  Verluste,  die  höchstens  100  Antitoxineinheiten  betragen 
dürften.  Die  Verluste  an  Antitoxin  können  sicher  aber  geringer 
sein,  da  bei  der  Überprüfung  weitere  Bestimmungen  auf  Grenz- 
werte nicht  gemacht  werden.  Jedenfalls  lehren  auch  unsere  Er- 
fahrungen, dass  das  im  Handel  befindliche  Serum  in  seinem  Anti- 
toxingehalte nur  ganz  allmählich  zurückgeht  und  dann  auch  nicht 
seinen  Antitoxingehalt  vollständig  verliert.  Die  Sera,  um  die  es 
sich  gewöhnlich  handelt,  die  meist  diese  Erscheinung  der  Ab- 
Schwächung  aufweisen,  sind  hochwertige  Sera,  d.  h.  Sera,  die  in 
1   ccm  400,  500  und  noch  mehr  Antitoxineinheiten  enthalten. 

Überprüfungen  nach  1 — 2  Jahren  zeigen,  dass  die  Verluste 
an  Antitoxin  für  gewöhnlich  nicht  einmal  100  Antitoxineinheiten 
überschreiten. 

Nur  in  ganz  seltenen  Fällen  und  das  nur  bei  sehr  hoch- 
wertigem Serum  (700f.  und  lOOOf.)  kann  die  Abschwächung  rascher 
erfolgen  und  300—400  Einheiten  betragen.  Nachdem,  wie  er- 
wähnt wurde,  unsere  Sera  sowohl  in  der  Filiale  als  auch  im  Haupt- 
institut zweimal  der  Prüfung  unterzogen  werden,  die  Zeit  zwischen 
der  ersten  und  zweiten  Prüfung  1 — 2  Monate  beträgt,  die  Sera 
bei  der  ersten  Prüfung  bereits  ältere  sind,  lässt  sich  eine  der- 
artige rapide  Abnahme  bereits  vorher,  bevor  das  Serum  in  den 
Handel  gelangen  konnte,  konstatieren,  Da  die  Überprüfungen 
des  Serums,  3  und  4  Monate  nachdem  sie  abgegeben  sind,  auf  den 
angegebenen  Wert  erfolgen  und  sobald  dieser  Wert  nicht  mehr 
nachgewiesen  werden  kann,  die  Sera  aus  den  Handel  gebracht 
werden,  sind  die  Verluste  von  Antitoxinen  des  im  Handel  be- 
findlichen Serums  nicht  bedeutende,  da  selbst  nach  1 — 2  Jahren 
noch  höchstens  100  Antitoxineinheiten  pro  ccm  verloren  gegangen 
sein  dürften. 

In  dem  eingangs  erwähnten  Aufsatze  beschuldigt  Herr 
Dr.  Schön-Ladniewski  die  Unwirksamkeit  des  Diphtherieserums 
als  Ursache  für  den  Exitus  letalis  und  führt  die  Unwirksamkeit 
des  Serums  auf  Verlust  des  Antitoxingehaltes  zurück.  Die  Sera, 
welche  in  diesen  Fällen  verwendet  werden,  haben  sich  allerdings 
bei  der  Überprüfung  als  nicht  vollwertig  erwiesen  und  wurden 
deshalb  aus  dem  Handel  eingezogen.  Wie  bereits  gesagt  wurde, 
werden  die  Sera  darum  eingezogen,  weil  der  angegebene  Wert  bei 
der  Überprüfung  nicht  gefunden  wird,  nicht  wie  viele  anzunehmen 
geneigt  sind,  weil  das  Serum  seinen  Antitoxingehalt  vollständig 
eingebüsst  hat.  Um  zu  zeigen,  dass  die  Abschwächung  noch  nach 
mehr  als   einem  Jahr   nur   eine  partielle  ist,  wurden  die  von  Dr. 


der  Diphtherie"  von  Dr.  S.  Schöa-LadDiewski  etc.  779 

Schön  -  Ladniewski  verwendeten  Serie  503  und  Serie  515 
(Serie  509  konnte  nicht  geprüft  werden,  da  kein  Probefläschchen 
mehr  vorhanden  war)  einer  neuerlichen  Überprüfung  unterzogen. 
Die  Prüfung  ergab,  dass  das  Serum  jetzt  nach  mehr  als  Vj^  Jahren 
vom  Tage  der  ersten  Prüfung  höchstens  einen  Verlust  von 
100  Antitoxineinheiten  aufzuweisen  hatte. 

Serie  508,  geprüft  am  28.  II.  1903  als  300fach,  überprüft 
am  4.  IX.  1904  als  200fach  gefunden. 

Serie  515,  geprüft  am  23.  III.  1903  als  SOOfach,  überprüft 
am  4.  IX.   1904  noch  als  400fach  erwiesen.  ^ 

Den  1.  Fall,  bei  dem  das  Serum  nicht  gewirkt  haben  soll, 
der  um  9  Uhr  abends  injiziert  wurde  und  in  der  Nacht  letal  ver- 
laufen ist,  kann  man  unmöglich  heranziehen,  da  es  sich  entweder 
um  eine  sogenannte  toxische  Diphtherie  (der  Kliniker)  handeln 
konnte  oder  um  einen  Fall,  in  dem  das  Serum  zu  spät  angewendet 
wurde. 

Im  2.  Falle  wurden  5500  Antitoxineinheiten  injiziert.  Welche 
Serie  in  den  einzelnen  Fällen  injiziert  wurde,  ist  nicht  angegeben. 
Angenommen,  es  ist  Serie  509  injiziert  worden  (war  ISOfach),  so 
würden  bei  einem  Verluste  von  100  Einheiten,  der  bei  einem  l80f. 
Serum  überhaupt  nicht  vorkommt,  immer  noch  mehr  (2442  A.  E.) 
injiziert  worden  sei,  als  für  gewöhnlich  injiziert  wird.  Wurde  aber 
Serie  515  oder  508  injiziert  (1500  A.  E.),  so  müsste  bei  dem 
nachgewiesenen  Verluste  dieser  Sera,  der  nach  Vj^  Jahren  höchstens 
100  Einheiten  beträgt,  noch  ebensoviel  Antitoxin  angewendet  worden 
sein  als  für  die  schwersten  Fälle  von  unseren  Klinikern  verwendet 
wird  (4392  E.  oder  3660  E.). 

Im  3.  Falle  wurden  13500  Einheiten  injiziert.  Berechnet 
man  ebenso  wie  in  den  früheren  Fällen  den  höchsten  Verlust  an 
Antitoxin,  den  diese  Sera  zu  dieser  Zeit  erlitten  haben  könnten, 
so  wurde  noch  mehr  Antitoxin  verwendet  als  für  gewöhnlich 
injiziert  wird  (entweder  5994  E.  oder  10800  oder  9000  E.). 

Daraus  und  aus  dem  früher  Gesagten  geht  ganz  klar  hervor, 
dass  die  Annahme  des  Herrn  Dr.  Schön-Ladniewski  von  der 
Wirkungslosigkeit  dieser  Sera  infolge  Abschwächung  und  Mangel 
an  Antitoxin  vollständig  unbegründet  erscheint. 


XXVI. 

(Aus  der  Nervenklinik  und  Kinder-Poliklinik  der  Kgl.  Charite.) 

Über  angeborene  familiäre  Hypoplasie  des  Kleinhirns. 

Vorläufige  Mitteilung 

von 

H.  FRENKEL-(HEIDEN)  und  L.  LANGSTEIN. 

Obiger  Titel  soll  nicht  etwa  die  sichere  Diagnose  der  im 
Nachstehenden  mitzuteilenden  Fälle  bezeichnen,  namentlich  nicht 
die  Frage  präjudizieren,  ob  ausser  der  Hypoplasie  des  Cerebellum 
anderweitige  anatomische  Veränderungen  des  Nervensystems  sich 
finden,  eine  Frage,  welche  bei  dem  jetzigen  Stande  unserer  Kennt- 
nisse von  den  Funktionen  des  Kleinhirns  und  dem  zu-  und  ab- 
leitenden Bahnen  desselben  nur  mit  grosser  Vorsicht  zu  bebandeln 
und  in  vivo  nicht  zu  entscheiden  ist.  Andererseits  schienen  uns 
aber  diese  Fälle  besonders  geeignet  zur  Diskussion  der  Möglich- 
keit einer  klinischen  Abgrenzung  von  angeborenen  Hypoplasien 
des  Kleinhirns  selbst,  von  den  Veränderungen  der  mit  ihin  in 
Verbindung  stehenden  Bahnen,  bezw.  von  den  meist  mit  ihm 
kombinierten  Hypoplasien  benachbarter  Teile  des  Zentralnerven- 
systems. 

Eine  solche  Abgrenzung  scheint  uns  in  der  Tat  möglich, 
und  es  sollen  die  im  Folgenden  beschriebenen  Beobachtungen  eine 
Stütze  dieser  Ansicht  sein.  Sie  hätte  nicht  allein  theoretisches 
Interesse,  sondern  gewänne  auch  praktische  Bedeutung  durch 
die  prognostischen  Schlüsse,    welche  sich  aus  ihr  ergeben. 

Die  folgenden  Beobachtungen  beziehen  sich  auf  drei  Ge- 
schwister von  denselben  Eltern.  Die  Kinder  sind  bereits  in  der 
Sitzung  der  Gesellschaft  für  Nervenheilkunde  und  Psychiatrie 
(1904)  von  Herrn  Dr.  Rosenberg  kurz  vorgestellt  und  als 
Formes  frustes  der  Fried reichschen  Ataxie  bezeichnet  worden. 
Sie  wurden  später  in  der  Kinder-Poliklinik  der  Kgl.  Charit^  und 
in  der  Nervenklinik  der  Charit^  beobachtet.    Wir  sind  den  Leitern 


Frenkel'(Heideii)  und  Langstein,  Über  angeboreDe  etc.        781 

dieser  Kliniken,  den  Herren  Geh.  Rat  Prof,  Dr.  Heubner  and 
Prof.  Dr.  Ziehen,  zu  grösstem  Dank  verpflichtet  für  die  gütige 
Überlassung  dieser  Fälle  zur  Publikation. 

Äoamnese:  Der  Vater  ist  Potator,  die  Mutter  gesuDd,  für  Lues  keine 
^nhaltspankte,  aach  keine  andersartigen  Erkrankungen  in  der  Familie.  Der 
älteste  Bmder  ist  22  Jahre  alt,  von  Gebart  an  vollständig  gesund;  an  der 
ISj&hrigen  Schwester,  die  immer  gesund  war,  ist  deutlich  Nystagmus  beim 
Blioke  nach  rechts  und  links  nachweisbar.  Der  16jährige,  sonst  gesunde 
Bruder  zeigt  ebenfalls  Nystagmus.  Eine  10jährige  Schwester  ist  gesund^ 
ebenso  ein  8jähriger  Bruder.  Ein  Bruder  starb  mit  einem  Jahre,  angeblich 
an  Krämpfen  während  einer  fieberhaften  Erkrankung. 

Johann  Kanafa,  12  Jahre  alt,  teils  natürlich,  teils  künstlich  auf- 
gezogen, entwickelte  sich  angeblich  gut,  hatte  niemals  Krämpfe,  doch  gibt 
die  Mutter  an,  dass  ihr  schon  in  den  ersten  Wochen  das  Gesicht  auffallend 
schief  erschienen  sei.  Das  Kind  lief  mit  P/s  Jahren,  seit  2  Jahren  macht 
sich  Schwäche  in  den  Beinen  bemerkbar.  Schulbildung  im  6.  Jahre,  schlechte» 
Fortkommen.  In  der  polnischen  Sprache  erzogen,  hat  das  Kind  später  recht 
gut  deutsch  gelernt.  Jetzige  Klagen:  «Ich  habe  schlimme  Beine,  kann  nicht 
gerade  laufen,  ich  muss  so  laufen  wie  ein  Besoffener,  und  dann  kann  ich  so- 
schlecht  sprechen.^ 

Status  praesens:  Geringe  Drüsenschwellungen  am  Halse,  innere 
Organe  ohne  pathologischen  Befund,  kostaler  Atemtjpus. 

Nervensystem:  Keine  Augenmuskellähmungen.  Horizontaler  Nystag- 
mus, besonders  beim  Blick  nach  rechts  und  links.  Prompte  Reaktion  der 
Pupillen  auf  Lichtoinfall  und  Akkommodation.  Augenhintergrnnd  normal. 
Corneal-  und  Masseterretlex  symmetrisch.  In  der  Ruhe  steht  meist  der  linke 
Mundwinkel  etwas  tiefer  als  der  rechte;  Lachen  symmetrisch,  beim  Lächeln 
wird  bald  der  rechte,  bald  der  linke  Fascialis  stärker  innerviert,  ständige^ 
anscheinend  unwillkürliche  Verziehungen  in  der  Mundmuskulatur,  hauptsächlich 
langsames  Indiehöheziehen  des  Mundes  auf  der  einen  Seite  und  Einstülpen 
der  Lippen.  Beim  Zähnefletschen  ist  die  linke  Nasolabial falte  tiefer  als  die 
rechte,  Augenzukneifen  symmetrisch,  die  Zunge  wird  unter  geringem  Zucken 
gerade  vorgestreckt;  Geruch,  Geschmack,  Gehörsinn  ohne  Besonderheit, 
Gaumenreflex  normal. 

Sprache:  Deutliches  Lispeln,  kein  Häsitieren,  kein  Silbenstolpern. 

Obere  Extremität:  Rohe  Kraft  beiderseits  gleich.  Beim  Drücken 
wird  das  Gesicht  verzogen,  dabei  tritt  deutlich  eine  Minderinnervation  de& 
linken  Facialis  hervor.  Geringe  Hypotonie  in  beiden  Ellenbogen,  stärkere 
Hypotonie  in  dem  Handgelenk,  die  Hände  können  sowohl  überstreckt  als 
überbeugt  werden;  ebenso  können  die  Finger  in  den  Metacarpophalangeal- 
gelenken  übermässig  gebeugt  werden.  Tricepssehnenreflex  beiderseits  lebhaft. 
Beim  Zeigefinger -Nasen  versuch  leichtes  ataktisches  Schwanken,  das  bei 
Augenschluss  etwas  zunimmt.     Links  Ataxie  stärker  als  rechts. 

Rumpf:  Beim  Sitzen  mit  verschränkten  Armen  leichtes  Schwanken, 
das  bei  Augenschluss  zunimmt.  Bei  ganz  legerem  Sitzen  sieht  man  des 
öfteren  ruckartige  Bewegungen  des  Rumpfes.  Langsames  Hinlegen  und  Auf- 
richten bei  verschränkten  Armen  möglich.  Epigastrische  Reflexe  lebhaft,. 
Kremasterreflex  sehr  lebhaft. 


782  FreDkel-CHeiden)  und  Längste  in,  Ober  angeborene 

Untere  Extremit&t:  Hypotonie  in  den  Hüftgelenken,  starke  Hypotonie 
im  Qnadriceps,  geringe  Hypotonie  in  den  Knie-  und  Fussgelenken,  grobe  Kraft 
anscheinend  angestört.  Kniehakenversach  bedingt  links  äasserst  geringe 
ataktische  Schwankungen,  rechts  etwas  stärkere,  jedoch  keine  Zunahme  beim 
Augenschlnss.  Patellarsehnenreflexe  beiderseits  gesteigert,  Achillessehnen- 
reflexe  beiderseits  positiv,  kein  Fussklonus,  Plantarreflex  beiderseits  positir. 
Keine  Lagegefühlsstörungen  in  den  unteren  und  oberen  Extremitäten.  Taktile 
■Sensibilität  am  ganzen  Körper  intakt. 

Gang:  Die  Fasse  werden -etwas  stampfend  aufgesetzt,  die  Knie  wenig 
durchgedruckt,  Taumeln  beim  Gehen,  bald  nach  rechts,  bald  nach  links,  zu- 
weilen Überkreuzung  der  Beine.  Beim  Gehen  mit  offenen  Augen  keine 
konstante  Richtun  gsab  weich  an  g,  beim  Gang  mit  geschlossenen  Augen  deutliche 
Zunahme  der  Richtungsabweichung  und  des  Schwankens.  Stehen  mit  ge- 
schlossenen Füssen  und  offenen  Augen  gut  möglich,  dabei  leichte  Rumpf- 
oszillationen,bei  Augenschlnss  nehmen  diese  Oszillationen  nur  ganz  unbedeutend 
zu;  Stehen  auf  einem  Bein,  auch  bei  offenen  Augen,  nicht  möglich.  Dabei 
namentlich  starke  Frontalschwankungen.     Intelligenz  gut. 

Kasimir  Kanata,  6  Jahre  alt,  teils  natürlich,  teils  künstlich  auf- 
gezogen, lief  mit  zwei  Jahren,  ein  Jahr  hierauf,  angeblich  im  Anschluss 
an  eine  Erkältung,  schlecht,  wurde  leicht  schwach  und  klagte  über  Schmerzen 
in  den  Füssen;  der  Arzt  Yerordoete  Einreibungen;  trotzdem  blieb  der  schlechte 
Gang  bestehen,  und  die  Mutter  glaubte  eine  zunehmende  Abmagerung  der 
Beine  zu  bemerken.  Wurde  nach  einmoDatlichem  Schulbesuch  wegen  Schwäche 
entlassen.     Seit  der  Geburt  angeblich  schiefes  Gesicht. 

Status:  Nicht  auffallend  zurückgebliebener  Knabe,  innere  Organe 
ohne  Besonderheiten,  Thorax  leicht  asymmetrisch,  zu  Ungunsten  der  rechten 
Seite,  geringe  Spuren  von  Rachitis,  keine  Kyphoskoliose,  die  auch  bei  den 
anderen  Geschwistern  nicht  besteht.  Schädel  ohne  Anomalie,  Umfang  50  cm, 
Geruchsinn  normal,  Augenhintergrnnd  zeigt  eine  Andeutung  von  Staphylom, 
Pupillen  gleich  weit,  Pupillenreaktion  prompt,  Konvergenz  nicht  zu  erzielen. 
Comealreflex  positiv,  Augenmaskelnerven  intakt,  horizontaler  Nystagmus, 
(ebenso  beim  Blick  nach  oben,  beim  Blick  nach  unten  nur  angedeutet),  nament- 
lich rechts.  Trigeminus,  soweit  prüfbar,  intakt.  Uvula  weicht  scheinbar 
etwas  nach  links  ab,  genaue  Prüfung  wegen  Erbrechens  unmöglich,  Zangen- 
spitze weicht  spurweise  nach  links  ab.  Das  Kind  stellt  sich  ungeschickt  an 
beim  Stirnrunzeln,  Zähnefletschen,  spitzt  aber  gleichmässig  den  Mund. 
Paresen  sind  nicht  sichtbar.  Dagegen  sieht  man  ab  und  zu  eine  tickartige 
Innervation  des  rechten  Facialis,  wobei  die  Augenspalte  kleiner  und  der 
Mundwinkel  nach  oben  gezogen  wird.  Auch  auf  der  linken  Seite  treten 
diese  tickartigen  Bewegungen  ein,  aber  seltener.  Gehör  ohne  Befand.  Obere 
Extremitäten:  Grobe  Kraft  völlig  intakt,  sparenweise  Ataxie,  beim  Finger- 
nasenversuch  rechts  und  bei  Augenschlnss  stärker.  Die  Finger  lassen  sich 
leicht  hyperextendieren,  sonst  keine  deutlichen  Zeichen  von  Hypotonie. 
Triceps-Sehnenreflex  beiderseits  positiv,  Periostreflex  lebhaft,  Maskelreflex 
lebhaft,  Sensibilität  und  Muskelgefühl  anscheinend  intakt.  Rumpf:  Im 
Sitzen  nur  bei  Augenschlnss  geringes  Schwanken  im  Oberkörper,  Aufrichten 
ohne  Znhülfenahme  der  Hände  möglich,  Bauchdecken-Kremaster-Reflex  lebhaft. 
Wirbelsäule  nirgends  schmerzhaft.     Untere  Extremitäten:    Grobe  Kraft   gut, 


familiäre  Hypoplasie  des  KleinhirDs.  783 

keine  Atrophien  and  Paresen«  Hypotonie  in  der  Hüfte  m&ssig  beim  Gehen, 
stärker  bei  Abdnktion.  Starke  Hypotonie  des  Quadriceps,  Rampfhypotonie 
nur  angedeutet,  Hantsensibilit&t')  und  Muskelgefühl  anscheinend  intakt,  beim 
KniehakenYersuch  geringe  Ataxie  rechts,  etwas  stärkere  links,  noch  stärker 
'bei  Augeflschluss.  Patellarsehnenreflex  sehr  lebhaft,  Achillessehnenreflex 
positiy,  kein  Babinski,  kein  Oppenheim.  Stehen  mit  geschlossenen 
Angen  ist  unmöglich,  breitbeiniges  Stehen  mit  Schwanken  yerbunden,  Augen - 
schluss  verstärkt  nicht  das  Schwanken,  Stehen  auf  einem  Bein  unmöglich, 
Gang  breitbeinig,  schwankend,  Sprache  etwas  undeutlich  und  lispelnd,  aber 
ohne  schwere  Artikulationsstörungen,  lautes  Schreien  möglich,  erschöpft 
sich  aber  scheinbar  schnell.    Intelligenz  gut. 

Magdalena  Kanafa,  4  Jahre  alt,  erhielt  eine  Woche  lang  Brast, 
dann  künstliche  Ernährung,  öfter  Lungeukatarrh;  Beginn  des  Gehens  mit 
drei  Jahren,  von  Beginn  schlecht  und  schwankend.  Seit  Geburt  schiefes 
Gesicht  und  linksseitige  Gesiehtszucknngen;  rasches  Ermüden  beim  Gehen. 
Status:  Kräftig  entwickeltes  Kind,  innere  Organe  ohne  Befund,  Ohrläppchen 
beiderseits  angewachsen,  unbedeatender  Rosenkranz,  keine  Verkrümmungen 
der  Wirbelsäule,  Schädelumfang  48  cm.  Nystagmus  beim  Blick  nach  den 
Seiten,  prompte  Pupillenreaktion  und  Coroealreflexe,  Angenhintergrund  normal, 
TrigeminuB  intakt,  meist  wird  der  linke,  manchmal  der  rechte  Facialis  stärker 
innerviert,  eine  eigentliche  Parese  scheint  nicht  zu  bestehen.  Gehör  an- 
scheinend gut,  Gaumenhebung  symmetrisch,  obere  Extremitäten  ohne  Atro- 
phien, grobe  Kraft  erbalten,  Reflexe  auslösbar,  Sensibilität  anscheinend  intakt, 
Rumpf,  Wirbelsäule  nicht  klopfempfindlich,  Hypotonie  der  Wirbelsäule,  der 
Rumpf  kann  soweit  gebeugt  werden,  dass  der  Kopf  zwischen  die  Füsse  ge- 
langt. Sensibilität  intakt  Aufsitzen  ohne  Zuhilfenahme  der  Arme  gut  mög- 
lich. Untere  Extremität:  keine  Atrophie,  Ataxie  beim  Kniehakenversuch 
angedeutet,  keine  Spasmen,  enorme  Hypotonie  in  den  Hüftgelenken,  grobe 
Kraft  gut,  Patellarsehnenreflex  und  Achillessehnenreflex  positiv,  Fasssohlen- 
reflex  plantar,  Romberg  stark  positiv,  schon  bei  offenen  Augen  und  nicht 
geschlossenen  Füssen.  Gang  breitbeinig,  bald  nach  rechts,  bald  nach  links, 
auch  nach  vorn  schwankend.  Sensibilität  intakt.  Beim  Gang  mit  geschlossenen 
Angen  ist  die  Störung  qualitativ  etwa  dieselbe,  nur  wesentlich  erheblicher, 
der  ganze  Körper  gerät  dabei  in  eine  leichte  Rotation  nach  links.  IntelligenK 
anscheinend  gut. 

Wenn  sich  auch  gegen  die  Bezeichnung  hereditäre,  bezw. 
familiäre  Ataxie  als  symptomatische  Diagnose  nichts  einwenden 
lässt,  80  erheben  sich  doch  wesentliche  Bedenken  gegen  die  glatte 
Einreihung  dieser  Erankheitsbilder  unter  die  Friedreichsche 
Ataxie.  Hierbei  ist  zu  bedenken,  dass  schon  sehr  bald  nach 
dem  Erscheinen  der  von  Friedreich  gegebenen  Beschreibung 
verschiedenartige  Beobachtungen  unter  dem  Titel  „Friedreichsche 
Ataxie"  veröffentlicht  wurden,  sobald  Heredität,  bezw.  familiäres 


0  Bei  dem  Müllerschen  Versnch  (Heben  von  Gewichten)  ergeben 
sich  statt  der  normalen  70  pCt.  richtiger  Fälle,  ebensoviel  richtige  wie 
falsche  Fälle. 

Jahrbuch  lür  Kinderheilkunde.    X.  F.    LXI.    Hell  5.  51 


784  Frenkel-(Hoideii)  und  Langeteio,  Über  aDgeborene 

Auftreten  und  eine  Eoordinationsstörung  sich  fanden,  auch  ohne 
dass  sich  das  Kranich eitsbild  mit  dem  von  Friedreich  gezeich- 
neten völlig  deckte.  Bekanntlich  ist  hierbei  die  Frage  nach  der 
Mitbeteiligung  des  Cerebellum  schon  sehr  bald  diskutiert  worden.. 
Wir  behalten  uns  die  Besprechung  dieser  Verhältnisse  für  die 
ausführliche  Publikation  vor  und  heben  hier  nur  diejenigen  Ab- 
weichungen von  der  von  Friedreich  gegebenen  Beschreibung 
hervor,  die  uns  von  prinzipieller  Wichtigkeit  zu  sein  scheinen: 

I.  Erhaltensein,  zum  Teil  Lebhaftigkeit  der  Sehnenreflexe 
in  allen  vier  Extremitäten. 

IL  Fehlen  von  gröberen  Sensibilitätsstörungen  in  Haut, 
Gelenken  und  Muskeln,  wie  sie  sich  bei  der  Friedreichschen 
Krankheit  regelmässig  finden. 

III.  Fehlen  der  Skoliose. 

IV.  Fehlen  des  charakteristischen  Friedreichschen  Fusses. 

V.  Auftreten  im  frühesten  Kindesalter. 

VI.  Stationärer,  zur  Besserung  neigender  Verlauf  im  Gegen- 
satze zum  langsam,  aber  unaufhaltsam  sich  verschlechternden 
Zustande  bei  den  typischen  Friedreichschen  Fällen. 

Schon  diese  Tatsachen,  namentlich  der  ganz  andersartige 
Verlauf  lassen  eine  besondere  Klassifizierung  dieser  Fälle  wünschens- 
wert erscheinen.  Es  finden  sich  aber  auch  in  den  auf  beiden 
Seiten  anzutreffenden,  anscheinend  gleichartigen  Symptomen  eine 
Reihe  von  Abweichungen. 

Zunächst  in  dem  Bilde,  unter  welchem  sich  die  Ataxie  darstellt. 
In  der  Bettlage  ist  eine  Koordinationsstörung  bei  unseren  Bändern 
kaum  zu  bemerken,  auch  bei  Augenschluss  sind  die  Bewegungen 
unverändert;  das  Gehen  ist  hauptsächlich  charakterisiert  durch 
die  Breitspurigkeit  der  Beinstellung;  Abweichungen  von  der 
Richtungslinie  beim  Gehen  sind  kaum  vorhanden;  das  Gehen  ge- 
schieht ohne  Hilfe.  Im  auffallenden  Gegensatze  hierzu  steht 
bei  unseren  Kindern  die  Unfähigkeit,  den  Rumpf  in  Ruhe  zu  er- 
halten und  vor  allem  selbst  für  Sekunden  auf  einem  Bein  zu 
balanzieren  —  also  eine  Rumpf-Ataxie.ohne  nennenswerte  Geh- 
störungen, wie  sie  bei  der  tabischen  Friedreichschen  Ataxie 
nicht  vorzukommen  pflegt.  Wir  finden  vielmehr  bei  letzterer  ein 
äusserst  charakteristisches  Verhalten,  beruhend  auf  einer  Kombi- 
nation von  Rumpfataxie  und  einer  durch  die  (nacli  unseren  eigenen 
Untersuchungen)  niemals  fehlenden  Störungen  des  Lage-  und 
Muskelgefühls  bedingten,  der  tabischen  durchaus  analogen  Koordi- 
nation sstörung  der  Extremitäten, 


familiäre  Hypoplasie  des  Kleinhirns.  785 

In  zwei  anderen  eigenen  analogen  Fällen,  die  wir  bei  der 
4iusfahrlichen  Publikation  verwerten  wollen,  war  auch  das  Stehen 
absolut  unmöglich,  damit  naturlich  auch  jede  Gehbewegang. 

Ein  besonders  wichtiges  Symptom  ist  die  Hypotonie  der 
Muskulatur.  Sie  findet  sich  auch  bei  der  Friedreichschen 
Ataxie,  namentlich,  wenn  deutliche  cerebellare  Symptome  vor- 
handen sind;  niemals  aber  in  so  hochgradigem  Maasse,  wie  bei 
unseren  Fällen.  Namentlich  ist  die  Verbindung  von  hochgradiger 
allgemeiner  Hypotonie  mit  lebhaften,  manchmal  auch  sehr  ge- 
steigerten Sehnenreflexen,  ohne  Babinski,  nach  unserer  Meinung 
sehr  charakteristisch  für  diese  Zustände. 

Auch  die  Besprechung  der  Frage,  ob  unsere  Fälle  von  der 
H^redoataxie  cerebelleuse  abzugrenzen  sind,  behalten  wir  uns 
für  später  vor.  Erwähnt  sei  nur,  dass  von  dem  von  Marie 
selbst  gezeichneten  Bilde  die  Abweichungen  offenbar  sind  (Auf- 
treten im  Alter  von  über  30  Jahren,  spastische  Erscheinungen, 
meist  progressiver  Verlauf).  Dagegen  scheinen  sich  unsere  Be- 
obachtungen im  wesentlichen  zu  decken  mit  der  H^redoataxie 
^cerebelleuse  späterer  Autoren. 


51» 


Literaturbericht. 

Zusammengestellt  von  Dr.  B.  SALGE, 

AsslBtent  an  der  Uolyenltilu-Kinderkllnlk  In  Berlin. 

IV.  Infektionskrankheiten. 

Beitrag  sur  Epidemiologie  der  DipMkeriHs,    Von    H.   Fidler.     Ozasopismo 
lekarskie.     1904.     No.  7  q.  8.     (Polnisch.) 

Aof  Grund  ausgebreiteter  Forschung  gelangt  Verf.  zu  nachfolgenden 
Schl&ssen:  1.  Die  Diphtheritis  ist  in  geringem  Grade  ansteckend  und  wird 
durch  die  Lnit  nicht  übertragen.  2.  Der  Diphtheriebacillus  wird  nur  in  den 
PsendomembraneB  und  im  Schleime  des  Rachens  und  des  Mundes  Tor- 
gefunden.  8.  Sie  entsteht  durch  unmittelbare  Übertragung  des  Bacillus 
durch  die  Finger,  den  Mund,  Haare  und  Kleidung.  4.  Die  Ausbreitang  der 
Epidemie  hängt  einzig  ab  von  der  Lebensart  der  Familie.  5.  Das  Inkubations- 
Stadium  dauert  1 — 8  Tage,  selten  20—32  Tage,  und  um  den  Bacillus  auf- 
zunehmen, muss  man  mit  dem  Kranken  mindestens  sechs  Stunden  bei- 
sammen sein. 

Prophylaktisch  muss  demnach  der  Kranke  isoliert  und  dem  Kranken- 
wärter Reinlichkeit  aufgetragen  werden;  die  Gesunden  sollen  Mund  und 
Rachen  mit  Desinfektionsmitteln  spülen;  die  Rekonyaleszenten  sollen  noch 
acht  Tage  nach  dem  Ablösen  der  Membranen  mit  Gesunden  nicht  zusammen- 
kommen; die  Wohnung  soll  nicht  desinfiziert,  sondern  nur  der  Fussboden 
im  Krankenzimmer  gewaschen  werden;  die  Krankenwäsche  soll  in  Lauge 
gekocht  werden,  und  es  soll  überhaupt  verboten  werden,  fremde  Kinder  zu 
küssen.  Es  soll  demnach  den  gesunden  Miteinwohnern  eines  diphtherie- 
kranken Kindes  erlaubt  sein,  die  Schule  zu  besuchen,  Menn  dieselben  gewisse 
Vorschriften,  betreffend  ihre  eigene  Person,  beobachten. 

In  der  Diskussion  wendeten  sich  die  Redner  gegen  einzelne  Punkte 
dieser  radikalen  Bestimmungen,  welche  natürlich  in  der  von  F.  angegebenen 
Form  mit  Vorbehalt  acceptiert  werden  müssen. 

Jan  Landau-Krakau. 

Über  du  Besiehung  der  Rhinitis  fibrinosa  zur  Diphtherie,  Von  L.  Wolff. 
Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  2.  1905. 
Verf.  teilt  die  Krankengeschichten  dreier  Kinder  mit  fibrinöser  Rhinitis 
mit,  bei  denen  es  sich  zweifellos  um  Diphtherie  handelte.  Auf  Grund  seiner 
Beobachtungen  glaubt  sich  Verf.  gegen  die  Auffassung  der  häufig  rein 
schmarotzenden  Natur  der  Diphtheriebazillen  beim  Schnupfen  der  Säuglinge, 
aber  wenig  überzeugend,  wenden  zu  müssen.  Misch. 


IV.  Akute  InfektioDskrankheiteii.  787 

Dva  pripady  ulcerosni  an^ny  Vi$tceuiooy  re  veku  deUkem.    (Zwei  Fälle  von 
.    Angina  ulcerosa  VincenH  im  Kindesalier.)    Von  Wenzol  Pexa.   Casopis 
Uka]^a  desk^ch.     1904.    No.  45.    p.  1239. 

Verf.  beschreibt  zwei  FftUe  der  Erkrankaog  bei  KiDdern  Ton  2  und 
3>/4  Jahren.  Beide  Fälle  waren  als  Diphtherie  ins  Spital  eingeliefert  worden; 
sie  zeigten  graaweisse,  zusammenhängende  Membranen  an  den  Tonsillen  and 
starken  Foetor  ex  ore.  Nach  Abstossang  der  Membranen  entstanden  tiefe 
Geschwüre,  die  zögernd  aasheilten.  Der  mikroskopische  bakteriologische 
Befand  zeigte  Bac.  fusiformis  and  Spirochaete;  die  Kultar  gelang  auch 
Pexa  nicht 

Die  Fälle  heilten  in  kurzer  Zeit  ohne  Komplikationen  ab. 

Schleissner. 
School  dipkiheria  in  ike  nutropolis.    Von  G.   J.    Thomas.    Brit.  med.  Joum. 
27.  Aug.  1904. 

Die  Arbeit  legt  dar,  dass  man  in  England  gelegentlich  weit  energischer 
gegen  die  Diphtherie-Übertragung  in  den  Schulen  vorgeht  als  bei  uns.  Die 
Schliessung  einer  Schule  hält  der  Verf.  für  eine  anzweckmässige  ond  nicht 
«inmal  genügende  MassregeK  Verf.  spricht  sich  dafür  aus,  bei  Ausbruch 
Ton  Diphtherie  einer  Klasse  sämtliche  Kinder  bakteriologisch  zu  unter- 
auehen  und  diejenigen  aoszuschliessen ,  bei  denen  die  Diphtheriestäbchen 
gefunden  werden.  Verf.  erläutert  das  Vorgehen  an  einzelnen  Beispielen,  die 
sehr  für  die  Methode  za  sprechen  scheinen.  Die  Übertragung  erfolgt  meist 
durch  die  leichten  Fälle,  eventuell  auch  durch  Rekonvaleszenten,  die  nach 
seiner  Ansicht  auch  sämtlich  bakteriologisch  untersucht  werden  sollten,  bevor 
man  sie  wieder  in  die  Schule  schickte.  Jap  ha. 

Über  postdiphiheriscke  Nephritis,  Von  Arthur  Mayer.  Münch.  med.  Wochen- 
schrift. No.  46.  1904. 
Mitteilung  zweier  Fälle,  in  denen  die  Nephritis  nach  Ablauf  aller  £r~ 
scheinungen,  bei  täglicher  chemischer  und  mikroskopischer  Urinuntersuchung, 
«rst  in  der  dritten  Woche  auftrat.  Schon  einige  Tage,  bevor  das  Eiweiss 
chemisch  nachweisbar  wurde,  zeigten  sich  Formelemente  im  Sediment. 

Misch. 

Bakteriologische  Untersuchungen  bei  Keuchhusten,  Von  P.  Smit.  Inaugural- 
dissertation.   Utrecht  1904. 

Die  fleissige  Arbeit  enthält  eine  gründliche  Literaturstudie.  Des  Ver- 
fassers eigene  Untersuchungen  lassen  sich  wie  folgt  resümieren: 

I.  In  24  Keuchhustenfällen,  welche  im  Frühling  und  im  Sommer  1908 
in  Utrecht  beobachtet  wurden,  fand  sich  in  der  Spatis  konstant  und  in 
grösserer  Zahl  der  sogenannte  Bac.  pertussis  Eppendorf.  Mit  einer  Aus- 
nahme wurde  dieser  Bacillus  ebenso  gefunden  in  dem  Auswarf  von  8  Kindern 
aus  einer  Keucbhustenepidemie  in  Amsterdam.  Bei  den  Amsterdamer  Fällen 
waren  die  Stäbchen  im  allgemeinen  ein  wenig  grösser  als  bei  der  Utrechter 
Epidemie. 

Das  Blutserum  von  Keuchhustenkranken  agglutinierte  den  Bac.  pert.  E 
nicht;  ebensowenig  geschah  dies  aber  durch  die  Sera  von  einem  Pferde  und 
von  Ziegen,  welche  gegen  den  Bacillus  immunisiert  worden  waren. 

Für  junge  Caviae  erwies  sich  der  Bac.  pert.  E.  pathogen,  besonders  bei 
intraperitonealer   Injektion;    die   Virulenz    eines   selben   Stammes   war   aber 


788  Literatarberieht. 

sieht  koosUnt  Die  Kraokheitssymptome,  welche  diese  Tiere  zeigten,  und 
der  SektioDsbefand  stimmten  überein  mit  demjenigen,  was  Delias  nnd  Koile 
für  den  Inflnenzabacillns  gefanden  haben. 

Aach  ein  Kaninchen  starb  nach  intrayenöser  Injektion  mit  dem  Bac.  pertS. 
an  Allgemeininfektion  durch  diesen  Bacillus  anter  L&hmongserscheinangen. 
Ein  zweites  Kaninchen  bekam  eine  doppelseitige  Conjanktiyitis  nnd  im 
Exsudate  wurden  der  Bac.  pert.  E.  gefunden. 

Ein  Pferd,  das  gegen  den  Bac.  pert.  E.  immunisiert  wurde,  reagierte 
bisweilen  auf  die  subkutanen  Injektionen  mit  ernsten  Krankheitserscheinungen^ 
Es  gelang  Verf.  nicht,  irgend  eine  spezifische  Eigenschaft  in  diesem  Serum 
zu  entdecken. 

Einen  anderen  Beweisgrund  f&r  die  Spezifität  des  Bac.  pert.  £.  als 
dessen  konstante  Anwesenheit  in  den  Sputis  von  Keuchhustenkranken  kann 
Verf.  also  nicht  anfuhren. 

II.  In  10  Keuchhnstenfillen  fehlte  der  sogenannte  Bae.  z.  im  Auswurf. 
Zum  Vergleich  diente  eine  Kultnr  Tom  Bae.  z.,  Ton  Dr.  Manicatide  dem 
Verf.  zur  Verfügung  gestellt,  und  ein  Serum,  dass  in  starker  Verd&xmung 
diesen  Bacillus  agglntinierte. 

Dann  und  wann  konnte  Verf.  eine  sehwache  Agglutination  vom  Bac  z. 
beobachten  durch  das  Serum  yon  Keuchhustenkranken;  einmal  fehlte  die 
Reaktion  gänzlich. 

Verf.  leugnet  einen  Zusammenhang  zwischen  Bac.  z.  und  die 
Pertussisätiologie. 

III.  In  mehreren  Fällen,  welche  mit  Absicht  darauf  untersucht  wurden, 
fanden  sich  die  Poibakterien  Gzaplewskis,  immer  jedoch  nur  in  geringer 
Zahl.  Nicht  selten  fehlten  sie  gänzlich  auch  da,  wo  Platten  mit  Löffiers 
Serum  angewendet  wurden. 

Den  Untersuchungen  mehrerer  Aatoren  nach  fehlen  diese  Bakterieo 
oft  in  dem  Aasworf  yon  Keuchhusten  kranken,  und  da  das  Vorkommen 
konstant  und  in  grösserer  Zahl  das  einzige  richtige  Argoment  ist  für  die 
Spezifizität  derselben,  so  ist  es  nach  der  Meinung  Verfassers  unwahr- 
scheinlich, dass  die  Polbakterien  das  Agens  der  Pertussis  sein  wurden. 

Cornelia  de  Lange -Amsterdam. 

Diphtherie  und  Croup,  mit  und  ohne  Serum  dehandelt.  Von  J.  Fels.  Wien, 
med.  Presse.  No.  52.  1904. 
Die  yerwendeten  Fälle  stammen  sus  der  Priyatpraxis.  Die  Scheu  der 
Eltern'  yor  dem  Serum,  der  relatiy  hohe  Preis  des  Mittels  und  andere  Um- 
stände haben  dazu  geführt,  dass  Fels  unter  den  in  den  letzten  6  Jahren  be> 
obachteten  Fällen  eine  Anzahl  ohne  Serum  behandeln  musste.  Mit  Serum 
wurden  30  Fälle  behandelt,  yon  diesen  21  mit  Rachendiphtherie,  2  mit 
Larynx-Group  und  7  mit  Rachenkehlkopfdiphtherie.  Letal  endete  nur  der 
Fall  eines  zehnmonatlichen  Kindes  (Rachen-  nnd  Kehlkopfaffektion}.  Drei- 
mal trat  ein  uniyerselles  Exanthem  auf.  Neben  der  Allgemeinbehandlung 
mit  Serum  wurde  die  Lokalbehandlung  nicht  ganz  yernachlässigt.  Zweimal 
wurden  auch  prophylaktische  Injektionen  mit  gutem  Erfolg  angewendet. 
Des  Autors  Erfahrungen  ergeben  —  wie  anderer  Autoren  —  eine  Dauer  der 
Immunisierung  yon  nicht  mehr  als  2 — 8  Wochen. 


IV.  Aknte  Infektionskrankheiten.  789 

Ohne  Seram  wurden  29  F&lie,  17  mit  Rachendiphtherie,  10  mit  Larynx- 
Oronp  nnd  2  kombinierte  behandelt.  Zwei  erst  am  dritten  Tage  in  Behand- 
lang gekommene  GroapfUlle  starben.  Die  Behandlang  des  Kehlkopf  Croups 
bestand  in  der  Darreichung  von  Brechmitteln  und  Expektorantien,  Inhalation, 
Applikation  Ton  Senfflaster  and  Blutegeln.  In  drei  F&Uen  mnsste  schliesslich 
doch  Serum  angewendet  werden.  Ein  ohne  Serum  behandelter  Fall  yon 
Rachendiphtherie  (9monatl.  Knabe)  endete  tödlich.  Also  kamen  auf  29  ohne 
Serum  behandelte  Fälle  3  Todesfälle. 

Verf.  empfiehlt  für  alle,  auch  leichteste  Fälle,  sofortige  Anwendung 
des  Serums. 

Als  Inkubationszeit  berechnet  Fels  2—7  Tage. 

Neurath. 

Behandlung  des  Scharlach.  Von  Wlazlowski.  Noriny  lekarskie.  No.  11. 
1904.  (Polnisch.) 
Da  die  Haaptursache  der  schweren  Scharlachfälle  in  Komplikationen 
Ton  Seiten  des  Rachens  gelegen  ist,  empfiehlt  W.  folgende  Behandlungsart : 
Im  Anfang  wendet  er  eine  Mischung  an  von  Kali  chloricum  2,0  mit  Natrium 
salicylicum  4,0 :  150,0,  zweistündlich  einen  Esslöffel  bei  Kindern  Ton  zwei  bis 
Tier  Jahren.  Das  Fieber  fällt  gewöhnlich  infolge  dessen  ab  und  es  bilden 
sich  nicht  die  pseudodiphtheritischec  Membranen.  Wenn  sich  dennoch  diese 
Membranen  bilden,  reicht  er  Hydrargyrum  cyanatnm  0,02—0,03 :  150,0,  zwei- 
stündlich einen  Esslöffel.  Bei  schweren  Fällen  mit  Rachen membrauen  wird 
auch  antidiphtheritisches  Serum  injiziert.  Dabei  Umschläge  am  Hals  und 
lauwarme  Bäder.  Die  Wirkungsweise  des  Hydrargyram  cyanatum  erklärt 
Verf.  durch  Einwirkung  auf  die  Streptokokkentoxine,  wie  dies  seine  aus- 
gezeichnete Wirkung  bei  Erysipel  beweist. 

Jan  Landau-Krakau. 

Beilrag  smr  Behandlung  des  Scharlachs  mit  Scharlachserum.  Von  J.  Brud- 
zinski. Gazeta  lekarska  1904.  No.  25  u.  26.  (Polnisch.) 
Auf  Grund  tou  fünf  beobachteten  Fällen  macht  Verf.  folgende  Be- 
merkungen: 1.  In  drei  Fällen  war  Exanthem  infolge  der  Serumeinspritzung 
zu  bemerken,  2.  die  bisher  injizierte  Menge  von  40—50  ccm  muss  dahin 
geändert  werden,  dass  diese  Dosis  in  sehr  schweren  Fällen  höher  gegriffen 
und  wiederholt  werden  soll,  bei  kleineren  Kindern  und  in  leichteren  Fällen 
dieselbe  vermindert  werden  sollte,  3.  in  keinem  der  Fälle  war  Nierenentzündung 
zu  bemerken.  Verf.  spricht  jedoch  nicht  sein  endgültiges  Urteil  aus  über 
die  Möglichkeit  des  Auftretens  der  Nephritis,  da  die  Zahl  der  beobachteten 
Fälle  zu  gering  ist.  Jan  Landau-Krakau. 

Beitrag  sur  Behandlung  des  Scharlachs  mit  Scharlachserum.  Von  W.Pulawski. 
Czasopismo  lekarskie.  1904.  No.  8  u.  9.  (Polnisch.) 
Es  wurden  Ton  46  Scharlachfällen  28  mit  Bujwidschem  Serum  be- 
handelt, welche  den  Verfasser  zu  folgenden  Schlössen  yeranlassen:  1.  Das 
Serum  verursacht  keine  lokalen  und  keine  allgemeinen  Nebenerscheinungen, 
2.  in  schweren  Fällen  (fünf)  war  keine  positive  Wirkung  zu  sehen,  in  den 
übrigen  sieben  wirkte  es  positiv,  indem  es  den  Ausschlag  beschleunigte  und 
seine  Dauer  abkürzte,  die  schweren  Erscheinungen  abschwächte;  es  scheint 
dass  das  Serum  die  Komplikationen  verhütete.  3.  in  mittelschweren  und 
leichten  Fällen  wirkt  das  Serum  (10  ccm)  im  Beginne  injiziert  ganz  deutlich 


790  Literatarbericbt. 

positiv,  indem  es  das  Aaftreten  schwerer  Erscheinungen  Terhfitet  und  auch 
keine  Komplikationen  aufkommen  läset,  4.  es  soll  dkher  das  Serum  in  jedem 
Falle  zur  Anwendung  kommen,  obwohl  es  nicht  in  jedem  Falle  den  günstigen 
Erfolg  sichert.  Jan  Landau -Krakau. 

Uroiropin  als  Prophyiakükum  gegen  Scharlach-Nephritls,  Von  K.  Patsch- 
kowski.    Therapeutische  Monatshefte.     1904.     H.   12. 

Das  zuerst  von  Widowitz  als  Prophylaktiknm  gegen  Scharlach- 
Nephritis  empfohlene  Urotropin  wurde  auch  am  Charlottenburger  Stadt- 
krankenhause als  solches  gepr&ft,  und  zwar  mit  gutem  Erfolge.  So  gut  wie 
bei  Widowitz,  der  von  112  mit  Urotropin  behandelten  Scharlachkranken 
keinen  einzigen  an  Nephritis  erkranken  sah,  wiren  hier  die  Erfolge  aller- 
dings nicht:  Yon  52  Kranken  bekamen  2  Nephritis  trotz  der  Urotropin- 
darreichnng,  immerhin  ein  geringer  Prosentsats!  Kinder  bekamen  das 
Urotropin  in  Dosen  yon  0,25  t&glich  dreimal,  und  zwar  in  regelmftasigen 
Zyklen,  so  dass  nach  4t&giger  Urotropin -Darreichung  eine  ebenso  lange 
Pause  gemacht  wurde. 

Soh&dliche  Nebenwirkungen  wurden  nie  beobachtet. 

Sine  Zusammenstellung  der  Tor  dieser  prophylaktischen  Therapie  im 
Charlottenburger  Kranke nhaitse  behandelten  ScharlachfiUle  «"gibt,  dass  von 
177  Scharlachkranken  87  »20,9  pCt.  an  Nephritis  erkrankten. 

Verf.  glaubt  also  mit  ToUem  Recht  das  Urotropin  bM  Scharlach  als 
Prophylaktikum  gegen  Nephritis  empfehlen  zu  können. 

R.  Rosen. 

AccidenUüe  Vacdmaüom  der  Nasenschigimkami.  Von  Lublinki.  Manch,  med. 
Wochenschr.  1904.  No.  52. 
Infektion  der  Matter  mittelst  des  Taschentuches.  Es  empfiehlt  sieh, 
Personen,  die  mit  frisch  geimpften  Kindern  umgehen,  zur  grössten  Vorsicht 
auch  anderen  Kindern  gegenüber  zu  mahnen.  Warnung  vor  der  Impfnng 
ekzematöser  oder  an  Prurigo  leidender  Kinder.  Misch. 

Die  ätiologische  Begründung  der  Pockendiagnose.  Von  Jürgens.  Deutsche 
med.  Wochenschr.     1904.    No.  45. 

Die  von  Guarnieri  in  der  Haut  Pockenkranker  als  Erreger  der 
Blattern  gefundenen  Parasiten,  Cytorhyctes  vaccinae,  können  durch  Über- 
impfnng  auf  Kaninchencomea  in  grosser  Menge  sichtbar  gemacht  werden. 

Hierdurch  gelang  es,  in  mehreren  zweifelhaften  Pockenfälien  die 
Diagnose  zu  stellen,  bevor  sie  durch  den  weiteren  Verlauf  der  Krankheit 
klinisch  sicher  wurde.  Misch. 

Ein  Fall  von  Lyssa  humana.  Von  Maas.  M&nch.  med.  Wochenschr.  1905. 
No.  3. 
Ein  tödlich  verlaufener  Fall  bei  einem  6j&hrigen  Kind.  Keine  spezifische 
Behandlung.  Sektionsprotokoll  uod  Mitteilung  der  histologischen  Unter- 
suchung des  Zentralnervensystems  des  Kindes  und  der  infizierten  Tiere.  Die 
Negri sehen  Parasiten  konnten  nicht  gefanden  werden.  Misch. 

Case  of  ietanus  successftUly  ireated  6y  aspiraüon  of  tke  cerebrosfiimai fleM  amd 
injection   of  morphin-encain    and  sali  soImHon.     Von  John  B.  Mnrphy. 
Amer.  med.  Assoc.     Aug.  18.     1904. 
Mitteilung   eines  Falles   von  Tetanus   bei   einem  Sj&hrigeo,   bis  dahin 


IV.  Akute  lofektionskraukkeiten.  791 

geaunden  Knaben  im  Anschlass  ikn  eine  Fuss Verletzung.  Bei  der  Spitals- 
aufnabme,  7  Tage  nach  dem  Unfälle,  bestand  Trismas  and  Nackenstarre;  alle 
3—5  Minuten  Krämpfe  der  Rücken muskeln  mit  ansgesprochenem  Opistho- 
tonus. In  Narkose  wurden  znn&chst  die  zwei  am  Fasse  befindlichen  Wunden 
untersncht  und  einige  Glas8t5cke  entfernt;  Auskratzang  nnd  Kauterisation 
mit  95proz.  Karbolsäure;  der  Wundeiter  enthielt  keine  Tetanasbazillen.  Da 
sich  keine  Besserung  einstellte,  wurden  am  nächsten  Tage  drei  volle  Heil- 
dosen von  Tetanusantitoxin  angewendet,  ohne  jedoch  irgend  welchen  Erfolg 
damit  za  erzielen.  Die  Krampfzustände  folgten  sich  in  grösserer  Häufigkeit 
und  währten  beinahe  kontinuierlich.  Zwei  Tage  später  wurden  nun  durch 
Lumbalpunktion  vorerst  15  ccm  einer  wolkig  getrübten  Flüssigkeit  ent- 
nommen nnd  dünn  durch  die  stecken  gebliebene  Kanüle  8  ccm  von  0,18  Sol. 
natr.  chlorat,  mit  Zusatz  von  0,004  Beta-£akain  and  0,0009  Morphii  salph. 
eingespritzt.  Die  Anfälle  wurden  danach  leichter  und  die  freien  Intervalle 
länger,  im  ganzen  wnrden  im  Laafe  von  8  Tagen  diese  Prozeduren  6  mal 
wiederholt,  nnd  wurde  jedesmal  eine  günstige  Beeinflussang  beobachtet. 
Lästige  Nebenerscheinungen  blieben  stets  aus.  Fat.  konnte  nach  Swöehent* 
lichem  Spitalsaafenthalt  gesund  entlassen  werden.         Sara  Welt-Kakels. 

Prognose  des  Trismus,  Tetanus  neonatorum  und  infanjlum  mit  Berücksichtigung 

der  Serotherapie.    Von  Fies  eh.    Deutsche  med.  Wochenschr.     No.   5,  6. 

1905. 

Der  Tetanus   gibt  im  Kindesalter   eine   viel  bessere  Prognose  als  bei 

Erwachsenen,  speziell  der  Tetanus  infantum;    aucb  ist  der    Tetanus  iieona- 

torum   nicht   so    absolut   ungünstig.    Die  Letalität  des  Tetanus  ini.  fällt  bei 

den    mit   Serum   behandelten  Fällen    von    40—50  pCt.    auf   15—20  pCt.    In 

Statistiken    über   den  Wert   des  Antitoxins    müssen  Tetanus  der  Kinder  und 

Tetanus  der  Erwachsenen  gesondert  betrachtet  werden.  Misch. 

Ein  schwerer  FeUl  von  Tetanus.  Von  S.  Rottenstein.  Münoh.  med. 
Wochenschr.  No.  3.  1905. 
Ausbruch  des  Tetanus  bei  dem  18jährigen  Mädchen  10  Tage  nach  der 
mutmasslichen  Infektion.  Behandlung  mit  grossen  Dosen  Ghloral  und  Brom. 
Heilung.  Eine  einmalige  Injektion  von  100  A.-E.  des  Höchster  Antitoxins 
blieb  ohne  Einfluss  auf  den  Verlauf.  Misch. 

Cerebrospinal  Meningitis,  with  remarks  an  its  diagnosis^  prognosis  and  treatment. 
Von  L.  Fischer.  Med.  Record.  Aug.  18.  1904. 
Während  der  Epidemie  von  Cerebrospinalmeningitis,  die  die  Stadt 
New -York  im  Winter  und  Frühjahr  1904  heimsuchte,  hatte  Verf.  Gelegen- 
heit, 21  Fälle  zu  beobachten;  14  starben,  wie  sich  denn  überhaupt  die 
Epidemie  durch  eine  erhebliche  Mortalität  auszeichnete.  5  Fälle  bei  Kindern 
zwischen  2—9  Jahren  werden  etwas  ausführlicher  beschrieben.  Soweit  er- 
sichtlich, wurde  nur  bei  einem  dieser  Fälle  Lumbalpunktion  gemacht  mit 
Befund  von  Meningokokken.     Die  Mitteilung  enthält  nichts  Neues. 

SaVa  Welt-Kakels. 
Ein   Beitrag  aur  Bakteriologie  der  Noma.      Von    Hof  mann    und    Küster. 
Manch,  med.  Wochenschr.    No.  43.    1904. 
Verf.   haben    bei    ihren  Untersuchungen    eines  Falles  von  Nama  einen 
Spaltpilz   gezüchtet,    dessen   kulturelle   Eigenschaften   ausführlich,   mit  Ab- 


792  Literatnrbericht. 

bildnngen,  beschrieben  werden  und  der  sich  mit  keinem  Bacillns  der  Noma- 
Literatar  identifizieren  Hess.  Misch. 

Ein  Beitrag  sur  Ätiologie  der  akuten  Osteomyelitis,  Von  Darlacher.  UäocL 
med.  Wochenschr.  No.  38.  1904. 
Eine  plötzlich  in  scheinbarem  Wohlbefinden  auftretende  akute  Staphylo- 
kokkenosteomyelitis  des  Femur  bei  einem  ISjährif^en  Mädchen.  Bei  der 
Sektion  fand  sich  in  der  Muskulatur  des  Oberschenkels  ein  Steinchen,  das 
bei  einer  vor  zweieinhalb  Jahren  stattgefundenen  oberflächlichen  Verletzung 
der  Haut  hineingeraten  war  und  mit  dem  Ausbruch  der  Osteomyelitis  ätio- 
logisch im  Zusammenhang  stand.  Die  Wichtigkeit  derartiger  Beobachtungen 
speziell  für  das  Unfall  Versicherungswesen  wird  betont.  MiscL 

Zur  Behandlung  des  Keuchhustens.  Von  Hofrat  Stepp.  Therapeutische 
Monatshefte.     1904.    No.  11. 

Zur  Behandlung  des  Keuchhustens  wird  dringend  das  Fluoroform 
empfohlen,  und  zwar  eine  2 — 2^\%  proz.  Lösung  Fluoroform  in  Wasser;  eine 
stärkere  Lösung  hat  sich  bisher  nicht  erzielen  lassen.  £s  wurden  22  Fälle 
Tou  Keuchhusten  bei  Kinder  verschiedener  Altersstufen  mit  dem  Mittel  be- 
handelt in  Dosen  Ton  1  Kaffeelöffel  bis  Kinderlöffel,  bei  älteren  Kindern 
sogar  1  Esslöffel  stündlich.  Eine  solche  Behandlung  kommt  auf  20— 30  Mk. 
zu  stehen,  wenn  sie  3—4  Wochen  durchgeführt  wird!  Verf.  teilt  Kurven 
mit,  die  den  Verlauf  der  Krankheitsfälle  nach  der  Zahl  der  Paroxysmen 
genau  wiedergeben:  bei  allen  ausnahmslos  ist  der  Verlauf  ausserordentlich 
günstig,  irgendwelche  Nebenerscheinungen  traten  nie  zu  Tage,  wohl  aber 
ganz  auffallend  eine  schnelle  Besserung  im  Befinden  und  Nachlassen  der 
Anfälle;  Komplikationen,  wie  z.  B.  Pneumonie,  Fieber,  bilden  keine  Kontra- 
indikation gegen  das  Mittel. 

Die  durchgehends  vorzüglichen  Resultate,  die  Verf.  mit  dem  Fluoro- 
form hatte,  machen  wohl  mit  Hecht  den  Leser  etwas  stutzig;  zumal  sich 
neuerdings  wieder  die  Empfehlungen  von  Keuchhustenmitteln  häufen;  weitere 
Nachprüfungen  dürften  immerhin  am  Platze  sein.  R.  Rosen. 

Ü6er  Veronal bei  Keuchhusten.  Von  M.  Fraenkel.  Deutsch,  med.  Wochenschr. 
No.  6.  1905. 
Verf.  Tersucht  mit  Erfolg  Veronal-Schokoladetebletten  zu  0,06 — 0,1; 
drei-  bis  viermal  täglich  eine  halbe  Tablette  (0,03  bei  Kindern  unter  vier 
Jahren)  und  hat  besonders  das  Krampfstadrum  damit  bald  unterdrücken 
können.  Misch. 

Das  Wechselfieber  im  Kindesalter,  Von  J.  Gronquist.  „Die  Heilkunden". 
Januar  1905. 

Das  Wechselfieber  ist  durch  Assanierung  in  Schweden  gegen  früher 
selten  geworden.  Trotzdem  hat  bei  Aufmerksamkeit  Gronqist  100  Fälle 
in  7  Jahren  beobachten  können,  darunter  77  bei  Kindern  zwischen  6  bis 
15  Jahren.  21  Fdbris  intermittens,  56  Malaria  larvata.  Je  älter  die  Kinder, 
desto  grösser  die  Übereinstimmung  mit  dem  Krankheitsbild  bei  Erwachsenen^ 
Schüttelfrost  und  Kopfschmerz  stehen  im  Vordergrund.  Die  Malaria  larvata 
äussert  sich,  kurz  bezeichnet,  als  Enterica,  Neuralgica  oder  Gephalalgica.  Die 
letzte  ist  die  häufigste  und  wichtigste.  Es  ist  wichtig,  die  periodischen 
Kopfschmerzen  differentialdiagnostisch  zu  unterscheiden.    Daa  genaue  Inter- 


V.  Taberknlose  and  Syphilis.  793 

mutieren,  die  lange  stete  Wiederkehr,  der  einzelne  Beginn  meist  früh  nach 
der  Ruhe,  während  sie  am  Vormittag,  selbst  in  der  Schule,  aufhören,  die 
Diagnose  ex  juTantibus  helfen  zar  Unterscheidung;  Adenoide,  Arsen- 
vergiftang, Simultation  bei  Schalkindern  kommen  dabei  in  Berücksichtigung. 
Der  Aufsatz  ist  lesenswert  Spiegelberg. 

Tke  treaiment  of  epidemic  cerebra-spinal  nuiüngiüs  by  itUraspinal  anttseptic 
injeciions»  Von  Charl.  £.  Mammack.  New -York.  Medic.  Record. 
4.  Juni  1904. 
Von  den  ersten  27  Fällen,  die  während  der  zur  Zeit  in  New -York 
herrschenden  Epidemie  von  Cerebrospinalmeningitis  im  Bellerue-Hospital 
Aufnahme  fanden,  starben  90  pCt.  Die  hohe  Mortalität  veranlasste  Verf.,  die 
während  der  Epidemie  von  Cerebrospinalmeningitis  in  Lissabon  im  Jahre  lSi02 
mit  gutem  Erfolge  angewandten  Injektionen  von  1  proz.  Lysollösung  in  den 
Lumbaisack  zu  versuchen.  Der  17  jährige  Patient,  um  den  es  sich  handelt, 
wurde  am  4.  Krankheitstage  deliriös  nach  dem  Spital  gebracht;  mit  Nacken- 
starre, Nystagmus,  erhöhten  Sehnenreflexen  und  Kernigs  Phänomen.  Nach 
vorheriger  Entnahme  einer  Menge  des  eitrigen  Exsudates  durch  Lumbal ~ 
pnnktion  wurden  15  ccm  einer  irrtümlich  10  proz.  Lysollösung  eingespritzt; 
darnach  ausgesprochene  Besserung  im  Zustande  des  Pat.  ohne  jegliche  An- 
zeichen von  Lysol  Vergiftung;  im  ganzen  wurden  im  Laufe  von  7  Tagen  vier 
solcher  Injektionen  gemacht.  Heilung  nach  etwas  mehr  als  8  wöchentlichem 
Spitalsaufenthalte.  Bei  4  weiteren  Fällen  des  Verf.  —  bei  Erwachsenen  — 
erfolgte  Exitus  bei  gleicher  Behandlung.  In  4  von  den  mitgeteilten  Fällen 
ergab  die  Untersuchung  des  durch  die  Lumbalpunktion  entleerten  Exsudates 
Reinkulturen  von  Meningococcus  intracellularis. 

Sara  Welt-Kakels. 


V.  Taberknlose  and  Syphilis. 

Über  die  Entfernung  der  tuberkulösen  Lymphdrüsen  aus  dem  Halse  au/  sub- 
kutanem Wege,  von  J.  Micieson.  Therap.  Monatshefte  1904.  Heft  11. 
Bereits  130  Fälle  tuberkulöser  Lymphdrüsen  am  Halse  hat  Verf.  nach 
seiner  Methode  operiert,  die  da  bezweckt,  mit  einem  möglichst  kleinen 
Hautschnitt  auszukommen  und  so  ein  kosmetisch  gutes  Resultat  zu  liefern 
neben  gutem  therapeutischen  Resultat.  Die  Geschwulst  wird  zwischen  zwei 
Fingern  der  einen  Hand  fixiert  und  ein  spitzes  Tenotom  direkt  in  den  ge- 
spannten Tumor  eingestochen,  indem  man  gleichzeitig  Haat,  subzclluläres 
Bindegewebe  und  die  Geschwulst  auf  einer  Länge  von  2 — 3  cm  spaltet. 
Die  Segmente  der  Drüsen  werden  nun  mittels  Haken  oder  Volk  mann  sehen 
Löffels  einzeln  herausgeholt.  Es  folgt  Blutstillung,  Einlegen  eines  Drains 
von  Jodoformgaze  und  Verband.  Die  Heilung  erfolgt  schnell,  Haut- 
narbe ist  unbedeutend.  Ist  die  Drüse  bereits  vereitert,  wird  sie  energisch 
ausgekratzt  und  die  Wunde  mit  Jodoformgaze  drainiert.  Sind  Drüsen- 
pakete vorhanden,  wie  nicht  selten  bei  dieser  Affektion,  so  holt  man  von 
der  kleinen  Wunde  aus  mit  der  Pinzette  oder  mit  dem  Finger  die 
einzelnen  Drüsen  in  den  Wundbereich,  spaltet  die  Drüse  und  entfernt  die 
Teile  wie  oben  angegeben.  Die  Schwierigkeiten,  die  sich  bei  starker 
periadenitischer  Verwachsung   der  Drüsen    für    diese  Art   der  Operation  er- 


794  Literfttarbericht. 

gaben,  konnte  VerfMser  überwinden.  Von  den  130  Fällen  worden  84  pCt 
definitiv  geheilt,  bei  16  pCt.  traten  Rezidive  auf;  ein  grosses  Gefass  warde 
nie  verletzt    Die  Narben  waren  sp&ter  kaum  zo  entdecken. 

Verf.  gibt  nicht  an,  wieviel  Rezidive  anf  die  Fälle  von  solitärer 
Drüsenschwellang  and  auf  die  Fälle  von  zahlreichen  verwachsenen  Drüsen- 
paketen  getrennt  entfallen:  bei  den  letzteren  düriten  wohl  die  Rezidive  nach 
seiner  Operationsmethode  mehr  wie. 16  pCt   betragen!  R.  Rosen. 

Chroniseher  Gelenkrheumatismus  und  seine  Beziehungen  sur  Tuberktüose,  Von 
J.  Kar  eher.    Gorr.-Bl.  f.  Schweizer  Ärzte.     1904.  No.  24. 

Es  wird  die  genaue  Beschreibnng  der  Krankheit  eines  iSjährigeo 
Mädchens  gegeben,  das  von  primär-chronischer  Polyarthritis  befallen  wnrde. 
Es  waren  mehrere  Gelenke  an  Händen  und  Füssen  befallen,  die  Krankheit 
verlief  ohne  Fieber,  ohne  Aasbildung  gröberer  Deformitäten,  die  Salicjl- 
präparate  waren  wirkungslos.  Dagegen  brachte  ein  mehrmonatlicher  Aufenthalt 
10  einem  Sanatorinm  erhebliche  Besserung.  Ansser  Schwellungen  der  Hals- 
lymphdrusen zeigte  der  Körper  der  Patientin  im  übrigen  keine  patho- 
logischen Veränderungen. 

Verf.  ist  geneigt,  für  diesen  Fall  die  Tuberkulose  als  wahrscheinliche 
Ursache  anzunehmen,  indem  er  sich  auf  die  Untersuchungen  von  Poncet  u.  A. 
stützt,  die  der  Tuberkulose  einen  wichtigen  Platz  in  der  Ätiologie  rheuma- 
tischer Krankheiten  anweisen.  R.  Rosen. 

Über  Mastiüs  chronica  scrophuiosa  hei  lündem.  Von  Benno  Müller. 
Dentsche  med.  Wochenschr.    No.  1.     1905. 

Die  von  M.  bei  vier  skrophulösen  Kindern  beobachteten  Brustdrüsen- 
schwellungon  verliefen  fieberlos,  ohne  Eiterung,  auf  der  Höhe  der  Krankheit 
mit  grossen  Schmerzen.    Jodbehandlung  beeinflusste    den  Prozess   sehr   guL 

Misch. 

Mitteilungen  aus  der  Abteilung  für  Lichtbehandlung  im  Krankenhause  St,  Göran, 
StQfkholm,    Von  Magnus  Möller.    Nordiskt  medicinskt  Archiv.     1904. 
Afd.  IL    Heft  8.    No.  9. 
Verf.  hat  in  einer  sehr  sorgfältigen  Statistik  seine  Erfolge  der  Licht- 
behandlung   zusammengestellt,    von   denen    für    uns    vor    allem    der   Lupus 
vulgaris  in  Betracht  kommt.    Hiervon  sind  79  Fälle  behandelt,  32  von  diesen 
entlassen,   und    zwar  17  geheilt,    10  nahezu  geheilt,   4  bedeutend    gebessert, 
1  anbefriedigendes  Resultat,  wobei  bemerkt  sei,   dass  Verf.  von  Heilqng  nur 
dann   spricht,   wenn    bei  dreimaliger  Tuberkulose-Injektion    keine    Reaktion 
mehr  erfolgt. 

Rechnen  wir  aus  dieser  Statistik  die  15  behandelten  und  entlassenen 
Kinder  (von  4 — 15  Jahren)  heraus,  so  sind  von  diesen  6  geheilt,  7  nahezu 
geheilt,  2  gebessert.  Die  Mehrzahl  dieser  Fälle  war  leicht  oder  mittel- 
schwer,  die  Anzahl  der  Sitzungen  schwankte  zwischen  9  und  158.  Die 
Statistik  zeigt,  dass  eine  Heilung  um  so  schwerer  zu  erreichen  ist,  je  mehr 
die  Schleimhaut  miterkrankt  ist,  und  besonders  dann  schwierig  ist,  wenn 
es  sich  um  sekundäre,  durch  tuberkulöse  Drüsen,  Knochen  etc.  bedingte 
Erkrankung  handelt.  Das  Alter  des  Kindes  und  die  bisherige  Dauer  der 
Krankheit  spielen  eine  geringere  Rolle.  Moltrechl. 


V.  Taberkulose  und  Syphilis.  705 

Les  fHani/estaHoHS  viscerales  de  P heredo-syphihs  secondaire,  L'hiredo-syphilis 
de  la  rate,  des  ganglions,  de  ia  moelle  osseose,  da  sang,  da  coear,  da 
rein,  do  tube  digestif  et  du  pancreas.  Von  6a  ach  er.  Gazette  des 
hospitaax.     1904.    No.  142. 

Die  Milz  der  kongenital  Syphilitischen  ist  in  77  pCt.  der  Fälle  ver- 
grössert.  Gnmmiknoten  sind  selten,  meist  findet  sich  eine  sehr  starke  Blut- 
fülle,  der  später  perivaskuläre  Wucherungen  und  dann  bindegewebige  Ver- 
ändernngen  folgen,  durch  spätere  endarterii tische  Prozesse  und  weitere 
Bindegewebsbildung  entsteht  ein  derbes,  vergrössertes  Organ. 

Die  Lymphdrüsen  sind  nicht  Tergrössert  und  zeigen  ähnliche,  aber 
viel  weniger  intensive  Veränderungen  als  die  Milz. 

Im  Knochenmark  Neugeborener  finden  sich  vermehrte  kernhaltige 
Erythrozyten,  später  eine  Vermehrung  der  Myelozyten  und  der  eosinophilen 
Leukozyten. 

Der  Blutbefund  lässt  verschiedene  Gruppen  der  Krankheitsfälle  unter- 
scheiden: 1.  Verminderung  der  roten  Blutkörperchen  und  dem  entsprechend 
des  Hämoglobins  ohne  Leukozyten  Vermehrung;  2.  erheblichere  Herabsetzung 
des  Hämoglobin gehaltes  bei  geringer  Verminderung  der  roten  Blutkörperchen. 
Bei  beiden  Formen  können  Grössen  unterschiede  der  roten,  Vermehrung  der 
weissen  Elemente  (besonders  der  mononnkleären)  in  schwereren  Fällen  vor- 
kommen. 

Eine  zweite  Gruppe  von  Blutveränderungen  sind  seltener:  1.  Das 
Blut  kann  das  Aussehen  bieten  wie  bei  perniziöser  Anämie,  2.  kann  es 
leukämischem  Blut  ähneln:  Vermehrung  der  weissen  Elemente,  Auftreten  der 
verschiedenen,  sonst  im  Blute  nicht  vorkommenden  Formen,  zahlreiche  kern- 
haltige rote  Blutkörperchen. 

Herzveründerungen  sind  selten.  Sie  machen  keine  klinischen  Ver- 
änderungen, die  mikroskopische  Untersuchung  erst  lässt  kleinste  Gummi- 
knoten, interstitielle  Veränderungen,  Degeneration  der  Muskelfasern  und 
Blutungen  im  Herzmuskel  erkennen. 

Recht  häufig  finden  sich  Veränderungen  an  den  Nieren,  meist  eine 
interstitielle  Nephritis,  seltener  Gummiknoten.  Klinisch  zeigen  sich  Ödeme, 
Diarrhoen,  Erbrechen,  der  Urin  enthält  Eiweiss  und  oft  granulierte  Zylinder. 
Schnell  einsetzende  merkurielle  Behandlung  kann  hier  Heilung  bringen. 
Anatomisch  zeigen  sich  die  für  die  chronische  Nephritis  charakteristischen 
Veränderungen,  bisweilen  Infiltration  der  Arterienwandungen  und  Obliteratiou 
der  Gefässe. 

Im  Darm  finden  sich  ziemlich  häufig  Geschwüre,  deren  Ätiologie  durch 
den  Erfolg  merkurieller  Behandlung  klar  wird,  selten  Gummiknoten.  Selten 
ist  eine  chronische  Peritonitis. 

Das  Pankreas  ist  bei  den  Neugeborenen  häufiger  erkrankt  als  im 
späteren  Alter.  Gummiknoten  sind  selten,  häufig  eine  interstitielle  Binde- 
gewebswucherung,  die  zum  Schwund  des  Gewebes  führen  kann.  Die  Binde- 
gewebsneubildung  geht  vor  allem  von  den  Gefässen  aus,  daneben  kommen 
Obliterationen  derselben  vor.  Die  klinischen  Zeichen  der  Pankreas-Erkrankung 
sind  bisher  noch  wenig  bekannt.  D.  Moltrecht. 

Syphilitische  Erkrankungen  der  Zirkulationsorgane,  Von  Du  bring.  Deutsche 
med.  Wochenschr.     No.  51.     1904. 

Die  primären  syphilitischen  Herzerkrankungen,    Gummata  der  Musku- 


796  Literaturbericlit. 

latar  sind  selten.  Die  interstitielle  syphilitische  Myocarditis  ist  meist  die 
Folge  syphilitischer  Gefässerkrankang.  Bei  den  syphilitischen  Arterien- 
erkrankungen hat  man  die  He  ab  n  ersehe  Endarteriitis,  die  zum  Verschluss 
der  Gefässe  führt,  zu  unterscheiden  von  der  Mesarteriitis,  besser  Aortitis 
syphilitica  genannt,  die  durch  narbige,  den  Widerstand  der  Gefässwand 
herabsetzende  Endprozesse  die  häufige  Ursache  von  Erweiterungen  der 
Aorta  ist.  Sie  ist  makroskopisch  und  mikroskopisch  so  charakteristisch,  dass 
retrospektiv  aus  dem  Befunde  die  Diagnose  Lues  gestellt  werden  kann.  Sie 
ist  die  h&ufigste  Ursache  der  Aneurysmen.  Weitaus  die  meisten  Fälle  von 
Aneurysmen  bei  Personen  unter  50  Jahren  sind  auf  die  Syphilis  zu  be- 
ziehen. Alle  anderen  Ursachen  der  Aneurysmen  treten  der  Syphilis  gegen- 
über zurück.  Misch. 

Über  einen  Bejund  von  protoaoenarHgen  Gebilden  in  den  Organen  eines  hereditär. 
'    luetischen  Fötus.    Von  Jesionek    und  Kioiemenoglon.     Manch,    med. 
Wochenschr.     No.  43.     1904. 

Verff.  haben  in  den  Nieren,  Lungen  und  Leber  eines  8  monatlichen 
Fötus  neben  ausgesprochen  luetischen  Veränderungen  eigenartige,  zellige 
Gebilde  gefunden,  die  sie  als  Protozoen,  und  zwar  als  eine  Art  Gregarinen 
ansprechen.  Die  Untersuchung  eines  zweites  Fötus  ergab  ein  negatives 
Resultat.  Misch. 


VL  KonstltatlODS-Krankhelten. 

Status    lymphaticus    and    death   /ollozving  Chloroform   anaesthesia.     Von    F. 

A.  Simmons.  N.  Y.  med.  Journ.  and  Phil.  med.  Journ.  27.  Aug.  1904. 
Die  Mitteilung  betrifft  einen  10  Jahre  und  7  Monate  alten  Knaben, 
welcher  an  einer  Phimose  und  Vergrösserung  der  Mandeln  and  Kachen- 
drüsen  litt.  Die  Zirkumzision  wurde  in  Chloroformnarkose  rasch  ausgeführt 
und  dann,  nach  Weglassen  des  Chloroforms,  Mandeln  und  adenoide  Vege- 
tationen am  hängenden  Kopf  entfernt.  Kaum  war  die  Operation  beendet, 
als  das  Gesicht  des  Fat.  blaa  wurde  und  Puls  and  Atmung  aufhörten. 
Exitus  letalis  trotz  künstlicher  Respirationsbewegungen  etc.  Bei  der  Autopsie 
fand  man  eine  grosse  Thymus  und  starke  Stauungshyperämie  aller  Organe, 
aber  auch  disseminierte  Tuberkel  an  der  Gehirnoberfläche. 

Sara  Welt-Kakels. 
Einige  Störungen   des  Blutes  und  blutbildender  Organe  im  /ruhen  Lebensalter* 

Von  R.  Hutchison.  S.-A.  aus  d.  Lancet  vom  7.,  14.  and  21.  März  1904. 
Das  kleine  Buch  amfasst  3  Vorträge  H.'s,  die  derselbe  vor  dem  «Royal 
College  of  Physicians  in  London^  hielt.  Dieselben  verraten  vor  allem  das 
intensive  Bestreben,  die  einzelnen  Bluterkrankungen  im  Kindesalter  möglichst 
klar  and  gründlich  zu  schildern  und  hierbei  ihre  Wesensverschiedenheiten 
scharf  zu  präzisieren,  soweit  dies  nach  unseren  heutigen  Anschauangen  und 
Kenntnissen  überhaupt  angängig  ist.  Ein  weiterer  Vorzug  der  Vorträge  be- 
ruht auf  der  ungemein  anregenden  Form,  in  der  dieselben  abgefasst  sind; 
mancher  glückliche  Fingerzeig,  wie  da  und  dort  weiterzuarbeiten  ist,  um 
das  Ziel  zu  erreichen,  findet  sich  darin.  Und  nicht  unerwähnt  sei,  dass  H. 
fast  jede    Krankheitsform    durch    Beispiele    eigener  Beobachtung   beleuchtet 


VI.  EonstitutionskrankheiteD.  797 

und    hierdarch    wertvolle    Beiträge    zur   Pathologie    and    Pathogenese    der 
Anämien  liefert. 

Die  Literatur  ist  nicht,  wie  sonst  in  ähnlichem  Falle,  nach  den  Namen 
der  Autoren  geordnet,  sondern  nach  denen  der  Krankheiten,  and  ich  glaube, 
dass  diese  Anordnung  als  eine  entschieden  praktischere  zu  empfehlen  ist. 
Sehr  unpraktisch  dagegen  und  für  das  Auge  eine  ziemliche  Zumutung  ist  der 
auffallend  kleine  und  enge  Druck,  der  Übersichtlichkeit  und  rascheres  Durch- 
lesen der  Arbeit  ungemein  erschwert. 

