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DEPOSITED IN
Boston Medical Library,
' BY THE
PUBLIC LIBRARY OF THE
CITY OF ECSTON.
Boston
Medical Library
8. TtTTi TinMWAY
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JAHRBUCH
FÜR
KINDERHEILKUNDE
UND PHYSISCHE EKZIEHUNG
Herausgegebea von
Prof. BItdtrt in StraMburg i. £., Proi. Blni in Bonn, Prof. v. Bdkfty in Budapest, Prof. Cttray in
Breslau, Dr. ElttBtOhltt in Wien, Prof. A. Eptttln in Prag, Dr. Erött in Budapest, Prof. EtOhtrIth
in Wien, Prof. FftlkeBhtln in Königsberg, Dr. F«er in Basel, Prof. R. FItOhl in Prag, Dr. K. FoltftBOk
in Wien, Prof. aingilOfBer in Prag, Dr. H. SBlBdlnger in Wien, Prof. E. Hagenbaoll-Burok-
hardt in Basel, Prof. Heanlg in Leipzig, Prof. Heaaoil In Dresden, Prof. HeabBtr in Berlin, Prof.
Hireoheprung In Kopenhagen, Prof. A. Jaoabl in New-York, Prof. v. Jaktoh in Prag, Prof.
JohaBaaatea in» Kristiania, Prof. Kattowitl in Wien, Prof. Kohte in Stratsburg, Prof. Pfaaaditr
in Grax, Dr. Emil Pfalffar in Wiesbaden, Prof. H. V. Ranke in München, Dr. C Rauohfatt in
St. Petcraburg, Dr. H. Reha in Frankfurt a. M., Prof. A. Seeligmneller in Halle, Dr. Seibert in
New-York, Prof. Seltl in München, Prof. SIegert in Köln, Prof. Seltmana in Leipaig, Dr. A. Steffen
in Stettin, Prof. Stoeltiner 'in Halle, Prof. StOOte iu Bern, Dr. Siontagh in Badapest, Prof.
Thonat in Freiburg i. Dr., Ot, Uamll in Dresden, Dr. Unterhelmer in Wien, Prof. VIererdt in
j Heidelberg und Prof. Wyee in Zürich.
I unter RodaktioQ vop
, O. Heubner, A. Steffen, Th. Escherich. ^^
61., der dritten Folge 11. Band.
Mit 10 Tafeln, zahlreichen Tabellen, graphischen Darstellungen
and Abbildungen im Text.
Berlin 1905.
VERLAG VON S. KARGER
KARLSTRASSB ij.
Alle Rechte vorbehalten.
Gedrucki bei ImberRA Lefson In KerUQ.\\
Inhalts- Verzeichnis.
Orlgrlnal-Arbelten.
Bartenstein, L., Beiträge zur Frage des kunstlichen
Morbus Barlow bei Tieren 6
Czerny, Ad., Zum lO jährigen Bestände der Universitäts-
Kinderklinik zu Breslau 1
Die exsudative Diathese 199
Ebert, Max, Ein Beitrag zur Bekämpfung der grossen
Säuglingssterblichkeit 600
Escherich, Th., Die Grundlagen und Ziele der modernen
Pädiatrie (Hierzu Taf. VII) 241
Frenkel, H. S., und Langstein, L., Ueber angeborene
familiäre Hypoplasie des Kleinhirns 780
Freund, W., Zur Wirkung der Fettdarreichung auf den
Säuglingsstoffwechsel 36
— — Bemerkungen zu der Arbeit von P. Reyher, Ueber
den Fettgehalt der Frauenmilch 900
Galatti, D., Zur Charakteristik der akuten nicht pustulösen
Exantheme und ihrer Mischformen 845
Goeppert, F., Drei Fälle von Pachymeningitis haemor-
rhagica mit Hydrocepfaalus externus 51
Heubner, O., Ein weiterer Beitrag zur Kenntnis der
Energiebilanz beim Säugling 429
Zusatzbemerkung zu der Arbeit von Weyl, Zur
Kenntnis des Meningococcus intracellularis .... 399
Hippius,A., Biologisches zur Milchpasteurisierung. (Hierzu
Taf. III— VI) 365
Hougardy, A., und Langstein, L., Stoffwechselversuch
an einem Fall von infantilem Myxödem 633
Hüssy, A., Lähmung der Glottiserweiterer im frühen
Kindesalter 64
Kaliski, J., und Weigert, Rieh., Ueber alimentäre
Albuminurie 85
Kraus, B., Bemerkungen zu ^Beitrag zur Serumbehand-
lung der Diphtherie" von Dr. S. Schön-Ladniewski 775
Langstein, L., Ein Beitrag zur Kenntnis der hämor-
rhagischen Erytheme im Kindesalter. (Hierzu Taf. YIII) 624
und Meyer, Ludwig F., Die Acidose im Kindes-
alter. I. Mitteilung 454
und Steinitz, F., Die Kohlenstoff- und Stickstoff-
ausscheidung durch den Harn beim Säugling und
älteren Kinde 94
— — 8. Frenkel u. L.
— — 8. Hougardy u. L.
Lövegren, Elis, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior
acuta und subacuta s. chronica. (Hierzu Taf. I und II) 269
Meyer, Ludwig F., Zur Kenntnis der.Acetonurie bei den
Infektionskrankheiten der Kinder 438
— — s. Langstein u. M.
— IV —
Misch, Peter, Zur Kenntuis des periodischen Erbrechens
im Kindesalter 532
Moro, Ernst, Morphologische und biologische Unter-
suchungen über die Darmbakterien des Säuglings.
(Hierzu Tat IX— X) 687, 870
Neurath, B., Klinische Studien über Poliomyelitis . . 742
Orgler, A-, Ueber Entfettungskuren im Kindesalter . . 106
Quest, R., Ueber den Kalkgehalt des Säuglingsgehirns
und seine Bedeutung 114
Key her, P., Beitrag zur Frage nach dem Nahrungs- und
Energiebedürfnis des natürlich ernährten Säuglings 653
Ueber den Fettgehalt der Frauenmilch 601
— — Erwiderung^ auf die Bemerkungen W. Freunds zu
R.s Arbeit Über den Fettgehalt der Frauenmilch . 902
Bietschel, Hans, Zur Kenntnis des Kreatininstoffwechsels
beim Säugling 615
Salge, B., Immunisierung durch Milch 486
Schick, B.., Die diagnostische Tuberkulinreaktion im
Kindesalter 811
Schütz, A., Zur Kenntnis der natürlichen Immunität des
Kindes im ersten Lebensjahre 122
Steinitz, F.. und Weigert, Richard, Ueber Deminerali*
sation und Fleischtherapie bei Tuberkulose .... 147
s. Langstein u. St.
Stirnimann, F., Tuberkulose im ersten Lebensjahre . . 756
Tada,.G., Beitrag zur Frage der Thymushypertrophie . 162
Thiemich, M., Ueber die Herkunft des fötalen Fettes 174
Weigert, R., Ueber den Einfluss der Ernährung auf die
chemische Zusammensetzung des Organismus . . . 178
s. Kaliski u. W.
s. Steinitz u. W.
Weyl, B., Beitrag zur Kenntnis des Meningococcus intra-
cellularis 385
Zappert, JuL, Ueber paradoxes Schwitzen beim Kinde 735
Oesellschaftsberlehte«
Bericht über die 3. Versammlung der Vereinigung süd-
deutscher Kinderärzte am 11. XII. 1904 zu Frank-
furt a. M. . 657
Vereinigung niederrheinisch - westfälischer Kinderärzte.
19. Sitzung am 13. XI. 1904 zu Köln 659
Verhandlungen der Gesellschaft für innere Medizin und
Kinderheilkunde in Wien (Pädiatrische Sektion).
1. bis 8. Sitzung. Bericht von Doz. Dr. Moser
in Wien 400
Literatupbepicht 222, 409, 538, 662, 786, 905
Besppechungren 238, 427, 548, 684
Notizen 240, 428, 686
Richard Förster t 808
Aas der Universitäts- Kinderklinik in Breslau.
I.
Zum 10jährigen Bestände der Universitäts-Kinder-
klinik zu Breslau.
Von
Professor AD. CZERNY.
Die Universitäts- Einderklinik zu Breslau wurde vor zehn
Jahren, am 5. November 1894, eröffnet. In einem Wohnhause,
nahe den übrigen Kliniken, war ein Stockwerk gemietet und mit
den allernotwendigsten Utensilien ausgestattet worden, um zu-
nächst den Betrieb einer Poliklinik für kranke Kinder einleiten
zu können. Vorher besass Breslau kein staatliches Lehrinstitut
für Pädiatrie. Es war wohl ein Dozent vorhanden; dieser war
aber gezwungen, an einem armselig ausgestatteten Hospitale, ohne
staatliche Subvention, seine Vorlesungen abzuhalten. Unmittel-
baren Anstoss zur Errichtung einer Kinderklinik gab die Ab-
berufung dieses Dozenten (Professor Soltmann) von Breslau
nach Leipzig.
Um keine Zeit zu verlieren, wurde bald nach der Er-
öffnung der Poliklinik zunächst ein kleines Gebäude als
provisorischer Unterkunftsort für die Kinderklinik eingerichtet,
und sieben Jahre später konnte der aus Staatsmitteln ge-
schaffene Neubau bezogen werden, der, wenn auch im be-
schränkten Umfange, alle Hilfsmittel umfasst, welche zu einem
modernen Anforderungen entsprechenden Unterrichte in der Kinder-
heilkunde erforderlich sind.
Was dies für Hilfsmittel sind, will ich im folgenden kurz
besprechen, da zur Zeit darüber noch keine einheitliche Meinung
besteht:
Die Kinderheilkunde ist ein Teil der inneren Medizin. Eine
Kinderklinik muss auch dementsprechend über dieselben Lehr-
mittel verfügen, wie eine Klinik für innere Medizin, und diese
sind Poliklinik, Klinik, Laboratorien und Hörsaal. Es gibt auch
Jahrbacb f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft i. 1
2 Czerny, Zam lOj&hrigen Bestände
Kinderkliniken, welche chirurgische und orthopädische Abteilungen
besitzen, und die französischen Ärzte erkennen sogar eine
Chirurgie infantile an. Aus wissenschaftlichen Gründen lässt
sich die Berechtigung letzterer bisher nicht erweisen. Für die
Entwicklung der Einderheilkunde erscheint es mir geradezu not-
wendig, die Orthopädie und Chirurgie aus den Kinderkliniken
auszuschliessen. Nach meinen eigenen Beobachtungen auf
Studienreisen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die
technischen Fertigkeiten dem Anfanger stets wichtiger erscheinen,
als gründliches medizinisches Wissen. Soll für letzteres Interesse
grossgezogen werden, dann ist dies am besten dadurch zu er-
reichen, dass man sich in den Kinderkliniken nur auf die un-
vermeidliche kleine Chirurgie beschränkt und grössere operative
Eingriffe oder orthopädische Behandlungen den chirurgischen
Kliniken überlässt.