Im  ersten  Vortrage  behandelt  H.  physiologische  Verhältnisse  im  Blut 
des  Fötus  und  Kindes,  Ursprung  und  Tätigkeit  der  Blutzellen  und  des 
adenoiden  Gewebes  und  im  Anschluss  daran  die  kongenitalen  Blutanomalien, 
primäre  und  sekundäre  Anämien  und  den  infantilen  Skorbut.  Weiter  folgen 
iu  Vortrag  II:  die  Anämien  mit  Milzyergrösserung  (Anaemia  splenica  und 
ihre  Beziehung  zu  der  der  Erwachsenen),  die  myelogene  und  lymphatische 
Leukämie  und  deren  Mischformen;  schliesslich  in  Vortrag  III:  Einleitendes 
über  die  Thymus  und  dann  die  Affektionen  der  Lymphdrüsen  (generalisierte 
Lymphdrüsen-Tuberkulose,  Hodgkin  sehe  Krankheit,  Lymphosarkom). 

Besonders  ausführlich  besprochen  ist  in  der  Pathologie  die  Anaemia 
splenica,  die  H.  als  Krankheit  sui  geheris  betrachtet  und  als  identisch  mit 
der  Jak  seh  sehen  Pseudoleukämie.  Deshalb  wünscht  er  auch,  dass  der  erste, 
Ton  den  italienischen  Autoren  stammende  Name  als  der  alleinige  und  nicht 
Konfusion  erweckende  beibehalten  werde.  Ebenso  tadelt  H.  die  versuchte 
Zusammenfassung  von  Hodgkin  und  Lymphosarkom  unter  dem  Namen 
Lymphomatosis,  da  beide  Krankheitsformen  histologisch  verschiedene  Bilder 
zeigen;  ferner  den  Namen  Pseudoleukämie  für  Hodgkins  disease,  da  jener 
eine  Beziehung  zur  Leukämie  suggeriere. 

Bei  der  Behandlung  des  Barlow  geht  H.  von  dem  Gedanken  aus,  dass 
«s  sich  bei  dem  stattgehabten  Diätfehler  immer  darum  handelt,  dass  dem 
Blute  ein  Ingrediens  anorganischer  Natur  fehle,  und  er  findet  dieses  im 
Fruchtsaft  enthalten,  dessen  Einflass  von  vielen  als  heilsam  angesehen  wird. 
Er  gab  denselben  zunächst,  um  die  Fermenttheorie  widerlegen  zu  können, 
neben  der  vorherigen  fehlerhaften  Nahrung  in  sterilisierter  Form  in  2  Fällen. 
Das  Resultat  war  eklatante  Heilung.  Um  ferner  zu  sehen,  welcher  Stoff  im 
Fruchtsaft  wirksam  sei,  stellte  er  ein  Dialysat  her,  so  dass  krystallinisches 
und  unkrystallisi erbares  Konstituens  im  Safte  voneinander  getrennt  wurden. 
Bei  Versuchen  mit  diesen  in  geeigneten  Fällen  erwiesen  sich  die  krystallinischen 
Stoffe  als  wirksam  gegen  die  Krankheit.  Mit  einer  künstlichen  Mischung 
der  vegetabilischen  Salze,  die  H.  im  Fruchtsaft  fand,  hatte  er  allerdings  keine 
so  guten  Erfolge,  wofür  er  den  Grund  in  der  verschieden  starken  Wirkung 
natürlicher  und  künstlicher  Produkte  sieht,  wie  sie  sich  auch  bei  künstlichen 
und  natürlichen  Mineralwässern  äussert.  Kaliumextrakt  findet  er  wirksamer 
als  Calciumextrakt,  wie  es  in  der  Milch  enthalten  ist. 

Auf  einzelnes  in  den  Vorträgen  weiter  einzugehen,  ist  hier  nicht 
möglich.  Denselben  sind  noch  Tabellen  beigefügt,  welche  die  einwandsfreien 
bekannten  Fälle  aus  der  Literatur  mit  allen  wichtigen  Angaben  über  Blut- 
Verhältnisse  etc.  bringen.  Tenffel. 

Die  Behandlung  der  Leukämie  mit  Röntgenstrahlen,     Von  Erich  Meyer  und 

0.  Eisenreich. 
Zur  Röntgenbehandlung  der  Leukämie.     Von  Wendel. 


798  Literatnrberieht. 

Weitere  BeUrage  smr  Behandinmg  der  LeukSmU  mU  Röm^emstraiieu.  Von 
Sehieffer.  Müneh.  med.  Wochensehr.  No.  4.  1905. 
Alle  diese  BeobachtnngeD,  die  sich  zam  grÖMten  Teil  &af  Erwmeksene, 
aber  aveh  auf  Rioder  eretreckeD,  kommen  in  der  gltazenden  Wirkaag  der  Be- 
handlaog  überein,  weon  sie  aacfa  nvr  symptomatiscli  ist  and  ibre  Erfolge 
oaeh  Aassetzen  der  Bestrahlang  ancb  bald  Terschwiodeii.  Scb.  steht  nicht 
an,  die  Röntgentherapie  der  Lenk&mie  mit  der  Digitaltsbehandlnng  der  Herz- 
kranken anf  eine  Stafe  therape atischer  Wertigkeit  zn  stellen.  Misch. 

Ein   ty^cker  Fall  von   Barkwscker  Kramkkeii   (infamiUem   Sk0rbuij.      Von 
Th.  Sscherisch.     Demonstr.    i.    d.  Wiener   k.    k.  Geeeüsch.  der  Ärzte. 
11.  Nov.  1904.    Wiener  klin.  Wochenschr. 
Bei  dem  nan  8  Monate  alten  Kinde,  das  seit  Gebart  mit  sterilisiertem, 
natarlichem  Rahmgemenge  nach  Biedert  ernährt  worden  ist,  hat  die  Krank- 
heit Tor  8  Wochen  mit  ünbeweglichkeit  and  Schmerzhaftigkeit  eines  Beines 
eingesetzt.     Jetzt  besteht  neben  leichter  Rachitis,  Protosion  and  Terminderter 
Beweglichkeit   der  Aug&pfel    Schwellang   der   oberen  Lider,   Ton  denen  das 
rechte    eine   Saffasion    aufweist,    sackartige   Blatergässe,    entsprechend    den 
AWeoIen  der  oberen  Sohneidez&hne,  ntid  ähnliche  Veränderungen  am  Unter- 
kiefer,   Schwellang    and    Schmerzhaftigkeit    beider   Oberschenkel    in    ihrem 
unteren   Drittel;   die  Palpation   lässt   erkennen,    dass   an   dieser  St^le   eine 
plötzliche  Yerbreiterang  des  Knochens  einsetzt,  aber  welcher  Fink taation  za 
fahlen  ist.  Neu  rat  h. 


VIII.  Krankheiten  des  Nervensystems. 

Ober  Tremor  bei  Kindern,  Von  Alfred  Hüssy.  Monatsschr.  f.  K inderheil k. 
Bd.  III.  Dezbr.  1904.  p.  405. 
Nach  den  hier  mitgeteilten  Beobachtangen  kann  der  Tremor  im  Kindes- 
alter  unter  sehr  verschiedenen  Bedingangen  auftreten  and  darch  die  yer> 
schiedensten  Krankheiten  produziert  werden.  Ätiologisch  bemerkenswert  ist 
immerhin  die  Tatsache,  dass  in  yerschiedenen,  von  H.  mitgeteilten  and 
referierten  Fällen  der  Tremor  im  Anschluss  an  Infektionskrankheiten 
(speziell  nach  Pneamonie)  unter  Fiebererscheinangen  auftrat,  analog  der  so 
häufigen  infektiösen  Ätiologie  der  infantilen  Cerebrallähmungen.  Zur  Er- 
klärung der  Tatsache,  dass  in  einzelnen  Fällen  ein  vollständiges  Verschwinden 
der  zum  Tremor  hinzutretenden  cerebralen  Erscheinungen  eintrat,  könnte  die 
Annahme  genügen,  dass  die  Erscheinungen  die  Folge  der  Einwirkung  eines 
nur  schwachen  infektiösen  Agens  waren,  das  keine  tiefergehende  anatomische 
Läsion  veranlasste.  Schleissner. 

Zur  Kasuistik  der  Tay-Saeksscken  Krankheit  ( Idiotismus  familiaris  amauroticus). 
Von  W.  Sterling.  Gazeta  lekarska.  1904.  No.  24.  26.  (Polnisch.) 
Ein  elf  Monate  altes  Kind  war  bis  zum  sechsten  Lebensmonate  voll- 
kommen normal  entwickelt  und  lebhaft.  Seit  dieser  Zeit  bemerkte  die  Matter 
einen  Ruckgang  der  körperlichen  und  geistigen  Entwicklung,  und  die  Mutter 
führte  dies  auf  einen  zweimaligen  Fall  des  Kindes  vom  Bette  auf  das  Köpfchen 
zurück.     Der  Kopf  wurde    grösser,    das  Kind  magerte  ab,    der  Schlaf  wurde 


VIII.  Krankheiten  de»  Nervensystems.  799 

unruhig,  das  Kind  war  weinerlich  und  apathisch  geworden.  Die  Matter 
behauptet,  dass  das  Kind  überhaupt  nie  gesehen  hat,  auf  die  Umgebung  und 
auf  Spielzeug  gar  nicht  und  nur  auf  grelles  Licht  reagierte.  Dagegen  war« 
der  Gehörssinn  sehr  stark  entwickelt.  Anamnestisoh  lässt  sich  eine  hereditäre 
Belastung  nicht  nachweisen. 

In  der  motorischen  Sphäre  war  zu  beobachten:  Mit  den  F&ssen  werden 
keine  Bewegungen  ausgeführt,  mit  Ausnahme  von  Dorsalflezion  der  beiden 
Halluees.  Deutliches  Phänomen  von  Babinski.  Mit  den  Händen  werden 
automatische  Bewegungen  ausgeführt.  In  sitzender  und  liegender  Position 
ist  der  Kopf  nach  rückwärts  geworfen.  Die  Augäpfel  sind  sehr  beweglich. 
Die  Mimik  der  Gesichtsmuskeln  ist  sehr  beschränkt;  es  bewegen  sich  meistens 
die  Muskeln,  welche  den  Saogakt  ausführen.  Zeitweise  bekommt  das  Kind 
Anfälle.  Die  Pupillen  sind  gleich  weit,  reagieren  lebhaft  auf  Lichtreiz.  Gon- 
junktival-  und  Corneareflex  gleich  lebhaft.  Das  Kind  bedient  sich  mehr  der 
rechten  als  der  linken  oberen  Extremität;  die  Muskeln  der  oberen  Extremitäten 
eind  schwächer  entwickelt.  Die  unteren  Extremitäten  sind  nicht  gelähmt, 
aber  das  Kind  kann  nicht  stehen  bleiben.  Lebhaftes  Kniephänomen;  rechts 
lebhafter  als  links.  Bin  dem  Babiiiskischen  ähnliches  Phänomen  an  der 
Hand  beobachtete  Verf.,  indem  bei  Reizung  der  Vola  mauus  Streckbewegung 
aller  Finger  auftrat. 

Ophthalmoskopischer  Befund:  In  der  Nähe  der  Fovea  centralis  ein 
heller,  weisser  Fleck,  welcher  stufenweise  in  die  Netzhautfarbe  übergeht.  In 
der  Mitte  des  Fleckes  ein  dunkelbraunes,  kleiues  Fleckchen,  mit  scharf 
begrenztem  Rande.  Beide  Papulae  nerv,  optic.  atrophisch.  Die  Sehkraft 
beschränkt  sich  auf  Perzeption  von  Lichtstrahlen. 

Die  Diagnose  unterlag  demnach  keinem  Zweifel. 

Landau-Krakau. 

Die  primäre   Seiienstrangsklerose,     Von  Ä.  Strümpell.     Deutsche   Zeitschr. 
f.  Nervenheilk.    XXVII.     1904. 

Gegen  die  Aufstellung  des  Begriffes  der  spastischen  Spinalparalyse 
als  einer  besonderen  Krankheitsform  des  Rückenmarks  durch  Erb  und  Charcot 
ist  von  verschiedenen  Seiten  Einspruch  erhoben  worden.  Auch  Leyden  und 
Goldscheider  halten  an  der  Anschauung;  fest,  dass  es  sich  bei  dieser 
Krankheit  nur  „um  einen  klinischen  Symptomenkomplex  von  charakteristischer 
Art  handelt,  welcher  bei  verschiedenen  Krankheitsprozessen  vorkommt'^  Durch 
in  vorliegender  ausführlicher  Abhandlung  veröffentlichte  Beobachtungen  wie 
durch  einen  beweisenden  anatomischen  Befund  zeigt  Strümpell  die  Be- 
rechtigung der  Annahmen  von  Erb  und  Charcot.  Der  anatomische  Befund 
betrifft  das  Rückenmark  des  Patienten  Polster,  der  15  Jahre  lang  unter 
ständiger  Beobachtung  des  Erlanger  Klinikers  stand  und  dessen  Kranken- 
geschichte, die  ausführlichst  mitgeteilt  wird,  zum  Teil  bereits  in  dem  Aufsatz 
Strümpells  über  hereditäre  spastische  Spinalparalyse  veröffentlicht  ist.  Die 
genaue  mikroskopische  Untersuchung  des  Rückenmarks  ergab  den  Befund 
einer  „zweifellos  primären  und  zweifellos  systematischen  Degeneration^'  der 
Pyramidenseitenstrangbahn  und  zwar  des  für  die  unteren  Extremitäten  be- 
stimmten Teiles  derselben.  In  den  Muskeln  der  unteren  Extremitäten  fanden 
sich  scheinbar  hypertrophische  Fasern;  die  Hypertrophie  fasst  Strümpell 
als  eine  funktionelle  Arbeitshypertrophie  auf. 

Jahrbuch  Ittr  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    Helt  5  52 


800  Literatarb  ericht. 

Voo  besonderem  Interesse  ist,  dass  sich  neben  der  aasgiebigen  Degene- 
ration der  Pyramidenseitenstrangbahn  eine  Andentang  von  Degeneration  der 
PyramideDTorderstrangbahn  fand  —  ein  onzweideatiger  Hinweis  auf  den  syste- 
matischen Charakter  von  Erkrankung.  Erkrankt  waren  ferner  die  60 1  Ischen 
Stränge  —  ein  Befand,  den  Strümpell  zur  nervösen  Grandkrankheit  selbst 
in  Beziehung  setzt. 

Ausser  diesem  Fall  werden  noch  zwei  mitgeteilt,  bei  denen  die  Diagnose 
ebfeiifalls  auf  spastische  Spinalparaiyse  mit  Übergang  zur  amyotrophischen 
Lateralsklerose  gestellt  wurde  und  deren  Sektion  die  Richtigkeit  der  Diagnose 
erhärtete.  Von  den  interessantesten  theoretischen  Ausführungen,  die  ins- 
besondere der  Genese  der  Muskelrigidität,  der  Hypertonie  gelten,  sei  nur 
noch  erwähnt,  dass  Strümpell  auf  Grund  seiner  Erfahrungen  folgende 
Gruppierung  der  spastischen  Spinalparalyse  vornimmt:  1.  die  endogene  Form, 
gekennleichnet  durch  familiäres  und  hereditäres  Auftreten;  2.  die  infantile 
Form,  die  von  den  kongenitalen  abnormen  Entwicklungszuständcn  nur  schwer 
abzugrenten  ist;  8.  eine  endogene  Form,  die  die  nächsten  Beziehungen  zur 
amyotropkischen  Lateralsklerose  Gharcots  hat  (nicht  familiär);  4.  die 
luetische  Form;  5.  eine  Form,  die  auf  Schwangerschaft  und  Wochenbett 
bezogen  werden  könnte.  Langstein. 

Die  Aujbrauchkrankheiien  des  Nervensystems.  Von  L.  Edinger.  IIL  Der 
AufbraUch  des  Zentralapparats.  Deutsche  med.  Wochenschr. 
No.  52.     1904. 

Im  Mittelpunkt  der  Erörterungen  steht  die  Tabes.  Die  Funktions- 
hypothese sieht  den  Tabes-Symptomenkomplez  an  als  entstanden  durch  den 
Aufbraach  auf  chronisch-krankem  Boden.  In  den  weitaus  meisten  Fällen  wird 
der  Boden  durch  präexistente  Lues  vorbereitet,  ohne  auszuschliessen,  dass 
auch  andere  Schädigungen  zu  Reizerscheinungen  und  Untergang  des  Nerven- 
gewebes führen  können.  „Wer  Lues  gehabt  hat,  schafft  sich  allmählich  durch 
die  Arbeit  seine  Tabes,  und  das  um  so  leichter,  je  mehr  er  Anforderungen 
an  seine  Muskeln  und  Nerven  stellt."  An  einer  Reihe  von  Beispielen  wird 
Häufigkeit  und  Seltenheit  der  Einzelsymptome  der  Tabes  durch  die  Funktion 
aufzuklären  versucht.  Z.  B.  ein  Mann  erkrankt  im  Frühstadium  an  Blasen- 
lähmung, nachdem  er  einmal  in  Damengesellschaft  lange  seinen  Urin  halten 
musste;  ein  sitzeüd  lebender  Schneidermeister  erkrankt  an  Ataxie  der 
Beine,  nachdem  er  seine  vier  Treppen  hoch  gelegene  Wohnung  mehrmals 
täglich  erklimmen  muss;  bei  einem  Feinmechaniker  ergreift  die  Tabes  fast 
ausschliesslich  die  oberen,  wesentlich  angestrengten  Extremitäten  etc.  etc. 
Die  Funktionstheorie  lässt  auch  .verstehen,  dass  wegen  der  ständigen  In- 
anspruchnahme zunächst  die  Fähigkeit  der  Pupille,  auf  Licht  zu  reagieren, 
wegfällt,  dann  erst  die  Akkommodation  für  Nähe  und  Ferne.  Ebenso  er- 
scheinen die  Augenmaskelstörungen,  die  Kehlkopfafiektionen  etc.  in  ganz 
neuem  Licht.  Es  ist  unmöglich,  in  kurzem  Referat  auch  nur  annähernd  diesen 
glänzenden  Ausführungen  gerecht  zu  werden.  Misch« 

Die  AuTbrauchkrankheitän  des  Nervensystems^  Von  L.  Edinger.  Deutsche 
med.  Wochenschr.     No.  4.     1905. 

In  diesem  Schluslartikel  behandelt  E.  die  angeborenen  und  die  here- 
ditären Nervenkrankheiten.  Die  amaurotische  Idiotie,  die  spastische  Spinal- 
paralyse, die  Friedreiohsche  Ataxie  etc.  entstehen  dadurch,  dass  die  betr. 


VIII.  Krankheiten  des  Nervensystems.  801 

ßahnen  von  vornherein  nicht  stark  genag  angelegt  sind,  um  anf  die  Daaer 
die  normale  Funktion  zu  betragen.  Bisher  blieb  es  unerklärt,  warum  alle 
diese  Fälle  progredient  schlechter  werden;  die  E  ding  ersehe  Hypothese  zeigt» 
warum  diese  Affektionen  alle  progressive  und  nicht  einfache,  bei  der  Geburt 
schon  sichtbare  Ausfalle  machen;  sie  ermöglicht  zugleich  die  Zusammen- 
fassung dieser  Kranheitsformen  in  eine  Krankheitsgruppe.  Auch  für  die 
Therapie  gibt  £.  manchen  einleuchtenden  Hinweis.  Misch. 

Ober  die  Beaiekungen  van  ImbecÜlUät  und  Taubstummheit.  Von  TreiteL 
Arch.  f.  Psych,  u.  Nervenkrankheiten.    89.  Bd.     2.  H. 

Bei  den  Insassen  einer  israelitischen  Taubstummenanstalt  fanden  sich 
eine  relativ  grosse  Anzahl  imbeciller  Kinder;  einige  Taubstumme  hatten 
schwachsinnige  Geschwister.  Dieses  Zusammentreffen  durfte  in  hereditären 
Anlagen  seinen  Grand  haben.  Alkoholismus,  Syphilis,  Kretinismus  spielen 
hierbei  eine  Rolle.  Am  schwierigsten  ist  die  Rolle  der  Consanguinität  ein- 
zuschätzen. Verf.  zitiert  diesbezügliche  Angaben  aus  der  Literatur  und 
kommt  schliesslich  zu  dem  Resultate,  dass  „Verwandten-Ehen  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  verboten^  werden  sollten.  Zappert. 

Über  Familienähnlichkeiten  an  den  Grosshimfurchen  des  Menschen.  Von 
J.  P.  Karplus.    Deuticke.     1905. 

Wenn  sich  Eigentümlichkeiten  der  äusserlichen  Gestalt  von  einem 
Elternteile  auf  ein  oder  mehrere  Kinder  vererben  können,  so  ist  es  nicht  aus- 
geschlossen, dass  auch  im  Windungstypus  der  Grosshirn hemisphären  familiäre 
Ähnlichkeiten  bestehen,  die  bei  Eltern  und  Kindern  bezw.  bei  Geschwistern 
sich  in  einzelnen  Fällen  erkennen  lassen  müssteu.  Solche  Ähnlichkeiten  haben 
nicht  nur  für  die  Vererbbarkeit  geistiger  Anlagen  und  Charaktereigenschaften, 
sondern  auch  iür  die  Kenntnis  familiärer  Nervenkrankheiten  eine  grosse 
Wichtigkeit.  Diese  letzteren  Schlüsse  zieht  aber  Verf.  in  seiner  vorliegenden 
Studie  nicht,  sondern  er  hält  sich  ferne  von  allen  Hypothesen  und  Folgerungen 
und  lässt  lediglich  die  anatomischen  Befunde  seines  nicht  ohne  grosse  Mühe 
gesammelten  Materials  sprechen.  Es  ergibt  sich  aus  21  Familiengruppen,  die 
16  mal  zwei,  4  mal  drei  und  1  mal  fünf  Mitglieder  umfassten,  zweifellos  die 
Tatsache,  dass  eine  Vererbung  der  Gehirnfurchen  existiert  Eine  solche 
darf  dann  angenommen  werden,  wenn  Windungsformationen,  die  als  ungewöhn- 
lich zu  bezeichnen  sind,  bei  verschiedenen  Mitgliedern  einer  Familie  vor- 
gefunden werden.  Selbstverständlich  ist  eine  derartige  Vererbung  von  Gehirn- 
furchen nicht  immer  bei  Familienmitgliedern  anzutreffen,  die  ja  auch  in  ihrem 
äusseren  Habitus  verschiedenen  Typen  zu  entsprechen  pffegen.  Bemerkens- 
wert ist  ferner,  dass  erbliche  Übertragungen  stets  nur  auf  gleichseitige  Gross- 
hirnhälften zu  beobachten  sind.  Bezüglich  der  Geschlechtsunterschiede  verhält 
sich  Verf.  sehr  reserviert  und  gibt  nur  zu,  dass  sich  aus  seinem  bisher  durch- 
suchten Material  ein  Schliiss  auf  eine  Inferiorität  des  weiblichen  Geschlechtes 
nicht  ableiten  lässt.  Weitere  Mitteilungen  über  die  mikroskopischen  Unter- 
suchungen werden  in  Aussicht  gestellt. 

Die  bedeutungsvolle  Arbeit,  die  aus  Prof.  Obersteiners  Laboratorium 
stammt,  ist  auch  für  den  Kinderarzt  von  grossem  Interesse  und  wird  zweifellos 
weitere  Bearbeitungen  des  wichtigen  Themas  zur  Folge  haben,  die  allerdings 
nur  dann  volle  Beachtung  verdienen  können,  wenn  sie  mit  eben  solcher  Sach- 
lichkeit und  Sorgfalt  ausgeführt  sind,  wie  die  vorliegenden  Untersuchungen. 

52* 


802  Literaturbericbt. 

Die  Au88tattang  des  mit  20  Lichtdraektafeln  reraeheneD  Baches  macht 
der  YerlagsbachhaDdlang  alle  Ehre.  Zappert 

Ein  hydranencephales  Zwilhngspcuir.    Von    Spielmejer.     Arch.  f.  Psych,  o. 
Nerrenkrankh.    39.  Bd.     3.  H. 

Die  beiden  Kinder  boten  äusserlich  in  ihrer  Schädalform  nichts  Auf- 
fallendes dar.  Bei  der  Autopsie  —  die  Kinder  lebten  2  bezw.  7  Tage  — 
fanden  sich  nar  die  Stammganglien  bezw.  das  Kleinhirn  in  yerschieden  starker 
Aasbildnng  Tor.  Der  Fall  reiht  sich  jenen  Formen  von  Hirn  defekten  an,  die 
Grayeilhier  als  Hydranencephalie  bezeichnet  hat.  Über  die  Ursachen  dieser 
Hirumissbildangen  herrschen  verschiedene  Ansichten.  Verf.  nimmt  auf  Grund 
seiner  histologischen  Untersuchungen  an,  dass  infolge  abnorm  dünner  Ge- 
fftsswandungen  und  einer  Tendenz  der  BlutgeflUse  zu  kayernösen  Hohlräumen 
zusammeniufliessen,  hämorrhagische  Zerstörungsprozesse  stattgefunden  haben, 
welche  teils  das  nervöse  Gewebe  zertrümmerten,  teils  Nekrosen  bewirkten,  so 
dass  der  grosse  Substanzverlust  des  Grosshirnes  zustande  kam. 

Zappert. 


XI.  Krankheiten  des  Anges,  des  Ohres  und  der  Käse. 

Des  repercussUms  que  peuvent  avoir  sur  la  sante  generale  /es  maladUs  du  nes 
et  de  la  gorge.  Von  Paul  Gallo is.  Archives  de  med.  des  enfaots. 
Tome  7.    No.  11. 

Referierende  Übersicht.  Pfaundler. 

Zur  Behandlung  des  Sehnupjens  der  Säuglinge.  Von  L.  Ball  in.  Therap.  d. 
Gegenwart.     1905.    H.  2. 

Die  so  häufige  Erkrankung  der  Säuglinge  an  Schnupfen  —  akutem  und 
chronischem  —  wird  meistens  zu  Unrecht  vernachlässigt;  der  Schnupfen  hat 
oft  recht  ungünstige  Einwirkung  auf  das  Allgemeinbefinden,  er  erschwert  das 
Saugen,  in  schweren  Fällen  weist  das  Kind  jede  Nahrungsaufnahme  zurück, 
so  dass  erhebliche  Abmagerung  eintreten  kann.  Ausserdem  ist  nach  Ansicht 
des  Verfassers  huufig  der  Schnupfen  die  direkte  Veranlassung  zur  Entstehung 
akuter  Bronchitiden  und  Bronchopneumonien  der  Säuglinge,  indem  infektiöses 
Sekret  aus  der  Nase  in  die  tieferen  Luftwege  aspiriert  wird. 

Verf.  empfiehlt  zur  Behandlung  des  akuten  Schnupfens  das  Adrenalin 
in  Form  einer  Lösung  1 :  1000,  mit  der  kleine  Wattetampons  befeochtet  nnd 
zwei  bis  drei  Minuten  abwechselnd  in  jedes  Nasenloch  gesteckt  werden.  Es 
ist  empfehlenswert,  sich  die  Adrenalinlösnng  mit  Hilfe  der  Hemisine- Tabletten 
der  Firma  Borroughs,  Wellcome  &  Co.  selbst  herzustellen.  Einige  Tage 
nach  dieser  Behandlung  bilden  sich  Borken,  die  dann  mit  weisser  Präzipitat- 
salbe  behandelt  werden. 

Es  soll  mit  dieser  Methode  keine  Verkürzung  der  Daner  des  Schnupfens 
erzielt  werden,  sondern  eine  Freihaltnng  der  Nase  für  das  Atmen.  Bei  starker 
schleimig-eitriger  Sekretion  wird  neben  dieserBehandlung  ein  Tropfen  Vj— 1  proz. 
Höllensteinlösung  einmal  täglich  in  jedes  Nasenloch  geträufelt. 

Durch  Vergleich  zweier  Serien  von  Säuglingen  mit  Schnupfen,  deren 
eine  nach  dieser  Methode  behandelt  wurde  und  die  andere  nicht,  erwies  sich 


X.  Krankheiten  der  Kespirattonsorgane.  803 

dem  Verf.  der  Natsen   seiner  Behandlung:    von  den  behandelten  erkrankten 
12.5  pGt.  an  Bronchitis,  von  den  nichtbehandelten  44,4  pGt 

K.  Roaen -Berlin. 

Zur  Behaadhtng  des  akuten  Schnupfens.  Von  Henle.   Deutsche  med.  Wochen- 
schrift   No.  6.     1905. 

unter  Anwendung  von  Stauungshyperftmie  schwand  innerhalb  etwa  eines 
halben  Tages  der  auf  der  Höhe  stehende  oder  noch  im  Zunehmen  begriffene 
Schnupfen.  Auch  das  schnelle  Nachlassen  der  unangenehmen  Sensationen, 
des  Kopfdruckes,  des  Kitzelgefühls,  des  Augentränens  ist  bemerkenswert. 

Misch. 


X.  Krankheiten  der  Resplrationsorgane. 

Zur  physikalischen  Diagnostik  der  Pleuraexsudate,  Von  v.  Tabora.  Münch. 
med.  Wochenschr.  No.  52.  1904. 
Bei  der  Krön igschen  Spitzenperkussion  zeigt  sich  auf  der  an  Pleuritis 
exsudativa  erkrankten  Seite  Verschmälernng  des  Spitzenisthmns  bei  scharfer 
Grenze  zwischen  sonorem  Schall  und  absoluter  Dämpfung.  Die  Erscheinung 
ist  um  so  deutlicher,  je  frischer  die  Erkrankung  und  je  jünger  das  Indi- 
Tiduum  ist.  Misch. 

Über  die  Behandlung  der  Kapillärbronchitis  mit  Senßvassereinwicklungen.  Von 
0.  Henbner.  Die  Therapie  der  Gegenwart.  1905.  H.  1. 
Die  yielfach  in  der  Kinderpraxis  üblichen  Senfb&der  als  hautrötendes, 
„ableitendes**  und  analeptisches  Mittel  bei  Kapillärbronchitis  werden  durch 
das  vom  Verf.  angegebene  Verfahren  in  zweckmässiger  Weise  ersetzt: 
Man  verrührt  ^3  ^^^o  oder  auch  mehr  frisches  Senfmehl  in  einer  Schüssel 
mit  IVa  Liter  warmem  Wasser  (40^  C.)  solange,  bis  das  flüchtige  Öl 
von  der  Oberfläche  des  dünnen  Breies  aufsteigt  und  Augen  und  Nase 
reizt  —  ca.  nach  10  Minuten  — ;  nun  wird  ein  leinenes  Tuch,  das  so  gross 
sein  muss,  dass  es  zur  völligen  Einwicklung  des  Kindes  genügt,  in  die 
Flüssigkeit  getaucht,  ausgerungen  und  auf  eine  grössere  wollene  Decke  aus- 
gebreitet: dann  wird  das  nackte  Kind  in  die  beiden  Tücher  eingewickelt, 
so  dass  das  wollene  über  das  feuchte  leinene  oben  und  unten  hinausragt; 
am  Halse  wird  die  wollene  Decke  fest  geschlossen,  an  den  Füssea  um- 
geschlagen. Nach  10 — 15  Minuten  ist  dann  auf  der  Haut  des  so  behandelten 
Kindes  meistens  eine  kräftige  Reaktion  eingetreten,  die  Haut  ist  krebsrot 
geworden.  Das  Kind  wird  nun  aus  dem  Umschlag  entfernt,  schnell  abgewaschen 
oder  im  Bade  abgespült  und  dann  in  einen  zweiten  Wickel  mit  gewöhn- 
lichem Wasser  gebracht,  in  dem  es  1 — 2  Stunden  liegen  soll,  bis  Schweiss 
eintritt.  Steigt  während  dieser  Prozedur  die  Körperwärme  stark  an  and  wird 
das  Kind  sehr  anruhig  und  der  Kopf  rot,  dann  muss  die  Packung  unter* 
broehen  werden.  Nach  der  zweiten  Packung  kommt  das  Kind  in  ein  kurzes 
laues  Bad,  eventuell  mit  kühlem  Übergnss,  wird  dann  getrocknet  und  weiter- 
hin den  Tag  über  in  Ruhe  gelassen. 

Es   werden   mehrere   Fälle    von    gefährlicher   Kapillärbronchitis    mit- 
geteilt,  bei    denen  sich  die  Anwendung  dieser  Prozedur  als  höchst  nützlich 


804  Literatlirbericht. 

erwies.  Sie  hat  yor  dem  Senfbade  den  Vorzug,  dass  sie  sich  aberali  bequem 
anwenden  l&sst  (sogar  im  Schlafwagen  in  einem  mitgeteilten  Falle),  dass  sie 
kräftiger  and  länger  auf  die  Haut  einwirkt  und  dass  das  Kind  von  der  Ein- 
atmung des  reizenden  Senföls  fast  ganz  verschont  bleibt. 

R.  Rosen. 

Beitrag    sur    Therapie    der    infanülen    Bronchopneumonie,      Von    Theodor 
Zangger.     Correspondenzbl.  f.  Schw.  Ärzte.     1905.     No.  1. 

Verf.  hat  gute  Resultate  mit  rein-hjdrotherapeutischer  Behandlung  der 
infantilen  Bronchopneumonie;  von  10  so  behandelten  Kindern  hat  er  keins 
verloren.  Er  Terwendete  Halbbäder  von  30— 28<^  C,  die  er  allmählich  durch 
Zugabe  kalten  Wassers  auf  24^  C.  abkühlen  Hess;  die  Kinder  blieben  3  bis 
6  Minuten  im  Bade  und  wurden  während  der  Zeit  kräftig  gerieben.  Kühlere 
Prozeduren,  wie  sie  meistens  von  den  spezialistischen  Hydrotherapeuten  ver- 
ordnet werden,  hat  Verf.  nicht  angewendet.  Die  Bäder  wurden  1 — 2 mal 
täglich  gegeben.  R.  Rosen. 


XII.  Krankheiten  der  Verdauanfirsorirane. 

La  dilataHon  idiopaihique  ou  congenitaJe  du  cSion,     Von    L.    Gheinisse.    La 
semaine  medicaie.     1904.     No.  46.     p.  369. 

Referat  über  die  Hirschsprungsche  Krankheit.  Enthält  eine  umfassende 
Übersicht  der  entsprechenden  französischen  und  italienischen  Literatur. 

Schleissner. 

Victere  et  le  role  du  foie  dans  /es  vomissements  ä  repetition  de  renfcmce.  Von 
Richardiere.  La  cliniqne  infantile.  No.  3.  1905. 
Der  im  Verlauf  des  periodischen  Erbrechens  hin  und  wieder  beob- 
achtete Ikterus  hat  schon  öfters  die  Frage  aufwerfen  lassen,  ob  die  Beteiligung 
der  Leber  ein  primäres  oder  sekundäres  Symptom  darstelle.  Verf.  hat  des- 
halb alle  seine  Fälle  daraufhin  untersucht  und  stets  eine  Leber vergrösserung 
auch  in  den  Fällen  ohne  Ikterus  konstatieren  können.  Im  Zusammenhang 
mit  anderen  Erwägungen  hält  er  deshalb  die  Affektion  der  Leber  für  das 
Wesentliche,  das  periodische  Erbrechen  nur  für  ein  Symptom,  das  durch  die 
Leberstörung  ausgelöst  wird.  —  Unter  normalen  Verhältnissen  hätte  die  Leber 
die  Funktion  des  Aceton  zurückzuhalten  oder  umzusetzen;  durch  die  Störung 
dieser  Leberfunktion  beim  „periodischen  Erbrechen"  fände  die  Ausscheidung 
des  Aceton  in  natura  und  in  abnormen  Quantitäten  statt 

Misch. 

Trichocephaliasis  mit  tödlichem  Ausgang.  Von  Sandler.  Deutsche  med. 
Wochenschr.  No.  3.  1905. 
Es  waren  bei  dem  11jährigen  Knaben,  der  an  blutigen  Diarrhoen  und 
hochgradiger  Anämie  krankte,  mehrmals  Trichocephaluseier  im  Stuhlgang 
gefunden  worden.  Die  Sektion  konnte  nicht  vorgenommen  werden.  —  Wenn 
man  auch  seit  einigen  Jahren  den  Peitschenwurm  als  einen  blntsaogenden 
Parasiten  kennt  und  auch  einige  tödliche  Fälle  bekannt  sind,  so  kann  man 
bei  aller  Bedeutung  der  Wurmkrankheit  für  den  letalen  Ausgang  des  Falles 
ihn  doch  nicht  unter  die  letalen  Fälle  von  Peitschen wurmerkrankung  rechnen. 


XV.  Krankheiten  der  Bewegangsorgane.     Verletz angen  etc.  805 

Far   die  Behandlung   wird   ein   altes  Gibsonsches  Mittel,   die  Verbindung 
Ton  Kalomel,  Rheam  und  Eisen,  empfohlen.  Misch. 


XIII.  Krankheiten  der  Harn-  und  Geaehleehtsorfirane. 

Zur  Frage  der  physiologischen  Albuminurie,  Von  Lenbe.  Deutsche  med. 
Wochenschr.  No.  3.  1905. 
Der  Terschieden  leichten  Durchlässigkeit  des  Eiweisses  in  den  Nieren 
liegen  nach  der  bekannten  Leo  besehen  Ansicht  individuelle  Verschieden- 
heiten in  der  Dichtigkeit  des  Nierenfilters  zugrunde;  Veränderungen  in  den 
Kreislauf  Verhältnissen  der  Nieren  sind  dabei  als  die  Albuminurie  auslösende 
Momente  wirksam.  Besonders  die  Fälle  exquisiter  Stauungsniere,  wo 
trotzdem  bei  Lebzeiten  kein  Eiweiss  auftrat,  scheinen  die  Notwendigkeit  der 
Annahme  eines  gelegentlich  besonders  dichten  Filters  zu  beweisen. 

Misch. 


XV.  Krankheiten  der  Bewegangsorgane.    Verletzungen. 
Chirargisehe  Krankheiten. 

Die  Behandlung   der  Skoliose    durch    die   aktive  und  passive  Überkorrekiur 
Von  Lange.    Manch,  med.  Wochenschr.    No.  1.     1905. 

In  dieser  sehr  lesenswerten,  durch  zahlreiche  instruktive  Zeichnungen 
und  Photographien  illustrierten  Abhandlung  beschreibt  Verf.  sein  Verfahren 
der  Skoliosenbehandlnng,  das  er  schon  vor  einigen  Jahren  demonstriert  und 
seitdem  mit  bestem  Erfolg  in  zahlreichen  Fällen  angewendet  hat.  Die  aktive 
und  passive  Überkorrektur  will  den  Erector  trunci  als  die  einzige  im 
Organismus  selbst  vorhandene  Kraft,  welche  eine  skoliotische  Wirbelsäule 
im  entgegengesetzten  Sinne  umzubiegen  imstande  ist,  durch  Widerstands- 
gymnastik und  passiv  durch  Gurtapparate  kräftigen.  Sehr  bemerkenswert 
ist  die  Wertung  der  orthopädischen  Korsetts  seitens  des  Verf.,  er  leugnet 
nicht  ihre  -redressierende  Wirkung;  indessen  werden  solche  Korsetts  nie 
so  eng  von  den  Patienten  angelegt,  dass  sie  ihre  Wirkung  entfalten  können, 
und  andererseits  erscheint  ihm  der  Schaden,  den  ein  engangelegtes  Korsett 
für  den  Organismus  bedeutet,  in  der  Regel  grösser,  als  der  Nutzen,  den  es 
stiftet.  Misch. 

Behandlung  akuter  Eiterungen   mit  Stauungshyperämie,     Von  Bier.     Munch. 
med.  Wochenschr.    No.  5,  6  u.  7.     1905. 

B.  hält  die  Antiphlogose  in  ihrer  strengen  Durchführung  für  einen 
der  folgenschwersten  Irrtümer  unserer  V\^issenschaft.  Wie  bisher  bei 
chronischen,  hat  er  jetzt  auch  bei  den  schwersten  eitrigen  Entzündungen 
grundsätzlich  die  Stauungshjperämie  verwendet,  über  die  er  in  diesen  hoch- 
interessanten Mitteilungen  berichtet.  Wie  zur  Unterdrückung  beginnender 
Eiterung  und  zum  Verschwinden  von  Abszessen,  so  wurde  sie  gleich  günstig 
bei  der  Vereiterung  grosser  Gelenke,  bei  Sehnenscheidenphlegmouen,  bei 
akuter  Osteomyelitis  etc.  angewandt.  Eine  der  auffälligsten  und  sehr  schnell 
auftretenden  Wirkungen  der  Stauungshyperämie  ist  die  prompte  Linderung 
der  Schmerzen.  Doch  muss  man  die  Methode  genau  beherrschen,  deren 
Technik  ausführlich  und  an  Beispielen  beschrieben  wird.  Misch. 


806  Literaturbericht. 

Bin  Faii  von  Defekten  des  Mnscnhts  pecioraHs  major  nmd  minor  reckterseUt, 
Von  K.  Gramer.  ZeiUchr.  f.  orthopädische  Chirurgie.  XIII.  Bd.  4.  H. 
Anf  Grund  der  mikroskopischen  Untersachang  (an regelmässige  fibrillüre 
Bindegewebszüge,  teils  parallel,  teils  nnregelmässig  gelagerte,  schollig 
zerfallene  Moskelfasern  mit  Übergang  in  Bindegewebe)  sieht  Verf.  diese 
Defekte  nicht  als  Folge  einer  liissbildung,  sondern  als  Effekt  einer  Krankheit 
an.  Wie  in  anderen  ähnlichen  Fällen  bestand  aach  hier  keine  Beeinträchtigong 
der  Beweglichkeit  des  Oberarmes  und  der  Schulter.  Geissler. 

Zur  Therapie  der  Skoliosen,  Von  K.  6  er  so  n.  Zeitschr.  f.  orthopädische 
Chirnrgie.  XIII.  Bd.  4.  Heft. 
Verf.  gibt  eine  Vorrichtung  an,  die  es  ermöglicht,  bei  den  gym- 
nastischen Übungen  Skoliotischer  im  Redressionsrahmen  nicht  nur  den 
hinteren,  sondern  auch  den  vorderen  Rippenbuckel  zu  redressieren.  Gleich- 
zeitig gestattet  der  Apparat  Pendelbewegungen  auszuführen,  welche  die 
Redression  durch  die  damit  yerbundene  aktire  Übung  der  Ruckenmuskel 
unterstützen.  Geissler. 

Die  Utiiescke  Krankheit,  Von  P.  Glaessner.  Zeitschr.  f.  orthop.  Chirurgie. 
XIII.  Bd.  Heft  4. 
An  der  Hand  yon  53  Krankengeschichten  bespricht  Verf.  das  Krank- 
heitsbild, unter  Erwähnung  der  Einteilung  nach  Freud  und  Od  da  betont 
er  die  grössere  Bedeutung  der  Hof  faschen  Einteilung,  deren  Zweckmässig- 
keit besonders  für  die  Stellung  der  Prognose  hervortritt.     Sie  unterscheidet, 

1.  Littlesche  Krankheit  im  engeren  Sinne,  obere  Extremitäten  frei, 
Intelligenz  normal,  Prognose  sehr  gut. 

2.  Allgemeine  Starre,  Beiallensein  alier  Extremitäten,  Inteliigenzdefekte, 
Sprachstörungen,  Strabismus.     Prognose  schlecht. 

8.  Allgemeine  Athetose.    Prognose  relativ  günstig. 
Wichtig  sind  die  ätiologischen  Momente: 

1.  Mütterliche:  a)  Allgemeinerkrankungen  (Kachexien,  Tuberkulose, 
physisches  und  psychisches  Trauma  während  der  Gravidität),  b)  Anomalien 
des  Gebnrtsapparates  (Rigidität  der  Weichteile,  abnormes  Becken,  Zwillings- 
Schwangerschaft). 

2.  Kindliche:  Hemmungsbildungen,  Traumen  während  und  nach  der 
Geburt  (Wendung,   Zange,   Fall   auf  den  Kopfj,   auch  Infektionskrankheiten. 

3.  Mütterliche  und  kindliche:  Frühgeburt,  Miss  Verhältnis  zwischen 
Kind  und  BeckengrÖsso,  Asphyxie. 

Die  Behandlung  ist  in  erster  Linie  eine  operative  und  besteht  in 
Durchschneidung  sämtlicher  Sehnen,  welche  aktiven  und  passiven  Bewegungen 
einen  spastischen  Widerstand  entgegensetzen.  Die  Nachkur  besteht  in 
Massage,  aktiven  und  passiven  Bewegungen,  Tragen  von  Schienenhülsen- 
apparaten.  Geissler. 

Ein   weiterer  Beitrag  »ur  sqgenannten  Ktumptumd,    Von  B lenke.    Zeitschr. 
f.  orthop.  Chirurgie.    Bd.  XIII. 
Von  neun  Kindern  einer  Familie  zeigten  vier  vollständiges  Fehlen  des 
Radius.  Geissler. 


XV.  Krankheiten  der  Bewegangsorgane.    Verletzungen  etc.        807 

BeUräge  zur  SehuenpiasHk.  Von  J.  Koch.  Zeitschr.  f.  orthop.  Chirurgie. 
XIII.  Bd.  4.  Heft. 
K.8  UntersnchuDgen  erstrecken  sich  auf  die  mikroskopischen  Befunde 
spinal  gelähmter  Muskeln.  Die  landi&ufige  Vorstellung,  dass  es  sich  bei 
ihnen  um  Atrophie,  d.  i.  Abnahme  des  Volumens  der  einzelnen  Fasern,  handle, 
ist  falsch.  Es  handelt  sich  yielmehr  um  fettige  Degeneration,  deren  Aus- 
dehnung verschieden  ist.  Es  können  ganze  Muskelbünde  darch  fettige 
Degeneration  zugrunde  gehen,  zuweilen  ist  die  Ursache  der  Degeneration 
so  schwach,  dass  nur  Teile  der  Muskelfasern  zerstört  werden  und  Bruch- 
stücke alter  kontraktiler  Substanz  erhalten  bleiben.  Wo  solche  herdweise 
Degeneration  eingetreten  ist,  findet  gleichzeitig  eine  reichliche  Regeneration 
von  neuen  Fasern  statt,  bald  mit,  bald  ohne  Zusammenhang  mit  den  alten 
Fasern.  Wenn  die  Muskeln  nicht  entsprechend  der  Menge  der  erhaltenen 
und  neu  gebildeten  Fasern  reagieren,  so  liegt  das  an  dem  gleichzeitigen 
Verlust  zweier  für  die  Kontraktion  sehr  wichtiger  Faktoren,  der  elastischen 
Spannung  und  des  Muskeltonus.  Gibt  man  diesen  Muskeln  ihre  Spannung 
wieder  (Sehnen Verkürzung),  so  können  sie  wieder  funktionieren. 

Im  speziellen  Teil  bringt  Verf.  eine  Reihe  von  Operationen. 

Geissler. 

Oder  das  Rezidiv  nach  Sckiejhalsoperationen.  Von  A.  Schuck.  Zeitschr.  f. 
orthop.  Chirurgie.  XIII.  Bd.  4.  Heft. 
Verf.  betont,  dass  das  Rezidiv  nach  Schiefhalsoperationen  nicht  durch 
einen  Fehler  der  Technik,  sondern  durch  einen  Prozess  nach  der  Operation 
entsteht.  Der  durchtrennte  Muskel  verwächst  mit  seiner  bindegewebigen 
Umgebung  und  stellt  eine  Verbindungslinie  wieder  her  nach  der  Gegend 
des  alten  Muskelansatzes.  Bei  dieser  Verwachsung  bilden  sich  narbige 
Störungen,  die  zur  Schrumpfung  neigen  und  so  das  Rezidiv  bedingen.  Die 
üblichen  Gipsverbände  können  dies  nicht  verhindern,  dagegen  sah  Verf. 
günstige  Resultate  durch  einen  dicken  Watte  verband,  durch  dessen  elastischen 
Druck  eine  Extension  des  Halses  stattfindet.  Geissler. 

Ober  die  Beziehungen  zwischen  Platifuss  und  Skoliose,   Von  Zesers.   Zeitschr. 
f.  orthop.  Chirurgie.    XIII.  Bd.    4.  Heft. 

Von  IM)  untersuchten  skoliotisehen  Patienten  hatten  102  Plattfüsse 
und  48  normale  Füsse.  In  der  weitaus  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  war  der 
PJattfnss  als  eine  Begleiterscheinung  der  Skoliose  aufzufassen  und  stellte 
kein  statisch-ätiologisches  Moment  dar.  Geissler. 

MulHple  goorrhoeai  periarlhriäs  in  a  chUd^  probMy  due  to  inoculation  ihrough 
a  wound.  Von  H  Heim'an.  Med.  Rec.  21.  Mai  1904. 
Die  interessante  Beobachtung  betrifft  einen  2^3  Jahre  alten,  bis  dahin 
gesunden  Knaben,  welcher  unter  massigem  Fieber  mit  heftigen  Schmerzen 
über  dem  linken  Handgelenke  und  beiden  grossen  Zehen  erkrankte,  nachdem 
er  sich  3  Tage  zuvor  eine  leichte  Verletzung  an  der  rechten  Fusssohle  zu- 
gezogen hatte;  die  kleine  Wunde  verheilte  rasch,  doch  führte  die  Entzündung 
über  den  beiden  Metatarso-Phalaugeal-Gelenken  zur  Vereiterung,  und  enthielt 
der  entleerte  Eiter  mikroskopisch  und  kulturell  Gonokokken.  Da  die  Sekret* 
Untersuchung  von  Conjunctiva,  Urethra  und  Rectum  des  Patienten  negativ 
ausfiel,  andererseits  aber  beide  Eltern  derzeit  wegen  gonorrhoischer  Er- 
krankung in  Behandlung  des  Verf.  standen,  ist  derselbe  geneigt  anzunehmen. 


808  Nekrolog. 

dass  es  sich  in  seinem  Falle  um  eine  Impfgonorrhoe  handelt.  Doch  ist  eine 
Untersnchnng  des  Sekretes  Ton  der  prim&r  yerletzten  Stelle  nicht  gemacht 
worden.  Sara  Welt-Kakels. 

£He  axillare  AbduktUm  in  der  Behandlung  der  kongenitaleH  Hüf^elenks- 
Verrenkung,  Von  R.  Werndorff.  Zeitschr.  f.  orthop.  Chirurgie:  XIII.  Bd. 
4.  Heft. 

In  besonders  ungünstigen  Verhältnissen,  wenn  das  obere  Pfannendach 
steil  ist,  der  obere  Pfannenrand  yoUständig  fehlt  und  neben  einem  ante- 
yertierten  Uumeraskopf  die  obere  Kapsel  schlaff  ist,  wenn  die  bisher  ge- 
bräuchlichsten Grade  der  negativen  Abduktion  nicht  ausreichen,  das  Hin- 
übergleiten des  Kopfes  über  den  oberen  Pfannenrand  zu  yerhindern,  empfiehlt 
Verf.,  die  extremste  Abduktion  zu  wählen,  die  man  anatomisch  überhaupt 
wählen  kann,  d.  i.  eine  Stellang,  bei  welcher  der  Oberschenkel  dem  Thorax 
ganz  anliegt  und  sich  das  Knie  in  der  entsprechenden  Achselhöhle  befindet 

Geissler. 

Über  die  Lage  der  skolioHscken  Abbiegungen  in  den  verschiedenen  Aliersjakren, 
Von  £.  Müller.  Zeitschr.  f.  orthop.  Chirurgie.  XIII.  Bd.  4.  Heft. 
Diese  Arbeit  ergänzt  eine  frühere  Arbeit  von  Schulthess  über  die 
Prädilektionsstellen  der  skoliotischen  Abbiegungen  an  der  Wirbelsäule  insofern, 
als  sie  angibt,  welche  Lage  den  von  Schulthess  beobachteten  Krümmungen 
in  den  einzelnen  Altersjahren  zukommt.  Die  allgemeine  Frequenz  steigt 
yom  8. — 14.  Jahre  stetig  und  nimmt  alsdann  wieder  ab.  Im  8. — 17.  Jahr 
zeigt  sich  das  Frequenzmaximum  immer  in  der  Höhe  des  6. — 8.  Brustwirbels. 
Das  Frequenzmaximum  der  linkskonvexen  Krümmungen  steht  im  8.  Jahre 
höher,  entsprechend  dem  8. — 10.  Brustwirbel,  sinkt  dann  bis  zum  15.  Jahre 
hinunter  auf  den  1. — 2.  Lendenwirbel  und  bleibt  die  folgenden  Jahre  hier. 
Vom  8.-17.  Jahr  fällt  die  Frequenz  der  linkskonyexen  und  steigt  diejenige 
der  rechtskonyexen.  Das  14.  Jahr  zeigt  fast  gleichmässige  Verteilung.  Die 
Zahl    der  Nebenverkrümmungen    vermehrt   sich  fast  stetig  vom  8. — 17.  Jahr. 

Geissler. 


Nekrolog. 

Am  29.  März  d.  J.  starb  zu  Dresden  nach  langer  und  schwerer  Krankheil 

Geheimer  Hofrat  Dr.  med.  Riehard  Poerster. 

Derselbe  wurde  1885  zu  Augnstusbnrg  i.  S.  geboren,  erlangte  die  Reife  zam 
Besuche  der  Uniyersität  durch  den  Besuch  der  Fürstenschule  in  Grimma 
studierte  in  den  Jahren  1854 — 1859  in  Leipzig  die  medizinische  Wissenschaft 
und  erwarb  sich  1859  durch  eine  Dissertation  „De  scarlatina  cum  tnberculosi 
combinata*  den  medizinischen  Doktortitel. 

In  den  Jahren  1859  und  1860  war  er  Assistent  auf  der  medizinischen 
Abteilung  des  Stadtkraokenhauses  Dresden-Friodrichstadt  und  trat  dann  eine 
halbjährige  wissenschaftliche  Reise  an,  während  welcher  er  in  Berlin,  wo  er 
besonders  yon  Virchow  freundlichst  aufgenommen  wurde,  Wien,  Paris  und 
Würzburg  längeren  Aufenthalt  nahm  und    hierbei    die  Gelegenheit   benatzte, 


Nekrolog.  009 

sich  über  die  der  Pflege  und  der  Behandlaog  erkrankter  Kinder  dienenden 
Anstalten  und  deren  Einrichtnngen  genauer  zu  unterrichten  und  sich  auf 
meinen  künftigen  Beruf  als  Kinderarzt  yorzuberciten. 

Im  Sommer  1861  Hess  er  sich  in  Dresden  als  praktischer  Arzt  nieder 
und  trat  im  Juli  desselben  Jahres  in  die  Kinderbeilanstalt  ein,  in  der  er 
bald  infolge  seiner  besonderen  Befthignng  zu  einer  führenden  Stellung  ge- 
langte; 1868  übernahm  er  das  bis  dahin  yon  Kuttner  geleitete  kleine 
Hospital,  1869  trat  er  in  das  Direktorium  der  Kinderheilanstalt  ein,  1877 
wurde  er  Vorsitzender  des  Vcrwaltungsrates  dieser  Anstalt  und  1878  nach 
Eröffnung  des  nach  seinen  Angaben  errichteten  grösseren  Krankenhauses 
leitender  Arzt  desselben.  Die  Rücksicht  auf  seine  schon  damals  nicht  ein- 
wandsfreie  Gesundheit  nötigte  ihn,  Ende  1881  aus  dieser  Stellung  auszu- 
scheiden, jedoch  behielt  er  noch  bis  zum  Schlüsse  des  Jahres  1901  den 
Vorsitz  im  Verwaltungsrate,  aber  auch  nach  Niederlegung  dieses  Amtes 
widmete  er  seine  Kraft  der  seinem  Herzen  sehr  nahestehenden  Anstalt.  Seine 
Ärztliche  Praxis  hatte  er  im  Laufe  des  Jahres  1900  aufgegeben. 

Mit  Foerster  ist  einer  der  hervorragendsten  und  verdienstvollsten 
Kinderärzte  aus  dem  Kreise  der  Lebenden  geschieden.  Aus  innerster  Über- 
zeugung ist  derselbe  in  Wort  und  Schrift  fui  die  Sonderstellung  der  Kinder- 
heilkunde im  Rahmen  der  gesamten  Heilkunde  eingetreten  und  zwar  zu 
einer  Zeit,  wo  zu  solchem  Vorgehen  der  Boden  durchaus  noch  nicht  geebnet 
war.  Er  konnte  und  durfte  dies  tun  auf  Grund  seiner  reichen  Kenntnisse 
auf  diesem  Gebiete,  und  die  weitere  Entwicklung  det  ärztlichen  Wissenschaft 
hat  ihm  und  seinen  Mitstreitern  Recht  gegeben. 

Die  grösste  Tat  seines  arbeitsreichen  Lebens  war  die  Errichtung  des 
Krankenhauses  der  Kinderheilanstalt  zu  Dresden,  das  sein  Entstehen  aus- 
schliesslich seiner  rastlosen  Tatkraft  verdankt  und  lange  Zeit  als  ein  Vorbild 
für  derartige  Anlagen  gebildet  hat.  Nicht  minder  verdienstlich  war  seine 
Betonung  des  Wertes  und  der  Pflege  der  Chirurgie  und  der  pathologischen 
Anatomie  in  den  Kinderkrankenhäusern  und  seine  Tätigkeit  als  Leiter  des 
Zentralimpfinstitiites,  das  jahrelang  vor  Einführung  des  Reichsimpfgesetzes 
eine  überaas  segensreiche  Wirkung  entfaltete. 

Sein  bewundernswerter  Fleiss  ermöglichte  es  ihm,  neben  der  Leitung 
des  Krankenhauses  und  der  Ausübung  einer  umfangreichen  Praxis  als  Arzt 
und  Consilier  noch  Zeit  zu  schriftstellerischer  Arbeit  zu  finden.  Aus  der 
Reihe  der  zahlreichen  von  ihm  veröffentlichten  Arbeiten  seien  hier  nur  die 
folgenden  genannt,  die  ihm  selbst  als  die  wichtigsten  und  besten  erscheinen. 

Anämie  und  Chlorose,  Gerhardts  Handbuch  der  Kinderkrankheiten.  3.  Band 
1.  Abt.     1878. 

Fall  von  vorwiegend  lymphatischer  Leukämie.    1860. 

Über  das  Bedürfnis  eines  Kinderkrankenhauses  für  Dresden.     188*2. 

Kinderheilkunde  und  Kinderkrankenhäuser.     1862. 

Über  Thermometermessung  bei  Kindern.     1862. 

Beobachtungen  über  Tuberkulose  im  Kindesalter.     1863. 

Die  Diphtherie.     1864. 

Beiträge  zur  Behandlung  der  infantilen  Syphilis.     1867. 

Ueber  Gesetzmässigkeit  in  der  Wiederkehr  und  im  Verlaute  gewisser  Epi- 
demien.    1868. 


810  Nekrolog. 

Zar  Befarwortang  der  Impfpflicht.     1872. 

Über  EselinneDmilchanstalten  in  Holland.     1877. 

Mitteilungen   über   die   im   neuen  Dresdener  Kioderhospitaie   in   den  erstes 

beiden  Jahren    nach   seiner  Eröffnung   zur  Beobachtung    gekommenen 

Lähmungen.     1880. 
Zar  Frage  der  sogenannten  akuten  Rachitis.     1881. 
Über    die    Anwendung    rassischer  Dampfb&der   bei   diphtheritisch-croupöser 

Stenose.     1882. 
Die  Chirurgie  und  die  pathologische  Anatomie  in  den  Kinderhospitälern.   1882. 
Über  Schrumpfniere  im  Kindesalter.     1887. 

Die  Mehrzahl  der  Arbeiten  ist  im  Jahrbuche  für  Einderheilkonde  er- 
Bchtenen^zu  dessen  Herausgebern  Foerster  vom  Erscheinen  der  neuen  Folge 
an  bis  zu  seinem  Tode  gehört  hat. 

Alle  diese  Arbeiten  beweisen  die  überaus  scharfe  Beobachtungsgabe 
Foersters,  der  nichts  entging,  und  sie  zeichnen  sich  aus  durch  eine  strenge 
Kritik,  die  er  besonders  an  sich  selbst  übte. 

Eine  Reihe  von  Jahren  war  Foerster  ein  regelmässiger  Besucher 
der  Versammlungen  der  deutschen  Naturforscher  und  Arzte,  auf  denen  er 
in  der  von  ihm  im  Jahre  1868  mitbegründeten  Abteilung  für  Kinderheilkunde 
oft  das  Wort  zum  Vortrage  und  in  der  Diskussion  ergriff.  Er  gehörte  zu 
den  Gründern  der  deutschen  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde  und  war 
mehrere  Jahre  Schriftführer  derselben;  die  ersten  zwei  Berichte  über  die 
Verhandlungen  dieser  Gesellschaft  sind  von  ihm  herausgegeben  worden. 
Dem  Vorstande  der  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden  ge- 
hörte  er  vier  Jahre  als  stellvertretender  Voi*sitzender  an,  viele  Jahre  lang 
war  er  Mitglied  des  Vorstandes  des  Vereins  zur  Errichtung  von  Kinderheil- 
stätten an  den  Seeküsten,  der  Zweigverein  Dresden  des  letztgenannten 
Vereins  wurde  von  ihm  ins  Leben  gerufen  und  stand  jahrelang  unter  seiner 
Leitung,  auch  der  Vorstand  des  gemeinnützigen  Vereins  zu  Dresden,  der 
neben  anderen  Zielen  auch  das  der  Heranziehung  einer  kräftigen  Jugend 
erstrebte,  erfreute  sich  längere  Zeit  seiner  Mitarbeiterschaft. 

Es  hat  Foerster  nicht  an  Auszeichnungen  mancherlei  Art  gefehlt;  er 
hat  sich  dieselben  durch  treue,  mühevolle  und  aufopfernde  Arbeit  erworben; 
sie  sind  ihm  zum  Teil  erst  spät  verliehen  worden,  er  konnte  sie  entbehren» 
denn  er  war  sich  der  hohen  Anerkennung  und  Verehrung  seiner  Fach- 
genossen sicher. 

Dreissig  Jahre  lang  habe  ich  die  Freude  und  die  Ehre  genossen,  mit 
ihm  und  neben  ihm  zum  Wohle  unserer  Kinderheilanstalt  zu  arbeiten,  und 
deshalb  kann  ich  wohl  sagen: 

Ach,  sie  haben  einen  guten  Mann  begraben; 
Und  mir  war  er  mehr. 

Unruh. 


Jahrbuch  für  Kinderheilkunde. 


N.  F.  Bd.  61. 


1906.  Heft  5 


Anzeigen. 


Herr  Dr.  med.  Rad.  Fisehl,  PriTatdozent  für  Kioderheilkande  ah  der  deatschen 
med.  Fakaltät  der  K.  K.  Karl  FerdioaDds-UniYcrsit&t  in  Prag,  schreibt: 
„Die  mit  Kufekemehl  Yon  mir  angestellten  Versnobe  sind  sebr  be- 
friedigend ausgefallen.  leb  babe  dasselbe  nicbt  als  ausschliessliebe  Nahrang 
yarwendet,  da  wir  dazu  bier  za  Lande  keine  Gelegenbeit  haben,  sondern  als 
Beikost  in  Form  von  Sappen  and  Brei,  sowie- als  Zasatz  zar  Milch.  Ausserdem 
nahm  ich  Gelegenheit,  einzelne  Kinder  wegen  Dickdarmkatarrh  temporär  mit 
w&sserigen  Abkochangen  des  Präparates  za  ernähren. 

In  alleo  Fällen  war  der  Erfolg  ein  vollständig  entsprechender,  und 
hatte  ich  namentlich  auch  nicht  so  intensive  Obstipationen  zu  verzeichnen, 
wie  sie  bei  anderen  Kindermeblon  eine  unvermeidliche  und  schwer  za 
beseitigende  Erscheinung  bilden.*' 


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66 


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als  Streupulver  auf  syphilitisehe  GeschwQre. 


l^nguenl-urn 
Hey den 


Nova  1^9  an 


Duotal 


Collargol 


Das  reizloseste  Antlgronorrholkam 
unter  den  SUberpr&paraten.  Enorm 
keimtötend;  grosse  Tiefenwirkung. 

Daotal  „Heyden'S  geruch-  and  ge- 
schmackloses Guaiakol-Präparat.  Ohne 
jegliche  Ätz-  und  Giftwirkung;  wird 
selbst  von  den  empfindlichsten  Pa- 
tienten gern  genommen  und  gut  vertragen.  Vorzfiglicncs  Mittel  gegen 
Langen-Tuberkulose  und  chronische  Katarrhe  der  AtmungsorgaDe« 
Darmantiseptikam  bei  Typhus  und  Enteritis. 

Bei  septischen  Erkrankungen  als 
Lösung  zur  intravenösen  und  rek- 
talen Anwendung,  als  MÜngaentum 
Credo"  zum  Einreiben. 


Proben  und  Literatur  durch 

Glieinische  Fabrik  Yon  Heyden,  Radebenl^Dresden. 


VeraDtwortlich  itir  iDBerate:  S.  Karger  iu  Berlin  NW.  6. 
Gedruckt  bei  I  m  b  e  r  g  &  L  e  f  b  o  n  in  Berlin  W. 


XXVIL 

Die  diagnostische  Tuberkullnreaktlon  Im  Kindesalter. 

Nach  dem  Materiale  der  Grazer  pftdiatrischen  Klinik 

(Vorstand  Prof.  Dr.  M.  Pfaundler). 

Zasammengestellt  yon 

Dr.  BELA  SCHICK, 

Seknndararzt  am  St.  Anna-Einderspitale  (Vorst.  Prof.  Dr.  Th.  Eseherich)ixL  Wien. 

Nach  den  MitteiluDgen  Kochs  über  Tuberkulin  auf  dem 
X.  internationalen  Kongresse  1890  wurde  das  neue  Mittel  an 
zahlreichen  Stellen  geprüft,  und  man  braucht  nur  den  Jahrgang 
1801  der  Deutschen  med.  Wochenschrift  durchzublättern,  um  die 
Menge  des  bearbeiteten  Materiales  abzuschätzen. 

Anfangs  kamen  reichlich  gunstige  Berichte,  bald  jedoch 
mengten  sich  darunter  auch  Publikationen  über  Misserfolge,  und 
es  dauerte  nicht  allzulange,  so  gab  man  das  Tuberkulin  als  Heil- 
mittel fast  überall  auf  und  wollte  von  ihm  nichts  mehr  wissen. 
Auch  das  neue  Präparat  T.  R.  konnte  keine  Anerkennung  finden. 

Nicht  genug  daran,  begann  man  auch  an  der  Angabe  der 
diagnostischen  Verwertbarkeit  zu  rütteln: 

1.  sollten  Gesunde  bezw.  Nicht-Tuberkulöse  auf  Tuberkulin 
reagieren; 

2.  auch  andere  Substanzen,  die  mit  Tuberkulin  keinerlei 
Ähnlichkeit  haben,  erzeugen  bei  Tuberkulösen  eine  analoge 
Reaktion ; 

3.  blieb  bei  sicher  Tuberkulosen  manchmal  die  Reaktion  aus. 
Matthes^)   ging    sogar    soweit,  Deuteroalbumose   an  Stelle 

des  Tuberkulins  zu  empfehlen,    da   sie  dieselbe  Reaktion  hervor- 
rufe, billiger  und  haltbarer  sei. 

Selbst  die  letzten  Autoren,  die  sich  mit  der  Spezifizität 
der  Tuberkulinreaktion  ausführlich  befassten  [Preisich  und 
Heim*),  Zupnik*)]  schränken  den  differential-diagnostischen 
Wert  des  Tuberkulins  ein.  Zupnik  fasst  die  Tuberkulinreaktion 
als  eine  neue  Gruppenreaktion  auf. 


1)  Deutsch.  Archiv  f.  klin.  Medizin.     1894. 
>)  Centralbl.  f.  Bakteriologie.     1902.    Bd.  XXXI. 
>)  Festschrift  f.  Przibram.     1903. 
Jahrbuch  für  KinderheUkande.    N.  F.    LXI.    Heft  6.  58 


812  Schick,    Die  diagnostische 

Bei  diesem  Stande  der  Meinungen  ist  es  begreiflich,  dass 
man  das  Vertrauen  zur  Tuberkulinreaktion  als  diagnostisches 
Hilfsmittel  verlor. 

Nur  beim  Tiere  gab  doch  die  Mehrzahl  der  Autoren  zu, 
das  Tuberkulin  sei  diagnostisch  verwertbar. 

Bang^)  schreibt  hierüber:  „Nur  mit  Hülfe  des  Tuberkulins 
kann  man  die  wirkliche  Verbreitung  der  Krankheit  erkennen 
und  die  stufenweise  errungenen  Erfolge  beurteilen. 

£ine  aus  hervorragenden  französischen  Autoren  zusammen- 
gesetzte Kommission^)  zur  Prüfung  des  Tuberkulins  als  diag- 
nostisches Mittel  sprach  sich  im  Jahre  1896  ruckhaltslos  im 
gunstigen  Sinne  aus. 

So  verlässlich  und  durch  reichliches  Material  gestutzt  war 
die  Reaktion  beim  Tiere,  dass  Nocard  in  Bern  sagen  konnte: 
»Suchen  sie,  wenn  sie  den  durch  das  Tuberkulin  angezeigten 
Herd  nicht  gefunden  haben,  und  sagen  sie  einfach,  sie  haben  ihn 
nicht  gefunden,  aber  nicht,  dass  ein  solcher  nicht  existiert. ** 

Und  wir  glauben,  gerade  die  Ergebnisse  der  Tierversuche 
sind  mit  Bezug  auf  die  diagnostische  Bedeutung  des  Tuberkulins 
von  ausserordentlicher  Wichtigkeit,  denn  nur  die  genaue  patho- 
logisch-anatomische Untersuchung  jedes  injizierten  reagierenden 
Tieres  kann  uns  einen  exakten  Anhaltspunkt  für  die  Brauchbar- 
keit und  insbesondere  für  die  Spezifizität  der  Reaktion  geben. 

Die  Beurteilung  beim  Menschen  ist  eine  viel  schwierigere. 
Die  eingangs  erwähnten  Einwände  gegen  die  diagnostische  Be- 
deutung des  Tuberkulins  sind  übrigens  vielfach  weniger  schwer- 
wiegend, als  es  auf  den  ersten  Eindruck  scheinen  könnte.  Seitdem 
in  den  letzten  Jahren  mit  dem  Aufschwünge  der  Lungenheil- 
stätten das  Alt-Tuberkulin  Koch  neuerdings  zu  diagnostischen 
Zwecken  verwendet  wird,  kommt  allgemein  die  Erkenntnis  zum 
Durchbruche,  dass  der  diagnostische  Wert  der  Tuberkulininjektion 
nicht  zu  verachten  sei,  wenn  man  nur  nicht  mehr  von  ihr  ver- 
langt, als  man  von  ihr  theoretisch  zu  erwarten  hat. 

Dabei  ist  noch  eines  zu  berücksichtigen.  Die  Resultate 
sind  vornehmlich  an  Erwachsenen  gewonnen,  und  damit  hängt  es 
vor  allem  zusammen,  dass  im  klinischen  Sinne  gesunde  Individuen 
auf  Tuberkulin  reagieren. 

Seit  Nägeli  wissen  wir,  dass  in  97  pCt  der  Sektionen 
tuberkulöse  Veränderungen  im  Organismus  Erwachsener  auffind- 

1)  Deutsche  Zeitschr.  f.  Tiermedizin.     1896.     Bd.  22.     I. 

2)  Bull,  de  TacadÄmie  de  medecine.     Bd.  XXXV.    No.  8.    25.  II.  96. 


Taberkalinreaktion  im  Kindesalter.  813 

bar  sind.  Erst  im  vorigen  Jahre  konnte  Burckhardt^)  nach- 
weisen, dass  unter  1262  Erwachsenen  91  pCt.  Zeichen  einer  ab- 
gelaufenen oder  noch  frischen  Tuberkulose  darboten;  wir  mQssen 
es  sogar  auffallig  finden,  dass  nicht  viel  mehr  Erwachsene  tuber- 
kulin  empfindlich  sind. 

Bei  Kindern  liegen  die  Verhältnisse  für  die  diagnostische 
Verwertbarkeit  des  Tuberkulins  —  wir  möchten  sagen  —  patho- 
logisch-anatomisch günstiger. 

Unter  196  Kindern  waren  nach  Burckhardt  nur  40  pCt. 
nachweislich  tuberkulös  infiziert  gewesen. 

Neugeborene  und  Kinder  der  ersten  Wochen,  selbst  solche 
Ton  tuberkulösen  Müttern,  reagieren  entsprechend  dem  Fehlen 
«iner  tuberkulösen  Infektion,  wie  Epstein*),  Schreiber^)  und 
in  letzter  Zeit  Berend*)  zeigen  konnten,  auf  relativ  grosse 
Mengen  Tuberkulin  nicht  (Schreiber  0,05,  Berend  0,01  g). 

Selbst  bei  grösseren  Kindern  fehlen  bei  der  Obduktion  be- 
deutend häufiger  als  beim  Erwachsenen  tuberkulöse  Veränderungen. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  betrachtet  ist,  die  diagnostische 
Verwertbarkeit  des  Tuberkulins  gerade  bei  Kindern  viel  einwand- 
freier und  der  Ausfall  der  Tuberkulinreaktion  für  die  Diagnose 
weit  wertvoller  als  bei  Erwachsenen,  welches  Moment  wir  be- 
sonders betonen,  weil  es  sich  bei  Durchsicht  der  Literatur  zeigt, 
<lass  gerade  bei  Sandern  relativ  wenig  systematisch  Tuberkulin- 
prüfungen  vorgenommen  wurden. 

Epstein  prüfte  an  Säuglingen  und  Kindern  bis  zu  drei 
Jahren,  die  Zahl  seiner  Fälle  beträgt  14,  Ganghofner  und  Bayer*) 
berichten  über  9  Fälle,  Steffen®)  über  10  Fälle  diagnostischer 
Tuberkulininjektion  etc. 

Die  grösste  Untersuchungsreihe  an  Kindern  findet  sich  in 
der  Publikation  Escherichs^,  der  nahe  an  100  Fälle  zur 
Prüfung  heranzog  und  auf  Grund  seiner  Befunde  die  Bedeutung 
des.  Tuberkulins  als  therapeutisches  und  diagnostisches  Mittel 
kritisch  beleuchtet. 


0  Ref.  Münch.  med.  Wochenschr.     1903.    No.  29.    S.  1275. 
«)  Prag.  med.  Wochonschr.     1891.    No.  1  u.  2. 
s)  Deutsche  med.  Wochenschr.     1891.    S.  306. 

*)  Ref.  Budapester  Brief.    Berliner  klin.  Wochenschr.    1900.    No.  52. 
»)  Prag.  med.  Wochenschr.     1891.    No.  3  u.  4. 
«)  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde.    Bd.  34.     S.  34. 

6  Jahrbuch    f.    Kinderheilkunde,    Bd.    XXXIII.      Dortselbst    weitere 
Literaturan  gaben. 

53* 


814  Schick,   Die  diagnostische 

Mit  wenigen  Ausnahmen  [vor  allem  Kohts^)]  ist  im  Gegen- 
satze zu  den  Autoren,  die  bei  Erwachsenen  untersuchten,  eine 
erfreuliche  Übereinstimmung  mit  Bezug  auf  die  Beurteilung  des 
diagnostischen  Wertes  der  Tuberkulinreaktion  zu  verzeichnen,  die 
sich  am  besten  mit  den  Worten  Escherichs  wiedergeben  lässt: 
„dass  das  Tuberkulin  wohl  kein  untrügliches,  aber  ein  yerläss- 
liches  und  schätzbares  diagnostisches  Mittel  ist^. 

Ich  konnte,  dank  der  Liebenswürdigkeit  der  hochverelirten 
Vorstande  der  Wiener  und  Grazer  Universitäts-Kinderklinik,  der 
Herren  Prof.  Dr.  Th.  Escherich  und  Prof.  Dr.  M.  Pfaundler, 
aus  dem  Materiale  der  Jahre  1895 — 1900  weitere  120  Fälle  zu- 
sammenstellen, die  zu  diagnostischen  Zwecken  mit  Alt-Tuberkulin 
injiziert  worden  sind. 

Das  Alter  der  untersuchten  Kinder  schwankte  zwischen 
drei  Monaten  und  vierzehn  Jahren.  43  Kinder  standen  im  Alter 
von  unter  vier  Jahren. 

Die  Injektionen  erfolgten  teils  an  klinisch  schon  tuberkulöa 
sich  erweisenden  Kindern  zur  Beurteilung  der  Yerlässlichkeit  des 
Tuberkulins  und  eventueller  Erhärtung  der  klinischen  Diagnose 
in  einer  Reihe  von  Fällen  (35)  wurde  die  Injektion  zur  Entscheidung 
herangezogen,  ob  in  einem  klinisch  zweifelhaften  Falle  Tuberkulose 
vorlag  oder  nicht. 

Zwanzig  dieser  Kinder  standen  nach  der  Spitalsbehandlung 
noch  längere  Zeit  in  Beobachtung,  so  dass  wir  bei  diesen  über 
ihr  weiteres  Befinden  uns  orientieren  konnten,  und  endlich  sind 
eine  Reihe  von  positiven  und  negativen  Reaktionen  durch  Sektion 
(Prof.  Eppinger)  kontrolliert  (20  Fälle). 

Die  Methodik  der  Injektion  entsprach  der  allgemein  üblichen. 
Die  Injektion  wurde  fast  stets  am  Unterarm  vorgenommen  und 
während  des  Andauems  der  Reaktion  zweistündlich  gemessen. 

Bei  der  diagnostischen  Verwendung  des  Tuberkulins  mus& 
man,  da  die  Reaktion  vor  allem  in  Temperaturerhöhung  zum 
Ausdrucke  kommt,  die  Patienten  in  fieberfreien  Intervallen  zur 
Prüfung  heranziehen;  diesem  Umstände  wurde  fast  ausnahmslos 
Rechnung  getragen. 

Was  die  Menge  Tuberkulin  betrifft,  die  zur  Prüfung  ver- 
wendet werden  soll,  so  lauten  die  bisherigen  Angaben  der 
Literatur: 


0  Ther.  Monatshefte,  April  1891. 


Taberkalinreaktioo  im.  Eindesalter.  815 

Epstein  beginnt  bei  Kindern  unter  drei  Jahren  mit  0,1  mg 
und  steigt  vorsichtig  um  0,05 — 0,1  mg; 

Escherich  gibt  folgende  Zahlen  an: 

bei  ganz  jungen  Kindern  0,2 — 0,5  mg, 
bei  älteren  Kindern  0,5 — 1  mg. 

Über  1  mg  als  Anfangsdosis  solle  nie  hinausgegangen 
werden.  Jedoch  zeigte  es  sich,  dass  Fälle  von  Lymphdrüsen- 
tuberkulose vorkamen,  bei  denen  erst  auf  3  mg  typische 
Reaktion  erfolgte. 

Beck^)  gibt  bei  Kindern  unter  zehn  Jahren  als  Anfangs- 
•dosis  0,5  mg; 

Leser*)  bezeichnet  als  Dosis  für  Kinder  Ys — Va  ^^^  Dosis 
•der  Erwachsenen; 

nach  Heubner^)  reagieren  tuberkulöse  Säuglinge  schon  auf 
*/,o  der  Dosis  Erwachsener. 

Im  allgemeinen  stimmen  diese  Angaben  mit  den  von  uns 
gefundenen  Zahlen  überein. 

Bevor  wir  auf  den  eigentlichen  Teil  unserer  Arbeit  ein- 
gehen, wollen  wir  zur  Übersichtlichkeit  unsere  Fälle  gruppieren. 
Damach  ergibt  sich  folgendes: 

Gesamtzahl  der  untersuchten  Fälle  120.     Davon  sind: 

1.  klinisch  sichere  Tuberkulose  .     .     43, 

2.  klinisch  nicht  als  tuberkulös  auf- 
gefasste  Erkrankungen   ....     42, 

davon  12  +  =  ca.  26  pCt., 

3.  zweifelhafte  Fälle 35, 

davon  14  +  =  ca.  40  pCt. 
Reaktion  in  allen  Fällen  positiv. 
In   der  Gruppe  I  finden  wir    folgende    Erkrankungen   ver- 
treten : 

Tuberculosis  pulmonum 15, 

Peritonitis  tuberculosa 9, 

Pleuritis         „         „        6, 

Meningitis  und  Pericarditis  tbc.  je  1, 

chirurgische  Tuberkulose 11. 

Es  war  uns  nicht  um  eine  statistische  Verwertung  unserer 
Fälle  zu  tun,  womit  wir  ja  nichts  anderes  erreicht  hätten,  als  zu 

1)  Deatsche  med.  Wochenschr.  1899,  No.  9. 

«)  Mnnch.  med.  Wochenschr.  No.  47  u.  48.     1891. 

*)  Cit.  nach  Escherich,  l.  c. 


816  Schick,  Die  diagnostische 

den  Tausenden  bis  jetzt  publizierten  Tuberkulininjektionen  noch 
120  hinzuzufügen;  unsere  Absicht  ist  es,  die  Eigenheiten  der 
Tuberkulinreaktion  im  Kindesalter  hervorzuheben  und  klinisch 
interessantere  Fälle  mit  Rucksicht  auf  die  Tuberkulinreaktion  zu 
erörtern. 

In  vielen  Fällen  unterscheidet  sich  der  Verlauf  der  Reaktion 
im  Eindesalter  durch  nichts  von  dem  bei  Erwachsenen. 

Zwei  Momente  sind  jedoch  unserer  Ansicht  nach  wichtige 
die  dem  Verlaufe  der  Tukerkulinreaktion  im  Kindesalter  ein 
eigentümliches  Gepräge  verleihen,  d.  i. 

1.  das  bedeutend  häufigere  Vorkommen  der  so- 
genannten protrahierten  Reaktion,  d.  h.  des  Anhalteus 
der  Temperatursteigernng  während  mehrerer  Tage  und 

2.  die  grosse  Zahl  (unter  unseren  27  Fällen)  von 
mitunter  recht  intensiven  Reaktionen  an  der  Injektions- 
stelle (Stichreaktion  nach  EscLerich),  die  oft  Tage  zur 
vollkommenen  Restitutio  ad  integrum  beanspruchten.  In  den 
schlimmsten  Fällen  bestand  diese  Stichreaktion  in  hochgradiger 
ödematöser  Schwellung  des  ganzen  injizierten  Armes 
mit  erysipelatöser  Rötung  und  hochgradiger  Empfind- 
lichkeit. 

Beide  Momente  hängen  sicherlich  mit  dem  Stadium  der 
tuberkulösen  Infektion  beim  Kinde  zusammen.  Das  hauGge  Auf- 
treten der  protrahierten  Reaktion  schon  auf  entsprechend  be* 
rechnete  Dosen  hin  beweist  die  überaus  hohe  Empfindlichkeit 
des  tuberkulösen  kindlichen  Organismus  gegenüber  kleinsten 
Dosen,  und  ich  betone  die  aufifällige  Tatsache,  dass  die  Tuberkuh'n- 
reaktion,  je  näher  der  Zeitpunkt  der  Injektion  dem  der  ersten 
Reaktion  auf  die  tuberkulöse  Infektion  liegt,  um  so  prompter 
und  intensiver  erfolgt.  Vielleicht  liegt  darin  die  Ursache  der 
hohen  Empfindlichkeit  des  Kindes  gegen  Tuberkulin. 

Ähnliche  Gründe  sind  für  die  Häufigkeit  der  Stichreaktionen 
anzuführen. 

Auch  der  Verlauf  und  die  Lokalisation  der  Tuberkulose  im 
Kindesalter  mag  dabei  eine  Rolle  spielen,  ich  erinnere  nur,  dass 
die  Mitbeteiligung  der  Haut  bei  der  Tuberkulose  des  Kindes- 
alters viel  häufiger  ist  als  beim  Erwachsenen  (Tuberkulide),  wie 
ja  auch  sonst  gewisse  Unterschiede  der  Lokalisation  der  Tuber- 
kulose beim  Kinde  auffällig  sind,  z.  B.  das  häufige  Befallensein 
der  Gelenke. 

Wir  lassen  nunmehr  einige  Beispiele  folgen: 


Taberkalinre&ktion  im  Kindesalter.  817 

No.  66.  Matthias  Maritschnigg  war  sam  erstenmale  im  Jahre 
1896  Tom  10.  X.  bis  13.  XL,  8Va  Jahre  alt,  mit  einer  croupösen  Pneumonie 
des  rechten  Oberlappeos  in  Spitalbehandlnng.  Der  Verlauf  war  insofern  ge- 
stört, als  sich  an  die  Krise  ein  mehrtägiges  remittierendes  Fieber  anschloss« 
Die  Lösang  erfolgte  nur  langsam. 

Im  Jahre  1899  kam  Fat.  neuerdings  zar  Aufnahme.  lU^/»  Jahre  alt, 
war  er  einige  Tage  Yor  dem  17.  XII.  akut  unter  Schüttelfrost  erkrankt.  Bei 
der  Untersuchung  zeigten  sich  noch  Residuen  der  alten  Erkrankung,  indem 
rechts  oben  Schallverkürzung  und  verschärftes  Atmen  bestand.  Diesmal 
war  der  linke  Oberlappen  Sitz  der  Pneumonie.  Schon  am  19.  XII.  erfolgte 
kritische  Bntfieberung.    Hierauf  war  Pat.  fieberfrei. 

Am    87.  XII.    erhielt  Pat    um    10  Uhr   vormittags  0,0004  Tuberkulin. 

Temperatur  Verl  auf: 

2         4         6  8        12        4         7        10 

*  •  ^^^'  36,5    36,7    86,5    87,2    36,7 

28.  XII.  86,7    87,2    88,8    87,4    37,0. 

Die  Injektionsstelle  war  etwas  gerötet  und  geschwellt. 
Auch  am  80.  XII.  war  noch  ein  hellergrosses  Infiltrat  an  der 
Injektionsstelle  nachweisbar.     Rötung  geringer. 

Am  1.  I.  00  erhielt  Pat  neuerdings  Tuberkulin  in  der  Dosis  von 
0,0008  um  12  Uhr  mittags. 

Temperaturverlauf: 

2         4         6         8        10       12 

^'  ^'  87,2    37,8    37,4    88,6    38,9    89,0 

2   1  *         6         8 

^'  ^'         38,7    38,2    87,8  87,8. 

8.1.  An  der  Injektionsstelle  die  Haut  sehr  stark  gerötet 
und  geschwollen,  heiss  anzufühlen,  bei  Druck  und  spontan  Schmerzen. 
Die  Rötung  8  cm  lang  und  5  cm  breit. 

4.  I.  Ein  Eiterbläschen  an  der  Einstichstelle,  Haut  noch  leicht  infiltriert 
und  bläulich  verfärbt 

Dieser  Fall  ist  auch  deswegen  iDteressant,  weil  nach  Ab- 
lauf zweier  typischer  Pneumonien  die  Tuberkulininjektion  positiv 
war,  wohl  darauf  beruhend,  dass  sich  tuberkulöse  Veränderungen 
im  Körper  vorfandeu. 

Das  Kind  kam  im  Jahre  1900  wieder  mit  eiuer  typischen 
Pneumonia  crouposa  des  linken  Oberlappens  (reichlich  Herpes, 
Nackenstarre,  kritischer  Abfall  der  Temperatur)  zum  dritten 
Male  zur  Aufnahme.     Auch  diesmal  erfolgte  Heilung. 

Johann  Angenetter,  S'^is  «^&hre  alt,  war  schon  im  Jahre  1898  wegen 
Verdacht  auf  Spitzenaffektion  in  Spitalbehandlung.  Auf  Kreosot  wesentliche 
Besserung. 

Am  8.  Y.  1900  erkrankte  Pat.  mit  Kopfschmerzen,  Erbrechen  von 
Schleim,  Mattigkeit,  Hitze,  Husten. 

Der  klinische  Befund  bei  der  Aufnahme  am  12.  Y.  bestand  in  Dämpfung, 
Bronchialatmen  ond  kliagendem  Rasseln  über  dem  1.  Oberlappen,  haupt- 
sächlich Tome. 


818  Schick,    Die  diagnostische 

Die  Temperatur  fiel  Ijtisch  zur  Norm  ab. 

Die  Lösung  war  verschleppt  (wahrscheinlich  wegen  bestehender 
Bronchialdrüsenphthise). 

Am  28.  Y.  bekam  Fat.  0,0CX)5  Tuberkulin.  Die  Temperaturreaktion 
war  m&ssig.    Die  höchste  Temperatur  war  37,6  um  4  ühr  nachmittags. 

Erst  am  30.  V.  war  die  Injektionsstelle  und  deren  Umgebung  m&ssig 
gerötet  und  geschwollen. 

Am  2.  YI.  bekam  Fat.  0,001  Tuberkulin.  Diesmal  war  die  Reaktion 
ausgiebiger.  Es  trat  verspätete  und  protrahierte  Reaktion  auf.  Die 
Temperatur  hob  sich  am  Nachmittage  des  nächsten  Tages  auf  39,7. 

Die  Injektionsstelle  war  sehr  stark  gerötet,  geschwollen 
und  empfindlich.  Gleichzeitig  fand  sich  eine  ca.  bohnengrosse,  akut  ge- 
schwellte Cubitaldrfise. 

Die  Schwellung  und  Rötung  ging  erst  nach  48  Stunden  zurück. 

Christian  Rauwolf,  IPV»  J&^re  alt,  wurde  am  5.  XII.  1900  auf- 
genommen. Fat.  ist  seit  4  Monaten  kränklich;  nachts  Fieber,  Schwitzen, 
andauernder  Husten.  Schmerzen  auf  der  Brust.  Vater  starb  an  Tuberkulose. 
Schwester  ist  skrofulös. 

Der  Lungenbefund  ergab  nur  den  Verdacht  einer  rechtsseitigen  Spitzen- 
tuberkulöse. 

Am  9.  XIL  0,0005  Tuberkulin.  Höchste  Temperatur  37,1  um  4  ühr 
nachmittags.    Injektionsstelle  frei. 

Am  26.  XIL  0,001  Tuberkulin.    Temperaturreaktion  0. 

Dagegen  ist  am  27.  XII.  die  Injektionsstelle  stark  gerötet  und 
schmerzhaft.  Diese  Erscheinungen  halten  bis  zum  29.  XIL,  als  durch  drei 
Tage,  an. 

Geheilt  am  3.  I.  1901  entlassen. 

Folgender  Fall  zeigt  besonders  lange  Dauer  der  Lokal- 
reaktion. 

No.  2.  Emma  Kult  war  im  Alter  von  7*/«  Jahren  zum  erstenmale 
vom  17.  IV.— 28.  YI.  1895  in  Spitalbehandlung.  Es  bestand  eine  D&mpfung 
mit  verschärftem  Atmen  rechts  oben  und  dabei  remittierendes  Fieber.  Schon 
damals  bestand  der  Verdacht  auf  Tuberkulose. 

Als  Fat.  im  Jahre  1897  (16.— 29.  VI.)  neuerdings  zur  Aufnahme  ge- 
langte, bekam  sie  am  18.  VI.  0,0008  Tuberkulin  ohne  nachfolgende  Temperatur- 
reaktion.  Dagegen  war  die  Injektionsstelle  gerötet  und  ge- 
schwellt.   Diese  Schwellung  hielt  durch  4  Ta^e  an. 

Über  der  ganzen  rechten  Lunge  bestand  Dämpfung,  Bronchial-  und 
zum  Teil  amphorisches  Atmen  und  grossblasige  Rasselgeräusche» 

Fat.  kam  nach  Lussingrande. 

Von  dort  zurückgekehrt,  wurde  sie  am  6.  VIII.  1897  neuerdings  mit 
demselben  Lungenbefund  aufgenommen. 

In  Lussingrande  hatte  sie  oft  bis  39,0  nachmittags  gefiebert.  Bei  ans 
kein  Fieber. 

Am  9.  VIIL  erhielt  Fat.  0,001  Tuberkulin  (also  mehr  als  das  erste  Mal). 


Tuberkalioreaktion  im  Kindes&Iter.  819 

TemperatarTerlauf  war: 

8        10        2  4        8        12 

9.  VIIL  86     36,7    87,5    37,9    37,7    38,4 

10.  VIIL  37,8  38,4    38,8 

11.  VIIL  36,8 

Am  10.  VIIL  war  bereits  die  InjektioDSstelle  stark  geschwollen,  gerötet, 
heiss.  Diese  Lokalerschein ang  dauerte  noch  bis  zur  Entlassung,  d.  i.  bis 
zam  21.  VIIL,  an. 

Weitere  Fälle  siehe  unter  der  Zasammenstellung. 

Epstein  und  Escherich  sprechen  schon  die  Ansicht  aus, 
dass  diese  Stichreaktion  eine  spezifische  sei. 

yfir  können  uns  auf  Grund  vorliegender  Beobachtungen 
dieser  Ansicht  vollinhaltlich  anschliessen. 

Für  die  Spezifizität  der  Stichreaktion,  auf  die  wir  noch  bei 
der  Darlegung  unserer  Erklärung  des  W^esens  der  Tuberkulin- 
reaktion  besonders  zurückkommen  werden^),  spricht  eine  Reihe 
von  Tatsachen,  von  denen  wir  hier  folgende  erwähnen: 

1.  Unseres  Wissens  ist  kein  Fall  bekannt,  in  dem  bei 
sicher  ausgeschlossener  Tuberkulose  Stichreaktion  vor- 
gekommen wäre. 

2.  Bei  sicher  Tuberkulösen  ist  die  Stichreaktion 
manchmal  das  einzige  Zeichen  der  positiven  Reaktion 
(siehe  Fall  Rauwolf  und  Eull),  was  man  daraus  ersehen  kann, 
dass  solche  Individuen  bei  Steigerung  der  Dosis  neben  dieser 
Stich-  auch  eine  Allgemeinreaktion  zeigen  (z.  B.  Fall 
Kuli). 

8.  Für  besonders  wichtig  halten  wir  das  Auftreten  der 
Stichreaktion  im  Verlaufe  einer  Immunisierung  mit 
Tuberkulin,  wobei  nach  Aufhören  des  Fiebers  die  Stich- 
reaktion noch  häufig  kenntlich  bleibt. 

Dabei  lässt  sich  kein  vollkommen  gesetzmässiges 
Verhältnis  zwischen  Intensität  der  Allgemein-  und 
Stichreaktion  erkennen,  wiewohl  häufig  bei  starker  All- 
gemeinreaktion auch  die  Stichreaktion  intensiv  verläuft. 

Karolino  Pilz,  13  Jahre,  wurde  am  10.  IL  97  wegen  Verdacht  auf 
Tuberculosis  pul m.  aufgenommen.  Es  bestanden  Nachtsch weisse,  unregelmässig 
remittierendes  Fieber.    Der  physikalische  Befund  war  negativ. 

Am  21.  nr.  wurde  Fat  afebril,  worauf  am  30.  III.  Taberkulin  0,001 
injiziert  wurde  (10  Uhr  vormittags). 


>)  cf.  Yerhandlungen  der  20.  Versammlung  der  Gesellschaft  für  Kinder- 
heilkunde.   Cassel  1903.    v.  Pirquet:  Zur  Theorie  der  Vaccination. 


820  Schick,   Die  diagnostische 

TemperatarTerlaaf: 

8        12        2         4         6         8         10        12 
30.  III.        3g  ,y    3^^^    3^^^    3^5    37  .y    37 Q    3g  j     39Q 

2        4         6         8 
®*-  ^^^-        89,3    89,5    39,2    39,0. 
Pat    ist   w&hrend    der    Reaktion    sehr    matt.     Es    bestehen 
sehr  heftige  Kopfschmerzen,    intensives   Stechen   in    der   linken 
Banohh&lfte.    Inj  ektionsstelle  ist  stark   infiltriert  and  gerötet, 
sehr  schmerzhaft. 

Am  1.  IV.  Injektionsstelle  gleich.  Nachmittags  noch  38,2.  Von  da  ab 
Rückbildung. 

Bei  Fall  No.  7  finden  wir  dagegen  schwere  Allgemein- 
erschein un gen  und  dabei  Fehlen  jeglicher  Stichreaktion. 

Marie  Kuhar  (I.Aufnahme  vom  7  II.  bis  7.  III.  98),  5*/i9  Jahre  alt, 
zeigte  ausgesprochene  Spitzenerkrankung,  von  Drusen  ausgehend.  Links  und 
rechts  neben  der  Wirbelsäule  bestanden  Dämpfungsbezirke  mit  bronchialem 
In-  und  Exspirium  und  grossblasigem  klingenden  Rasseln.  Hohes  remittierendes 
Fieber.     Gegen  £nde  des  Spitalsaufenthaltes  hört  das  Fieber  auf. 

Nach  6  tägigem  fieberfreiem  Intervall  0,0005  Tuberkulin  nm  9  Uhr 
Tormittags. 

Um  2  Uhr  nachmittags  bereits  89,2.  Um  8  Uhr  wurde  Pat.  cyanotisch, 
es  bestand  grosse  Mattigkeit. 

Um  4  Uhr  39,6,  um  »/i^  Uhr  Erbrechen. 

Um  6  Uhr  abends  40,0.  Kollapserschein nn gen.  Enorme  Gyanose  der 
Fälle,  Fingerspitzen  und  des  Gesichtes.  Über  den  Lungen  deutliches  Rasseln 
Ton  Nebenstehenden  zu  hören.  Der  schwere  Zustand  dauert  bis  4  Uhr  früh. 
Puls  =  160.    Respiration  64. 

Die  weiteren  Temperaturen  lauten: 

8        10        12        2         4         6         8 
^-  ^^^-        39,7    39,5    39,0    38,8    38,4    37,1     36,8 

Tagsüber  noch  matt,  cyanotisch. 

Im  Juni  1898  bestand  die  Lungenafiektion  in  gleicher  Intensität 

Im  Dezember  1898   trat    tuberkulöse  Spondylitis   im  Brustanteile  auf. 

Über  eine  Stichreaktion  ist  nicht«  verzeichnet. 

Dieser  Fall  zeigt  auch  gleichzeitig  die  schwere  Beein- 
trächtigung des  Allgemeinbefindens  durch  die  Tuberkulininjektion 
und  gibt  uns  Gelegenheit,  auch  dar&ber  etwas  mehr  zu  berichten, 
da  wir  meinen,  dass  die  Vorführung  gerade  solcher  Fälle  die 
Möglichkeit  bietet,  zu  entscheiden,  wann  man  besser  daran  tut, 
von  der  diagnostischen  Tuberkulininjektion  abzusehen,  beziehungs- 
weise die  Dosierung  des  Tuberkulins  wohl  genau  zu  nehmen. 

Auch  bei  Kindern  zeigt  sich,  dass  bei  gleicher 
injizierter  Menge  die  Allgemein  reaktion  um  so  intensiver 
ausfällt,  um   so  stürmischer  verläuft,  je  kürzer  die  Zeit 


Tuberkalinreaktion  im  Kindesalter.  82  t 

ist,  die  seit  der  Infektion  mit  Tuberkulose  oder  seit  der 
letzten    Exacerbation    der   Erkrankung   verstrichen    ist» 

Mit  diesen  Fällen  wollen  wir  uns  ausführlicher  beschäftigen. 

Maria  Kraatwasehl,  12V4  Jahre,  litt  schon  lange  an  leichtem 
Hasten.  14  Tage  vor  der  am  7.  Y.  1898  erfolgten  Aufnahme  erkrankte  Fat. 
mit  stechenden  Schmersen  in  der  rechten  Brustseite.  Fieber,  Atemnot  und 
Appetitlosigkeit.    Starke  Schweisse. 

Vater  hastet  and  wirft  aoch  aas. 

Bei  üntersachang  erweist  sich  die  rechte  Thoraxh&lfte  Tollstftndig 
mit  Flüssigkeit  erfQllt.  Die  Probepunktion  und  nachfolgende  Thorakocentes» 
bestätigte  die  Diagnose  Plearitis  serosa. 

In  den  ersten  10  Tagen  der  Beobachtung  bestand  intermittierendea 
Fieber,  bis  über  89,0,  Yom  17.  V.  bis  1.  VI.  98  betrug  die  höchste  Nach* 
mittagstemperatar  37,5. 

Am  1.  VI.  wurde    nun   0,001  Tuberkulin    um  9  ühr  morgens  injiziert.. 

Temperatnrverlauf: 

8        11        2         4         6        8       10       12 
^-  ^^-        86,5    37,2    89.4    39,4    40,0    40    89.5    89,5 

2   VI  2         4         6         8 

^-  ^^'       39,2    38,5    89,4    37,4 

Pols  160,  Respiration  60. 

Während  der  Reaktion  starke  Cjanose,  heftige  Bauchschmerzen, 
die  auch  am  nächsten  Tage  noch  in  der  Ileocoecalgegend  und  an  der 
korrespondierenden  Stelle  links  auf  Druck  fortbestehen.  Abdomen  etwas 
aufgetrieben.  Etwas  Husten.  Während  Fat.  früher  nie  etwas  aus- 
gehustet, kommen  einige  Ballen  von  eitriger  Beschaffenheit  zu  Tage,, 
welche  Blutstreifen  zeigen. 

Massige  Einstiebreaktion.  Schmerzen  im  Abdomen  gehen  langsam 
zurück. 

Im  März  1899  waren  die  Lungenerscheinungen  auskaltatorisch  ge- 
schwunden. Fat.  klagt  seit  der  Injektion  öfter  über  Bauchschmerzen.  In 
der  Ileocoecalgegend  fühlt  man  deutliche  schmerzhafte  Resistenz. 

Peter  Egger,  ]2*/i)  Jahre,  wurde  am  31.  VIII.  98  aufgenommen. 
Pat  war  schon  seit  November  1897  krank.  Die  Erkrankung  setzte  mit 
eigentümlich  schwankendem  Gange  ein.  Im  weiteren  Verlaufe  trat  eine 
Lähmung  der  linken  oberen  Extremität  auf.  Seit  Ostern  1898  traten 
Zuckungen  und  Krämpfe  der  linken  Körperhälfte  auf. 

Bei  der  Aufnahme  bestand  eine  totale  linksseitige  Hemiplegie,  der 
Augenspiegelbefund  ergab  Stauungspapille,  weshalb  die  Diagnose  Tumor 
cerebri  gestellt  wurde. 

Am  8.  X.,  nachdem  also  Pat.  bereits  1  Monat  auf  der  Klinik  lag,, 
fieberfrei  und  bei  Bewusstsein  war,  wurde  0,005  Tuberkulin  injiziert. 

Temperaturverlauf: 


10       12 

2         4         6          8         10       12 

16,7    36,8 

37,8    37,5    37,8    88.0    37,8    37,8 

2         4 

8        12        4         7        10 

17,5    37,4 

37,8    37,6    37,8    37,6    37,0 

$22  Schick,  Die  diagnostische 

Einstichreaktion  positiv.  Während  der  protrahierten  Reaktion  heftige 
Kopfschmerzen  in  der  rechten  Stirngegeod. 

Am.  19.  X.  neaerlich  Tuberkulin  in  der  Dosis  Ton  0,01. 

An  die  Injektion  —  fraglich,  ob  durch  dieselbe  bedingt  —  schloss 
-sich  eine  wesentliche  Yerschlimmerang  des  Zustandes  an.  Fat.  wurde 
Bomnolent»  bekam  eine  Reihe  Ton  Krampfanf&Uen.  Am  Morgen  des 
20.  X.  Gesicht  hochgerötet.  Schweissausbruch.  Blutsuflfusionen  an  der 
Injektionsstelle. 

unter  Zunahme  der  Erscheinungen  erfolgte  am  22.  X.  Exitus  letalis. 
Bei  der  Obduktion  fand  sich  ein  Himtuberkel  Ton  fast  Wallnussgrösse  in 
der  Gegend  der  Zentralwindung  rechts,  Thalamus  opticus,  Capsula  interna 
-und  Corpus  striatum),  ausserdem  Tbk.  der  Bronchialdrüsen  und  Lungen. 

8.  Thunhart  Valerie,  7  Jahre  alt,  machte  im  Jahre  1897  eine  Ge- 
len ksentzündung  durch.  Einige  Zeit  darauf  Klage  über  Herzbeschwerden, 
in  den  letzten  zwei  Monaten  Tor  dem  Spitalsaufenthalte  (28.  IX. — 26.  XI.  97) 
-Gesicht  gedunsen. 

Mutter  ist  lungenkrank,  starb  übrigens  später  an  Tuberkulose. 

Der  Fall  war  ausserordentlich  interessant  Fat.  zeigte  Symptome  Ton 
Morb.  Basedow.  Es  bestand  Tachycardie,  deutlicher  Exophthalmus.  Augen- 
Spiegelbefund  Neuritis  optica. 

Oberhalb  der  Herzd&mpfnng  war  eine  auf  derselben  aufsitzende 
Dämpfung  nachweislich  mit  Stenosengeräusch.    Fat.  war  fieberfrei. 

Am  8.  X.,  10  Uhr  vormittags  0,005  Tuberkulin. 

Temperaturverlauf: 

8.  X. 

9.  X. 

Nachts  war  Pat.  sehr  unruhig.  Kopfschmerzen.  Be- 
merkenswert war,  dass  das  Stenosengeräusch  nach  dieser  Injektion 
verschwindet,  um  dann  in  nur  geringem  Grade  wieder  zu  er- 
scheinen. 

Dies  konnte  wohl  auf  Einschmelzung  der  Drüsen  als  Aus- 
<lruck  der  entzündlichen  Reaktion  beruhen. 

Diese  Vermutung  wurde  bestätigt;  denn  Pat.  erkrankte  bald 
nach  der  Entlassung  mit  grosser  Mattigkeit,  Schlafsucht  und 
Unwohlsein.  Es  trat  zunehmende  Sehstörung  und  endlich  Amau- 
rose ein.  Am  15.  XII.  97  wurde  Pat.  bewusstlos.  Am  18.  XII. 
aufgenommen,  ergaben  sich  die  typischen  Symptome  einer  tuber- 
kulösen Meningitis  (in  der  Lumbalpunktionsflussigkeit  wurden 
auch  Tuberkelbazillen  nachgewiesen).  Am  19.  XII.  starb  Pat 
Bei  der  Obduktion  fand  sich  neben  Meningitis  tbc.  basilaris  das 
^anze  Paket  der  Bronchialdruse  zu  einer  dickflüssigen,  eitrigen 
Masse  zusammengeschmolzoD. 


12 

2         4         6         8        10       12{ 

36,6 

87,2    37,8    37,9    38,8    39.3    39,1 

2         4         8        12 

4             7 

38,7    88,6    88,8    37,5 

87,8         36,8 

Toberknlinreaktion  im  Kindesalter.  823* 

Diese  Fälle  Hessen  sich  darch  eine  Reihe  von  anderen  ver- 
mehren (siehe  Schlusstabelle),  and  sie  lehren  uns  bei  Patienten^ 
deren  tuberkulöse  Erkrankung  in  voller  Entwicklung  steht,  be- 
ziehungsweise eben  erst  abgelaufen  ist,  doppelt  vorsichtig  zu  sein. 
Es  wird  gut  sein,  in  solchen  Fällen,  namentlich  bei  eben  ab- 
gelaufenen Pneumonien  und  Pleuritiden  zweifelhaften  Charakters, 
die  Dosis  des  Tuberkulins  recht  klein  zu  nehmen. 

Mit  diesen  unangenehmen  Zufallen  im  Einklänge  steht  auch 
die  Tatsache,  dass  unter  fortgesetzter  sogenannter  therapeutischer 
Tuberkulininjektion  in  einzelnen  Fällen  der  tuberkulöse  Prozess  un* 
aufhaltsam  fortschreitet  bezw.  eine  miliare  Aussaat  der  Tuberkulose 
nicht  unmöglich  gemacht  wird.  Auch  über  solche  können  wir  berichten. 

Man  darf  auch  nicht  vergessen,  dass  es  für  ein  unter  Ein- 
wirkung der  tuberkulösen  Infektion  stehendes  Individuum,  das 
ohnehin  nicht  einmal  imstande  ist,  mit  den  produzierten  Stoff- 
wechselprodukten der  Tuberkelbazillen  fertig  zu  werden,  eventuell 
nicht  gleichgültig  sein  kann,  wenn  man  die  Toxinmenge  noch 
künstlich  vermehrt. 

Carl  Gross,  3*/ii  Juhre  alt,  varde  am  26.  IV.  97  wegen  Spondylitis 
tubercalosa  (Gibbus  in  der  Höhe  des  10.  Brastwirbels)  aufgenommen.  Seit 
8  Tagen  konnte  das  Kind  schwer  gehen  und  sitzen.  Die  Wirbelsftule  wurde 
ängstlich  fixiert. 

Die  erste  Injektion  erfolgte  am  7.  VI.  97,  8  Uhr  früh,  Dosis  0,0005. 
Um  12  Uhr  86,6.    Nachmittags  wieder  Wohlbefinden. 

Am  7.  Juli  wurden  therapeutische  Tuberkulininjektionen  begonnen.. 
Mit  kleinen  Dosen,  Viooo  mg  beginnend,  wurden  die  Injektionen  meist  in 
Intervallen  von  2  Tagen  bis  zum  23.  VII.  wiederholt  Am  23.  YII.  waren 
wir  bei  0,001  angelangt.  Während  die  früheren  Reaktionen  ohne  sichtbare- 
Symptome  verlaufen  waren,  erfolgte  hier  protrahierte  Reaktion  mit  Maximal- 
temperatur  von  38,8. 

Die  nächstfolgenden  Injektionen  waren: 

28.  VII.  abends  0,001  Tuberkulin. 


Temp. 

abends 

28.  VII. 

36,9 

29.     ^     86,6 

38,2 

30.     ,     86,7 

37,5 

31.      ,      36. 

Am     1.  VIII. 

neuerlich  0,001 

Reaktion  0. 

.      7.      . 

f» 

0,002 

n 

e. 

n      18.         . 

n 

0,003 

» 

88,4  (2  Tage  dauernd). 

n       4.   IX. 

Jt 

0,003 

D 

88,0  (.      „           ,       ). 

n       8.      , 

» 

0,003 

It 

87,8. 

.    21.     , 

n 

0,004 

» 

88,8. 

.    15.x. 

n 

0,0005 

n 

e. 

Bis  8.  Dezember  war  Patient  wieder  zu  Hanse. 


824  Schick,   Die  diagnostische 

Im  Dezember  neuerliche  Aufnahme.  Am  11.  XII.  0,0005 
Tuberkulin.  Diesmal  loste  die  früher  reaktionslos  verlanfende 
Dosis  durch  2  Tage  Fieber  bis  38,4  aus,  ein  Beweis  für  die  rasch 
wiederkehrende  Empfindlichkeit  des  Organismus  trotz  lange 
dauernder  Immunisierung. 

Im  März  des  Jahres  98  wurde  Calotsches  Redressement 
vorgenommen.  Der  Zustand  des  Patienten  verschlimmerte  sich, 
und  Pat.  ging  unter  Erscheinungen  einer  Meningitis  tuberculosa 
zugrunde.  (14.  III.  98.)  Bei  der  Sektion  fand  sich  Bronchial- 
drösen-,  Wirbel-  und  miliare  allgemeine  Tuberkulose. 

Trotz  monatelanger  Tuberkulinisierung  war  abo  dieser  Aus- 
gang nicht  unmöglich  gemacht. 

AngastiD  Hochegger,  9*/is  Jahre  alt,  warde  am  30.VI.  97  auf- 
genommen. Seit  2  Jahren  nnterleibsleidend.  Der  Bauch  ist  zeitweise  stark 
aufgetrieben.  Manchmal  besteht  Fieber.  Appetit  gering,  Stuhl  nnregel- 
mftssig.    Mutter  starb  an  Tuberknlose. 

Im  Abdomen  ist  freie  Flüssigkeit  nachweislich.  Hinten  oben  neben 
der  Wirbelsftule  bestehen  zirkumskripte  Dämpfungsbezirke.  Die  klinische 
Diagnose  lautete  Bronchialdrüsenphthise  und  Peritonitis  tuberculosa. 

Am  5.  VIL  um  9  Uhr  vormittags  0,001  Tuberkulin. 

Temperaturrerlauf: 

9        11        1         8         5         7         9        II 
0.  vii.      _,     _^    «^.     «^2    gg^^    g^.^    g^,y    g^^^ 


9 

11 

1 

86,4 

87,0 

87.4 

1 

8 

5 

89,4 

89,1 

88,4 

^         w         7 
fi    VIT  *  «*  w  I 

89,4    89,1    88,4    37,9. 

Im  Abdomen  keine  Reaktion. 

Nachdem  mittlerweile  die  Flüssigkeit  aus  dem  Abdomen  verschwunden 
war,  wurde  am  7.  YII.  mit  therapeutischen  Injektionen  begonnen.  Nichts- 
destoweniger trat  am  28.  VlI.  (es  war  dies  die  8.  der  Injektionen)  auf  0,00025 
Tuberkulin  eine  Temperatursteigerung  auf  89,2  ein,  das  Kind  klagte  über 
starke  Bauchschmerzen,  und  neuerlich  war  Flüssigkeit  im  Abdomen  nach- 
weislich (Lokalreaktion). 

Es  trat  also  trotz  Tuberkulinbehandlung  eine  Verschlechterung  des 
Zustandes  des  Pat.  ein. 

Damit,  dass  wir  nun  einzelne  Schäden  der  Tuberkulin- 
behandlung erwähnen,  wollten  wir  nicht  bezwecken,  die  guten 
Seiten  der  Tuberkulinreaktion  zu  verdunkeln,  sondern  neuerlich 
daran  erinnern,  das  Tuberkulin  nur  mit  Vorsicht  zu  verwenden, 
denn  selbst  ein  gutes  Mittel  kann  am  unrechten  Platze  schaden. 

Im  Gegenteile,  wir  verfugen  selbst  unter  unseren  Fällen 
über  eine  Anzahl  solcher,  wo  uns  das  Tuberkulin  bezuglich  der 
Diagnose  den  richtigen  Weg  wies,  und  insbesondere  dürften  jene 
Fälle  von    einigem  Interesse  sein,  bei   denen   der  Verdacht  einer 


Tuberkalinreaktion  im  Kindesdter.  826 

Tuberkulose  durch  den  negativen  Ausfall  der  Tuberkulininjektion 
seine  Berechtigung  verlor  und  der  weitere  Verlauf  der  Erkrankung 
zeigte,  dasr  die  Ausschliessung  der  Tuberkulose  den  Tatsachen 
entsprach. 

1.  Gottscheber,  Rosa,  2V4Jahre  alt,  krank  seit  den  ersten  Lebenstugen, 
wiederholt  Zuckungen,  Krampfzustände,  kann  nicht  gehen,  hört  nichts.  Spital- 
jtafenthalt  vom  21.  X.  1896  —  20.  II.  1897.  Am  26.  XI.  0,001  Tuberkulin. 
Reaktion  0. 

Am  20.  IL  starb  Fat.  Sektion  ergab  Sclerosis  cerebri  nach 
•encephalitischen  Herden.    Keine  Tuberkulose. 

2.  August  Lazarus  war  im  Jahre  1892  unter  Diagnose  Malum  Pottii 
in  SpitalsbehandluDg,  reagierte  das  erste  Mal  undeutlich  auf  Tuberkulin  0,001, 
später  negativ.  Weitere  Beobachtung  zeigte,  dass  die  Kyphose  der  Lenden- 
wirbelsftule  sicherlich  rhachitischen  Ursprunges  war.  Im  Jahre  1898  war 
Fat.  Tollkommen  gesund. 

8.  JosefWallner,6Jahrealt,  Spitalsanfenthaltvom  25.  Y.— 31.  VIL  1898« 
Fat.  litt  an  chronischem  Darmkatarrh.  Im  Spitale  Verschlimmerung.  £• 
trat  im  Stuhl  Blut  und  £iter  auf.  Starke  Abmagerung.  Wegen  Verdacht 
auf  Tuberkulose  0,0006  Tuberkulin,  am  28.  V.  0  Reaktion. 

Am  81.  VII.  starb  Fat  Bei  der  Obduktion  fand  sich  ein  chronischer 
Dickdarmkatarrh.    Keine  Tuberkulose. 

4.  Johann  Fachmann,  12Vii  Jahre  alt.  Seit  dem  3.  Lebensjahre  Ab- 
fuhren, Blässe,  im  Winter  immer  besseres  Befinden,  im  Sommer  besonders 
starke  Darmerscheinungen.  In  letzter  Zeit  starke  Abmagerung.  Abdomen 
aufgetrieben. 

(Spitalsbehandlung  im  September  1897.) 
Im  Stuhl  keine  Tuberkelbazillen. 

Am  25.  IX.  0,001,  am  30.  IX.  0,002  Tuberkulin.    Reaktion  0. 
Unter  Diätregelnng  heilt  die  Darrostörung  unter  Gewichts- 
zunahme von  2,75  kg. 

5.  Agathe  Fritz,  10  Monate  alt.  1.  Aufnahme  80.  IV.— 22.  V.  1S97. 
Fünf  Wochen  besteht  bei  der  Kleinen  eine  anfangs  kompakte  Dämpfung 
über  der  rechten  Lunge,  hierauf  tritt  reichliches  Knistern  auf,  das  Kind 
magert  unterdes  stark  ab,  so  dass  Verdacht  auf  Tuberkulose  bestand. 

Im  Spitale  bedeutende  Besserung. 

Am  12.  V.  0,001  Tuberkulin.     0  Reaktion. 

Am  22.  V.  entlassen,  erkrankt  Fat.  zu  Hause  alsbald  neuerlich  und  wird 
mit  ausgedehnten  lobulärpneumonischen  Herden  am  14.  VI.  1897  neuerlich 
aufgenommen.  Am  18.  VI.  Kxitus  letalis.  Bei  der  Obduktion  kon- 
fluierende Lobularpneumonieen,  keine  Tuberkulose. 

6.  Josef  Fettafek,  5'/)  Jahre  alt,  wird  im  Juli  1895  wegen  cirrhoti- 
scher  Fneumonie  des  linken  Unterlappens  aufgenommen. 

Die  zugrunde  liegende  Lungenerkrankung  trat  im  3.  Lebensjahre  zum 
ersten  Male  auf.     Seither  soll  Fat  manchmal  fiebern. 

Befund:  Links  hinten,  unten  vom  Angulus  scapulae  nach  abwärts 
Dämpfung,  Bronchialatmen.     Im  Sputum  keine  Tuberkelbazillen. 

Am  8.  VIL  1895  0,001.    0  Reaktion. 


826  S  e  h  i  c  k ,   Die  diagnostische 

Pat.  wird  mit  fast  oormalem  Lnngenbefand  entlassen.  Im  Jahre  190^ 
neuerdings  aufgenommen,  ist  der  Langenbefund  gleich. 

7.  Adele  Heidan,  8  Jahre  alt.  SpiUUaafenthalt  3.X  —  17.  XL  1895. 
Es  bestand  eine  ausgedehnte  Dämpfung  über  der  linken  Scapula  und  linkem 
Interscapularraum,  remittierendes  Fieber,  keine  Zerfallserscheinnngen,  trockene 
Lösung. 

Am  31.  X.  0,001,  am  2.  XL  0,002  Tuberkulin  lösten  keine  Reaktion  aus. 
Der  Verlauf  rechtfertigte    dieses  Verhalten.    Pat.  wurde   mit  geringer 
Schrumpfung  geheit  entlassen. 

8.  Friedrich  Walze,  5  Monate  alt,  wurde  am  22.  XIL  1897  mit 
kompakter  Dämpfung  und  Bronchialatmen  über  der  rechten  Lunge  auf- 
genommen. Während  der  Beobachtung  kein  Fieber,  es  konnte  bich  also  um 
abgelaufene  Lobnlärpneumonieen  der  rechten  Lunge  oder  um  Tuberkulose 
handeln.  Am  81.  XIL  0,0001  Tuberkulin  ohne  Reaktion.  Auch  die  am  3.  L 
neuerliche  Injektion  von  0,0005  verlief  ohne  Erscheinungen. 

Am  20.  I.  1898  starb  das  Kind.    Bei  der  Obduktion  keine  Tuberkulose. 

9.  Josef  Wall  n  er,  6  Jahre  alt,  aufgenommen  am  25.  V.  1898.  Chronische 
Diarrhoen  und  fortschreitende  Abmagerung.  Auch  während  der  Spitals- 
behandlung fortschreitende  Abmagerung.  Im  Stuhle  Eiter  und  Blut.  Am 
28.  V.  0,0006  Tuberkulin.    Keine  Reaktion. 

Pat  starb  am  81.  IIL  1898.  Bei  der  Obduktion  fand  sich  keine 
Tuberkulose.    Diagnose:  Catarrh.  intestini  crassi  chronicus. 

10.  Clara  Liebmann,  8  Monate  alt,  wurde  zum  ersten  Male  am 
4.  IV.  1898  wegen  Bronchitis  diffusa  (Verdacht  auf  Lungentuberkulose)  auf- 
genommen. Am  17.  IV.  gebessert  entlassen,  kam  Pat.  am  24.  IV.  neuerlich 
mit  beiderseitigen  pneumonischen  Infiltrationen  zur  Aufnahme. 

Die  am  15.  lY.  Torgenommene  Injektion  von  0,0001  Tuber- 
kulin rief  keine  Reaktion  herror,  trotzdem  der  Verdacht  auf 
Tuberkulose  deswegen  schon  berechtigt  erschien,  weil  Pat 
schwer  hereditär  belastet  war.  Mutter  hustet,  hatte  bereits 
Hämoptoen,  auch  die  Grossmutter  starb  an  Tuberkulose. 

Pat  starb  am  26.  IV.  Bei  der  Obduktion  fehlte  in  Überein- 
stimmung mit  dem  negativen  Ausfalle  der  Tuberkulinreaktion  Tuberkulose. 
Die  Obduktion  ergab  kompakte,  konfluierende  Pneumonieen  beider 
ünterlappen  mit  hämorrhagischen  Flecken  in  der  Pleura. 

Letzterer  Fall  gehört  in  die  Gruppe  der  von  Epstein 
hervorgehobenea  Fälle,  die  als  Beweis  dafür  gebracht  werden^ 
dass  trotz  schwerer  hereditärer  Belastung  Tuberkulose  fehlen 
kann,  dass  also  die  tuberkulöse  Erkrankung  auch  hereditär  schwer 
belasteter  Kinder  erst  nach  der  Geburt  acquiriert  wird. 

Andererseits  ist  es  jedoch  ebenso  wichtig,  namentlich  in 
Bezug  auf  die  Prognose,  wenn  durch  den  positiven  Ausfall  der 
Tuberkulinreaktion  die  Diagnose  zugunsten  der  Tuberkulose  ent- 
schieden wird. 

Wir  wollen  nur  einen  besonders  prägnanten  Fall  hervor- 
heben,   der    uns    deshalb    wichtig    erscheint,  weil  die  Diagnosen 


TaberknlinreaktiOD  im  KiDdesalter.  827 

Tuberkulose  in  diesem  Falle  nacli  dem  Ablauf  der  Erkrankung 
noch  gestützt  werden  konnte,  wodurch  natürlich  die  Beurteilung 
des  ganzen  Erankheitsprozesses  wesentlich  geändert  wurde. 

Ella  Weissnegger  war  unter  hohem  telb  remittierendem,  teils 
kontinoierlichem  Fieber  erkrankt.  Über  den  Langen  wenig  Erscheinungen, 
1.  h.  0.  etwas  Bronchialatmen,  bald  fehlt  Rasseln,  bald  findet  sich  massig 
reichliches  Rasseln  über  beiden  Langen.  Dabei  bestehen  ansgesproehen 
typhöse  Erscheinangen,  Benommenheit,  Delirien.  Spitalsaufenthait  t.  16.  IIL 
bis  6.  VII.  95. 

Mitte  Jani  Entfieberung.  Diagnose  lautete  Tubercalosis  pulmonum 
mit  miliarer  Aussaat. 

Am  1.  VII.,  10  Uhr  Vm.  0,001  Tuberkulin. 

Starke    Einstichreaktion:    Injektionsstelle    gerötet,    geschwellt    heiss. 


Starke  Cyanose. 

Temperatur: 

10 

12       2        4        6        8       10      12 

36,9 

87,7  87,7   88,4   88,5  89,0  88,5  88,0 

2 

4         8 

87,4 

87,6   88,5    nachmittags  noch  88,8. 

Fat.  wird  mit  physikalisch-normalem  Lungenbefund  entlassen. 

Im  Jahre  1896  starb  Fat.  Die  Sektion  ergab  miliare  Tuberkulose  der 
Lungen. 

Stefanie  Strujl,  8^/4  Jahre  alt,  wurde  zum  erstenmale  am  17.  III.  99 
mit  typhnsyerdächtigen  Erscheinungen  aufgenommen.  Da  Gruber -Widal 
1 :  80  positiv  war,  neigten  wir  mehr  der  Diagnose  Typhus  zu,  obwohl  wir 
schon  damals  an  Tuberkulose  dachten.  Am  11.  IV.  entlassen,  wurde  Fat.  am 
18.  IV.  zum  Zwecke  der  Tuberkulinprüfung  neuerlich  aufgenommen. 

Am  20.  IV.  erhielt  Fat.  0,0005  Tuberkulin  (10  Uhr  Vm.). 

TemperaturTcrlauf: 

20.  IV.  8      12      4       7      10 

87,1  88,2  88,7  89,0  B^S 

21.  IV.  1       5       8 

88,0  8^,8 

Positiye  allgemeine  Reaktion. 

Unter  Schweissausbrneh  Abfall  der  Temperatur. 

Am  8.  V.  wurde  das  Kind  entlassen.  Damach  war  es  14  Tage  wohl. 
Es  erkrankte  nunmehr  neuerlich  mit  Fieber,  Hinfälligkeit,  Husten,  magerte 
rasch  ab. 

Am  14.  VI.  kam  Fat.  wieder  zur  Aufnahme.  Jetzt  ergaben  sich  aus- 
gedehnte Infiltrationsbezirke  rechts  hinten,  fast  die  ganze  Lunge  einnehmend, 
nur  die  Spitze  war  frei.    Reichlich  Rasselgeräusche. 

Durch  12  Tage  bestand  hohe  Gontinna,  dann  noch  durch  einige  Tage 
subfebrile  Temperaturen,  worauf  Entfieberung  erfolgte.  Die  Dämpfung  rechts 
hinten  blieb  bestehen. 

In  diesem  Falle  hatte  die  positive  TuberkuUnreaktion  scbon 
längst  TOT  den  klinisch  sicheren  tuberkulösen  Veränderungen  die 
tuberkulöse  Natur  der  Erkrankung  bewiesen. 

Jahrbuch  Ilir  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    Helt  6.  ^ 


828  S  0  h  i  0  k ,   Die  diagnostische 

Gerade  in  der  Gruppe  der  zweifelhaften  diagnostisch  un- 
sicheren Fällen,  wo  dem  Arzte  jedes  Symptom  mehr  für  eine 
Erkrankung  willkommen  ist,  findet  in  vielen  Fällen  das  Tuber- 
kulin seine  richtige  und  wertvolle  Anwendung. 

Es  muss  jedoch  dabei  berücksichtigt  werden,  dass  der  positive 
Ausfall  der  Tuberkulinreaktion  nichts  anderes  beweist,  als  dass 
der  betreffende  Patient  tuberkulös  infiziert  ist,  bezw.  war.  Ob 
die  fragliche  Erkrankung  selbst  tuberkulöser  Natur  ist,  muss  erst 
die  genaue  Überlegung  zeigen,  und  manchmal  ist  die  Entscheidung 
schwer,  ob  nicht  neben  der  in  Frage  stehenden  Erkrankung 
irgendwo  im  Organismus  ein  anderer,  vielleicht  sogar  schon  ab- 
gelaufener tuberkulöser  Prozess  die  Empfindlichkeit  auf  Tuber- 
kulin bedingt. 

Schon  theoretisch  leuchtet  es  ein,  dass  diese  in  der  Be- 
urteilung beim  Kinde  in  viel  geringerem  Grade  vorhanden  und 
um  so  kleiner  ist,  je  jünger  das  Kind  ist. 

Mit  steigendem  Lebensalter  nimmt  genannte  Schwierigkeit 
imnier  mehr  zu,  entsprechend  der  intensiven  Verbreitung  uod 
Häufigkeit  der  Tuberkulose. 

Darin  liegt  ein  weiterer  Vorteil  für  den  diagnostischen 
Wert  der  Tuberkulinreaktion  im  Kindesalter. 

Am  Schlüsse  lassen  wir  in  kurzen  Auszügen  die  hier  nicht 
erwähnten  Fälle  in  einer  Tabelle  geordnet  folgen  und  heben  als 
Ergebnis  unserer  Arbeit  hervor: 

1.  Das  Alttuberkulin  ist  mit  entsprechend  vor- 
sichtiger Dosierung  angewendet  ein  wertvolles  dia- 
gnostisches Hilfsmittel, 

2.  Die  Tuberkulinreaktion  des  Kindes  zeichnet  sich 
gegenüber  der  des  Erwachsenen  durch  die  Intensität 
und  relative  Häufigkeit  der  Stichreaktion,  die  als 
spezifisch  aufzufassen  ist  und  durch  die  Häufigkeit 
der  protrahierten  Reaktion  aus. 

Viscer  alt  uberku  lose. 

No.  1.  R.  K.,  7  J.,  12.  VII.  bis  17.  X.  1895.  Gestorben.  Tabercalosia 
peritonei.  Seit  Frühjahr  kräoklich.  Stahl  anregelmässig,  Abmageraog, 
Schmerzen  im  Baache,  welcher  an  Umfang  zunimmt  Starke  Nach tsch weisse. 
Schwester  der  Pat.  starb  am  16.  VII.  1895  an  Tabercalosis  peritonei.  —  Das 
Kind  war  ausserordentlich  schwächlich,  stark  abgemagert.  Dräsenschwellan^^en 
am  üalse.  Links  oben  über  der  Lungenspitze  kürzerer  Schall.  Das  Abdomen 
gespannt,  hart  sich  anfühlend;  freie  Flüssigkeit  nachweislich. 


Tuberkalinreaktion  im  Kinddsalter.  829 

Inj.  17.  YII.  0,001.  Nach  10  Standen  Temperatur  38,7.  Positive 
Reaktion.  Unter  fortschreitendem  Kr&fteverfall  starb  Fat.  am  17.  X.  1895. 
Sektion  ergab  Tbc.  puim.  apiois  sinistri,  Tbc.  peritonei,  intestini 
et  Tbc.  chron.  glandal.  Lymphatic.  mesent.  et  brouch. 

No.  2.  Tb.  Tr.,  12  J.,  1.  Vlll.  bis  28.  IX.  1895.  Gestorben.  Tnber- 
calosis  peritonei  et  intestini.  Immer  schw&chlioh  gewesen.  Nach  Scharlach 
wiederholt  Ödeme.  Seit  Herbst  1894  Bancbschmerzen,  Yergrösserang 
des  Abdomens.  Yorwöibung  in  der  Nabelgegend.  Starke  Nachtschweisse, 
Abmagerung,  unregelmässiger  Stuhl.  —  Drusenschwellung  am  Halse.  Str&uge 
im  Abdomen  tastbar.    Subfebrile  bezw.  normale  Temperaturen. 

Inj.  10.  VIII.  0,001.  Protrahierte  Reaktion  durch  drei  Tage. 
Temperaturmaximam  39,5. 

Unter  fortschreitender  Abmagerung  und  Marasmus  Exitus.  Sektion 
ergibt  Tuberculosis  peritonei  et  intestini. 

No.  8.  H.  J.,  8»/4  J.,  4.  V.  bis  16.  V.  1899,  Peritonitis  tuberc.  Seit  drei 
Monaten  Abmagerung,  Schwäche,  zunehmende  Appetitlosigkeit.  Starke  Auf- 
treibung  des  Bauches.  Fibrinöse  Stränge  sind  palpabel,  dabei  besteht 
Meteorismus  mit  brettartiger  Spannung  des  Abdomens.  Uoregelmässiger 
Stuhlgang.     Kein  Fieber. 

Inj.  10.  Y.  0,001.  Protrahierte  Reaktion  durch  zwei  Tage. 
Tomperaturmaximum  39,8;  Keine  sonstigen  Beschwerden.  Am  12.  YI.  starb 
Pat.  an  Tuberculosis  pulmon.  laut  Zeitungs-Totenliste. 

No.  4.  L.  D.,  10»/ia  J.,  18.  XI.  bis  1.  XII.  1899  I.  Aufnahme,  30.  Y. 
bis  9.  YI.  1900  II.  Aufnahme.  Peritonitis  tnberc.  Seit  dem  5.  Lebensjahre 
nach  Masern  und  Pertussis  immer  kränklich.  Häufig  Schmerzen  im  Bauche, 
im  letzten  Jahre  häufiger  und  stärker.  Pat.  leidet  an  Yerstopfung.  Seit 
Sommer  wird  der  Bauch  grösser.  In  der  Familie  d^r  Mutter  mehrere  Fälle 
von  Tuberkulose.    Keine  objektiven  Symptome.    Fieberfrei. 

Inj.  23.  XI.  0,001.  Intensire  positive  Reaktion  mit  Temperatur- 
maximum  von  40®  14  Stunden  p.  inj.  Tagsüber  matt,  starker  Schweiss. 
Am  24.  XI.,  morgens,  leichtes,  schmerzhaftes  Infiltrat  und  Rötung 
an  der  Injektionsstelle.  Schwellung  und  Rötung  hält  bis  zum 
30.  XI.  an.    Diaporeaktion  positiv. 

Inj.  5.  YI.  0,001.    Positive  Reaktion  mit  geringeren  Erscheinungen. 

'  No.  5.  M.  E.,  10  J.,  I.  Aufnahme  24.  YIII.  bis  19.  IX.  1897.  Peri- 
tonitis  tnberculosa.  Schmerzen  in  der  Coecalgegend,  Anämie.  Yater  an 
Tuberkulose  gestorben.    Ein  Bruder  wegen  Tuberkulose  im  Spitale. 

Inj.  4.  IX.  0,0005.    Nachmittags  Temperatur  37,5. 

Inj.  8.  IX.  0,001.  Protrahierte,  durch  3  Tage  idauernde  posi- 
tive Reaktion.     Temperaturmaximum  39,7  14  Stunden  p.  inj. 

9.  IX.  Während  der  Reaktionszeit,  sowie  heute  früh  heftige  Kopf- 
und  Banchschmerzen.  Iloocoecalgegend  druckempfindlich.  Schwellung 
und  Rötung  der  Injektionsstelle,  die  erst  am  12.  IX.  vollständig 
geschwunden  ist. 

ir.  Aufnahme  15.  IV.  bis  27.  IV.  1899  (12»/„  J.).  Nur  objektive  Klagen 
derselben  Art  wie  vor  2  Jahren. 

54* 


880  Schick,   Die  diagnoBtische 

Inj.  21.  IV.  0,0005.  Ohne  Fieber  bereits  am  Morgen  des  22.  Schwellang 
und  Rotnng,  sowie  Schmershaftigkeit  der  Injektionsstelle.  Die  Sehwelluog 
nimmt  am  28.  noch  za,  die  Injektionsstelle  fühlt  sich  heiss  an  and  ist  sehr 
schmerzhaft.  Von  da  ab  Abnahme  der  Intensität  der  Einstichreaktion ;  noch 
am  27.  IV.  sieht  man  leichte  Rötang  der  Injektionsstelle. 

Am  22.  stellt  sich  auch  Temperatarreaktion  ein  and  erreicht  am  3  Uhr 
nachmittags  89,0. 

No.  6.  E.  K.,  8  J.,  5.  VI.  bis  15.  VII.  1899.  Peritonitis  tabert.,  Infiltr. 
palm.  Seit  Dezember  1898  krank.  Damals  Peritonitis.  Der  Baach  wurde  immer 
grösser,  besonders  in  den  letzten  14  Tagen.  Seit  heute  Ödeme  der  F&sse* 
Vater  war  früher  lungenkrank. 

Freie  Flüssigkeit  im  Abdomen  nachweislich.  Über  beiden  Spitzen 
kürzerer  Schall.  Remittierendes  Fieber.  Nachdem  Pat  entfiebert,  worde 
Taberkalin  injiziert. 

Inj.  15.  VI.  0,0005.  Protrahierte  Reaktion  durch  einige  Tage. 
£s  macht  den  Eindruck,  als  ob  durch  die  Injektion  eine  neue  Fieberperiode 
angefacht  worden  w&re  (Temperatarmaximum  89,0). 

Laparotomie.  Bei  derselben  erweist  sich  die  Flüssigkeit  stark 
getrübt.  Das  Peritoneum  erscheint  injiziert,  insbesondere  das  Netz.  Hier 
findet  sich  miliare  Aussaat  Heilung  der  Bauchwunde  per  primanu  Pat. 
starb  im  Herbst  1899  ausserhalb  des  Spitals. 

No.  7.  M.  H.,  18  J.,  27.  11.  bis  18.  V.  1899.  Peritonitis  chronica  (TbL). 
Seit  3i  Jahren  spärlicher  Auswarf.  Schwellung  des  Abdomens  seit  einem 
Jahre,  die  der  Fasse  erst  in  letzter  Zeit.  Bei  der  Aufnahme  reichlieh  freie 
Flüssigkeit  im  Abdomen.    Nabel  yerstrichen.    Bauchumfang  82  cm. 

Rechts  im  Bereiche  des  Unterlappens  Dämpfung,  abgeschwächtes 
Atmen  (Pleuritis).  Im  Sputum  nach  Biedertscher  Einengung  einzelne 
Tuberkelbazillen.    Abdomen  wird  punktiert;  dabei  2150  g  entleert. 

Inj.  9.  III.  0,002.  Positive  Reaktion.  Innerhalb  12  Stunden 
Temperaturanstieg  aaf  89,9. 

Laparotomie:  Entleerung  Ton  5—6  l  Flüssigkeit.  Heilung  per 
primam.  Ascites  kommt  wieder  nach.  Tierversuch  mit  Ascitesflüssigkeit 
negativ. 

No.  8.  J.  P.,  8Vt  Mon.,  12.  IV.  bis  25.  IV.  1898.  Gestorben.  Taber- 
culosis  pulmonalis.  Ausgedehnte,  hauptsächlich  auskultatorische  Lungen- 
Veränderungen  links,  klingendes  metallisches  Rasseln,  Bronchophonie  etc. 
Bazillen  «f-. 

Inj.  15.  IV.  0,0001.  Positive  Reaktion:  Temperaturmazimum 
18  Stunden  p.  inj.  88,6. 

Sektion  ergab:    Sehr  grosses  Infiltrat  der  linken  Lunge,  aus- 
gehend von  verkästen  Bronchialdrüsen. 
Kavernenbildung  im  rechten  Mittellappen. 

N0>  9.  M.  L.,  l*/i,  J.,  2a  X.  1897  bis  12.  IL  1898.  Tuberculosis 
pulm.  Schwere  hereditäre  Belastung,  Grossvater  tuberkulös^  ebenso  Onkel. 
$eit  dem  4w  Lebensmonate  hustet  Patientin.  Über  beiden  Lungen  klingendes 
Rasseln,  besonders  in  den  basalen  Partien  hinten. 


TttberkaiinreaktioD  im  KiDdesalter.  831 

inj.  26.  X.  0,0002.  Protrahierte,  darch  48  Standen  daaernde 
poBitive  Reaktion.    Temperatarmaximam  38,8. 

Rötung  und  Infiltration  der  Inj ektionss teile  (SticJiroaktioo). 

Von  da  ab  wurde  Pat.  therapeutisch  wiederholt  injiziert,  im  ganzen 
15  mal.  Pat.  starb  nichtsdestoweniger  bald  nach  der  Entlassung  (15.  IL  1898). 

No.  10.  £.  F.,  12V>  J.,  I.  Aufnahme  5.  lY.  bis  9.  IV.  i896,  II.  Auf- 
nahme 18.  IV.  bis  21.  IV.  1896,  III.  Aufnahme  8.  VII.  bis  18.  VII.  1896. 
Infiltr.  pulm.  tuberc.  Pat.  hustet  seit  längerer  Zeit.  Objektiv  leichte  In- 
filtrationserscheinungen über  der  rechten  Lunge. 

Links  Torne  oben  deutlich  k&rzerer  Schall,  bronchiales  Exspirium, 
nachts  Schwitzen.  Etwas  Sputum  ohne  Bazillen. 

Inj.  7.  IV.  0,001.    Negativ. 

Inj.  16.  IV.  0,0015.  Positive  Reaktion.  11  Stunden  p.  inj.  höchste 
Temperatur  39,9,  nachts  Kopfschmerzen,  unruhiger  Schlaf,  keine  Veränderung. 

No.  11.  M.  T.,  l'o/is  J.,  4.  II.  bis  15.  IL  1896.  Tuberculosis  pulmon. 
Rechts  vorne  unten  sowie  rechts    hinten   unten  D&mpfung.    Bronchialatmen. 

Inj.  8.11.0,0002.  Protrahierte,  durch  48  Stunden  dauernde 
positive  Reaktion.    Temperatnrmaximum  39,3. 

Dabei  nahm  die  D&mpfung  rechts  hinten  unten  zu,  es  treten  ziemlich 
reichlich  klingende  Rasselgeräusche  auf  (Lokalreaktion}.  Harn  Diazo- 
reaktion  -f*. 

Patientin  starb  6  Wochen  später  an  Meningitis  tnberculosa 
zu  Hause. 

No.  12.  P.  H.,  10%9  J.,  23.  IL  bis  19.  III.  1899.  Tuberculosis  pulm. 
Vor  4  Wochen  akuter  Beginn  der  Erkrankung  mit  pneumonischen  Er- 
scheinungen.   Rückbildung  jedoch  protrahiert. 

Links  hinten  von  der  Scapnla  nach  abwärts  Dämpfung  und  Bronchial* 
atmen.    Sputum  0  Bazillen. 

Im  Beginne  der  Beobachtung  hohe  Temperaturen.  Vom  3.  111.  an 
fieberfrei. 

Inj.  7.  IIL  0,0008.  Positive  Reaktion.  9  Stunden  p.  inj.  40,6. 
Gebessert  entlassen. 

No.  18.  J.  W.,  14  Mon.,  18.  V.  bis  3.  VL  1899.  Tuberculosis  pulm. 
Seit  4  Wochen  krank.  Beginn  plötzlich  mit  Fieber,  Schüttelfrost,  Atem- 
beschwerden. 

Kompakte  Dämpfung  über  der  rechten  Lunge,  Bronehialatmen.  Während 
des  Spitalaufenthaltes  hie  und  da  nachmittags  massiges  Fieber. 

Inj.  29.  V.  0,0005.    Positive   Reaktion.    Temperaturmazimum   39,3. 

No.  14.  M.  R.,  6s/,9  J.,  26.  I.  bis  3.  IIL  1898.  Tuberculosis  pulmon. 
Beginn  akut  mit  Erscheinungen  einer  croupösen  Pneumonie  (Schüttel- 
frost etc.). 

Rechts  im  Bereiche  des  Unterlappens  kompakte  Dämpfung,  Bronchial- 
atmen, klingendes  Rasseln.  Anfangs  hohe  Continua,  später  intermittierendes 
Fieber.    Lösungserscheinungen  ziehen  sich  lange  hin. 

Inj.  22.  IL  0,0005.  Intensive  positive  Reaktion.  Nach  12  Stunden 
'Temperatarmaximum  40,2.  Pat.  war  dabei  ausserordentlich  matt  Puls  140, 
Respiration  frequent.  Stechende  Schmerzen  in  der  rechten  Seite  (Lokal- 
reaktion). 


832  Schick,   Die  diagnoatische 

Pat.  war  seit  ihrer  EntlassaDg  bis  zum  Jahre  1902  noch  yiermal  in 
SpitaUbehandlang.  In  diesem  Jahre  starb  Pat.  Die  Sektion  ergab  aus- 
gedehnte Taberkalose  der  Langen,  des  Darms  und  des  Peri- 
toneame. 

No.  15.  M.  K.,  11  J.,  9.  X.  bis  9.  XI.  1896.  Taberculosis  palm.  et 
gland.  bronch*    Über  beiden  Spitzen  klingendes  Rasseln. 

Inj.  18.  X.  0,0005.     Keine  Reaktion. 

Inj.  21.  X.  0,001.  Positive  Reaktion.  Temperatarmaximum  39,8. 
Pat.  erkrankte  hierauf  an  Masern.     Wurde  gebessert  entlassen. 

No.  16.  G.  P.,  13"/i>  J.>  21.  IV.  bis  5.  YII.  1900.  Tuberculosis  palm. 
Serositis  multipl.  Seit  10  Tagen  Stechen  in  der  Brust,  Hasten;  seit  8  Tagen 
Fieber,  bettlägerig. 

Befund:  Rechts  in  der  Höbe  der  Mammilla  sowie  in  der  Azilla  pleu- 
ritisches  Reiben,  zunehmende  D&mpfungsbezirke  im  Bereiche  der  rechten  Lange. 

Inj.  28.  Y.  0,0007.  Diese  Dosis  löst  keine  Temperatnrreaktion 
ans,  dagegen  zeigt  sich  an  der  Injektionsstelle  und  deren  Um-* 
gebung  leichte  Rötung  und  Schwellung. 

Inj.  2.  VI.  0,001.  Diesmal  protrahierte,  durch  48  Stunden  an- 
daaerndc  positive  Reaktion.  Temperaturxnazimum  38,6.  Gebessert 
entlassen. 

No.  17.  F.  Seh.,  4%i  J.,  16.  XL  bis  8.  XIL  1897.  Tuberc.  pulmon. 
(Splenopneumonie).  Seit  14  Tagen  stechende  Schmerzen  in  der  rechten 
Seite.  Am  12.  XI.  plötzlich  Verschlechterung,  Erbrechen,  Schüttelfrost,  Fieber, 
Kopfschmerzen.  Nachts  Unruhe,  Aafschreien,  andauernde  Schmerzen  in  der 
rechten  Seite. 

Befund:  Rechte  vorne  im  Bereiche  des  Mittellappens  sowie  rückw&rts 
im  Bereiche  des  Unterlappens  Seh  all  Verkürzung  und  bronchiales  Atmen. 
Anfangs  remittierendes  Fieber,  vom  19.  XI.  jedoch  fieberfrei. 

Inj.  28.  XL  0,0005.  Nach  7  Stunden  38,8.  Die  Reaktion  verl&uft 
protrahiert,  durch  4  Tage  Fieber. 

Am  1.  XII.  Rötung  und  Infiltration  der  Injektionsstelle.  Mit  nnver- 
&ndertem  Lungenbefund  entlassen. 

No.  18.  J.  C,  2*/„  J.,  27.  IL  bis  31.  IIL  1896.  Tuberculosis  nni- 
versalis.  Hasten  seit  einem  Jahre,  Abmagerung.  Blutig*eitrige  Stuhle  seit 
einem  Monat.    Vater  lungenleidend. 

Befund:  Rechtsseitige  Lungeninfiltration.  Im  Verlaufe  meningeale 
Symptome,  Nackenstarre,  Bewusstlosigkeit  etc. 

Inj.  1.  IIL  0,00L    Positive  schwache  Reaktion  (38,2). 

Pat.  starb.  Bei  der  Obduktiou  Lungentuberkulose.  Tuberkulöse  Aus- 
saat in  allen  Organen. 

No.  10.  F.  P.,  7  J.,  25.  X.  bis  5.  XL  1896.  Tuberculos.  pulm.  Wegen 
Nephritis  im  selben  Jahre  in  Behandlang.  Jetzt  klagt  Pat.  über  Kurzatmig- 
keit.   Beginn  der  Beschwerden  im  Frühjahre.  • 

Rechts  vorne  und  rechts  hinten  unten  kürzerer  Schall,  bronchiales 
Exspirum,  abgeschwächter  Pectoralfremitus. 

Inj.  27.  X.  0,001.  Positive  Reaktion.  An  der  Injektionsstelle 
leichte,  wenig  schmerzhalte  Rötung  und  Schwellung  (Einstich- 
reaktion). 


Taberkalinreftktion  im  Eindesalter.  833 

Inj.  1.  XL  0,0015.  Reaktion  fällt  inteofliver  ans.  Temperatur  steigt  aaf 
89,7  innerhalb  10  Stunden.  Dabei  Pals  freqnent,  klein.  Nebst  der  starken 
allgemeinen  Reaktion  macht  sich  aach  eine  Lokalreaktioo  über  den  Lungen 
bemerkbar.  Fat.  hustet  andauernd  und  heftig,  expektoriert  ein  münzen- 
förmiges, geballtes,  schleimig-eitriges,  stellenweise  von  rotbraunen  Striemen 
durchzogenes  Sputum  aas.  Tuberkelbazillen  negativ.  2  mal  Erbrechen.  Am 
2.  XL  Wohlbefinden. 

Ko.  20.  E.  W.,  9  J.,  I.  Aufnahme  5.  VL  bis  16.  VL  1897,  IL  Auf- 
nahme 1898/99,  am  6.  IIL  gestorben.  Peritonitis  tnberculosa.  Schwere  here- 
ditäre Belastung.  Eltern  und  eine  Schwester  starben  an  Tuberkulose.  Fat. 
seit  4  Monaten  kränklich.     Kältegefühl,  Leibschmerzen,  Abführen,  Anorexie. 

Inj.  7.  VI.  0,0005.  Fositiye  Reaktion.  Temperatur maxim um 
13  Stunden  p.  inj.  89,7.  Während  der  Reaktion  starke  Cjanose,  erhöhte 
Fuls-  und  Respirationsfrequenz. 

Sektion:  Darmtuberkulose  (mächtige,  ringförmig  zerfallene  Geschwüre, 
Verkäsung  der  Mesenterialljmphdrüsen).  Langen  frei.  Einige  Bronchial- 
drüsen  verkäst. 

No.  21.  R.  K.,  5  J.,  28.  IIL  bis  12.  IV.  1896.  Feritonitis  tuberculosa. 
Etwas  Hasten.  Seit  einem  Monat  Schmerlen  im  Bauche.  Meteorismus.  Ge- 
ringe Menge  Flüssigkeit  nachweislich.     Subfebrile  Temperaturen. 

Inj.  28.  IIL  0,0002.    Fositiye  Reaktion  (88,8). 

No.  22.    A.  H.,  9Vis  J-    Feritonitis  tubercul.    Siehe  Seite  824. 

No.  28.  M.  H.,  3»/„  J.,  5.  III.  bis  20.  IIL  1898.  Fleuritis  serosa. 
Rechtsseitige  Pleuritis  mit  serösem  Exsudat  (Frobepunktion).  Fat.  hatte  be- 
reits das  Bett  verlassen,  war  recht  frisch. 

Inj.  15.  III.  0,0004.  In  6  Standen  400.    Fositive  schwere  Reaktion. 

Während  der  Fieberakme  war  Fat.  sehr  matt.  Heute  früh  (16.  III.) 
Erbrechen.  Fuls  und  Respiration  dyspnoisch.  Am  16.  III.  hellrotes  Exan- 
them, aus  winzigen  Stippchen  zusammengesetzt,  welche  stellenweise  zu  un- 
regelmässigen Flecken  konfluieren. 

Lokalisation:  Ad  nates  Streckseite  der  Unterschenkel,  obere  Extremi- 
täten und  Hand  symmetrisch  auf  der  Beugefläche  beider  Vorderarme. 

Geheilt  entlassen. 

No.  24.  C.  S.,  8V4  J.,  7.  IIL  bis  29.  IIL  1898.  Fleuritis  serosa.  Rechts- 
seitige seröszellige  Fleuritis  mit  typischem  Befund. 

Inj.  23.  VI.  0,0006.  Frotrahierte,  durch  48  Stunden  andauernde 
Reaktion.    Temperaturmaximum  6  Stunden  p.  inj.  40. 

Leichte  Stichreaktion.    Am  23.  VL  nachmittags  grosse  Mattigkeit. 

No.  25.  J.  S.,  9«/i,  J.,  L  Aufnahme  27.  XL  bis  26.  XII.  1897,  IL  Auf- 
nahme 31.  XII.  bis  5.  I.  1898.  Fleuritis  serofibrinosa  auf  tuberkulöser  Grund- 
lage.   Rechtsseitige  Fleuritis.     Gytisch  abfallendes  hektisches  Fieber. 

Inj«  8.  XII.  0,001.  In  6  Stunden  Temperaturmaximum  39,6. 
Fositive  Reaktion.    Geringe  Rötung  an  der  Einstichstelle. 

Befund  gleich. 

No.  26.  «r.  B.,  7Vj9  J.,  10.  III.  bis  24.  III.  1898.  Fleuritis  tnberculosa. 
Schwere  tuberkalöse  Belastung.  3  oder  4  Gsschwister  an  Tuberkulose  ge- 
storben.    Seit  einem  Jahre  kränklich.    Fieberlos.    Rechtsseitige  Pleuritis. 


No.  28. 

M.  K.,  12»/4  J. 

No.  20. 

A.  W.,  8»/«  J. 

Mo.  80. 

M.  K.,  5»/„  J. 

No.  81. 

C.  St.,  9«/i.  J 

834  S  0  h  i  0  k ,   Die  diagnostisohe 

Inj.  18.  III.  0,0005.  Positive  Reaktion.  Temperatarmaximam  88,8, 
9  Stonden  p.  inj. 

No.  27.  J.  K.,  7*/it  J.,  24.  XI.  bis  U.  XII.  1897.  Plearitis  serosa  dextra 
tabercnl.  Mit  8  Jahren  sehr  schwere  LangenentzQndong.  Seither  immer 
kränklich.  In  den  letzten  6—7  Wochen  starke  Abmagerung.  Klagen  fiber 
Stechen  auf  der  rechten  Brasth&Ifte,  trockener  Hasten,  ohne  Exspektoration. 
Kachtschweisse  nnd  n&chtliches  Fieber,  Delirien.  Besuchte  bis  heute  die  Schale. 

Befand:  Rechtsseitige  Pleuritis  mit  geringem  Exsudat,  Reiben. 

Inj.  l.  XII.  0,0005.    Keine  Reaktion. 

Inj.  8.  XII.  0,001.  Positive  allgemeine  Reaktion.  Ten>peratarmaximam 
nach  8  Stunden  40,5. 

Pleuritis  serosa.    Siehe  Seite  821. 
Tuberculosis  pulm.    Siehe  Seite  827. 
Tuberculosis  pulm.    Siehe  Seite  820. 
11.  X.   bis   25.  XI.  1897.    Perioarditis   sero- 
fibrinosa.    Zwei  Geschwister   und   Mutter  an  Tuberkulose  gestorben.    Vater 
lungenkrank.  Links  oben  Infiltrationserscheinungen.   Nach tsch weisse.  Anfangs 
grosse  Herzdftmpfung.     Pericardiales   Reiben.     Sp&ter  An&mie,   systolische 
Einziehungen   in    der  Herzgegend.    Verkleinerung  der  Herzd&mpfong  (Con- 
cretio  cordis  cum  pericardio). 

Inj.  1.  XI.  0,0009.  Protrahierte,  bis  zum  4.  XI.  andauernde  Fieber- 
reaktion mit  maximaler  Temperatur  von  88,7;  Mattigkeit.  Leichte  Einstich- 
reaktion. 

No.  82.    J.  L.,  2>/it  J.,  17.  IV  bis  25.  IV.  1898.    Meningitis  tuberculoaa. 
Typischer  Verlauf.    Tuberkelbazillen  in  der  Punktionsflüssigkeit  +. 
Inj.  28.  IV.  0,0008.    Keine  Reaktion. 

Inj.  24.  IV.  0,001.    Positive  Reaktion  (88,8).    Pat.  starb. 
Sektion    ergab    die   Bestätigung    der    klinischen    Diagnose,    daneben 
Bronchialdrüsenphthise  mit  Einbruch  in  eine  Lnngenvene. 

EDochen-  and  Gelenkstuberkulose.. 

No.  88.    F.  K.,  14  J.,  1897.    Goxitis  tuberculosa. 

Inj.  0,001.  Protrahierte  positive  Reaktion,  durch  48  Stunden 
andauernd.    Temperatnrmaximnm  88,4. 

Im  Juli  1898  ausgeheilt. 

No.  84.    F.  W.,  2Vs  J.    Spondylitis  tuberc. 

Inj.  0,0003.    Undeutliche  Reaktion  auslösend. 

Inj.  0,0005.    Positive  Reaktion  (88,8). 

No.  85.  F.  6.,  8  J.,  24.  VI.  bis  I.  VIIL  1895.  Spondylitis  tuberc, 
Senkungsabszess.  Seit  einem  Monat  Schwellung  in  der  rechten  Unterbauch- 
gegend,  die  zum  Durchbruch  kommt. 

Inj.  4.  VII.  0,001.  Protrahierte,  durch  60  Stunden  andauernde  Reaktion. 
Temperaturmaximum  am  Nachmittag  p.  inj.  89,7. 

Pat.  wurde  hierauf  therapeutisch  injiziert,  befand  sieh  dabei  recht 
wohL  Sein  Zustand  besserte  sich  soweit,  dass  Pat.  nach  Gherso  geschickt 
werden  konnte,  von  wo  er  sehr  gut  aussehend  zur&ckkehrte. 

Pat.  bekam  9  Injektionen  (im  ganzen  0,02  Tuberkulin). 


TaberkolinreaktioB  im  Kindesalter.  836 

No.  86.    C.  6.,  3*/,t  J.    SpoDdylitie.    (Siehe  Seite  828.) 

Nu.  87.  J.  K.,  2Vii  ^y  ^^'  ni.  bis  9.  IV.  189&  Maiam  Pottti  snboeeip. 
Seit  8  Wochen  Schief haltung  des  Kopfes.    Sehleehtes  Gehen. 

Bei  Rachen  lnspektion  Torspringender  Halswirbeikörper  sichtbar. 

Inj.  38w  III.  0,0001.    Unsichere  Reaktion. 

Inj.  de.  III.  0,0005.  Positiye  Reaktion  (89,4  nach  12  Standen). 
W&hrend  der  Reaktion  Kopfschmerzen. 

No.  88.  M.  H.,  2*/i,  J.,  8.  VI.  bis  27.  VI.  1897.  Multiple  Caries, 
Skrophnlose. 

Inj.  7.  VI.  0,0003.  Protrahierte  positire  Reaktion,  durch  4  Tage 
andauernd.    Temperatarmaximom  88,2. 

No.  89.  V.  M.,  11  J.,  1.  XII.  bis  15.  XII.  1897.  Malam  Pottii,  im 
Anschluss  an  Trauma  Tor  P/s  Jahren  entstanden.  Zunehmender  Gibbus  in 
der  Höhe  des  12.  Bmst-  resp.  1.  Lendenwirbels. 

Inj.  8.  XII.  0,001.  Positire  Reaktion,  durch  36  Standen  andauernd. 
(Temp.  88,7.) 

No.  40.  R.  0.,  2«/it  J.,  2.  1.  bis  22.  II.  1898.  Coxitts  deztra,  Lymph- 
adenitis periarticularis.  Seit  7  Wochen  Hinken,  beim  Strecken  Schmerzen 
im  Fassgelenk.    Fieberfrei. 

Inj.  19.  I.  0,0005.    Massige  positiye  Reaktion  (37,8). 

No.  41.  J.  F.,  8  J.,  7.  XII.  1896  bis  12.  II.  1897.  Cozitis  sinistra. 
Seit  7  Monaten  besteht  die  Erkrankung.  Mutter  and  ein  Kind  starben  an 
Tuberkulose.    Fieberfrei. 

Inj.  11.  XIL  0,0004.  Massige  positive  Reaktion  (87,8),  allmählicher 
Anstieg. 

No.  42.  S.  Z.,  2Vs  J.,  22.  IV.  bis  6.  VII.  1897.  Gonitis  tuberculosa. 
Entwicklung  der  Erkrankung  nach  Trauma  (Sturz  aus  dem  Wagen).  Es 
besteht  Schwellung  des  Kniegelenks,  Ballotement  der  Patella.  Pat.  geht  auf 
den  Fussspitzen.    Fieberfrei. 

Inj.  19.  V.  0,0002.    Keine  Reaktion. 