Dementsprechend ist die Breslauer Kinderklinik lediglich als
eine medizinische Klinik eingerichtet. Dieser Standpunkt drängt
jedem die Frage auf: wo ist denn die Grenze zwischen Kinder-
heilkunde und innerer Medizin? Die Kindheit schliesst ab mit
dem Eintritt der Pubertät. Es liesse sich damit leicht ein An-
haltspunkt für die Trennung der Kranken erreichen. So kann
und darf aber in der Praxis nicht vorgegangen werden, wenn
zwischen Internisten und Pädiatern das notwendige Einver-
ständnis und Zusammenwirken erhalten, oder wo es noch fehlt,
erst erzielt werden soll. Die Hauptaufgabe der Pädiater ist und
bleibt das Studium der Physiologie und Pathologie des Kindes
der ersten 2 Lebensjahre. Dieses Kapitel, dessen Wichtigkeit
kein Internist in Abrede stellen wird, war offenbar nur aus
äusseren Gründen in den medizinischen Schulen vernachlässigt
worden. In den meisten Krankenhäusern, früher leider auch in
manchen Kinderhospitälern, durften Kinder unter 2 Jahren gar-
nicht oder nur ausnahmsweise aufgenommen werden.
Eine Kinderklinik muss so eingerichtet sein, dass sie in
erster Linie Kinder der ersten 2 Lebensjahre aufnehmen kann.
Eine sogenannte Säuglingsstation darf nicht ein Appendix, sondern
soll der wesentlichste Teil einer Kinderklinik sein.
In diesem Sinne ist von Anfang an die Breslauer Kinder-
klinik eingerichtet worden. Es wird vielleicht manchen, der sich
für die Entwicklungsgeschichte der Kinderkliniken in Deutsch-
land interessiert, freuen, zu erfahren, dass die Klinik stets über
Ammen verfügte, sodass es möglich war, natürlich und künstlich
der Universitäts-Kinderklinik zu Breslau. 3
:geDährte Säuglinge, gesunde und kranke Kinder nebeneinander
zu beobachten.
Abgesehen von den Kindern der ersten 2 Lebensjahre,
müssen auch ältere in einer Kinderklinik Aufnahme finden
können. Denn die vielen pathologischen Prozesse, welche mit
dem Namen „Kinderkrankheiten^ genügend charakterisiert sind,
bilden die zweite Lehraufgabe einer Kinderklinik. Auf diesem
•Gebiete werden sich stets Internisten und Pädiater begegnen. Es
wird aber bei guter Absicht immer leicht sein, die richtigen
Grenzen innezuhalten. Den Internisten wird ab und zu ein
jüngeres Kjnd interessieren, und er wird dasselbe zur Behandlung
und Beobachtung aufnehmen. In ähnlicher Weise kann zeitweilig
wissenschaftliches Interesse den Pädiater veranlassen, selbst
Kinder, welche nahe dem Pubertätsalter sind, aufzunehmen. Im
allgemeinen wird es als Grundsatz gelten müssen, dass die
Jüngeren Kinder nach Möglichkeit den Kinderkliniken, die älteren
den medizinischen Kliniken zugewiesen werden sollen. Dabei
sind keineswegs nur wissenschaftliche Interessen massgebend,
sondern vielmehr die Rücksicht auf die Psyche der Kinder. Ein
älteres Kind unter Erwachsene zu legen, ist oft in psychischer
Beziehung ein bedenkliches Unternehmen. Was das Kind dabei
sieht und hört, ist nicht immer von Vorteil. Andererseits haben
wir viel Gelegenheit, zu sehen, welchen günstigen Einfluss das
psychische Verhalten auf das Wohlbefinden der Kinder hat, wenn
-dieselben untereinander sind.
In der Breslauer Kinderklinik fanden, so weit es
demonstrativer Unterricht oder Studien erforderten, jederzeit
ältere Kinder Aufnahme. Mit grosser Freude kann ich dazu be-
merken, dass wir uns dabei im besten Einvernehmen mit der
medizinischen Klinik befanden, und bin überzeugt, dass auch
letztere niemals die Kinderklinik störend empfunden hat.
Besondere Sorgfalt wurde in Breslau der Ausgestaltung der
Poliklinik gewidmet. Es war dies schon wegen der geringen
Bettenzahl der Klinik notwendig. Mehr aber war dabei folgende
Überlegung massgebend. Die Polikliniken werden meist nur
dazu benutzt, um aus der Zahl der eingebrachten Kranken die
für die klinische Behandlung und Beobachtung geeigneten aus-
zuwählen. Ferner soll die Poliklinik Studierenden und Ärzten
Gelegenheit geben, viele Momentbilder von Krankheiten kenneu
zu lernen, Fertigkeit in Diagnose und Ordination zu erlangen.
II.
Beiträge zur Frage des künstllehen Morbus Barlow
bei Tieren.
Von
Dr. LUDWIG BARTENSTEIN,
AMlitenten der Klinik,
Im VI. Bande der Zeitschrift für diätetische und physikalische
Therapie hat Bolle über Versuche kurz berichtet, aus denen er
den Schluss zog, dass es ihm gelungen sei, bei Meerschweinchen
einen künstlichen Morbus Barlow zu erzeugen. Nicht genug-
damit, wollte er mit seinen Yersuchen auch die Ätiologie der
Barlowschen Krankheit bewiesen haben und zwar so, das»
das schädigende Moment in der Sterilisation der Milch läge.
Zur Erläuterung will ich kurz über seine Versuche berichten.
Er ernährte Meerschweinchen mit verschieden lange sterilisierter
Milch, d. h. mit 5, 10, 15 Minuten u. s. f. bis 2 Stunden lang
gekochter Milch. Das überraschende Resultat seiner Fütterungs-
versuche war folgendes: Nach etwa 2 Wochen gingen bereits difr
Tiere, die mit hochsterilisiei*ter Milch gefüttert waren, zugrunde,,
während die Sterblichkeit im umgekehrten Verhältnis zur Dauer
der Sterilisation abnahm, sodass die Meerschweinchen, welche
mit 5 Minuten lang gekochter oder roher Milch gefüttert wurden,
nach einem Vierteljahr noch ebenso munter und gesund waren,,
wie die Kontrolltiere, während die mit 10 Minuten sterilisierter
Milch gefütterten Tiere bereits klinische Erscheinungen der
Krankheit zeigten. Die zur Autopsie gekommenen Tiere wiesen
übereinstimmend eine grosse Knochenbrüchigkeit auf; bei einem
Tiere waren in der Scapula grosse Löcher, wie mit der Laub-
säge ausgesägt. Die langen Röhrenknochen zeigten sich brüchig
und spröde, und an den Epiphysengrenzen waren oft Knochen-
absprengungen vorhanden. Dieses Resultat will er in mehreren
Versuchsreihen mit gleicher Promptheit und Gesetzmässigkeit
erhalten haben. Die veränderten Knochen wurden von ihm
Bartenstein, Beiträge zur Frage etc. 7
seiner Zeit einem Assistenten der tierärztlichen Hochschule vor-
gelegt, der ihm diese Erscheinungen nicht erklären konnte; je-
doch kam auch er zu der Ansicht, dass diese Veränderungen
auf das Verfuttern von sterilisierter Milch zurückzuführen seien.
Für Bolle war dadurch der Beweis erbracht, dass das
Entstehen der Bar low sehen Krankheit lediglich auf Verfütterung
zu stark sterilisierter Milch zurückzuführen ist, und dass in der
Vermeidung dieses Faktors ein Hauptheilmittel zur Bekämpfung
der Barlowschen Krankheit zu suchen sein dürfte.
Würden diese Versuche einwandsfrei sein, so wären sie ein
wichtiger Beitrag zur Ätiologie des Morbus Barlow. B oll es
Mitteilungen erregten in den verschiedensten Kreisen einiges
Aufsehen.
Deswegen und auf Grund von Versuchen, die schon vorher
in unserer Klinik an jungen Hunden und Mäusen mit hoch-
sterilisierter Milch (2 Stunden und länger) mit absolut negativem
Erfolge gemacht worden waren, und über die Keller im
Vn. Bande der Zeitschrift für physikalische und diätetische
Therapie kurz berichtet hat, unternahm ich es, die BoUeschen
Versuche einer Nachprüfung zu unterziehen.
Zu diesem Zwecke wurden zunächst 13 Meerschweinchen
verschiedenen Alters und Gewichtes (von 165—755 g) eingestellt
Die Tiere wurden in Glaskästen gehalten; zum Auffangen von
Kot und Urin bekamen sie als Streu feine Holzwolle, die alle
paar Tage gewechselt wurde. Als Nahrung erhielten die Tiere
teils rohe, teils 5, 10, 15, 30, 60 und 120 Minuten lang sterilisierte
Milch, die in kleinen Porzellannäpfchen mehrmals am Tage frisch
gereicht wurde. Bereits nach 3 Tagen ging das mit 5 Minuten
lang gekochter Milch ernährte Tier zugrunde. Auch bei den
anderen Tieren stand die Lebensdauer nicht im umgekehrten
Verhältnis zur Dauer der Sterilisation. Die mit roher
Milch gefütterten Tiere starben nach 6 und 9 Tagen, die mit
10 Minuten gekochter Milch ernährten Tiere nach 4 und 8 Tagen,
die mit 15 Minuten nach 5 und 9 Tagen, die mit 30 Minuten
nach 5 und 18 Tagen, die mit 1 Stunde nach 10 und 13 Tagen
und die mit 2 Stunden nach 6 und 10 Tagen. Aus diesen Zahlen
lässt sich eher das Gegenteil von dem herauslesen, was Bolle
als Gesetz für seine Tiere aufgestellt hat. Ferner starben die
jüngeren, bezw. leichteren Tiere relativ früher als die älteren
und schwereren Tiere. Vergl. die Protokolle.
8 Barteo stein, Beiträge zar Frage
Die Milch wurde von den Tieren ungern genommen, sie
frassen z. T. die Holzwolle der Streu mit Gier oder sich gegen-
seitig die Haare ab. Bei einem Tiöre fanden sich im Magen
in einer blindsackartigen Erweiterung dicht vor dem Pylorus
2 kirschkerngrosse Ballen aus zusammengefilzten Haaren, die zu
einer Arrosion der Schleimhaut bis zur fast vollendeten Perforation
gefuhrt hatten; ebenso frassen sie die moribunden Tiere, die in
demselben Käfig waren, mit Gier an. Daraus ist aber nicht der
Schluss zu ziehen, dass die Tiere verhungerten, da bei der
Obduktion der Blind- und Dickdarm meist mit sehr reichlichen
Eotmassen gefüllt waren.
Dagegen gaben die übrigen Obduktionsbefunde einen An-
halt für die Todesursache. Bei allen Tieren war eine Gastro-
Enteritis nachweisbar; die Schleimhaut des Magens, Dünn-,
Dick- und Blinddarmes zeigte eine mehr oder minder starke
Schwellung und Gefässinjektion und vereinzelte Blutungen nament-
lich in der des Magens; ferner war das Peritoneum gerötet,
ohne aber seinen Glanz eingebüsst zu haben. In den Lungen
waren bei einzelnen Tieren kleine hypostatische oder pneumonische
Herde nachweisbar. Die übrigen inneren Organe zeigten keinen
besonderen Befund. Auch an den Knochen waren makroskopisch
keine Veränderungen nachzuweisen; es bestand keine abnorme
Knochenbrüchigkeit — nur bei einem Tiere No. 8 brach bei
verhältnismässig geringer Kraftanstrengung der rechte Femur
oberhalb der Condylen in einer Spirallinie durch, während der
linke einer gleichen oder grösseren Kraftaufwendung Stand hielt.
— Das Periost zeigte nirgends Verdickungen oder Blutungen;
überhaupt waren keine Veränderungen sichtbar, wie sie Bolle
beschrieben hat.
Es lag nahe, die Ursache für die Enteritiden in der Nahrung
zu suchen. Die in die Käfige gesetzte Milch wurde leicht durch
Kot und Urin oder dadurch, dass die Tiere in die Porzellan-
näpfchen traten, verunreinigt und ging in Zersetzung über, so-
dass sie für die Tiere schädlich werden konnte. Um die Zer-
setzung der Milch und jegliche Streu, welche die Tiere frassen,
zu vermeiden, wurde folgende Versuchsanordnung getroffen. Die
Tiere wurden in Drahtkäfigen — Vogelbauern — mit einem
doppelten Boden aus verzinnter Drahtgaze gehalten, durch die
der Urin sofort abfloss, sodass sich die Tiere nicht beschmutzten
und keine Streu brauchten. Die Milch wurde in Porzellannäpfe
mit hohen Rändern gegossen, die auf einer Seite einen Aus-
des küDBtlichen Morbus Barlow bei Tieren. 9
schnitt hatten, auf den die Tiere treten und den Eopf zum
Saufen hineinstecken konnten, ohne jedoch in den Napf selbst
hineintreten zu können. Da aber die Milch beim Stehen an der
Luft säuert und sich zersetzt, so wurde alle zwei Stunden den
Tieren frische Milch gereicht und ausserdem nach ^/j Stunde die
eingegossene Milch entfernt, das Näpfchen gereinigt und mit
Wasser gefüllt. Mit Berücksichtigung dieser Kautelen konnte
an die Tiere sicher eine einwandsfreie, unzersetzte Milch ver-
futtert werden. Das Resultat war jedoch kein besseres. Zwei
Tiere, die zunächst auf diese vorsichtige Weise ernährt wurden,
starben nach 10 bezw. 14 Tagen und zeigten ebenfalls die
schwersten Enteritiden. Der Blind- und Dickdarm war stark
aufgetrieben und mit einem zähen Kot angefüllt, der die Darm-
schleimhaut wie mit einer Schmiere überzog. Auch diese beiden
Tiere frassen sich selbst die Haare ab und bissen eifrig an dem
Porzellannäpfchen und den Drahtstäben des Käfigs herum.
In ihrer Nahrung entbehrten die Tiere vollkommen die
Oellulose, die sonst in grossen Mengen von ihnen aufgenommen
wird. Die Cellulose ist aber als mechanischer Reiz zur Be-
förderung der Peristalstik namentlich bei Tieren mit langem
Darm (Pflanzenfressern) absolut unentbehrlich. Knieriem^)
berichtet über den Sektionsbefund von mit cellulosefreier Nahrung
gefütterten Kaninchen folgendes: „Im Magen fand sich nur
Schleim und die Anfänge einer Entzündung im Pylorusteil ; der
Dünndarm von Schleim erfüllt, war in seiner ganzen Länge
stark entzündet, ebenso der Blinddarm. Letzterer war stark mit
Kot angefüllt, der die Konsistenz eines Grlaserkittes besass, fest
an den Wandungen und den Falten des Blinddarmes haftete.
Vergleicht man den Inhalt des Blinddarmes eines normal ge-
fütterten Kaninchens damit, so ist der Unterschied in die Augen
springend: es ist die Masse in dem Blinddarme ziemlich locker,
sie fällt beim Rückbiegen des Darmes fast vollständig ab, und
diese lockere Konsistenz wird nur durch die Rohfaser veranlasst,
es wird dadurch die Kommunikation zwischen dem After und
dem Magen oflfen gehalten, während bei dem verendeten Ver-
suchstiere eine solche kaum bestehen konnte." Ganz dieselben
i) V. Knieriem, Über die Verwertung der Cellulose im tieriachen
Organismus. Festschrift Riga 1884 u. Zeitschr. f. Biologie. Bd. 21. Zitiert
nach Bunge: Lehrbuch der physiologischen und pathologischen Chemie.
IV. Auflage, pag. 81.
10 BartensteiD, Beiträge zar Frage
Sektionsergebnisse waren bei den mit Milch gefütterten Meer-
schweinchen vorhanden.
Mit Milch allein sind also Meerschweinchen nicht zu er-
nähren. Bolle erwähnt in seiner Mitteilung nichts von diesen
Befunden und der Unmöglichkeit der ausschliesslichen Milch-
ernährung. Auf eine persönliche Anfrage über seine genaue
Yersuchsanordnung teilte er folgendes mit:
^Ganz rein mit Milch die Tiere zu ernähren, geht zuerst
nicht, da sie erst allmählich vermittelst einer Milchsahne-
mischung an Milchnahrung gewöhnt werden müssen, weil die
Meerschweinchenmilch viel fetter ist als gewöhnliche Kuhmilch.
Wenn man die Versuche gleich mit gewöhnlicher Milch beginnt,
nehmen die Tiere die Nahrung nicht an und verhungern. Ein
dreieckiges, leicht zu reinigendes Blechnäpfchen wird in eine
Ecke gestellt, und sobald die Tiere das Näpfchen umkippen,
was sehr leicht geschieht, muss die zu verabreichende Nahrung
erneuert werden. Ich habe beobachtet, dass die Tiere Kot und
Urin in die Sau£aäpfe nicht entleeren, da dazu immer das voll-
ständige Hineinkriechen in den Fressnapf nötig ist, was dem
Meerschweinchen bei dem Milchinhalt augenscheinlich nicht
zweckdienlich erscheint. Die erste Zeit, bis die Tiere sich ge-
wöhnt haben, muss man noch etwas Getreidenahrung beigeben
und wirft man zweckdienlich etwas Heu während der Dauer der
Versuchszeit mit hinein; Heu fressen die Meerschweinchen ge-
legentlich sehr gem. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass
die Milchnahrung leichter genommen wird, wenn die Tiere
nebenbei etwas Heu fressen.
Die von Ihnen nachzuprüfenden Versuche dürfen Sie bei
den ersten Misserfolgen nicht entmutigen; es ist unsäglich
mühsam und schwierig, da namentlich von Seiten des Warte-
personals geradezu eine Engelsgeduld dazu gehört, die jungen
Tiere überhaupt daran zu gewöhnen, Milch aus einem Näpfchen
zu trinken. Mit vieler Geduld kommt man bald dahin, dass die
Tiere Milch aus einem Napf zu sich nehmen, dann hat man in
Bezug auf die Versuchsreihen gewonnenes Spiel.
Die ersten Tage gibt man sterilisierte Sahne, dann eine
Sahnemilchmischung, um dann schliesslich zu reiner Milch
überzugehen.
Als ich damals die Versuche in meinem Laboratorium
machen Hess, hatte ein junger Veterinärkollege die Freund-
des künstlichen Morbas Bftrlow bei Tieren. 11
lichkeit, die ganz genaue Beobachtung und Beaufsichtigung zu
übernehmen. Er hatte den Tieren noch in den ersten Tagen
irgend ein getrocknetes Rübenpräparat gereicht, was die Ge-
wöhnung ganz bedeutend erleichterte. Leider ist der junge
Kollege ins Ausland gegangen, und es war mir schon, als ich
mich vor etwa einem Jahre an die Nachprüfung der Versuche
machte, «ehr schwer, die Resultate von damals wieder fest-
zustellen.^
Es wurde nun folgende Versuchsanordnung getroffen. , Als
Versuchstiere wurden möglichst junge Tiere, nicht über 150 g
schwer, verwendet, die in den schon erwähnten Drahtkäfigen ge-
halten wurden. Als Nahrung wurde ihnen 2 stündlich eine
Sahnemilchmischung von ungefähr 8 — 12 pGt. Fettgehalt gegeben,
die für einzelne Tiere roh, für andere 5 — 10 Minuten lang und
wieder für andere 2 Stunden lang gekocht war.
Der Fettgehalt von 8—12 pCt. entspricht noch lange nicht
demjenigen der Meerschweinchenmilch. Die Zusammensetzung
derselben ist nach König*): Fett 45,8 p Ct., Wasser 41,11 pCt.,
Milchzucker 1,33 pCt., Kasein + Albumin 11,19 pCt. Ausserdem
bekamen die Tiere täglich etwas Weizenkleie und Heu als
Celluloseträger. Empirisch habe ich die kleinste Menge dieser
Beikost festzustellen versucht, die absolut notwendig ist, um die
Tiere längere Zeit am Leben zu erhalten. Diese Menge beträgt
pro Tier von 100 g Durchschnittsgewicht 1 g Kleie und 2 g Heu.
Es sind dies verschwindend kleine Quantitäten im Vergleich zu
den Mengen z. B. an Heu, die ein normales Tier taglich vertilgt.
Unter die genannte Grösse herunterzugehen, war nicht ratsam,
da die Tiere dann nach wenigen Tagen zugrunde gingen. Man
hat auf diese Weise gewissfirmassen das Leben der Tiere in
der Hand.