Inj.  26.  V.  0,0005.    Positive  Reaktion.    14  Standen  p.  ioj.  89,9. 

No.  48.    A.  K.,  21  Mon.    Spondylitis  tuberculosa. 

Inj.  0,0002.    Allgemeine  positive  Reaktion  (39,0). 

Klinisch  nicht  tuberkulöse  Erkrankungen. 

No.  44.  J.  St.,  l%i  J.,  11.  VII.  bis  2.x.  1895.  Abszess  der  yorderen 
Banchwand.  Perforation  am  Nabe]«  Seit  dem  6.  Lebensmonate  besteht  die 
Erkrankung.  Zuerst  fand  sich  ein  kleines  Knötchen  am  Nabel,  welches  dann 
erbsengross  wurde  und  aufbrach.  Es  entleert  sich  daraus  w&sserige  und 
blatige  Flüssigkeit. 

Es  fand  sich  eine  I  cm  lange  Rontinuitfttstrennung  bezw.  Substanz- 
Terlust,  unterhalb  des  Nabels  unregelmässig  zerklüftet. 

In].  19.  VII.  0,0005.    Keine  Reaktion. 

Unter  Verband  langsame  Ausheilung. 

No.  46.    Chr.  R.,  8Vi  J.,  17.  V.  bis  12.  VI.  1900.    Idiotie. 

Inj.  2.  VI.  0,0003.    Keine  Reaktion. 


836  Schick,   Die  diagnostische 

No.  46.  H.  E.,  6Vs  J.Y  9.  TL  bis  14.  VI.  1897.  Chronische  Pneamooie. 
Links  hinten  unten  Bämpfang  and  vereinzeltes  Rasseln.  Reichlich  geballtes 
eitriges  Spatam.    Bazillen  0. 

Inj.  12.  VI.  0,0005.     Keine  Reaktion. 

No.  47.  C.  P.,  11  Vu  J.,  30.  V,  bis  19.  VI.  1900.  Nierenkolik?  Schmerzen 
in  der  rechten  Baachseite,  die  beim  Hasten  stärker  worden.  Letzter  Stuhl 
am  28.  V.  Kein  Tumor  oder  Resistenz.  Harn  klar,  steril.  Durch  eine  Woche 
remittierendes  Fieber. 

Inj.  15.  VL  0,001.     Keine  Reaktion. 

Geheilt  entlassen. 

No.  48.  J.  S.,  4S/4  J.,  11-  bis  27.  XIL  1895.  Teudoyaginitis  des  linken 
Handrückens.  Vater  lungenkrank.  Fat.  hatte  früher  wiederholt  Gelenks- 
affektionen.   Nachtschweisse. 

Es  findet  sich  eine  Schwellung  im  Bereiche  der  linken  Handgelenke, 
bei  Druck  Schmerzhaftigkeit.     Knochen  frei.     Kein  Fieber. 

Inj.  26.  XII.  0,001.     Keine  Reaktion. 

Ho.  49.  S.  B.,  IP/s  J.,  27.  II.  bis  8.  IV.  1901.  Hysterie?  Daneben 
leichte  skrophulöse  Erscheinungen.  Pat.  klagte  über  Schmerzen  im  rechten 
Ellbogen-  und  Kniegelenke.  Alle  Gelenke  frei  beweglich.  Pat.  soll  Krampf- 
stellungen der  Hände  zeigen.  Wegen  Conj.  phlictaen.  und  Verdacht  auf  Tuber- 
kulose Injektion. 

Inj.  3.  IV.  0,001.  Positive  Reaktion:  Protrahiert  bis  zum  Morgen 
des  5.  IV.  andauernd.     Temperaturmaxim  um  39,2. 

No.  50.    J.  P.,    18Vs  Mon.,    2.  X.  bis  16.  X.  1898.     Rachitis,   Anämie. 

Inj.  10.  X.  0,0015.    Keine  Reaktion. 

No.  51.  M.  P.,  5  J.,  7.  bis  22.  X.  1903.  Pnenmonia  lob.  sup.  deztri. 
Kompaktes  Infiltrat  der  rechten  Spitze,  Cjanose;  kritische  Lösung.  Die 
Dämpfung  hellt  sich  yollkommen  auf. 

Inj.  17.  X.  0,001.    Keine  Fieberreaktion. 

Ganz  leichte  Rötung  der  Einstichstelle. 

No.  52.  M.  B.,  4  Mon.,  6.  I.  bis  18.  I.  1898.  Pneumonia  lobul.  dextra 
Seit  14  Tagen  Husten.  Rechts  hinten  von  der  Scapula  abwärts  kürzerer 
Schall.  Einige  feuchte  und  brummende  Rasselgeräusche.  Respirations- 
frequenz 90. 

Inj.  8.  L  0,0001,  17.  I.  0,0005.     Keine  Reaktion. 

No.  58.  G.  S.,  19  Mon.,  11.  V.  bis  3.  VL  1896.  Pneumonia  croup. 
dextra,  chronischer  Bestand  des  Infiltrates.  Kam  am  Tage  der  Krise  mit 
39,5  zur  Aufnahme.  Am  12.  V.  bereits  entfiebert.  Es  bestand  Dämpfung 
rechts  hinten  oben.    Diese  hält  bi»  zum  Schlüsse  an. 

Inj.  20.  V.  0,0001.     Keine  Reaktion. 

No.  54.  J.  H.,  5.  J.,  8.  V.  bis  16.  VL  1900.  Pleuropneumonia  dextra. 
Am  27.  IV.  Fieber,  Schüttelfrost,  Fraisen.  Nach  3  Tagen  hören  die  Krämpfe 
auf.     Pat.  beginnt  viel  zu  husten. 

Über  der  rechten  Lunge  kompakte  Dämpfung  Tom  4. — 5,  Brustwirbcl- 
dorn  an.    Neben  klingendem  Rasseln  auch  pleurales  Reiben. 

Inj.  28.  V.  0,0003.  Temperatur  wegen  gleichzeitiger  fieberhafter  Stoma- 
titisaphthosa  nicht  sicher  verwertbar  (38,6). 


Taberkulinreaktion  im  Kindesftlter.  837 

Am  30.  Y.  Stiohreaktion:  Schwellung  und  Rötnng  der  iDJektionsstelle. 
Reaktion  als  positiv  aafzafassen. 

No.  55.  S.  H.,  «  J.,  10.  bis  24.  I.  1898.  Pneumonia  cirrhot.  Wieder- 
holt kleine  Langenaffektionen.  Links  hinten  unten  Dämpfung  und  Bronchial- 
atmen.   Sputum  0.    Verlagerung  des  Herzens  auf  die  kranke  Seite. 

Inj.  15.  I.  0,001.     Keine  Reaktion.     Ganz  leichte  lokale  Rötung. 

No.  56.  M.  B.,  5^4  J.,  6.  Xll.  1895  bis  22.  IL  1896.  1897  wieder 
vorgestellt.  Pneumonia  cirrhot  sin.,  besonders  der  oberen  Partien.  Lang- 
andauerndes remittierendes  Fieber.  Bronchialatmen  über  den  oberen  Partien 
der  linken  Lunge  und  D&mpfung.    Erst  am  Schlüsse  Entfieberung. 

Inj.  21.  II.  0,001.     Keine  Reaktion. 

Im  Jahre  1897  bis  auf  trockene  Rhonchi  normaler  Lnngenbefund.  Hatte 
sogar  unterdes  Pertussis  durchgemacht. 

No.  67.  A.  L.,  6  J.,  18.  L  bis  22.  II.  1896,  Pneumonia  cirrh.  Vater 
an  Hämoptoe  gestorben. 

Die  Erkrankung  begann  im  Anschluss  an  Masern.  Vorne  hinten  und 
seitlich  hinten  bis  zum  Angnlus  scapul.  kompakte  D&mpfnng  und  scharfes 
Atmen  mit  amphorischem  Beiklang.     Wiederholt  Fiebersteigerungen. 

Inj.  21.  IL  0,001.     Keine  Reuktion. 

Ausgang  in  Schrumpfung  und  Bronchiektasie. 

No.  58.    J.  P.,  5Vs  J.    Pneum.  cirrh.    Siehe  Seite  825. 

No.  59.    F.  W.,  5  Mon.    Pneum.  lobul.    Siehe  Seite  826. 

No.  60.    M.  M.,  8V3  J.     Pneum.  crouposa.     Siehe  Seite  817. 

No.  61.  J.  F.,  2  J.,  18.  IV.  bis  22.  VI.  1898.  Pneumonia  chronica  sin. 
An  diese  anschliessend  neuerliche  Ausbreitung  des  Prozesses  mit  sprungweise 
auftretenden  Fieberattacken,  schliesslich  doch  nach  lange  andanerndeni 
remittierendem  Fieber  Entfieberung.  Wir  dachten  Bronchialdr&senphthise. 
Endlich  jedoch  Verschwinden  der  Infiltrationserscheinungen  links  hinten  unten 
und  Heilung. 

Inj.  20.  VL  0,0003,  21.  VI.  0,001.    Keine  Reaktion. 

No.  62.  H.  U.,  8Vt  J.,  I.  Aufnahme  16.  VL  bis  23.  VI.  1899.  Pneu- 
monia Croup,  dextra.  Typischer  Verlauf.  Mit  normalem  Lungenbefund 
entlassen. 

IL  Aufnahme  5.  VIL  bis  15.  VIL  1899.  Pleuritis  dextra.  Seit  der 
Entlassung  kränklich,  blass,  hastet,  fiebert.  Kurzatmigkeit.  Befund:  rechts- 
seitige Pleuritis,  kein  Fieber. 

Inj.  10.  VIL  0,001.  Temperaturverlauf  nach  12  Stunden  38,5.  Die 
positive  Reaktion  beweist  die  tuberkulöse  Grundlage  der  Pleuritis.  Schall- 
TOrk&rzung  bleibt  bestehen. 

No.  68.  A.  K.,  3  J.,  29.  I.  bis  13.  IL  1898.  Empyema  peraotum. 
Pneum.  cirrh.  der  linken  Lunge.  Seit  Weihnachten  1897  krank.  Starke  Ab- 
magerung.   Damals  2  Wochen  bettlägerig. 

Kompakte  Dämpfung  fiber  der  linken  Spitze.  Verkfirzong  des  Schalles 
und  abgeschwächtes  Atmen  über  der  übrigen  linken  Thoraxhälfte.  Herz  nach 
rechts  yerlagert. 

Inj.  12.  IL  0,0003.    Keine  Reaktion. 

No.  64*    V.  A.,  5Vit  J«t  1897.    Pnenm.  chronica. 

Inj.  0,001.     Keine  Reaktion. 


838  .    Schick,   Die  diagnostiBche 

No.  65.    R.  6.,  2</4  J.    Sclorosis  cerebri.    Sieiie  Seite  82&. 

No.  66.    A.  L.,  Vl%  J.    Kyphosis  rhaoh.    Siehe  Seite  835. 

No.  i7.    P.  £.,  12*/it  J.    Tamor  cerebri.    Siehe  Seite  821. 

No.  68.  R.  G.,  12  J.,  25.  VI.  bis  5.  VII.  1896.  Chlorose.  Leichte 
peritoneale  Erscheinangeo :  Meteorismus,  Schmerzhaftigkeit.  Afebril.  Aasser 
Chlorose  normaler  Befand. 

Inj.  26.  VI.  0,001.  Am  Nachmittage  des  nftchsten  Tages  38,3.  Positive 
Reaktion  (Dräseotuberkolose?). 

No.  69.  A.  G.,  8"/ii  J.,  I.  Aufnahme  5.  VI.  bis  7.  VIIL  1900,  II.  Auf- 
nahme 10.  X.  1901.  Neuritis?  Genua  Taiga.  Schmerzen  in  beiden  etwas 
paretischen  Beinen.    Steigerung  der  Reflexe. 

Das  Kind  geht  steif.  Unbestimmte  Schmenhaftigkeit  der  Wirbels&nle. 
Um  Caries  derselben  auszuschliessen,  Tuberkulininjektion. 

Inj.  9.  VI.    Keine  Reaktion. 

Gesund  entlassen.    Wegen  Genua  yalga  Redressement. 

No.  70.  M.  E.,  5  Mon.,  10.  V.  bis  18.  VI.  1900.  Atrophie  ex.  cat. 
intest,  chron.    Hochgradige  Abmagerung.    Gewicht  2850  g. 

Inj.  26.  V.  0,0005.  Keine  Reaktion.  Unter  Malssuppe  gl&nzende  Zu- 
nahme. 

No.  71.  J.  G.,  4»/is  J.,  28.  XII.  1898  bis  12.  I.  1899.  Entwicklungs- 
hemmung. Soll  früher  recht  kräftig  gewesen  sein.  Seit  8  Monaten  Appetit- 
losigkeit, zeitweise  Erbrechen.  Nachts  immer  sehr  unruhig.  Kolossale  Ab- 
nahme: Körpergewicht  8750  g,  hat  also  das  Gewicht  eines  8 monatlichen 
S&uglings.    Psychisch  zurückgeblieben. 

Inj.  8.  I.  1899  0,0005.  Verspätete  Reaktion  am  5.  I.,  1  Uhr  nachts 
88,1.  An  der  Einstichstelle  gleichzeitig  leichte  Rötung  und 
Schwellung. 

No.  72.  V.  M.,  5Vs  J.,  30.  V.  bis  16.  VI.  1899.  Dystrophia  muscul.? 
Im  Alter  tou  4  Jahren,  da  Pat  in  Spitzfussstellung  nur  einige  Schritte 
machen  konnte,  Tenotomie. 

Quadriceps  und  Wadenmuskulatur  hypertrophisch.  Schwäche  und 
Atrophie  der  Schultermuskeln  und  der  Rückenmuskulatur.  Pat.  kann  sich 
nicht  aufsetzen.    Seit  einigen  Tagen  Conj.  phlyctaenulosa. 

Inj.  2.  VI.  0,001.    Keine  Reaktion. 

No.  78.  H.  H.,  5>/it  J.,  Okt.  u.  Nov.  1899.  Dilatatio  coli  congen.?  Seit 
mehreren  Monaten  starke  Auftreibung  des  Abdomens.  Zeitweise  Schmerzen. 
Abnormer  Umfang  des  Abdomens.  Dämpfung  in  der  linken  Regio  inguinalis, 
bei  Aufblähung  yersch windend.  Starke  Ausdehnung  des  Colon  transrersum. 
Zeitweise  Zeichen  von  Fiüssigkeitserguss  ins  Peritoneum,  sodass  an  Periton. 
tuberc.  gedacht  wurde. 

loj.  20.  X.  0,001,  10.  XI.  0,001,  29.  XL  0,001.     Keine  Reaktion. 

No.  74.  A.  W.,  4  J.,  29.  VI.  bis  9.  VII.  1897.  Tumor  bepatis  massigen 
Grades.  Dabei  Milzrergrösserong  unbekannten  Ursprungs.  Längere  Zeit 
kränklich  mit  unbestimmten  Beschwerden.  Arhythmia  cordis.  Dämpfung  im 
1.  und  2.  Interkostalraum  links  vom  Stemalrand. 

Inj.  5.  VII.  0,0006.     Keine  Reaktion. 

Im  Jahre  1898  Lnngenbefund  normal.  Aufnahme  wegen  eines  Diver 
ticulum  oesophagi. 


Taberkalinreaktion  im  Kindesalter.  889 

No.  76.  A.  St.,  HJ.,  3.  VI.  bis  26.  VIII.  1895.  Perityphlitis.  Mit 
4  Jahrea  Fneamonie,  Mit  9  Jahren  Masern.  2  Monate  vorher  ein  Anfall 
von  Perityphlitis. 

Vor  8  Tagen  neuerdings  entsprechende  Symptome,  insbesondere 
Sehmensen.  Kein  Erbrechen,  keine  StahWerstopfang.  Dagegen  Fieber. 
Inzision  des  Abszesses. 

Wegen  leichter  skroplialöser  Erscheinongen  Toberkniininjektion. 

Inj.  29.  VII.  0,001.  Starke  Einstichreaktion.  Temperatnrreaktioo 
protrahiert  durch  2  Tage.  Maximum  38,8  am  Nachmittage  des  D&cbsten 
Tages.  Die  Stichreaktion  war  so  intensiv  und  schmerzhaft,  dass  Umschl&ge 
notwendig  wurden. 

No.  76.  A.  Seh.,  12  J.,  9.  XL  1895  bis  14.  I.  1896.  Phlegmone.  Inter- 
mittierendes Fieber  bis  40,0.  Schwellung  der  linken  luguinalgegend.  Gehen 
unmöglich.    Starke  Abmagerung. 

Inj.  80.  XI.  0,001.    Keine  Reaktion. 

No.  77.  F.  Z.,  8Vij  J.,  80.  X.  1897  bis  12.  II.  1898.  Perityphlitis 
(Abszess).  Seit  5  Tagen  krank  mit  peritonealen  Erscheinungen.  Erbrechen. 
Meteorismns,  Schmerzen  im  Abdomen.  Rechts  besonders  empfindliche  Stelle 
mit  D&mpfang. 

Operation  und  Eiterentleerung. 

Remittierendes  Fieber  bis  zam  17.  XL,  dann  sabfebrile  bezw.  normale 
Temperaturen,  die  den  Verdacht  erweckten,  dass  neben  der  Perityphlitis  ein 
tuberkulöser  Prozess  vorhanden  sei. 

Inj.  11.  XII.,  12  Uhr,  0,001.  Protrahierte  positive  Reaktion 
durch  2Va  Tage.    Maximum  der  Temperatur  39,3. 

No.  78.  J.  B.,  9Vs  J.,  4.  bis  20.  IlL  1898.  Typhus  abdominalis.  Am 
Schluss  der  Erkrankung  aufgenommen.     Gruber-Widal  -f** 

Mutter  an  Tuberkulose  gestorben. 

Inj.  15.  in.  0,0007,  17.  IIL  0,001.    Keine  Reaktion. 

No.  79.  Th.  T.,  lOVi  J.,  Juli  1898.  Typhus  abdominalis.  Wegen 
Verdacht  auf  Tuberkulose  wurde,  da  für  die  Diagnose  Typhus  nur  mehr  die 
Gruber-Widalsche  Reaktion  verwertet  werden  konnte,  Tuberkulin  injiziert. 

Inj.  0,0005  und  0,001.     Keine  Reaktion. 

No.  80.    J.  L.,  12  J.,  1898.     Insuffic.  et  Stenos.  valv.  mitralis. 

Inj.  0,0Q1.  Temperatursteigerung  auf  89,8.  Pat.  zeigte  jedoch 
deutliche  Zeichen  von  Skrophulose  (Goojunct.  phlyctaenulosa). 

No.  81.  K.  P.,  IV li  J.,  4.  bis  9.  IV.  1898.  Nephritis  chronica  un- 
bekannter Ursache.     Spärliche  Zylinder,  rote  Blutkörperchen,  wenig  Eiweiss. 

Inj.  7.  IV.  0,001.     Keine  Reaktion. 

No.  82.  Chr.  F.,  Vj,  J.,  5.  bis  20.  XL  1898.  Lymphoma  malignum. 
Rasch  zunehmende  Drüsenschwellung,  namentlich  der  Supraclaviculardrüsen. 
Das  ganze  Paket  ca.  taubeneigross  vorspringend.  Dämpfung  über  dem 
Manubrium  sterni. 

Inj.  7.  XL  0,0008,  12.  XL  0,0015.    Keine  Reaktion. 

Pat.  starb  ausserhalb  des  Spitals  im  Dezember  1898. 

No.  88.  F.  St.,  2Vs  J.,  3.  X.  bis  7.  XL  und  8.  bis  80.  XL  1897. 
Lymphoma  malignum.    Seit  8  Monaten  Schwellung  am  Halse.    Mutter  starb 


840  Schick,   Die  diagnostiscbe 

ED  Garies  und  Tbc.  palmODum.  Knollige  DrüseDBchwellangen  rechts 
am  Halse  gegen  die  Fossa  supraclayicalaris.  Haut  darüber  gespannt,  von 
Venen  durchzogen.  Der  Tumor  wird  exstirpiert.  Die  Drüsen  erweisen 
sich  als  nicht  yerk&st.  Nach  der  Operation  rasches  Nachwachsen  und 
Auftreten  neuer  Drüsenschwellungen.  Keine  Tuberkelbazillon  im  Drfisen- 
gewebe. 

Inj.  23.  XL  0,0008.    Keine  Reaktion. 

II.  Aafnahme  21.  IV.  bis  6.  V.  1898.  Seit  der  letzten  Aufnahme 
weitere  Zunahme  der  Drüsenschwellungen.  Schwellung  s&mtlicher  Lymph- 
drüsen« 

Exitus:    Obduktion.     Ljmphoma  malignnm. 

No.  84.  A.  K.,  5  J.,  4.  IV.  bis  8.  VlI.  1899.  Ljmphoma  malignnm. 
Seit  Juni  1898  eiternde  Drüsen  am  Halse.  Dann  durch  einige  Wochen 
rapides  Wachstum  der  Drüsen  links  am  Halse.  Vater  an  Tuberkulose 
gestorben. 

Der  Drüsentnmor  ist  so  gross,  dass  der  Kopf  nach  rechts  geneigt  und 
gedreht  gehalten  werden  muss.  Er  besteht  aus  grösseren  und  kleineren 
Knollen;  die  grösste  hühnereigross,  die  kleineren  taubenei gross. 

Inj.  17.  IV.  0,001.    Keine  Reaktion. 

Inj.  20.  IV.  0,001.  Am  21.  IV.,  nachmittags,  39,8.  Protrahierte 
Reaktion.  Die  positive  Reaktion  weist  daraufhin,  dass  neben  vorliegender 
Erkrankung  noch  ein  Tuberkulose-Prozess  vorhanden  ist. 

No.  85.  M.  N.,  12  Mon.,  12.  bis  24.  VI.  1896.  Anaemia  splenica. 
Immer  blass,  im  letzten  Monat  Zunahme  der  An&mie.    Milztumor. 

Inj.  19.  VI.  0,0001.  Unklare  Reaktion.  Fat.  reagierte  auch  auf 
Diphtherieserum  mit  Fieber. 

Klinisch  zweifelhafte  Fälle. 

No.  86.  F.  V.,  12  J.,  25.  V.  bis  14.  VI.  1896.  Peritonitis  chron. 
(tuberc?)  Seit  M&rz  1896  Hasten  mit  Expektoration.  Seit  l^s  Monaten 
Nachtschweisse.    Mutter  an  Lungenleiden  gestorben. 

Afebril.  Allgemeine  Drüsenschwellung  bis  erbsengross.  Abdomen 
aufgetrieben,  druckempfindlich. 

Inj.  29.  V.  0,001.  Temperatur  nachmittags  39,4.  Positive  Reaktion. 
Bedeutend  gebessert  entlassen. 

No.  87.     H.  S.,  10  J.,  12.  V.  bis  28.  V.  1898.   Peritonitis  tuberc?  Seit 

3  Monaten  kränklich.  Abdomen  aufgetrieben,  druckempfindlich.  Habitus 
phthisicus.  Keine  freie  Flüssigkeit,  undeutliche  Stränge  tastbar.  Maculae 
corneae. 

Inj.  17.  V.  0,001.     Keine  Reaktion. 

Inj.  20.  V.  0,0015.  Höchste  Temperatur  37,4  am  Nachmittag  (6  Stunden 
p.  inj.). 

Inj.  26.  V.  0,001.  Nach  8  Stunden  40,0,  also  positive  Reaktion. 
Deutliche  Stichreaktion  (Schwellung  und  Rötung). 

No.  88.  M.  Seh.,  8  J.,  15.  IL  bis  15.  III.  1896.  Peritonitis  chron. 
(tuberc.?).     Zu  Weihnachten    1895  Masern.     Seitdem    hustet   das  Kind.     Seit 

4  Wochen  Nachtschweisse,  Auftreibuog  des  Abdomens.  Im  Abdomen  Stränge 
und  Resistenzen  fühlbar.    Keine  Druckempfindlichkeit. 


Taberkalinreaktion  im  Kindesaiter.  841 

Inj.  21.  IL  OtOOl.  Protrahierte  positive  Reaktion.  6  StandeD  p.  inj. 
Max  im  am  der  Temperatur  88,8. 

No.  80.  E.  IC,  6  J.,  5.  VI.  bis  15.  VI.  1896.  Peritonitis  toberc? 
Seit  14  Tagen  Schmerzen  im  Abdomen.  Appetitlosigkeit.  Abends  Fieber- 
steigerangen.   Am  3.  VI.  Erbrechen. 

Inj.  10.  VI.  0,001.    Keine  Reaktion.    Heilung. 

No.90.  J.  P.,  IOVh  J.,  II.  VI.  bis  19.  VI.  1898.  Peritonitis?  Längere 
Zeit  kr&nklioh.    Vor  6  Tagen  Erbrechen,  Bauchschmerzen. 

Kleine  Stränge  palpabel  im  Abdomen.  Ein  Bruder  reagierte  auf 
Tuberkulin. 

Inj.  16.  VI.  0,001,  18.  VL  0,0015.    Keine  Reaktion. 

No.  91.  H.  St,  2»/is  J.,  IL  I.  bis  17.  L  1901.  Peritonitis  tuberc? 
Schwächliches  Kind  mit  skrophul.  Habitus.  Am  6.  I.  Schmerzen  im  Bauche, 
schlechter  Appetit,  nachts  starkes  Fieber.  Seither  tagsüber  besser,  nachts 
Fieber.    Kein  besonderer  Befund., 

Inj.  14.  L  0,0005.    Keine  Rofiktion. 

No.  02.    K.  P.,  13  J.    Tuberculosis  pulro.?    Siehe  Seite  819. 

No.  98.  R.  L.,  8.  J.,  13.  IL  bis  1.  III.  1899.  Peritonitis  chronica 
(tuberc.?).  Seit  September  1898  Husten  mit  schleimigem  Auswurf.  Häufigo 
Anschwellungen  des  Gesichtes  und  zeitweise  auch  der  Beine.  Kein  Fieber. 
Keine  Nachtschweisse.  Seit  September  auch  Vergrösscrung  des  Bauches. 
Freie  Flüssigkeit  nachweislich.  Primärer  Ascites  mit  sekundärem  Staunngs- 
hydrops  der  unteren  Extremitäten.  Knabe  gut  genährt,  etwas  pastös.  Herz, 
Nieren  normal. 

Inj.  18.  IL  0,0005,  25.  IL  0,0005.  Keine  Reaktion.   Gebessert  entlassen. 

No.  94.  0.  M.,  21/4  J-,  19.  IL  bis  15.  IIL  1896.  Infiltr.  pulm.,  Pneu- 
monia  interscapularis  (tuberc.?).  Grossvater,  2  Brüder  des  Vaters  und  ein 
Bruder  des  Pat.  starben  an  Tuberkulose.  Im  Beginn  Continua  zwischen 
38,0  und  39.    Dämpfung  im  Interscapularraum. 

Entfieberung  am  26.  Krankheitstage. 

Inj.  9.  IIL  0,0001,  12.  IIL  0,001.    Keine  Reaktion.    Heilung. 

No.  95.    A.  H.,  8  J.,  Inf.  pulm.  (tuberc.?).    Siehe  Seite  826. 

No.  96.  C.  L.,  8  Mon.,  Bronch.  diff.  (tuberc.?),  Pneum.  lobul.  Siehe 
Seite  826. 

No.  97.    A.  F.,  10  Mon.,  Inf.  pulm.  dextr.    Siehe  Seite  825. 

No.  98.  Th.  L.,  14  Mon.^  30.  III.  bis  17.  IV.  1898.  Bronchit.  diffusa. 
Seit  6  Tagen  krank.  Schwere  Thorazrachitis,  diffuses  Rasseln  über  beiden 
Lungen.    Flankenschlagen  des  Thorax.    Dyspnoe. 

Inj.  12.  IV.  0,00025,  16.  IV.  0,0005.  Keine  Reaktion.  Gebessert 
entlassen. 

No.  99.  S.  H.,  7Vs  J.,  3.  L  bis  10.  L  1898.  Infiltr.  pulm.  jugux.  tuberc? 
Vater  wegen  Tuberkulose  vom  Militär  entlassen.  Seit  14  Tagen  Stechen  in 
der  linken  Seite,  Kurzatmigkeit.  Seit  8  Tagen  Husten.  Befund:  Links  hinten 
nnten  kürzerer  Schall,  etwas  Rasseln,  abgeschwächtes  Atmen. 

Inj.  6.  L  0,001.    Keine  Reaktion.     Geheilt. 

No.  100.    J.  W.,  6  J.    Cat.  int.  crassi  chron.    Siehe  Seite  826. 

No.  101.    E.  K.,  7S/4  J*    Tuberculosis  pulm.?    Siehe  Seite  818. 


842  S  c  b  i  o  k ,   Die  diagnostisohe 

No.  102.  A.  H ,  8«/4  J?  I-  Aufnahme  7.  bis  14.  VII.  1896,  IL  Aofnahme 
28.  X.  bis  7.  ZI.  1898.  Skrophulose,  chronische  Bronchitis,  Colicjstitis. 
Vater  leidet  an  Caries.    Geschwister  skrophalös. 

Über  beide  Langen  diffases  bronchit  Rasseln. 

Idj.  10.  YIl.  0,001.  Temperatur  nachmittags  39,6.  Positive  Reaktion« 
Geheilt  entlassen.  Im  Oktober  neaerlich  Bronchitis,  reagierte  diesmal  nicht 
aaf  Taberkalin.    Letzteres  war  aber  alt  und  daher  nicht  mehr  Terlässlich. 

No.  108.  M.  F.,  7  J.,  17.  in.  bis  18.  lY.  1900.  Cat.  bronch.  chron.  tabere. 
Matter  langenkrank,  gestorben.  Seit  Herbst  vorigen  Jahres  kr&nklich.  Ab- 
magerung. Nachts  Schwitzen.  Rechts  oben  verkärzter  Schall,  rauhes 
Inspirium,  bronchitische  Ger&asche.     Seit  20.  III.  fieberfrei. 

Inj.  25.  III.  0,0005,  30.  III.  0,0005.     Keine  Reaktion. 

No.  104.  M.  F.,  6  J.,  17.  lY.  bis  7.  YII.  1900.  Tabercal.  glandnl. 
bronch.?  Seit  3  Wochen  matt,  scU&frig,  etwas  Hasten.  Seitenstechen  und 
Kopfschmerzen.  In  den  ersten  Wochen  remittierendes  Fieber  ohne  wesent- 
lichen Befand,  endlich  fieberfrei. 

Inj.  8.  Y.  0,0005.  Protrahierte  (durch  2  Tage)  positive  Tempe- 
raturreaktiop  bis  38,7. 

Stichreaktion:  In  der  N&he  der  Injektionsstelle  am  Unterarme 
schmerzhafte  gerötete  Schwellung.    Gebessert  entlassen. 

No.  106.  0.  H.,  VJ2  J.,  15.  in.  bis  21.  lY.  1899.  Pneumonie,  wahiv 
scheinlich  um  einen  tuberkulösen  Herd  herum.  Immer  kränklich.  Seit  3  Tagen 
schwerer  krank.  Beginn  mit  Kopfschmerzen,  hohem  Fieber,  Erbrechen,  Seiten- 
stechen. Über  dem  linken  Unterlappen  kompakte  D&mpfang,  Bronchialatmen. 
Am  19.  III.  kritische  Entfieberung.  Nach  mehrtägiger  Pause  neaerlich  hohes 
intermittierendes  Fieber,  während  sich  die  pneumonischen  Erscheinungen 
langsam  zuruckbilden. 

Endlich  wieder  fieberfrei. 

Inj.  17.  lY.  0.001.  Etwas  protrahierte  Reaktion.  Temperatur- 
maximum 38,8. 

Am  18.  lY.  an  der  Injektionsstelle  die  Haut  gerötet,  etwas  geschwellt 
und  schmerzhaft. 

Am  19.  lY.  Schwellung  an  der  Einstichstelle,  hat  grösseren 
Umfang  angenommen.  Gentrum  der  Schwellung  dunkelrot,  Umgebung 
blaurot.    Yon  da  ab  nimmt  die  Schwellung  langsam  ab. 

No.  106.    J.  A.,  9^^»  ^'    Atypische  Pneumonie.    Siehe  Seite  817. 

No.  107.  Chr.  R.,  IV^In  J.  Tuberkulose  (?)  der  rechten- Spitze.  Siehe 
Seite  818. 

No.  108.    St.  St.,  3V4  J.    Typhus  abd.?  Tuberkulose?   Siebe  Seite 827. 

No.  109.    Y.  Th.,  7  J.    Bronchialdrüsenphthise?    Siehe  Seite  822. 

No.  liO.  F.  K.,  18  Mon.,  23.  Y.  bis  26.  YI.  1899.  Tubercul.  pulm  ? 
Seit  3  Tagen  krank.  Beginn  mit  Husten,  Erbrechen,  Diarrhoe.  Temperatur 
bei  der  Aufnahme  38,8—38,4.  Links  hinten  oben  Dämpfung,  klingendes 
Rasseln.    Im  Sputum  0  Bazillen. 

Yom  26.  Y.  an  subfebrile  Temperaturen. 

Inj.  2.  YI.  0,0005.  Positive  Reaktion  nach  9  Stunden  38,9.  Lokal 
an  der  Injektionsstelle  eine  halbbohnengrosse,  leicht  bräunliche  Yerfärbung. 
Pat.  bekommt  später  hochintermittierendes  Fieber  und  wird  ns gekeilt  entlassen  . 


Taberkulinreaktion  im  Kindesalter.  843 

Ne.  111.  St.  W..  9Vis  J.,  21.  III.  bis  2.  IV.  1899.  Bronchialdrüsen- 
taberkulose?  Seit  5  Tagen  Fieber,  Seitenstechen.  Hechts  oben  leichte 
D&mpfong,  etwas  Rasseln.     Temperatur  88,3. 

Inj.  27.  III.  0,001,  30.  III.  0,005.  Keine  Reaktion.  Wahrscheinlich 
handelte  es  sich  um  abklingende  Pneumonie. 

No.  112.  A.  R.,  3  J.,  20.  IV.  bis  17.  V.  1895.  Tuberkulose?  (ßronchial- 
drnsen).  Über  dem  Sternnm  Dämpfung.  Auch  links  vorne  oben  kürzerer 
Schall.  Hier  verschärftes  Inspirium  mit  hauchendem  Charakter.  Leber  gross, 
von  der  6.  Rippe  bis  4  cm  unter  dem  Rippenbogen.  Milz  4  cm  vor  dem 
Rippenbogen.    Fiebertrei. 

Inj.  11.  V.  0,001.   Verspätete  positive  Reaktion.   36  Stunden  p.  inj.  88,5. 

No.  118.  C.  J.  S.,  6V>  J.,  3.  VI.  bis  22.  VII.  1895.  Gonitis  lat.  utriusquo 
(Lues?  Tuberkulose?).  Keratitis  parench.  Seit  4  Wochen  Schmerzen  in  den 
Knien.    Abends  Fieber.     Abmagerung.    Kniegelenke  geschwollen,  heiss. 

Inj.  13.  VII.  0,001,  16.  VII.  0,002.    Keine  Reaktion.    Heilung. 

No.  114.  H.  M.,  61/,  J.,  12.  bis  25.  IV.  1896.  Tumor  cerebelli?  (Tuberkel?). 
Seit  2  Monaten  häufiges  Erbrechen  zu  unbestimmten  Zeiten.  Schwanken 
beim  Gehen  mit  Niederfallen.    Mutter  lungenkrank.   4  Geschwister  gestorben. 

Inj.  17.  IV.  0,001,  21.  IV.  0,002.     Keine  Reaktion. 

No,  IIB.  A.  M.,  12*/i:  J.,  15.  XI.  bis  26.  XIL  1897.  Dystrophia  tbc.(?), 
ohne  lokalisierten  Herd.  Auffällige  Blässe,  Mnskelschwäche.  Seit  8  Tagen 
Kopfschmerzen.  Tags  darauf  Ohreneiterung.  Seitdem  schlafsichtig.  Kein  £r- 
brechen.    Intermittierendes  Fieber.    Seit  22.  XI.  fieberfrei. 

Inj.  26.  XIL  0,001.  Keine  Reaktion.  Am  1.  XIL  plötzlich  eine  Zacke 
auf  40,0. 

Inj.  6.  XIL  0,0015.   2  Uhr  nachmittags  38,6.  £instichstelle  gerötet 
und  etwas  schmerzhaft. 
Positive  Reaktion. 

No.  116.  R.  ß.,  10  J.,  28.  X.  bis  27.  XIL  1897.  Cat.  ventric.  chronicus. 
Seit  Sommer  1897  wiederholt  Erbrechen,  fast  nach  jeder  Mahlzeit.  Die 
Untersuchung  ergab  Fehlen  der  Salzsäure  im  Mageninhalt. 

Inj.  10.  XL  0,001.  Am  Nachmittag  des  nächsten  Tages  Temp.  37,7; 
vorübergehend  Seitenschmerzen  und  Kopfschmerzen,  etwas  trockener  Husten. 

Inj.  13.  XL  0,002.  Positive  Reaktion.  Temperaturmaxim  um  inner- 
halb 9  Stunden  auf  89,4.  Pat.  hustete,  klagte  über  Kopfschmerzen,  expek- 
tonierte  eitriges  Sputum  ohne  Bazillen  ans. 

Die  Reaktion  dürfte  auf  einen  okkulten  Lungenherd  zurückzuführen  sein. 

No.  117.  A.  K.,  3  Mon.,  5.  bis  10.  V.  1898.  Cat.  gastrointest.  sub- 
acutus  (Tbk.?).  Wegen  starker  Atrophie  und  Mikropolyadenia  colli  ver- 
dächtig auf  Tuberkulose. 

Inj.  7.  V.  0,0002.    Negativ. 

No.  118.  R.  S.,  17  Mon.,  L  Aufnahme  21.  VI.  bis  10,  VIII.  1899, 
IL  Aufnahme  7.  IX.  bis  16.  X.  1899.  Colicystitis.  Seit  2  Monaten  Mattig- 
keit, Fieber,  Husten,  starke  Abmagerung  und  Nachtschweisse.  Nächtliches 
Aufschreien.  Befund:  Anämie  und  Colicystitis.  Cy tisch  abfallendes  Fieber 
im  Beginn. 

Inj.  10.  VIL  0,0006.     Negativ. 

Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.    N.  P.    LXI.    Heft  6.  55 


844  Schick,    Die  diagnostische  Taberkulinreaktion  etc. 

No.  119.  M.  St.,  2»/i3  J.,  23.  XI.  1897  bis  11.  I.  1898.  Cat.  gastro- 
intestinalis  chron.  (Tbk.?).  Kam  wegen  eines  chronischen  Magendarmkatarrhes 
zur  Aufnahme. 

Inj.  3.  XII.  0,002.  Negativ.  Pat.  machte  bald  daraaf  eine  croopöse 
Pneumonie  durch. 

No.  120.  J.  St.,  5  J.,  1.  V.  bis  l.  VII.  1896.  Tumor  cerebri.  Seit 
dem  3.  Lebensjahre  Kopfschmerzen,  zeitweilig  Schwindel. 

Seit  8  Monaten  apathisch,  jeden  2. — 8.  Tag  Erbrechen.  Seit  5  Tagen 
die  Balbi  hervortretend  und  dadurch  grösser.  Pat.  geht  steif  and  schleift 
den  rechten  Fuss  nach. 

Inj.  22.  V.  0,001.    Negativ. 

Pat.  starb  am  1.  VII.  1896.  Bei  der  Obdaktion:  Frischer,  etwa 
wallnussgrosser  Tuberkel  im  Kleinhirn,  in  der  Marksubstanz  des  Giosshiros. 
Hjdrocephalus.  Meningitis  tuberculosa.  Tuberkulose  der  Langen  und 
Bronchialdrüsen. 


XXVIII. 

Zur  Charakteristik  der  akuten  nicht  pustulösen 
Exantheme  und  ihrer  Mischformen. 

(Homoiomorphismus  bei  ätiologischer  Verschiedenheit.) 

Von 
Dr.  DEMETRIO  GALATTL 

Ein  dankbares  Feld  für  die  Forschung  bilden  die  akuten 
Exantheme  des  Kindesalters.  Auf  diesem  Gebiete  ist  noch  lange 
nicht  das  letzte  Wort  gesprochen  worden.  Wie  schwer  dies  aber 
auch  ist,  zeigt  uns  die  Geschichte.  Erst  am  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts wurde  der  Scharlach  als  Krankheit  sui  generis  aufgestellt. 
Die  Varicellen  wurden  von  der  Variola  erst  im  19.  Jahrhundert 
abgetrennt,  und  auch  jetzt  sind  noch  nicht  alle  Anhänger  der 
unitarischen  Lehre  dieser  beiden  Erkrankungen  geschwunden. 
Noch  später  wurden  die  Rubeolen  als  selbständige  Krankheit  er- 
kannt, und  viele  Autoren  waren  bis  zum  heutigen  Tage  um  ihre 
sichere  diagnostische  Abgrenzung  gegen  Masern  und  Scharlach  be- 
müht. In  letzter  Zeit  wird  auch  eine  neue  Krankheit  ausser  den 
drei  Krankheiten:  Scharlach,  Masern  und  Röteln,  als  vierte  Krank- 
heit, lind  zwar  namentlich  von  englischen  Autoren,  beschrieben. 
Daraus  ersieht  man  also,  wie  langsam  sich  auf  dem  Gebiet  der 
akuten  Exantheme  eine  richtige  Erkenntnis  Bahn  bricht. 

Mit  dem  Aufschwünge  der  bakteriologischen  Forschung  wuchs 
die  Hoffnung,  auf  diesem  Gebiete  rascher  und  sicherer  zu  un- 
umstösslichen  Ergebnissen  zu  kommen,  eine  Hoffnung,  die  sich 
aber  nicht  erfüllen  sollte.  Masern,  Scharlach,  Röteln  und  die 
ihnen  ähnlichen  Exantheme  wurden  bisher  durch  die  Bakteriologie 
um  keinen  Schritt  weiter  gebracht.  .  Es  war  wiederum  nur  die 
klinische  Beobachtung,  welche  in  neuerer  Zeit  unsere  Kenntnis 
erweiterte.    Die  Fortschritte  knüpfen  unter  anderen  an  die  Namen: 


846         G  a  1  a  1 1  i ,    Zur  Charakteristik  der  akuten  nicht  pustulösen 

Sticker  (1),  Dukes  (2),  die  Escherichsche  Schale  (Graz)  und 
Pospischil  (3)  an. 

Die  sehr  beachtenswerten  Arbeiten  des  letzteren  und  seines 
Schülers  Hukiewicz  Hessen  mich  den  schon  längst  gehegten  Ge- 
danken zur  nachfolgenden  Arbeit  endlich  in  die  Tat  umsetzen. 
Es  ist  mir  in  derselben  nicht  so  sehr  darum  zu  tun,  neue  Tat- 
sachen aufzudecken  und  neue  Theorien  aufzustellen,  als  auf  dem 
sicheren  Boden  anerkannter  Tatsachen  die  Gesichtspunkte  zu 
fixieren,  von  welchen  wir  uns  bei  Beurteilung  der  nicht  pustulösen 
akuten  Exantheme  leiten  lassen  sollen.  Die  Betonung  dieser 
Gesichtspunkte  hat  um  so  grösseren  Wert,  als  man  bei  Hint- 
ansetzung derselben  leicht  den  Boden  unter  den  Füssen  ver- 
lieren kann. 

Der  erste  Teil  der  folgenden  Ausführungen  beschäftigt  sich 
etwas  ausführlicher  in  kritischer  Weise  mit  den  Arbeiten  von 
Pospischil  und  Hukiewicz  (4).  Die  in  diesen  Arbeiten  nieder- 
gelegten Beobachtungen  basieren  auf  dem  reichlichen  Material  der 
Infektionsabteilung  des  Jubiläums-Kinderhospitales  in  Wien  und 
gerade  deswegen  halte  ich  es  für  notwendig,  meinen  mit  den  ge- 
nannten Autoren  nicht  übereinstimmenden  Standpunkt  eingehender 
zu  begründen,  um  dadurch  die  Fachkollegen  zur  weiteren  Ver- 
arbeitung des  Themas  der  „Akuten  Exantheme  im  Kindesalter"  an- 
zuregen. Dadurch  wird  in  absehbarer  Zeit  wohl  Klärung  in  die  viel 
umstrittene  Frage  kommen;  denn  wäre  die  Diagnose  der  akuten 
Exantheme  so  leicht,  dann  würden  wir  nicht  durch  die  Mitteilung 
neuer  Krankheiten  überrascht  werden. 

Hukiewicz  führt  uns  eine  ungewöhnlich  gi-osse  Zahl  von 
Doppelinfektionen  an  Masern  und  Scharlach  vor,  welche  binnen 
kurzer  Zeit  in  dem  von  Pospischil  geleiteten  Kaiser  Franz  Joseph 
Kegierungs-Jubiläums-Kinderspitale  zur  Beobachtung  gelangt  sind. 
In  der  Zeit  vom  20.  November  1902  bis  Ende  Mai  1903  wurden 
21  Fälle  beobachtet;  von  diesen  werden  15  näher  beschrieben. 
In  dem  einen  Teile  dieser  Fälle  kam  das  Scharlachexanthem  vor 
dem  Masernexunthem,  in  einem  anderen  Teile  das  Masernexanthem 
vor  dem  Scharlachexanthem  zum  Ausbruche.  In  einem  dritten 
Teile  Hess  sich  die  zeitliche  Aufeinanderfolge  im  Spitale  nicht 
mehr  feststellen.  Allen  Fällen  war  aber  das  gleichzeitige  Neben- 
einanderbestehen beider  Exantheme  gemeinsam.  Auf  diese  Arbeit 
bezugnehmend,  stellt  Pospjschil  (1.  c.)  einen  neuen  klinischen 
Typus,  den  Masernscharlach,  auf  und  erklärt,  dass  die  Infektion 
mit  Masern  die  Disposition  zur  Scharlacherkrankung  erhöhe. 


Exantheme  nnd  ihr^  Mischformen.  847 

Das  Bestehen  einer  ähnlichen  Prädisposition  kennen  wir  seit 
den  Untersuchungen  Jehles  (5),  in  welchen  er  das  Vorkommen  von 
Influenza-Bazillen  im  Blute  bei  den  exanthematischen  Erkrankungen 
nachweist.  Je  hie  lässt  es  unentschieden,  ob  die  Erreger  der 
akuten  Exantheme  eine  eigentümliche  Eörperbeschafi^enheit  be- 
wirken, welche  ihrerseits  die  Bakteriämie  ermöglicht  oder  ob  die 
Influenza -Bazillen  bei  der  Invasion  des  Erregers  der  akuten 
Exantheme  von  der  Schleimhautoberfläche  in  die  Tiefe  der  Gewebe 
gerissen  werden. 

In  letzterem  Falle,  der  natürlich  auch  für  die  Masernerreger 
gegenüber  den  Scharlach erregern  denkbar  ist,  haben  wir  es  mit 
mechanischen  Verhältnissen,  nicht  aber  mit  einer  eigentlichen 
Prädisposition  zu  tun. 

Die  Behauptung  Pospischils,  wonach  die  Infektion  mit 
Masern  die  Disposition  zu  Scharlach  erhöhe,  ist  ein  mächtiger 
Faustschlag,  mit  welchem  das  Gebäude  der  Meyer-Heb raschen 
Lehre  vollends  zerstört  wird,  ein  Gebäude,  dem  schon  längst 
durch  die  Mitteilung  von  Doppelinfektionen  ein  Stein  nach  dem 
anderen  von  dem  Fundamente  entzogen  worden  war.  Bekannt- 
lich lehrten  beide,  dass  zwei  akute  Exantheme  nicht  gleichzeitig 
an  demselben  Individuum  vorkommen,  und  dass  die  Konstatierung 
derartiger  Fälle  auf  fehlerhafte  Diagnosenstellung  zurückzuführen 
sei.  Mau  muss  aber  beiden  zugestehen,  dass  ihre  Lehre  an  der 
Epidemiologie  und  Statistik  eine  Stütze  fand. 

Diese  beiden  Wissenszweige  lehren  bekanntlich,  dass  das 
epidemische  Auftreten  einer  Seuche  die  anderen  Seuchen  in  den 
Hintergrund  treten  lasse.  Noch  in  neuester  Zeit  kam  Körösy  (6), 
welcher  Woche  für  Woche  das  Auftreten  der  Infektionskrank- 
heiten in  Budapest  schilderte,  durch  genaue  Feststellung  der  Zahlen- 
verhältnisse zu  folgenden  Schlüssen:  Dass  nämlich  eine  starke 
Zunahme  der  Masern  die  Verbreitung  des  Scharlachs 
hindert,  eine  Abnahme  der  Masern  aber  ohne  Einfluss 
auf  die  Häufigkeit  der  Scharlacherkrankungen  bleibt; 
dass  ferner  in  den  Zeiten  der  Scharlachepidemie  die 
Masern  zurückgedrängt  werden,  hingegen  die  Zeiten 
schwacher^)  Scharlacherkrankungen  ohne  Einfluss  auf 
die  Häufigkeit  der  Masern  sind. 

Die  Behauptung  Körösys  erscheint  auf  den  ersten  Blick 
als  das  kontradiktorische  Gegenteil  der  Behauptung  Pospischils. 

*)  Soll  wohl  heissen  apärlicher.  Diese  Sät/.e  sind  schon  bei  Körösy 
gesperrt  gedrackt- 


848         6  a  l  a  1 1  i ,    Zur  Charakteristik  der  akuten  nicht  pustnlösen 

Beide  Behauptungen  sind  jedoch  nicht  so  ganz  unvereinbar. 
Theoretische  Erwägungen  sprechen  zu  Gunsten  Pospischils.  Dieser 
will  nicht  die  banale  Phrase  wiederholen,  dass  ein  durch  Masern 
geschwächter  Organismus  sowie  jeder  andere  geschwächte  Organis- 
mus einer  Infektion  zugänglicher  sei,  sondern  er  behauptet,  dass 
das  Prodromalstadium  (eventuell  beginnende  Eruption)  der  Masern, 
wo  also  von  einer  durch  die  Masern  herbeigeführten  Schwächai>g 
noch  nicht  die  Rede  sein  kann,  die  Disposition  zu  Scharlach 
erhöhe.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  das  Befallen  werden 
eines  Organismus  von  einer  Infektionskrankheit  an  und  für  sich 
sicherlich  ein  Zeichen  von  Schwäche,  mit  welchem  Ausdrucke 
hier  das  Gegenteil  von  Immunität  bezeichnet  sein  soll,  auch  die 
Schwäche  dieses  Organismus  gegenüber  anderen  Infektionskrank- 
heiten andeutet.  Ist  er  denselben  aber  ausgesetzt,  so  wird  er 
leichter  von  ihnen  befallen.  Dann  bedeutet  eben  die  Infektion 
mit  Scharlachgift  im  Prodromalstadium  der  Masern  nicht  die 
durch  letzteres  erhöhte  Disposition,  sondern  kennzeichnet  nur 
umsomehr  den  durch  die  Maserninfektion  angedeuteten  Scbwäche- 
zustand.  An  dieser  Erklärung  rüttelt  die  Behauptung  Pospischils 
nicht,  dass  das  eben  besprochene  Verhältnis  von  Masern  und 
Scharlach  sich  nicht  auch  bei  einer  dieser  beiden  und  einer 
anderen  Infektionskrankheit  finde.  Denn  sowie  im  Reagensglase 
das  Auftreten  von  Schimmelpilzen  zum  Beispiel  das  Wachstum 
mancher  anderer  ausgesäter  pathogener  Keime  völlig  hintanhällt, 
so  können  die  noch  unbekannten  Erreger  der  einen  Infektions- 
krankheit den  Nährboden  für  die  Erreger  einer  anderen  Infektions- 
krankheit ungünstig  beeinflussen.  Hier  kommen  wir  mit  Theorien 
allein  nicht  weiter. 

Die  Doppelinfektionen  an  Masern -Scharlach  wurden  bisher 
natürlich  nur  als  eine  Krankheit  zur  amtlichen  Kenntnis  ge- 
bracht, trugen  also  gleichsam  auf  diese  Art  zur  Verringerung  der 
Zahl  der  Scharlach-  oder  Masernfälle  bei.  Nehmen  wir  nun 
weiter  au,  dass  masernkranke  Kinder  einige  Zeit  hindurch  infolge 
ihrer  Krankheit  anderen  Ansteckungsmöglichkeiten  entzogen 
bleiben,  so  werden  wir  auch  die  Angaben  Körösys  vollständig 
gerechtfertigt  finden. 

Pospischil  selbst  gibt  an,  dass  die  grosse  Zahl  der  von 
ihm  beobachteten  Masern  -  Scharlachfälle  auch  anderen  Fach- 
kollegen, die  einzelne  Fälle  ruhig  hingenommen  hätten.  Bedenken 
gegen  die  richtige  Deutung  eingeflösst  haben.  Dieses  Argument 
gegen  Pospischil    stützt  sich  eigentlich    nur    darauf,    dass    an- 


Exantheme  und  ihrer  Mischformen.  849 

erkannt  vielbeschäftigte  Kinderärzte  nur  sehr  wenige  Fälle  von 
Doppelinfektionen  an  Masern  und  Scharlach  gesehen  haben.  So 
beschrieb  Monti  (7)  am  Beginne  seiner  Laufbahn  nur  einen  Fall, 
ebenso  Steiner  (8),  Ren^  Blache  (9)  nur  2  Fälle,  Stiller 
und  Herzog  ebenfalls  nur  einen  yon  Jürgensen  anerkannten 
Fall  u.  s.  w.  Aber  wie  schon  Steiner  bemerkt,  wird  das  Zu- 
sammentreffen zweier  akuter  Exantheme  öfters  in  Spitälern  als 
in  der  Privatpraxis  beobachtet,  und  schon  Fleischmann  (10) 
konnte  in  einem  Jahre  8  Masernkranke  beobachten,  welche  kurz 
danach  von  Scharlach  befallen  wurden.  In  jüngster  Zeit  ver- 
öffentlichte Szontagh(ll)  11  Fälle  von  Doppelinfektionen  an 
Musern  und  Scharlach,  also  eine  immerhin  stattliche  Zahl;  ebenso 
Döbert  10  Fälle  (12).  Man  sieht  demnach,  dass  die  Zahl  der  von 
einem  Autor  beobachteten  Fälle  eine  stets  grössere  wird,  also 
gleichsam  ein  Zeichen  wachsender  Genauigkeit  der  Beobachtung. 
Bei  den  von  Pospischil  und  Hukiewicz  erwähnten  Masern- 
Scharlacb-Fällen  fällt  uns  zunächst  eine  Ungleichmässigkeit  in 
dei  Diagnosenstellung  auf.  Als  Beleg  dafür  diene  Fall  7  von 
Hukiewicz. 

R.  H.,  2Va  Jahre  alt,  aufgenommen  am  8.  I.  1903  mit  ausbrechenden 
Masern.  Am  10.  I.  ist  an  Brust  und  Rücken  das  Masernexanthem  geschwunden 
and  an  seine  Stelle  ein  frischrotes  Scharlachexanthem  getreten.  Dasselbe 
war  am  nächsten  Tage  schon  abgeblasst,  am  zweiten  Tage  geschwunden. 
14  Tage  später,  am  26.  L,  tritt  an  der  Vorderfläche  der  Schultern  und  an 
der  Brust  ein  sehr  spärliches  scharlachähnliches  Erythem  auf. 

Warum  diagnostiziert  Hukiewicz  nur  ein  Erythem,  nicht 
ein  Scliarlachrezidiv  in  diesem  Falle,  wie  im  Falle  2,8  (nach 
3  Tagen  ein  Nachschub,  nach  mehr  als  einem  Monat  ein 
Rezidiv),  ferner  Pospischil  im  Falle  E.  R.,  Seite  745,  F.  H., 
Seite  766,  K.  B.,  Seite  767,  J.  P.,  Seite  769,  ?  Noch  merkwürdiger 
erscheint  uns,  dass  das  erwähnte  „scharlachiihnliche  Erythem"  am 
26. 1.  mit  einer  Temperatur  von  39,2  auftrat,  dass  das  Gesicht  stark 
gerötet  war,  periorale  Blässe  bestand,  eine  frische  Angina  sich 
einstellte  und  dass  am  8.  II.  neben  gleichzeitig  bestehender 
Pneumonie  im  Urin  2  ®/oo  Eiweiss  und  Blut  auftrat;  es  soll  also 
ein  scharlachähnlicher  Ausschlag  mit  Fieber,  Angina  und  Nephritis 
nach   13  Tagen  nur  ein  Erythem  und  kein  Scharlach  sein? 

Scharlachähnliche  Ausschläge  bei  Angina,  wovon  ich  später 
selbst  einen  Fall  mitteilen  werde,  kommen  allerdings  gelegentlich 
vor.    In  dem  oben  erwähnten  Falle  dürfte  es  sich  aber  nach  den 


850        Galatti,    Znr  Charakteristik  der  akaten  nicht  pastalösen 

angegebenen  Symptomen  wohl  nur  um  einen  Scharlach  gehandelt 
haben. 

Resümieren  wir  kurz  den  von  Pospischil  auf  Seite  758  auf- 
geführten Fall  R.  B.:  10  Monate  altes  Kind  bekommt  Varicellen 
am  5.  Juni.  Am  7.  Juni  tritt  unter  hohem  Fieber  eine  Phlegmone 
in  der  linken  Leiste  auf,  die  am  8.  Juni  von  einem  Arzte  inzidiert 
wurde.  An  diesem  Tage  Rötung  des  Stammes.  Am  9.  Juni  bei 
der  Aufnahme  im  Spital  Temperatur  39,1,  Puls  156.  Trockene, 
himbeerrote  Zunge,  Rachen  massig  injiziert,  kein  Belag,  Schwellung 
der  angulären  Drusen.  An  den  unteren  Extremitäten  ein  blasses, 
leicht  cyanotisches,  fleckiges,  vielfach  konfluierendes  Exanthem 
von  weicher  Scharlachzeichnung;  auch  am  Rücken  ist  dieses 
Exanthem  von  zahlreichen  Sudamina-Bläschen  bedeckt.  Eiter- 
Retention.  Therapie:  Spaltung  der  Phlegmone.  Injektion  von 
Mosers  Scharlachstreptokokken-Serum.  Schon  abends  Tempe- 
ratur 37,3.  Am  nächsten  Tage  Exanthem  abgeblasst.  Am  2.  Tage 
Kind  ganz  frisch  und  afebril.     Am  20.  Juli  geheilt  entlassen. 

Von  Nephritis    oder  Abschuppung    wird    nichts    angegeben. 

Ich  erinnere  mich  an  einen  ähnlichen  Fall  aus  dem  Leopold- 
städter Kinderspital: 

Bei  einem  hochgradig  fieberndeD  Kiode  mit  Angina  fand  ich  ein 
Scharlachexanthem  der  oberen  KÖrperhalfie.  Da  ich  nicht  mit  Bestimmtheit 
die  Diagnose  eines  echten  Scharlachs  stellen  konnte  und  ich  das  Kind  nicht 
der  Gefahr  einer  Scharlachinfektion  am  Scharlachzimmer  aussetzen  wollte, 
Hess  ich  es  in  einem  Isolierziramer  unterbringen  und  fand  bei  einer  neuer- 
lichen Untersuchung  einen  Abszess  in  der  Nähe  des  Afters.  Derselbe  wurde 
inzidiert,  und  wenige  Stunden  darauf  war  die  Scharlachrote  geschwunden 
und  die  Temperatur  normal.  Das  ICind  wurde  sodann  in  häuslicher  Pflege 
belassen,  hat  nicht  abgeschuppt  und  trotz  Verkehrs  mit  anderen  Kindern 
auf  keines  Scharlach  übertragen. 

Dadurch  erhielt  meine  Diagnose,  nach  welcher  es  sich  nicht 
um  Scharlach,  sondern  um  ein  septisches  Exanthem  gehandelt 
hat,  eine  weitere  Stütze. 

Auch  im  obigen  Falle  Pospischils  handelt  es  sich  meiner 
Meinung  nach  nicht  um  Scharlach,  sondern  um  ein  septisches 
Erythem,  dessen  Auftreten  ja  nicht  so  selten  ist. 

Ich  erwähne  aus  der  Literatur  einen  Fall  von  Julius 
Weiss  (13),  wo  bei  einer  fibrinös-eitrigen  Peritonitis  eine  inten- 
sive Scharlach  röte  am  Rumpfe,  weniger  ausgesprochen  an  den 
Extremitäten,  beobachtet  wurde. 

Zum  Beweise  dafür,  wie  verschieden  sich  Hautentzündungen 
gestalten,    trotzdem    derselbe   Krankheitserreger    tätig    ist^    führt 


Exantheme  und  ihrer  Mischformen.  851 

Jürgen seu  (14)  die  septischen  Hautentzündungen  an;  Ausschläge^ 
die  Ähnlichkeit  mit  Masern  und  Scharlach  haben,  sind  bei  den 
septischen  Erkrankungen  nicht  selten,  wenn  sie  auch  meist  nur 
kleinere  Hautabschnitte  einnehmen. 

Mag  nun  auch  Pospischil  im  Rechte  sein  und  es  sich 
wirklich  nicht  um  ein  septisches  Exanthem,  sondern  um  einen 
Scharlach  gehandelt  haben,  so  genügt  schon  die  Möglichkeit  einer 
anderen  Deutung  des  Falles,  um  seinen  Wert  als  Stützpunkt 
einer  Theorie  illusorisch  zu  machen.  So  sicher  auch  die  all- 
bekannte Tatsache  ist,  dass  es  Abortivformen  des 
Scharlachs  gibt,  so  gewiss  muss  man  auch  verlangen, 
dass  nur  typisch  ausgeprägte,  eindeutige  Fälle  Hypo- 
thesen zugrunde  gelegt  werden. 

Dass  es  sich  übrigens  um  eine  Sepsis  gehandelt  hat,  gibt 
auch  Pospischil  zu,  nur  bezeichnet  er  es  als  eine  Scharlach- 
sepsis; es  kann  sich  demnach  hier  wohl  nur  um  eine  mit  Scharlach 
vergesellschaftete  oder  von  Scharlach  abhängige  Sepsis  gehandelt 
haben.  Das  Auftreten  der  Sepsis  allein,  ohne  Nachweis  eines 
nebenher-  oder  vorhergehenden  Scharlachs  berechtigt  noch  nicht 
zu  dieser  Bezeichnung.  Selbst  wenn  man  jeden  Scharlach  als 
eine  Streptokokken-Krankheit  auffassen  wollte,  so  bedeutet  dies 
noch  nicht,  dass  auch  jede  Sepsis  auf  Scharlach  beruht.  Wir 
kennen  ja  auch  eine  Reihe  mit  Scharlach  gar  nicht  zusammen- 
hängender Streptokokken-Krankheiten.  Ein  Zusammenhang  der 
kryptogenetischen  Sepsis  mit  Scharlach  wurde  bislang  nicht 
behauptet.  Nunmehr  aber  meint  Pospischil,  dass  dieser  Zu- 
sammenhang bestehe,  wenn  er  sich  auch  in  Worten  dagegen 
wehrt.  Er  sagt  zwar,  dass  ihm  die  Behauptung  fern  liege,  jede 
in  Begleitung  oder  im  Gefolge  eines  der  anderen  akuten  Exantheme 
auftretende  Sepsis  oder  Pyämie  auf  eine  Scharlach -Infektion 
zurückzuführen,  meint  aber,  dass  seine  Erfahrungen  ihn  vorläufig 
zu  dem  Schlüsse  führen,  dass  die  überwiegende  Mehrzahl  der 
Streptokokken-Allgemeininfektionen  bei  den  Morbillen  und  Vari- 
cellen auf  deren  Sekundärinfektion  mit  einem  septischen  Scharlach 
zurückzuführen  sei;  dass  er  selbst  keinen  Fall  von  Streptokokken- 
Sepsis  bei  Masern  und  Varicellen  gesehen  habe,  der  nicht  in  der 
Komplikation  mit  Scharlach  seine  Erklärung  gefunden  hätte. 
Schliesslich  meint  er,  dass  ihm  seine  Beobachtungen  gestatten, 
die  nach  Masern,  Rubeolen  und  Varicellen  ab  und  zu  auftretende 
akute  hämorrhagische  Nephritis  als  postskarlatinös  aufzufassen. 
Nun  tritt  aber  hämorrhagische  Nephritis  bei  so  vielen  Infektions- 


S52        Galatti,    Zar  Charakteristik  der  akaten  Dicht  pustoiösen 

Krankheiten  auf,  wo  kein  Scharlach  vorhanden  ist  —  sie  hat 
sogar  beim  Abdominaltyphus  zur  Aufstellung  einer  eigenen  Abart 
{des  Renotyphus)  geführt  —  dass  es  nicht  einzusehen  ist,  warum 
sie  bei  Masern  z.  B.  nicht  auch  unabhängig  von  Scharlach  gedacht 
werden  kann.  Den  Behauptungen  Pospischils  wurde  man  sich 
nur  dann  anschliessen  liönnen,  wenn  sie  sich  auf  ganz  eindeutige 
Fälle  stutzen  würden. 

Aus  den  schon  im  Jahre  1885  erfolgten  Untersuchungen 
Hlavas  geht  ebenfalls  hervor,  dass  bei  Masern  auch  ohne 
Scharlach  Streptokokken-Sepsis  auftreten  kann.  Hlava  fand 
den  Kettencoccus  bei  Scharlach,  Masern,  Flecktyphus,  Diphtherie 
und  Variola  ohne  die  klinischen  Zeichen  der  Sepsis. 

Wie  steht  es  aber  um  die  Eindeutigkeit  der  Fälle  bei 
Masern-Scharlach  ? 

Das  einzig  sichere  Kriterium,  mit  welchen  Infektionskrank- 
heiten wir  es  in  einem  bestimmten  Fall  zu  tun  haben,  wäre  der 
Nachweis  des  Erregers.  Leider  sind  uns  aber  weder  die  Erreger 
•der  Masern,  noch  die  der  Röteln,  noch  die  des  Scharlachs  be- 
kannt. Wir  müssen  also  nach  Ersatz-Kriterien  suchen.  Als 
solcher  Ersatz  dient  uns  einerseits  die  Infektiosität  der  Krank- 
heit, andererseits  die  klinischen  Symptome. 

Wie  diesen  Forderungen  in  einwandfreier  Weise  nach- 
zukommen ist,  zeigen  uns  die  .  von  Jürgensen  ausgewählten 
Beispiele  von  Doppelinfektionen  an  Masern  und  Scharlach.  Es 
sind  dies  ein  Fall  von  B.  Stiller  (15)  und  ein  Fall  von 
J.  Herzog  (16). 

Im  Falle  Stillers  erkrankte  von  drei  Kindern  einer 
Familie  das  eine  anfangs  Mai  an  Scharlach,  das  zweite  einige 
Tage  später  an  Masern,  das  dritte  am  21.  Mai  an  heftigem 
Fieber  und  Angina  und  bekam  am  23.  Mai  ein  Scharlach- 
exanthem  am  Halse  und  Rumpfe,  das  sich  über  den  ganzen 
Körper  verbreitete.  Am  25.  Mai  trat  unter  Verschlimmerung 
des  Allgemeinzustandes  starker  Husten,  Schnupfen  und  Con- 
junctivitis und  am  26.  Mai  ein  Masernexanthem  auf. 

Im  Falle  Herzogs  handelte  es  sich  um  einen  8jährigen 
Knaben,  welcher  am  20.  August  mit  Katarrh  erkrankte,  am 
21.  und  22.  den  Ausbruch  eines  leichten  Masern exanthems  im 
Gesichte,  am  Halse  und  auf  der  Brust  aufwies,  welches  am 
23.  abblasste.  Am  Abend  dieses  Tages  traten  starkes  Fieber 
und  Halsschmerzen  auf;  am  nächsten  Tage  bemerkte  man  eine 
Scharlachröte    am    unteren    Teile    des  Bauches    in    der  Inguinal- 


Exantheme  und  ihrer  Mischformen.  853 

gegend,  am  Skrotum  und  in  dem  Schenkeldreieck,  die  sich  gegen 
Abend  über  die  oberen  Extremitäten  und  über  die  Schenkel 
verbreitete.  Am  25.  kleienförmige,  am  26.  auch  fetzenförmige 
Abschuppung. 

Im  Falle  Herzog  finden  wir  keine  Andeutung  über  den 
Ursprung  der  Doppelinfektion,  welcher  im  Falle  Stiller  ersicht- 
lich ist. 

Im  Falle  Monti  finden  wir  die  Ätiologie  aufgeklärt: 
anfangs  Morbillen  mit  den  Begleiterscheinungen,  dann  unter 
Fieberzunahme  und  Angina  Scharlach. 

Der  Stein  ersehe  Fall  ist,  von  der  Ätiologie  abgesehen, 
dem  Monti  sehen  im  Anfangsstadium  ähnlich  und  unterscheidet 
sich  nur  hernach  durch  das  Hinzutreten  von  Nephritis  und 
Hydrops. 

Die  beiden  wegen  „Angina  diphtheritica^  tödlich  endigenden 
Fälle  von  Blache  sind  etwas  verschieden.  Der  eine  hat  die 
Prodromal-Symptome  des  Scharlachs  mit  Ausschlag  am  dritten 
Tage  und  Auftreten  der  Masern  mit  Bronchitis  am  siebenten 
Tage.  Der  andere  die  Prodromalsymptome  der  Masern,  dazu 
Angina  und  Scharlachausschlag  auf  den  Armen.  Am  nächsten 
Tage  beginnende  Masern  und  Ausbreitung  des  Scharlachexanthems. 

Das  Krankheitsbild  der  Doppelinfektion  an  Masern  und 
Scharlach  ist  nach  Filatow  (17)  so  verschiedenartig,  dass  es 
der  Diagnose  grosse  Schwierigkeiten  bietet.  So  kann  der  Aus- 
schlag masernartig  sein  und  die  Affektion  der  Schleimhäute  eine 
solche  wie  beim  Scharlach,  d.  h.  der  Husten  fehlt,  es  ist  aber 
eine  starke  Angina  vorhanden,  und  die  Zunge  ist  skarlatinös  oder 
umgekehrt:  der  Ausschlag  ist  scharlachartig,  die  Katarrhe  aber 
sind  so  wie  bei  den  Masern.  In  anderen  Fällen  kommt  auf 
einigen  Stellen,  wie  z.  B.  am  Rumpfe,  der  Masern aussch lag  zum 
Vorschein,  und  auf  den  Extremitäten  ist  ein  zweifelloses  Scharlach- 
exanthem  sichtbar,  wobei  die  Affektionen  der  Schleimhäute  der 
einen  oder  der  anderen  Krankheit  oder  beiden  Krankheiten  zu 
gleicher  Zeit  entsprechen. 

Meiner  Meinung  nach  wäre  für  die  richtige  Diagnose  dieser 
von  Filatow  gekennzeichneten  Fälle  der  Nachweis  der  Infektiosität 
erforderlich. 

Wie  steht  es  nun  mit  dem  Nachweis  der  Infektiosität  bei 
Masern-Scharlach  ? 

Auf  diese  Frage  geht  Hukiewicz  garnicht  ein.  Er  be- 
richtet nicht,  woher  die  Kinder  ihre  Masern  und  ihren  Scharlach 


854         6  a  I  a  1 1  i ,    Zar  Charakteristik  der  akuten  nicht  pustalösen 

hatten,  noch  ob  sie  zur  Infektionsquelle  für  andere  geworden ; 
dagegen  tritt  Pospischil  dieser  Frage  näher.  Doch  vermag  er 
in  keinem  Falle  die  Quelle  der  Scharlachinfektion  bestimmt  an- 
zugeben; von  der  Quelle  der  Masern  schweigt  er  gänzlich.  Seiner 
Ansicht  nach  soll  es  sich  oftmals  um  Scharlachinfektion  beim 
Transporte  mittels  des  Sanitätswagens  gehandelt  haben.  Um 
diese  Ansicht  stützen  zu  können,  muss  er  hervorheben,  dass  die 
Inkubationsdauer  des  Scharlach  auch  nur  einen  Tag,  ja  sogar 
nur  Stunden  betragen  kann.  Pospischil  muss  sich  also  in  dieser 
Hinsicht  auf  Ausnahmen  berufen,  ein  für  seine  Annahme  keines- 
falls günstiger  Umstand,  denn  ebenso  gut,  wie  er  für  sich  die 
ausnahmsweise  kurze  Inkubationsdauer  verwertet,  könnte  ein 
anderer  gegen  ihn  die  ausnahmsweise  lange  Inkubationsdauer 
ins  Feld  fuhren,  wo  dann  der  Scharlach  nicht  im  Prodromalstadium 
der  Masern,  sondern  die  Masern  sogar  im  Inkubationsstadium 
des  Scharlachs  erworben  erscheinen.  Auf  diese  Weise  würde 
die  ganze  Hypothese  von  der  durch  das  Prodromalstadium  der 
Masern  geschafifenen  Prädisposition  zum  Scharlach  hinfällig  werden. 

Weiter  gibt  Pospischil  an,  dass  diese  grosse  Zahl  der 
Masemscharlachfälle  zu  einer  Zeit  aufgetreten  ist,  wo  zwar 
Masern  häufig.  Scharlachfälle  aber  selten  waren.  Wenn  die  Doppel- 
infektionen so  häufig  zu  einer  Zeit  auftraten,  wo  Scharlach 
selten  war,  warum  wurden  sie  nicht  auch  zu  einer  Zeit  beob- 
achtet, wo  Scharlach  häufig  war?  Ähnliche  Fälle  soll  auch 
Leichtenstern  (Köln)  verzeichnet  haben,  welcher  von  Masern- 
fällen mit  „kapriziösen  Exanthemen"  berichtet.  Diese  Fälle 
stammen  jedoch  aus  einer  Zeit,  wo  in  Köln  Masern  und  Scharlach 
häufig  epidemisch  waren. 

Die  Frage  der  Infektiosität  schliesst  auch  die  Frage  der 
Immunität  ein,  welche  durch  das  Überstehen  der  Krankheit  er- 
worben wird.  Die  relativ  grosse  Zahl  der  angegebenen  Scharlach- 
Rezidiven  spricht  natürlich  nicht  gegen  erworbene  Immunität 
Um  über  dieselbe  Klarheit  zu  gewinnen,  wäre  eine  jahrelange 
Beobachtung  der  an  Masern-Scharlach  erkrankt  gewesenen  Kinder 
erforderlich.  Aber  selbst  wenn  diese  Beobachtung  Wieder- 
Erkrankungen an  Scharlach  zutage  fördern  würde,  könnte  man 
dies  nicht  gegen  die  Diagnose  des  Masern-Scharlach  als  unum- 
stössliches  Argument  verwenden.  Wiedererkrankungen  nach 
zweifellosem  Scharlach  sind  ja  bekannt  (vide  z.  B.  MaiselislS). 
Selbstverständlich  diagnostizieren  wir  Masern  und  Scharlach  auch 
dann,  wenn  wir  die  Infektionsquelle  nicht  kennen.    Abortivformen 


Exantheme  and  ihrer  Mischformen.  855 

können  wir  aber  nur  zu  £pidemi6zeiten  oder  bei  bekannter  In- 
fektionsquelle oder  wenn  sich  sonst  ein  charakteristisches  Symptom 
-einstellt,  diagnostizieren.  Wir  dürfen  daher  auch  nicht  von 
Hukiewicz-Pospischil  verlangen,  dass  sie  nur  dann  ihre  Fälle 
aIs  Masern-Scharlach  diagnostizieren,  wenn  sie  die  Quelle  für 
beide  Infektionen  nachweisen  oder  andererseits  nachweisen,  dass 
ihre  Fälle  auf  andere  Kinder  Masern  und  Scharlach,  wenn  auch 
getrennt,  übertragen  haben.  Sehen  wir  aber  von  den  Beweis- 
mitteln der  Infektiosität  ab,  so  müssen  wir  desto  eher  verlangen, 
dass  das  Beweismittel  des  klinischen  Bildes  ganz  charakteristisch 
and  eindeutig  sei. 

Ist  dies  nicht  der  Fall,  gestaltet  sich  die  Doppelinfektion 
von  Masern  und  Scharlach  nicht  so,  dass  jede  dieser  Krankheiten 
ihre  charakteristischen  Züge  beibehält,  sondern  in  der  Weise, 
dass  beide  Krankheiten  zu  einem  neuen  Krankheitsbilde  ver- 
schmelzen, dann  ist  der  Beweis  der  Abstammung  so  lange  uner- 
iässlich,  bis  die  Form  dieses  neuen  Krankheitsbildes  unumstösslich 
feststeht.  Wir  hätten  dann  ein  Analogen  zu  den  Flechten  im 
Pflanzenreich,  wo  die  Symbiose  zweier  Organismen  einen  Typus 
darstellt,  dessen  makroskopischer  Eindruck  von  dem  Eindrucke 
der  symbiotischen  Organismen  ganz  verschieden  ist. 

Nicht  in  diesem  Sinne  ist  die  eigenartige  Gestaltung  des 
Masern-Ausschlages  aufzufassen,  wie  er  durch  den  herannahenden 
Scharlach  nach  Pospischil  modifiziert  wird.  Hier  handelt  es 
sich  nur  um  die  Umgestaltung  eines  Symptomes,  nicht  um  die 
des  gesamten  Krankheitsbildes.  In  demselben  sind  die  allgemeinen 
Züge  der  Masern  und  des  Scharlachs  nicht  zu  einem  neuen  Ge- 
bilde verschwommen,  sondern  jede  Krankheit  behält  nach  beiden 
Autoren  ihre  Züge  in  ihrer  Charakteristik  so  bei,  dass  die 
Diagnose  ohne  weiteres  gestellt  werden  kann.  Das  ist  eben  der 
Punkt,  dem  ich  mich  für  die  Mehrzahl  der  mitgeteilten  Fälle 
nicht  anschliessen  kann. 

Unter  den  15  von  Hukiewicz  mitgeteilten  Fällen  zeigen 
die  wenigsten  das  vollständig  ausgeprägte  Symptomenbild  des 
Scharlachs.  Brach  der  Scharlach  bei  schon  ausgepräpten  Masem- 
Exanthemen  aus,  so  fand  sich  nur  selten  eine  Fiebersteigerung; 
von  einer  dem  Scharlach  entsprechenden  Fieberkurve  und  von 
Angina  war  selten  die  Rede,  noch  seltener  von  einer  Nieren- 
affektion.  Nur  ein  Symptom  war  konstant:  das  Exanthem  und 
die    nachfolgende  lamellöse  Abschuppung.     Eigentlich  ist   es   nur 


856         6  a  l  a  1 1  i ,    Zur  Charakteristik  der  akuten  nicht  pustalösen 

das  Exanthem,  auf  das  die  Diagnose  des  Masern-Scharlachs  auf- 
gebaut ist. 

Ich  will  über  die  anderen  nicht  ausgeprägten  Symptome  des 
Scharlachs  bei  Masern-Scharlach  hinweggehen  und  nur  hervorheben, 
dass  dieser  Mangel  zu  —  ob  berechtigtem  —  Zweifel  an  der 
Richtigkeit  der  Diagnose  wohl  nicht  in  allen,  aber  doch  in  mehreren 
Fällenführenkann.  Wenigstens  behauptete  noch  kurzlich  Variot(19)» 
dass  ohne  Vorhandensein  der  Trias:  Fieber,  Angina,  Exanthem, 
die  Diagnose  des  Scharlachs  zweifelhaft  ist. 

Dieser  Symptomenmangel  wurde  wohl  dazu  fuhren,  dass 
zwar  vielleicht  Filatow,  nicht  aber  Jürgen sen  diese  Fälle  als 
einwandfrei  bezeichnen  möchte.  Er  ist  umso  auffallender,  als  die 
Heftigkeit  des  Scharlachs  durch  das  besonders  häufige  Vorkommen 
von  Rezidiven  gekennzeichnet  wird;  das  Überm aass  auf  der  einen 
Seite  erscheint  im  Widerspruche  zu  dem  Mangel  auf  dBr  andern 
Seite. 

Dieser  Mangel  erscheint  im  Vergleiche  mit  anderen  ähnlichen 
Fällen  nur  noch  krasser.  Doebert  (1.  c.)  beschreibt  eine  Epidemie 
von  10  Fällen  von  Scharlach,  die  nach  noch  nicht  ganz  abge- 
laufenen Masern  aufgetreten  waren,  welche  sich  durch  die  Schwere 
der  Komplikationen  auszeichneten. 