Die erste Zeit nehmen die Tiere die Milch nicht gern; aber
nach einigen Tagen, wenn sich ein grosses Flüssigkeitsbedürfnis
einstellt, fangen sie an, die Milch zu saufen. Individuelle Unter-
schiede unter den einzelnen Tieren sind sicher vorhanden; manche
trinken grosse Mengen, manche wieder nur kleine Mengen, ab-
solute Zahlen waren dafür nicht feststellbar; ebenso fressen viele
Tiere die Weizenkleie sehr ungern. Es wurde ferner auch ver-
sucht, Heu und Kleie bei Temperaturen von 100 — 120 • C. längere
Zeit zu sterilisieren bezw. zu denaturieren, damit nicht der Ein-
^) Chemie der meoschlichen NahraogB- and Genussmittel. IV. Auflage,
12 Bartenstein, Beiträge zur Frage
wand gemacht werden kann, dass die Tiere neben der sterilisierten
Milch ein Rohprodukt erhalten haben, das eventuell das Zustande-
kommen eines Morbus Barlow verhüten konnte. Derartig be-
handeltes Heu und Eleie wurden aber von den Tieren, hauptsäch-
lich wohl wegen des unangenehmen Geruches, den sie annahmen >
absolut verweigert.
Das Aussehen der Tiere änderte sich bereits nach wenigen
Tagen, obwohl sie meist die erste Zeit an Gewicht etwas zunahmen;
die Haare wurden struppig und fettig, sie klebten in Busch ein
zusammen. Späterhin war der Bewegungsdrang geringer, an den
Fusssohlen trat manchmal Decubitus auf; beim Sitzen schonten
die Tiere die Extremitäten, indem sie sich nicht darauf stützten,
sondern sie streckten die Hinterbeine aus, lagen auf dem
Bauche und frassen auch meist in dieser Stellung. Bei einigen
Tieren wurden auch Konvulsionen beobachtet. Diese klinischen
Erscheinungen traten mehr oder minder gleichmässig bei allen
Tieren auf, ohne Unterschied, ob sie mit roher oder mit sterilisierter
Milch ernährt wurden. Einige Tage vor dem Exitus frassen sie
gewöhnlich das ihnen gereichte Heu nicht auf, auf das sie sich
sonst mit Gier stürzten.
Auf diese Weise konnten die Tiere längere Zeit am Leben
erhalten werden; ihre durchschnittliche Lebensdauer betrug 29Tage,
ein Zeitraum, der gross genug erscheint, um von einem Einfluss
der Ernährung auf die Konstitution und speziell auf die Knochen-
entwicklung sprechen zu können. Ein Tier blieb sogar 61 Tage
am Leben, während ein anderes bereits nach 5 Tagen starb;
dieses hatte nur wenig von der Milch getrunken.
Die Lebensdauer der Tiere stand aber nicht im umgekehrten
Verhältnis zur Dauer der^Sterilisation der Milch, welche die Tiere
zu fressen bekamen. 4 Tiere, die mit roher Milch gefüttert waren,
hatten eine durchschnittliche Lebensdauer von 37 Tagen; 7 Tiere,
die mit 5 — 10 Minuten lang gekochter Milch ernährt waren — diese
Milch wurde zusammen mit der Säuglingsnahrung für die stationäre
Abteilung gekocht — blieben 27 Tage am Leben, und 6 Tiere,
die mit 2 Stunden lang sterilisierter Milch gefüttert waren, lebten
25 Tage im Durchschnitt. Schaltet man aus dieser Reihe Tier
No. 19 aus, das nur 5 Tage eingestellt war und die Milch kaum
getrunken hatte, so verschiebt sich der Durchschnitt auf 29 Tage.
Durch die hochsterilisierte Milch wurde die Lebensdauer nicht
schlechter beeinflusst als durch die nur kurz abgekochte Milch.
Die rohe Milch hat zwar scheinbar einen Einfluss auf die Länge
des kÜDstlichen Morbus Barlow bei Tieren. 13
der Lebenszeit; doch war es in keinem Falle möglich, die Tiere
dauernd am Leben, geschweige denn gesund zu erhalten, wie es
Bolle gelungen war. Nach wenigen Tagen schon zeigten diese
Tiere dasselbe kranke Aussehen wie die anderen und wurden
kachektisch. Im Gegenteil, das am längsten — 61 Tage — am
Leben gebliebene und mit roher Milch gefutterte Tier zeigte sehr
schwere Knochenveränderungen, auf die weiter unten des näheren
eingegangen werden soll.
Bei der Obduktion dieser Tiere fanden sich nicht so schwere
Enteritiden wie bei den ersten Tieren, wenn auch stellenweise
im Magen darmkanal kleine Blutungen und Gefässinjektionen vor-
handen waren. Bei einigen Tieren waren allerdings auf der Basis
von Blutungen Darmgeschwüre aufgetreten. Der Blinddarm war
auch hier meist mit Eot stark angefüllt, der nicht eine so zähe
Beschaffenheit hatte, wie bei den ausschliesslich mit Milch ge-
futterten Tieren.
Die inneren Organe Niere, Milz und Leber, soweit sie
mikroskopisch untersucht wurden, zeigten ausser bei Tier No. 29
eine kleine frische Blutung in der Leber und bei No. 24 einen
kleinen Niereninfarkt, keine pathologischen Befunde. In den Lungen
waren manchmal Hypostase und kleine pneumonische Herde
makroskopisch sichtbar.
Während bei den zuerst eingestellten Tieren an den Knochen
keinerlei Veränderungen sieht- oder fühlbar waren, zeigten diese
Tiere fast durchweg eine abnorme Knochenbrüchigkeit, sowohl
der langen Röhrenknochen als auch des Beckens, der Wirbelsäule
und des Unterkiefers. Die Knochen waren nicht weich, biegsam,
leicht schneidbar, osteomalacisch, sondern spröde. Mit Leichtigkeit
konnte man die Knochenwandungen einbrechen, mit dem Skalpell
konnte man leicht unter starker Splitterbildung die Wirbelsäule
durchstechen. Ebenso brach sehr oft bei der Präparation des
Unterkiefers der Gelenkfortsatz ab. Am unteren Aste des Unter-
kiefers waren manchmal kleine Löcher in der Knochenwand zu
sehen, durch die das Mark grau-rötlich durchschimmerte. Der
innere und untere Skapularrand war öfters durch Muskelzug um-
gebogen oder umgeknickt. Tier No. 25 zeigte ausserdem bereits
in vivo eine ganz erhebliche Kyphose am Übergang von Brust-
zur Lendenwirbelsäule. Dagegen zeigten Oberkiefer und die
Knochen des Schädeldaches immer eine normale Festigkeit.
Periostale Blutungen waren nicht zu sehen; dagegen bei
4 Tieren mehrfache ausgedehnte Spontanfakturen an den langen
14 BarteD stein, Beitr&ge zur Frage
Röhrenknochen sowohl in der Diaphyse als auch in der Epiphysen-
linie, die zum Teil zu erheblichen Dislokationen geführt hatten.
Dabei waren natürlich ausgedehntere Blutungen in die umgebenden
Weichteile erfolgt.
Von jedem Tiere wurden mehrere Knochen zur mikro-
skopischen Untersuchung unter möglichster Schonung von Periost
und Gorticalis herausgenommen, in Formalin fixiert, mit schwef-
liger Säure, um die Knochenmarkzellen möglichst zu schonen,
entkalkt und in steigendem Alkohol nachgehärtet. Gewöhnlich
wurde ein Femur und ein Humerus zur Untersuchung genommen ;
von einzelnen Tieren auch Scapula, Unterkiefer, Wirbelsäule,
Becken, Vorderarm und Unterschenkel. In der Regel wurden
der besseren Übersicht wegen Längsschnitte durch den ganzen
Knochen angelegt, manchmal jedoch auch Querschnitte. Gefärbt
wurden die Präparate mit Hämatoxylin-Eosin oder Hämatoxylin-
Neutralcarmin.
Die mikroskopische Untersuchung der Knochen ergab kein
ganz einheitliches Resultat; denn wie schon erwähnt, waren nur
bei einzelnen Tieren Frakturen vorhanden, bei anderen nicht.
Um sich ein Bild von dem Verlaufe des Prozesses zu machen,
dürfte es zweckmässig sein, zunächst die am kürzesten eingestellten
Tiere, dann die etwas länger eingestellten und zum Schlüsse die
Tiere mit Frakturen einer näheren Betrachtung zu unterziehen.
Bei dem nur 5 Tage eingestellten Tiere (Np. 19) finden
wir fast keine Veränderungen. Am Femur ist die Epiphysen-
linie etwas verschmälert, Gorticalis und Spongiosa zeigen normale
Beschaffenheit, nur auf einem Querschnitt durch die Diaphyse der
Tibia, dicht unter der oberen Epiphysengrenze, zeigt sich die
Gorticalis an einer Seite von weiten Markräumen durchsetzt.
Das Knochenmark trägt überall lymphoiden Gharakter, ist zell-
und gefässreich; die Gefasse sind erweitert und dünnwandig,
stark mit Blut gefüllt. An einzelnen Stellen ist das Mark etwas
ärmer an freien Zellen. Dagegen finden wir bei dem 9 Tage im
Versuche gewesenen Tiere (No. 21) schon erhebliche Verände-
rungen. Zunächst auffallend ist an den gefärbten Präparaten
auf grosse Strecken die helle Beschaffenheit des Knochenmarkes.
Dasselbe hat seinen ausgesprochen lymphoiden Gharakter ver-
loren; es ist zellarm und gefässarm; die Gefässe sind eng und
die freien Zellen um die Gefässe angeordnet. Das Zwischen-
gewebe besteht aus spärlichen sternförmigen und spindeligen
Zellen mit sehr feinen Ausläufern auf einem blassbläulichen Grunde.
des kiinstlichen Mdrbas Barlow bei Tieren. 15
Diese Veränderungen des Knochenmarkes sind am ausgesprochen-
sten in der unteren Epiphyse und im oberen Teile der Diaphyse
des Femur, während an der unteren Epiphysenlinie das Mark
verhältnismässig zellreich ist und nur wenig zellarmes Zwischen-
gewebe zeigt. Fettzellen sind fast gar nicht zu sehen. Die
Epiphysenlinien sind verschmälert, hauptsächlich auf Kosten der
Zone der Knorpelwucherung und der hypertrophischen Zellsäulen.
Die Gorticalis zeigt kaum Veränderungen, dagegen ist das spon-
giöse Knochengewebe in der unteren Epiphyse und an der
Epiphysenlinie deutlich verringert. Im oberen Drittel der Dia-
physe des Femur ist ein grösserer, in Organisation begriffener
Thrombus in der Markhöhle vorhanden. An der Scapula ist die
Gorticalis verschmälert und die Spongiosa verringert. Das Mark
ist ebenfalls zellarm, mit einem feinfadigen Zwischengewebe.
In weiteren Stadien wird die Gorticalis atrophisch, zum
Teil wird sie rarefiziert, das heisst von weiten Markräumen und
erweiterten Ha v er s sehen Kanälen durchzogen, was namentlich
auf Querschnitten deutlich zu Gesicht kommt; es stellt dann die
Gorticalis keine zusammenhängende kompakte Masse dar, die nur
von engen Haversschen Kanälen durchzogen ist, sondern sie
besteht aus einzelnen, unregelmässig gestalteten Knochenbalken
mit tiefen Lakunen. Das gewucherte Periost bricht an manchen
Stellen durch die Gorticalis in die Markhöhle hinein. Diese
Atrophie ist naturgemäss nicht gleichmässig über die ganze
Gorticalis verteilt, sondern beschränkt sich auf einige Stellen;
hauptsächlich ist sie deutlich in der Diaphyse dicht unterhalb
der Epiphysenlinie; dort kommt es auch am häufigsten zum
totalen Schwunde der Gorticalis. Die Folge davon ist, dass sich
die Epiphyse gegen die Diaphyse winkelig abknickt, entweder
nur auf einer Seite oder auf beiden Seiten, wodurch es zu Ver-
zerrungen und totaler Zerstörung der endochondralen Ossifikations-
grenze kommen kann.
Der Knorpelüberzug der Epiphysen verliert ebenfalls seine
normale Dicke, wird stellenweise atrophisch und zeigt sich von
innen her wie ausgenagt durch Bildung von Lakunen.
Die Spongiosabälkchen nehmen an Zahl und Dicke erheb-
lich ab, namentlich in der Epiphyse und in der Diaphyse an der
Ossifikationsgrenze; letztere selbst verschmälert sich weiter auf
Kosten des wuchernden Knorpels und der hypertrophischen
Knorpelzellsäulen, manchmal war auch die Zone der vorläufigen
Verkalkung die Ursache der Verschmälerung.
16 Bartenstein, Beiträge zur Frage
Das dritte Stadium bildet das Stadium der Spontaufrakturen.
In der Diaphyse und an der Epiphysengrenze treten mehrfach
Infraktionen oder Spontanfrakturen auf, die oft zu erheblichen
Dislokationen der Bruchenden führen. Die Umgebung ist blutig
imbibiert, ebenso sind in der Markhöhle auch an Stellen, die von
der Fraktur entfernt liegen, Blutungen sichtbar. Die Epiphysen-
linie ist meist zerstört, von einer normalen endochondralen Ossi-
fikation ist überhaupt keine Rede mehr.
Die Spongiosa ist vollkommen verschwunden. Das Knochen-
mark zeigt entweder grosse Partien von feinen sternförmigen und
spindeligen Zellen mit spärlichen Rundzellen, oder es hat sich
zum grössten Teil namentlich in den peripheren Teilen in ein
etwas derberes, faseriges Gewebe mit reichlich spindeligen Kernen
umgewandelt, was an der Epiphysengrenze die Regel ist. Die
Zahl der G-efasse ist stark vermindert, hin und wieder sind grössere
oder kleinere Inseln von normalem lymphoiden Mark sichtbar.
Eine Vermehrung des osteoiden Gewebes ist nicht vorhanden.
An den Frakturstellen ist nirgends eine Andeutung von
Callusbildung oder eine deutliche Reaktion von Seiten des
Periostes zu sehen.
Periostale Blutungen sind nicht zu beobachten, mit Aus-
nahme an den Frakturstellen, wo sie als sekundär entstanden
aufzufassen sind. Ebenso sind die Blutungen in die Markhöhle
an den frakturierten Knochen als sekundär zu betrachten. Kleine
primäre Blutungen in das Knochenmark sind dagegen beobachtet,
bei Tier No. 21 sogar eine grössere, die zu einem umfangreichen
Thrombus führte. Häufig sind auch kleine Herde von amorphen
Pigmentablagerungen, namentlich um die Gefässe herum, sichtbar.
Wir haben hier also eine Erkrankung vor uns, die mit einer
Degeneration des Knochenmarkes beginnt, sekundär zu einer
Atrophie des Knochens unter gesteigerter Resorption und mangel-
hafter Knochenneubildung namentlich an der endochondralen
Ossifikationsgrenze führt. Infolge der atrophischen osteo-
porotischen Beschaffenheit der Knochen kommt es schliesslich
zu Spontanfrakturen, ohne besonders nachweisbare hämorrhagische
Diathese.
Sehen wir uns in der Literatur nach ähnlichen Knochen-
erkrankungen bei Tieren um, so finden wir einzelne Angaben.
Miura und Stoeltzner*) fütterten einen 6 Wochen alten Hund
^) Zieglers Beiträge. Bd. 24. Über die bei juDgen Händen durch
kalkarme Fütterung entstandene Knochenerkranknng.
des kuDAtlicben Morbus Barlow bei Tieren. 17
grosser Rasse ungef&hr 7 Wochen lang mit kalkarmer Nahrang
(Pferdefleisch, Speck, destilliertes Wasser). Bei der mikroskopischen
Untersuchung fanden sie überall statt der kompakten Knochen-
rinde ein weitmaschiges Netzwerk, welches aus Knochenbälkcheu
bestand, die grössere und kleinere Resorptionsräume umschlossen.
Die kalkhaltigen Knochenbalken waren überall an der Oberfläche
umsäumt von zarten Anlagerungen kalkloser Knochensubstanz.
Die Cambiumschicht des Periostes war verdickt. Die Knorpel-
wucherungsschicht war überall auffallend breit, an manchen
Stellen um mehr wie das Doppelte verbreitert. Die Zellsäulen
verliefen vielfach unregelmässig und durchflochten sich zopfartig.
Die Zone der provisorischen Verkalkung war überall in normaler
Form und Ausdehnung vorhanden. Das Knochenmark war
hyperämisch, an manchen Stellen enthielt es viel Fettzellen, sonst
zeigte es keine Yeränderungen. Sie definieren die Skelett-
erkrankung ihres Hundes als eine allgemeine Osteoporose mit
rachitisähnlichen Yeränderungen am Periost und am unverkalkten,
wuchernden Knorpel.
Oswald^) berichtet über eine abnorme Knochenbrüchigkeit
und „Lecksucht" bei Rindern. Diese beiden Krankheiten können
einzeln oder zugleich bei einem Tier vorkommen. Sie sind be-
dingt durch den Mangel an phosphorsaurem Kalk im Futter, wie
dies auch von anderen Autoren angegeben wird. In der Schweiz
wird diese Krankheit vulgär als „Hinsch oder Semper" be-
zeichnet, und man unterscheidet einen „Trockenhinsch*, d. h. die
eigentliche Lecksucht, und den eigentlichen „Hinsch", d.h. die
KnochenbrQchigkeit. Bei der Lecksucht entwickelt sich allmählich
ein unbezähmbarer Trieb, die heterogensten Stoffe zu belecken,
zu benagen und aufsSunehmen, während die eigentliche Fresslust
immer mehr abnimmt.
Die Tiere magern ab, die sichtbaren Schleimhäute werden
blass, das Haar rauh und glanzlos, die Haut trocken, hart und
fest anliegend. Bei der Knochenbrüchigkeit, welche als Leiden
für sich oder mit lecksüchtigen Symptomen vergesellschaftet
auftreten kann, zeigen sich bald Krankheitserscheinungen in den
Extremitäten.
Der Gang ist gespannt und schmerzhaft, die Tiere wechseln ^
^) Oswald, Über Knochenbrüchigkeit und Lecksucht. Deutsche
tierärztl. WocbeDsehr. 1895. No. 38. Zitiert nach einem Referat im
Centralbl. f. allgem, P«thol. VII. Bd. 1896. p. 605.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 1. 2
18 Barten stein, Beiträge zur Frage
beim Stehen häufig mit den Füssen, trippeln hin und her, äussern
Schmerzen beim Aufstehen und Niederlegen, ^obei ein eigen-
tumliches Knacken in den Gelenken wahrgenommen wird. Die
krankhaften Veränderungen, welche an den Knochen entstehen,
verleihen denselben so wenig Widerstandsfähigkeit, dass schon
bei ganz normalem Verhalten (z. B. einem kleinen Seitensprung)
Knochenbrüche eintreten können. Beide Krankheiten befallen am
häufigsten Jungvieh, hochtragende Tiere und Kühe in der grössten
Laktationsperiode; sie treten beim Weidegang und bei der Grün-
fütterung fast garnicht auf, sondern meist einige Wochen nach
begonnener Trockenfütterung.
Sie kommen häufiger in trockenen Jahren vor als in nassen;
Arbeitsochsen erkranken fast garnicht an derselben, da diese nur
die Ausgaben für ihren Körper zu bestreiten haben und ausser-
dem noch stets wegen ihrer Arbeitsleistung kalk- und proteinreiche
„Kraftfuttermittel" als Zugabe erhalten.
Durch Darreichung von Futterknochenmehl kann man
therapeutisch der Krankheit vorbeugen, namentlich aber durch
eine richtige Wiesenkultur, wodurch ein an £iweisssto£Pen und
Kalkphosphat reiches Futter produziert wird. Genauere histologische
Untersuchungen über die Art der Knochenerkrankung liegen leider
nicht vor.
Morpurgo^) ist es gelungen, durch Infektion mit einem
Diplococcus an neugeborenen oder nur wenige Tage alten weissen
Ratten hochgradige Skelettveränderungen zu erzielen. Die Impf-
versuche auf andere Tiere, Kaninchen, Meerschweinchen und
Mäuse, waren negativ. Den Diplococcus hatte Morpurgo ge-
legentlich einer Epidemie von Knochenerkrankungen an weissen
Ratten seines Versuchsstalles herausgezüchtet. Der allgemeine
Gesundheitszustand der geimpften jungen Tiere blieb verhältnis-
mässig lange ein guter und normaler. Erst im Laufe des 2. oder
3. Lebensmonats, mitunter auch später, wurden die Tiere weniger
lebhaft, magerten ab, bekamen struppiges, gelbliches Haar und
fingen an, Gestaltsveränderungen zu zeigen. Wegen der stärkeren
Krümmung der Wirbelsäule und der Beugung der Extremitäten
nach innen verkürzte und erniedrigte sich der Körper; der Gang
wurde schaukelnd und träge. Unter Erscheinungen von Marasmus
gingen die Tiere relativ kurze Zeit nach dem Auftreten der
^) Morpurgo, Durch Infektion hervorgerufene malazische und
rachitische Skeiettvcränderungen an jungen weissen Ratten. Centralbl. f.
allgem. Pathologie. XIII. Bd. 1902. pag. 118.
des kuDstliohen Morbus Barlow bei Tieren. 19
Skelettveränderangen zugrunde. Sämtliche Knochen zeigten Yer-
biegungen und Verdickungen, sie waren z. T. kürzer als normal.