Ich  will  mich  nur  mit  dem  Symptome  des  Ausschlages  be- 
schäftigen, weil  ich  damit  bei  meinem  eigentlichen  Thema  angelangt 
bin:  Bei  der  Durchführung  des  Gedankens,  dass  man  aus  dem 
Homoiomorphismus  nicht  auf  Identität  schliessen  dürfe,  ein  Ge- 
danke, den,  wie  schon  erwähnt,  auch  Jürgensen  in  Kürze  erörtert. 

Wenn  Fürbringer  und  Leube,  gewiss  zwei  erfahrene  und 
sorgfältige  Diagnostiker,  erklärten,  dass  eine  sichere  Differential- 
diagnose zwischen  Masern  und  Scharlach  unüberwindliche  Schwierig- 
keiten haben  kann,  so  taten  sie  diesen  Ausspruch  bei  Berück- 
sichtigung des  ganzen  Symptomenbildes.  Um  wie  viel  mehr 
muss  dieser  Ausspruch  gelten,  wenn  nur  das  Symptom  des  Aus- 
schlages berücksichtigt  wird. 

In  früheren  Zeiten  hatten  Dermatologen  öfters  ihre  Differential- 
diagnosen verschiedener  Exantheme  hauptsächlich  ans  der  Form 
des  Hautausschlages  mit  Ausserachtlassung  der  übrigen  Symptome 
aufgebaut.  Wohl  am  stärksten  verurteilt  diesen  Standpunkt 
Bohn(20),  indem  er  sagt,  dass  wir  nicht  Symptome,  sondern 
Krankheiten  diagnostizieren  und  eine  differentielle  Diagnose  nur 
dann  Platz  greift,  wo  zwei  oder  mehrere  Krankheiten  als  Ganzes^ 
einander  sehr  ähnlich  sehen. 


Exantheme  und  ihrer  Mischformen.  857 

Folgerichtig  erklärt  B oh n  daher  auch  in  seiner  Abhandlung 
über  den  Scharlach  in  dem  genannten  Handbuche,  dass,  wenn 
eines  der  Hauptsymptome  fehlt,  die  andern  um  so  schärfer  aus- 
geprägt sein  müssen.  In  den  Fällen  von  Masern-Scharlach  fehlte 
öfters  nicht  bloss  ein,  sondern  auch  mehr  als  ein  Hauptsymptom. 
Vorhanden  war  nur  das  Exanthem  und  die  konsekutive  Ab- 
schuppung. Sehen  wir  nun,  ob  wenigstens  das  Exanthem  um  so- 
prägnanter  vorhanden  war. 

Resümieren  wir  in  Kürze  den  Fall  1:  Am  21.  XI.  im  Ge- 
sichte, am  Stamm  und  an  den  oberen  Extremitäten,  besonders 
reichlich  am  Bauch  und  Rücken,  ein  gross-makulöses,  mehrmals 
konfluierendes,  blassrotes  Masern -Exanthem.  An  den  Ober- 
schenkeln, besonders  in  der  Streckseite  derselben,  ein 
ganz  frisches  Scharlach-Exanthem.  Am  22.  XI.  Exantheme  nirgends 
weiter  vorgeschritten.  Scharlach-Exanthem  abgeblasst,  aber  noch 
deutlich  sichtbar.  23.  XI.  Masem-Exanthem  spärlich  auf  den 
Oberschenkeln.  26.  XI.  Pigmentflecke  nach  Masern  am  Rumpfe. 
10.  XII.  Sehr  spärliche,  klein  lamellöse  Schuppung  an  den 
Vorderarmen.  Temperatur  am  ersten  Beobachtungstag  38,6; 
am  zweiten  höchste  Temperatur  38,1.  Massige  Schwellung  der  sub- 
maxillaren  Drüsen  und  Himbeerzunge  am  ersten  Beobachtungstage. 

Man  kann  also  wohl  sagen,  dass  ausser  dem  Exanthem  kein 
anderes  Scharlachsymptom  vorhanden  war.  Trotzdem  ist  das 
Exanthem  auch  nicht  prägnant  genug,  um  der  ß oh n sehen  An- 
forderung zu  genügen,  da  wir  nur  ein  scharlachähnliohes  Exanthem 
von  sehr  beschränkter  Lokalisation   vor  uns  haben. 

Man  vergleiche  mit  diesem  Falle  einen  Fall  Lewin skys  (21): 

Ein  2^l2'j^hr\ges  Kind  bekommt  ein  charakteristisches  Masem- 
Exanthem;  Verlauf  und  Allgemeinerscheinungen  wie  bei  Masern. 
Daneben  trat  auf  dem  ganzen  Rücken  und  auf  den  oberen 
Extremitäten  ein  skarlatinöses  Exanthem  auf.  Leichte  Himbeer- 
zunge, geringe  Angina  und  nachfolgende  lamellöse  Abschuppung 
der  befallenen  Stellen.  Auch  hier  haben  wir  ein  beschränkt 
lokalisiertes  Scharlach-Exanthem,  daneben  aber  auch  andere 
Scharlachsymptome.  Und  dennoch  meinte  Lewinsky,  dass  kein 
Grund  vorliege,  an  eine  Kombination  von  Scharlach  und  Masern 
zu  denken.  Eisenschitz,  der  diesen  Fall  im  Jahrbuche  für 
Kinderheilkunde  referierte  (N.  F.,  Bd.  9),  schloss  sich  dieser 
Meinung  an.  Das  wäre  eine  übertriebene  Vorsicht  nach  der 
Ansicht  Hukiewiczs,  der  es  für  unnötig  erklärt,  dass  Monti 
und  Rolli    erst    beweisen    zu    müssen  glaubten,    dass   es  sich  in 


Sb8        G  a  l  a  1 1  i ,    Zur  Charakteristik  der  akuten  nicht  pnstulösen 

ihren  Beobachtungen  wirklich  um  Mischinfektion  von  Masern  und 
Scharlach  gehandelt  habe. 

So  unvollständig  wie  im  Falle  1  ist  das  Scharlach- Exanthem 
in  den  meisten  der  Fälle  von  Masern- Scharlach.  Im  Falle  3 
findet  sich  das  Scharlach-Exanthem  an  der  unteren  Hälfte  des 
Stammes  und  an  den  unteren  Extremitäten;  im  Falle  5  an  den 
oberen  Extremitäten  und  am  Stamm;  im  Falle  6  an  der  Ruck- 
seite der  unteren  Extremitäten  und  ad  nates.  Im  Falle  7  an 
Brust  und  Rücken  und  am  nächsten  Tage  an  den  unteren 
Extremitäten;  im  Falle  8  an  der  Brust  und  an  den  Oberschenkeln; 
im  Falle  11  gleichfalls  an  Brust  und  Oberschenkeln;  im  Falle  15 
an  der  oberen  Brust,  der  Schultergegend  und  an  den  Oberschenkeln. 

In  einer  ganzen  Reihe  also,  in  8  von  15  Fällen,  haben  wir 
es  mit  einem  nicht  voll  ausgebildeten  Scharlach-Exanthem  zu  tun. 
An  und  für  sich  würde  dies  kein  Bedenken  gegen  die  Diagnose 
erregen  müssen.  Man  kann  sich  ja  vorstellen,  dass  die  durch 
die  Masern  geschaffene  Prädisposition  auch  die  abortiven  Exanthem- 
formen des  Scharlachs  eher  zur  Geltung  kommen  lässt.  Um  wie 
vieles  mehr  müssen  dann  aber  die  voll  ausgebildeten  Formen  er- 
scheinen! Denn  es  wäre  ja  sonst  ein  Widerspruch,  dass  das 
Prodromalstadium  der  Masern  auf  der  einen  Seite  die  Prä- 
disposition zum  Scharlach  erhöht  und  auf  der  anderen  Seite  die 
vorhandene  Krankheit  abschwächt.  Würde  man  dagegen  von  der 
Prädisposition  absehen  und  das  Zusammentreffen  beider  Krank- 
heiten als  rein  zufällig  betrachten,  dann  wäre  der  Antagonismus 
begreiflich.  Das  Bestehen  des  Antagonismus  bezüglich  des 
Exanthems  wird  auch  von  Fleischmann  und  Döb er t  (1.  c.)  aus- 
drücklich hervorgehoben.  Er  ist  so  gross,  das  Scharlach-Exanthem 
oft  so  flüchtig,  dass  Döbert  zugesteht,  dass  ohne  nachfolgenden 
Hydrops  man  billig    an  der  Diagnose  Scharlach  zweifeln  könnte. 

Das  eigentümliche  Aussehen  des  Masern-Exanthems  an  den 
durch  Scharlach  veränderten  Hautstellen,  das  von  dem  Aussehen 
anderwärts  beschriebener  Fälle  von  Masern  und  Scharlach  differiert, 
weist  jedenfalls  auf  ein  die  Masern  beeinflussendes  Agens  hin, 
das  jedoch  deswegen  nicht  Scharlach  sein  muss.  Diese  Variation 
der  Masern  kann  man  mit  der  Variation  der  Farbe  von  Bluten 
vergleichen,  wie  sie  durch  eigentümliche  Bodenzusammensetzung, 
aber  auch  ohne  diese  bedingt  sein  kann.  So  findet  man  z.  B. 
mitten  und  neben  rot  bis  violett  blühendem  Symphytum  offizinale 
Exemplare  von  rein  weisser  Blütenfarbe,  welche  jedoch  von  keinem 
Botaniker    für    eine    andere  Art    gehalten  wird.     So    ist  es  denn 


Exantheme  und  ihrer  Mischformen.  859 

auch  denkbar,  dass  die  Farbe  der  Masern  von  der  Konstitution 
des  Organismus  abhängig  ist,  dass  sie  aber  auch  durch  aus- 
gesprochenere Krankheiten  verändert  wird.  Die  auf  tausendfaltige 
Beobachtung  sich  stützende  Wahrscheinlichkeit  spricht  mehr  fQr 
letzteres.  Wir  haben  es  also  jedenfalls  in  den  Fällen  von  Masern- 
Scharlach  mit  einer  Variation  des  Masern -Ex  emthems  zu  tun. 
Nur  dass  der  Verlauf  der  Masern  sich  zumeist  an  den  Typus 
hält,  spricht  mehr  dafür,  dass  die  variierende  Ursache  keine  tief- 
greifende Veränderung  des  Organismus  hervorgerufen  hat,  was 
wir  ja  doch  bei  Scharlach  voraussetzen. 

An  dieser  Stelle  muss  ich  nochmals  unumwunden  zugestehen, 
dass  in  einzelnen  Fällen  von  Masern-Scharlach  es  sich  unzweifelhaft 
um  eine  Doppelinfektion  von  Masern  und  Scharlach  gehandelt 
hat,  da  wir  ausser  von  dem  Scharlach- Exanthem  auch  von  anderen 
Symptomen  des  Scharlachs  hören.  In  diesen  zweifellosen  Fällen 
von  Doppelinfektion  war  die  Modifikation  des  Masern- Exanthems 
von  derselben  Art,  wie  in  den  anderen,  wohl  kaum  über  jeden 
Zweifel  erhabenen  Fällen. 

Darin  liegt  aber  kein  Beweis,  dass  es  sich  in  diesen  Fällen 
auch  um  Scharlach  gehandelt  hat,  sondern  nur,  dass  das  Exanthem 
ein  dem  Scharlach-Exanthem  ähnliches  war.  Es  genügt  zur 
gleichen  Beeinflussung  das  Vorhandensein  der  gleichen  Haut- 
veränderung, gleichgültig  aus  welcher  Ursache,  so  wie  chemische 
Stoffe  dieselbe  Keaktion  geben,  wie  immer  sie  auch  erzeugt  wurden. 

Ich  gebe  hier  vorerst  einen  den  Hukiewiczschen  Fällen  an 
Aussehen  des  Masern-Exunthems  gleichen  Fall  wieder. 

EiD  Sjahriges  Mädchen,  Kind  eines  Kollegen,  der  znr  Belbeti  Zeit  und 
geraume  Zeit  vorher  sicher  nichts  mit  Scharlach  zu  tun  hatte,  war  in  der 
Schule  dorch  Masern -Infektion  angesteckt  worden.  Der  Zeitpunkt  der 
Infektion  Hess  sich  ans  besonderen  Umständen  genau  bestimmen.  Dieses  Kind 
infizierte  seine  anderen  jüngeren  Geschwister  im  Alter  von  41/t  Jahren  and  IJahr, 
welche  bisher  keine  Infektionskrankheit  durchgemacht  hatten,  während  das 
älteste  Mädchen  vor  Jahren  Varicellen  durchmachte.  Nach  der  gewöhnlichen 
Inkubationszeit  brachen  bei  beiden  die  Masern  fast  gleichzeitig  ans.  Das 
Exanthem  war  bei  dem  4 ^s jährigen  Kinde  ein  gewöhnliches  Masern-Ezanthem; 
bei  dem  einjährigen  Kinde  zeigte  sich  das  gewöhnliche  Masern -Exanthem 
im  Gesichte,  an  der  Brust,  dem  Rücken  und  den  oberen  Extremitäten.  An 
der  unteren  Hälfte  des  Bauches  und  in  beiden  Schenkeldreiecken  trat  ein 
scharlachähnlicher  Ausschlag  einen  Tag  bevor  die  Masern  auch  diese  Partien 
ergriffen,  auf.  Nacb  dem  Abblassen  der  Masern,  die  sonst  den  gewöhnlichen 
Verlauf  nahmen,  trat  der  scharlacbähnliche  Ausschlag,  nur  bedeutend  blässer, 
wieder  hervor,  und  man  bemerkte  in  ihm  zahlreiche  punktförmige  Hämorrha- 
gien.     Nach    2    weiteren    fieberfrei    verbrachten    Tagen    verschwand    dieser 

Jahrbuch  für  Kioderheilkunde.    N.  F.    LXl.   Holt  e.  56 


860        Galatti,    Zar  Charakteristik  der  akaten  Dicht  pustolöaen 

Aaaschtag  g&Dzlich.  An  den  Stellen,  wo  er  bestand,  löste  sieh  die  Haut 
in  Fetzen  ab.  An  diesen  Stellen  hatten  die  Masern  genau  das  Aassehen, 
wie  es  Hakiewicz  and  Pospischil  beschrieben.  Dieses  Kind  zeigt« 
absolat  kein  Scharlachsymptom,  infizierte  anch  kein  anderes  Kind  mit 
Scharlach.  Die  Ver&nderang  des  Masern-Exantbeins  war  durch  ein  scharlacb- 
förmiges  Erythem  her?orgerufen  worden. 

Das  Vorkommen  derartiger  Erytheme  ist  bekannt.  Wie 
gross  aber  ihre  Ähnlichkeit  mit  Scharlach  sein  kann,  geht  am 
besten  aus  dem  Umstände  hervor,  dass  manche  Scharlachfalle 
als  Serum-Erytheme  gedeutet  wurden. 

Erst  den  Arbeiten  Ritters  (22),  Leiners  (23)  und  Ober- 
winters  (24)  gelang  es,  Klarheit  in  diese  Sache  zu  bringen.  Wo 
wir  es  bei  einem  scharlachartigen  Ausschlage  nach  Serum- 
behandlung nicht  mit  Scharlach  zu  tun  haben,  haben  wir  ein 
toxisches  Erythem  vor  uns,  wie  solche  auch  nach  Einwirkung 
anderer  Gifte  bekanntlich  entstehen  können. 

Die  Diagnose  eines  toxischen  Scharlach-Erythems  ist  leicht, 
wenn  die  Noxe  bekannt  ist.  Doch  nicht  in  allen  Fällen  kaon 
die  Diagnose  gestellt  werden. 

So  beobachtete  ich  z.  B.  folgenden  in  seiner  Ätiologie  g&nzlich  an- 
aufgeklärten  Fall.  Bei  einem  Mädchen  trat  am  80.  XII.  1901  über  Nacken, 
R&cken  und  Brust  ein  Bcharlachähnlicher  Ausschlag  auf.  Temperatur  steb 
normal,  keine  Angina.  Am  nächsten  Tage  breitete  sich  der  Ausschlag  noch 
mehr  aus,  ergriff  am  4.  Tage  die  Ei|tremitäten  ohne  irgend  eine  Störung  des 
Allgemeinbefindens;  es  bestand  nur  Juckreiz.  Am  5.  Tage  war  das  Exanthem 
plötzlich  ganz  abgeblasst.     Keine  weiteren  Folgen. 

Dass  es  sich  hier  nicht  um  Scharlach  gehandelt  haben 
konnte,  war  klar.  Das  war  aber  auch  das  einzig  Klare  in  der 
Ätiologie  des  Exanthems. 

Auch  masernähnliche  Erytheme   ohne  Fieber  kommen    7or. 

Ich  erwähne  unter  anderen  aus  meiner  Praxis  folgende 
2   Fälle: 

Bei  einem  22  monatl.  Kinde  beobachtete  ich  im  Gesichte  und  am 
Stamme  ein  Erythem  von  etwas  blasser  Farbe,  das  am  nächsten  Tage  rer- 
schwunden  war.  Sonstige  Begleitsjmptome  fehlten.  Eine  Verwechslung  mit 
afebrilen  Masern  oder  gar  mit  Rubeola  war  ausgeschlossen. 

In  einem  zweiten  Falle  bei  einem  6jährigen  Rinde,  das  seit  5  Tagen 
krank  war,  fand  ich  ausser  Appetitlosigkeit  und  einer  abendlichen  Temperatar- 
Steigerung  knötchenförmige  Effloreszensen  an  den  Armen,  einzelne  anch  im 
Gesichte  und  auf  den  Beinen.  Ich  verordnete  gegen  das  Fieber  Chinin  io 
kleinen  Dosen.  Am  nächsten  Tage  fand  ich  zahlreiche  Papeln  an  den  Armen, 
weniger  an  den  Beinen,  ganz  sp&rlich  am  Stamme  nnd  wieder  abendliche 
Temperatursteigerung.     Am    nächsten  Tage    hatten  die  Papeln  zngenommeo: 


Exantheme  and  ihrer  Mischformoo.  861 

sie  waren  auch  im  Gesichte  aufgetreten  und  sahen  den  Masern  ähnlich.  Am 
nächstfolgenden  Tage  war  der  Aasschlag  am  Stamm  nnd  Racken  derart,  dass 
ihn  jeder  für  konfluierende  Masern  gehalten  hätte.  Ich  lasse  es  dahingestellt 
sein,  ob  es  sich  in  diesem  Falle  um  ein  Erythem  an  and  für  sich  oder  um 
ein  darch  den  Chiuingebraach  unterstfitztes  Erythem  gehandelt  hat.  Es 
genügt  mir,  die  Tatsache  fieberlos  «uftretender,  masernähnlicher  Exantheme 
damit  belegt  zu  haben. 

Diese  beiden  masernähDlichen  Exanthemfälle  beobachtete 
ich  kurz  hintereinander  im  Jan  aar  1901.  Dies  konnte  wohl  auf 
den  Verdacht  eines  epidemischen  Auftretens  eines  Erythems 
bringen.  Jedenfalls  handelt  es  sich  dabei  nicht  um  das  Erythema 
infectiosum,  dessen  Ähnlichkeit  mit  Rubeolen  so  weit  geht,  dass 
die  ersten  davon  in  Graz  beobachteten  Fälle  unter  der  Flagge  der 
Röteinliefen.   [Tschamer  (25),  Gumplowicz(26),  Tobeitz  (27)]. 

Fälle  von  Erythema  infectiosum  kommen  in  Epidemieform 
vor,  die,  wie  Adolf  Schmidt  (28)  hervorhebt,  im  Frühjahr  und 
Sommer  und  nicht,  wie  obige  Fälle,  im  Winter  auftreten.  Dieses 
Erythem  beginnt  stets  am  Gesichte  und  gleicht  darin  auch  den 
Masern,  von  denen  es  sich  aber  durch  den  Mangel  aller  Begleit- 
symptome unterscheidet,  vorausgesetzt,  dass  bei  dem  eigentüm- 
lichen Polymorphismus  des  Erythema  infectiosum  nicht  auch 
andere  Exanthemformen  gleichzeitig  am  Körper  zu  beobachten 
sind,  wodurch  die  Differentialdiagnose  mit  Masern  von  selbst 
gegeben  ist.  Andererseits  kann  das  Erythema  infectiosum 
Scharlachform  annehmen;  Tschamer,  Sticker  und  Schmidt 
halten  auch  seine  Verwechslung  mit  Scharlach  für  möglich. 

Nach  Koplik  (29)  können  gewisse  Formen  des  multiplen 
Erythems  nur  von  unerfahrenen  Beobachtern  mit  Röteln  ver- 
wechselt werden.  Dagegen  hält  er  eine  Verwechslung  einiger 
Arznei- Erytheme  mit  Röteln  für  begreiflich,  welch  letzteren  jedoch 
eine  halbmondförmige  Anordnung  der  Papeln  eigentümlich  ist. 
Wie  aus  einer  Schlussbemerkung  des  Artikels  Kopliks  hervor- 
geht, war  ihm  der  S c hm  idtsche  Aufsatz  nicht  bekannt.  Ob  er 
den  von  Sticker  gekannt  hat,  lässt  sich  nicht  feststellen.  Wir 
dürfen  daher  vorderhand  auf  die  Ansicht  Kopliks  nicht  allzu- 
grosses  Gewicht  legen. 

Pospischil  (30),  um  von  anderen  Autoren  (Feilchen- 
feld,  Heimann,  Flachte  etc.),  welche  sich  mit  dem  Erythema 
infectiosum  nach  Schmidt  befasst  haben,  nicht  zu  sprechen,  be- 
schäftigt sich  in  zwei  Aufsätzen  mit  dem  Erythema  infectiosum 
und  stellt  unter  anderen   zwei  Formen  desselben  auf:    das  Mor- 

56* 


862        G  a  1  a  1 1  i ,   Zur  Charakteristik  der  akuten  nicht  pastalösen 

billoid  und  das  Skarlatinoid.  Er  betont  hiDStchtllch  des 
Exanthems  die  völlige  Ähnlichkeit  des  Morbilloid  mit  Morbillen, 
während  die  Ähnlichkeit  des  Skarlatinoid  mit  der  Skarlatina 
nicht  so  ausgeprägt  ist. 

Nachdem  ich  über  das  Erythema  infectiosum  persönlich 
keine  Erfahrungen  besitze,  da  ich  es  in  Wien  nicht  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte,  so  kann  ich  auch  nicht  näher  darauf  eingehen. 
Erwähnen  muss  ich,  dass  sich  Escherich  eingehender  damit 
befasst  hat  und  dass  die  nähere  Charakteristik  dieses  Exanthems, 
welches  er  sowohl  in  Graz  als  in  Wien  beobachtet  hat,  haupt- 
sächlich von  ihm  stammt. 

Ausser  dem  schon  erwähnten  Chinin  können  auch  noch 
andere  Arzneipräparate  fieberlose,  masernähnliche  Exantheme  er- 
zeugen. Bekannt  ist  in  dieser  Beziehung  das  Antipyrin-Exanthem. 
Einen  Fall  eines  durch  Terpentinbehandlung  erzeugten,  den  Masern 
sehr  ähnlichen  Exanthems  erwähnt  Jurgensen. 

Manche  Erytheme  ähneln  dem  Scharlach  nicht  bloss  in  der 
Form  des  Ausschlages.  Schon  vor  vielen  Jahren  wies  Hensch  (31) 
darauf  hin,  dass  die  Diagnose  auf  Scharlach  sich  öfters  am 
zweiten  oder  dritten  Tage  als  irrtumlich  herausstellt,  da  nur  ein 
unter  Fieber  aufgetretenes  scharlachähnliches  Erythem  vorliegt. 
Einschlägige  Beobachtungen  sind  gerade  in  neuester  Zeit  be- 
schrieben ^worden.  So  beschrieb  Trammer  (32)  unter  dem 
Skarlatinois  eine  mit  Fieber  und  Angina  auftretende,  im  Gesichte 
beginnende  Scharlachröte.  Doch  kann  bei  dieser  Erkrankung 
das  Scharlach -Erythem  auch  durch  ein  anderes  Erythem  ver- 
treten sein. 

Neuerdings  beschäftigte  sich  J.  Kramsztik  (33)  mit  einer 
dem  Scharlach  ähnlichen,  unter  Fiebererscheinungen  auftretenden 
Erythemform,  deren  Ähnlichkeit  mit  Scharlach  sich  auch  auf  die 
Abschuppung  bezieht,  das  Erythema  scarlatiniforme  desqua- 
mativum  recidivans.  Diese  Erythemform  zeigt  eine  Neigung  zu 
Rezidiven  und  Kramsztik  ist  der  Überzeugung,  dass  mancher 
Fall  von  Scharlachrezidiv  diesem  Erythem  zuzuzählen  sei. 

Das  in  Rede  stehende  Erythem  wurde  einmal  von 
Amitrano  (84)  im  Ablaufe  des  Typhus  beobachtet  und  beruht 
nach  ihm  wahrscheinlich  auf  einer  nachträglichen  Infektion  mit 
Colibazillen.  Nach  Filatow  kann  mit  Scharlach  Wilsons 
Dermatitis  exfoliativa,  die  F^rr^ols  Erytheme  desqua- 
matif  r^cidivant,  bezw.  dem  Erythema  desquamativum  recidivans 
von  Kramsztik  entspricht,  verwechselt  werden;  da  der  Ausschlag 


Exantheme  und  ihrer  Mischformen.  ä63 

an  und  für  sich  keine  besonderen  Unterschiede  vom  Scharlach- 
exantheme  darbietet,  entscheiden  über  die  Diagnose  nur  die 
anderen  Symptome.  Auch  F  i  s  c  h  I  meint,  dass  das  Erythems 
desquamativum  von  leichtem  Scharlach  oder  den  Röteln  nur  durch 
die  folgende  Ansteckung  zu  unterscheiden  ist. 

Nach  Stooss  (35)  kommen  Roseola  -  Erkrankungen  vor, 
welche  Ähnlichkeit  mit  Röteln  haben.  Ein  Dentitionsreiz  oder 
ein  toxischer  Einfluss  vom  Darme  aus  kann  solche  Roseolen  er- 
zeugen. Guida  (36)  hat  ebenfalls  erythematöse,  urticariaähnliche, 
Scharlach-  und  masern ähnliche  Exantheme  infolge  von  Fleisch- 
genuss  bei  Kindern  gesehen,  insbesondere,  wenn  diese  rhachitisch 
und  kränklich  waren. 

Erytheme  können  auch  anderen  akuten  nicht  pustulösen, 
kontagiösen  Exanthemen  gleichen.  So  beobachtete  Fischl  ein 
teilweise  dem  Erysipel  ähnliches  Erythem  im  Gesichte.  Ähnliches 
sah  ich  bei  einem  Mädchen,  das  angeblich  seit  drei  Tagen  an 
abendlichem  Fieber  litt.  Ich  fand  über  dem  Nasenrücken  ein 
rotlaufähnliches  Erythem.  Ritter  (37)  gedenkt  ebenfalls  eines 
epidemieartig  bei  Kindern  im  Alter  von  8 — 26  Tagen  auftretenden 
rotlaufähnlichen  Erythems,  das  ohne  Temperatursteigerung  an  der 
unteren  Gesichtshälfte  begann  und  bald  auch  den  Rumpf  und  die 
Extremitäten  ergriff. 

Die  Bemühungen,  das  Kopliksche  Symptom  als  nur  für 
die  Masern  charakteristisch  hinzustellen,  eine  Ansicht,  der  sich 
nur  Widowitz  (88)  nicht  vollständig  anschliesst,  deuten  am 
besten  an,  dass  die  Abgrenzung  selbst  unkomplizierter  Röteln 
gegen  Masern  nicht  immer  ganz  leicht  ist.  Die  Röteln  wieder 
lassen  —  wie  schon  erwähnt  —  an  Ähnlichkeit  mit  anderen 
Roseolen  nichts  zu  wünschen  übrig.  Solche  Ausschläge,  wie  sie 
als  Begleiter  verschiedener  fieberhafter  oder  fieberloser  Krank- 
heiten besonders  bei  kleinen  Kindern  auftreten,  z.  B.  während 
des  Verlaufes  von  Katarrhen  oder  Entzündungen  der  Respirations- 
organe (siehe  darüber  noch  später)  bei  unbestimmtem,  sogenannten 
rheumatischen  oder  gastrischen  Fieber  unterscheiden  sich  nach 
Filatow  nur  durch  das  selbständige,  vom  Hautausschlage  unab- 
hängige Fieber. 

Ferner  will  ich  kurz  erwähnen,  was  ebenfalls  Filatow  be- 
hauptet, dass  man  besonders  häufig  bei  kleinen  Kindern  Schweiss- 
ausschläge  bald  in  Form  einer  Scharlachröte,  bald  in  Form  eines 
fleckigen,  masern  ahn  liehen  Erythems  antreffen  kann,  wie  ja  solche 
von  den  meisten  Ärzten  in  ihrer  Praxis  beobachtet  werden. 


864        Galatti,   Znr  Charakteristik  der  akaten  nicht  pastulösen 

Wir  kommen  nan  zu  den  masern-  and  scharlachähnlichen 
Exanthemen  mit  gleichzeitigem  Auftreten  mehr  oder  weniger 
heftiger  Begleitsymptome. 

Ich  erwähne  einige  Beispiele  aas  meiner  Beobachtung : 

Am  3.  Mai  1900  erkrankte  ein  Kind  mit  den  Symptomen  von  Apathie, 
Somnolenz  und  hohem  Fieber.  Unter  Anhalten  der  hohen  Temperatur  zeigte 
sich  am  nächsten  Tage  im  Gesichte,  am  zweitn&chsten  Tage  bei  einer  Tempe- 
ratur von  nur  mehr  88,2  am  ganzen  Körper  ein  in  Form  und  Farbe  maaem- 
ähnlioher  Ausschlag.  Ich  stellte  trotzdem  nicht  die  Diagnose  anf  Masern, 
nicht  bloss  wegen  Mangels  der  katarrhalischen  Symptome,  sondern  weil  mir 
bekannt  war,  dass  das  Kind  an  hereditärer  Lues  gelitten.  Tatsächlich  handelte 
es  sich  nm  ein  Syphilid.  Diesbezüglich  erwähne  ich,  dass  auch  J&rgensen 
der  Ansicht  ist,  dass  die  Roseola  syphilitica  unter  allen  Krankheiten  dem 
Masernezantheme  am  ähnlichsten  ist,  namentlich  bei  prodromalem  Fieber. 

Es  seien  in  Kurze  noch  die  2  folgenden  Krankengeschichten 
angeführt: 

Mitte  Dezember  1902  erkrankte  ein  4  jähr.  Knabe  unter  leichten  Fieber- 
erscheinungen an  einem  nur  am  Stamme  sichtbaren  scharlachähnlichen  Aus- 
schlage von  kurzer  Daner.  Nach  einigen  Tagen  war  ein  Lungenkatarrh  za 
konstatieren.  Snde  Dezember  erkrankte  die  ältere  7  jährige  Schwester  ohne 
Fieber  bei  bestem  Wohlbefinden  ebenfalls  an  einem  4  Tage  anhaltenden 
scharlachähnlichen  Ausschlage.  Am  7.  Januar  1908  stellte  sich  bei  dem 
4  jährigen  Vetter  dieser  Kinder  unter  geringem  Fieber  ebenfalls  ein  scharlach- 
ähnlicher Ausschlag  von  kurzer  Daner  ein.  Folgeerscheinungen,  ausser  dem 
genannten  Lungenkatarrh  bei  dem  ersten  Kinde,  wurden  bei  keinem  der 
8  Kinder  beobachtet.  Die  fast  gesetzmässige  Aufeinanderfolge  der  8  Sr- 
kranknngen  lässt  an  eine  skarlatinöse  Infektion  denken;  da  aber  bei  allen 
8  Kindern  die  sonstigen  der  Scarlatina  eigenen  Symptome  mangelten  nnd  das 
erstgenannte  Kind  eine  Bronchitis  hatte,  glaubte  ich,  dass  es  sich  vielleicht 
um  eine  Influenza  mit  scharlachähnlichem  Aasschlage  gehandelt  hat. 

In  einem  anderen  Falle  war  die  Differentialdiagnose  mit 
Scharlach  noch  viel  schwerer,  weil  gleichzeitig  Angina  vorhanden 
war.     Der  Fall  lautet: 

Ein  8  jähr.  Knabe  bekam  ohne  Fieber  (?)  eine  Angina.  Als  ick  ihn 
am  nächsten  Tage  sah,  konnte  ich  bei  normaler  Temperatur  ausser  der  Angina 
ein  soharlachähnliches  Exanthem  an  der  Brust  konstatieren,  das  am  nächsten 
Tage  schon  geschwunden  war.  10  Tage  vorher  war  der  5  jährige  Bruder  mit 
einer  starken  Angina  follicularis  anter  Fiebererscheinungen  erkrankt  Beide 
Male  keine  Folgeerscheinungen. 

Während  ich  dies  niederschreibe,  kam  folgender  Fall  za 
meiner  Beobachtang: 

Ein  18  jähr.  Knabe,  der  in  einem  Institute  vor  einigen  Jahren  Scharlach 
durchgemacht  hatte,  erkrankte  unter  leichten  Fiebererscheinungen  und  Hals- 
schmerzen.   Die  Untersuchung  ergab  eine  kaum  nennenswerte  Halsentzündung, 


Exantheme  und  ihrer  Mischformen.  865^ 

belegte  Zunge,  Temperatur  88,0  and  am  ganzen  Stamme  ein  genaa  wie  Scharlach 
aassehendes  Exanthem,  welches  2  Tage,  and  zwar  bei  einer  Temperatur  von 
36,8 — 37*  anhielt.  Die  Ursache  dieses  Aasschlages  ist  mir  nicht  klar  ge- 
worden, doch  kann  ich  kaum  annehmen,  dass  es  sich  um  eine  neuerliche 
Scharlacherkrankang  gehandelt  hat. 

Ich  muss  bemerken,  dass  von  einigen  Ärzten  eine  fieber- 
hafte, von  Ausschlag  begleitete  Angina  anter  Scharlach  subsummiert 
wird;  ob  mit  Recht,  wird  erst  die  Zukunft  lehren,  wenn  die  Ätio- 
logie des  Scharlachs  festgestellt  sein  wird.  Was  mich  betrifft, 
so  bin  ich  der  auch  schon  von  anderer  Seite  ausgesprochenen 
Meinung,  dass  mit  dem  Namen  Scharlach  mehrere  ätiologisch 
auseinader  zu  haltende  Krankheiten  belegt  werden,  die  in  Zwischen- 
räumen dasselbe  Individuum  befallen  können.  Auf  diese  Weise 
wird  ein  Beweismittel  für  diejenigen  abgegeben,  welche  an  der 
durch  Überstehung  einer  Infektionskrankheit  erworbenen  Immunität 
rütteln  wollen.-  Ahnliches  wie  beim  Scharlach  sehen  wir  auch 
beim  Typhus,  dessen  Krankheitsbild  nach  Schottmüller  auch 
durch  einen  dem  Typhusbazillus  ähnlichen,  aber  mit  ihm  nicht 
identischen  Bazillus  erzeugt  wird,  was  hernach  durch  Kurtb, 
Kayser,  Feyfers  u.  A.  bestätigt  wurde. 

Eine  weitere  akut  fieberhafte  Erkrankung,  bei  welcher 
scharlachähnliche  Exantheme  vorkommen  können,  ist  der  Ab- 
dominaltyphus, welcher  ja  für  gewöhnlich  nur  spärliche  Roseola- 
Flecken  aufweisst.  Russell  (39)  fand  in  zwei  Fällen  von  Abdominal- 
typhus und  einem  Falle  von  Flecktyphus  einen  Hautausschlag  von 
vollständiger  Scharlachähnlichkeit;  nach  der  Fieberkurve  liess 
sich  aber  Scharlach  ausschli essen.  Galliard  (40)  fand  hinwiederum 
bei  einem  Typhusfalle  ein  masemähnliches  Exanthem. 

Wie  schwer  oft  die  Differentialdiagnose  dieser  Begleitaus- 
schläge sein  kann,  gesteht  selbst  ein  so  genauer  Kenner  der 
Infektionskrankheiten  des  Kindesalters,  wie  es   Filatow  ist,  ein. 

Ein  Mädchen  mit  Fieber,  trockenem  Husten,  Schnupfen 
und  einem  makulös-papulösen  Exanthem  wurde  ihm  vorgestellt. 
Zu  jeder  anderen  Zeit  hätte  er  den  Ausschlag  ohne  weiteres  für 
Masern  erklärt.  Da  aber  Mutter  und  jüngste  Schwester  des 
Kindes  an  Influenza  erkrankt  waren,  der  Ausschlag  das  Gesicht 
und  die  Schleimhaut  des  Gaumens  verschonte,  überdies  am 
Rumpfe  nur  spärlich  war,  zögerte  Filatow  mit  der  Diagnose  bis 
zum  nächsten  Tage,  wo  er  sie  dann  auf  Influenza-Exanthem 
stellte.  Gerade  dieser  Fall  zeigt  deutlich,  wie  behutsam  man  bei 
Abortivformen  mit  der  Diagnose  sein  soll. 


866        G  a  1  a  1 1  i ,   Zur  Charakteristik  der  akaten  nicht  pustalösen 

Huttenbrenner  (41)  erwähnt  einer  über  den  ganzen 
Körper  verbreiteten  difiPusen  Röte  bei  einer  Spitzen-Pneumonie 
■einen  Tag,  bevor  die  Infiltration  nachweisbar  war.  Nur  der 
negative  Halsbefund  schätzte  ihn  vor  einer  Fehldiagnose. 

Derselbe  Autor  erwähnt  auch  das  Vorkommen  fluchtiger, 
leicht  zar  Scharlachdiagnose  verleitender  Erytheme  bei  Ver- 
brennungen und  nach  Operationen.  In  einem  von  ihm  ange- 
führten Falle  trat  das  Erythem  gleichzeitig  mit  hohem  Keaktions- 
fieber  bei  der  an  und  für  sich  unbedeutenden  Verbrennung  auf. 
Diese  Fälle  leiten   zu  den  Fällen  des  Wundscharlachs  über. 

Viele,  als  chirurgischer  Scharlach  aufgeführte  Beobachtungen 
sind  nach  Leiner  (42)  nichts  anderes  als  einfache  Erytheme,  die 
auf  rein  vasomotorischen  Störungen  beruhen,  zuweilen  Erytheme 
nach  Karbol-  und  Sublimat-Intoxikationen,  und  ist  ihre  Differential- 
diagnose zwischen  Wundscharlach  und  Scharlach  sehr  schwer. 

Scharlach-  und  masemähnliche  Erytheme  kommen  aber 
nicht  bloss  für  sich  allein  vor,  nicht  bloss  als  Begleitsymptom 
anderer  Krankheiten,  die  nicht  in  der  Haut  sich  lokalisieren, 
sondern  auch  in  Begleitung  akuter  Exantheme,  wovon  ich  schon 
oben  ein  Beispiel  bei  Masern  gegeben  habe. 

An  dieser  Stelle  will  ich  einige  Angaben  aus  den  Hand- 
und  Lehrbüchern  zusammenstellen. 

Thomas  (43)  sagt  bei  Masern:  „Erytheme  finden  sich  teils 
im  Anfange  der  Krankheit  beim  Initialfieber,  teils  auf  der  Höhe 
der  Eruption,  besonders  bei  starken  Exanthemen.  Meyer- 
Hoffmeister  beobachtete  ein  scharlachartiges  Erythem,  sogar 
in  der  Rekonvaleszenz,  Hauner  ein  dem  akuten  Liehen  ähnliches 
Erythem.  Sie  können  mehr  oder  weniger  intensiv  und  über  den 
ganzen  Körper  verbreitet  oder  nur  auf  eine  einzelne  Stelle  be- 
schränkt sein,  wie  z.  B.  Gerhardt  eines  Prodromal- Exanthems 
auf  dem  Schenkeldreiecke  gedenkt,  welches  dem  allgemeinen 
Masernausbruche  voranging. 

Biedert-Fischl  (Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten,  12. 
Auflage)  geben  an,  dass  vor  Varicellen  masern-  und  scharlach- 
ähnliche Rash  beobachtet  wurden. 

Monti  (Kinderheilkunde  in  Einzeldarstellungen)  bemerkt, 
dass  sich  Roseola  variolosa  bei  Blattern  über  grössere  oder 
^Lleinere  Hautpartien  ausbreite.  Diese  Flecke  haben  viel  Ähnlich- 
keit mit  Masernflecken.  Sie  befallen  vorwiegend  den  Rumpf  und 
die    Streckseiten    der  Extremitäten  und  dauern  12 — 36  Stunden. 


Exaothemo  und  ihrer  Mischformen.  867 

Eine  ausführliche  Beschreibaug  der  sehr  polymorphen  Roseola 
variolosa  finden  wir  in  den  Lehrbüchern  der  Hautkrankheiten, 
z.  B.  bei  Kaposi.  Ich  kann  hier  nur  betonen,  dass  sie  in  vielen 
Fällen  vollständig  das  Aussehen  jener  auch  bei  Masern  vor- 
kommenden scharlachähnlichen  Erytheme  hatten. 

Einen  Überblick  über  einen  Teil  dieser  Frage  bietet 
Pascoletti  (44)  in  seiner  Arbeit:  Scarlatinaähnliche  Exantheme 
bei  Infektionskrankheiten. 

Ich  neige  nun  zur  Ansicht,  dass  es  sich  auch  des  öfteren 
bei  Masern -Scharlach  um  scharlachähnliche  Erytheme  bei  Masern 
gehandelt  haben  dürfte.  Dies  würde,  wenn  wir  es  mit  Erythemen 
idiopathischen  Ursprunges  zu  tun  hätten,  nichts  an  der  Diagnose 
einer  Doppelinfektion  ändern;  nur  würde  die  Stelle  des  Scharlachs 
durch  Erythem  vertreten  sein.  Ich  halte  es  aber  durchaus  nicht 
für  ausgeschlossen,  dass  Erytheme  zum  Bilde  einer  Maserninfektion 
gehören  können,  ohne  dass  eine  Mischinfektion  vorliegt.  In 
dieser  Annahme  werde  ich  durch  das  relativ  häufige  Auftreten 
des  Blattern-Erythems  bestärkt.  Die  von  demselben  befallenen 
Hautpartien  sind  zumeist  Sitz  spärlicher  Blatternpusteln.  Die 
Verfolgung  dieses  Gedankens  würde  mich  jedoch  zu  weit  führen, 
weshalb  ich  abbrechen  will. 

Kurz  berühren  möchte  ich  noch  das  Symptom  der  lamellösen 
Abschuppung,  welches  des  öfteren  als  Beweis  dafür  angeführt 
wird,  dass  das  vorhergegangene  Exanthem  nur  Scharlach  gewesen 
sein  könnte.  Lamellöse  Abschuppungen  kommen  aber  auch  bei 
Erythemen  vor.  Hat  ja  doch  sogar  ein  Erythem  einen  Teil 
seiner  Bezeichnung  als  Erythema  scarlatiniforme  desquamativum 
recidivans  von  der  Abschnppung  her.  Wir  finden  femer  bei  manchen 
Krankheiten,  ohne  dass  vorher  ein  Erythem  beobachtet  wurde, 
eine  lamellöse  Abschuppung;  so  z,  B.  beschreibt  Falkiner  (45) 
scharlachähnliche  Abschuppungen  bei  Typhus.  Die  scharlach- 
artige Abschuppung  ist  meiner  Meinung  nach  nur  ein  Beweis 
für  die  gleiche  Art,  aber  nicht  für  die  gleiche  Ätiologie  der  Haut- 
afPektion. 

Wenn  ich  die  bisherigen  Ausführungen  in  ein  kurzes 
Hesume  zusammenfasse,  so  lautet  es  dahin,  dass  die  Entscheidung 
über  die  Natur  eines  Exanthems  in  sehr  vielen  Fällen 
nur  durch  die  —  bis  jetzt  unbekannte  —  Ätiologie  ge- 
geben sein  kann;  dass  die  ätiologisch  verschieden- 
'artigsten  Exantheme  gleiches  Aussehen  haben  können; 
dass    vorderhand    über    die   Natur    eines  Exanthems    nur 


868         Galatti,    Zur  Charakteristik  der  akuten  nicht  postniösen 

das  Erankheitsbild  entscheidet;  dass  schliesslich  Doppel- 
infektionen  nur  bei  mehr  oder  weniger  voll  ausgeprägtem, 
jeder  der  beiden  Infektionen  eigentumlichen  Erankheits- 
bilde  diagnostiziert  werden   dürfen. 


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of.  med.  Sciences.     1897. 


XXIX. 

Aus  der  K.  K.  pädistrisehen  Klinik  in  Wien.    (Vorstand  Prof.  Esclierich.) 

Morphologische  und  biologische  Untersuchungen 
über  die  Darmbakterien  des  Säuglings. 

Von 

Dr.  ERNST  MORO, 

g«>w.  AMiitenten  der  Klinik. 

(Schlags.) 
II. 

Die  VertelluDgr  und  die  Schicksale  der  normalen  Bakterien 
Im  Saugrlingrsdarm. 

Der  Vergleich  zwischen  der  Einheitlichkeit  des  bakterio- 
skopischen  Stahlbildes  und  der  Yielgestaltigkeit  der  kulturellen 
Ergebnisse  zwingt  zu  der  Annahme,  dass  die  Begriffe  der  Stuhl- 
bakterien und  der  Darmbakterien  streng  auseinander  gehalten 
werden  müssen,  und  dass  es  völlig  unstatthaft  ist,  aus  dem 
mikroskopischen  Stuhlbilde  schlechthin  einen  Schluss  auf  die 
Bakterienflora  höher  gelegener  Darmabschnitte  zu  ziehen.  Allein 
auch  der  umgekehrte  Weg  wäre  fehlerhaft  und  irreführend.  Es 
ist  sehr  erwünscht  und  in  vielen  Fällen  notwendig,  die  mikro- 
skopische mit  der  kulturellen  Prüfung  gleichen  Schritt  halten  zu 
lassen.  Dabei  sei  nochmals  betont,  dass  die  Ergebnisse  der 
Kultur  nur  dann  einen  Wert  haben,  wenn  dazu  verschiedene 
Nährböden  in  Anwendung  gebracht  und  den  Bakterien  ver- 
schiedene Yegetationsbedingungen  geboten  werden,  wobei-  die 
anaSrobe  Züchtung    in  erster  Linie    berücksichtigt   werden  muss. 

Die  Berechtigung  dieser  Forderung  kann  sehr  klar  an  der 
Hand  des  vorliegenden  Beispieles  erörtert  werden:  Berücksichtigen 
wir  das  mikroskopische  Bild  eines  normalen  Frauenmilchstahles 
allein  ohne  die  Kultur,  so  müssen  wir  sagen,  dass  seine  Flora 
nur  von  einer  einzigen  oder  höchstens  von  zwei  Arten  zusammen- 
gesetzt werde.  Züchten  wir  daraus  unter  verschiedenen  Be- 
dingungen, so  erhalten  wir  daraus  eine  relativ  grosse  Menge  von 
Bakterienarten,  die  im  bakterioskopischen  Präparate  gamicht  zu 
sehen  waren.  Wollten  wir  umgekehrt  das  Kulturergebnis  allein 
verwerten,  so  würde  dasselbe  die  durch  die  mikroskopische 
Untersuchung  gewonnene  Vorstellung  von  der  Einheitlichkeit  der 
physiologischen  Stuhlflora  wesentlich  verwischen;  der  Vergleich 
beider  Resultate  hingegen  veranlasst  die  richtige  Schlussfolgerung, 
die  darin  besteht,  dass  die  Flora  des  normalen  Frauenmilchstuhles 
zum  allergrössten  Teile  nur  von  einer  Art  gebildet  werde,  dass 
aber  an  ihrer  Zusammensetzung  zum  geringen  Teile  auch  noch 
andere  Arten  partizipieren,  die  wegen  ihrer  unbedeutenden 
Menge    zwar  nicht  durch  den  mikroskopischen,    wohl  aber  durch 


Moro,  Morphologische  und  biologische  IlDtersuchuDgen  etc.       87 L 

den  viel  empfindlicheren  kulturellen  Nachweis  aufgedeckt  werden 
können. 

Ich  habe  trotz  der  zahlreichen  Einzel  Untersuchungen  unter 
normalen  Verhältnissen  nicht  ein  einziges  Mal  im  mikroskopischen 
Präparate  die  durch  ihre  Sporenbildung  charakteristischen  Butter- 
säurebazillen  gesehen,  und  jedesmal  in  der  anaSroben  Milch- 
kultur nach  wenigen  Stunden  stürmische  Gasentwicklung  und 
das  Vorhandensein  zahlloser  junger  Wuchsformen  beobachtet. 

Nicht  viel  anders  ergeht  es  einem  mit  dem  B.  coli 
commune,  und  es  wäre  sehr  verfehlt,  auf  Grund  dieses  Ver- 
haltens seine  Bedeutung  als  obligaten  Darmbazillus  unterschätzen 
zu  wollen. 

Alle  diese  Beobachtungen  drängen  zu  der  Annahme  hin, 
dass  die  Masse  der  Kotbakterien  beim  Brustkind  als  solche  einen 
spezifischen  Charakter  tragen  und  dass  die  zahlreichen,  mittelst 
der  Kultur  nachgewiesenen  Arten  aus  höher  gelegenen  Darm- 
partien stammen,  welche  unter  normalen  Verhältnissen  nur  zu- 
fallig und  vereinzelt  im  Stuhl  erscheinen.  Mit  anderen  Worten: 
Das  bakterioskopische  Bild  des  normalen  Frauenmilchstuhles  zeigt 
uns  nur  die  Kotbakterien  an,  während  uns  die  Kultur  auch 
über  die  Darmbakterien  einigen  Aufschluss  zu  geben  vermag. 

Wie  sind  die  Bakterien  auf  die  verschiedenen  Abschnitte 
des  Säuglingsdarmes  verteilt?  Das  ist  die  nächste  Frage,  die 
wir  an  der  Hand  der  neuen  Gesichtspunkte  zu  beantworten  ver- 
suchen werden. 

Über  diesen  Gegenstand  liegen  nur  zwei  Angaben  vor;  die 
erste,  ausführliche  von  Escheiich  und  eine  zweite  ans  Escherichs 
Klinik  von  A.  Schmidt. 

Mit  der  Verteilung  der  Bakterien  im  Darme  erwachsener 
Menschen  und  der  Tiere  beschäftigten  sich  Nencki,  de  Giaxa, 
Gilbert  und  Doroinici,  Gessner,  Mackfaiden,  Nencki  und 
Lieber,  Jakowski,  Ciechomsky  und  Jakowski,  Rahner, 
Kohlbrugge. 

Escherich  untersuchte  die  verschiedenen  Abschnitte  des 
Säuglingsdarmes  sowohl  mikroskopisch  als  auch  kulturell.  Die 
Präparate  wurden  womöglich  dem  im  Darmlumen  enthaltenen 
Speisebrei  entnommen  und  mit  Anilingentianalösung  gefärbt,  die 
Kulturen  vorwiegend  auf  Gelatineplatten  angelegt.  Unter  den 
Objekten  befanden  sich  unter  anderem  zwei  Leichen  von  Brust- 
kindern, wovon  der  Darminhalt  der  einen  sowohl  mikroskopisch 
als  auch  kulturell,  jener  der  anderen  nur  mikroskopisch  unter- 
sucht wurde. 

Ich  lasse  eine  tabellarische  Zusammenstellung  der  Unter- 
suchungsresultate Escherichs  folgen: 


872 


lioro,  Morphologische  and  biologische  üntersochongen 


Darm- 
abschnitt 


1.  Brastkind,  Alter:  5Mon.  | 
(Empyem)  { 


Mikroskopische  Unter- 
suchung 


Kultur 


2.  Brastkind,  Alter:  5  Moo. 
(Pneumooia  lobolaris) 

Mikroskopische  Unter 
sachang 


Magen 


Duo- 
denum 


DiioQ- 
darm 


Goecum 


Rectum 


Vorwiegend  grosse,    yon 

Hof  umgebene  Tetraden- 

kokken;      in     spärlicher 

Zahl  lange  Bazillen 

Sp&riiche  schlan  ke,  l&ngere 
und  kürzere  eingeschnürte 
St&bchen,  die  erw&hnten 
Kapselkokken  und  einige 
sprosspilzähnliche  Formen 


Es  überwiegen  die  langen, 
schlanken  Formen,  spär- 
lich eingeschnürte  Stäb- 
chen, Kapsel-  und  Ketten- 
kokken 


Dieselben  Formen,  sowie 
lange,  zum  Teil  ge- 
schwungene Fäden; 

Kokken  in  geringer  Zahl 

Die  schlanken  Milchkot- 
bazillen Torherrschend ; 
nur  einzelne  läng.  Fäden, 
Kapselkokken  und  Ketten 


Vorwieg.  B.  coli,  in 
gering.  Zahl  B.  lactis, 
einige  verflüssigende 
Kapselhefen,  mehr, 
kleine  runde  Kolonien 
^on    Tetraden  kokken 

Vorwiegend  B.  lactis 
aerogenes  und  einige 
gelbe  Staphylo- 
kokken 


Nur  spärliche  Bakterien,  OTsle 

Formen,       diplokokkenähnliche 

Gebilde,  eingeschnürte  Stäbeheo, 

kurze  Bazillen 


Spärliche  Bakterien  derselb.  Art, 
die  Stab  eben  formen  etwas  reickl. 
In  den  tieferen  Partien  sind  die 
Stäbchen  formen  noch  reichlich.; 
längere  schlanke  Kurzstäbcben 
überwiegen  weit  über  die  dicken 
kürzeren  Formen  mit  abgerundet. 
Ecken  und  Einschnürungen 


Fast  ausschliesslich 
B.coli  commune,  nur 

ganz  wenige  yer- 
flüssigende  Kolonien 
(gelbe,  verflüssigende 
Kokken  n.  Stäbchen) 


Die  schlanken  Kurzstäbchen 
haben  sich  so  sehr  vermehrt,  dass 
die  anderen  Formen  ganz  zurück- 
treten; zugleich  erscheinen  sie 
länger  und  schlanker  als  oben; 
das  Bild  entspricht  vollkommen 
dem  eines  normalen  Milchkotes. 


W^ährend  im  1.  Falle  ein  akuter  Magenkatarrh^)  die  starke 
Entwicklung  von  Tetradenkokken  (zum  Teil  mit  Kapsel  versehen) 
und  Fäden  im  Magen,  deren  Formen  durch  den  ganzen  Darmkanal 
hindurch  aufzufinden  waren,  zur  Folge  hatte,  ist  der  2.  Fall  voll- 
kommen rein  und  daher  besonders  wertvoll. 


1)  Auch  der  Darm  dürfte  daran  beteiligt  gewesen  sein,  da  das  Auf- 
treten von  Kettenkokken  im  Frauenmilchstuhl  für  pathologische  Verhält- 
nisse spricht. 


über  die  Darmbakterien  des  Säuglings.  873 

Aus  den  Ausfuhr uDgen  Escherichs  geht  hervor,  dass  die 
Zahl  der  Darmhakterien  von  ohen  nach  unten  stetig  zunimmt  und 
dass  die  im  Milchkot  beschriebenen  schlanken  Eurzstäbchen  bereits 
im  Coecum  weit  überwiegen.  ,,Es  scheint  an  dieser  ersten  Station 
der  Speisen  im  Darmkanal  eine  geradezu  sprungweise  Vermehrung 
der  Bakterienvegetation  im  Vergleich  zum  Dünndarm  einzutreten. 
Im  Verlaufe  des  Colon  kommt  es  dann  noch  zu  weiterer  Ver- 
mehrung, die  jedoch  nicht  mehr  so  deutlich  sich  verfolgen  lässt, 
namentlich  aber  zu  einem  ausgesprochenen  Überwiegen  der  langen 
Formen.  Die  einzelnen  Stäbchen  strecken  sich  und  nehmen  die 
Form  der  im  Stuhlpräparate  beschriebenen  schlanken  Bazillen  an; 
zugleich  nimmt  die  Zahl  derselben  so  sehr  zu,  dass  sie  alle  anderen, 
namentlich  die  im  oberen  Teil  des  Dünndarmes  in  grosser  Menge 
vorhandenen  dickeren,  eingeschnürten  Stäbchen  fast  vollständig 
verdrängt." 

Was  die  Arten  der  Bakterien  betriflft,  so  können  wir  auf 
Grund  der  mikroskopischen  Befunde  mit  grosser  Wahrscheinlich- 
keit schliessen,  dass  bereits  im  Duodenum  eine  beschränkte  Vege- 
tation der  Coligruppe  (B.  coli  commune  und  B.  lactis  aßro- 
genes)  einsetzte,  um  sich  im  Verlaufe  des  oberen  DünndarmanteUes 
massig  zu  vermehren.  Im  mittleren  und  unteren  Dünndarm  beob- 
achten wir  bereits  das  Auftreten  längerer  schlanker  Stäbchen,  die 
sich  besonders  im  Dickdarm  enorm  vermehren  und  mit  jenen  des 
Stuhlbildes  identisch  sein  dürften.  Auf  der  aäroben  Gelatineplatte 
kamen  neben  fakultativen  Darmbewohuern,  wie  zu  erwarten,  nur 
B.  coli  commune  und  B.  lactis  aerogenes  zur  Entwicklung. 

A.  Schmidt  prüfte  die  Mikroorganismen  der  einzelnen  Darm- 
abschnitte von  Säuglingen  nach  der  Weigertschen  Fibrinfärb- 
methode, und  es  ergab  sich,  dass  erst  im  Colon  ein  Überwiegen 
der  grampositiven  über  die  gramnegativen  Arten  eintrat.  In  den 
oberen  Darmpartien  sah  er  mehr  gramnegative  kurze  Formen  und 
erst  im  Beginn  des  Colon  ascendens  plötzlich  eine  grosse  Menge 
jener  Stäbchen  auftreten,  welche  die  Hauptmasse  der  normalen 
Stäbchen  ausmachen.  Die  grampositiven  Formen  begannen  bereits 
im  mittleren  Teile  des  Colon  das  Feld  zu  beherrschen  und  waren 
dann  im  Rectum  ausschliesslich  vorhanden. 

Damit  war  ein  weiterer  Beweis  dafür  erbracht,  dass  die 
Flora  der  unteren  Darmabschnitte  von  jener  der  oberen  Partien 
grundverschieden  ist. 

Schlichter,  der  durch  längere  Zeit  den  Darminhalt  bei 
einem  Säugling  mit  Atresia  ani  vestibul.  zu  untersuchen  Gelegen- 


0/4  Moro,  Morphologische  and  biologische  Untersach angen 

heit  hatte,  kommt  zu  dem  Schiasse,  dass  sich  auch  im  Dickdarm 
neben  dem  B.  coli,  B.  lactis  agrogenes  vorfindet. 

Es  gehört  nicht  in  den  Rahmen  der  vorliegenden  Arbeit,  an 
dieser  Stelle  auf  die  Untersuchungsergebnisse  beim  erwachsenen 
Menschen  und  beim  Yersuchstier  näher  einzugehen;  übrigens  sind 
diese  Resultate  für  den  Säugling,  insbesondere  für  den  natürlich 
ernährten  Säugling  kaum  verwertbar,  weil  wir  es  hier  sicherlich 
mit  ganz  spezifischen  Yegetationsverhältnissen  zu  tun  haben. 

Ich  lasse  nun  meine  eigenen  Untersuchungen  folgen,  die  sich 
auf  den  Darminhalt  von  4  Brustkinderleichen  beziehen.  Herrn 
Hofrat  Weichsel  bäum  und  dem  Herrn  Primarius  Dr.  Riether 
danke  ich  für  die  liebenswürdige  Überlassung  des  Leichenmateriales. 

Für  eine  wertvolle  Verarbeitung  des  Materiales  kommen  ins- 
besondere zwei  Faktoren  in  Betracht.  Erstens  der  Mangel  einer 
ernstlicheren  Magen-Darmerkrankung  intra  vitam  und  zweitens  eine 
dem  Exitus  möglichst  bald  folgende  Leicheneröffnung. 

Während  der  ersten  Forderung  in  allen  4  Fällen  entsprochen 
werden  konnte,  erscheinen,  was  den  ersten  Punkt  betrifft,  die 
ersten  2  Fälle  für  die  Beurteilung  weniger  geeignet  als  die  Fälle  HI 
und  IV,  bei  welchen  der  Darminhalt  schon  wenige  Stunden  p.  m. 
untersucht  werden  konnte.  Der  Vorwurf,  dass  sich  in  den  ersten 
2  Fällen  eine  postmortale  Vermehrung  der  Darmkeime  eingestellt 
haben  könnte,  wodurch  das  physiologische  Bild  verunstaltet  worden 
wäre,  lässt  sich  nicht  von  der  Hand  weisen.  Immerhin  verdienen 
auch  diese  beiden  Fälle  eine  volle  Berücksichtigung,  da  sie  uns 
die  Verhältnisse  der  Coecum-  und  Colonflora  in  ausserordentlich 
deutlicher  Weise  vor  Augen  führen. 

Die  Untersuchung  des  Darminhaltes  beschränkte  sich  fast 
lediglich  auf  die  bakterioskopische  Prüfung(Färbung  nachWeigert- 
Escherisch).  Nur  in  vereinzelten  Fällen  wurden  kulturelle  Stich- 
proben auf  Bakterien  der  Coligruppe  vorgenommen.  Zur  Unter- 
suchung wurde,  soweit  vorhanden,  nur  der  dem  Darmlumen 
entnommene  Speisebrei  herangezogen. 

Siehe  die  Tabelle  S.  876  ff. 

Bevor  ich  auf  die  Besprechung  der  Bakterienverteilung  im 
Säuglingsdarm  eingehe,  will  ich  es  auf  Grund  meiner  eigenen 
Erfahrung  versuchen,  die  gesehenen  und  beschriebenen  Bakterien- 
formen,  soweit  dies  überhaupt  möglich,  mit  den  mir  bekannten 
Bakterienarten  zu  identifizieren.  Diese  Bestimmung  gelingt  in 
diesem  Falle    ziemli  !h    leicht  und  sicher,    weil  alle  Formen  sehr 


über  die  Darmbakterieo  des  Säuglings.  875 

charakteristisch  sind  und  der  Artenreichtum  ein  überraschend 
geringer  ist. 

Von  den  grampositiven  Bazillen  beobachteten  wir  in  weit- 
aus überwiegender  Menge  schlanke,  meist  zugespitzte  oder  ver- 
zweigte und  partiell  farbbare  Formen,  die  entweder  parallel  ge- 
stellt oder  in  Gruppen  angeordnet  sind;  diese  Formen  sind 
sicherlich  identisch  mit  dem  B.  bifidus  communis. 

Die  grampositiven  langen  geschwungenen  Fäden  und  Eokko- 
bazillenketten  gehören  wahrscheinlich  dem  B.  acidophilus  an.  (?) 

Auf  gewisse  Darmabschnitte  beschränkt,  bemerkten  wir  das 
Auftreten  unversporter  und  versporter  Köpfchen bakterien,  die 
bestimmt  mit  den  für  das  Mekonium  charakteristischen  Köpfchen- 
bakterien Escherichs  identisch  sind,  während  die  plumpen, 
dicken,  zylindrischen  Stäbchen,  zumeistmit  mittelständigen  Sporen, 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  in  den  Bereich  der  Buttersäuro- 
bazillen  einzubeziehen  sind. 

Die  gramnegativen  Bakterien,  von  denen  wir  nur  eine  Type 
beobachteten,  nämlich  ovale,  meist  zu  zwei  angereihte  Kurz- 
stäbchen, sind  Vertreter  der  CoHgruppe.  (B.  coli  commune 
und  B.  lactis  aSrogenes).  Die  Kokkenformen  beanspruchen 
in  Anbetracht  ihrer  beschränkten  Anwesenheit  kein  besonderes 
Interesse. 

Während  im  Inhalt  des  Magens  und  des  Duodenums,  ob 
derselbe  nun  aus  Schleim  oder  aus  Nahrungsresten  bestand,  immer 
mehrere  Bakterienarten  vorgefunden  wurden,  muss  es  in  erster 
Linie  wundernehmen,  dass  der  Dünndarm  bis  auf  seinen 
untersten  Abschnitt  nahezu  keimfrei  war.  Nur  in  den  untersten 
Dünndarmabschnitten  waren  in  allen  Fällen  wiederum  Bakterii^n 
sichtbar,  bei  Fall  I  in  beträchtlicher  Menge. 

Erst  in  der  Gegend  der  Einmündung  des  Ileums  in  das 
Coecum  setzte  in  allen  Fällen  eine  starke  Vermehrung  der  Darm- 
bakterien ein. 

Ein  ganz  anderes  Bild  bot  das  Coecum  dar;  denn  die  Bak- 
terienmenge  begann  hier  in  allen  Fällen  plötzlich  eine  enorme  zu 
werden.  Das  gleiche  galt  für  den  Processus  vermiformis. 
Sie  nahm  im  ganzen  Colon  noch  zu  und  stand  in  diesen  Darm- 
abschnitten jener  des  normalen  Frauenmilchstuhles  kaum  mehr  nach. 

Dieser  krasse  Unterschied  zwischen  den  Vegetations Ver- 
hältnissen im  Darme  vor  und  nach  dem  Coecum  ist  ausser- 
ordentlich    auffallend    und    geradezu    typisch.     Allein  wir  dürfen 

Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    e.  57 


876 


Koro,  Morphologische  udcI  biologische  UotersachongeD 


AbschDitt 

des  Ver- 

daaoDgs- 

traktes 


I.   Brustkind. 
Alter:  14  Tage. 
Diagnose:  Atrophie. 
Zeitpunkt  der  Sektion:  14  Stdn.  p.  m. 


Beschaffen- 
heit 
des  Inhalts 


Bakterioskopische 
Untersuchung 


IL  Brustkind. 
Alter:  6  Tage. 

Diagnose:  Part,  praem..  Debil,  vit 
Sektion:  14  Stunden  p.  m. 


Beschaffen- 
heit 
des  Inhalts 


Bakterioskopische 
Untersuchung 


Magen 


Weisslicher 
Schleim 


Duo- 
denum 


Dünn- 
darm, 
oberer 
Abschnitt 

Dunnd., 
Mitte 
Dann- 
darm, 
unterer 

Abschnitt 

Dünn- 
darm, 
Ende 


Coecam 


Weisslicher, 
schleimig- 
zäher  Inhalt 


Mit  Schleim 

vermengter, 

gelblicher 

Speisebrei 


do. 


do. 


Sp&rliche  Bakterien.  Vor- 
wiegend Kokken.  Einige 
Sarcinen.  Ausschliesslich 
gram-j-f  schlanke  Bazillen. 
Vereinzelte  tjpisch  yer- 
zweigte  Exemplare.  Keine 
Hefen 


Ziemlich  reichl.  Bakterien 
Gram  —  Formen  (ov.  Kurz 
st&bchen)  nahezu  rein.  Nur 

Tereinzelt  Kokken  und 
gram-^  gefleckte  Bazillen 
Auffallend  spärl.  Bakterien 
(darunt.Yorw.gram — ovale 
Kurzst&bchen  und  nur  ver- 
einzelt  schlecht   färbbare 

gram-f-  Kolbenformen) 


Geringe  Vermehrung  bes 
der  gram  —  Kurzstähchen. 

Die  gram  4- Bazillen 
weisen  viele  junge  Wuchs- 
formen auf 


Schleimig. 

Keine 
Nahrungs- 
bestandteile 


Schleimiger 
Inhalt 


do. 

Keine 

Nahruugs- 

bestandteile 

do. 

do. 


do. 


Reichl. Bakt.  Gram— Kurz- 
stäbch.  weitaus  im  Vorder- 
grand.   Auftreten  dicker  gram-f  Formen 
(einige  wenige  mit  mittelständiger  Spore), 
mehr    grosse,     unversporte     Köpfchen 
bakterien  ;  einige   grosse  Tonnenformen 


Hauptsäch-     Sehr  zahlreiche  Bakterien, 
lieh  Schleim      Gram  +  vorherrschend 
(gelblich)      (junge  Wuchsformen   und 
verzweigte).     Ferner  viele 
grosse  und  kleine  Köpfchenbakterien  (zuweilen  ver- 
spürt).    Zahlreiche    grosse,    plumpe,   zylindrische 
Bazillen  mit  mittelständiger  Spore.    Viele  Kokken, 
aber  auch  gram —  Stäbchen  reichlich 


Schleimig. 
Wenig 

Nahrungs- 
reste 


Sehr  spärliche  Bakterien, 
darunter  hauptsächlich 

Kokken    (einige   Ketten); 

vereinzelte  Kokkobazillen 
formen.     Einige  Hefen 


Sehr  spärliche  Bakterien, 
gram  —  ovale  Korz- 
Stäbchen,  neben  ver- 
einzelten Kokken 

Äusserst  spärl.,  nur  ganz 

vereinzelte    gram  — ovale 

Kurzstäbchen,  neben 

Kokken  häufen 

Nur  ganz  vereinzelt 
gram —  Kurzstäbchen 
Wenige  Bakterien, 
gram —  Kurzstäbchen  ver- 
mehrt.     gram-|<  Bazillen 
stellenweise  in  Haufen 

Reichliche  Bakterien, 
gram  —  Kurzstäbchen  nnd 

gram-|~  Bazillen 
(worunter  auch  viele  ver- 
zweigte) deutlich  vermehrt 

Sehr  zahlr.  Bakterien, 
gram-f-  Bazillen  im 
Vordergrunde.  Ausserdem 
in  geringer  Zahl  Köpfchen- 
bakterien,   Sporen   and 
gram —  ovale  Kurz- 
stähchen 


über  die  Darmbakterien  des  S&aglingB. 


877 


III.  Brastkind. 
Alter:  9  Wochen. 
Diagnose:  Stat.  thym. 
Sektion:  2  Stunden  p.  m. 


Beschaffen- 
heit 
des  Inhalts 


Bakterioskopische 
Untersuchung 


IV.  Brustkind. 
Alter:  18  Tage. 
Diagnose:  Pneumonie. 
Sektion:  5  Stunden  p.  m. 


Beschaffen- 
heit 
des  Inhalts 


Bakterioskopische 
.Untersuchung 


Fein 
geronnene 
Milch,  ver- 
mengt mit 
Magensaft 


Weisslich- 
gelber, 
faden- 
ziehender 
Schleim 
Flüssig- 
schleimiger, 
gelb  gefärbt. 
Inhalt 

du. 

Schleimiger, 
gelbgefärbt., 
stark  ver- 
dünnter 
Speisebrei 
do. 


Gelber 
Speisebrei 


Bakter.  in  jedem  Gesichtsfeld.    Mit  Magen- 
Gram  4- Formen  vorherrschend,       saft  ver- 
gram—  ovale  Kurzstäbchen  in       mengte, 
verschwindender     Zahl.       Die    flockig  ge- 
ersteren    zumeist   in  Gruppen,       ronnene 
daneben  einzelne  deutlich  ver-         Milch 
zweigte.  Einige  Kokkobazillen- 

ketten  und  geschwungene  Fäden.    Mehrere  Diplokokken  und  Sarcinen  (auch 
Staphylo-Streptokokken).    Keine  Hefen 


Spurliche  Bakterien,vor  wiegend 
Kokken  verschiedenster  Art. 
Unter  den  wenigen  Bazillen  fast 
ausschliesslich  gram +*  schlecht 
ßLrbbare,  gefleckte  Stäbchen. 
Vereinzelte  deutlich  verzweigt 


Ausserordentlich    wenig    Bak- 
terien  (nur  mit  Mube  auffind- 
bar).   Kokken  und  vereinzelte, 
gram-|-  gefleckte  Bazillen 

Keine  Bakterien  sichtbar 


Keine  Bakterien  sichtbar 

Ausschliesslich  vereinzelte 

gram —  Bakterien  (kürzere  und 

längere  Formen) 


Massig  reichlich  Bakterien. 
Hauptsächlich  Vermehrung  der 
gram — ,  die  in  jedem  Gesichts- 
feld   vorhanden.     Gram+  nur 
vereinzelt 

Sehr  zahlreiche  Bakterien.  Fast 
ausschliessl.  gram  +  verzweigte 
und  unverzweigte  Bazillen.  In 
geringer  Zahl  gram —  ovale 
Karzstäbcheo.  Vereinzelte  un 
versporte  Köpfchenbakterien  u. 
eudosporogene,  zylindr.  Formen 


Schleimiger, 
gelb  gefärbt. 

Inhalt. 
Nahrungs- 
reste ? 
Gelblicher, 
mit  Schleim 
vermengter 
Speisebrei 

do. 

Gelblich- 

weisser, 

schleimiger 

Speisebrei 

do. 


Gelblicher 
Speisebrei 


Spärl.   Bakterien.     Vereinzelte 
gram—  neben  Kokken 


Äusserst    spärliche    Bakterien 

(darunter  bes.  gram — ,  Kokken 

und  vereinzelt  gefleckte  Gram-^ 

Bazillen) 

Keine  Bakterien  sichtbar 

Wenig  Bakterien.  Gram—  ovale 
Kurzstäbchen  rein 


Relativ  wenig  Bakterien.  Ver- 
mehrung der  gram —  Stäbchen. 
Einige  wenige  gram  +  (wo- 
runter junge  Wuchsformen  und 
verzweigte  Exemplare) 

Sehr  zahlreiche  Bakterien.  Fast 
ausschliessl.     gram+  Bazillen, 

darunter  viele  verzweigte 

Formen.     Ganz    vereinzelt  un- 

versporte  Köpfchen'bakterien  u. 

Sporen.    Gram —  Stäbchen  nor 

äusserst  spärlich 

57* 


878  MorOy  Morphologische  und  biologische  üntersachangen 


I 

.  Brustkind.                        jj                      II.  Brustkind. 

Abschnitt 
des  Ver- 
daoQDgs- 

Alter:  U  Tage. 

Alter:  6  Tage. 

Diagnose:  Atrophie. 

Diagnose:  Part  praem^  DebiL  vit 

Zeitpunkt  der  Sektion:   14  Stdn.  p.  m. 

Sektion:  14  Stunden  p.  m. 

traktes 

Beschaffen- 
heit 

Bakterioskopische 

Beschaffen- 
heit 
des  Inhalts 

Bakterioskopische 

des  Inhalts 

Untersuchung 

IJntersnchong 

Processus 

»« 

__ 

_ 

_ 

termi- 

formis 

Colon 

Homogener, 

Reichlichst  Bakterien. 



_ 

ascendens 

etwas 

gram 4- Bazillen  (junge 

(Flexura 

schleimiger, 

Wuchsformen  und  verzweigte)    weitaus    vorherrschend.     Daneben 

hepatica) 

gelblicher 

auffallend   viele   Sporen    und  Köpfcheobakterien.     gram —  Knrz 

Inhalt 

Stäbchen  noch  immer  in  bedeutender  Zahl 

Colon 

do. 

do.                          Gelblich, 

Reichlichst  Bakterien. 

trans- 

mit  Schleim 

gram-f-  Bazillen  weitaus 

versom 

vermengt 

überwiegend.    Daneben 

noch  mehrere  ovale  Kurz* 

Stäbchen.     Vereinzelte   Köpfchen bakterien.     Keine   Sporen 

Colon 

-— 

— 

—          1                      _ 

desceod. 

(Fiexnra 

linearis) 

Flexura 

do. 

Reichlichst  Bakterien. 

— 

Reichlichst  Bakterien. 

sigmoidea 

gram-f-  Bazillen,  neben 

gram  -f-  Bazillen  fast  rein. 

Kokken  und  vereinzelten  gram—  ovalen 

nar  vereinzelt  Kokken 

Kurzstäbchen.    Keine  Sporen 

Rectum 

do. 

do. 

do. 

do. 

nicht  ZQ  weit  gehen;  denn  so  sehr  uns  auch  dieses  Verhalten 
des  Dünndarmes  überraschte,  ist  doch  von  einer  Keimfreiheit  im 
strengsten  Sinne  des  Wortes  nicht  die  Rede.  Schon  die  mikro- 
skopische Prüfung  allein  gibt  uns  darüber  Aufschluss,  dass  (ausser 
b.  F.  III)  auch  im  oberen  Anteil  des  Dünndarms  vereinzelte 
Keime  vorhanden  waren,  wahrend  die  untere  Dünndarmpartie  in 
allen  Fällen  eine,  wenn  auch  spärliche  Flora  beherbergte,  die  am 
Ende  des  Dünndarms  bereits  eine  ziemlich  reichliche  Vermehrung 
aufzuweisen  schien.  Ich  kultivierte  probeweise  aus  allen  Dünn- 
darraabschnitten  (F,  III)  auf  Agarstrich  und  auf  Milch  (aßrob) 
und  erhielt  überall  positive  Resultate. 

Nicht    weniger    interessant    und    merkwürdig    ist    die   Ver- 


über  die  Darmbakterien  des  Säaglings. 


879 


III.  Brustkind. 
Alter:  9  Wochen. 
Diagnose:  Stat.  thym. 
Sektion:  2  Standen  p.  m. 

IV.  Brustkind, 
Alter:  18  Tage. 
Diagnose:  Pneumonie. 
Sektion:  2  Stunden  p.  m. 

Beschaffen- 
heit 
des  Inhalts 

Bakteriosk  epische 
Untersuchung 

Beschaffen- 
heit 
des  Inhalts 

Bakterioskopische 
Untersuchung 

Weisslicher 
Schleim 

Gelber, 

homogener 

Inhalt 

do. 

do. 
do. 
do. 

Sehr  reichliche  Flora.    Reines 

Bild  gram  4-  Bazillen  (darunter 

viele  junge  Wachsformen   und 

nur  wenig  verzweigte) 

Reichlichst  Bakterien. 

gram+   Bazillen  rein 

do. 

do. 
do. 
do. 

Weisslicher 
Schleim 

Gelber, 

homogener 

Inhalt 

do. 

do. 
do. 
do. 

Sehr  reichliche  Flora.    Reines 

Bild    gram-[-  Bazillen  (junge 

Wuchsformen    in    Haufen    und 

Gruppen) 

Reichlichst  Bakterien. 

gram-f-  Bazillen  rein 

do. 

do. 
do. 
do. 

teiluDg  der  einzelnen  Bakterienarten  auf  die  verschiedenen  Darm- 
abschnitte; denn  wir  sehen  schon  auf  den  ersten  Blick,  dass  die 
Bakterienarten  nicht  regellos  im  Darme  zerstreut  sind,  sondern 
dass  ihre  Verteilung  eine  typische,  ich  möchte  sagen  organi- 
sierte ist. 

Im  Dünndarm  finden  wir,  soweit  derselbe  keimhaltig,  nur 
die  gramnegativen  Formen  der  ovalen  Kurzstäbchen  nahezu  rein: 
B.  coli  commune  und  B.  lactis  aerogenes.  Nur  ganz  ver- 
einzelt tauchen,  ebenso  wie  im  Magen,  versprengte  Einzel- 
individuen und  kleine  Gruppen  des  Bifidus  auf. 

Im  Coecum  beginnt  wie  mit  einem  Schlage  die  Vegetation 
des  Bifidus  und  die  Coligruppe  tritt  in  den  Hintergrund. 


880 


Moro,  Morphologische  and  biologische  Untersachangen 


Im  Colon  (transversum  und  descendens)  und  im  Rectum 
beherrscht  der  Bifidus  vollständig  das  Gesichtsfeld  und  ist,  sowie 
im  ausgeschiedenen  Stuhle,    scheinbar   in  Keinkultur    vorhanden. 

Während  nun,  wie  wir  gesehen 
haben,  die  Vegetation  dieser  Darmab- 
schnitte eine  überraschende  Einheitlich- 
keit aufweist,  weicht  die  Flora  des 
Coecums  und  der  ihm  nächstgelegenen 
Darmpartien  von  diesem  Verhalten  einiger- 
massen  ab.  Sie  zeigen  ein  mehr  oder 
minder  polymorphes  Bild,  das  besonders 
in  Fall  I  und  II  deutlich  zum  Ausdrucke 
gelangte.  Der  Inhalt  dieser  Darmab- 
schnitte beherbergte  ausser  den  bereits 
genannten  Bakterienarten,  welche  aller- 
dings auch  hier  die  Bildfläche  beherrschen, 
auch  jene  zum  Teil  in  Versporung  be- 
griffenen Bakterienformen,  welche  wir  mit 
den  Buttersäurebazillen  und  mit  den 
Köpfchenbakterien  identifizierten. 

Die  normale  Darmflora  des  natür- 
lich ernährten  Säuglings  ist  demnach 
sehr  artenarm,  und  es  kann  uns  nach  all 
dem  nicht  mehr  wundernehmen,  dass  die 
physiologische  Stuhlflora  gerade  durch 
ihr    einheitliches  Bild   charakterisiei*t  ist. 

Womit  erklären  wir  uns  nun  die 
auffallende  Bakterienarmut  des  Dünn- 
darminhaltes? Escherich  meinte,  dass 
es  sich  hier  wohl  nur  um  den  Effekt 
der  Vermischung  einer  grossen  Menge 
bakterienfreier  Sekrete  mit  einer  ge- 
ringen Quantität  bakterienhaltigen  Speise- 
breies handelt;  dass  ferner  die  Dauer  des 
Aufenthaltes  des  Speisebreies  im  Dünn- 
darm zu  gering  sei  und  somit  die  Ent- 
wicklung der  Formen  in  diesem  Abschnitte  nicht  über  das 
Vermehrungs-  und  Jugendstadium  hinauskommt. 

Es  unterliegt  gar  keinem  Zweifel,  dass  in  der  Tat  die  An- 
wesenheit einer  grösseren  Bakterienmenge  an  das  Vorhandensein 
reichlicherer  Nahrungsreste  gebunden   ist;    denn,    wenn  wir  vom 


Schematische  Darsiellang 
derBakterienverteilaDg  im 
Säuglingsdarm  (bei  natür- 
licher Ern&hiniog). 
•  r=  Bifidas 

o  SS  sporcDbildende  Bak- 
terien   (Batters&nre- 
basilleD,     Köpfchen- 
bakterien  etc.) 
.  r=  Coligroppe 


über  die  Darmbakterien  des  S&ngliogs.  881 

Inhalte  des  Dünndarmes  Milchbestandteile  zur  Untersuchung 
heranziehen,  so  werden  wir  stets  darin  Bakterien  vorfinden. 

Bei  der  Betrachtung  dieser  Verhältnisse  ist  jedoch  noch  ein 
weiterer  Faktor  in  Erwägung  zu  ziehen,  nämlich  die  von  Eohl- 
brugge  angenommene  bakterizide  Kraft  des  Dünndarmsaftes. 
Kohlbrugge  erblickt  die  Hauptfunktion  der  Enterokinase  in 
der  Entfaltung  einer  sehr  kräftigen  keimtötenden  Fähigkeit  und 
gründet  darauf  bekanntlich  seine  Theorie  von  der  Autosterilisation 
des  Dünndarmes.  Nach  seinen  eigenen  Untersuchungen  findet 
man  bei  manchen  Tieren  (bes.  Nagern)  im  Dünndarm  niemals 
Bakterien,  wenn  nicht  Ingesta  darin  sind,  und  als  eine  wesentliche 
Stutze  seiner  Theorie  führt  Kohlbrugge  einen  Versuch  von 
Schütz  an,  der  in  den  Zwölffingerdarm  von  Hunden  grosse 
Mengen  des  Vibrio  Metschnikoff  injizierte  und  den  Bazillus 
nicht  mehr  in  der  Fäces  fand. 

Obgleich,  wie  wir  später  sehen  werden,  die  bakterizide 
Wirkung  der  Enterokinase  nicht  überschätzt  werden  darf,  so  glaube 
ich  doch  für  die  Erklärung  der  beschriebenen  Erscheinung  auch 
die  Kohlbruggesche  Theorie  in  Anspruch  nehmen  zu  müssen. 
Dafür  ist  mir  insbesondere  die  Tatsache  massgebend,  dass  die 
üppige  Vegetation  des  Coecums  sich  niemals  in  der  Richtung 
des  Dünndarms  hin  ausbreitet.  Man  hat  den  Eindruck,  als 
würde  diesen  Bakterienarten  hier  plötzlich  Halt  geboten. 

Nur  die  Bakterien  der  Coligruppe  scheinen  hierin  eine 
Ausnahme  zu  machen,  denn  sie  vermögen,  obgleich  im  be- 
schränkten Maasse,  im  Dünndarminhalt  zu  vegetieren.  Ich  erblicke 
in  dieser  konstanten  Beobachtung  einen  kräftigen  Hinweis  darauf, 
dass  das  Lebensverhältnis  des  B.  coli  commune  und  des 
B.  lactis  a€rogenes  zum  Säuglindsdarm    ein   symbiotisches  ist. 

Wenden  wir  uns  nun  einer  weiteren  Frage  zu.  Welches 
Schicksal  erleiden  die  Bakterien  im  Säuglingsdarm? 

Eberle,  der  sich  in  einer  über  Anregung  Escherichs  be- 
gonnenen Arbeit  die  Aufgabe  stellte,  die  Stuhlbakterien  des 
Säuglings  im  mikroskopischen  Präparate  und  auf  der  Platte  ver- 
gleichsweise zu  zählen,  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  nur  ein 
ganz  geringer  Bruchteil  (4,5 — 10  pCt.)  auf  den  üblichen  Nähr- 
boden zur  Entwicklung  gelangt. 

Klein  erhält  noch  geringere  Zahlen,  bis  IpCt. 

Schmidt  und  Strasburger  eruierten  auf  dem  Wege  ihrer 
Wägungsmethode,  welche  die  im  Gefolge  der  Zählung  kleiner 
Bakterienquantitäten    sich    einstellenden    Fehlerquellen    zu    ver- 


882  Koro,  Morphologische  und  biologische  Untersuchungen 

meiden  sucht  und  die  Bakterien  unmittelbar  in  einer  grossen 
Menge  Substanz  zu  bestimmen  erlaubt,  noch  geringere  Werte. 
Sie  konnten  aus  letzteren  unter  Zugrundelegung  der  früheren 
Erfahrungen  berechnen,  dass  nur  etwa  0,07  pCt.  der  Bakterien 
entwicklungsfähig  sind. 

Stern,  der  sich  mit  der  Desinfektion  des  Darmkanales  be- 
schäftigte, gelangt  schon  früher  ebenfalls  zur  Überzeugung,  dass 
die  Zahl  der  auf  der  Gelatineplatte  sich  entwickelnden  Keime 
nur  einen  kleinen  Bruchteil  jener  in  den  Fäces  vorhandenen 
und  mittelst  der  mikroskopischen  Untersuchung  nachweisbaren 
Bakterien  darstellt  und  ein  ähnliches  Verhalten  beobachtete 
Hammerl  beim  erwachsenen  Menschen. 

Unser  grösstes  Interesse  nimmt  eine  Arbeit  Hellströms 
aus  der  jüngsten  Zeit  (1901)  in  Anspruch,  da  seine  Unter- 
suchungen am  gleichen  oder  an  einem  zumindest  sehr  ähn- 
lichen Material  angestellt  wurden,  nämlich  an  neugeborenen, 
durchwegs  naturlich  ernährten  Säuglingen.  Seine  Fragestellung 
lautete:  „Ist  die  ungeheuere  Menge  von  Bakterien,  die  im 
Gesichtsfeld  unter  dem  Mikroskope  zum  Vorschein  kommt  und 
die  man  nicht  imstande  ist  auf  den  Nährboden  zur  Entwicklung 
zu  bringen,  als  abgetötet,  nicht  entwicklungsfähig  oder  als 
lebendig,  entwicklungsfähig  anzusehen?*' 

Hellström  zeigt  an  einer  grossen  Reihe  von  Einzel  Unter- 
suchungen, dass  sich  schon  beim  Neugeborenen,  während  der 
Mekoniumperiode  Unterschiede  bemerkbar  machen,  wenn  man  die 
Zählung  der  im  mikroskopischen  Präparate  sichtbaren  Keime  mit 
dem  Eulturergebnis  vergleicht.  Allein  die  Divergenz  der  ge- 
fundenen Werte  ist  in  diesen  Fällen  keine  so  enorme,  als  später, 
wenn  die  ersten  Milchfäces  zur  Untersuchung  herangezogen 
werden.  Jetzt  beginnen  die  notierten  Zahlen  immer  mehr  und 
mehr  auseinanderzugehen;  die  Kultur  ergibt  nur  relativ  wenig 
Kolonien,  während  in  den  Präparaten  eine  Unzahl  von  Bakterien 
erscheint.  Dieses  Miss  Verhältnis  wird  in  den  nächsten  Lebens- 
tagen ein  noch  krasseres,  erreicht  aber  sehr  bald  einen  konstanten 
Punkt,  und  die  divergierenden  Werte  verbleiben  auf  ziemlich 
gleicher  Höhe. 

Hellström  erklärt  sich  diese  Erscheinung  mit  dem  Ab- 
sterben der  Darmbakterien  und  sieht  sich  auf  Grund  seiner 
Ergebnisse  zur  Behauptung  veranlasst,  dass  die  meisten  mit  dem 
Kote  ausgeschiedenen  Bakterien  tot  sind.  Als  Ursachen  dieser 
im  Darm  sich  vollziehenden  Abtötung  der  Keime  fuhrt  Hellström 


über  die  Darmbakterien  des  S&aglings.  ^83 

vor  allem  die  allmähliche  Verarmung  des  Nährbodens  an  Nähr- 
stoffen und  den  deletären  Einfluss,  den  ihre  eigenen  StofFwechsel- 
produkte  und  die  im  Gefolge  der  Kohlehydratgärung  entstandenen 
organischen  Säuren  auf  die  Darmbakterien  ausüben,  an. 

Gerade  in  der  Kreuzung  der  Kurven,  in  dem  Ergebnis,  dass 
die  entwicklungsfähigen  Keime  mit  dem  Alter  des  Kindes  immer 
geringer  werden,  erblickt  Uellström  eine  weitere  Stutze  seiner 
Annahmen,  insofern,  als  eben  die  Resorptionsfähigkeit  des  Darmes 
in  den  ersten  Lebenstagen  eine  wesentlich  geringere  ist  als  in 
der  folgenden  Zeit. 

Die  Erklärung,  wie  sie  Hellström  gegeben  hat,  ist  sehr  an- 
sprechend und  naheliegend. 

Wir  finden  sie  auch  bei  den  übrigen  Untersuchern  an- 
gedeutet. Allein  alle  diese  Schlussfolgerungen  basieren  auf  einer 
völlig  unzureichenden  Methodik,  und  die  gefundenen  Zahlen  sind 
daher  ganz  unbrauchbar.  Es  ist  ohne  weiteres  klar,  dass  bei 
Yernachlässigung  der  Ana^robier,  welche,  wie  wir  gesehen  haben, 
die  Hauptmasse  der  normalen  Säuglingsstuhlflora  darstellen,  die 
Untersuchungen  auf  der  aSroben  Platte  ein  unrichtiges  Ergebnis 
zutage  fördern  mussten.  Das  gleiche  gilt  für  die  acidophile  Flora, 
welche  nur  auf  saueren  Nährboden  zu  einer  selbständigen  Ent- 
wicklung gelangt,  ohne  von  der  Coligruppe  überwuchert  zu  werden. 

Die  Korrektur  der  erhobenen  Befunde  wird  jedoch  deshalb 
nicht  leicht  durchführbar  sein,  weil  der  Bifidus  auf  der  anaeroben 
Platte  gar  nicht  oder  nur  ganz  mangelhaft  wächst  (Abhdlg.  I, 
S.  716).  Allein  das  Eine  steht  fest,  dass  sich  die  Differenz  der 
Zahlen  bei  Berücksichtigung  der  Anaeroben  und  der  Acidophilen 
beträchtlich  ausgleichen  würde,  womit  diese  spezielle  Frage 
wesentlich  an  ihrem  ursprünglichen  Interesse  einbüsst. 

Selbstverständlich  soll  damit  nicht  gesagt  sein,  dass  die 
Gesamtheit  der  mit  dem  Kote  ausgeschiedenen  Bakterien  lebens- 
fähig ist.  Es  wurde  vielmehr  schon  früher  (Abhandlung  I) 
hervorgehoben,  dass  ein  Teil  der  im  Stuhle  erscheinenden 
Bakterien  tot  sein  müsse,  was  auf  Grund  ihres  totalen  Bewegungs- 
niangels  und  ihrer  schlechten  Tingierbarkeit  festgestellt  werden 
konnte.  Allein  einen  Schluss  auf  die  Absterbeerscheinungen  der 
Bakterien  im  Darme  lassen  diese  Beobachtungen  ebensowenig 
zu,  wie  die  vergleichende  Zählung  der  mikroskopisch  sichtbaren 
Keime  mit  den  —  selbst  bei  voller  Berücksichtigung  der  er- 
gänzenden Methoden  —  auf  der  Platte  gewachsenen  Kolonien. 
Ich  vermute  nämlich,  dass    die   in  den  höheren  Darmpartien  ab- 


L 


884  Moro,  Morphologische  and  biologische  Untersuchangen 

getöteten  Bakterien  im  mikroskopischen  Präparate  überhaupt 
nicht  mehr  dargestellt  werden  können.  Dafür  spricht  u.  a.  die 
Tatsache,  dass  die  obligaten  Bakterien  der  höheren  Darmpartien 
im  normalen  Stuhlbilde  nur  äusserst  spärlich  wieder  erscheinen, 
während  doch  apdererseits  mit  Bestimmtheit  angenommen  werden 
muss,  dass  dieselben  im  Darme  fortwährend  in  grosser  Zahl  zu- 
grunde gehen.  Wohin  wurde  die  endlose  Vermehrung  der  Daim- 
bakterien  fuhren,  wenn  ihre  Lebensdauer  nicht  eine  sehr  be- 
schränkte wäre? 

Wahrscheinlich  werden  die  Leiber  der  abgestorbenen 
Bakterien  von  den  Yerdauungssäften  selbst  angegriffen  und  ver- 
daut; vielleicht  werden  sie  als  amorphe  Massen  ausgeschieden, 
vielleicht  werden  sie  resorbiert.  In  Anbetracht  der  ungeheueren 
Menge  der  Darmbakterien  wäre  diese  Ernährungsquelle  keine 
geringe. 

Literatur  *). 

49.  Oiechomskj  u.  Jakowski,  UDgewöhnlich  lange  daaerDder  küDstltcher 

After,    nebst    chemisch  -  bakteriologischen    Untersuchangen    über   den 
Inhalt  der  Dünndärme.     Arch.  f.  klin.  Chir.    Bd.  48.     1894. 

50.  Eberle,    Zählung    der  Bakterien    im  normalen  Säuglingskot.     Centralbl. 

f.  Bakt.    Bd.  19.     1896. 

51.  Es  che  rieh,  Referat  über  die  Darmbaklerien  des  Säuglings. 

52.  Gessner,   Über    die  Bakterien    im    Duodenum    des  Menschen.     Arch.  f. 

Hyg.    Bd.  9.     1889. 

53.  de  Giaza,  Del  quantitativo  di  batteri  contenyto  del  tubo  gastricoenterico 

di  alcuni  animali.    Zit.  n.  Baumg.  Jahresb.    4.  Jahrg.     1888. 

54.  Gilbert    u.    Dominici,    Compt.  rend.    soc.  bioi.     1894.     p.  76.    Zit  n. 

Kohlbrugge.     27. 

55.  Harn m er  1,    Die  Bakterien    der  menschlichen  Fäces  nach  Aufnahme  Ton 

vegetabilischer  und  gemischter  Nahrung.     Zeitschr.  f.  Biolog.   Bd.  35. 
1897. 

56.  Hellström,    Untersuchungen  über  Veränderungen  in  der  Bakti^rienzahl 

der  Fäces  bei  Neugeborenen.     Arch.  f.  Gyn.    Bd.  63.     1901. 

57.  Jakowski,    Contribution    ä   Fetudo    des    processus    chimiques    dans    les 

intestins    de    Thomme.      Arch.    d.    scienc.    biol.    inst.    med.    experini. 
St.  Petersburg.     Bd.  1.     1892. 
58^  Klein,  Sitzungsber.  d.  Kgl.  Akad.  d.  Wissensch.  in  Amsterdam.  25.  Mai 
1901.     Zit.  n.  Schmidt  u.  Strasburger. 

59.  Kohlbrugge,  Die  Autosterilisation  des  Dünndarmes  und  die  Bedeutung 

des  Coecums.     Centralbl.  f.  Bakt.    Bd.  29.     1902. 

60.  Mackfaiden,  Nencki  u.  Sieber,  Untersuchungen  über  die  chemischen 

Vorgänge  im  menschlichen  Dünndarm.  Arch.  f.  exp.  Path.  Bd.  28.   1891. 

I)  Ausser  den  in  Abhandlung  I  bereits  angeführten  Arbeiten. 


T 


über  die  Darmbakterien  des  Säuglings.  885 

61.  Neocki,  Über  die  Zersetzung  der  Gelatine  und  des  Eiweisses.  Bern  1876. 
63.  Rah n er,    Bakteriologische   Mitteilungen    aber    die   Darmbakterien    der 
Hühner.    Centralbl.  f.  Bakt.    Bd.  30.     1901. 

63.  Schlichter,   Bakteriologische   Untersuchungen    des    Kotes   bei  Atresia 

ani  vestib.    Wien.  klin.  Wochenschr.     1890. 

64.  Schutz,   Kritische    und    experimentelle  Beitr&ge    zur  Fiage  der  gastro- 

intestinalen  Desinfektion.    Arch.  f.  Verdauung.     1901. 

65.  Stern,  Über  Desinfektion  des  Darmkanales.  Zeitschr.  f.  Hyg.  Bd.  12.  1892. 


III. 

Die  erste  Infektion  des  Säugrllngrsdarms  mit  Mlkroorgranlsmen 
und  deren  Bezlehung^en  zur  bleibenden  Darmflora. 

Woher  stammen  die  normalen  Darmbakterien,  and  wie  ge- 
langen sie  in  den  Darm  des  Säuglings? 

Far  die  Einwanderung  in  den  Darm  stehen  den  Bakterien 
unter  normalen  Verhältnissen  nur  zwei  Wege  offen:  der  Mund 
und  der  Ä.fter. 

Von  diesen  beiden  Invasionspforten  kommt  für  das  spätere 
Alter  dem  ersteren  Wege  entschieden,  die  grössere  Bedeutung 
zu.  Wir  dürfen  jedoch  bei  der  Erwägung  dieser  Frage  nicht 
ausser  Acht  lassen,  dass  sich  dem  stomachalen  Eindringen  der 
Bakterien  zwei  Schwierigkeiten  in  den  Weg  stellen:  erstens  die 
Magensalzsäure,  zweitens  der  Dunndarmsaft. 

Auf  das  erstere  Moment  wurde  insbesondere  von  früheren 
Forschern  ein  grosses  Gewicht  gelegt.  Die  antiseptische  Kraft 
der  Magensalzsäure  ist  jedoch,  wie  alle  späteren  Untersuchungen 
übereinstimmend  berichten,  keine  so  bedeutende,  und  die  ursprüng- 
liche Ansicht  Bienstocks,  dass  nur  Dauerformen  von  Bakterien 
unbeschadet  den  Magen  passieren  können,  wurde  vielfach  wider- 
legt. Immerhin  muss  dem  Magensafte  auf  der  Höhe  der  Ver- 
dauung eine,  obgleich  nur  beschränkte,  bakterizide  Wirkung 
zugeschrieben  werden,  und  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass 
ein  Teil  der  eingeführten  Bakterien  in  seinen  Lebenseigenschaften 
im  Magen    abgeschwächt    wird   (Miller,  Kuisl,  Dallemagne). 

Eine  weit  grössere  Bedeutung  dürfte,  wie  wir  gesehen 
haben,  dem  Dünndarmsafte  beizumessen  sein.  Allein  auch  die 
bakterizide  Kraft  der  Enterokinase  (Kohlbrugge)  ist  keine  so 
bedeutende,  dass  sie  dem  Eindringen  selbst  darmfremder 
Bakterien    einen    wirksamen  Widerstand   entgegensetzen    könnte. 

Escherich  und  ich  fanden  immer  Bakterien  der  Coligruppe 
im  Dünndarm  des  Säuglings,  Klecki  im  Dünndarm  des  Hundes, 
Rahner  im  Dünndarm  des  Huhnes. 


886  Moro,  Morphologische  uod  biologische  ÜDtersachangen 

Piazza  and  Eurkunoff  konnten  die  in  den  Darm  ein- 
geführten Milzbrand-  und  Kauschbrandbazillen  im  ausgeschiedenen 
Kote  ihrer  Yersuclistiere  wiederfinden,  ohne  dass  eine  Ab- 
Schwächung  der  Virulenz  eingetreten  wäre. 

Brudzinsky  verfütterte  Hunden  und  Katzen  den  Proteus 
vulgaris  und  fand  die  verfutterte  Bakterienart  im  Stuhle 
dieser  Tiere  reichlich  wieder.  Seine  positiven  Fütterungs- 
versuche mit  Reinkulturen  von  B.  lactis  a^rogenes  bei  Säug- 
lingen sind  für  diese  Frage  weniger  beweisend,  weil  wir  uns 
vorstellen,  dass  diese  Bakterienart,  ebenso  wie  das  B.  coli,  im 
Darm  symbiotisch  lebt  und  infolgedessen  von  den  Sekreten  nicht 
wesentlich  alteriert  wird. 

Ich  fand  bei  einem  gesunden  Säugling,  der  eine  durch 
Stagnation  auffallend  staphylokokkenreiche  Milch  an  der  Ammen- 
brust zu  trinken  bekam,  die  verfütterten  Staphylokokken  reich- 
lich auf  den  von  den  Stuhlgängen    angefertigten  Gelatineplatten. 

Allerdings  können  gegen  diese  Yersnche  zwei  Einwände 
geltend  gemacht  werden.  Erstens  einmal  der  Umstand,  dass  die 
Bakterien  zugleich  mit  der  Nahrung  eingeführt  wurden^),  wobei 
wenigstens  ein  Teil  der  Bakterien  im  Innern  der  Milchgerinnsel 
und  des  Speisebreies  vor  der  äusseren  Wirkung  der  Sekrete 
verschont  bleiben  konnte,  und  zweitens  die  Tatsache,  dass  die 
Menge  der  verfütterten  Bakterien  eine  von  vornherein  reichlich 
gewählte  war. 

Allein,  wie  könnten  wir  uns  das  Zustandekommen  bakterieller 
Darminfektionen  beim  gesunden  Säugling  anders  erklären,  wollten 
wir  im  Sinne  Kohlbrugges  der  Enterokinase  eine  so  wirksame 
bakterizide  Kraft  beimessen? 

Eine  Invasion  der  Darmbakterien  per  os  ist  demnach  sehr 
wohl  möglich. 

Einen  einwandfreien  Beweis  hierfür  erbrachte  Escherich, 
der  bei  einem  Falle  von  Atresia  ani  im  Darme  die  obligaten 
Milchkotbakterien  B.  coli  und  B.  lactis  finden  konnte. 

Ich  konnte  den  B.  acidophilus  in  der  Menschenmilch  und 
auf  der  Warzenhaut  stillender  Frauen  nachweisen  und  sprach 
die  Vermutung  aus,  dass  er  per  os  in  den  Darm  gelangt,  wo- 
selbst er  im  sauern  Darminhalte  des  Säuglings  besonders  günstige 
Vegetationsverhältnisse  antrifft. 

In    Anbetracht    dieser   Verhältnisse    hoffte    ich    auch,    das 

')  Mit  Ausnahme  der  Budzinskjschen  Proteasversache,  welcher 
Boaillookulturen  verfütterte. 


über  die  Darmbakterien  des  SäagliDgs.  887 

Bakterium  der  physiologischen  Stuhlflora,  den  B.  bifidus 
communis,  in  der  Frauenmilch  zu  finden,  zumal  diese  Bakterien- 
art, wie  bereits  erwähnt,  mit  den  ersten  Frauenmilchresten  im 
Stuhl  erscheint,  um  mit  dem  Aufhören  der  naturlichen  Er- 
nährung aus  dem  Stuhlbilde    nahezu  vollkommen    zu   schwinden. 

Zu  diesem  Behufe  legte  ich  zahlreiche  anaerobe  Zucker- 
agarkalturen  verschiedener  Frauenmilchsorten  an,  wobei  ich,  ohne 
die  Brustwarzen  zu  reinigen,  jedesmal  grosse  Milchmengen  ver- 
impfte. In  sämtlichen  Fällen  erhielt  ich  ein  vollständig  negatives 
Resultat.  Es  kamen  überhaupt  niemals  streng  ana^robe  Bakterien 
aus  der  Frauenmilch  zur  Entwicklung.  Immer  erhielt  ich  die 
weissen  Staphylokokken,  zuweilen  auch  B.  coli  und  Pseudo- 
diphtherie-Bazillen,  in  seltenen  Fällen  daneben  Streptokokken, 
Sarcinen,  Micrococcus  candicans,  einmal  einen  iluoreszierenden 
Bazillus  —  niemals  Anaerobier. 

Ferner  wurde  zur  Entscheidung  dieser  Frage  noch  ein 
weiterer  Versuch  gemacht,  für  dessen  gewissenhafte  Durchfuhrung 
ich  Herrn  Dr.  Blau,  Assistenten  der  Klinik  Chroback  in  Wien, 
zu  grossem  Danke  verpflichtet  bin.  Ein  neugeborener  Säugling 
erhielt  vom  zweiten  Lebenstage  an  4  Tage  hindurch,  also  bis  zu 
seinem  sechsten  Lehenstage,  nur  sterilisierte  Frauenmilch  (15  min. 
nach  Soxhlet)  zu  trinken.  Die  Mekoniumausstossung  vollzog 
sich  in  normaler  Weise,  und  es  boten  die  mikroskopischen 
Mekoniumpräparate  ihre  charakteristische  Flora  dar.  Am  5.  Tage 
erschien  der  erste  Milchstuhl  und  mit  demselben  die  physio- 
logische Stuhlflora. 

Es  mussten  demnach  für  das  Zustandekommen  der  normalen 
Flora  des  Frauenmilchstuhles  andere  Faktoren  verantwortlich 
gemacht  werden. 

Vielleicht  ist  der  B.  bifidus  in  der  Mundhöhle  des  Säug- 
lings vorhanden  und  infiziert  erst  hier  die  Milch?  Auch  diese 
Frage  ist  absolut  verneinend  zu  beantworten,  da  ich  weder  aus 
dem  Mundsekrete  von  Neugeborenen,  noch  aus  jenem  älterer 
Brustkinder  jemals  auf  Zuckeragar  anaerobe  Bakterien  züchten 
konnte. 

Die  Infektion  des  Säuglingsdarmes  mit  dem  B.  bifldus- er- 
folgt demnach  sicherlich  nicht  per  os,  und  es  steht  seiner  Ein- 
wanderung nur  der  zweite  Weg  ofi'en,  nämlich  der  Anus.  Wir 
können  aus  den  bisherigen  Befunden  noch  weiter  schliessen.  Da 
die  Vorherrschaft  der  typischen  Bifidus  Vegetation  bereits  in  den 
allerersten  Milchstuhlportionen    beim   Brustkind    zu    konstatieren 


888  Moro,  Morphologische  und  biologische  IlDtersachaDgen 

ist,  so  muss  sich  dieser  Bazillus  schon  während  der  Mekonium- 
periode  im  Darm  des  Neugeborenen  etabliert  haben. 

Diese  Überlegung  führt  uns  zum  Studium  der  Mekoniumflora. 

Escherich  war  der  erste,  welcher  auf  die  Eigenart  der 
Mekonium  Vegetation  hinwies  und  ihre  augenfällige  Verschiedenheit 
von  der  Milchstuhlflora  ausdrucklich  hervorhob.  Seinen  Auf- 
zeichnungen ist  zu  entnehmen,  dass  das  ursprunglich  keimfreie 
Mekonium  schon  sehr  bald  einen  Florentypus  aufweist,  dessen 
charakteristische  Merkmale  sind: 

1.  Die  relative  Keimarmut, 

2.  der  Artenreichtum  (Mannigfaltigkeit  der  Formen), 

3.  das  Vorhandensein  gewisser  sporentragender  Bakterien. 
Zu  den  konstanten  bakterioskopischen  Befunden  gehören:  Kokken- 
formen in  relativ  grosser  Menge,  einige  Stäbchenarten  (darunter 
das  B.  coli  commune)  und  endlich  zwei  sporentragende  Arten, 
die  schon  durch  ihre  Form  und  Häufigkeit  die  Aufmerksamkeit 
des  Beobachters  in  Anspruch  nehmen.  Die  eine  derselben  gehört 
den  sog.  Köpfchenbakterien  an  (vergl.  Abhandlung  I,  S.  717), 
die  andere,  dickere,  zylindrische  Form  mit  endogener  Sporen- 
bildung wurde  mit  dem  B.  subtilis  Cohn  identifiziert.  Escherich 
lässt  die  Frage  o£Pen,  ob  die  Köpfchenbakterien  dem  B.  putri- 
ficus  Bien stock  angehören  oder  aber  gleich  den  im  mikro- 
skopischen Bilde  häufig  anzutreffenden  schlanken,  geschwungenen 
Fäden  in  den  Formenkreis  des  Proteus  Hauser  einzubeziehen  sind. 

Auf  den  Gelatineplatten  wurden  erhalten:  Neben  ver- 
schiedenen Kokken  und  Hefen  zumeist  B.  coli  commune.  Zu- 
weilen ein  neuer  verflüssigender  Streptococcus  (Streptococcus 
coli  gracilis)  Proteus  (?)  und  B.  subtilis. 

Hervorzuheben  ist,  dass  die  meisten  der  isolierten  Arten 
die  Gelatine  verflüssigten,  eine  Erscheinung,  die  ebenfalls  für 
die  Mekoniumflora  bis  zu  einem  gewissen  Grade  charakteristisch 
ist,  da  sie  in  der  folgenden  Milchstuhlperiode  unter  normalen 
Verhältnissen  niemals  beobachtet  wird. 

Trotz  der  zahlreichen  Einzeluntersuchungen  konnte  das  B. 
lactis  a^rogenes  aus  dem  Mekoniumstuhle  nicht  ein  einziges 
Mal  gewonnen  werden. 

Bei  allen  übrigen  im  mikroskopischen  Präparate  dargestellten 
Bakterienarten  versagte  die  Züchtung  auf  Gelatine. 

Von  besonderem  Wert    für    die   vorliegenden  Ausführungen 
sind    Escherichs  Untersuchungen    über    den    Darminhalt    neu- 
geborener Kinder  während  der  Mekoniumperiode,  deren  Resultate 
ich  deshalb  in  tabellarischer  Zusammenstellung  folgen  lasse. 
(Siehe  die  Tabelle  S.  890  u.  891.) 


über  die  Darmbakterien  des  Säuglings.  889 

Über  die  Art  und  Weise,  wie  diese  erste  Infektion  Mes 
Darmes  zustande  kommt,  Hegen  verschiedene  Ansichten  vor. 
Breslau  meinte,  dass  daran  die  verschluckte  Luft  einen  wesent- 
lichen Anteil  nehme.  Diese  wenig  ansprechende  Vorstellung 
wurde  jedoch  von  Escherich  mit  der  Begründung  zurückgewiesen, 
dass  in  dem  aus  dem  Rectum  entnommenen  Mekonium  Mikro- 
organismen schon  zu  einer  Zeit  nachweisbar  sind  (3 — 7  Std.  p.  p.), 
in  welcher  eine  Durchwanderung  der  Luft  durch  den  ganzen 
Darmkanal  noch  nicht  angenommen  werden  kann.  Ebensowenig 
kann  man  daran  denken,  dass  hier  etwa  während  des  Geburts- 
aktes Keime  in  den  Mund  gelangt  und  verschluckt  worden  seien. 
Escherisch  sieht  sich  daher  zur  Annahme  veranlasst,  dass  das 
Eindringen  der  Bakterien  vorzugsweise  per  anum  erfolgt,  zumal 
im  Vergleich  zu  anderen  Invasionspforten  (wie  Harnröhre,  Sphinkter 
der  normalen  Brustdrusengänge)  Jede  Schleimhautfalte  der 
Analöffnung  eine  breite,  bequeme  Strasse  vorstellt,  mit  dem 
besten  Nährmaterial  besät,  auf  der  die  Bakterien  in  das  Innere 
des  Rectums  einzudringen  vermögen^,  ohne  die  Möglichkeit  einer 
Infektion  per  os  in  Abrede  zu  stellen. 

Schild  konstatiert  später  ebenfalls,  dass  das  Auftreten  von 
Bakterien  im  Darminhalte  Neugeborener  bereits  vor  der  ersten 
Nahrungsaufnahme  erfolgt,  und  macht  dafür  in  erster  Linie  das 
Badewasser  verantwortlich^). 

Die  Schmidtschen  Untersuchungen  des  Mekoniums  deckten 
sich  in  ihren  Ergebnissen  mit  jenen  Escherichs,  nur  erschien 
die  Zahl  und  der  Artenreichtum  der  Kokken  geringer. 

Wie  immer  dem  auch  sein  mag,  blieb  das  Interesse  für  die 
Mekoniumflora  doch  stets  ein  ausserordentlich  geringes,  was  u.  a. 
auch  aus  einem  Urteil  Schmidts  hervorgeht,  indem  er  gelegent- 
lich der  Besprechung  der  Mekoniumbakterien  und  ihrer  mangel- 
haften Identifizierung  sagt:  „Es  würde  sich  die  Arbeit  auch 
nicht  lohnen,  da  diese  Mikroorganismen  im  ganzen  als  zufällige 
Befunde  anzusehen  sind." 

Diese  ihre  stiefmütterliche  Behandlung  verdankt  die  Me- 
koniumflora eben  der  Auffassung,  dass  im  untei'en  Teile  des 
Darmes  in  der  Mekonium  Substanz  nur  Luftkeime  und  die  in  der 
Umgebung  zufällig  anwesenden  Bakterien    solange    ein    kümmer- 


1)  Aus  dem  Mekonium  züchtete  Schild  7  Arten  auf  Gelatine,  darunter: 
den  verQüssigenden  und  festlassenden  B.  fluorescens,  B.  subtilis,  B.  coli  und 
eine  Proteusart. 


890 


Möro,  Morphologische  und  biologische  UntersucLangcD 


Abschnitt 
des 
Verdauungs- 
traktes 


I.  Alter:  36  Std., 
Lebenssch^väche, 

an  der  Brast  noch 
nicht  getrunken 


Mikroskopische 
Untersuchung 


II.  Alter:  4  Tage.     Part,  praem. 

Baematoma  dur. 

Sp&rliche  Kuhmilchemährang 


Mikroskopische 
Untersuchung 


Kultur 


Magen 


Duodenum 


Dünndarm- 
Anfang 


Dünndarm- 
Mitte 


Ileum 


Coccum 


Colon 
S.  Roman  um 


Nur    sehr    wenige  |  Reichlich     schlanke     und 

Bakterienarten: aus-  .{kürzere  St&bchen,  zumTeil 

I 
schliesslich  Kurz-    '    in  Schwärmen.  Kokken 

Stäbchen  |  fehlen 

Keine  Bakterien    j Neben    den    in    geringer 
Anzahl  yorhandenen  Kurz- 
stäbchen etwas  längere  und  breitere  Formen, 
deren  Zellleib  nur  stellenweise  geerbt  ist.    In 
geringer  Zahl  runde  und  ovale  Bakterien 
Kurze  Stäbchen, 
ovale      kokkenähn- 
licheFormen  in  zoo- 
gläaartigen   Haufeu 


Gelatine:  verflüssigeode 

(darunter  Fluoreszens) 

und  festlassende  Kolon. 

(B.  coli  u.  B.  lactis) 

Ausschliesslich  fest- 
lassende Kolonien. 
(B.  coli;  B.  lactis, 

Micrococcus  o?alis) 


Kürzereu.  etwas  län- 
geres täbchen,ein  ge- 
schnürte Bakterien, 
letztere  ziemlich  in 
Zoogläen.  (B.lactis?) 


Eingeschnürte     Stäbchen, 
schlanke,   kurze    Bazillen 
und    die   stellenweise  ge- 
färbte Art 


Agar:  B,  coli,  B.  lactis 
und  Micrococcus  ovalis 
Gelatine:  Ebenso,  vor- 
wiegend B.  lactis 


—  I  Die     beim    Milchkot    be- 

schriebenen Kurzstäbchen 
in  grosser  Zahl:  viel  spärlicher  die  stellenweise 
ungefärbten  Bakterien.  Spärliche  Köpfchen- 
bakterien, zylindrische  lange  Fäden  mit  glän- 
zenden Sporen,  freie  Sporen  mit  Kapsel,  sowie 
in  ganz  geringer  Zahl  kokkenähnliche  Gebilde 


Gelatine:    B.    coli,    B, 
lactis,  1  yerflässigcndc 
Kolonie.       Coli     über- 
wiegen Lactis 


Gelatine:    Meist    fest- 
lassende,   nur    2    ver- 
flüssigende    Kolonien. 
Diese  iestlassenden 
sind:  B.  coli 
R. 


über  die  Darmbakterien  des  Säuglings. 


891 


III.  Alter:   S^s  Tage.     Haematoma  dnr.  matr. 
Ern&hrungsart:  ?     Wahrscheinlich  natürliche  £. 


Mikroskopische 
UnterdQchung 


Spärliche  Bakterien  ;  fast 
ansschliesslich  karze,  dicke 
zum  Teil  eingeschnürte 
Stäbchen;  einzelne  feine 
Kokken  u.  Tetraden  formen 
Nur  ganz  spärlich  die  oben 
erwähnten     Kurzstäbohen 


Kurzstäbchen,eingeschnür- 
te Bazillen  mit  ungefärbten 
Stellen  (8  Formen),  stellen- 
weise in  zoogläaartigen 
Haufen,  ferner  in  geringer 
Zahl  runde  u.  o  valeFormen, 
zum  Teil  in  Ketten 


Kultur 


Die  schlanken  Milchkot- 
bazillen überwiegen  immer 
mehr  und  mehr.  8  Formen 

spärlich 
Neben  den  eben  erwähnten 
finden  sich  noch  ganz  runde 
Hefezellen,  Köpfchenbak- 
terien, lange  zylindrische 
Fäden  und  spärliche 
Sporen.    Kokken  selten 

do. 


Gelatine:    Ausschliesslich 

festlassende  Kolonien  von 

B.  lactis 


Fast  ausschliesslich 
B.  lactis 


Ende  des  Dünndarms: 
meistB.  coli,  wenig  B. lactis 


Vorwiegend  B.  coli,  da- 
neben yiele  yerflüssigende 
Arten  (Streptococcus  coli 
gracilis),  B.  subtilis  und 
B.  lactis  (je  eine  Kolonie) 

do. 


Kectum:  Überwiegen  mehr   B.  coli,  Streptococcus  coli 
die  Milcbkotbazillen         gracilis  und  einige  Proteus- 

I  kolonien 

Jahrbach  lUr  Kinderheilkunde.    N.  F.    LXI.    6. 


IV.  Alter:   8  Tage. 

Lues  congen. 

Ernährungsart:  ? 


Mikroskopische 
Untersuchung 


Ziemlich  reichliche 
Bakterien,  Torwiegend 
kurze,  plumpe  Stäbchen 


Spärliche    Bakterien 


Reichliche     Bakterien- 
entwicklung.      Kurze, 
dicke  und  längere, 
schlanke  Stäbchen 
Bakterienvegetation 
des  Mekoniums:  Köpf- 
chenbakterien,  Sporen 


o8 


882  Moro,  Morphologische  und  biologische  UotersachaDgen 

meiden  sucht  und  die  Bakterien  unmittelbar  in  einer  grossen 
Menge  Substanz  zu  bestimmen  erlaubt,  noch  geringere  Werte. 
Sie  konnten  aus  letzteren  unter  Zugrundelegung  der  früheren 
Erfahrungen  berechnen,  dass  nur  etwa  0,07  pCt.  der  Bakterien 
entwicklungsfähig  sind. 

Stern,  der  sich  mit  der  Desinfektion  des  Darmkanales  be- 
schäftigte, gelangt  schon  früher  ebenfalls  zur  Überzeugung,  dass 
die  Zahl  der  auf  der  Gelatineplatte  sich  entwickelnden  Keime 
nur  einen  kleinen  Bruchteil  jener  in  den  Fäces  vorhandenen 
und  mittelst  der  mikroskopischen  Untersuchung  nachweisbaren 
Bakterien  darstellt  und  ein  ähnliches  Verhalten  beobachtete 
Hammerl  beim  erwachsenen  Menschen. 

Unser  grösstes  Interesse  nimmt  eine  Arbeit  Hellströms 
aus  der  jüngsten  Zeit  (1901)  in  Anspruch,  da  seine  Unter- 
suchungen am  gleichen  oder  an  einem  zumindest  sehr  ähn- 
lichen Material  angestellt  wurden,  nämlich  an  neugeborenen, 
durchwegs  natürlich  ernährten  Säuglingen.  Seine  Fragestellung 
lautete:  „Ist  die  ungeheuere  Menge  von  Bakterien,  die  im 
Gesichtsfeld  unter  dem  Mikroskope  zum  Vorschein  kommt  und 
die  man  nicht  imstande  ist  auf  den  Nährboden  zur  Entwicklung 
zu  bringen,  als  abgetötet,  nicht  entwicklungsfähig  oder  als 
lebendig,  entwicklungsfähig  anzusehen?^ 

Hellström  zeigt  an  einer  grossen  Reihe  von  Einzelunter- 
suchungen, dass  sich  schon  beim  Neugeborenen,  während  der 
Mekoniumperiode  Unterschiede  bemerkbar  machen,  wenn  man  die 
Zählung  der  im  mikroskopischen  Präparate  sichtbaren  Keime  mit 
dem  Kulturergebnis  vergleicht.  Allein  die  Divergenz  der  ge- 
fundenen Werte  ist  in  diesen  Fällen  keine  so  enorme,  als  später, 
wenn  die  ersten  Milchfäces  zur  Untersuchung  herangezogen 
werden.  Jetzt  beginnen  die  notierten  Zahlen  immer  mehr  und 
mehr  auseinanderzugehen;  die  Kultur  ergibt  nur  relativ  wenig 
Kolonien,  während  in  den  Präparaten  eine  Unzahl  von  Bakterien 
erscheint.  Dieses  Missverhältnis  wird  in  den  nächsten  Lebens- 
tagen ein  noch  krasseres,  erreicht  aber  sehr  bald  einen  konstanten 
Punkt,  und  die  divergierenden  Werte  verbleiben  auf  ziemlich 
gleicher  Höhe. 

Hellström  erklärt  sich  diese  Erscheinung  mit  dem  Ab- 
sterben der  Darmbakterien  und  sieht  sich  auf  Grund  seiner 
Ergebnisse  zur  Behauptung  veranlasst,  dass  die  meisten  mit  dem 
Kote  ausgeschiedenen  Bakterien  tot  sind.  Als  Ursachen  dieser 
im  Darm  sich  vollziehenden  Abtötung  der  Keime  führt  Hellström 


über  die  Darmbakterien  des  Säuglings.  H83 

vor  allem  die  allmähliche  Verarmung  des  Nährbodens  an  Nähr- 
stoffen und  den  deletären  Einfluss,  den  ihre  eigenen  Stoffwechsel- 
produkte und  die  im  Gefolge  der  Eohlehydratgärung  entstandenen 
organischen  Säuren  auf  die  Darmbakterien  ausüben,  an. 

Gerade  in  der  Kreuzung  der  Kurven,  in  dem  Ergebnis,  dass 
die  entwicklungsfähigen  Keime  mit  dem  Alter  des  Kindes  immer 
geringer  werden,  erblickt  Uellström  eine  weitere  Stütze  seiner 
Annahmen,  insofern,  als  eben  die  Resorptionsfähigkeit  des  Darmes 
in  den  ersten  Lebenstagen  eine  wesentlich  geringere  ist  als  in 
der  folgenden  Zeit. 

Die  Erklärung,  wie  sie  Hellstrom  gegeben  hat,  ist  sehr  an- 
sprechend und  naheliegend. 

Wir  finden  sie  auch  bei  den  übrigen  Untersuchern  an- 
gedeutet. Allein  alle  diese  Schlussfolgerungen  basieren  auf  einer 
völlig  unzureichenden  Methodik,  und  die  gefundenen  Zahlen  sind 
daher  ganz  unbrauchbar.  Es  ist  ohne  weiteres  klar,  dass  bei 
Vernachlässigung  der  AnaSrobier,  welche,  wie  wir  gesehen  haben, 
die  Hauptmasse  der  normalen  Säuglingsstuhlflora  darstellen,  die 
Untersuchungen  auf  der  aäroben  Platte  ein  unrichtiges  Ergebnis 
zutage  fördern  mussten.  Das  gleiche  gilt  für  die  acidophile  Flora, 
welche  nur  auf  saueren  Nährboden  zu  einer  selbständigen  Ent- 
wicklung gelangt,  ohne  von  der  Coligruppe  überwuchert  zu  werden. 

Die  Korrektur  der  erhobenen  Befunde  wird  jedoch  deshalb 
nicht  leicht  durchführbar  sein,  weil  der  Bifidus  auf  der  anaSroben 
Platte  gar  nicht  oder  nur  ganz  mangelhaft  wächst  (Abhdlg.  I, 
S.  716).  Allein  das  Eine  steht  fest,  dass  sich  die  Differenz  der 
Zahlen  bei  Berücksichtigung  der  Anaßroben  und  der  Acidophilen 
beträchtlich  ausgleichen  würde,  womit  diese  spezielle  Frage 
wesentlich  an  ihrem  ursprünglichen  Interesse  einbüsst. 

Selbstverständlich  soll  damit  nicht  gesagt  sein,  dass  die 
Gesamtheit  der  mit  dem  Kote  ausgeschiedenen  Bakterien  lebens- 
fähig ist.  Es  wurde  vielmehr  schon  früher  (Abhandlung  I) 
hervorgehoben,  dass  ein  Teil  der  im  Stuhle  erscheinenden 
Bakterien  tot  sein  müsse,  was  auf  Grund  ihres  totalen  Bewegungs- 
mangels und  ihrer  schlechten  Tingierbarkeit  festgestellt  werden 
konnte.  Aliein  einen  Schluss  auf  die  Absterbeerscheinungen  der 
Bakterien  im  Darme  lassen  diese  Beobachtungen  ebensowenig 
zu,  wie  die  vergleichende  Zählung  der  mikroskopisch  sichtbaren 
Keime  mit  den  —  selbst  bei  voller  Berücksichtigung  der  er- 
gänzenden Methoden  —  auf  der  Platte  gewachsenen  Kolonien. 
Ich  vermute  nämlich,  dass    die   in  den  höheren  Darmpartien  ab- 


804  Moro,  Morphologische  and  biologische  üntersachungen 

bisher    vorherrsch  ende    Bakterienart   tritt    in    den    Hintergrund,    am. 
erst  bei 
88  b  p.  p.  11  vorwiegend  Milchkote  —  das  Feld  zu  beherrschen. 

Aus  dem  Protokoll  ist  zu  ersehen,  dass  als  erste  Bakterien- 
art im  Mekonium  das  B.  coli  commune  erschien. 

Bald  darauf  war  eine  zweite  Art  zu  beobachten,  welche 
sich  durch  ihre  stellenweise  Färbbarkeit  nach  Gram  und  durch 
die  Bildung  von  Endverzweigungen  auszeichnete.  Die  ver- 
zweigten Formen  waren  zwar  ausserordentlich  selten,  jedoch 
morphologisch  so  sehr  charakteristisch,  dass  die  Entwicklung 
ziemlich  zahlreicher  Bifiduskolonien  in  der  Tiefe  der  anaeroben 
Zuckeragarkultur  nicht  wundernehmen  konnte. 

Während  das  B.coli  aus  dem  Stuhlbilde  allmählich  verschwand 
wies  die  letztere  Bakterienart  eine  zunehmende  Vermehrung  auf 
und  beherrschte  solange  fast  ausschliesslich  das  Gesichtsfeld,  bis 
die  im  Gefolge  der  ausserordentlich  verzögerten  Mekonium- 
ausstossung  eintretende  Fäulnis  der  Kindspech reste  ein  ganz 
polymorphes  und  uncharakteristisches  Bild  entstehen  liess.  Ob- 
zwar  diese  Erscheinung  die  Beobachtung  des  Invasionsprozesses 
späterhin  störend  beeinflusste  und  sich  dieser  Fall  für  die  Vor- 
führung der  Mekoniumflora  weniger  eignet  (Mangel  der  Köpfchen- 
bakterien  etc.),  zeigt  er  uns  doch  in  schöner  und  deutlicher 
Weise  das  frühe  Erscheinen  des  Bifidus  im  Mekonium,  und 
zwar  zu  einem  Zeitpunkte,  wo  von  einer  Durchwanderung  des 
ganzen  Darmkanales  per  os  eingeführter  Keime  noch  nicht  die 
Rede  sein  kann. 

Auch  bei  Tissier  finden  sich  gelegentlich  seiner  Besprechung 
der  Mekoniumflora  Angaben,  dass  im  Mekoniumstuhle  verzweigte 
Formen  vorkommen,  die  er  mit  dem  Bifidus  identifiziert. 

Die  Frage  nach  der  Herkunft  des  Hauptrepräsentanten  der 
physiologischen  Stuhlflora  muss  also  dahin  beantwortet  werden, 
dass  der  B.  bifidus  communis  per  anum  in  den  Darm  des  Neu- 
geborenen einwandert. 

Da  die  weiteren  4  untersuchten  Fälle  in  allen  Stadien  ein 
unter  sich  nahezu  vollkommen  übereinstimmendes  Verhalten  dar- 
boten, so  will  ich  mich  im  folgenden  auf  die  Wiedergabe  eines 
einzigen  Falles  aus  dieser  Serie  beschränken,  der  bei  normaler, 
eher  rascher  Mekoniumausstossung  das  von  allen  Untersucheni 
als  charakteristisch  bezeichnete  Bild  aufwies. 

41»  p.    p.    I.  Mekon. -Stuhl  —  inikroskop.:    keine    Bakterien.     Knltar.:    keine 
Bakterien. 


über  die  Darmbakterien  des  Säaglings.  805 

141^  und  18 li  p.  p.  II.  nnd  III.  Mekon.- Stuhl  —  mikroskop.:  ziemlich 
reiche  Flora  Fast  lediglich  gram  -f-  Arten.  Die  gescheckten,  ge- 
körnten Bazillen  beherrschen  das  Gesichtsfeld.  Einige  davon  sind 
langgestreckt,  geschwungen,  andere  kürzer.  Manche  von  ihnen  weisen 
in  ihren  mittleren  Partien  tonnen  förmige  oder  spindelförmige  Auf- 
treibungen auf.  Yiele  zeigen  typische  gram  -f-  Polfärbung.  £nd- 
▼erzweigungen  nur  äusserst  selten,  kaum  angedeutet.  Ferner  gram  -f* 
kürzere  Stäbchen,  zumeist  in  Diplobazillenform  und  in  Gruppen 
angeordnet. 

Massenhaft  Sporen  träger,  Köpfchenbakterien:  Ihre  Köpfchen  sind  nur 
selten  tingiert,  zumeist  glänzend,  scharf  kontuiert.  Der  Schwanz 
der  Bakterien  ist  gekörnt,  zuweilen  geschlungen.  Viele  freie  Köpfchon- 
sporen. 

Kurze,  dicke    gram  --f-  Bazillen    mit    mittelständiger    oder  polwärts  ge- 
richteter endogener  Spore.    Einige  sporen förmige  Tonnenformen. 
Gram — ,  ovale  Kurzstäbchen  vorhanden,  jedoch  selten. 
Kokken  in  verschwindender  Zahl^). 
21  h  p.  p.  I.  gemischter  Milch-Mekoninmstuhl. 

Kultur.:     Aerobe    A garplatte:  B.  coli  commune,  Diplokokken. 

„         Gelatineplatte:    B.  coli,  verflüssigende  Kolonien  des 
B.  subtilis  oder  Mcsentericus  (?).    B.  vulgatus 
Anacrobes  Znckeragar:    B.  bifidus  com'munis  und  Kokken. 
„        Milch:  Gasphlegmome. 

n        Agar:     Köpfchenbakterien,      Buttersäuro- 

bazillen  (Gasphlegmone),  B.  bifidus? 

21h  p.  p.  1.  gemischt.  Milch-Mekon.-Stuhl:  Es  beginnen  die  gram -f- Bazillen 

(B.  bifidus  communis)    zu    überwiegen,  während    die    Sporen  träger 

nurmehr    an    den  Mekoniumresten    in   grösserer  Zahl    vorhanden  sind. 

Aus  diesen  Untersuchungen  geht  hervor,  dass  neben  dem 
B.  bifidus  communis,  der  unter  den  Mikroorganismen  des 
Mekoniums  nicht  in  jedem  Falle  stets  eine  dominierende  Stellung 
einnimmt^  regelmässig  und  in  auffallend  grosser  Menge  sporen- 
bildende Bakterien  vorhanden  sind.  Ihrem  Aussehen  nach 
gehören  diese  zum  grössten  Teile  den  sogenannten  Eöpfchen- 
bakterien  an. 


J)  Unwesentliche  Abweichungen  vom  beschriebenen  Bilde  kommen 
natürlich  vor.  So  tritt  in  manchen  Fällen  die  Köpfchenbakterienvegetation 
so  sehr  in  den  Vordergrund,  dass  diese  charakteristischen  Formen  fast  aus 
schliesslich  zu  sehen  sind.  Besonders  häufig  finden  wir  sie  in  der  nächsten 
Umgebung  der  Plattenepithelien.  Ein  andermal  hinwiederum  sind  ins- 
besondere reichlich  Kokken  vorhanden,  und  es  bildet  ihr  nahezu  völliger 
Mangel  bei  den  beschriebenen  Fällen  keineswegs  die  Regel.  Die  verzweigten 
Formen  des  Bifidus  sind  immer  selten.  Mit  Zuhilfenahme  der  Jodreaktion 
sehen  wir  in  jedem  formenreichen  Präparate  granulosebildende  Bakterien- 
arten, die  ihrem  morphologischen  Charakter  nach,  zum  Teil  wenigstens, 
sicherlich  in  die  Gruppe  der  Buttersänrebazillon  einzubeziehen  sind. 


896  Moro,  Morphologische  nnd  biologische  Untersacbuiigcn 

Die  Kultivierung  dieser  sporeutrugenden  Arten  gelingt  fast 
in  jedem  Falle  sehr  leicht  nach  der  in  Abhdlg.  I,  S.  708,  an- 
gegebenen anaeroben  Züchtungsmethode.  Die  genaue  Bestimmung 
der  Köpfchen bakterien  ergibt,  dass  die  im  Mekonium  vegetierende 
Art  mit  jener  aus  dem  normalen  Frauenmilchstuhle  gezüchteten 
identisch  ist. 

Desgleichen  erhält  man  bei  Verimpfung  grösserer  Mengen 
pasteurisierten  Mekoniums  auf  heisse  Milch  (anaerob  n.  Botkin) 
nach  einigen  Stunden  lebhafte  Buttersäuregärung  und  kann  aus 
der  Kultur  die  vegetative  Form  des  Gasphlegmonebazillus 
nahezu  in  Reinkultur  züchten.  Daraus  lässt  sich  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  der  Schluss  ziehen,  dass  unter  den  mit  endogener 
Sporenbildung  ausgestatteten  Mekoniumbakterien  die  anaeroben 
Buttersäurebazillen  eine  hervorragende  Stellung  einnehmen. 

Ebenso  gelingt  in  vielen  Fällen,  die  Kultur  des  B.  putri- 
ficus  Bienstock  nach  der  von  Passini  angegebenen  Methode 
aus  dem  Mekonium^). 

Wir  treffen  demnach  unter  den  sogenannten  typischen 
Mekoniumbakterien  alte  Bekannte  wieder,  die  wir  schon  gelegentlich 
unserer  Untersuchungen  über  die  Flora  des  Frauenmilchstuhles 
näher  kennen  gelernt  haben.  Ihre  Kultivierung  aus  dem  Mekonium 
gelang  bisher  nur  aus  dem  einfachen  Grunde  nicht,  weil  das 
alles  streng  anaerobe  Arten  sind. 

Diese  Ergebnisse  zwingen  uns  zu  einer  neuen  Auffassung 
der  Mekoniumflora  und  erschliessen  uns  neue  Gesichtspunkte  in 
der  Beurteilung  des  Invasionsprozesses  der  Darmbakterien, 

Die  Bakterien  des  Mekoniums  sind  demnach  bis  auf  un- 
wesentliche Luftkeime  nicht  als  passagere  Gäste  des  mensch- 
lichen Darmes  in  dieser  frühesten  Lebensperiode  anzusehen,  die 
dazu  verurteilt  sind,  mit  dem  Erscheinen  des  ersten  Milch- 
stuhles den  von  obenher  eindringenden  Bakterien  Platz  zu  machen, 
sie  nehmen  vielmehr  an  der  Zusammensetzung  der  bleibenden 
Darmflora  einen  wesentlichen  Anteil.  Mit  anderen  Worten:  Die 
Mekoniumbakterien  sind  nicht  eine  Bakteriengruppe  sui  generis; 
sie  selbst  sind  die  Stammeltern  der  nachkommenden 
Generationen.  Ihre  Verschiedenheit  ist  eine  rein  äusserliche, 
zumeist  nur  ihre  Vegetationsform  betreffende.  Dementsprechend 
darf  sich  auch  ihre  Trennung  von  der  Milchstuhlflora  lediglich 
auf  äusserliche  Merkmale  beschränken. 


0  Allerdings  nur  bei  Verimpfnog  grosser  Mekoninmmengen. 


über  die  Darmbakterien  des  Säuglings.  897 

So  treffen  wir  den  Bifidus  schon  im  Mekonium  an,  der 
dann  bei  rapider  einseitiger  Vermehrung  das  ßild  des  normalen 
Frauenmilchstuhles  darstellt;  wir  treffen  das  B.  coli  commune 
und  die  Buttersäurebazillen  im  Mekonium,  die  den  mensch- 
lichen Darm  zeitlebens  nicht  mehr  verlassen;  wir  sehen  die 
Köpfchenbakterien  und  den  Putrificus,  die  wir  späterhin  im 
Milchstuhl  wiedei  finden.  Ich  brauche  ja  nur  an  das  polymorphe 
Bild  der  Coecnm-  und  Colonfiora  des  Brustkindes  zu  erinnern 
(vgl.  Abhdlg.  II,  S.  875),  das  der  ursprünglichen  Mekoniumflora 
zuweilen  sehr  ähnlich  ist,  um  die  innigen  Beziehungen  der  so- 
genannten Mekoniumbakterien  mit  der  bleibenden  Darmflora 
aufzuklären  und  das  Ziel  ihrer  Wanderschaft  vor  Augen  zu  fuhren. 

Es  unterliegt  demnach  keinem  Zweifel,  dass  eine  grosse 
Anzahl  der  Darmbakterien  mit  den  sogenannten  Mekonium- 
bakterien identisch  ist,  welche  ausnahmslos  den  Weg  per  anum 
nehmen. 

Diese  Eingangspforte  benutzen  aber  nicht  alle  Darmbakterien. 
Viele  wandern  auch  per  os  ein.  Dies  gilt  insbesondere  für  die 
Gruppe  der  obligaten  Milchkotbakterien  Escherichs,  'für  das 
B.  coli  commune  und  für  das  B.  lactis  aerogenes.  Für  beide 
Arten  liegt  der  Beweis  an  der  Hand.  Das  B.  lactis  aerogenes 
scheint  sogar  ausschliesslich  den  oberen  Weg  einzuschlagen,  da 
es  im  Mekonium  niemals  gefunden  wird.  Besonders  deutlich 
gehen  diese  Verhältnisse  aus  der  Tabelle  (S.  43)  hervor.  Das 
B.  coli  commune  wandert  von  beiden  Seiten  ein;  es  ist  in 
jedem  Falle  aus  dem  Mekonium  züchtbar,  erscheint  sogar  unter 
den  allerersten  kulturell  nachweisbaren  Keimen,  wurde  aber  auch 
in  Fällen   von  Atresia  ani  im  Darm  angetroffen. 

Diese  Ergebnisse  werfen  auch  ein  Licht  auf  die  geschilderte 
Verteilung  der  Bakterien  im  Säuglingsdarm  (Abhdlg.  II),  indem  jene 
Bakterienarten,  von  denen  wir  eine  Invasion  per  anum  annehmen, 
nur  die  unteren  Darmabschnitte,  jene  per  os  eingewanderten 
Bakterien  hingegen  hauptsächlich  die  oberen  Darmpartien  be- 
wohnen. 

Die  Untersuchungen  zeigen  uns  aber  noch  ein  weiteres. 
Den  sogenannten  Mekoniumbakterien  sind  zwei  Merkmale  eigen- 
tümlich:   1.  Eigenbewegung,    2.  Bildung  von  Dauerformen. 

Die  erstere  Eigenschaft  kommt  ihnen  allen  ausnahmslos  zu. 
Dadurch  wird  uns  ihre  der  Richtung  des  auszustossenden  Darm- 
inhaltes entgegengesetzte  Wanderung  nach  den  oberen  Darmpartien 
verständlich.     Unbewegliche  Arten   wären    wohl    kaum    imstande. 


898  Moro,  Morphologische  und  biologische  UotersuchuDgen 

diesen  Widerstand  zu  überwinden.  Und  gerade  im  Hinblick 
darauf  ist  es  interessant,  zu  beobachten,  dass  die  unbeweglichen 
Darmbakterien,  das  B.  lactis  a^rogenes,  der  B.  acidophilas 
und  die  Kokken  (?)  ihren  Weg  per  os  nehmen  müssen.  Dazu 
ist  keine  Eigenbewegung  notwendig;  diese  Bakterien  können  mit 
der  verschlucken  Milch  weiterbefördert  werden. 

Es  ist  ferner  auffallend,  dass  die  meisten  der  sogenannten 
Mekoniumbakterien  Sporenbildner  sind,  ein  Beweis  ihrer  Resistenz- 
fähigkeit. Ob  sie  nun  in  ihrer  vegetativen  Form  einwandern 
und  erst  im  Mekonium  zur  Sporenbildung  gezwungen  werden 
oder  aber  als  Sporen  in  den  Darm  gelangen,  lässt  sich  nicht  mit 
Sicherheit  entscheiden,  ist  auch  mehr  oder  minder  gleichgültig. 
Wichtig  ist  nur  die  Tatsache,  dass  sie  im  Mekonium  in  ihrer 
sporulierenden  Form  vegetieren,  denn  damit  ist  von  der  Natur 
der  Beweis  erbracht,  dass  das  Mekonium  kein  guter,  sondern  ein 
schlechter  Nährboden  ist.  Dafür  spricht  übrigens  auch  seine 
von  allen  Autoren  hervorgehobene  relative  Keimarmut.  Auch 
Schild  hat  diese  Ansicht  ausgesprochen  und  zwar  auf  Grund 
eines  Versuches,  wonach  es  ihm  gelang,  keimfreies,  in  eine 
Windel  eingeschlagenes  Mekorium  trotz  längeren  Aufenthaltes  im 
Thermostaten  steril  zu  erhalten. 

Diese  Eigenschaft  des  Mekoniums,  welche  zum  Teil  auf 
seiner  Zusammensetzung  aus  Durmsekreten,  auf  seiner  relativen 
Trockenheit  und  auf  seinem  Reichtum  an  Gallenbestandteilen 
beruhen  mag,  gibt  eine  Erklärung  für  die  relativ  langsame  Ver- 
mehrung der  eingewanderten  Bakterien  und  für  den  Sporen- 
reichtum der  ursprünglichen  Mekoniumflora.  Sie  verhindert  auch 
das  Eintreten  einer  wahllosen  Vegetation  der  ubiquitaren  Keime 
im  Darme  des  Neugeborenen  und  lässt  nur  jene  Bakterienarten  in 
den  Darm  gelangen  und  darin  fortbestehen,  welche  durch  ihre 
Resistenzfähigkeit  diese  ungünstigen  Lebensbedingungen  schadlos 
ertragen  können.  Dass  dabei  auch  elektive  Momente  eine  her- 
vorragende Rolle  spielen,  ist  sogar  sehr  wahrscheinlich. 

Diese  Überlegungen  müssen  uns  ungezwungenerweise  zu  der 
Vorstellung  führen,  dass  dem  Mekonium  somit  eine  beachtenswei-te 
Aufgabe  zufällt,  welche  nach  dem  Gesagten  darin  besteht,  dass 
das  wie  ein  Pfropf  das  Darmlumen  verschliessende  Mekonium  für 
das  Zustandekommen  der  spezifischen  Darmflora  garantiert  und 
dem  Eindringen  unberufener  Gäste  solange  einen  passiven  Wider- 
stand entgegensetzt,  bis  in  der  Folge  das  Heer  der  physiologischen 
Stuhlbakterien  diese  Rolle  übernimmt. 


über  die  DarmbakterieD  des  Säuglings.  S99 

Die  per  anam  eingewanderten  Darmbakterien  müssen  als 
ubiquitäre  Keime  angesehen  werden,  da  sich  za  ihrer  Etablierung 
in  jedem  Falle,  zu  jeder  Zeit  und  an  jedem  Orte  die  Gelegen- 
heit darbietet.  Der  Begriff  der  Darmbakterien  gewinnt  aber 
dadurch  ein  erhöhtes  Interesse,  weil  wir  daraus  die  Sicherheit 
einer  spezifischen  Infektion  ersehen,  welche  wohl  lediglieh  auf  eine 
grosse  biologische  Affinität  dieser  ubiquitären  Keime  zu  dem 
Darm  und  seinem  Inhalte  zurückzufuhren  ist. 

Literatur  ^). 

66.  Breslaa,  Zeitschr.  f.  Gebartsk.     1866.    Bd.  28. 

67.  Brudzinsky,   Über   das  Auftreten    von  Proteus  vulgaris    in  Säuglings- 

Stühlen  nebst  einem  Versuch  der  Therapie  mittelst  Darreichung  yon 
Bakterienknlturen.  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  N.  F.  12.  Erg&nznngs- 
heft.     1900. 

68.  Dallemagne,    Arch.   de    medecioe    experimentale  et  d'anatomie  patho- 

logique.    T.  7.     1895.    Zit.  n.  Schmidt-Strasburger. 

69.  Klecki,  Annal.  de  Tinst.  Pasteur.     1895.     Zit.  n.  Kohlbrugge.    27. 

70.  Kuisl,    Beiträge    zur  Kenntnis  der  Bakterien  im  normalen  Darmtractus» 

Inaug.-Diss.    München  1895.    Baumg.  Jahresber.     1885.    Ref. 

71.  Kurkunoff,  Zur  Frage  der  intestinalen  Infektion.    Zeitschr.  f.  Hyg.   1890. 

72.  Miller,   Demonstration    von    Bazillen    der   Mundhöhle.    Deutsche   med. 

Wochenschr.    No.  9.     1885. 
73.,  74.  Derselbe,  Über  einige  gasbildende  Spaltpilze  des  Yerdauungstraktus, 
ihr  Schicksal  im  Magen  und  ihre  Beaktion    auf  verschiedene  Speisen. 
Deutsche  med.  Wochenschr.    No.  8.     1886. 

75.  Pizza,  Ref.  in  Banmgartens  Jahresber.     1895.     p.  139. 

76.  Schild,  Das  Auftreten  der  Bakterien  im  Darminhalte  Neugeborener  vor 

der  ersten  Nahrungsaufnahme.     Zeitschr.  f.  Hyg.     19.  Bd. 


0  Ausser  den  in  Abhandlung  I  und  II  gemachten  Angaben. 


XXX. 

Bemerkungen  zu  der  Arbeit  von  P.  Reyher  „Ober 
den  Fettgehalt  der  Frauenmilch".') 

Von 

Dr.  WALTHER  FREUND, 

Assistenten  der  Breslaoer  Kinderklinik. 

Nach  abfälliger  Kritik  aller  bisher  geübten  Verfahren  der 
Brustmilchentnahme  zur  Bestimmung  der  vom  Säuglinge  auf- 
genommenen Fettmengen  teilt  uns  Reyher  seine  eigene,  wie  er 
sich  ausdruckt,  einwandsfreie,  weil  dem  physiologischen  Verhalten 
der  Brustsekretion  nach  jeder  Richtung  hin  Rechnung  tragende 
Methode  mit,  die  darin  besteht,  vor  und  nach  der  Brustmahlzeit 
gleichgrosse  Milchmengen  zu  entnehmen  und  zusammenzumischen. 

Diese  Methode  besticht  zunächst  —  besonders  im  Vergleich 
mit  den  mühevollen  Untersuchungen  Gregors  —  durch  ihre 
Einfachheit;  der  kleine  graduierte  Saugapparat  darf  sogar  als  eine 
willkommene  Bereicherung  der  Technik  gelten;  auch  scheint  die 
rechnerische  Begründung  auf  den  ersten  Blick  unanfechtbar;  die 
kritischen  Ausführungen  zu  den  bisher  vorliegenden  Arbeiten 
entbehren  vielfach  nicht  der  Beweiskraft.  Indessen  beruhj  die 
vorgeschlagene  Methode  auf  einer  wesentlichen  Voraussetzung,  bei 
<leren  Prüfung   der  Autor  m.  E.  nicht  lange  genug  verweilt  hat. 

Wenn  wir  nämlich  auf  die  von  Gregor  eingeführte  Ent- 
nahme zahlreicher  Stichproben  während  einer  Brustmahlzeit  ver- 
zichten und  uns  vielmehr  mit  nur  zwei  Portionen,  einer  vor  Beginn 
und  einer  nach  Schluss  des  Saugaktes  gewonnenen,  begnügen 
sollen,  so  müssten  wir  unbedingt  erst  in  der  Lage  sein,  mit  einem 
völlig  geradlinigen  Ansteigen  der  Fettkonzentration  bei  fort- 
schreitender Entleerung  der  Brustdrüse,  als  einer  konstanten 
physiologischen  Erscheinung,  rechnen  zu  können.  Mit  dieser 
Bedingung  steht   und    fällt  geradezu  das   Reyh ersehe  Verfahren 

*)  Aprilheft  dieses  Jahrbuchs. 


Freund,   Bemerkungen  zu  der  Arbeit  von  P.  Reyher  etc.        901 

Der  ausschlaggebenden  Bedeutung  dieses  Moments  scheint 
mir  nun  die  parenthetische  Bemerkung  Reyhers  auf  S.  604: 
„Nach  einigen  vorliegenden  Untersuchungen  bei  fraktionierter 
Entleerung  der  Brustdrüse  sind  wir  zu  der  Annahme  einer  regel- 
mässigen Steigerung  des  Fettgehaltes  berechtigt",  nicht  genügend 
Rechnung  zu  tragen. 

Tatsächlich  weiss  ich  aus  gelegentlichen  eigenen  Unter- 
suchungen, dass  wir  zu  einer  solchen  Annahme  nicht  durchgängig 


berechtigt  sind.  Um  mir  neuerdings  noch  einmal  über  diesen 
Punkt  Gewissheit  zu  verschaffen,  nahm  ich  bei  4  Ammen  der 
Breslauer  Kinderklinik  und  des  städtischen  Kinderhortes  ent- 
sprechende Untersuchungen  vor,  und  zwar  im  ganzen  bei  9  Brust- 
mahlzeiten, wobei  aus  je  einer  Brust  vor,  während  und  nach  dem 
Trinken  Stichproben  zur  Fettbestimmung  entnommen  wurden. 
Die  Fettwerte  sind  in  beifolgenden  9  Kurven  dargestellt;  auf  der 
Abscisse  sind,  in  Würdigung  eines  zutreffenden  Reyherschen 
Gedankenganges,  nicht  die  Zeitintervalle,  sondern  die  zwischen 
den  Stichprobenentnahmen  getrunkenen  Milchmengen  aufgetragen. 


902        R  e  y  h  e  r ,   Erwiderung  auf  die  vorstehenden  Bemerkungen 

Punktiert    gezeichnet    ist    die    geradlinige    Verbindung    zwischen 
Anfangs-  und  Endwert. 

Die  Kurven  bedürfen  wohl  keines  Kommentars.  Der  Leser 
dürfte  wohl  selbst  aus  ihnen  den  Schluss  ziehen,  dass  für  die 
Mehrzahl  der  hier  verzeichneten  Brustmahlzeiten  der  Rejhersche 
Entnahmemodus  mehr  oder  minder  unzutreffende  Fettwerte  ergeben 
hätte.  Da  vielmehr  das  Tempo  des  Fettanstieges  von  allerlei 
individuellen,  wie  temporären  Einflüssen  abhängig  zu  sein  scheint, 
die  wir  a  priori  nicht  beurteilen  können,  müssen  wir  jener  Methode 
der  Milchentnahme  den  Vorzug  geben,  die  durch  eine  möglichst 
grosse  Zahl  von  Stichproben  die  bestehenden  Fehlerquellen  bis 
zu  einem  hohen  Grade  ausschaltet.  So  gelange  ich  denn  zu  der 
Feststellung,  dass  der  Wert  der  Resultate  Gregors,  der  in  dieser 
Weise  arbeitete,  durch  die  Untersuchungen  Reyhers  nicht  im 
geringsten  in  Frage  gestellt  wird;  dem  Wunsche  Reyhers,  es 
möchten  mit  der  von  ihm  angegebenen  Methodik  weitere  Unter- 
suchungen zur  völligen  Klärung  der  behandelten  Frage  angestellt 
werden,  vermag  ich  mich  hingegen  nicht  anzuschliessen. 


XXXL 


Erwiderung    auf    die    vorstehenden    Bemerkungen 

W.  Freunds  zu  meiner  Arbeit  „Über  den  Fettgehalt 

der  Frauenmilch''. 

Von 

Dr.  PAUL  REYHER. 

In  den  obigen  Auslassungen  erhebt  Freund  gegen  meine 
Methode  der  Biustmilchentnahme  zum  Zwecke  der  Bestimmung 
der  vom  Säuglinge  täglich  aufgenommenen  Fettmengen  —  eine 
Methode,  die  darin  besteht,  innerhalb  24  Stunden  vor  und  nach 
jedem  Anlegen  des  Kindes  genau  die  gleiche  Menge  Milch  durch 
Saugen  zu  entnehmen  und  zusammenzumischen  —  den  Vorwurf, 
dass  eine  Voraussetzung  von  ausschlaggebender  Bedeutung  für 
die  Richtigkeit  des  genannten  Entnahmemodus  nicht  durchgängig 
zutreffe,  die  Voraussetzung  nämlich,  dass  bei  fortschreitender 
Entleerung    der  Brustdrüse    ein  geradliniges  Ansteigen   der  Fett- 


W.  Freunds  zu  meiner  Arbeit:  Über  den  Fettgehalt  etc.  903 

konzentration  stattfände.  Diese  Behauptung  sucht  Freund  durch 
entsprechende  Untersuchungen  über  die  Steigerung  des  Fett- 
gehaltes bei  4  Ammen  und  zwar  bei  9  Einzelmahlzeiten  zu  stützen. 
Die  Resultate  dieser  Fettbestimmungen  stellt  er  in  9  Diagrammen 
graphisch  dar. 

Sieht  man  sich  nun  diese  Kurven  näher  an,  so  muss  man 
sich  wundern,  dass  Freund  sie  dazu  benutzen  konnte,  durch  sie 
«inen  Beweis  gegen  die  Brauchbarkeit  meines  Milchentnahme- 
veiiahrens  erbringen  zu  wollen.  Sprechen  doch  6  (Amme  H.  2  mal, 
Amme  K.  2 mal,  Amme  P.  und  Seh.  bei  der  jedesmaligen  ersten 
Untersuchung)  von  den  vorgeführten  9  Kurven,  d.  h.  zwei  Drittel 
^er  Fälle,  geradezu  für  die  Richtigkeit  der  Annahme  von  dem 
regelmässigen  Ansteigen  der  Fettkonzentration,  eine  sogar  (Amme 
H.,  erste  Untersuchung)  in  idealer  Weise.  Denn  die  Abweichungen 
-der  schwarzen  Linie  von  der  die  idealen  Verhältnisse  darstellenden 
punktierten  Linie  sind  so  geringfügig,  dass  sie  meistens  kaum  oder 
nur  wenig  über  die  Grenzen  der  unvermeidlichen  Fehlerquellen 
hinausgehen.  Worauf  es  in  den  3  übrigen  Fällen  beruht  (übrigens 
selbst  hier  ist  bei  der  zweiten  Untersuchung  der  Milch  der  Amme  P. 
zuerst  ein  absolut  geradliniges  Ansteigen  des  Fettgehaltes  zu  be- 
obachten), dass  der  Fettgehalt  gegen  Ende  der  Brustdrüsensekretion 
wieder  abnimmt,  vermag  ich  natürlich  nicht  zu  entscheiden. 
Übrigens  wäre  es  doch  von  grosser  Bedeutung,  wie  Freund  seine 
Milchproben  gewonnen  hat;  er  teilt  uns  leider  nicht  mit,  ob  er  die 
Proben  durch  Saugen  oder  etwa  auch  durch  Drücken,  wie  Gregor, 
«rhalten  hat. 

Man  ersieht  daraus,  dass  es  jedenfalls  erst  noch  weiterer 
einschlägiger  Untersuchungen  bedarf,  um  mit  Recht  die  Annahme 
von  dem  gleichmässigen  Ansteigen  der  Fett  konzentration  während 
der  Entleerung  der  Brustdrüse  als  hinfällig  zu  bezeichnen.  Ich 
selbst  hatte  mir  bereits  auch  ohne  die  Anregung  Freunds  vor- 
genommen, sobald  sich  mir  die  Gelegenheit  bietet,  diesbezügliche 
Untersuchungen  an  einem  möglichst  grossen  Materiale  anzustellen. 

Völlig  unverständlich  erscheint  es  mir,  dass  Freund  trotz 
dieser  wenig  beweisenden  Diagramme  zu  dem  Schlüsse  gelangen 
konnte,  dem  Gregorschen  Entnahmemodus  den  Vorzug  vor  dem 
meinigen  zu  geben.  Ich  glaube  die  Mängel  des  Gregorschen 
Verfahrens    hinreichend    in    meiner  Arbeit    klargelegt  zu    haben: 

1.  Es  ist  unphysiologisch  wegen  der  häufigen  Alteration  von 
Mutter  und  Kind; 


904     R  e  7  h  e  r ,    Erwiderung  auf  die  vorsteheDdeD  Bemerkungen  etc. 

2.  es  ist  unphysiologisch  infolge  der  Entnahme  der  Stich- 
proben durch  Drücken  und  Quetschen  (während  ich  die  Milch 
unter  Anpassung  an  natürliche  Verhältnisse  durch  Saugen  ge- 
wonnen habe); 

3.  es  gibt  vor  allem  unbedingt  erheblich  von  den  wirklichen 
Verhältnissen  abweichende  Resultate. 

Zum  Beweise  der  letzteren  Behauptung  kann  ich  mich  mit 
Rücksicht  auf  die  ausführlichen  Darlegungen  in  meiner  Arbeit 
kurz  fassen.  Selbst  wenn  wirklich,  was  aber,  wie  bereits  gesagt^ 
noch  nicht  bewiesen  ist,  der  Fettgehalt  nicht  in  einer  geraden 
Linie  ansteigen  sollte,  sondern  in  einer  etwas  unregelmässigen 
Linie,  so  sind  damit  die  zahlreichen  Fehlerquellen  des  Gregorschen 
Modus  durchaus  nicht  aus  der  Welt  geschafft,  sondern  es  besteht 
auch  dann  noch  dasselbe  zu  Recht,  was  ich  in  meiner  Arbeit  als 
Hauptfehler  des  Gregorschen  Verfahrens  bezeichnet  habe,  das» 
nämlich  bei  Entnahme  der  Milch  „in  möglichst  gleichen  Inter- 
vallen" hauptsächlich  die  höheren  Fettwerte  gegen  Ende  der 
Sekretion  zur  Geltung  kommen  und  ein  ganz  unsicheres  Ergebnis 
herbeiführen  werden. 


Literaturbericht. 

Zusammengestellt  von  Dr.  B.  SALGE, 

Assistent  an  der  UniversItäU-Klnderkliulk  In  Berlin. 