Die Knochensubstanz war wenig resistent. Die Knochenenden Hessen,
sich mit einem dünnen, scharfen Messer bis tief in die Diaphyse
hinein leicht einschneiden. Die Substanz sämtlicher Knochen war
sehr blutreich. Die meisten Knochenveränderungen entsprachen
jenen, die er bei den erwachsenen kranken Ratten beobachtete^),
die zwar eine grosse Ähnlichkeit mit der Osteomalacie des
Menschen hatte, sich nicht aber mit ihr deckte; der Knochen-
schwund blieb immer vorherrschend, und das Mark der langen
Röhrenknochen wurde nie durch Bindegewebe ersetzt, wie letzteres
bei der bindegewebigen Knochenentzündung der Fall ist. Auf-
fallend und den jungen Ratten eigen sind die pathologischen Er-
scheinungen an den Epiphysen, am ausgesprochensten an der
unteren Femur- und vorderen Rippenepiphyse, und zwar sind die
in der epiphysären Ossifikationszone der jungen Ratten gefundenen
Yeränderungen jenen der menschlichen Rachitis ganz ähnlich.
In den untersuchten Frühstadien brechen vom Markraume her
Sprossen von von Osteoklasten begleitetem, blutgefässführenden,
zellig-faserigen Gewebe in die Knochensubstanz ohne vorbereitende
Wirkung von Osteoclasten ein. Diese Sprossen treten mit den
Haversschen Kanälen in Verbindung, und infolge von Erweiterung
der letzteren und fortschreitender Invasion der Sprossen, nach
Art von perforierenden Kanälen, wird die feste Knochenrinde in
eine von fibrösem Mark ausgefüllte spongiöse Substanz verwandelt.
Der Knochenabbau ' wird durch Osteoklasten weiter befördert.
Zugleich findet eine vermehrte Halisterese statt. Schliesslich
kann die durch faseriges Mark nach innen aufgetriebene Knochen-
rinde die Markhöhle fast ganz erfüllen und das Mark bis auf
geringe Reste in der Umgebung der zentralen Geisse verdrängen.
An den Epiphysen ist eine breite unregelmässige Zone wuchernden
Knorpels zu sehen, unter welcher eine hohe Schicht von dicken,
netzartig verbundenen Osteoidbalken sich vorfindet. Das Mark-
gewebe ist tief in die Diaphyse verdi'ängt. Die Zone der
proliferierenden Knorpelzellen ist an vielen Stellen von einem
zelligfaserigen, gefässführenden, einerseits mit deih Periost
andererseits mit dem Mark zusammenhängenden Gewebe durch-
wuchert. Eine kontinuierliche Verkalkungslinie existiert nicht.
») Morpurgo, Über eine infektiöse Form der Osteomalacie bei weissen
Ratten. Zieglers Boitr. z. pathol. Anat. XXVIll. Bd. 1900. pag. 620.
0»
20 Bartenatein, Beiträge zur Frage
Endlich sei die noch von Aasset*) erwähnte Pneumo-
enteritis der jungen Schweine berücksichtigt, die an den Knochen
ein ähnliches Krankheitsbild darbieten soll wie bei Barlowscher
Krankheit.
Abgesehen vielleicht von einigen klinischen Symptomen^
finden wir keine Ähnlichkeit dieser bei Tieren beobachteten
Knocheoerkrankangen mit der bei unseren Meerschweinchen.
Sehen wir uns ii;i der menschlichen Pathologie nach ähnlichen
Erkrankungen der Knochen und des Knochenmarkes um, so lässt
sich ohne weiteres die Osteomalazie als eine ganz andere Er-
scheinung kurzer Hand zurückweisen, da der Knochen bei den
Meerschweinchen nicht weich und schneidbar, sondern spröde und
bruchig wurde.
Ebenso verhält es sich mit der Rachitis. Das Bild der
Rachitis ist beherrscht durch die Wucherung des äusseren und
inneren Periostes (Ziegler) und die vermehrte Bildung von
osteoidem Gewebe; das lymphoide Knochenmark wird nur sekundär
verdrängt, und ebenso ist der Knochenschwund bei der Rachitis
nur die Folge der übermässigen Wucherung des inneren Periostes.
Ahnliche, wenn auch nicht dieselben Erscheinungen, wie
z. B. in dem 3. Stadium der Knochenerkrankungen unserer
Meerschweine, finden wir bei der Ostitis deformans. Bei dieser
kann der Knochenschwund sowohl die Spongiosa, als auch die
Coiiikalis der Knochen betreffen und verursacht an letzterer eine
Osteoporose, welche die Festigkeit des Knochens bedeutend
herabsetzen kann. Im Gebiete des spongiösen Knochens können
die Knochen bälkchen ganz schwinden und durch ein fetthaltiges
oder gallertiges oder fibröses, zellarmes (Osteomyelitis fibrosa)
Gewebe ersetzt werden. Tritt bei der Ostitis deformans stellen-
weise infolge einer gesteigerten Resorption eine Schwächung des
Knochens ein, so kann es zu Ausbiegungen oder sogar zu
Knickungen des Knochens kommen, und es treten diese beiden
Erscheinungen namentlich an den grossen Röhrenknochen auf.
Bei starker Nachgiebigkeit des Knochengewebes können auch die
Knochen zusammensinken; es kommt dies namentlich an der
Wirbelsäule vor, an der einzelne Wirbel die Form eines Keiles
^) Ausset, La maladie de Barlow. Annales de medec et chir. Infant.
1904. No. 9.
des künstlichen Morbus Barlow bei Tieren. 21
annehmen können, sodoss die Wirbelsäule eine mehr oder minder
starke Kyphose erhält.
Noch mehr ähnliche Bilder gewähren namentlich nnsere
Anfangsstadien mit der von Ziegler^) beschriebenen Osteotabes
infantum. Hier wie dort finden wir in den Anfangsstadien herd-
weise beginnend einen Schwund der freien Zellen des lymphoiden
Markes und dafür eine ziemlich homogene Masse, die sich mit
Hämatoxylin bläulich färbt und in der spärliche, enge Gefässe
und wenige sternförmige und spindelige Zellen mit feinen Aus-
läufern vorhanden sind, auftreten. Diese Degeneration des Markes
bezeichnet Ziegler als Gallertmark. Weiterhin stellt sich bei der
Osteotabes infantum eine Erweiterung der Markräume durch
Enochenresorption ein. Durch diese Resorption, die lediglich
vom Marke aus erfolgt, werden bei weiterem Fortschreiten des
Prozesses nicht nur die Markhöhlen erweitert und die Spongiosa-
bälkchen zerstört, es geht auch die Corticalis unter Verbreitung
<les Prozesses auf die Haversschen Kanäle zum grossen Teile
zugrunde. Auch im Endstück der Diaphysen kann es zu einem
vollkommenen Schwunde der Balken der Spongiosa, sowie auch
•der Corticalis kommen. Erreicht in den platten Schädelknochen
der Enochenschwund die Corticalis, so wird dieselbe durch-
brochen; es zeigen sich dann an der Aussen- oder Innenfläche
graue oder auch rote Flecken von durchscheinender BeschafiFen-
heit. Ähnliche Flecken waren bei den Meerschweinchen zwar
nicht am Schädeldach, aber am Unterkiefer zu beobachten.
Die enchondrale Ossifikation ist bei der Osteotabes infantum
zunächst noch normal, d. h. solange, als die Veränderungen im
Mark die Ossifikationsgrenze nicht erreicht haben. Greift die
Erkrankung auch auf dieses Gebiet über, so treten Störungen
•derselben ein, indem die Einschmelzung und die Substitution des
Knorpels durch Knochen sich nicht mehr in normaler Weise
vollziehen können. Bei unseren Tieren traten relativ frühzeitig
in diesem Gebiete Störungen auf.
Periostale Blutungen hat Ziegler nicht gesehen, wohl aber
Blutungen im Knochenmark, sowohl an den Rippen, als an dem
Oberschenkel. Frakturen wurden nicht von ihm beobachtet.
Ob die bei den Meerschweinchen im dritten Stadium der
1) Ziegler, Über Osteotabes infaDtam und Rachitis. CentralblatC
f. allgem. Pathologie. XII. Bd. 1901. pag. 865.
22 Bartenstein, Beiträge zur Frage
Frakturen beobachtete fibröse Entartung des Knochenmarke»
auch bei der Osteotabes infantum in den späteren Stadien zu
beobachten ist, geht aus den Angaben von Ziegler nicht hervor.
Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass grosse
Ähnlichkeiten zwischen beiden Krankheiten vorhanden sind.
Eine ganz andere Frage ist es, in welcher Beziehung die
Osteotabes der Meerschweinchen, die Osteotabes infantum und
die Möller-Barlowsche Krankheit zu einander stehen. Ziegler
identifiziert die Osteotabes infantum und den Morbus Barlow
zwar nicht, fasst aber beide als ein Leiden der ersten Kinder-
jahre auf, welches in erster Linie durch eine eigenartige Er-
krankung des Knochenmarks, verbunden mit gesteigertem, innerem
Knochenschwunde und zugleich mit mangelhafter Knochenneu-
bildung, charakterisiert ist und sekundär infolge mangelhafter
Funktion des Knochenmarkes zu Anämie und zu Hämo-
philie fuhrt.
Auch andere Autoren glauben, dass eine Beziehung zwischen
beiden Erkrankungen besteht. Stooss^) hat bei seinem Fall IV,.
einem klinisch typischen Fall von Barlow scher Krankheit, ganz
ähnliche histologische Veränderungen am Knochenmark gefunden^
wie sie Ziegler bei der Osteotabes infantum beschreibt. Seine
Präparate sollen von den Abbildungen, die Ziegler gebracht
hat, keine wesentlichen Abweichungen aufweisen. Ebenso glaubt
Heubner^), dass der histologische Charakter der Barlow sehen
Krankheit „in mehr als einer Beziehung" der Osteotabes infantum
(Ziegler) analog ist.
Wie gross die Beziehungen und Ähnlichkeiten der Osteo-
tabes der Meerschweinchen und der Möller-Barlowschen
Krankheit sind, kann ich nicht mit Sicherheit entscheiden, da
ich leider nicht Gelegenheit hatte, einen Fall von Barlow histo^
logisch zu untersuchen.
Zum Schluss muss ich noch des näheren auf die Ätiologie
sowohl der Knochenerkrankung unserer Meerschweinchen, al&
auch der Möller-Barlowschen Krankheit eingehen. Bolle hatte
einen eklatanten Einfluss auf die Erkrankung zu Ungunsten der
1) M. Stooss, Barlowsche Krankheit (Skorbut der kleinen Kinder).
Korrespondenzblatt *für Schweizer Ärzte. 1908. No. 15.
') He üb n er, Über Barlowsche Krankheit. Berliner klin. Wochen-
schrift. 1903. No. 13.
des künstlichen Morbus Barlow bei Tieren. 23
langen Sterilisation der Milch gesehen. Ich habe darin keinen
Unterschied gefunden; es war gleich, ob die Tiere mit roher
oder mit hochsterilisierter Milch ernährt waren, sie erkrankten
alle gleich schnell und in gleicher Weise, wenn auch vielleicht
zugegeben werden muss, dass die hochsterilisierte Milch einen
etwas ungünstigeren Einfluss auf die Lebensdauer der Tiere
ausübte, als die rohe Milch. Auf die Schwere der Erkrankung
und die Ausbreitung der pathologischen Veränderungen an Mark
und Knochen hatte aber die Sterilisation absolut keinen Einfluss.
Die schwersten Veränderungen — Frakturen — finden wir gerade
bei den Tieren (No. 17, 18, 25 u. 26), die mit roher oder kurz
abgekochter Milch ernährt worden waren. Eine Erklärung dieses
Widerspruches, in dem ich mich mit Bolle befinde, glaube ich
darin zu suchen, dass Bolle die Beikost für die einzelnen Tiere
nicht genau dosiert, sondern mehr oder minder ad libitum
verabreicht hat, zumal er zugibt, dass es bei der Nachprüfung
seiner eigenen Versuche sehr schwer war, die Resultate von früher
wieder festzustellen. Dass individuelle Unterschiede unter den
Tieren bestehen, muss ich zugeben, da auch ich bei manchen
Tieren trotz langer Versuchsdauer nicht so schwere Veränderungen
antraf, wie sie entsprechend der Zeit der Einstellung nach
Analogie von anderen Tieren zu erwarten waren. Vielmehr möchte
ich die Ätiologie in der Milch an und für sich selbst suchen, als
einer für Meerschweinchen ungeeigneten und unzweckmässigen
Nahrung, zumal die Tiere mit ausschliesslicher Milchnahrung
nicht längere Zeit am Leben zu erhalten waren.
In der neueren Zeit nehmen die meisten Autoren, gestützt
allein auf die klinische Beobachtung und Erfahrung, an, dass für
das Zustandekommen eines Morbus Barlow die Sterilisation der
Milch nicht das einzige ursächliche Moment bildet. Anscheinend
sind es sehr verschiedene Fehler in der Ernährungsweise, Ver-
wendung von Nährpräparaten, Gaertnersche Fettmilch oder zu
stark verdünnte unzweckmässige Milch-Mehl-Nahrung, die zur
Erkrankung führen können. Heubner meint, dass das einzig
Gemeinsame das sei, dass die Nahrung zur Siedehitze erwärmt
worden ist, und sieht darin die Schädigung. Stooss dagegen
sieht wohl darin einen Schaden, dass Fermente zerstört werden,
dass die zitronensauren Salze verändert werden (Netter), oder
dass Störungen in der Ealkresorption und -Retention eintreten
(Cronheim und Erich Müller). Dies genüge aber, wie die
24 Bartenstein, Beitr&ge zur Frage
tausendfache Erfahrung lehre, für sich allein gewöhnlich nicht, den
Organismus krank zu machen. Das weitere Gemeinsame scheint
ihm aber das zu sein, dass die Nahrung in irgend einer Richtung
qualitativ ungenügend ist. Dies trifft zu für die mehligen Nähr-
präparate, die Gaertn ersehe Fettmilch und für die Ernährung
mit zu dünnen Milch- und Schleimabkochungen. Allerdings
muss dann ferner angenommen werden, dass ein Defizit in ganz
bestimmter, aber uns noch unbekannter Richtung notwendig ist.
Die Kombination der Sterilisation mit qualitativ ungenügender
Nahrung kann noch schädlicher wirken, ebenso wie wiederholtes
Sterilisieren die Schädigung noch zu vermehren scheint. Schliesslich
muss dann noch die individuelle Disposition herangezogen werden,
sodass bei erhöhter Disposition ein Faktor allein genügt, um die
Erkrankung herbeizuführen.
Beziehungen zwischen Barlowscher Krankheit und dem
Skorbut der Erwachsenen werden von den meisten nicht geleugnet.
Beide haben das gemeinsam, dass ganz offenbar Fehler in der
Ernährungsweise das Ausschlaggebende sind. Beiden Erkrankungs-
formen gemeinsam ist auch der Erfolg der Behandlung. Durch
die Erkenntnis, dass die fehlerhafte Ernährungsweise das Mass-
gebende ist, und durch rationelles Vermeiden dieser Schädlich-
keiten ist der Skorbut der Erwachsenen eine Seltenheit geworden.
So berichtet Stooss^), dass auf Nansens Fram kein einziger
Skorbutfall sich ereignet hat. Dagegen soll die Expedition der
englischen geographischen Gesellschaft in die südlichen Polar-
gegenden auf der „Discovery" von schwerem Skorbut heimgesucht
worden sein. Zitronensaft wurde ohne Erfolg angewendet.
Konserven, welche infolge Leckage des Schiffes verdorben waren,
sollen die Ursachen des Ausbruches der Krankheit gewesen sein.
Nansen soll davon überzeugt sein, dass der Skorbut bei arktischen
und antarktischen Expeditionen durch verdorbene Nahrung hervor-
gerufen wird, und zwar durch sterilisierte, schlecht verschlossene
Nahrungsmittel.
Auf Grund dieser Erfahrungstatsache unternahm ich es,
junge Hunde mit einer sogenannten „Dauermilch" längere Zeit
zu ernähren. Bekanntlich wird Milch durch die gewöhnlichen
Methoden der Sterilisation — Erhitzen im strömenden Dampf
1) Stooss, 1. c.
des künstlichen Morbus Barlow bei Tieren. 25
längere Zeit hindurch — nicht steril erhalten, wenigstens nicht im
bakteriologischen Sinne. Eine gewisse Art von Bakterien, namentlich
die peptonisier^nden (Flügge), sind gegen diese Art der Erhitzung
resistent. Bei längerer Aufbewahrung derartig erhitzter Milch
können diese Bakterien mehr oder minder grosse Veränderungen
in der Milch hervorrufen, sodass sie schon mit den gröbsten
Hilfsmitteln erkannt werden können.
Zu diesem Zwecke erhitzte ich einen grossen Yorrat von
Milch in sogenannten Patentverschlussflaschen im strömenden
Dampf 2 Stunden lang und bewahrte dieselben in einem massig
kühlen Räume 1 — 5 Monate lang auf, ehe sie zur Verfutterung
an die Hunde kamen. Grob sichtbare Zersetzungen der Milch
waren nur in wenigen Flaschen vorhanden, in einzelnen unter
starker Gasentwicklung. Diese wurden natürlich nicht ver-
füttert.
Im ganzen wurden 4 junge Hunde eingestellt, die sich un-
gefähr am Ende des 2. Lebensmonats befanden. Von diesen
wurde einer 6Va Monat, ein anderer 5^8, ein dritter 6 Monat
und der vierte l^a Monat ausschliesslich mit 2 Stunden lang
erhitzter, 1 — 5 Monat aufbewahrter Milch ernährt. Eine andere
Ernährung war absolut ausgeschlossen, da die Tiere gut isoliert
in verschlossenen Käfigen gehalten wurden. Die Tiere nahmen
nach einer vorübergehenden Abnahme meist fortlaufend an Gewicht
zu, wie die untenstehende Tabelle der Gewichtszahlen zeigt, wenn
sie auch sonst etwas gegen anders ernährte Hunde zurückblieben.
Ein Panniculus wurde nur spärlich angesetzt. Krankheits-
erscheinungen boten sie kaum dar. Sie waren alle immer agil
und munter und zeigten niemals Symptome, die auf eine Knochen-
erkrankung hätten schliessen lassen können. Ein Hund No. Hl
verlor an mehreren Körperstellen die Haare. No. IV. ging nach
einer eitrigen Augenentzündung l^/g Monat nach der Einstellung
zugrunde. Die Obduktion, die aus äusseren Gründen nicht von
mir persönlich vorgenommen werden konnte, ergab keinen Befund.
An den Knochen waren keine Veränderungen sichtbar. No. lU
und IV waren von ein und demselben Wurf. Nach Beendigung
der Versuche wurden die Tiere bei gemischtem Futter noch eine
Zeitlang beobachtet. Auch in dieser Zeit boten sie keine ab-
normen Erscheinungen dar.
26
Bartenstein, Beitr&ge zar Frage
I.
IL
IIL
IV.
22. XII. 08
800g
_
__
_
3. I. 04
1050 .
—
—
"~~
19. I.
1187 „
1812 g
—
29. I.
1160 „
1240 ,
—.
—
8. IL
1165 ,
1350,
—
—
8. II.
—
—
1320 g
1410 g
12. IL
1240 „
1470 ,
1200 ,
1300 „
29. IL
1480 „
1860 ,
1120 n
990 .
8. III.
1730 „
2460 ,
1210 „
1100 ,
19. III.
1575 ,
2340,
1185 ,
970 ,
24. IIL
1790 ,
2500,
1250 «
t
7. IV.
1910 ,
2790 ,
1165 „
—
23. IV.
2290 ,
3100 ,
1210 „
—
2. V.
2480 ,
3350.
1245 „
—
16. V.
2300 ,
8286 ,
1105 „
—
26. V.
2460 ,
8550 ,
1150 „
—
3. VL
2590 „
8680 ,
1100 „
—
13. VL
2820 „
4310,
1300 „
—
23. VL
3630 «
5090 ,
1560 «
—
1. vn.
3220 „
Versa eil
beendet
5180,
1590 ,
10. VII.
3650 g
5880,
Versuch
beendet
1840 .
Versuch
beendet
1. VIII.
4250 g
6070 g
1960 g
—
Diese Versuche sind also mit demselben negativen Resultate
verlaufen, wie die, über welche Keller*) berichtet hat. Es lasst
sich daraus nur der Schluss ziehen, dass für junge Hunde aus-
schliessliche Ernährung mit Milch, die lange Zeit sterilisiert und
aufbewahrt worden ist, keine genügende Schädigung ist, um
eine Knochenerkrankung oder eine Bari ow sehe Krankheit hervor-
zurufen. Der Hund ist also kein genügend feines Reagens
zum Studium dieser Frage. Es sollen diese Versuche gelegent-
lich an Affen wiederholt werden.
Versuchs-Protokolle.
No. I.