I.    Allgemeines»  Anatomie  mnd  Physiologie.    Allgemeine  Pathologie 

and  Therapie. 

Rohe  oder  gekochte  Milch,  Von  H.  ßrüning.  Münchener  medizin.  Wochenschr. 
21.  II.  1905. 
Von  4  Hunden  desselben  Wnrfes  hat  der  Autor  zwei  mit  der  Milch 
ihrer  Mutter,  eines  mit  roher,  eines  mit  gekochter  Kuhmilch  ernährt.  Nach 
30  Tagen  waren  die  mit  Muttermilch  ernährten  Tiere  tadellos  gediehen, 
das  mit  gekochter  Kuhmilch  aufgezogene  zeigte  mit  Ausnahme  einer  deut- 
lichen Auftreibung  der  Rippenknorpel  fast  normales  Verhalten,  der  mit  roher 
Kuhmilch  ernährte  Hund  hingegen  bot  einen  erbärmlichen  £ntwicklung8-  und 
Ernährungszustand.  Sein  Gewicht  war  auffallend  zurückgeblieben,  ausser- 
ordentlich starke,  mit  den  rachitischen  sehr  ähnliche  Knochenveränderungen 
waren  nachweisbar.  Die  Tuberkulinreaktion  fiel  bei  sämtlichen  Tieren 
negativ  ans. 

Es  ist  bedauerlich,  wenn  ein  einzelner  solcher  Versuch,  dessen  Ausfall 
der  Autor  in  einen  ursächlichen  Zusammenhang  mit  der  Art  der  Ernährung 
zu  bringen  geneigt  ist,  publiziert  wird  und  dadurch  eine  Bedeutung  erhält, 
die  ihm  nicht  zukommt,  nicht  zukommen  kann.  Sieht  man  selbst  yom  Postulat 
einer  grossen  Versuchsreihe  ab,  so  hätte  zumindest  das  Ergebnis  der  Obduktion 
in  diesem  Artikel  bereits  Platz  finden  müssen.  Die  schwere  überstandene 
Nephritis  könnte  den  schlechten  Zustand  des  Tieres  wohl  erklären;  oder 
will  Brfining  auch  diese  darch  rohe  artfremde  Milch  bedingt  auffassen? 
Ist  68  da  nicht  plausibler,  an  eine  Infektion  zu  denken?  Der  Erforschung  der 
schwierigen  Frage  der  künstlichen  Ernährung  wird  wahrlich  nicht  gedient, 
wean  von  derselben  Stelle  auf  Grund  einer  nicht  einwandfreien  Methodik 
und  Versuchsanordnung  bald  der  rohen,  bald  der  gekochten,  artfremden  Milch 
das  Wort  geredet  wird.  L.  Langstein. 

Viertes    Sammeirejerat    über     die    Arbeiten     aus     der    Milchchemie.      Von 
R.  W.  Randnitz.    Monatsschrift  f.  Kinderheilkunde,  Not.  1904.  Bd.  III, 
p.  295. 
Wertvolle  Übersicht.  Schleissner. 


806  LiteraturberJcht. 

NecessiU  de  l'analyse  chimique  du  lait  des  naurisses.  Von  Guintrier  und 
Girand.  Reyae  mens,  des  maladies  de  l'enfance.  Avril  1905.  p.  161. 
Die  Verfasser  halten  die  f&r  „coupables",  die  eine  chemische 
Fraaenmilchanalyse  yerabsäumen.  Sie  glauben,  dies  Postulat  durch  einige 
Beobachtongen  begründen  zu  können.  Hier  sei  kurz  eine  derselben  (die 
einzige,  die  sie  einigermassen  aasführlich  angeben)  wiedergegeben.  Ein 
dreimonatlicher,  5,5  kg  schwerer  S&ngling  in  gutem  Zustande,  bisweilen  Er- 
brechen ohne  ernstere  Erkrankungen  des  Verdauungsapparates,  nimmt  nur 
noch  50—75  g  die  Woche  zu.  Die  Analyse  der  Ammenmilch  ergab,  dass 
hauptsächlich  der  Fettgehalt  ausserordentlich  herabgesetzt  war  (im  Liter  7,9  g 
gegen  39  g  mittleren  Fettgehaltes).  Das  mikroskopische  Verhalten  der  Milch 
zeigte  die  Gegenwart  einiger  Leukocyten.  Die  Milch  wnrde  also  von  den 
Verfassern  für  minderwertig  gehalten  (petit  lait)  und  das  Kind  einer  andern 
Amme  nach  Prüfung  ihrer  Milch  anvertraut.  Weiter  beschreiben  die  Autoren 
eine  Reihe  von  Erkrankungsformen  der  diarrhee  graisseuse  (Fettdiarrhoe). 
Auf  Grund  mehrfacher  Analysen  der  Frauenmilch  und  Beobachtungen  an 
S&uglingen  glauben  sie,  dass  der  hohe  Fettgehalt  der  Milch  die  Ursache 
dieser  Erkrankung  bildet.  Die  meisten  beobachteten  Säuglinge  nahmen  ab« 
einige  blieben  im  Gewicht  stehen.  Die  Diarrhoe  konnte  nicht  durch  ge- 
wöhnliche Medikationen  zum  Stehen  gebracht  werden.  Der  Fettgehalt  der 
untersuchten  Milch  schwankte  zwischen  54  und  61,8  g  im  Liter.  In  derartigen 
Fällen  ist  nach  ihrer  Auffassung  die  Krankheit  durch  eine  Änderung  im 
Ernährungsregime  leicht  v,m  heilen.  Sie  sagen,  wenn  es  auch  unangenehm 
ist,  den  Säugling  einer  Nahrung  zu  berauben,  die  nur  den  einen  Fehler  hat 
„d'etre  trop  bon^,  mnss  man  doch  entweder  den  Rat  geben,  jedesmal  nur 
aus  einer  Brust  trinken  zu  lassen,  oder  einen  Wechsel  der  Amme  eintreten 
lassen  oder  endlich  in  ärmeren  Klassen  eine  Beinahrung  guter,  entrahmter 
Kuhmilch  geben.  Die  Entrahmung  wird  so  bewerkstelligt,  dass  man  die 
Milch  eine  halbe  Stunde  lang  nahe  der  Kochteniperatur  erhitzt,  dann  die 
Haut,  die  die  Milch  bedeckt,  entfernt.  Sie  schliessen  mit  einer  enthusiastischen 
Empfehlung  der  Analyse  der  Frauenmilch. 

Ref.  kann,  angesichts  dieser  Forderung,  schwerwiegende  Bedenken 
nicht  unterdrücken.  Leider  haben  die  Autoren  keine  ausführliche  Kranken- 
geschichte angeführt,  sodass  wir  über  den  Zustand  der  Säuglinge  nicht  ge- 
nügend orientiert  sind.  Die  Nahrungsmengen  und  die  Zahl  der  dargereichten 
Nahrungen  sind  nirgends  yerzeichnet,  sodass  es  sich  auch  um  einfache 
quantitative  Überernährung  in  allen  Fällen  handeln  kann.  Die  als  Hauptstütze 
herangezogenen  Milchanalysen  könneil  nach  der  Meinung  des  Ref.  keinen 
Beweis  für  die  angeblieh  enorme  Fettvermehrung  bilden.  Bekanntlich 
schwankt  der  Fettgehalt  der  Frauenmilch  sehr  erheblich,  je  nachdem  die 
Milch  vor  oder  nach  dem  Anlegen  der  Drüse  entnommen  ist  (nach  Reyhers 
neuesten  Untersuchungen  betrug  z.  B.  einmal  der  Fettgehalt  vor  dem  An- 
legen 0,94,  nach  dem  Anlegen  6  p.  ct.)*  Wann  die  Entnahme  der  yon  den 
französischen  Autoren  untersuchten  Milch  stattgefunden  hat,  ist  nicht  bemerkt, 
vielleicht  ist  der  so  geringe  Fettgehalt  der  ersten  untersuchten  Milch  so  zu 
erklären.  Untersuchungen  über  den  Fettgehalt  der  Fäces  wurden  nicht  an- 
gestellt. Ref.  kann  sIcIl  nach  alledem  ganz  und  gar  nicht  der  Forderung 
der  Verf.  anschliessen;  wenn  auch  nicht  geleugnet  werden  soll,  dass  Fett- 
•diarrhoen    bei     Brnstkindern    vorkommen,     so    kann    einem  Praktiker    doch 


I.  Allgemeines.     Anatomie  und  Physiologie  etc.  907 

nicht  zugemutet  werden,  in  jedem  Falle  die  langwierige  Analyse  vorzanehmen. 
Bei  den  wechselnden  physiologischen  Verhältnissen  müssen  wir  uns  mit  einer 
Untersuchung  der  Amme,  ihrer  Brust  und  ihres  Kindes  begnügen  und  die 
komplizierten  analytischen  Methoden  für  zwecklos  halten,  zumal  ein  grösserer 
Fettgehalt  der  Frauenmilch  in  den  seltensten  F&llen  eine  Erkrankung  des 
S&uglings  verursachen  dürfte.  Ludwig  F.  Meyer. 

Ober  den  Binfluss  der  Cklarojarmnarkast  duranU  pariU  auf  das  Kind,  Von 
G.  A.  van  den  Berg.    Inauguraldissertation.    Utrecht  1904. 

Gleich  nach  der  Geburt  wurde  der  Nabelstrang  in  einer  Entfernung 
von  etwa  4  om  vom  Bauch  des  Kindes  abgebunden  und  eine  zweite  Ligatur 
dicht  vor  der  Vulva  der  Frau  angelegt.  Dieses  Stück,  gefüllt  mit  rein 
fötalem  Blute,  wurde  baldmöglichst  auf  die  Anwesenheit  von  Chloroform 
geprüft. 

Das  Chloroform  wurde  durch  Durchleitung  von  Wasserdampf  ab- 
destilliert. In  dem  Destillate  bildete  sich  durch  Einwirkung  von  Wasser- 
stoff in  Statu  nascendi  (aus  H|  SO4  und  Zn)  HCL 

Eine  Silbernitrallösang  ruft  weiter  eine  Opaleszenz  hervor  und  beweist 
die  Anwesenheit  von  Gl.  Da  alle  Reageotien  zuvor  auf  die  Anwesenheit  von 
Ol  geprüft    worden  waren,   konnte   das  Cl   nur  vom  Chloroform  abstammen. 

Meistens  hat  Verf.  das  AgCi  auch  quantitativ  bestimmt. 

In  17  von  ihm  untersuchten  Fällen  war  nach  der  Narkose  der  Matter 
konstant  im  Blute  des  Fötus  Chloroform  nachzuweisen,  auch  da,  wo  die 
Narkose  nur  von  kurzer  Dauer  und  das  verwendete  Quantum  Chloroform 
gering  war. 

Verf.  rät  entschieden  ab  von  der  sogenannten  Narcose  a  la  reiue, 
das  heisst  bei  normaler  Geburt  Erstens  weiss  man  aus  seinen  Versuchen, 
dass  Chloroform  konstant  ins  kindliche  Blut  übergeht;  zweitens  ist  man  nn- 
sicher  darüber,  in  welchem  Grade  dies  für  das  Kind  schon  direkt  schädlich 
st,  da  Kinder  sehr  empfindlich  sind  für  Narcrotica  und  man  im  voraus  nicht 
weiss,  wieviel  Chloroform  übergeht  (in  den  Fällen,  wo  die  grösste  Quantität 
Chloroform  im  Blute  gefunden  wurde,  war  der  Zustand  des  Kindes  bei  der 
Geburt  am  schlimmsten);  drittens  besteht  die  Möglichkeit,  dass  die  zarton 
Gewebe  des  jungen  Kindes  dauernd  durch  das  Chloroform  geschädigt  werden. 

Cornelia  de  Lange- Amsterdam. 

Zur  Leistungsfähigkeit  der  weiilichen  Brustdrüse,  Von  0.  Rommel.  Münch. 
med.  Wochenschr.  No.  10.  1905. 
Enthält  die  Erfahrungen  des  Münchener  Säuglingsheims.  Die  höchste 
beobachtete  Ammenleistung  war  4125  g  Milch  in  24  Standen  bei  gleich» 
zeitigem  Anlegen  von  4—5  Kindei'n.  Die  Wichtigkeit  eines  rationellen 
Brustregimes  illustrieren  die  mehrfachen  Beobachtungen,  dass  die  Ammen 
auswärts  bis  auf  100  g  ihre  Milchmengen  verloren,  die  in  der  Anstalt  sehr 
bald  wieder  auf  ihre  Höchstmasse  stiegen.  Dem  Laktagol  wird,  wie  wohl 
allgemein,  nur  Suggestions Wirkung  zugeschrieben;  sehr  gute  Erfolge  bewirkte 
aber  die  von  Mensuiga  empfohlene  Massage  der  Brüste.  Die  Arbeit  ent- 
hält noch  mancherlei  lesenswerte  Einzelheiten.  Miscli. 

Jahrbach  für  KinderheUkonde.    N.  F.    LXI.    Heft  6.  59 


908  Literaturbericht. 

-Retour  de  la  secretUm  iactee  apres  un  sevrage proUmge,  Von  Qaiosac.  1904. 
These  de  Paris.     1904.     Arcb.  de  med.  g6ner.     1904.    41. 

Seit  Trousseau  ist  die  MeinoDg,  dass,  wenn  eine  Frau  schon  einige 
Zeit  abgestillt  hat,  ein  Wiedereintritt  der  Funktion  der  Brustdrüse  unmöglich 
sei,  als  irrig  erkannt.  Verfasser  bringt  nun  einige  neue  Belege  dafür,  dass 
es  gelungen  ist,  nach  vielen  Wochen  und  selbst  Monaten  nach  dem  Abstillen 
die  Milchsekretiou  wieder  in  Gang  zu  bringen.  Das  Abstillen  wird  oft  aas 
irgendwelchen  Gründen  plötzlich  nötig,  es  ist  deshalb  praktisch  sehr wichtii;, 
dass  nach  Beseitigung  derselben  es  selbst  nach  5  Monaten  noch  möglich  sein 
kann,  die  Druse  wieder  funktionsfähig  zu  machen  und  zwar  durch  konse- 
quentes Saugenlassen  an  der  Warze.  Würtz-Strassburg. 

Über  speaifische  AnükörperbÜdung  nach  Biweissfütterung.  Von  Herbert 
L.  Celler  und  Franz  Hamburger.  Wiener  klin.  Wochenschr. 
No.  U,  1905. 

Die  Verf.  fassen  ihre  Untersuchungsrcsultate  selbst  in  folgende  Schlüsse, 
Auch  nach  Blutfutterung,  weun  diese  auf  natürlichem  Wege  erfolgt, 
ist  (bei  Ratten)  nie  eine  Bildung  von  Hämolysinen  nachweisbar.  Tritt  nach 
einer  Sonderfütternng  artfremdes  Blnt  auch  nur  ein  einziges  Mal  unverändert 
in  den  Kreislauf  ein,  -so  genügt  dies,  um  Antikörperbildung  bervorznrafen. 
Bei  freiwilliger  Nahrungsaufnahme  oder  bei  Sondenfütterung  mit  artfremdem 
Eiweiss  unter  Zusatz  von  Milch  kommt  es  nicht  zur  Resorption  von  unver- 
ändertem Eiweiss  und  deswegen  auch  nicht  zur  reaktiven  Antikörperbildung. 

Neurath. 

Ein  Beitrag  sur  Lehre  van  der  Vererbung  erworbener  Bigenschaften.  Von 
Georg  Lomer.    Neurol.  Centralbl.  No.  6,  1901. 

Ein  Mann  fiel  10  m  hoch  auf  den  Kopf,  erlitt  eine  Stirnverletzung, 
hernach  an  der  betroffenen  Stelle  Weissfärbung  der  Haare.  Er  heiratete 
später  eine  gesunde  Frau,  hatte  7  Kinder,  von  denen  5  lebten.  Die  drei  ältesten 
haben  an  derselben  Stelle  wie  der  Vater  ein  Büschel  weisser  Haare;  eins 
davon  ist  auch  taubstumm.  Eine  dieser  Töchter  liat  9  Kinder,  von  denen 
drei  taubstumm,  eins  schwerhörig  ist;  ausserdem  hat  eine  Reihe  dieser 
Kinder  ein  Büschel  weisser  Haare  an  der  oben  erwähnten  Stelle.  Zwei 
Kinder  boten  auch  weisse  Partieen  der  Haut  dar.  Diese  durch  drei  Gene- 
rationen zu  konstatierende  Pigmentanomaliön  sind  gewiss  interessant.  Das 
Wesentliche  aber,  die  Zurückführung  der  Haarveränderang  beim  Grossvater 
auf  das  erlittene  Trauma,  erscheint  dem  Ref.  keineswegs  so  „ziemlich  einwands- 
frei*,  wie  dem  Verf.  :  Zappert. 

Über  BasUieneinatmung,     M.  Sänger.     Virchows  Archiv  Bd.  179.  2. 

Verfasser  kritisiert  die  Hypothese,  dass  eine  bakterielle  Invasion  der 
Lunge  in  der  Regel  auf  dem  Luftwege  zustande  kommt.  Er  bringt  dazu 
eine  Reihe  wertvoller  physikalischer  und  physiologis<iher  Betrachtungen,  die 
wert  sind,  im  Original  nachgelesen  zu  werden.  Die  Zahl  der  beim  Labo- 
ratoriumsversnche  wirklich  in  die  Lungen  inhalierten  Bazillen  ist  im  Ver- 
hältnis zu  den  überhaupt  aspirierten,  aber  an  den  oberen  Wandungen  haften 
gebliebenen  unendlich  gering.  Dagegen  vermögen  durch  Einatmung  oder 
sonstwie  in  die  Mundrachenhöhle  gelangte  Bakterien  recht  gut  mit  dem 
Lymphstrome    in    genügender  Menge    in    die  Lunge    einzuwandern,    um  eine 


I.  Allgememes.     Anatomie  und  Physiologie  eto.  909 

Erkrankang  derselben  herbeizuführen.  Das  Bakterinm,  das  sofort  in  die 
tiefem  Teile  der  Lunge  eindringt,  wird  eine  ungeschw&chte  schädigende 
Wirksamkeit  besitzen,  auf  dem  Ljmphwege  jedoch  ist  es  zunächst  der  feind- 
lichen Wirkung  der  Körpersäfte  unterworfen.  Spiegelberg. 

Ü6er  die  Keimdichte  der  normalen  Schleimhaut  des  IniestinalirahHis, 
Über  die  Aufnahme   von  Bakterien   durch   den  RespiraHonsapparat,    Von  M. 
Ficker.    Arch.  f.  Hyg.    Bd.  52,  Heft  2,  und  Bd.  53,  Heft  1. 

Verf.  bediente  sich  bei  seinen  Untersuchungen  saprophytischer  Keime. 
Bei  erwachsenen  Tieren  kam  er  nicht  zu  Töllig  eindeutigen  Ergebnissen,  bei 
säugenden  Tieren,  Kaninchen,  Hunden  und  Katzen,  gelang  es  ihm  aber,  die 
per  08  verabreichten  Keime  innerhalb  der  Verdanungszeit  in  Organen  oder 
im  Blut  nachzuweisen.  Wahrscheinlich  können  in  gleicher  Weise  auch 
pathogene  Keime  durch  die  Darmschleimhaut  in  Organe  gelangen,  auch  kann 
man  nach  der  Meinung  des  Verf.  die  am  Tier  gewonnenen  Resultat«  auf  den 
jugendlichen  Menschen  übertragen. 

In  gleicher  Welpe  untersuchte  der  Verf.  den  infantilen  Respirations- 
upparat  bei  Kaninchen.  Bei  allen  säugenden  Tieren  fand  Verf.  die  durch 
einen  JSpray  cugeführten  Saprophyten  im  Blut,  mitunter  auch  in  der  Leber. 
Um  den  Pharynx  als  Eingangspforte  auszuschalten,  wurden  die  l'iere  tracheo- 
tomiert  und  die  Keime  von  der  Trachealkanüle  aus  inhaliert.  Wenn  maii 
auf  Grund  dieser  positiven  Ergebnisse  die  Frage  zu  beleuchten  sucht,  ob 
Inhalations-  oder  Futterungstuberkulose  wahrscheinlicher  sei,  so  muss  man 
bedenken,  dass  auch  beim  Atmen  und  Schreien  des  Individuum  -losgelöste 
Keime  verschluckt  Averden  können  und  in  gleicher  Weise  -  im  Munde  los* 
gelöste  Keime  in  die  Luftwege  gelangen  können.  Verf.  ist  daher  der  An-" 
sieht,  dass  man  einen  vermittelnden  Standpunkt  für  die  Beurteilung  der 
Entstehung  der  Tuberkulose  einnehmen  muss. 

Beuthner- Charlottenburg.. 

Funktionsstörungen  der  Nebenniere  bei  Allgemeinerkrankungen,  Intoxikationen 
und  Infektionen.  Von  Franz  Luksch.  Wiener  klinische  Wochenschr. 
No.  14.     1905. 

Die  Untersuchungen  sollten  die  Frage  lösen,  inwieweit  vorübergehende 
oder  andauernde  Zirkulationsstörungen,  Pieber,  Hunger,  Blutzerfall,  In- 
toxikation und  Infektion  die  Nebennieren  in  ihrer  Funktion  schädigen.  Als 
llaassstab  für  die  Funktionsiüchtigkeit  der  Nebennieren  diente  der  Blutdruck. 
Je  eine  gewogene  Nebenniere  wurde  zerrieben,  mit  physiologischer  Kochsalz- 
lösung im  Verhältnis  Yon  0,1  auf  10  versetzt,  das  Gemenge  dann  im  Eis- 
schrank aufbewahrt,  im  Bedarfsfall  filtriert  und  dem  mit  dem  Kymographion 
yerbundenen  Kaninchen  intravenös  injiziert. 

Durch  Durchschneidung  des  Kücken marks  herbeigeführte  Blutdruck- 
senkung, Hunger,  Abbindung  der  Nebennierenvene  vermochten  keine  Herab- 
setzung der  blntdrucksteigernden  Nebennierenfunktion  zu  veranlassen.  Auch 
eine  künstliche  Erhöhung  der  Aussen temperatar  des  Tieres,  Temperatur- 
erhöhung durch  Stich  in  den  StreifenhQgel  oder  durch  chemische  Mittel 
<Tetrahydro-ß-Naphtylamin)  blieben  wirkungslos.  Blutkörperchenzerstörende 
•Mittel,  protrahierte  HCl- Vergiftung,  wiederholte  Solanindosen  verhinderten 
die  Blutdrucksteigerung  ebenfalls  nicht. 

59* 


910  Literatarbericbt. 

VonlntoxikatioDen  erwiesen  sich  AtropiD,  das  ja  herTorrageDd  sekretions* 
hemmend  wirken  soll,  und  Pilokarpin  ohne  Einfluss  auf  die  blutdrack- 
steigernde  Nebennierenfanktion.  Hingegen  zeigten  Yersnohe  mit  Phosphor 
und  urämischem  Gift  (Unterbindung  der  beiderseitigen  Nierengefässe)  einen 
tiefgreifenden,  schädigenden  Einfluss  auf  die  Nebennieren.  Versnche  mit 
Dipbtherietoxin  ergaben,  dass  dieses  im  Sinne  der  Angaben  französischer 
Autoren  die  Nebennieren  derartig  angreift,  dass  dieselben  ihre  blatdrnck- 
steigernde  Wirkong  ganz  oder  zum  grössten  Teil  einbüssen.  Eine  Anzahl 
von  Bakterien  (Coli,  Staphjlococcus  aureus)  rufen  nach  ihrer  Fortentwicklung 
im  tierischen  Körper  (durch  Toxinbildung)  eine  Nebennierensch&digung  hervor. 

Auf  diesen  die  Nebennieren  schädigenden  Einfluss  der  Toxine  wird 
man  in  der  Pathologie  vieler  Krankheiten  Rücksicht  zu  nehmen  haben.  So 
könnte  mancher  Diphtherietodesfall  auf  Nebennierennekrose,  Fanktionsansfaü 
des  Organes  beruhen.  Seine  Resultate  der  Versuche  mit  menschlichen  Neben- 
nieren hält  Verf.  für  noch  nicht  vollständig  spruchreif.  Neorath. 

9  Fälle  von  Airesie  der  Pulmonalis,  Von  KoUer-Aoby.  Deutsches  Arch. 
f.  klin.  Med.  Bd.  82.  8  u.  4. 
Von  zwei  Fällen  angeborener  Blaasncht  trat  der  erste  erst  gegen  Ende 
des  zweiten  Lebensjahres  in  Erscheinung,  die  klinische  Untersnehung  Hess 
ein  systolisches  Geräusch  nnd  Schwirren  erkennen,  und  das  Kind  starb  4  Jahre 
alt  —  das  zweite  Kind  starb  4  Monate  alt,  ohne  weitere  Symptome  gezeigt 
zu  haben.  Im  ersten  Falle  war  die  verschlossene  Palmonalarterie  durch  die 
Bronchialarterien  ersetzt,  und  zwischen  beiden  Hessen  sich  in  der  Longe 
grosse  Anastomosen  nachweisen;  im  andern  Falle  geschah  das  gewöhn- 
lichere, die  Blutzufuhr  zur  Lunge  durch  den  Ductus  BotaUi  aus  der  Aorta. 
Verfasser  stellt  interessante  Betrachtungen  an  über  den  verschiedenen 
0-Gehalt  der  in  dem  entstehenden  Mischblute  enthaltenen  Blutkörperchen 
auf  ihren  verschiedenen  Wegen;  ähnliche  über  Gasvolomen  und  Gasspvinung, 
über  die  nervösen  Vorgänge  bei  der  Dyspnoe  und  endlich  über  die  Parallel- 
schaltung der  Blutbahnen,  die  ans  dem  gleichen  Rohre  entspringen,  während 
sonst  beide  Kreisläufe  hintereinander  geschaltet  sind. 

Spiegclberg. 

Angeborene  Hyperplasie  der  einen  Lunge  bei  gleichzeiäger  rudimentärer  Bildung 
der  anderen.   Von  v.  Graff.    Münch.  med.  Wochenschr.    No.  13.     1905. 
Das  Primäre  war  die  Exzessbildung   der   linken  Lunge.    Beobachtung 
an  einem  zwei  Tage  alten,  nicht  ausgetragenen  Kinde.  Misch. 

Angeborene  hochgradige  Erweiterung  des  Dünndarms  ohne  Stenose,  Von  T  o  r  k  e  I.  * 
Deutsche  med.  Wochenschr.     No.  9.     1905. 

Der  Fall  betrifft  ein  zwei  Tage  altes  Kind,  das  plötzlich  unter  lleas- 
erscheinungen  erkrankte  und  am  gleichen  Tage  starb.  Es  handelte  sich  um 
eine  angeborene  zylindrische  Erweiterung  eines  Jejanumabschnittes  bei 
Mangel  jeglichen  Hindernisses  in  den  weiter  abwärts  gelegenen  Teilen  und 
Fehlen  von  Anomal ion  im  Bau  der  dilatierten  Partie.  Der  Tod  war  durch 
mehrfache  Abknickang  des  erweiterten  Darmabschnittes  herbeigeführt  worden. 

Misch. 


I.  Allgemeines.     Anatomie  und  Physiologie  etc.  911 

Über  Störung  der  FettresarpHan  und  ihre  Beziehung  sur  Ausscheidung  von 
Kalh,  Magnesia  und  Ammoniah,  Von  W.  Schlesinger.  Zeitschr.  f.  klin. 
Med.    Bd.  55. 

Verfasser  zeigt,  wie  die  Lehre  von  der  Acidose  ihren  Aasgang  yom 
Stoffwechsel  schwerer  Diabetiker  genommen  and  schliesslich  in  das  gegen- 
wärtige breitere  Fahrwasser  gelangt  ist.  Schlesinger  hatte  anter  Anderen 
seiner  Zeit  gefanden,  dass  bei  Alkalidarreichang  Kalk-  and  Magnesiagehalt 
der  Fäces  gleichlaufend  mit  yermehrter  Seifenaasscheidnng  zanehmen.  Neuer- 
dings hat  er  au  Hunden  Versuche  mU  partieller  Pankreasezstirpation  (daneben 
bei  nicht  einwandsfreien  Tieren  mit  Durchscbneidong  des  Ductus  choledochus) 
gemacht,  deren  Methodik  im  Original  zu  ersehen  ist.  Die  Fettaussutzung  war 
bei  diesen  Hnnden  schlecht;  die  absolute  Seifenausscheidung  war  schan 
bei  fettarmer  Kost  gross,  um  so  grösser,  je  mehr  Fett  verabreicht  wurde; 
für  die  relative  Ausscheidung  war  dies  Verhältnis  nicht  gleichlaufend  und 
ging  je  nachdem  in  Umkehrung  &ber.  Die  Kalk-  und  Magnesia-Ausscheidung 
durch  den  Harn  war  ganz  ausserordentlich  herabgesetzt,  bei  Fettzulage 
sinken  die  absoluten  Zahlen  der  Kalkaasscheidung  bedeutend.  Die  Erklärung 
sieht  Schi,  in  der  vermehrten  Ausscheidung  von  Kalk  in  den  Dickdarm 
aus  dem  Blute,  das  dort  mit  alkalischem  Darminhalt  in  Berührung  tritt  und 
eine  Umsetzung  der  Ca- Verbindungen  erlebt,  bei  welcher  es  Alkaliphosphat 
zur  Abscheidung  im  Harne  mitnimmt,  unlösliche  Kalkseifen  und  basisch 
phosphorsauren  Kalk  in  den  Darm  abscheiden  lässt;  entsprechend  hat  Verf. 
die  beträchtliche  Steigerung  der  Phosphorsäure  im  Harne  gefunden;  bei  den 
Mg- Werten  ist  die  Sache  nicht  so  ausgesprochen  und  wechselnd. 

Die  Vermehrung  der  Ammoniakausscheidung  im  Harne  entspricht 
der  Verminderung  der  Kalkausscheidung  (und  Vermehrung  der  Seifen  im 
Stuhle)  schon  bei  fettarmer  Fütterung;  relativ  ist  die  Vermehrung  nicht  be- 
deutend bei  den  Tieren,  wohl  aber  absolut.  Vermehrte  Fettsänrenienge  der 
Fäces  fuhrt  infolge  gestörter  Fettresorption  auf  dem  Umwege  der  Bildung 
von  Kalkseifen  zu  Alkalienmangel  mit  kompensierender  Ammoniakausscheidung 
und  Magnesiaretention. 

Dass  auch  die  Ammoniakvermehrang  im  Harn  magendarmkranker  Säug- 
linge zum  Teil  auf  Störung  der  Fettresorption  zu  beziehen  ist,  ist  wahr- 
scheinlich. Weil  die  Verdauungsorgane  des  Säuglings  zur  Aufnuhme  von 
Fett  wenig  geeignet  seien  und  dadurch  Gelegenheit  zu  reichlicher  Seifen- 
bildong  gegeben,  muss  nach  des  Verfassers  Anschauung  der  Säugling  auch 
in  der  Norm  viel  Ammoniak  ausscheiden:  doch  müsste  diese  „StöruDg**  erst 
nachgewiesen  werden. 

Die  absolute  Ausscheidungsgrösse  ist  maassgebend,  nicht  die  prozentuale, 
an  der  Keller  und  Nachfolger  fälschlich  gemessen.  Gilt  dies  für  die  Seifen 
im  Stuhl,  so  genügt  andererseits  die  Änderung  des  AusscheidangsverhältnisscR 
von  Kalk  and  Magnesia  im  Harne  und  Stuhl  zur  Erklärung  eines  Alkali- 
defizits, ohne  dass  die  gesamte  Ca-Ausscheidnng  verringert  sein  muss.  Im 
übrigen  vermag  vermehrte  Peristaltik  (Stuhlzahl,  anch  wenn  kein  diarrhoischer 
Charakter)  dem  Organismus  so  reichlich  alkalische  Säfte  zu  entziehen,  dass 
dies  allein  zu  einem  Alkalidefizit  führt. 

Spiegelberg. 


912  Literaturbericht. 

IL  Krankheltea  der  Neagoborenen« 

Sur  une  cause  de  vomissement  du  tumveau-ne.     Vomissemeut  par  tUrophagie. 

Von    M.   L.  GuiooD.      Rey.    mens,    des    malades    de  Tenfance.    XXII. 

Dez.  1904. 
Verf.  berichtet  über  einen  Fall  yon  habituellem  Erbrechen,  das  offen- 
bar auf  Lnftschlucken  beruhte.  Beim  Trinken  fasste  das  Kind  die  firast- 
Warze  so,  dass  noch  ein  Spalt  des  Mundes  offen  blieb.  Bei  jeder  Saug- 
bewegnng  warde  auch  eine  Inspiration  gemacht.  Die  Nasenlöcher  waren 
jedesmal  dabei  zusammengefallen,  ohne  dass  ein  blindemis  in  der  Nase  oder 
im  Nasenrachenraum  festzustellen  war.  Durch  Magenspülungen,  kleine  Mahl- 
zeiten und  durch  die  spontane  allmähliche  Besserung  der  Nasenatmung 
hauptsächlich  trat  Genesung  ein;  und  das  Kind,  das  bis  dahin  im  Gewicht 
stehen  geblieben  war,  begann  zuzunehmen.  L.  Ball  in. 


IIL  SAafirlingsera&liransr,  Magonkrankb^ton  der  SAugUngo. 

Sommersäughngssierblichkeit.  Von  L.  G.  Ager.  Medical  News.  1905.  I.  5. 
Statistische  Arbeit,  welche  im  wesentlichen  die  Besserung  der  Ver- 
hältnisse in  den  in  Rede  stehenden  amerikanischen  Bezirken  von  81 — 98  und 
einen  Stillstand  dieser  Verbesserung  seit  1898  erweist,  im  übrigen  bekannte 
Missstände  und  ihre  Abhilfen  bespricht.  Spiegelberg. 

Essai  de  iraitenunt  des  gasiroenierUis  aigues  du  nourrisson  par  les  injections 
sous  cutanees  de  sang  matemel  ou  paiemeL  Von  Lesage.    Arch.  gener. 
de  medic.     1904.    39. 
Wenn    die  Wasserdiät  nach    24  Stunden    nichts   genützt   hat,   spritzt 
Verf.   4  ccm    mütterliches    oder    yäterüches  Blutserum    unter   die  Haut   des 
Kindes.   Dieses  wird  durch  Anlegen  eines  blutigen  Schröpf  kopfes  gewonnen. 
Nachteilige    Folgen    sind    nie     beobachtet,     vielmehr     meist    ein    schnelles 
Zurückgehen  der  Intoxikationserscheinungen,  so  dass  eine  Wiederholung  un- 
nötig war.    Die   intestinalen  Symptome  wichen  erst  nach  2^3  Tagen.    Weil 
gerade  die  Intoxikation  im  Fortschreiten  gehemmt  wird,  nimmt  Verf.  an,  dass 
sich  im  Blut  des  Erwachsenen  durch  ein  früheres  Überstehen  der  Krankheit 
die  nötigen  Antikörper  yorfinden.  Würtz-Strassburg. 

TVaUemeut  de  la  gasiroenierite  par  ie  laU  ecreme  addifie.  Von  H.  de  Roth- 
schild. Rev.  d'hyg.  et  de  med.-inf.  1905.  No  5. 
Bericht  über  die  Erfolge  yon  Darreichung  einer  Nahrung  folgender 
Herstellung.  Milch  wird  mit  der  Zentrifuge  entsahnt,  dann  mit  Reinkulluren 
yon  Bac.  lact.  besät,  pasteurisiert  in  dem  Augenblick,  wo  die  Titrieruog 
2,5  pCt.  Milchsäure  ergibt  (Moment  der  Gewinnung).  Dazu  kommen  10  pGt 
Rohrzucker.  Mit  der  Nahrung  wurden  yon  Juli  bis  Oktober  1903  12  schwere 
Fälle  von  Darmkatarrh  behandelt  mit  profuser  Diarrhoe,  Erbrechen,  rapider 
Abmagerung  und  hohem  Fieber.  Es  wurden  12  Heilungen  erzielt,  und  nach 
den  angegebenen  Kurven  sind  die  Erfolge  allerdings  erstaunlich,  am  so  mehr 
als  die  Nahrung  schon  in  der  Zeit  der  schwersten  Erkrankung  gereicht 
wurde.  Im  Minimum  wurde  als  Einzelmahlzeit  80  g  gegeben,  eyentnell  mit 
dem  Löffel.  Auch  bei  sonst  absoluter  Intoleranz  yon  Seiten  des  Magens  »oU 
die  Nahrung  behalten  worden  sein.  Jap  ha. 


IV.  Akute  Infektiooftkrankheiteo.  918 

Forme  frusfe  kemaiurigne  de  la  malaäie  de,  Barlow.  Von  Eugene  Vetteri. 
Arch.  de  m^d.  gen  er,  1904.  40. 
Bei  der  Barlo wachen  Krankheit  erfolgen  die  Blatungen  meist  unter 
dem  Periost,  sie  köDDeo  aber  auch  die  Organe  treffen,  sich  z.  B.  in  den 
Harn  wegen  lokalisieren.  Die  seltene  Kasuistik  wird  durch  folgend'en  Fal4 
bereichert:  Ein  gut  entwickelter  8 monatlicher  Säugling,  der  seit  4  Monateo 
MaUsuppe  trinkt,  zeigte  schon  etwa  8  Wochen  schlechtes  Befinden  und 
blutigen  Urin.  Ausser  Graniotabes  keine  Abnormität.  Wegen  des  Verdachts 
auf  Barlow  wird,  nachdem  zunächst  nur  einmal  aufgekochte  Milch ^  ohne 
Erfolg  gegeben  war,  zur  Ernährung  mit  nur  roher  Milch  übergegangen,  eine 
Therapie,  die  nach  8  Tagen  zur  yölligen  Heilung  fuhrt.  Dieser  therapeutische 
Erfolg  bestärkt  den  Verf.  in  seiner  Diagnose.  Charakteristisch  für  diese 
Form  Ton  Barlow  sollen  sein  die  grosse  Blässe  und  Müdigkeit,  dabei  fehlt 
das  Fieber  fast  immer.  Pathologisch-anatomisch  handelt  es  sich  immer  um 
eine  wahre  Hämaturie  ohne  Nierenreizung.  Mikroskopisch  enthalten  der 
fleischfarbige  Urin  rote  Blutkörperchen,  nur  wenig  Leukozyten  und  nur  ganz 
selten  hyaline  Zylinder.  Wurtz-Strassburg. 


IV.  Akute  InfektlonskrankhelteD. 

Recherches  sur  raggluHnaiUm   du  streptocoque  da$ts  la  scarlaHne,      Von  MM. 

De  tot    und    Boargarts.      KcTue  mens,     des    maladies    de    l'enfance. 

XXVI.  F6vrier-Mars  1905. 
Die  Verfasser  haben  die  Angaben  über  die  Agglutination  des  Scharlach- 
Streptococcus  nachgeprüft  mit  den  angegebenen,  wie  modifizierten  Methoden 
und  sohliessen  sich  auf  Grund  ihrer  Untersuchungen  Aronson,  Kraus  und 
Low,  Baginsky  und  Sommerfeld,  Moser  und  Pirquet  usw.  an  gegen- 
über Van  der  Velde,  Meyer,  Hasenknopf  und  Salge. 

Ihre  Resultate  werden  in  folgenden  Sätzen  zusammen gefasst:  1.  Der 
Scharlachstreplococcus  kann  von  Serum  yon  Scharlachkranken  agglutiniert 
werden,  aber  die  Reaktion  ist  wechselnd  in  der  Stärke  und  inkonstant. 
2.  Auch  Serum  yon  Gesunden  und  anderen  Kranken  kann  den  Scharlach- 
streptococcus  agglutinioren.  Bei  Vergleichnngen  kann  die  Reaktion  schwächer 
sein  als  mit  Scharlachsernm,  sie  kann  aber  auch  gleich  sein.  8.  Auch  bei 
Anwendung  verschiedener  Methoden  erhalten  sie  dieselben  Resultate.  4.  Bei 
Untersuchung  mit  Streptokokken  anderer  Provenienz  kommt  man  zu  den 
gleichen  Resultaten.  5.  Auf  Grund  ihrer  Untersuchungen  halten  die  Verf. 
eine  praktische  Anwendung  der  Serodiagnostik  bei  Streptokokkenerkrankungen 
ebenso  für  unmöglich,  wie  den  Schlnss  auf  eine  Spezifizität  des  Scharlach- 
streptococcus.  L.  Ball  in. 

Über  speBifische   AggluhmiiUm  von  Streptokokken   aus  Scharlackanginen   und 
extrabukkalem  Primäraffekt.    Von  Edwin  Rossiwall  und  Bela  Schick. 
Wiener  Klin.  Wochenschr.    No.  1.    1905. 
Es    gelang,   in    einem    sicheren    eztrab ukkalen  Scharlachfall  (Ausgang 
von  einem  Abszess  in  inguine  nach  Hernienoperation)  mit  nach  aussen  ab- 
geschlossenem Primäraffekt,  Streptokokken  in  Reinkulturen  nachzuweisen,  die 
durch  Scharlachsernm  Moser  spezifisch  hoch  agglutiniert  wurden;  in  weiteren 
11  Fällen   war  es  möglich,  im  regulären  Primäraffekt,  i.  e.  ScharUchangina, 


914  Litentarb«richt. 

neben  andereD  Dicht  agglatinierbareD  Streptokokken  solche  za  finden,  di> 
▼on  Schar  lachseram  Moser  in  gleicherweise  spezifisch  agglatiniert  wnrdeo. 
Baraas  fol^t,  dass  die  in  den  Rachenbelägen  bei  Scharlach  nachweisbaren 
Streptokokken  nicht  einheitlich  sind,  sondern  Tersehiedenen,  darch  Agglu- 
tination onterscheidbaren  Gruppen  angehören.  Nearath. 

Ober  cUe  Beka$tdlung  des  Scharlachs  mit  AnHstreptokohkeHserum,  Von  Gang- 
hofner.  Deatsche  med.  Wochenschr.  No.  l-l,  15.  1905. 
Es  wurde  Aronsonsches  nnd  Moserscbes  Serum  verwendet.  Von 
den  15  mit  Aronsonschem  Serum  behandelten  schweren  Fällen  starben 
ca.  50  pCt.  Weder  auf  den  Gang  der  Temperatur  noch  auf  das  Allgemein- 
befinden und  die  übrigen  Krankheitserscheinungen  kam  ein  anffälüger  Ein. 
fluss  zur  Beobachtung.  Doch  sollen  bei  Verwendung  grösserer  Dosen  zur 
einmaligen  Injektion  (60  ccm)  bessere  Resultate  nach  Aronson  erzielt 
werden.  Auch  das  Mos  ersehe  Serum  liess  keine  wesentliche  gunstige  Be- 
einflussung des  Scharlachprozesses  erkennen.  Von  den  acht  so  behandelten 
Fällen  starben  fänf.  Miscb. 

Erfahrungen  über  die  Behandlung  des  Scharlachs  mit  Aniistreptokokhenserum, 
Von  Mendelsohn.    Deutsche  med.  Wochenschr.    No.  12.     1905. 

Bericht  über  ca.  150  im  K.  K.  F.-Kinder- Krankenhans  mit  Aronson- 
schem Serum  behandelte  Fälle.  Eine  wesentliche  Beeinflussung  der  eigent- 
lichen Scharlachsjmptome  zeigte  die  Behandlung  nicht.  Von  den  schweren 
bezw.  septischen  Fällen  wurden  ca.  20  ohne  jeden  Erfolg  behandelt.  Keine 
der  häufigsten  Komplikationen  oder  Nachkrankheiten  liess  sich  vermeiden; 
auch  die  selteneren  kamen  yor.  Auch  hint»ichtlich  der  Schwere  der  einzelnen 
Affektionen  Hess  sich  keine  Beeinflussung  feststellen.  Anhangsweise  werden 
vier  Fälle  mitgeteilt,  die  mit  Moserschem  Serum  —  auch  ohne  deutliche 
Wirkung  —  behandelt  wurden.  Misch. 

Die  ProtOBoen  des  Scharlachfiebers,  Von  G.  W.  Duval.  Virchows  Arch.  179,3. 
Die  Entdecknng  Mallorys  aus  dem  Jahre  1903  von  protozoenähnlichen 
Zellen  in  der  Haut  von  Scharlachleichen  und  dessen  Mitteilung,  dass  er  be- 
stimmte Formen  in  den  Ljmphspalten  und  -gef&ssen  des  Corium  gefunden, 
veranlasste  D.  nach  solchen  Zellen  im  Serum  zu  suchen,  und  zwar  im  Serum 
künstlich  erzeugter  Hautblasen.  M.  hatte  eine  ätiologische  Beziehung  der 
Gebilde  zum  Scharlach  angenommen,  da  er  die  Zellen  nur  bei  Scharlach- 
leichen finden  konnte.  D.  fand  in  den  5  letzten  (I  Technik)  von  18  Fällen 
in  vivo  protozoenähnliche  Formen,  übereinstimmend  mit  denen  Mallorj  s 
daneben  amöboide  Gestalten.  Die  gleichen  Gebilde  fanden  sich  bei  einem 
zur  Sektion  gekommenen  Kinde  von  2  Jahren  in  grosser  Zahl  in  der  Haut. 
In  Hautblasen  Gesunder  und  in  Blasen  von  chemisch  geschädigter  Baut 
wurden  sie  nie  gefunden.  Eine  besondere  Bedeutung  für  die  Ergebnisse  hatte 
die  Serumgewinnung,  da  nur  in  schnell  erzeugten  Blasen  (durch  Ammoniak- 
wasser), in  welche  weder  weisse,  noch  rote  Blutkörperchen  ausgetreten  sind, 
reine  Bilder  möglich  seien.  Diese  Technik  ist  ebenso  wie  die  genaue  Morpho- 
logie der  Protozoen gebilde  im  Original  nachzulesen,  dem  hervorragend  gute 
mikrophotographische  Abbildungen  beigegeben  sind.  Der  Verfasser  spricht  die 
8  Formen,  zwischen  denen  der  Entwicklungszusammenhang  noch  nicht  ge- 
schlossen festgestellt  ist,  als  Protozoen  und  als  Ursache  des  Scharlach 
an.    Sie  finden  sich  am  besten  auf  der  Höhe  des  Ausschlages,  am  2. — 3.  Tage. 


IV.  Akute  InfektioBskraokheiteD.  915 

Die  Methode  des  raschen  BlaeenzieheDS  mit  AmmoDiak  gilt  D«  f&r  die 
bisher  beste,  nm  überhaupt  ein  zellfreies  Sernm  für  ähnliche   Zwecke  zu  er- 
halten. Spiegelberg. 
ÜSer  du  Bedeuiung  der  KopHkschen  Flecke  fSr  die  Diagnose  tmd  DifferenHai- 
diagnose  der  Masern.    Von    Brfining.    Deutsche    med.    Wochenschr. 
No.  10.     1905. 
Gelegentlich  einer  grösseren  Haasepidemie  des  Leipziger  Kinderkranken 
hanses  wurden  die  Kopliks   in    allen  F&Uen   nachgewiesen;    überwiegend  am 
letzten  Tag,   aber   auch    am    fünften    nnd   sechsten   Tag   yor   Ausbruch  des 
Exanthems.  Sie  verschwanden  bald  nnd  waren  bei  keiner  anderen  differential- 
diagnostiseh  in  Betracht  kommenden  Krankheit  zu  finden.  Misch. 
Miisern  ohne  Bxanikem,   Von  Salz  er.  Münch.  med.  Wochenschr.  No.  8.  1905. 
Während  die  5  Geschwister  an  Masern  litten,  erkrankte  das  Vijährigc 
Kind   an    heftiger    tödlicher   Bronchitis.    Trotz    genauester  täglicher  Unter- 
suchung niemals  eine  Spur  von  Ausschlag.  Misch. 
Eiude    cliniqne   et   experimentale   snr   la  persisiance   dn    baeUle   de    LSffler 
dans  les  Josses  nasa/es  et  da$ts  la  cavUe  bucco-pharyngee  des  convaleseents 
de   diphikerie.     Von    Monnier    uud    Gendron.     Gaz.   med.  de   Nantes. 
Arch.  gen  er.  de  m^d.     1904.    89. 
Untersuchungen  an  7  Kindern,  bei  denen  die  Diphtheriebazillen  noch 
64  bezw.  140  Tage    nach    dem  Beginn  der  Erkrankung  viralent  in  der  Nase 
gefunden  wurden.    Solche  Tatsachen  erklären  die  so  häufigen  RezidiTC  und 
das  reihenweise  Auftreten  von  D.  in  einzelnen   Familien.    Praktische  Folge- 
rungen:   So   lange    Kulturen   aufgehen,   kein  Schulbesuch    und  während  der 
Rekonvaleszenz  wiederholte  Sernminjektionen.                 Wfirtz-Strassburg. 
Du  Resultate  der  prophylaktischen  Impfung  mit  DiphtkerUheilserum  im  städti- 
schen Mariahilf' Krankenhause  zu  Aiuhen.    Von  Wesen  er.     Münclu  med 
Wochenschr.    No.  12.     1905. 

Verf.  kommt  zu  den  bekannten  günstigen  Resultaten,  die  wohl  all- 
gemein mit  der  qu.  Behandlung  erzielt  werden.  Misch. 
Über  Schutsimpfungen  mit  DiphtkerUheilserum,  Von  Ibrahim.  Deutsche 
med.  Wochenschr.  No.  11.  1905. 
Prophylaktische  Heilseruminjektionen  sollten  in  allen  Familien,  in 
denen  Diphtherie-Erkrankungen  vorkommen,  an  den  gefährdeten  Geschwistern 
vorgenommen  werden.  Als  immunisierende  Dosis  sind  mindestens  250  bis 
300  Einheiten,  auch  bei  Säuglingen,  zu  injizieren.  Auf  Diphtherie-Stationen 
sind  alle  3  Wochen  fortlaufende  Immunisierungen  vorzunehmen.  Seit  der 
Anwendung  des  Merckschen  Heilserums  wurde  in  der  Heidelberger  Kinder- 
klinik kein  Fall  von  Serumoxanthem  mehr  gesehen,  welche  Komplikation 
beim  Höchster  Serum  nicht  selten  war. 

Nur  ein  einziges  der  zahlreichen  prophylaktisch  injizierten  Kinder  er- 
krankte innerhalb  der  nächsten  drei  Wochen  an  Diphtherie;  doch  bestand 
bei  diesem  Kinde  gleichzeitig  noch  Scharlach  und  Keuchhusten. 

Misch. 

Über  Heredilatation  bei  DiphikerU,    Von  Dietlen.    Münch.  med.  Wochenschr. 
No.  15.     1905. 
Orthodiagraphische  Bestimmungen  der  Herzgrösse.    Die  äusserst  inter- 
essanten  Untersuchungen    zeigen    die  Wichtigkeit    der   Radioskopie    für  die 


916  Literaturbericht 

ErkenauDg  und  Beurteilnng  der  in yokardi tischen  Herzdilatationen,  die  sich 
nicht  immer  durch  Pulsvoranderungen  äussert,  und  über  deren  absolute  Grösse 
die  Perkussion  allein  nicht  immer  sicheren  Aufschluss  gibt.  Von  Bedeutung 
ist,  dass  auch  ganz  hochgradige  Dilatationen  in  Heilung  übergehen  können; 
andererseits  zeigen  die  allerdings  wenigen  Fälle,  die  Vf.  nach  längerer  Zeit  wieder 
untersuchen  konnte,  dass  sich  ein  Teil  der  Dilatationen  wahrscheinlich  über- 
haupt nicht  mehr  ganz  zurückbildet.  »Der  Anblick  der  hochgradig  erweiterten 
Herzen  mit  offenbar  ganz  dünn  ausgezogener  Muskulatur  gibt  eine  eindrncks- 
ToIIe  Vorstellung  von  der  Lebensgefahr,  der  die  Patienten  durch  drohende 
Herzlähmung  ausgesetzt  sind.**  Misch. 

Zur  Klinik  und  Ätiologie  der  Angina  ulcerosa  nuntbranacea  ( Plaui-Vinceni). 
Von  Majer  und  Schreyer.  Deutsche  med.  Woohenschr.  No.  16.  1905. 
Mitteilung  eines  tödlich  yerlaufenen  Falles,  der  aber  durch  das  klinische 
Bild  einer  perniziösen  Anämie  kompliziert  war.  Der  mikroskopische  Befund 
des  Rachenbelages  ergab  den  Bacillus  fusiformis  in  grosser  Menge,  neben 
zahlreichen  Spirochäten.  In  einem  Blutaasstrichpräparat  fand  sich  ein  eigen- 
tümliches Gebilde,  dessen  Deutung  als  Organismus  oder  Verunreinigung  in- 
dessen aussteht.  Misch. 

Variola  und  Varisellen.  Von  Richard  Pick.  Wiener  klin.  Wochensehr. 
No.  12.  1905. 
Die  Krankheiten  sind  Terschiedener  Ätiologie,  wofür  eine  kasuistische 
Beobachtung  (Erkrankung  an  Varizellen  kurz  nach  erfolgreicher  Vaccination) 
beweisend  scheint.  Wie  bei  Variola  vermindert  auch  bei  Varizellen  die 
Behandlung  mit  rotem  Licht  den  Juckreiz  und  die  Gefahr  des  Zurück- 
bleibens entstellender  Narben.  Nearath. 

Zur  Ätiologie  der  Varizellen.  Von  Franz  Halbhube r.  Wiener  med. 
Wochensehr.  No.  7.  1905. 
Zwei  Kinder  wurden  kurz  nach  Überstehen  der  Varizellen  mit  gutem 
Rrfolg  geimpft.  Daraus  lässt  sich  schliessen,  dass  Varizellen  eine  yon  der 
Variola  im  Wesen  vollständig  verschiedene  Infektionskrankheit  ibt  und  beide 
Krankheiten  ätiologisch  streng  auseinanderzuhalten  sind.  Nearath. 

Zur  Behandlung  der  epidemischen  Genickstarre,  Von  H.  Lenhartz.  Mnnch. 
med.  Wochensehr.  No.  12.  1905. 
Durch  regelmässig  und  häufig  wiederholte  Lambalpunktionen  kann 
man  den  Krankheitsprozess  günstig  beeinflussen  und  sowohl  in  den  ersten 
Erkrankungstagen  wie  auch  in  späterer  Zeit  die  drohende  Lebensgefahr 
öfter  abwenden.  Misch. 

Beitrag  zur  PneumokokkenepUyphlUis,  Von  Emil  Haim.  Wiener  klin. 
Wochensehr.  No.  4.  1905. 
In  zwei  Fällen  von  Pneumokokkenperitonttis,  ausgehend  von  einer 
Epityphlitis,  gelang  es,  schon  aus  dem  klinischen  Bild  die  Diagnose  zu 
stellen.  Bei  beiden  Kranken  (9  Jahre  altes  Mädchen  und  Ujähriger  Knabe) 
hatte  die  Krankheit  unter  den  üblichen  Zeichen  einer  Appendicitis  begonnen» 
im  ersten,  tödlich  ausgegangenen  Falle  hatte  sich  eine  fibrinös  eitrige 
Peritonitis  entwickelt,  im  zweiten  ein  abgesackter  Abszess.  Es  bestanden 
schwere  Allgemeinsymptome.  Bei  der  Laparotomie  zeigte  sich  ein  fibrinös- 
eitriges  Exsudat,  das  Pneumokokken  enthielt.  Wertvolle  diagnostische  Anhalts- 


V.  Tuberkulose  und  Syphilis.  ^^7 

punkte  gab  in  einem  der  Fälle  das  Blutbild;  das  native  Präparat  erinnerte 
sehr  an  das  der  kroupösen  Pneumonie  (Überwiegen  der  poljnukleären  Leuko- 
zyten, Vermehrung  des  Fibrinnetzes).  H.  zieht  aus  seinen  Beobachtungen 
folgende  Schlüsse:  Die  durch  Pneumokokken  hervorgerufene  Epitjphlitis 
ist  eine  ziemlieh  seltene  Erkrankung;  sie  ist  ein  gut  charakteristisches 
Krank heitsbiid,  welches  sich  von  dem  der  Epitjphlitis  anderer  Ätiologie 
wohl  unterscheidet.  Die  Diagnose  ist  aus  den  klinischen  Symptomen  und 
insbesondere  durch  die  Blutuntersuchung  sehr  leicht  zu  machen.  Die  Be- 
handlung soll  eine  operative  sein,  und  zwar  in  einem  möglichst  frühen 
Zeitpunkte.  Neurath. 

Zur  Kasuistik  der  DarmperforaiUm  bei  Typhus  abdominaiis.    Von  Z.  Adler. 

Germekorow.  1905. 
Die  Darmperforation  gehört  zu  den  seltenen  Komplikationen  des 
Typhus  im  Kindesalter,  nach  Mery  soll  deren  Häufigkeit  kaum  1,72  pCt. 
betragen.  Im  mitgeteilten  Fall  entwickelte  sich  diese  Komplikation  bei 
einem  11jährigen  Mädchen,  dessen  Organismus  infolge  des  lange  bestehenden 
Herzfehlers  (Mitralinsufficiens)  und  den  Typhus  komplizierenden  hämor- 
rhagischen Diathese  sehr  gering  widerstandsfähig  war.  Die  prämortale 
Perforation  hatte  eine  diffuse  purulente  Peritonitis  zur  Folge.  Torday. 
Un  cos  d*arthrUe  ä pneumocoque  chea  un  nouveau-ne.    Von  Nattan  Larrier. 

Arch.  g^n.  de  med.     1905.    9. 

Das  von  gesunder  Mutter  geborene  Kind  hatte  eine  Hasenscharte,  die 
4  Tage  nach  der  Geburt  operiert  wurde.  Nach  anfänglichem  Wohlbefinden 
am  7.  Tage  Eiterung  an  der  Wunde  und  am  9.  Tage  plötzlich  starke  Schwellung 
des  rechten  Schultergelenks,  die  am  14.  Tage  zum  Tode  führte.  Die  bakterio- 
logische Untersuchung  des  entleerten  Eiters  ergibt  fast  Reinkulturen  von 
Pneumokokken.  Würtz-Strassburg. 

Massnahmen  des  „New  York  city  department  qf  kealtk**   sur  Verküiung  der 

Ausbreitung  ansteckender  Krankheiten  in  den  Schulen,  Von  Th.Darlington. 

Medical  News.     1905.     I.  3. 
Eine    für  jeden    Schulhygieniker    sehr   lesenswerte    Darstellung.     Die 
Fülle  von  Einzelheiten  geschilderter  Einrichtungen   und  statistischer  Zahlen 
ist  für  ein  Referat  ungeeignet.  Spiegelberg. 


V.  Tabefkulose  und  Syphilis. 

Über  einige  Fragen  der  infantUen  Tuberkulose,  Von  F.  v.  Szontagh.  (Vor- 
getragen am  12.  Januar  1.  Jahres  im  Tuberkulose-Ausschuss  des  königl. 
Ärzteyereins  in  Budapest.)    Budapesti  Orvosi  Ujsäg  1905. 

In  der  Einleitung  des  Vortrages  werden  Behrings  und  Kochs  An- 
schauungen über  die  Entstehung  der  menschlichen  Tuberkulose  eingehend 
besprochen.  Sodann  wird  die  Frage  aufgeworfen,  in  wie  weit  unsere  Kennt- 
nisse über  die  Säuglings-  und  Kindertuberkulose  mit  Behrings  Hypothese 
—  in  derem  Sinne  der  Erwachsene  seine  Taberkulose  im  Säuglingsalter  und 
zwar  durcli  den  Geouss  der  Milch  erwerbe  —  in  Einklang  gebracht 
werden  können.  Bei  diesen  Ausführungen  werden  bloss  die  im  praktischen 
Leben,  am  Krankenbette  und  an  dem  Sektionstisch  gemachten  Erfahrungen 
vor  Augen  gehalten. 


918  Literatarbericht. 

(Im  2a  illastrieren,  wie  die  Taberkalose  im  S&uglingsalter  yerlioft 
und  welche  YeräDdernngen  in  den  Organen  bei  SäagUngstaberkniose  ge- 
funden werdeD,  wird  ein  Fall  eingehend  geBchildert  nnd  hinmchtiich  aller 
in  Frage  kommenden  Punkte  eingehend  analysiert. 

Nnn  wird  die  Freqaenz  der  Tuberkalose  im  Sänglingsalter  eingehend 
besprocheo.  Vortragender  berichtet  suerst  über  sein  eigenes  Material,  richtet 
jedoch  nar  auf  die  sezierten  F&lle  sein  Angenmerk  (s&mtliche  Sektionen 
wurden  vom  Prosektor  des  Johannes- Spital  es,  Primarius  Dr.  Carl  Minich, 
ausgeführt). 

Auf  Grund  von  498  Sektionen  ergab  sich  die  Frequenz  der  Tuberkulose 
im  Säuglingsalter  gleich  21,8  pCt. 

Vortragender  kommt  zu  dem  Schluss,  dass  in  seinem  Material  die 
Tuberkulose  im  Sänglingsalter,  sowohl  die  relativen  als  auch  die  absolateo 
Zahlen verh&ltnisse  betreffend,  eine  ziemlich  hftufige  Erkankung  ist. 

Eingehender  wird  nun  die  Statistik  N&gelis  geschildert,  and  der 
Vortragende  warnt  davor,  aus  der  N&gelischen  Statistik  allgemeingültige 
Schlüsse  über  die  Frequenz  der  Tuberkulose  im  Kindesalter  zu  ziehen. 

Des  weiteren  werden  eingehend  die  Statistiken,  bexiehungs weise  die 
Abhandlungen  derjenigen  Autoren  besprochen,  die  sich  mit  der  Frage  der 
Tuberkulose  im  Kindesalter  befassen.  Unter  anderem  lenkt  Verfasser  die 
Aufmerksamkeit  auf  eine  Abhandlung  Millers  aus  der  Moskauer  Findel- 
anstalt, deren  Daten,  bei  der  Frage  der  Tuberkulose  im  zartesten  Sänglings- 
alter, stets  vor  Augen  behalten  werden  müssen. 

Vortragender  kommt  schliesslich  zu  folgenden  Konklusionen:  Die 
Tuberkulose-Mortalität  ist  im  zartesten  Kindesalter  die  grösste;  dies  spricht 
dafür,  dass  die  im  Säuglings-  und  im  ersten  Kindesalter  erworbene  Tuber- 
kulose einen  sehr  malignen  Verlauf  zeigt  und  wenig  Tendenz  zum  Stillstehen 
oder  Ausheilen  bekundet.  Ferner:  latente  Tuberkulose  kommt  im  Kindes- 
alter weniger  häufig  vor  als  beim  Erwachsenen;  diese  Tatsache  scheint  auch 
für  die  Malignität  der  Tuberkulose  im  zarten  Kindesalter  zu  sprechen. 

Ferner  wird  die  Frage  aufgeworfen,  wie  im  Säuglings-  und  zartesten 
Kindesalter  die  Tuberkulose  zu  verlaufen  pflegt.  Auf  Grund  seiner  eigenen 
Erfahrungen  betont  Vortragender  ausdrücklich,  dass  für  die  Säuglings- 
tuberkulöse  ein  rapider  Verlauf  und  die  Tendenz  zur  starken  Dissemination 
quasi  charakteristisch  seien. 

Es  werden  die  Ansichten  anderer  Autoren  eingehend  besprochen. 
Vortragender  glaubt  aussprechen  zu  dürfen,  dass  die  an  der  Säuglings- 
tuberkulose gemachten  Erfahrungen  sowohl  der  Beringschen  wie  auch  der 
Baum  garten  sehen  Hypothese  über  die  Phthisiogenesis  der  Erwachsenen 
direkt  wiedersprechen.  Auch  ist  Verfasser  der  Ansicht,  dass  die  Fälle  latenter 
Tuberkulose  im  Kindesalter  viel  zu  gering  sind,  um  mit  den  im  erwachsenen 
Alter  so  oft  vorkommenden  Tuberknloseföllen  in  Proportionalität  gebracht 
werden  zu  können. 

Sehr  eingehend  bespricht  der  Vortragende  das  Thema  der  Heredität. 
In  seinen  Schlussfolgerungen  schliesst  er  sich  denjenigen  Hntinels  an  und 
erkennt  unbedingt  die  Vererbung  einer  spezifischen  Disposition  zur  Tuber- 
kulose an.  Bei  dem  Punkte  der  spezifischen  Inklination  gedenkt  der  Vor- 
tragende auch  der  theoretischen  Auseinandersetzungen  Hamburgers.  Auch 
ist   Vortragender    der   Meinung,    dass    die   Fälle    kongenitaler   Tuberkulose 


V.  Tuberkulose  und  Syphilis.  919 

yielleicht  etwas  b&ufiger  Torkommeo,  als  dies  allgemein  anerkannt  wird. 
Trotzdem  glaubt  er  jedoch  aussprechen  zu  mösaen,  dass  in  der  Überwiegendon 
Mehrzahl  der  F&lle  auch  der  Säugling  seine  Tuberkulose  im  extrauterinen 
Leben  acquiriert.  Vortragender  hebt  ausdrücklich  hervor,  dass  bei  der  Frage 
des  Infektionsmodus  stets  vor  Augen  zu  halten  ist,  dass  bis  znm  12.  Lebens- 
jahre die  Bronchialdrüsen  tuberkulöse  dominiert.  Der  Vortragende  schliesst  sich 
der  Auffassung  an,  dass  die  Entstehung  der  Bronchialdrüsontuberkulose  stets 
auf  aerogene  Infektion  Kurückzuführen  ist,  jedoch  verkennt  er  nicht,  dass  bei 
diesem  Modus  der  Infektion  die  Verhältnisse  komplizierter  sind,  als  dies 
allgemein  angenommen  wird.  Es  muss  nämlich  die  Supposition  bestehen, 
dass  die  Lungen  im  Kindesalter  die  Bazillen  der  Tuberkulose  einfach  passieren 
lassen.  Es  werden  auch  die  Ansichten  anderer  Autoren  eingehend  be- 
sprochen, sowie  auch  die  Möglichkeit  einer  Doppelinfektion  (vom  Darm  aus) 
hervorgehoben. 

Bei  der  Analyse  seines  Materiales  glaubt  Vortragender  annehmen  zu 
dürfen,  dass  mit  Bestimmtheit  in  58,2  pCt.  die  Infektion  im  Woge  der  In- 
halation erfolgte.  Ausserdem  ist  in  18  Fällen  dieser  Modus  der  Infektion 
der  wahrscheinlichere,  so  dass  sich  68,5  pCt  für  die  Inhalationstuber- 
kulose ergeben.  In  62  Fällen  oder  in  35,2  pGt.  konnte  der  Weg  der 
Infektion  nicht  festgestellt  werden.  Für  diese  Fälle  muss  die  Möglichkeit 
einer  doppelten  —  aerogenen  und  intestinalen  —  Infektion  zugelassen 
werden.  Es  kann  beinahe  als  sicher  angenommen  werden,  dass  bei  12  unter 
177  Fällen  (6,8  pGt.)  die  Infektion  durch  die  Verdau ungsorgane  erfolgte. 
Primäre  Intestinal-Tuberkulose  wurde  in  keinem  einzigen  Falle 
gefunden.  Verfasser  glaubt  aussprechen  zu  dürfen,  dass  in  der  grossen 
Mehrzahl  der  Fälle  der  kindlichen  Tuberkulose  die  Bazillen  durch  Inhalation 
in  den  Organismus  dringen.  Dieser  Modus  der  Infektion  stimmt  am  besten 
mit  den  faktischen  Verhältnissen  und  den  Ergebnissen  am  Sektionstische. 
Die  Möglichkeit  einer  Fütterungstuberkulose  kann  nicht  geleugnet  werden, 
doch  ist  ihr  Vorkommen  verhältnismässig  selten;  dass  aber  bei  der  Fütteruogs- 
tuberkulöse  die  Milch  die  Hauptrolle  spielen  würde,  muss  noch  bewiesen 
werden,  denn  die  Bazillen  können  auch  auf  andere  Weise  in  die  Mund-  und 
Kachenhöble  gelangen.  Torday. 

Ein  Beiirag  sur  Kasuistik  der  Säuglingsiuberkuiose,  Von  Klepetar.  Prager 
med.  Wochenschr.  No.  1.  1905. 
Bei  einem  von  der  tnberknlösen  Mutter  gestillten  5^»  Monate  alten 
Säugling  stellten  sich  die  Erscheinungen  einer  Lungen  Infiltration  ein,  die 
einer  Pneumonie  zugeschrieben  wurden.  Die  Symptome  verschlechterten 
sich.  Es  gelang,  Sputum  zur  Untersuchung  zu  bekommen  und  in  diesem 
Tuberkelbaziüen  nachzuweisen;  solche  fanden  sich  auch  im  eitrigen  Ausfluss 
eines  Ohres.  Ad  finem  kam  es  auch  zu  den  Erscheinungen  einer  Meningitis 
tuberculosu  und  einer  Intestinaltuberkulose.  Der  Fall  drängt  einige  Fragen 
auf:  Er  scheint  zunächst  zu  beweisen,  dass  die  Tuberkuloseinfektion  im 
Säuglingsalter  nicht  gar  selten  auf  dem  Wege  des  Respirationstraktus  erfolgt. 
Oft  dürfte,  wie  in  diesem  Falle,  die  Lungentuberkulose  eine  Säuglings- 
pneumonio  vortäuschen.  Weiter  mahnt  die  Beobachtung,  immer  auf  eine 
eventuelle  Tuberkulose  der  stillenden  Mutter,  resp.  Amme  zu  achten,  da  eine 
solche  Erkrankung  das  Stillen  verbietet.  In  einem  solchen  Falle  wäre  ein 
Wechsel  der  Brnstnahrung  dringend  indiziert.  Neurath. 


920  Literatarbericht. 

.Der  Gang'  der  natürlichen  Tuberkulose-InfekHon  heim  jungen  Meerschweinchen, 
Voo  J alias  Barlel    und    Fritz  Spieler.     Wiener    klin.  Wocbenschr. 
No.  9.     1905. 
Um    dem    natürlichen   Gang    der  Tuberkalose-Intektion     nachzugehen, 
wurden  im  Tierexperiment  dieselben  Modalitäten  eingehalten,    die  im  Lebeo 
für     die    Tuberkalosegefahr    kindlicher    Individuen     in    Betracht     kommen. 
Kaninchen  wurden  in  der  Behausung  expektorierender  Tuberknlöser  gehalten, 
ohne  dass    irgend    welche    spezielle  Vorkehrungen  für  oder  gegen  die  Über- 
tragung der  Krankheit  getroffen  wurden.    Die  Tiere  wurden  dann  nach  allen 
Richtungen  anatomisch  und  bakteriologisch  untersucht. 

Es  kann  nach  den  erzielten  Resultaten  nicht  bezweifelt  werden,  dass 
bei  Yöllig  natürlicher  Infektionsgelegenheit  Tuberkelbazillen  mit  dem  Luft- 
ström  auch  in  die  tieferen  Respirationswege  —  die  Lungen  —  gelangen 
können.  Allein  nicht  berechtigt  scheint  es,  diesem  Vorkommnis  eine  on- 
bedingt  Yorherrschende  Rolle  bei  der  Entstehung  der  Tuberkulose  im  all- 
gemeinen und  der  Lungentuberkulose  im  besonderen  apodiktisch  beizu- 
messen. Vielmehr  weisen  die  £rß:ebnisse  der  Versuche,  in  denen  die  jungen 
Versuchstiere  denselben  Infektionsgelegenheiten  ausgesetzt  waren«  wie  sie 
namentlich  für  das  Kindesalter  in  Betracht  kommen,  mit  zwingender  Deut- 
lichkeit auf  andere,  wichtigere  Eintrittspforten  der  Tuberkulose  hin  (Mund- 
hohle,  Nasenrachenraum,  Darmkanal)  —  deren  hohe  Bedeutung,  besonders 
für  das  Kindesalter  nachdrücklich  betont  werden  muss.  Neurath. 

Sur  Vadenopathie  tracheo-^anchique  iuberculeux  des  j'eunes  naurissans.  Von 
M.  J.  Guinon.  Revue  mens,  des  Maladies  de  l'Enfance.  Tome  XXII. 
Dezember  1904. 

An  der  Hand  von  zwei  Fallen  versucht  Verf.  die  Symptomatologie  der 
Bronchialdrüsentuberkulose  beim  Säuglinge  festzustellen:  Als  erstes  Zeichen 
tritt  eine  Verändernng  des  Atmungsgeräusches  auf,  das  zunächst  nur  für  ein 
nasales  Schnüffeln  gehalten  wird,  aber  sehr  schnell  heftiger  wird.  £s  hat 
dann  einen  zischenden  oder  gurgelnden  Charakter,  ist  hauptsächlich  exspira- 
torisch,  kann  aber  auch  schon  am  Ende  der  Inspiration  beginnen.  Durch 
Unruhe  und  Aufregung  wird  das  Geräusch  vermehrt,  während  es  im  Schlaf 
fast  vollständig  verschwindet.  —  Durch  Lagerungs Wechsel  wird  er  in  seiner 
Intensität  beeinflusst.  —  Zugleich  tritt  eine  exspiratorisch'e  Dyspnoe  auf  wie 
bei  kapillärer  Bronchitis.  Beim  Husten  und  Schreien  treten  Cyanose  und 
Kopfschmerzen  auf.  —  Die  Stimme  ist  hell,  der  Husten  ist' pfeifend  nod 
wie  die  Exstirpation  von  einem  Gurgeln  begleitet.  Es  folgen  immer  mehrere 
Hustenstösse  aufeinander,  doch  soll  der  pertussisartige  Charakter  fehlen.  — 
Durch  die  Dyspnoe  treten  am  Thorax  periodische  Formverändemngen,  sternale 
und  epigastrische  Einziehungen  —  und  dauernde  —  fassförmiger  Thorax  wie  bei 
Emphysen  auf. 

Die  Perkussion  ergibt  leichte  Schallverkürzung  über  dem  oberen 
Sternum  und  im  Interskapularraum,  doch  findet  sich  diese  Schalldifferenz 
nur  wenn  das  Kind  rahig  ist  und  die  Lungen  durch  die  Dyspnoe  nicht  zu 
sehr  gebläht  sind. 

Auskultatorisch  findet  man  abgeschwächtes  vesikuläres  Atmen,  das 
aber  meistens  durch  die  Nebengeräusche  verdeckt  wird,  und  hinten  in  der 
Hilusgegend  einen  lauten  pfeifenden  Ton  und  das  oben  beschriebene 
Gurgeln  am  deutlichsten. 


Yl.  Konstitationskraokheiten.  921 

Differentialdiagnostisch  sind  aaszuschliessen  Fremdkörper,  bei  denen 
heftigere  Dyspnoe  auftritt,  Larynxstenose,  bei  der  das  Gerftusch  rauh  and 
kroupos  ist,  der  Stridor  congenitus,  bei  dem  das  Atmungsgeräusch  inspiratorisch 
auftritt,  hell  klingt,  und  die  Dyspnoe  fehlt  Weiter  sind  noch  Tbymus- 
hypertrophie  und  kapilläre  Bronchitis  anszuschliessen.  Der  Verlauf  des 
Leidens  ist  ziemlich  schnell;  anfangs  befinden  sich  die  Kinder  leidlich,  dann 
verschlechtert  sich  das  Befinden.  Die  Kinder  werden  missgestimmt,  magern 
ab.  Dyspnoe  und  Cyanose  werden  stärker,  und  schliesslich  tritt  der  Tod 
durch  Erstickung  ein.  L.  Ballin. 

Beiträge  sur  Entstehung  der  akuten  Miliartuberkulose.     Von  H.  Silbergleit. 
Virchows  Archiv.    Bd.  179.    2. 

Dem  Verf.  dienen  zum  Ausgangsmaterial  11  Fälle  akuter  allgemeiner 
Miliartuberkulose,  ans  Lungenvenentuberkulose  entstanden,  8  solche  aus 
Tuberkulose  anderer  Venen,  5  der  des  Ductus  thoracicus,  3  aus  Herz-  und 
Arterientuberkulose,  9  mit  unbekanntem  Ausgangspunkt. 

Die  Lehre  von  Ribbert,  welcher  die  Entstehiingsursache  der  akuten 
allgemeiuen  Miliartuberkulose  in  der  Vermehrung  in  dieBIutbahn  eingedrungener 
Bazillen  erblickt,  hält  S.  der  Weigertschen  gegenüber,  wonach"  immer  ein 
grösserer  bazillenhaltiger  Gefässherd  die  unmittelbare  Ursache  sei.  Statistisch 
entscheiden  seine  Fälle  mit  9/,o  für  Weigert.  Die  Herde  entstehen 
indes  meist  durch  Ansiedlung  hämatogen  verschleppter  Pilze,  selten  durch 
Übergreifen  von  Herden  aus  der  Nachbarschaft;  häufig  werden  mehrere 
grosse  Herde  gefunden. 

Die  Übergangsformen  von  der  akuten  zur  chronischen  Allgemein- 
tuberkulöse  und  diese  selbst  sind  streng  davon  zu  scheiden;  eine  gewisse 
Ausnahme  macht  die  chronische  Allgemeintuberkulose  der  Kinder,  welche 
der  akuten  allgemeinen  Miliartuberkulose  sehr  gleichen  kann.  Die  Be- 
rechtigung der  Trennung  weist  S.  an  einer  Reihe  von  ausführlichen  Krank- 
heits-  und  Sektionsbildern  von  Kindern  nach.  Spiegelberg. 

PseudoUukämie  und  Tuberkulose,  Von  H.  Falken  heim,  ^eitschr.  f.  klin. 
Medizin.  Bd.  55. 
Die  Diagnose  Pseudoleukämie  bei  dem  2jährigen  Knaben  wurde  durch 
die  Sektion  im  grossen  Umfange  bestätigt;  verbanden  war  damit  Tuberkulose 
der  Drüsen  und  Lungen.  Verf.  erörtert  an  der  Hand  der  Literatur  die  Mög- 
lichkeit des  Zusammenhanges  beider.  Spiegelberg. 


YL  KonstitationskrankheitiBii. 

Spätrackitis,    Von  R.  W.  Marsden.     Medical  Journal.     April  1905. 

Ein  19jähriges  Mädchen  von  gesunden  Eltern.  Unter  den  12  Ge- 
schwistern, wovon  6  am  Leben,  keine  rachitisch.  Patientin  4  Monate  an  der 
Brust,  gute  Zahnentwicklung,  normale  Entwicklung,  auch  durchs  Schuialter; 
jedoch  nicht  menstruiert. 

Nach  der  zweiten  Impfung  mit  17>/4  Jahren  beginnende  Schwäche, 
Gliederschmerzen    und    zunehmende  Gelenkschwellungen;    die  Radiogramme 


922  Literaturbericht. 

zeigen    Terbreiterte    Epipbyseii,    imdeatliche  Grenzen    nnd  Wacherang    des 
Knorpels.     Diagnose  per  exclasionem  anderer  Affektiosen. 

Besprechung  der  möglichen  Ätiologie,  Darcbsicht  der  Literatur. 

Spiegeiberg. 

Oier  Osteogenesis  imperfecta.  Von  Hohl  Feld.  ^üoch.  med.  Woehenschr. 
No.  7.  1905. 
Mitteilung  eines  Falles,  der  von  besonderem  Interesse  ist,  weil  es  sich 
um  ein  lebendes  Kind  handelt,  dessen  Entwicklung  verfolgt  werden  konnte. 
Während  der  4  monatlichen  Beobachtnngszeit  hat  die  Festigkeit  der 
Knochen  zugenommen;  die  Verbiegungen  der  Extremitäten  haben  sich  z.  T. 
ausgeglichen;  Torhanden  gewesene  Frakturstellen  sind  nur  noch  angedeutet; 
während  andererseits  neue  Frakturen  entstanden  sind.  Allgemeinbefinden 
leidlich.    Das  Körpergewicht  ist  gestiegen.  Misch. 

Beiträge  gur  Kenntnis  des  Diabetes  mellUus  im  Kindesalter.     Von  Langstein. 
Deutsche  med.  Woehenschr.    No«  12.     1905. 

Verfasser  hat  in  der  kurzen  Zeit  von  noch  nicht  zehn  Monaten  auf 
seiner  Abteilung  in  der  üniversitäts- Kinderpoliklinik  acht  Fälle  von  Diabetes 
beobachtet.  Dabei  wurde  für  die  Diagnose  nicht  nur  die  Keduktions- 
probe  verwendet,  sondern  erst  bei  deutlich  positivem  Ausfall  der  Fisch  er- 
sehen Osazonprobe  die  Ausscheidung  von  Zucker  als  sicher  angenommen. 
Die  ausgeschiedenen  Zuckermengen  waren  ausserordentlich  gross:  bei  einem 
P/4  jährigen  Kinde  80  bis  90  g  pro  die  bei  möglichst  zuckerfreier  Diät! 
Die  Fälle  verliefen,  wie  meist  im  Kindesalter,  schwer  und  tödlich;  jedoch 
wurden  zwei  Fälle  beobachtet,  die  man  als  ein  Latentwerden  des  Diabetes 
bezw.  als  eine  Heilung  event.  ansprechen  kann.  Sehr  interessant  ist  der 
beobachtete  Nutzen  der  Buttermilchdiät  und  die  günstigen  Erfolge,  die  mit 
der  Hafermehlkur  erzielt  wurden.  Misch. 


VIIL  Erkrankanfiren  des  Nervensystems. 

Hemiplegie  complete,  mioie  de  contracture  avec  apkasie  au  caurs  de  la  ckoree. 
Von  L.  G.  Simon    nnd    0.  Grouzon.     Revue   mens,    des  Maladies   de 
l'Enfance).    XXII.  Dee.  1904. 
Es    wird    über   einen  Fall  berichtet,   dessen  Eigentümlichkeit  aus  der 
Überschrift    hervorgeht.     Als    ätiologisches    Moment    nehmen    die  Verfasser 
eine  Embolie  an,  da  zu  gleicher  Zeit  mit  der  Hemiplegie  Zeichen  für  Endo- 
karditis auftraten.  L.  Ball  in. 

Über  choreatische  Diplegie  mit  isolierten,  symmetrischen  Mnskelläkmntigen  von 

schlaffem,  atrophischem  Charakter,    Von  S.  K 1  e  m  p  n  e  r.    Neurol.  Central  b I. 

No.  6.     1905. 

Unter  diesem  Namen  bezeichnete  Freud  seinerzeit  eine  in  die  infantilen 

Cerebrallähmungen  einzureihende  Krankheitsform,    bei  welcher  die  dauernd 

bestehende    choreatische    Unruhe    das    Krankheitsbild    beherrscht    nnd    die 

Lähmung  und  Starre  bedeutend  zurücktreten.    Interessant  sind  nur  die  zwei 

mitgeteilten   Fälle   aus  Mendels  Poliklinik,    welche   neben   der   erwähnten 

choreatischen    Diplegie    noch    schlaffe    isolierte    Muskellähmangen    darboten. 


VIII.  Erkrank uDgen  des  Nervensystems.  923 

Bei  dem  einen  Kinde,  einem  7  jährigen  Knaben,  handelte  es  aich  am  eine 
doppelseitige  Lähmung  der  Mm.  rhomboidei,  bei  dem  andern  gleichalterigen 
Kinde  nm  eine  schlaffe  atrophische  Lähmang  beider  Peronei.  Die  Dentnng 
dieser  Fälle  ist  schwer;  sowohl  die  Annahme  eines  Residaum  früherer  aas- 
gebreiteter Lähmungen  als  auch  die  VermutuDg  einer  alten  Poliomyelitis 
oder  Nenritis  lassen  sieh  sowohl  mit  der  Anamnese  als  auch  mit  dem 
klinischen  Befunde  schwer  vereinigen.  Rein  hypothetisch  erwägt  Verf.  die 
Möglichkeit,  dass  ebenso  wie  nach  Collier  der  Diplegie  manchmal  eine 
primäre  Atrophie  bezw.  Entwicklungshemmang  des  nervösen  Rindenelements 
zagrande  liege,  auch  im  Rückenmarke  analoge  degenerative  Zellprozesse 
vorhanden  sein  könnten.  Zappert. 

DipkikerU  ei  ietanie.  Von  L.  B ab  od  ei  t.  Revue  mens,  des  Maladie«  de 
PEnfance.  XXIIL  Jan  vier  1905. 
Aus  der  Überschrift  erwartet  man,  dass  die  Arbeit  aber  den  Zusammen- 
hang von  Diphtherie  nnd  Tetanie  handelt;  Verfasser  spricht  auch  in  einem 
fort  von  Tetanie,  beschreibt  aber  zum  grössten  Teil  tetanusartige  Zustände 
nnd  schliesst  bei  der  Kritik,  die  er  selbst  an  seine  aus  der  Literatur  ge- 
sammelten Fälle  legt,  besonders  auch  einen  Fall  aus,  der  Tetaniesymptome 
zeigte,  weil  er  eben  zu  dem  Krankheitsbilde  gehört,  das  man  jetzt  mit  dem 
Namen  Tetanie  belegt.  Die  Bezeichnung  tetanies  postdipht^riques  dürfte 
deshalb  zu  verwerfen  und  lieber  der  von  Botot  stammende  Name  pseudo- 
t^tanie  dipht^riques,  den  der  Verfasser  erwähnt,  anzuwenden  sein.  Es  bleiben 
auch  schliesslich  nur  Fälle  bestehen,  die  im  Anschlnss  an  eine  latente  oder 
offenbare  Diphtherie  tetanusartige  Symptome  zeigen.  Danach  teilt  er  sie 
ein  in  primäre  Fälle  bei  latenter  Diphtherie  nnd  sekundäre.  Praktisch 
wichtig  ist,  dass  in  jedem  Falle  von  Tetanns,  der  sich  nicht  ganz  sicher  als 
solcher  erweist,  auch  auf  Diphtherie  zu  fahnden  ist,  weil  eine  rechtzeitig 
eingeleitete  spezifische  Behandlung  —  natürlich  gegen  die  Diphtherie  — 
Rettung  bringen  kann.  L.  Ball  in. 

Zur  Paralyse-TabesSyphiH^age,  Von  Kurt  Mendel.  Neurol.  Centralbl. 
1905.  No.  1. 
Als  gewichtiges  Argument  für  die  Beziehung  der  Tabes  bezw.  Paralyse 
zur  Syphilis  müssen  die  Fälle  von  infantiler  progressiver  Paralyse  bei 
hereditär-luetischen  Kindern  aufgefasst  werden.  Verf.  führt  zwei  Fälle  an, 
die  als  neuer  Beweis  für  diesen  Zusammenhang  gelten  können.  Der  eine  ist 
ein  10  jähriger  Knabe,  dessen  Vater  früher  Syphilis  hatte  und  jetzt  tabetisch 
ist  und  dessen  Mutter  bald  nach  der  Hochzeit  infiziert  wurde;  der  andere 
betrifft  einen  17jährigen  Taboparalytiker,  dessen  Eltern  ebenfalls  syphilitisch 
waren.  Ein  dritter  —  kein  Kind  betreffender  Fall  —  dient  ebenfalls  als 
Beleg  für  den  oben  erwähnten  Zusammenhang,  da  hier  die  Tabes  erst  auf- 
fallend spät,  im  67.  Lebensjahre  auftrat,  die  syphilitische  Infektion  aber  auch 
erst  im  52.  Jahr  erfolgt  war,  so  dass  das  gewöhnliche  Intervall  von  15—20 
Jahren  zwischen  Infektion  und  Tabes  auch  hier  zu  finden  ist.       Zappert 

Über  du  Pathogenese  der  Stauungspapille.    Von   Alfred   Saenger.    Neurol. 

Centralbl.    No.  8.     1905. 

Über  die  Pathogenese   der   Stauungspapille   herrscht   seit  langem  ein 

Streit,  indem   einerseits   ein   mechanisch  bedingtes  ödem,   andererseits  eine 

wirkliche  Entzündung  als  Ursache  angenommen  wird.   Gegenüber  der  letzteren, 

Jahrbuch  Ittr  Kinderheilkunde.   N.  F.    LXI.    Heft  6.  60 


924  Literatarbericht. 

neaerdiDgs  wieder  von  Elschnig  Terfochtenen  Ansicht  Dimmt  Verf.  Stellong 
Es  seien  entzündungserregende  Substanzen  bei  Himtnmoren  sonst  nirgends 
nachgewiesen,  man  finde  die  Stauungspapille  nicht  abhängig  ron  dem  Tumor 
selbst,  sondern  von  dessen  Sitz,  man  sehe  dieselbe  auch  bei  Aneurysmen, 
Frakturen  etc.,  vermisse  sie  aber  meist  bei  wirklich  entzfindlichen  Hirn* 
erkranknngen.  Ebenso  wie  bei  Kompressionsmyelitis  könne  man  auch  bei 
der  Stauungspapille  die  sogen,  entzündlichen  Erscheinungen  durch  das  Auf- 
treten eines  Stauungsödems  erklären.  Die  gunstige  Wirkung  der  Trepanation, 
sowie  der  auffällige  Einfluss  der  Lumbalpunktion  auf  die  Abschweliung  der 
Stauungspapille  unterstutzen  ebenfalls  die  mechanische  Theorie.  Verf.  be- 
steht auf  dem  Standpunkte,  dass  das  wesentlichste  Moment  för  das  Zustande- 
kommen der  Stauungspapille  in  einer  Steigerung  des  intrakraniellen  Druckes 
liege.  Zappert. 

De  ritai  des  sphincters  dans  la  maladU  de  LUtle.  Von  M.  B.  An  che.  Rev. 
mens,  des  Maladies  de  PEnfance.  XXTII.  März  1905. 
Verf.  fügt  den  yier  bisher  bekannten  Fällen  von  Littlescher  Krankheit, 
in  denen  Sphinkterenlähmung  bestand,  ohne  dass  besondere  Idiotie  fftr  die 
Beschmutzung  als  ursächliches  Moment  heraozuziehen  wäre,  zwei  eigene 
Beobachtungen  hinzu.  Der  eine  betraf  ein  5  jähriges  Mädchen,  der  zweite 
ein  4  Jahre  altes.  L.  Ball  in. 

Ein  Fall  van   Simulation   epüepüscher  Krämpfe   bH   einem  13 jährigen  Schul- 
hnaben.    Von  Arouheim.    Münch.  med.  Wochenschr.    No.  18.     1905. 
Das  Interessante  an  dem  Falle  ist,  dass  Fat.  auf  die  Beschreibung  der 
Anfmie  hin  jahrelang  als  Epileptiker  auch  bei  Spezialisten  galt,  bis  die  erste 
ärztliche  Beobachtung  des  Anfalles  selbst  die  Simulation  aufdeckte. 

Misch. 


IX.  Krankheiten  des  Auges»  des  OhPes  and  der  Nase. 

Les  iumeurs  malignes  de  Pamygdale  chea  Venfant  Von  Moizard,  Denis  und 
Rab6.  Arch.  deMSd.  des  Enfants.  Tome  7.  No.  8.  Aug.  1904. 
Bericht  über  einen  genau  beobachteten  und  untersuchten  Fall  tou 
kleinzelligem  Sarkom  der  Gaumentonsille  bei  einem  9  jährigen  Knaben. 
Rasches  Wachstum  der  Geschwulst  mit  lebenbedrohenden  Folgen.  Szstir- 
pation.  Rezidive  nach  kurzer  Zeit  und  Tod.  Die  Verff.  sichten  die  spärlich 
vorliegenden  Literaturangaben  aber  die  äusserst  seltenen  Fällen  von  malignen 
Tumoren  der  Tonsillen  im  Kindesalter  (10  Fälle  von  Sarkom,  2  von  Ljmph- 
adenom).  Pfaundler. 

Sammelre/erai  über  die  deutsche  ophlhalmolcgische  Literatur  von  1^04.    I.  Sem. 
•      Von  Gallus.    Monatsschr.  f.  Kinderheilk.    Nov.  1904.    Bd.  III.    p.  325. 

Schieissner. 

X.  Krankheiten  der  Resplrationsop^rane. 

La  laryngUe  cricotdenne  ulcereuse.    Von  M.  Deguy  und  De  tot.   Rev.  mens, 
des  Maladies  de  PEnfance.    XXIII.    Januar  1905. 
VerfT.  besprechen  im  Anschluss  an  einen  Fall  die  Klinik  der  ulzerösen 
subglottischen  Laryngitis:  An  eine  diphtherische  oder  auch  nicht  diphtherische 


XII.  Krankheiten  der  YerdanungsorgaDe.  826 

Läryogitisy  die  wiederholte  Intubationen  nötig  gemacht  hat,  schliesst  sie  sich 
im  chronischen  Verlauf  an.  Das  durch  Druck  der  Tube  verursachte  Geschwür 
kann  den  Knorpel  yollst&ndig  entblössen,  aber  es  führt  nur  durch  Kompü- 
kationen,  meistens  Stenose,  zum  Tode.  Deguy  hat  drei  Symptome  als  für 
die  Laryngitis  subglottica  charakteristisch  zusammengestellt:  1.  Immer  in 
grösseren  oder  kleineren  Zwischenräumen  wiederkehrende  akute  Erstickungs- 
anfälle;  2.  das  ganz  plötzliche  Auftreten  von  Abszessen,  die  gar  keine  Zeit 
lassen  zu  einem  rettenden  Eingriff;  8.  die  ausserordentliche  Leichtigkeit  mit 
der  die  Tube  ausgehustet  werden  kann.  L.  Ball  in. 

CoHSideraiUm  sur  U  Stridor  d*origi$u  thynüque  chtM  les  enfants.  Von  G.  Ho ch- 
singer.  Revue  mens,  des  Maladies  de  TEnfance.  XXIII.  M&rz  1905. 
H.  tritt  im  Anschluss  an  eine  Veröffentlichung  Marfans  auch  in  dieser 
Zeitschrift  für  seinen  Stridor  thymicus  ein.  Er  bringt  nichts  neues,  sondern 
nur  mit  wenigen  Worten,  was  er  in  seinem  „Stridor  thymicus  infantum*  aus- 
führlich berichtet  hat,  doss  nämlich  der  Stridor  inspiratorius  congenitns  durch 
eine  Thymushypertrophie,  die  er  durch  Röntgenaufnahmen  feststellt,  ver- 
ursacht wird.  L.  Ball  in. 

XII.  Krankheiten  der  Verdauungsorffane. 
Mesenieriaie  Chyius-CysU,    Von  J.  P61ga.     Bndapesti  orvosi  UjcÄg  1905. 

Bei  einem  fünfjährigen  Mädchen  wurde  die  Diagnose  auf  Peritonitis 
serosa  tuberculosa  gestellt.  Bei  der  Laparotomie  stellte  sich  jedoch  heraus, 
dass  die  ganze  Bauchhöhle  vom  Epigastrinm  bis  in  das  kleine  Becken  von 
einer  cystösen,  vor  den  Gedärmen  liegenden  Geschwulst  gefüllt  war.  Die 
Cyste  hatte  ihren  Ursprung  vom  Mesenterium,  war  mnltiloculär  und  war  mit 
einer  zinnoberroten  Flüssigkeit  gefüllt.  Die  Flüssigkeit  hatte  nahe  1  pCt 
Fettgehalt,  sehr  grosse  Mengen  von  Fettkörnchen  waren  im  mikroskopischen 
Bilde  zu  sehen.  Bei  der  Exstirpation  wurde  auch  ein  Teil  des  an- 
gewachsenen Dünndarmes  reseziert.  Das  Kind  genas.  Torday. 
Uicus  ventricuH  im  Kindesaiier,  Von  Josef  Reichelt.  Wiener  med.  Presse. 
No.  3.     1905. 

Es  handelte  sich  um  ein  8  Jahre  altes,  seit  dem  ersten  Lebensjahre 
an  Magenbeschwerden,  Erbrechen,*  nicht  genau  lokalisierten  Bauchschmerzen, 
die  anfallsweise  kamen,  und  Obstipation  leidendes  Mädchen.  Grosses  Durst- 
gefühl, Aufstossen.  Ad  finem  wurden  fäkulent  riechende  Massen  erbrochen, 
Häufung  der  Schmerzanfälle,  Fieber.  Bei  der  Obduktion  fanden  sich  zwei 
Magengeschwüre  vom  typischen  Charakter  des  Ulcus  ventricuü  chron.,  deren 
eines  in  die  Peritonealhöhle  perforiert  war.  Die  Seltenheit  der  Krankheit 
im  Kindesalter  und  der  merkwürdige,  unklare  klinische  Verlauf  machen  den 
Fall  interessant.  Ätiologisch  dürften  lange  dauernde  dyspeptische  Störungen, 
vor  allem  Hyperaoidität  in  Betracht  kommen.  Neurath. 


XIII.  Krankheiten  der  Harn-  und  Qesehleehtsorgane. 

FuncHanal  a/6uminuria.     Von   Henry    George    Armstrong.     Brit.    med. 
Journ.    8.  Okt.  1904. 

Den  Namen  „funktionell*^  legt  der  Verfasser  der  Albuminurie  aus  un- 
bekannter Ursache  bei,  indem  er  die  Annahme  macht,  dass  keine  strukturellefa 

60* 


926  Literatarbericht. 

Yer&nderangen  im  Nieren ge webe  sich  finden  und  doch  das  Organ  seine 
Fanktion  fehlerhaft  ausfahrt.  Nach  Aosschlnss  aller  übrigen,  aaf  ersicht- 
lichen Gründen  beruhenden  Albuminurien  sch&tzt  Verf.  den  Prozentsatz 
seiner  Fälle  bei  Schulkindern  auf  12—15  pCt.  (!)  Oft  soll  man  eme 
heredit&re  Belastung  mit  Nervenkrankheiten  finden,  manchmal  ist  die  Krank- 
heit an  sich  famili&r.  Zur  Diagnose  fähren  auffällige  Schlaffheit  und  Apathie 
bei  Arbeit  und  Spiel,  femer  auch  Ohnmächten,  namentlich  bei  Knaben.  Von 
sonstigen  klinischen  Erscheinungen  erwähnt  Verf.  Vergrösserung  der  fierz- 
dämpfnng  und  Verstärkung  des  Spitzenstosses.  Herzerscheinungen  und 
Albuminurien  verschwinden  nach  wenigen  Stunden  bei  Bettruhe.  Seine  Be- 
handlung besteht  in  kräftiger  Nahrung,  frischer  Luft  und  Übungen,  eventuell 
Strjchnin,  Eisen  und  Arsenik.  Die  Prognose  hält  der  Verf.,  solange  das 
Alter  von  25  Jahren  nicht  überschritten  ist,  für  gut,  längere  Dauer  ist  ver- 
dächtig. Genauere  Daten  über  den  Ausgang  der  beobachteten  Fälle  werden 
nicht  angegeben.  Jap  ha. 

PranosHc  des  niphriHs  chroniques  des  enfanis.  Von  Maillard.  These  de 
Paris.  1904.  Arcb.  gen.  de  m^d.  1904.  35. 
Die  Prognose  ist  bei  der  chronischen  Nephritis  nicht  absolut  schlecht, 
wofür  vier  weitere  Beispiele  sprechen,  die  noch  nach  Jahren  als  geheilt  an- 
zusehen sind.  Sie  reihen  sich  den  von  Heubner  und  Bartels  veröffent- 
lichten an.  Vielleicht  reparieren  sich  die  Gewebe  wieder  völlig,  wenn  nicht, 
so  werden  die  normalen  Funktionen  der  Niere  durch  eine  kompensatorische 
Hypertrophie  der  gesund  gebliebenen  Teile  gesichert.  Eine  chronische 
Nephritis  kann  als  geheilt  betrachtet  werden,  wenn  das  Eiweiss  verschwanden 
ist,  wenn  bei  normaler  Menge  die  chemischen  Bestandteile  im  richtigen 
Verhältnis  zueinander  stehen,  wenn  das  Herz  nicht  hypertrophisch  ist  and 
dieser  Zustand  während  mehrerer  Jahre  anhält.  Die  reine  Milchdiät,  so  gat 
sie  am  Anfang  ist,  sollte  nie  zu  lange  fortgeführt  werden,  sollte  vielmehr 
immer  durch  eine  ohlorarme  Nahrung  (Gemüse,  Mehlbrei,  Kartoffeln,  rohes 
Fleisch)  ergänzt  werden.  Irgend  welche  chirurgischen  Eingriffe  empfehlen 
sich  beim  Kinde  nicht.  Würtz-Strassburg. 


XV.    Kpankheiten  dar  Beweffanfirsopgana»  VeFletzangen, 
ehlrurgisehe  Krankheiten. 

Ü6er  die  DUatatUm  cicaMcieller  Stenosen  der  Speiseröhre  durch  das  Öso- 
phagoskop.  Von  Reizenstein.  Münch.  med.  Wochenschr.  No.  12.  1905. 
Mittels  der  Endoskopie  ist  man  noch  im  Stande,  die  Sondierung  und 
Dilatation  zu  bewerkstelligen,  wo  die  einfache  Sondierung  im  Stich  lässt; 
man  kann  so  sehen,  das  der  Eingang  zur  Stenose  event.  exzentrisch  gelegen 
ist,  dass  Falten,  Narbenstränge,  Elappendilatation  oberhalb  der  Striktnr  die 
Sondenspitze  irregeführt  haben  etc.  Mitteilung  einer  erfolgreich  behandelten 
Stenose  bei  einem  dreijährigen  Kinde  n.  a.  Misch. 

Ein  Fall  von  Genu  recurvatnm.     Von   Habs.     Münch.   med.  V^ochenschr. 
No.  12.    1905. 
Drei  Wochen  altes  Kind.    Die  Missbildung  gehört  zu  den  intrauterinen 
Belastungsdeformitäten.    Die  Aussichten  bezüglich   Herstellung   gebraachs- 


XV.  Krankheiten  der  Bewegungsorgane,  Verletzungen  ete.  927 

fäBiger  Extremitäten  sind  nicht  so  ungünstig,  wie  es  auf  den  ersten  Anbliek 
scheint;  meist  gelingt  es  durch  redressierende  Bewegungen  und  Massage, 
wenn  das  Kind  älter  ist,  unter  Zuhilfenahme  Ton  Gipsverbänden  ziemlich 
normale  Glieder  zureohtznformen.  Misch. 

Eitu  .  neue  SekmeuplasHk  eur  HeÜung  des  rackUiscke»   und  staHschen  Platt- 
Jusses,    Von  J.  Heyes.    Budapesti  orv.  ujs&g.     1905. 

Die  Methode  bezweckt,  die  in  Fällen  von  nicht  paralytischem  Plattfuss 
mit  dem  Redressement  erzielten  Resultate  vollkommener  und  dauerhafter  zu 
geetalten.  Das  Prinzip  ist  im  wesentlichen  folgendes:  Vorerst  forciertes 
Redressement,  währenddem  die  geschrumpften  Weichteile  gedehnt  oder  auch 
zerrissen  werden  behufs  Ermögliohung  einer  Hjperkorrektionsstellung.  Dar- 
auf während  der  Zeitdauer  bis  zur  Heilung  der  mechanischen  Läsionen 
(2  bis  6  Wochen)  ein  Gipsverband.  Dem  folgt  sodann  die  Plastik.  Nach 
Inzision  zwischen  Malleol.  int.  und  Achilles-Sehne  in  der  Länge  von  10  bis 
12  cm  wird  ein  Streifen  der  Sehne  separiert  und  vom  Galcaneus  abpräpariert. 
Der  restliche  Teil  der  Achilles-Sehne  wird  gedehnt  u.  z.  auf  die  Weise,  dass 
abwechselnd  beiderseitig  Quereinschnitte  gemacht  werden.  Die  Sehnenscheide 
des  Muse.  tib.  post  wird  hierauf  gespaltet,  gekürzt  und  mit  dem  Streifen  der 
Achilles-Sehne  vernäht.  Es  folgt  sodann  eine  neuerliche  Inzision  an  der 
Medialseite  des  Fussea,  Abpräparierung  der  Sehne  des  Muse.  tib.  ant  und 
deren  Befestigung  an  die  Beinhaut;  zur  Ergänzung  dient  die  Sehne  des 
Muse,  extens.  hall.,  die  mit  dem  Tib.  ant,  bezw.  Extensor  communis  ver- 
bunden wird.  Zur  Fixierung  der  geschaffenen  Hjperkorrektions -Stellung 
werden  2  starke  Gipsschienen  verwendet.  Die  bisher  auf  diese  Art  operierten 
Fülle  sprechen  für  die  Verwendbarkeit  der  Methode.  Torday. 

Beiderseitige  a$$geborene  LuxatioH  im  Kniegelenk.  Von  F.  v.  Tordaj.  Buda- 
pesti orvosi  ujs&g.  1905. 
Die  Mutter  des  betreffenden  Kindes  gab  schon  früher  zwei  Kindern 
mit  Stellnngsanomalien  das  Leben.  Bei  der  Geburt  war  die  Menge  des 
Fruchtwassers  normal  und  die  Hüllen  genügend  weit.  Dieser  Umstand  so- 
wohl, als  auch  die  mikroskopisch  normale  Struktur  des  Muskelgewebes  und 
normaler  Befund  des  Nervensystems  lassen  es  ausschliessen,  dass  die  intra- 
uterine Luxation  durch  neuere  oder  myopathische  Veränderungen  hervor- 
gerufen seL 

Mit  Rücksicht  auf  die  Beiderseitigkeit  der  Luxation,  auf  den  rechts- 
seitigen Pes  varus,  auf  die  im  Eilbogen  flektierte  und  zum  Rumpfe  fixierte 
Stellung  der  Arme,  sowie  auf  die  bestehenden  Muskelatrophien  ist  es  wahr« 
seheiolich,  dass  im  Embryonalstadium  des  betreffenden  Falles,  zur  Zeit  der 
Differenzierung  der  Extremitäten  eine  Insuffizienz  der  Eihüllen  bestand  und 
dass  die  ungünstigen  räumlichen  Verhältnisse  die  geschilderte  Stellung 
hervorriefen.  Die  Position  muss  durch  längere  Zeit  hindurch  bestanden 
haben  und  blieb  später  nach  Vermehrung  des  Fruchtwassers  und  Ausdehnung 
der  Hüllen  konstant  Die  Atrophien  wären  sodann  als  Inaktivitäts-Atrophieu 
aufzufassen.  Torday. 


Sach-Register. 

Die  fett  gedruckten  Zahlen  bezeichnen  Original-Artikel. 
Bsp.  =  Buchbesprechung. 


A. 

Acetonurie  bei  Infektionskrankheiten. 

488. 
Acidose  im  Kindesalter.    454. 
Adrenalin.    552  (Bsp.). 
Agglutination.    420,  658. 

—  des  Meningocoocus.    425. 

—  der  Streptokokken  bei  Scharlach.  9 18. 
Albuminurie,  physiologische.    805. 

—  Physiologische    und    pathologische. 

665. 

—  Alimentäre.    86. 

—  Funktionelle.    925. 

—  Orthotische  im  AnschlussanNephritis. 

404. 
Alkalien,£iDflu8sder  aufdasEnochen- 

wachstum.    676. 
Amaurotische   familiäre  Idiotie. 

798. 
Anaemia  splenica.     661. 
Anämie  und  Leukozytose  bei  der  Päd- 

atrophie  und  Gastroenteritis.   418. 
Angina     ulceroso  -  roembranacea. 

425,  787,  916, 
Antikörper,    Verfahren    zur    Gewin- 
nung der.    681. 
Antikörperbildung,  spezifischenach 

Eiweissfütterung.    908. 
Anti8treptokokkenserum,Behand- 

lung  aes  Scharlach  mit     914. 

—  Mosersches  bei  Scharlach.    422. 
Aorta,  angeborene  Kommunikation  der 

mit   der  Arteria  pulmonalis.    282. 
Aphasie,  transitorische,  Pathogenese 

der  bei  Typhus.    426. 
Appendicitis   durch   Bacterinm  coli 

hervorgerufen.    282,  408. 

—  Verhalten  der  Leukozyten  bei.  660, 

665. 

—  bei  einem  Schimpansen.    664. 
Arsen,  Wirkung  subkutaner  Einspritz- 
ungen von  bei  Kindern.    682. 

Arteria  pulmonalis,  Atresieder.910. 

—  Angeborene  Kommunikation  der  mit 

der  AorU.    282. 
Arthriti8,Pneumokokken-A.beieinem 

Neugeborenen.    917. 
Arthritis  gonorrhoica  mitBlennor- 

rhoea  neonatorum.    660. 
Arythmie    des  Herzens    bei  Kindern 

und  Rekonvaleszenten.    282,  408. 


A  thyreo  eis,  Beziehungen  der  GhoD* 
drodystrophia  foetalis  zur.    226. 

Atmungskrämpfe    beim    Neu- 
geborenen.   416. 

Aufbrauchkrankheiten  des  Nerven- 
systems.   542,  543,  800. 

Aufsichtspersonen,  Gefahrdung  der 
Kinder  durch  krankhaft  veranTagte 
und  sittlich  defekte.    544. 


Bacterium  coli  als  Ursache  der 
Appendicitis.    232,  408. 

Bakterien,  Aufnahme  von  durch  den 
Kespirationsapparat.    909. 

Bakterienwachstum  auf  wasser- 
armen Nährböden.    418. 

Barlowsche  Krankheit.  419,  427 
(Bsp.),  798. 

—  K&nstliche  bei  Tieren.    6. 

—  Hämaturie  bei.    918. 

—  äohwellungen  am  linken  Unter-  und 

rechten  Oberschenkel  bei.    405. 

Bazilleneinatmung.    908. 

Bleilähmung.    407. 

Blennorrhoea  neonatorum, Häufig- 
keit und  Verhötung  der.    281. 

—  mit  Arthritis  gonorrhoica.    660. 
Blut,  biologisches  Verhalten  des  mütter- 
lichen und  kindlichen.    415. 

Blut  bilden  de  Organe.Erkrankungen 

der  im  Kindesalter.    796. 
Bluterkrankungen   im  Kindesalter. 

796. 
Blutserum,   subkutane  Injektion  des 

mütterlichen   oder   väterlichen  bei 

Gastroenteritis  der  Säuglinge.  912. 
Bronchialdrüsen  tuberkulöse 

beim  Säugling.     920. 
Bronchiektasien  bei  Kindern.    546. 
Bronchien,  seltene  Erkrankungsform 

der  nach  Masern  und  Keuchhusten. 

547. 
Bronchitis  capillaris,  Behandlang 

der  mit  Senfwassereinwicklungen. 

803. 
Bronchopneumonie,   Therapie  der. 

804. 
Bronchoskopie.    662. 
Brustdrüse,    Leistungsfähigkeit    der 

weiblichen.     907. 


Sach-Ragiater. 


929 


Brastdrüee,     Beiderseitip^es    Lipom 

der«    678. 
Brastmaskalatur,     angeborener 

Defekt  der  linkseeitigen.    678. 
Bruatsaagennnd  Flaaehensaagen.  6  Z9., 
Buttermilch    als    Säaglingso abrang. 

404. 

C. 

Calcariurie  and  Phosphatarie.    411. 
Chemische  Zasammensetzung  des 

Oreanisrnns,  Einflass  der  Ernährung 

auf  die.    178. 
Ghloroformnarkose,     Status    Ijm- 

phaticus  und  Tod  nach.    796. 

—  Einflusa  der  Ch.  bei  der  Gebärenden 

auf  das  Kind.     907. 

Chondrodjstrophiu  foetalis,  Be- 
ziehungen der  zur  Athyreosis.  226. 

Chorea  mit  Lähmungen.    922. 

Chorea  mollis.    400. 

Chyluscyste,  mesenteriale.    925. 

ClaYicula,  Tuberkulose  der.    540. 

Clavicularfrakturen    bei    Neu- 
geborenen.   402. 

Coiostrumbildung    als    physio- 
logisches Analogen  zu  Entzündungs- 
Torgängen.    551  (Bsp.). 

Consnltations    de    nourrissoos. 
427  (Bsp.). 

Coza  ^alga-     671. 

Curare,  Einflass  des  bei  Tetanus.  426. 

Cysticerkenim  Gehirn  des  Menschen. 
229. 

D. 

Darmbakterien  der  Säuglinge,  mor- 
phologische und  biologische  Unter- 
suchungen über  die.    687»  870- 

Darminvagination,  akute.    233. 

Darmkatarrhe  der  Säuglinge,  Fäcea- 
untersuchung  bei.     929  (Bsp.). 

Darmperforation  bei  Typhus  abdo- 
minalis.   917. 

Demineralisation     und    Fleisch- 
therapie bei  Tuberkulose.    147. 

Dermatitis    herpetiformis 
Duhring-Brocq.    236. 

Diabetes  mellitas  im  Kindesalter. 
922. 

Diathese,  exsudative.    199. 

Diphtherie  424,  786,  787,  915. 

—  der  Haut  im  Kindesalter.    235. 

—  und  Tetanie.    923. 

—  Serumbehandlung  der.    775,  915. 

—  Behandlung     der     mit     und    ohne 

Serum.    788. 
Diphtherie-Antitoxin     und    seine 

Beziehungen  zum  Toxin.    424. 
Divertikel,    Meckelsches    offenes. 

409. 


Dünndarm,   angeborene  hochgradige 
Erweiterung  des  ohne  Stenose.  910. 
Dnk'essohe  Tierte  Krankheit.   423. 
Dysenterie,  epidemische.    422. 
Dyspepsie  der  Sftnglin ge.   549  ( Bsp.). 


Echinococcus. des  Netzes.    664. 

Edinburgh    Medical    Journal, 
Hundertjahrfeier  des.     682. 

Eiterungen,  Behandlung  akuter  mit 
Stauungshyperämie.     805. 

Eiweiss,  Zuckerbildung  aus.    675. 

Eiweisschemie.    675. 

Ei  Weissfütterung,  spezifische  Anti- 
körperbildung nach.     908. 

EiweisskÖrper,  Bedeutung  der  Yer- 
dauunc:  der  für  ihre  Assimilation. 
676. 

Elephantiasis  congenita.  406*667. 

Empyem  des  Thorax,  Behandlung  des 
mit  der  Müllerschen  Dauerkanüle. 
663. 

Endokarditisbei  Parotitis  epidemica. 
232. 

Energiebedürfnis  des  natürlich  er- 
nährten Säuglings.     558. 

Energiebilanz  beim  Säug^ling.  429« 

Entbindungslähmnng  beider  oberen 
Extremitäten.    404. 

Enteritis,  Oedeme  bei  schwerer  £. 
kleiner  Kinder.    419. 

Entfettungskuren  im  Kindesalter. 
106. 

Enzyme,  proteolytische  der  Milch.  412. 

Epileptische  Krämpfe,  Simulation 
der  bei  einem  13  jährigen  Schul- 
knaben.   924. 

Epityphlitis,  Pneumokokken-E.  916. 

Erblichkeitsfrage,  Stand  der  in  der 
Neuro-  und  Psychopathologie.  227. 

Erbrechen  der  Neugeborenen,  Ur- 
sache des.    912. 

Erbrechen,    periodisches    im 
Kindesalter.    582. 

—  Ikterus  und  die  Rolle  der  Leber 
beim.    804. 

Ernährung,  Einfluss  der  auf  die 
chemisehe  Zusammensetzung  des 
Organismus.     178. 

Erysipelas  neonatorum  gangrae- 
nosum.   417. 

Erytheme,  hämorrhagische  im  Kindes- 
alter.   624. 

Erythema  infectiosum.    423. 

Ery  thema  nodosum,  Aetiologie  des. 
667. 

Exantheme,  akuten  ich  tpustulose  und 
ihre  Mischformen.    845. 

Exsudative  Diathese.    199* 


930 


dach-Kegister. 


F. 

Familien&holichkeiten    an    den 

Grosshiro  furchen.    801. 
FaTQB  capitist  Besobrftnkang  des  bei 

Schulkindern.    234. 
Pett,  Herkunft  des  fötalen.    174. 

—  Wirkung  der  F.-Darreichung  auf  den 

S&nglingsstoffwechsel.    86. 

—  VerdauungsstoruDgen  der  S&uglinge 

infolge  der  Verabreichung  grosser 

Mengen  von.    684. 
Fettgehalt   der   Franenmtlch.     601, 

900,  902. 
Fettresorption.    413. 
^-  Storunff  der  und  ihre  Beziehung  zur 

Ansscheidunff  Ton  Kalk,  Magnesia 

und  Ammoniak.    911. 
Fieberhöhe,   Bestimmung  der  durch 

Dauermessung.    681. 
Flaschensangen    und    Brnstsaugen. 

679. 
Fleischtherapie     und     Deminerali- 

aation  bei  Tuberkulose.  147. 
Förster,  R.,  Nekrolog  für.  808. 
Fötale    Organe,    Schwan  gerschafts- 

reaktionen  der  nnd  ihre  puerperale 

Involution.    677. 
Frauenmilch.    401. 

—  Praktische  Resultate  der  Forschungen 

über  die  Biologie  der.    679. 

—  Notwendigkeit  einer   chemischen 

Analyse  der.    906. 

—  Eisengehalt  der.    675. 

—  Fettgehalt  der.    601,  900,  902. 
Futterungstnberkalose.    538. 

Q. 

Gastroenteritis,  Anämie  und  Leuko- 
zytose bei  der.    418. 

Gastroi ntestinale  Infektionen  der 
Säuglinge.    549  (Bsp.). 

Gaumenspalte,  operativ  geheilte  bi- 
laterale.   405. 

Gehirn,  Kalkgehalt  des  beim  Säug- 
ling.   114. 

Gelenkentzündungen  im  Säuglings- 
alter.    672. 

Gelenkrheumatismus,  Beziehungen 
des  chronischen  zur  Tuberkulose. 
794. 

Genickstarre,  epidemische,  Be- 
handlung der.    916. 

Genu  recurvatum  926. 

Genu  vaigum  bei  Osteomalacie.   670. 

Genu  varum  paralyticum.     671. 

Gicht  bei  einem  7  jährigen  Kinde.  224. 

Glottiserweiterer,  Lähmung  der  im 
frühen  Kindesalter.    64. 

Glycero- Phosphat verbin  dun gen, 
therapeutiscber  Wert  der.     680. 


Gonokokl^onseptis  d.  Neugeborenen. 
688. 

Gonttes  de  iait,  Bekämpfung  der 
Rachitis  durch  die.    224. 

Grosshirn  furchen,  Familienähnlich- 
keiten an  den.    801. 

Gynäkomastie.    682. 

H. 

Haematoma  septi  narium  ab- 
scedens.    402. 

Halsrippen,  Kasuistik  der.    677. 

Harnstoff  im  menschlichen  Urin.  675. 

Hautdiphtherie  im  Kindesalter.  235. 

Hautkrankheiten.    284 ff.,  666 ff. 

Hemiathetose  nach  cerebraler  Kinder- 
lähmung.   402. 

Hemiplegie  bei  Chorea.    922. 

Hernia  lumbalis  sparia.    657. 

Hernien,  Behandlung  der  mit  Alkohol- 
injektionen.   669. 

—  Operative  Behandlung  der  bei 
Kindern.    669. 

Herpes  zoster.    667. 
Herzerweiterung     bei     Diphtherie. 

915. 
Horzhypertrophie,      primäre     an- 
geborene.   411. 
Herzkrankheiten,  angeborene.   231, 

407. 
Highmorshöhle,    Empyem    der   bei 

Säuglingen.    546. 
Hirschsprungsche  Krankheit.416, 

804. 
Hörstummheit.    548. 
Hüftgelenksluzation,     angeborene 

doppelseitige    mit    beiderseitigem 

Pes  valgo-planiis.    405. 

—  Axillare  Abduktion  in  der  Behand- 

lung der.    808. 

Hydranenkephales  Zwillings- 
paar.   802. 

Hydro kele,  Behandlung  der.    665. 

Hydrokephalie,  Beziehungen  der 
hereditären  Syphilis  zur.    405. 

Hydrokephalns  ezternus  mit  Pa- 
chymeningitis  haemorrhagica.    61- 

Hydrokephalns  internus,  chirur- 
gische Behandlung  des.    668. 

Hypospadie,  Becksche  Methode  der 
Operation  der.    233. 

Hysterie  im  Kindesalter  und  ihre  Be- 
ziehung zur  Anatomie  der  Linea 
alba.    543. 


Idiotie,  anatomische  Grundlagen  der. 
228. 

—  Familiäre  amaurotische.    798. 

—  Mongoloide  mit  Rachitis  nndTetanie- 

symptomen.    404. 


Saeh-Register. 


931 


Ikterus  beim  periodischen  Erbrechen 

der  Kinder.    804. 
Imbezillität,  Beziehangen  zwischen 

Taabstummheit  und.    801. 
Immanisierung  durch  Milch.    486. 
Immunität  und  Infektion.    548 (Bsp.). 

—  Natürliche    des    Kindes    im   ersten 

Lebensjahre.    122« 
Impfung  unter  rotem  Licht.    237,  425. 

—  Accidentelle  der  Nasenschleimhaat. 

790. 
Infektionund  Immunität.   548  (Bsp.). 
Infektionskrankheiten,   akute. 

420  ff.,  786  ff.,  918  ff. 

—  Aceton urie  bei.    488. 

—  Theorie  und  Praxis  der  Karenz  des 

Schulbesuches  nach.    237. 
Institut     ffir    Infektionskrankheiten, 

Serum  und  Lymphe  in  Japan.    550 

(Bsp.). 
Intestinaltraktus,   Keimdichte   der 

normalen  Schleimhaut  des.    909. 


K. 

Kalkadsorption  und  Rachitistheo- 
rien.   407. 

Kalk^ehalt  des  Sänglingsgehirns  und 
seine  Bedeutung.    114. 

Kalkstoffweohsel,  Beziehungen  der 
Thymus  zum.    411. 

Karzinom  des  Colon  bei  einem 
13jährigen  Knaben.    665. 

Keraminseife.    668. 

Keuchhusten,  bakteriologische  Unter- 
suchungen über.    787. 

~  Seltene    Erkrankunffsform    der 
Bronchien  nach.    547. 

~  Behandlang  des.    792. 

Kiemen gangfistel,   infizierte.    682. 

Kinderlähmung,  Fortschritte  in  der 
Behandlung  der.    237. 

Kinderkrankheiten.  549 (Bsp.),  684 
(Bsp.),  685  (Bsj).). 

—  Prophylaxe  der  in  New-York.    673. 
Kleinnirn,  angeberene  familiäre 

Hyperplasie  des.    780. 

Klein hirntumor,  tuberkulöser.   539. 

Klumpfuss,  Behandlung  dos  bei  Neu- 
geborenen.   670. 

Klumphand.    806. 

Kniegelenksluxation,  angeborene. 
658. 

—  Angeborene  beiderseitige.    927. 

—  Willkürliche.    403. 
Knochenwachstum,     Binflnss     der 

Alkalien  auf  das.    676. 

Körpergewichtsabnahme,  extreme 
bei  Kindern  der  ersten  2  Lebens- 
jahre.   678. 


Kohlenstoffausscheidung  durch 
den  Harn  beim  Säugling  und  älteren 
Kinde.    94. 

Kokain.    552  (Bsp.). 

Konstitutionskrankheiten.  224, 
796  ft.,  921,  922. 

Kopliksche  Flecken,  diagnostische 
Bedeutung   der   bei  Masern.    915. 

Koxalgie,  Behandlung  der.  550  (Bsp.). 

Kreatininstoffwechsel  beim  Säug- 
ling.   615. 

Kretinismus.    226,  227. 

Krise,  Pathogenese  der  bei  der  fibri- 
nösen Pneumonie.    663. 

Kroup,  Behandlung  des  mit  und  ohne 
Serum.    788. 

Kuhmilohgenuss  und  Tuberkulose- 
sterblichkeit   222. 

Kystadenom,  kongenitales  der  Parotis. 
688. 


Labenzym.    675. 
Lähmungen,  choreatische.    922. 

—  Pathogenese  der  diphtherischen.  424. 

—  Maltiple  der  Arme  und  Beine  nach 

Poliomyelitis.    657. 
LaktOTiskosimeter  TonMicault.  673. 
Laryngitis,    ulzeröse    subglottische. 

924. 
Leber,   Rolle   der   beim  periodischen 

Erbrechen  der  Kinder.    804. 
Lebercirrhose,      Laenneosohe     bei 

einem  Idjährigen  Knaben.    238. 
Leukämie,      Behandlang     der     mit 

Röntgenstrahlen.    797,  798. 
Leukozyten,  Verhalten  der  bei  Appen- 

dicitis.    660.    665. 
Leukozytose    und    Anämie    bei    der 

Pädatrophie    und    Gastroenteritis. 

418. 
Liehen  scrophulosorum.    235. 
Lichtbehanalnne  bei  Lupus.    794. 
Linea  alba,  Beziehung  der  kindlichen 

Hysterie  zur  Anatomie  der.  543. 
Lipomamammae,  beiderseitiges.  678. 
Littlesche  Krankheit.    806. 

—  Hemiathetose  nach.    402. 

—  Verhalten  der  Sphinkteren  bei.   924. 
Lumbalpunktion     und     Meningitis 

serosa.    542. 
Lunge,    angeborene   Hyperplasie    der 

einen   bei    gleichzeitiger  radimen- 

tärer  Bildang  der  anderen.    910. 
Lungenspitzen,  Perkussion  der.  663. 
Lungentuberkulose     und    Rippen- 

knorpelanomaiien.    538. 
Lupus,   primärer   Schleimhau t-L.  der 

Nasen-Rachenorgane.    407. 

—  Lichtbehandlonff  der.    794. 
Lymphadenitis  bei  Kindern.    223. 


932 


Sftch'Regitter. 


Ljrmphdrfisen,  taberkulösd,  'sab- 
knUne  Entfaniaiig  der  aas  dem 
Halse.    793. 

Lyssa  hamaDa.    79(X 


Magendarmkrankheiten  der  Säug- 

liDge.    683,  684,  912. 
Matern  ohne  Exanthem.    915. 

—  Bedentang  der  Koplikschen  Flecken 

bei.    915. 

—  Seltene  Erkranknngsform  der  Bron- 

chien nach.    547. 

—  Nagelerkrankangen  nach.    423. 
Mastitis    chronica    scrophnlosa. 

794. 

Melaena  neonatoram.    683. 

Meningen,  Pathogenese  derStdrangen 
derimVerlauf  der  ahnten  Infektionen 
des  Respirationsapparates.    664. 

Meningitis,  die  nervöse  Zelle  bei.  541. 

Meningitis  cerebrospinalis.    791. 

—  Behandlung    der  mit  antiseptischen 

Injektionen  in  den  Lumbalsack.  793. 
Meningitis    serosa     ond    Lambal- 

panktion.    542. 
Meningocelesacralis  anterior.  658. 
Meningococcas     intracellalaris. 

886. 

—  Agglutination  des.    425. 
Menstraatio  praecox.    234. 
Mesenteriale  Chylascyste.    925. 
Mikromelie.    658. 
Mikrosporie,   Beschränkang  der  bei 

Schulkindern.    234. 
Milch,    Versorgung    der    Stftdte    mit 
Kinder- M.    672. 

—  Praktische  Resultate  der  Forschungen 

über  die  Biologie  der  M.  der  ver- 
schiedenen Tiere.    679. 

—  Schutzstoffe  der  normalen.    415. 

—  Proteolytische  Enzyme  der.    412. 

—  Rohe  oder  gekochte.    905. 

—  Rohein  der S&uglingsem&hrang.  418. 
^  Entkeimnng  der  Milch.    673. 

—  Immunisierung  durch.    486. 
Milchchemie.    905. 
Milchflaschenhalter.    420. 
Milchgew innuug  in  Dftnemark.  672. 
Milchküche  für  S&uglinge.    658. 
Milchmodifikation    und  Sftuglings- 

ern&hrnng.    684. 
Mi  Ichpasteurisi  er  ung,  Biologisches 

zur.    865. 
Milchsekretion,     Wiederkehr     der 

nach  dem  Abstillen.    908. 
Miliartuberkulose,  Entstehung  der 

akuten.    921. 
Missbildun  g, Vererbung  einer 6fachen 

an  allen  4  Extremitftten  durch  drei 

Generationen.    409. 


Monaminos&uren,  Verhalten  der  im 
hungernden  Organismns.    676. 

Mundhöhle,  Missbildung  der.    658. 

Musculus  pectoralis  major  und 
minor,  Defekt  des.    806. 

^luskelaplasie  und -hypoplasie.  401. 

Muskelatrophie,   proffressive.    659. 

—  bei  einem  5jfthrigen  Kinde.    230. 
Myelomeningocefe.    658. 
Myxödem.    225,  226,  227. 

—  Infantiles,    Stoffwechsel  versuch    an 

einem  Fall  von.    688. 

N. 

Nagelerkrankangen    nach    Matern 

und  Scharlach.    422. 
Nahrangs-  und  Energiebedürfnis 

des  natürlich  ernährten  Säuglings. 

558. 
Narkose,  Theorie  der.    677. 
Nasenschleimhaut,         accidentelle 

Vaccination  der.    790. 
Nebenniere,  Funktionsstörungen  der 

bei  AUgemeinerkrankuneen.     909. 
Nephritis,  postdiphtheriscfae.   787. 

—  Orthotische    Albuminurie    im   An- 

schluss  an.    404. 

—  Prognose  der  chronischen.    926. 

—  ürotropin  bei  Scharlach-N.    408. 

—  ürotropin  als  Prophylacticum  gegen 

Scharlach-N.     790. 
Nervensystem,      Krankheiten      des. 

227  ff.,  541  ff.,  798  ff.,  922  ff 
Netzechinococcus.    664. 
Neugeborene,  Krankheiten  der.   416, 

417,  682,  683. 

—  Ursache  des  Erbrechens  der.  912. 
Nierensarkom  im  Kindesalter.  666. 
Noma,  Bakteriologie  der.    791. 


Oberflächendruck  und  seine  Be- 
deutung im  Organismus.    677. 

Ü  b  ersehen  kel,nnge  wöhnlicheWachs- 
tumsstörunff  des.    657. 

Oberschenkelbruch,  Streckbett  für 
Säuglinge  mit.    670. 

Oedeme  bei  schwerer  Enteritis  kleiner 
Kinder.    419. 

—  akutes  zirkumskriptes,  Beziehang 
des  zur  transtiorischen  Aphasie  bei 
Typhus.    426. 

Onychogryphosis,  kongenitale.  668. 

Osmose,  Theorie  der.    677. 

Osteogenesis  imperfecta.    922. 

Osteomalacie,  Genu  valgam  bei.  670. 

Osteomyelitis,  Aetiologie  der  akuten. 
792. 

Osteopsathyrosis.    670. 

Ovarialsarkom  and  Menstruatio 
praecox.    234. 


Saeh-Register. 


933 


Ozjnris  Termicalaris  in  der  Darm- 
wand.    664. 


Pachymeningitis  haemorrhagica 

mit  Hjdrocephalas  externa«.     51. 
Pftdatropbie,    Anftmtd    and    Leako- 

zytose  bei  der.    418. 
Pftdiatrie,  Grandlagen  and  Ziele  der 

modernen.    241. 
Paralyse,    progressiTe,    famili&res 

Auftreten  der.    228. 
Paralyse-   Tabes-    Sypbilisfrage. 

928. 
Paraplegie,  familiftre  spastische.  229. 
Parotis,      kongenitales     Kystadenom 

der.    683. 
Parotitis  epidemica,    Endokarditis 

bei.    232. 
Periartbritis    gonorrhoica,    mnl- 

tiple    bei    einem    Kinde,     wahr- 

scneinlich    infolge    von    Wandin- 

fektion.    807. 
Perikarditis,  eitrige.    660. 
Peritonealtuberknlose.    540. 
Peritonitis,   primftre   im   Sftaglings- 

alter.    23& 
Pes    eqaino-varas,      Redressement 

bei.    670. 
Pes  valgo-planns,  beiderseitiger  bei 

doppelseitiger    angeborener    Hüft- 


felenksluxation.    iOb, 
a  n  g  e  n ,     hysterische    Danerkon- 
traktar  der.    405. 
Phosphaturie  und  Calcariarie.    411. 
Plattfass,        Beziehang        zwischen 
Skoliose  and.    807. 

—  Hei  lang  des  rachitischen  nnd 
statischen  mittels  Sehneoplastik. 
669,  927. 

Plearaexsndate,  physikalische  Dia- 
gnostik der.    803. 

Pneamokokken-Artritis  bei  einem 
Neugeborenen.    9 1 7. 

Pnenmokokkenepityphlitis.     916. 

Pneumonie,  Pathogenese  der  Krise 
bei  der  fibrinösen.    663. 

Pocken,  fttiologische  Begründung  der 
P.-Diagnose.     790. 

Polioencephalitis  mit  hochgradiger 
Idiotie,  spastischen  L&hmungen 
und  Kontrakturen.    405. 

Poliomyelitis.    742. 

—  Multiple   L&hmung   der  Arme   und 

Beine  nach.     657. 
Poliomyelitis  anterior  acuta  und 

subacuta  s.  chronica.    269. 
Poltern.    543. 
Protylin.    224. 
Protozoen  des  Scharlachfiebers.    914. 


Protozoenartige  Gebilde  in  doi 
Organen  eines  hereditär- syphi- 
litischen Foetus.    796. 

Prurigo.    666. 

Pseudoieukftmie  and  Tuberkulose. 
921. 

Pseudorachitische  hämorrha- 
gische Skeletterkrankung  bei 
einem  jungen  Hunde.    225. 

Pseudotetanus  und  seineBeziehnngen 
zum  Tetanus  traumatious.    230. 

Psoriasis,  atypische.    408. 

Pulsarythmie,  idiopathische  im 
Kindesalter.    282,  408. 

Purgen.    665. 

Pylorusstenose,  der  S&aglinge.  684. 

R. 

Rachen,  Tuberkulose  des.    403. 
Rachitis,    Kalkadsorption     und    R.- 
Theorien.   407. 

—  Beziehungen  der  hereditären  Syphilis 

zar.    405. 

—  Sp&t-R.    921. 

—  Bekämpfung  der  durch  die  Gouttes 

de  lait.    224. 
Respirationsorgane,     Krankheiten 
der.    662  ff.,  808,  924. 

—  Aufnahme  dei  Bakterien  durch  die. 

909. 
Rhinitis  fibr in osa, Beziehungen  der 

zur  Diphtherie.    786. 
Riesenwuchs,  halbseitiger.    405. 
Rippenknorpelanomalien  und 

Lungentuberkulose.    588. 
Röntgentherapie.    238  (Bsp.). 

—  Bei  Leukämie.    797,  798. 


Säuglingsernährung.     417  ff.,   683, 
684,  912. 

—  Biologisches  zar.    401,  408. 

—  Vergleichende    Stadien     aber    den 

Wert   der  natfirlichen  und  künst- 
lichen bei  Tieren.    412. 

—  Und  Säuglingssterblichkeit.    240. 
Säuglingssterblichkeit,  Be- 
kämpfung der.    500« 

Samenstrang,  Torsion  des.    666. 
Saugen,  Brust-S.  und  Flaschen-S.  679. 
Scharlach,  Agglutination  der  Strepto- 
kokken bei.    93. 

—  Protozoen  bei.    914. 

—  Nagelerkrankungen  nach.    422. 

—  Behandlung  des.    789. 

—  Behandlung    des    mit   Antistrepto- 

kokkenserum.    914. 

—  Behandlung   der   mit  Mosers  Anti- 

streptokokkeoserum.    422. 
Scharlachnephritis,  Urotropin  bei 
408. 


934 


Sach'Register. 


Scharlacbnephritis,  Urotropin  aU 
Prophylaktikum  gegeo.    790. 

Schariachseram.    789. 

Schief  hals,  Rezidiv  nach  Operation 
des.    807. 

—  Behandlang  des.     670. 
SchilddrfisoDschwand,    Aetiologie 

des  bei  Kretinismas  and  Myxödem. 
227. 

Sehleimhaatlapas,  prim&rer  der 
Nasenrachenorgane.    407. 

Schnupfen,  Behandlang  des.  802,808. 

Schale  und  Nervenkranaheiten.    545. 

Schalkinder,  Untersuchangen  an  in 
London.    409,  410. 

Schaltzesche  Schwingungen,  Ge- 
fahren der.    680. 

Schwachsinnigenfürsorge,  Hand- 
buch der.    549  (Bsp.). 

Schwangerschaft,  Biologie  der.  414. 

Schwangerschaftsreaktionen 

fötaler    Organe    und    ihrer    puer- 
peralen Involution.    677. 

Schwitzen,  paradoxes.    785. 

SehnenplastiL    807. 

—  Bei    rachitischem    und    statischem 

Plattfuss.    669,  927. 
Seitenkettentheorie  Ehrlichs.    548 

(Bsp.). 
Seitenstrangsklerose,  primäre.  799. 
Selbstmorde  bei  Kindern.    544. 
Senfwassereinwicklungen,       Be- 

haadlung     der    Kapillärbionchitis 

mit.    808. 
Sic  US  pyriformis,  Fremdkörper  im. 

231. 
Sitzungsberichte. 

—  Vereinigung    niederrheinisch -west- 

fälischer Kinderärzte.     659. 

—  Vereinigung   süddeutscher   Kinder- 

ärzte in  Frankfurt  a.  M.     657. 

—  Gesellschaft  für  innere  Medizin  und 

Kinderheilkunde  in  Wien.    400. 

Skeletterkrankung,  pseudorachi- 
tische hämorrhagische  bei  einem 
jungen  Hunde.    225. 

Sklerodermie.    658. 

Skoliose.    671. 

—  Lage  der  skol.  Abbiegungen  in  den 

verschiedenen   Altersjahren.     808. 

—  Beziehungen  zwischen  Plattfuss  und. 

807. 

—  Behandlung  der.    806. 

—  Behandlung   der   durch  aktive  und 

passive  Ueberkorrektur.    805. 
Skorbut,    infantiler   s.  Barlowsche 

Krankheit. 
Skrophulose,    Behandlong    der    mit 

Soletriokkuren.    222. 
Soletrinkkuren  bei  Skrophulose  und 

Tuberkulose.     222. 


Sonderklassensystem  der  Mann- 
heimer Volksschule.    552  (Bsp.) 

Spätrachitis.    921. 

Speiseröhre,  Dilatation  cikatrizieller 
Stenosen  der  durch  das  Oesophago- 
skop.    926. 

Sphinkteren,  Verhalten  der  bei 
Littlescher  Krankheit.    924. 

Stammeln.    543. 

Status  lymphaticus  nach  Chloro- 
formnarkose.   796. 

Stauungshyperämie,  Behandlung 
akuter  Eiterungen  miL    805. 

Stauungspapille,  Pathogenese  der. 
923. 

Stickstoffausscheidung  darch  den 
Harn  beim  Sängling  und  älteren 
Kinde.    94. 

Stoffwechsel,  Wirkung  der  Fett- 
darreichung auf  den  beim  Säug- 
ling.   86. 

Stomatitis  ulcerosa.    425. 

Stottern.    543. 

Streckbett  für  Säuglinge  mit  Ober- 
sehenkelbruch.    670. 

Stridoi*  thymicus.    925. 

Strophulus  infantum.    666. 

Sublimat  Injektionen,  hocbdosierte 
intramuskuläre.    685  (Bsp.). 

Suprarenin.    552  (Bsp.). 

Synostosen,  angebliche  verfrühte 
bei  Kretinen.    226. 

Syphilid,  serpieinöses  bei  einem 
hereditär  syphilitischen  Kinde.  404. 

Syphilis  der  Zirkulationsorgane.  796. 

—  Vererbung  der.    223. 
Syphilis  congenita.    400. 
Syphilis  hereditaria,  Beziehunsen 

der  zur  Rachitis  und  Hydrokephalie. 
405. 

—  Protozoenartige    Gebilde     in    den 

Organen     eines     hereditär    syph. 
Fötus.    796. 

—  Viscerale  Erscheinungen   bei.    795. 

—  Behandlung  der  mit  intramuskulären 

Sublimatinjektionen  in  hohenDosen. 

685  (Bsp.) 
Syphilis   nereditaria   tarda.    404. 
Syphilisheilserum.    541. 


Tabes,  hereditäre  infantile.    545. 
Tab  es- Paralyse -Syphilisfrage. 

923. 
Taenia  cucumerina.    402. 

—  bei  einem  Kinde.    232. 
Taschenbuch  für  Kinderärzte. 

548  (Bsp.). 
Taubstummheit.    659. 

—  Beziehungen   zwischen  Imbezillität 

und.    801. 


Saeh- Register. 


936 


Tetanie,  Symptome  von  bei  moDgo- 
loider  Idiotie.    404. 

—  und  Dipiitherie.    928. 
Tetanas.    790,  791. 

—  Einflasa  des  Curare  bei.    426. 

—  Geheilter   nach  spinaler  Antitoxin- 

Injektion.    405. 
Tetanns  traumations,  Beziehangen 

des  Pseudo-Tetanns  znm.    230. 
Theooin.    666. 
Thorax,  rachitischer.    402. 
Thjmnsdr&se,   histologische   Unter- 

snchangen   der   beim  Fötas.    418. 

—  Besiehnngen    der    zum    Kalkstoff- 

wechsel.   411. 
Thymash^pertrophie.    162. 
T  o  1 1  w  a  t  g  1  f  t ,  Passage  des  dnrch  Filter. 

421. 
Tonsillen,  Tnberk alose  der.    403. 

—  Sarkom    der   bei    einem   9  jährigen 

Knaben.    924. 
Tremor  bei  Kindern.    798. 
Trichokephaliasis     mit    tödlichem 

Ausgang.    804. 
Trichoph^tia  capitis,Beschrftnkang 

der  bei  Schalkiodern.    284. 
Trismus,  Pro^icnose  des.    791. 
Trockenmilch.    679. 
Trommelschlftgerfinger  im  frühen 

Kindesalter.    400,  402. 
Tabercnlides  catanes.    235. 
Taberkalinreaktion,  diagnostische 

im  Kindesalter.    8tl« 
Tuberkulose.    222,  538ff.,  793,794, 

917  ff. 

—  im  ersten  Lebensjahre.    756. 

^  des  Rachens  und  der  Tonsillen 
bei  gleichzeitiger  doppelseitiger 
Lun  genspitzen affektion.    403. 

—  Demineralisation  nnd  Fleisch  therapie 

bei.    147. 
Tumor,  intrathorakaler.    404. 
Tjphus,   Pathogenese   der  transitori- 

sehen  Aphasie  bei.    426. 

—  Darmpertoration  bei.    917. 

Typhusoazillen,  Anwendung  ab- 
getöteter zur  Gruber-Widalschen 
Reaktion.    681. 


Ulcus  Tentriculi  im  Kindesalter.  925. 
Universit&ts- Kinderklinik        zu 

Breslau,  zum  lOjfthrigen  Bestehen 

der.    1. 
Urotropin  bei Seharlachnephritis.  408. 
^  als  Prophylacticum  gegen  Scharlach- 

Nephritis.    790. 
Urticaria.    666. 


Variola  und  Varizellen.    916. 
Varizellen.    916. 
Verdauungskrankheiten,  infektiöse 

der  S&uglinge.    239  (Bsp.). 
Verdauungs  Organe,  Krankheiten  der. 

232,  238,  664,  665,  804,  925. 
Vererbung  erworbener  Eigenschaften. 

908. 
Vierte  Krankheit,  Dukessche.    423. 
Vitiligo  bei  einem  8  Tage  alten  Kinde. 

Volkssohulkörper,  Organisation 
grosser  nach  der  natürlichen 
Leistnngsfllhigkeit  der  Kinder.  552 
(Bsp.). 

W. 

Wachstnmsstörung,  ungewöhnliche 
des  Oberschenkels.    657. 

Wechselfieber  im  Kindesalter.    792. 

Widalsche  Reaktion,  Anwendung 
abgetöteter  Typhasbazillen  zur  Aus- 
führung  der.    68U 

Winckelsche  Krankheit.    417. 

Wurmfortsatz,  kongenitale  Diyer- 
tikelbildung  im.    409. 

Z. 

Z&hne  als  Eingangspforte  der  Tuber- 
kulose.   539. 

Zirkulationsorgane,  Krankheiten 
der.    231,  232. 

—  Syphilitische  Erkrankungen  der.  795. 

Zuckerbildung  aus  Eiweiss.    675. 

Zunffe,  kalter  Abszess  der.    510. 

Zwillinge,  hydranencephale.    802. 

Zwergwuchs,  rachitischer.    402. 


Namen-Register. 

Die  fett  gedraokten  Zahlen  bezeichnen  Original- Artikel. 


Abderhalden  675,  676. 
Abriko88off  226. 
Adler,  E.  285. 
Adler,  Z.  917. 
Ager  912. 
Alzheimer  228. 
Anche  924. 
Armaingaud  222. 
Armstrong  925. 
Aron  676. 
Aronheim  924. 
Aasset  427. 

B. 

Bab  551. 
Bali  in  802. 
Barbonneix   230,  928. 
Bartel  920. 
Bartenstein  6. 
Barth  543,  663. 
de  Bary  657. 
Bayon  226,  227. 
van  den  Berg  907. 
Bergeil  426. 
Bernd t  665. 
Berry  409. 
Bichler  682. 
Bier  805. 
Blenke  806. 
Block  661. 
Blnmenfeld  658. 
Blamenthal  542. 
Bösbaaer  549. 
Böttioher  233. 
V.  B6kay  423. 
Bomby  419. 
Bonrgarts  913. 
Boye  550. 
Braan  552. 
Brehmer  660,  683. 
Broca  670. 
Brodnitz  669. 
Broers  232. 
Brudzinski  789. 
Brüning  412,  905,  915. 
Barger  224. 
Barckhard  680. 


C. 

Cahen-Brach  657. 
Galot  550. 
Gamerer  675. 
Celler  908. 
Gheinisse  804. 
Gomby  235,  684. 
Gonor  540. 
Gramer  682,  806. 
Gronqaist  792. 
Groazon  922. 
Grachet  589. 
Gzapek  673. 
Gzerny  1,  199. 

D. 

Darlington  917. 
Degny  924. 
Denis  924. 
Detot  918,  924. 
Deutsch  544. 
Dietlen  915. 
Döbeli  238,  417. 
Dopter  422. 
Drehmann  672. 
Dreifu88  409. 
Drey  404. 
Du  bring  795. 
Danlop  682. 
Darlacher  792. 
Duval  914. 
Dylion  670. 

E. 
Ebert  500. 

Edinger  542,  543,  800. 
Eisenreich  797. 
Escherich  232, 241,400, 

401,  403,  404,  406,  408, 

423,  798. 

P. 

Falkenheim  921. 
Feer  422. 
Fels  788. 
Fick  670. 
Ficker  909. 


Fidler  786. 
Fischer,  J.  683. 
Fischer,  L.  424,  791. 
Fischl  237. 
Fl e seh  405,  791. 
Foerster,  R.  808. 
Fraenkel  792. 
Freriks  232. 
Frenkel  780. 
Freund,  W.   86,  900. 
Friedjung  543. 
Fruhwald  549. 
Fürst  673 
Fallerton  416. 


Galatti  401,  845. 
Gallois  802. 
Galins  924. 
Gangeld  664. 
Ganghofner  538,  914. 
Gaucher  795. 
Gendron  915. 
Gernsheim  667. 
Gereon  671,  806. 
▼an  Gieson  684. 
Girand  906. 
Göppert  51,  542. 
Glaeasner  806. 
Goldmann  287. 
Goar^Titsch  416. 
▼.  Graff  910. 
Grancher  684. 
Grenet  425. 
Grossmann  658. 
Grunert  666. 
Guinon  912,  920. 
Guintrier  906. 
Gundrnm  665. 
Gatmann  666. 

H. 

Habs  926. 
Hähnle  227. 
Hahn  426. 
Haim  916. 
Halban  677. 
Halbhaber  916. 


Namen-RegiBtor. 


937 


Ualdane  672. 
Halipr^  418. 
Halle  236. 
Hambarger    401,   403, 

908. 
Haushalter  223. 
Hay  237. 
Hedinger  411. 
Heimann  807. 
Heller  544. 
HeDffge  680. 
He  nie  803. 
Hers  233. 
Heabner  429,  803. 
Hevesi  669,  927. 
Heydenreich  662. 
Hilbert  409. 
Hippias  865. 
Hirsch  676. 
Hochsinger   400,   404, 

405,  406,  407,  925. 
HoffmaDn  667,  671. 
Hofmann  791. 
Hohlfeld  425,  922. 
Hohmann  670. 
Holt  684. 
Hoagardy  6S8. 
HassT  64,  798. 
Hutchison  796. 
Hatinel  419. 


Jan  kau  548. 
Jaquet  679. 
Ibrahim  915. 
Jehle  402. 
Jesionek  796. 
▼.  Immerwol  685. 
Jochmann  547. 
Johannessen  686. 
Joseph  666. 
Jürgens  790. 
Jnndell  663. 

K. 

Kaliski  85. 
Karcher  793. 
Karplus  801. 
Kassowitz     401,    403, 

407. 
Kaufmann  545. 
Kelly  546. 
Kettner^239. 
Kiolemenoglon  796. 
Klempner  922. 
Klepetar  919. 
Klien  681. 
Knoepfelmacher  402, 

425. 
Koch,  J.,  807. 
Köhler  539. 


Königsberger  678. 
Königstein  402. 
Koeppe  657. 
Koller-Aeby  910. 
Kopfstein  678. 
Korybut-Daszkie^ 

wicE  679. 
Kraus,  R.,  775. 
Kreidel  233. 
Küster  791. 


Landau,  M.,  670. 
Lange  805. 

Langstein     94,    454, 
624,  688,   780,    922. 
Lapin  546. 
Larrier  917. 
Lehndorff  403,  4Q5. 
Leiner  404,  422. 
Lenhartz  916. 
Losage  912. 
Leube  805. 
Levi,  H.,  677. 
Levy,  F.,  426. 
Levy,  M.,  225. 
Loeffler  681. 
LöYegren  269. 
Lomer  908. 
Lnblinski  790. 
Lüthje  675. 
Luisada  541. 
Lnithlen  403. 
Luksch  909. 
Lnnz  224. 


Maas  659,  790. 
Magni  413. 
Maillard  928. 
Mammack  793. 
Mare  228. 
Marsden  921. 
Mayer  787,  916. 
Mavgrier  427. 
Mehrkorn  662. 
Mendel,  K.  923. 
Mendelsohn  538,   914. 
Mercade  540. 
Merklen  413. 
▼.  Mettenheimer  658. 
Meyer,  A.  420. 
Meyer,  E.  797. 
Meyer,  L.  F.  488,  454, 

685. 
Micieson  793. 
Mikler  549. 
Misch  582. 
Möller  794. 
Möhl  417. 
Moizard  425,  924. 


Moltrecbt  547. 
Monuier  915. 
Monrad  685. 
Moro  401, 408, 687,  870. 
Moser  400. 
Moses  552. 
Müller,  B.  794. 
Müller,  C.  668. 
Müller,  E.  808. 
Müller,  H.  231. 
Müller,  F.  Th.  548. 
Murphy  790. 

N. 

Napp  223. 
Neisser  658. 
Neumayer  662. 
Neurath  405,  742. 
Newmark  229. 
Nicolle  420. 
Nobeoourt  239,  664. 


Oberwinter  23^ 
Oertmann  681. 
Orgler  106. 


Partsch  539. 
Patschkowski  790. 
Pexa  787. 

Pfaundler  230,240, 407. 
Pik,  E.  P.  424. 
Pick,  R.  916. 
Polano  414. 
P61ga  925. 
Prausnitz  240,  685. 
Preleitner  405. 
Pulawski  789. 


Quest  114,  678. 
Qninsas  908. 

R. 

Rabe  924. 
Raudnitz  905. 
Reichelt  925. 
Reizenbtein  926. 
Remlinger  421. 
▼.  Reuss  404. 
Rey  661. 

Reyher  558,  601,  902. 
Richardiere  804. 
Richon  223. 
Riedel  234. 
Richter  402. 
Rietschel  549,  615. 
Rist  424. 
Römer  548. 


938 


Namen-Register. 


Rommel  907. 
Rosenberg  402. 
Rossiwall  918. 
de  Rothschild  549,672, 

912. 
Rottenstein  791. 
Raczynski  665. 
Rapfle  665. 


▼.  Saar  688. 
Saenger  908,  923. 
Salaghi  232. 
Salge222,409,486,588, 

662,  685,  786,  905. 
Salzer  915. 
SaDdler  804. 
Sato  229. 
Sehein  425. 
Schenk  415. 
Schick  403,   407,   408, 

811,  913. 
Schieffer  798. 
Schiner  549. 
Schlesinger   418,  911. 
Schlichter  403. 
Schmidt,  A.  679. 
Schmidt,  H.  £.  238. 
Schmidt,  J.  684. 
Schreyer  916. 
Schuck  807. 
Schütz  122. 
Schnkowski  234. 
Schnitze,  B.  S.  680. 
Schwoner232,408,424. 
Seiter  659,  660. 
Senator  665. 
Shaw  422. 
Sickinger  552. 
Siegert  660. 
Silbergleit  921. 
Simmons  796. 
Simon  922. 


Singer  231. 
Sinnhnber  411. 
Smit  787. 
Smolenski  680. 
Sommer  682. 
Sperk  404. 
Spieler  405,  920. 
Spielmeyer  802. 
T.  Starck  222. 
Stein  234. 

Steinhardt  417,  666. 
Steinitz  M»  147. 
Stepp  792. 
Sterling  798. 
Stiles  669. 
Stirnimann  756. 
Stoeltzner    225,    427, 

428,  548  ff.,  685. 
Strümpell  799. 
Sagg  412. 

S wo bo da  402,406,667. 
Y.  Szontagh  917. 

T. 

V.  Tabora  803. 
Tada  162. 
Tatschner  282. 
TchisfoTitch  663. 
Tenffel  240,  551. 
Thiemich  172. 
Thomas  787. 
Thorne  410. 
▼.  Tobler  411. 
V.  Torday  927. 
Torkel  910. 
Traube  677. 
Treitel  801. 
Trinkler  668. 
Trnmpp  672. 
Tugenareich  683. 
Turner  671. 

U. 
Uffen heimer  425. 


Unna  668. 
Unruh  810. 


Vaillard  422. 
Variot  224. 
van  de  Yeide  412. 
Veszpr^mi  539. 
Vetter  918. 
Vorn  er  667. 
Voisin  664. 
Vüllers  671. 
Vulpius  237. 


Wachenheim  673. 
de  W&le  412. 
Waelsch  541. 
Wagener  664. 
Wedinger  409. 
Weigert  85,  147,  179, 

222,  413. 
Weinberg  664. 
Weiss,  S.  407. 
Wendel  797. 
Werndorff  808. 
Wesener  915. 
Weygandt  226. 
WeTr885. 
van  der  Wiik  234. 
Wildermuth  545. 
Wintersteiner  231. 
Wisocki  683. 
Wlazlowski  789. 
Wolff,  L.,  786. 


Zangger  804. 
Zappert  406,  407,  785. 
Zesers  807. 
Znppinger    402,    405, 


40 


17. 


Medizinischer  Verlag  von  S.  KARGER  in  Berlin' NW.  6. 

Die 

angeborene  Pylorusstenose 

im 

Säuglingsalter 

Von 

Dr.  Jussuf  Bey  Ibrahim 

Friyatdosent  an  der  Universität  Heidelbeixr. 
Lex.>8o.     Mit  5  Abbildnngep.     M.  3.50. 

Pathologie  und  Therapie 

der 

Rachitis 

Von 

Dr.  Wilhelm  Stöltzner 

a.  o.  Proft'SBor  an  der  Universität  Halle. 
Lex.-8o.    Mit  3  Tafeln.     Brosch»  M.  4.—,  gebunden  M.  5.—. 

New  York  mediOäl  Journal:     St.  Las  written  a  very  excellent  as  well  as 

very    exhaustive   treatiso    on    rickets. This  mouograph  is  certainly 

deserving  of  widespread  QOtice  and  it  is  not  saying  too  moch.  of  it  to  express 
a  desire  for  its  translation,  so  that  the  body  of  our  pbysiciana  many  benefit 
by  its  study. 

Schmldrs  Jahrbücher:  Der  darch  seine  Untersuchungen  über  die 
Histologie  und  Behandlung  der  Rachitis  ruhmlich  bekannte  Verfasser  hat  in 
der  vorliegenden  Monographie  eine  gr&ndli.che,  ausführliche  Darstellung  alles 
dessen  gegeben,  was  wir  über  die  häufige,  in  ihrem  Wesen  noch  immer  nicht 
klar  erkannte  Krankheit  wissen.  —  Wer  sich  in  Zukunft  mit  der  Rachitis 
ernsthaft  beschäftigen  will,  wird  an  der  schönen  Arbeit  nicht  vorüber- 
gehen dürfen. 

Deutsche  Medizlnalzeitang: Der  Autor,  der  selbst  eine  Reihe 

Arbeiten  über  die  Histologie  der  rachitischen  Knochen,  sowie  über  die 
Aetiologie  geliefert  hat,  zeigt  sich  als  ein  ausgezeichneter  Kenner  der  über- 
reichen Literatur,  und  es  ist  ihm  in  genj^uer  Würdigung  fremder  und  eigener 
Erfahrungen  gelungen,  ein  vortreffliches  Gesamtbild  der  Erkrankung,  ent- 
sprechend dem  Stande  unseres  heutigen  Wissens,  zu  liefern.  Der  praktische 
Arzt,  der  nicht  in  der  Lage  ist,  alle  die  einzelnen  VerÖffentlicnungen  in 
den  Fachzeitschriften  zu  verfolgen,  wird  diese  Monographie  mit  grossem 
Nutzen  lesen. 

Durch  Neudruck  fehlender  Bände  bin  ich  in  der  Lage,  jetzt  liefern 
zu  können: 

Jahrbuch  für  Kinderheilkunde. 

Neue  Folge  Band  1—50  und  Register  zu  Band  26—50 

statt  des  Ladenpreises  von  M.  529« — 

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Einzelne  Bände    und  Hefte  werden,    soweit  vorhanden,    ebenfalls  zu 
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Berlin  NW.  6.  Verlagsbuchhandlungr  S.  Karger. 


Medizinischer  Verlag  von  S.  KARGER  in  Berlin  NW.  6. 


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die  stets  am  Tage    des  Erscheinens    an    die  aufgegebenen  Adressen  zur  Ab- 
sendung gebracht  werden. 


INHALT. 

XXVII.  Die  diagnostische  Tuberkulinreaktion  im  Kindesalter.   Von  Dr. 

Bela  Schick  in  Wien 811 

XXVITI.  Zur  Charakteristik  der  akuten  nicht  pnstulösen  Exantheme  und 

ihrer  Misch  formen.     Von  Dr.  B.  Galatti  in  Wien 845 

XXIX.  Morphologische  und  biologische  Untersuchungen  über  die  Darm- 
bakterien   des    S&uglings.     Von    Dr.   Ernst  Mo ro    io    Wien. 

(Schluss) 870 

XXX.  Bemerkungen  zu  der  Arbeit  von   P.  Reyher    „Über  den  FeU- 

gehalt  der  Frauenmilch*.   Von  Dr.  Walther  Freund  in  Breslau  900 
XXXI.  Erwiderung    auf  die  vorstehenden  Bemerkungen  W.  Freunds 
zu  meiner  Arbeit  „über  den  Fettgehalt  der  Frauenmilch**.  Von 

Dr.  P.  Reyher  in  Berlin 902 

Literaturbericht.     Zusammengestellt  von  Dr.  B.  Salge,  Oberarzt  an  der 

Universitäts-Kinderklinik  zu  Berlin 905 

Sach  Register 928 

Namen-Register • ^36 

Einsendungen  für  das  Jahrbuch  werden  unter  der  Adresse  eines  der 
Redakteure  erbeten. 


Das  Jahrbuch  erscheint  in  B&nden  von  je  6  Monatsheften.  Jeder 
Band  hat  einen  Umfang  von  48  Druckbogen.  Der  Preis  des  Jahrgangs 
(zwei  Bände)  beträgt  Mk.  36,—.  Alle  Buchhandlungen  und  Postanstalten 
nehmen  Bestellungen  an.  

Verlag  von  S.  Karger  in  Berlin  NW.  6,  Karlstrasae  15. 


Verantwortlicher  Redakteur:  0.  Heubner  In  Berlin 


Hierzu  eine  Beilage  der  Firma  Kalle  &  Co.,  A.-G.  in  Biebrich,  betr.  Bl0f«rrilL 


(iedruckt  bei  Imberg  &  Lcfson  in  Berlin  VV. 


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DEC  19^903 


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