Anfangsgewicht 218 g, Endgewicht 190 g, Versuchsdauer 3 Tage.
5 Minuten gekochte Milch.
0 L c.
des köDstlichen Morbus Barlow bei Tieren. 27
ObduktioDsbefaiid: Magen und D&nndarm leer; Blinddarm stark er-
weitert and mit dickem, z&hen Kot angefüllt. Schleimhaut des Dünndarms
und Peritoneum leicht iniiciert. Knochen o. B.
No. II.
Anfangsgewicht 165 g, Endgewicht 180 g, Yersuchsdauer 4 Tage.
10 Minuten gekochte Milch.
Obduktionsbefund: Magen und Dünndarm leer, im Blinddarm reichlich
zäher Kot, im Dickdarm einige Eotballen. Peritoneum und Magenschleimhaut
leicht, Dünndarmschleimhaut stark iniiciert. Knochen o. B.
No.III.
Anfangsgewicht 221 g, Endgewicht 181 g, Yersuchsdauer 5 Tage.
30 Minuten gekochte Milch.
Magen und Dünndarm leer. Blinddarm mit zähem Kot stark an-
gefüllt. Magenschleimhaut dnnkelrot, die des Dünn- und Dickdarms eben-
falls stark iniiciert In den Lungen kleine Infiltrationsherde. Knochen o. B.
No. IV.
Anfangsgewicht 237 g, Endgewicht 186 g, Yersuchsdauer 5 Tage.
Rohe Milch.
Starke Gastroenteritis. Blinddarm stark gefüllt. Knochen o. B.
No. V.
Anfangsgewicht 212 g, Endgewicht 180 g, Versuchsdauer 5 Tage.
15 Minuten gekochte Milch.
Starke Gastroenteritis, wie bei den ersten Tieren. Zu beiden Seiten
der Wirbelsäule neben den Nieren befinden sich 2 retroperitoneal gelegene
Abszesse mit dickbreiigem Eiter, der reichlich Diplokokken und Eiter-
korperchen enthält. Knochen o. B.
No. VI.
Anfangsgewicht 218 g, Endgewicht 182 g, Yersuchsdauer 6 Tage,
2 Stunden gekochte Milch.
Starke Gastroenteritis. Peritoneum leicht gerötet, spiegelnd. Knochen o.B.
No. YII.
Anfangsgewicht 237 g, Endgewicht 180 g, Yersuchsdauer 8 Tage.
10 Minuten gekochte Milch.
Sehr starke Gastroenteritis. Peritoneum gerötet. Blinddarm mit
zähem, hellen Kot angefüllt. Knochen o. B.
No. YIII.
Anfangsgewicht 210 g, Endgewicht 184 g, Yersuchsdauer 9 Tage.
Hohe Milch.
Peritoneum und Magenschleimhaut leicht gerötet, Dünndarmschleimhaut
stark gerötet. Blinddarm mit zähem, hellgelben Kot gefüllt. In der linken
Lunge einzelne pneumonische Herde. Der rechte Femur bricht bei verhältnis-
mässig geringer Kraftaufwendung oberhalb der Condjlen in einer Spirallinie
durch, während der linke Femur mit einer gleichen oder grösseren Kraft-
aufwendung nicht zu brechen ist. An den übrigen Knochen kein Befund.
28 Barten stein, Beiträge zur Frage
No. IX.
Anfangsgewicht 828 g, Bndgewicht 250 g, Versnchsdaaer 9 Tage.
15 Minaten gekochte Milch.
Massige Gastroenteritis. Peritoneum leicht gerötet. Rechte Niere er-
heblich kleiner als die linke, höckerig, aaf dem Durchschnitte interstitielles
Bindegewebe gewuchert. Knochen o. B.
No. X.
Anfangsgewicht 755 g, Endgewicht 490 g, Versuchsdauer 10 Tage.
2 Stunden gekochte Milch.
Massige Gastroenteritis. Kleine Blutungen in der Magenschleimhaut.
Leber Terfettet, hyperämisch. Knochen o. B.
No. XI.
Anfangsgewicht 570 g, Endgewicht 395 g, Versachsdauer 10 Tage
1 Stunde gekochte Milch.
Gastroenteritis. Blind- und Dickdarm mit fast schwarzem, dicken,
zähen Kot angefüllt. Einzelne kleine Blutungen in der Magenschleimhaut.
Knochen o. B.
No. XII.
Anfangsgewicht 260 g, Endgewicht 235 g, Versuchsdauer 13 Tage.
1 Stunde gekochte Milch.
Peritoneum leicht gerötet. Gastroenteritis. Blind- und Dickdarm stark
mit zähem, hellen Kot gefüllt. Lungen hyperämisch. Knochen o. B.
No. XIII.
Anfangsgewicht 395 g, Endgewicht 275 g, Versuchsdauer 18 Tage.
80 Minuten gekochte Milch.
Peritoneum gerötet, spiegelnd. Gastroenteritis. Im Fundus des Magens
eine oberflächliche Blutung. An den Unterschenkeln tritt bei Überstreckung
im Kniegelenk eine Fraktur an den Epiphysenlinien ein. Sonst kein ab-
normer Befund an den Knochen.
No. XIV.
Anfangsgewicht 430 g, Endgewicht 808 g, Versuchsdauer 10 Tage.
2 Stunden gekochte Milch.
Das Tier wurde, wie die folgeuden, in einem Drahtkäfig gebalten und
2 stündlich mit Milch gefüttert.
Obduktionsbefund: Magen aufgetrieben, im Fundus kurz vor dem
Pylorus eine sackartige Erweiterung; die Serosa an dieser Stelle ist be-
sonders intensiv gerötet. In dieser Ausstülpung liegen 2 kirschkern grosse
dunkelgraabraune Körper, der eine davon direkt vor dem Pylorus. Dieselben
bestehen aus zusammengefilzten Haaren. Die Magenschleimhaut, nameutlieh
in der sackartigen Erweiterung, ist schmutzig graurot verfärbt und der
Perforation nahe. Dünndarmschleimhaut stellenweise stark iniiciert. Peri-
toneum leicht gerötet, spiegelnd. Blind- und Dickdarm reichlich mit zähem,
dunklen Kot gefüllt. Knochen o. B.
des künstlioheii Morbus BatIow bei Tiereo. 29
No. XV.
Anfangsgewicht 430 g, Endgewicbt 295 g. Versuchsdftaer 14 Tage.
5 — 10 Minuten gekochte Milch.
2 standlich goffittert.
Peritoneum leicht gerötet, gl&nzend. M&ssige Gastroenteritis. Blind-
darm mit heilem, zähen Kot gefüllt.
Knochen o. B.
No. XVI.
Anfangsgewicht 665 g, Endgewicht 880 g. Versuchsdauer 31 Tage.
2 Standen gekochte '/s Sahne, */s Milchmischung 4* ^^^ g Hea pro die.
Peritoneum leicht gerötet, spiegelnd. Ulcus duodeni nahe dem
Durchbrach; ebenso im Danndarm 2 kleine Ulcera. Schleimhaut des Blind-
darms zum Teil gerötet. Knochen makroskopisch o. B. Femur in Müller
gehärtet, Entkalkuog in schwefliger Säure. Das Knochenmark ist diffas
durchsetzt von kleinen, blassbläulich gefärbten, bei schwacher Vergrösserung
fast homogen erscheinenden Herdeu, in denen bei starker Vergrösserung
spärliche sternförmige Zellen mit feinen Ausläufern zu sehen sind. Zwischen
diesen Herden liegen Haufen von Ijmphoiden Zellen. Gorticalis normal,
nar an einzelnen Stellen weite Markräume mit zellarmem Mark gefüllt und
starke laknnäre Knochenresorption. Epiphysengrenze nicht mehr yorhanden.
Spongiosa etwas verringert.
No. XVII.
Anfangsgewicht 197 g, Höchstgewicht 215 g, Endgewicht 142 g.
Versnchsdauer 27 Tage.
5 Minuten gekochte '/i Sahne, */i Milchmischung -|- 2 g Heu -{■ 1— 2 g
Weizenkleie.
Gegen Ende des Versuches werden die Hinterbeine geschont.
Im Duodenum einzelne Blutungen. Schleimhaut des Dünn- und
Blinddarmes stellenweise gerötet. Milz Tergrössert. Fraktur des linken
Femur. Fraktur des rechten Unterschenkels. Frakturen beider Vorderarme.
Die unteren Skapalarränder umgeknickt, Blutungen in der Muskulatur da-
selbst. Becken, Wirbelsäule und Unterkiefer morsch und spröde.
Femur: Winkelfraktnr mit starker Dislokation. Keine Gallusbildung.
An der Frakturstelle fast totaler Schwund der Gorticalis. Vollkommener
Untergang der Spongiosa. Epiphysenlinie bis auf wenige Trümmer zerstört.
Alte Blutungen in der Markhöhle. Das Mark besteht aus einem faserigen
Gewebe mit spindeligen Kernen an der Frakturstelle und am unteren Ende
der Diaphyse, sonst noch Ijmphoides und Fettmark Yorhandon.
Unterarm: Querschnitt. Gorticalis stark atrophisch und rareflziert;
sie besteht nur aus einzeln isolierten, mit tiefen Lacunen versehenen un-
regelmässigen Knochenbalken, zwischen die ein zellarmes Mark oder das
gewucherte Periost hineindrängt. Reichlich Fettzellen, wenig freie Rundzellen.
Leber und Milz o. B.
No. XVIII.
Anfangsgewicht 145 g, Höchstgewicht 170 g, Endgewicht 105 g.
Versuchsdauer 27 Taga.
5—10 Minuten gekochte Vt Sahne, '/< MUchmischung + 2 g Heu
-}- 1 — 2 g Weizenkleie pro Tag.
30 Bartenstein, Beiträge zur Frage
SehoDt gegen Schinss des Versuches die Extremitäten und liegt platt
auf dem Bauche.
Schrägfraktnr des rechten Oberschenkels. Infraktion des linken Ober-
schenkels. Fraktur beider Unterarme. Epiphjsenlösung oben am rechten
Hnmerus. Der Unterkiefer zeigt mehrere runde, graurötliche Flecken, an
denen die Corticalis fehlt. Becken und Wirbelsäule spröde und morsch.
Rechter Femur: Winkelfraktur in der Diaphyse ohne CallusbilduDg.
Blutungen in die Umgebung. Corticalis stark atrophisch uud rarefiziert,
namentlich an der unteren Epiphysengrenze; durch Abknickung der unteren
Epi- gegen die Diaphyse Zerstörung der Ossifikationsgrenze. Spongiosa bis
auf kleine Reste verschwunden. Das Mark besteht aus faserigem Gewebe mit
spindeligen Kernen, dazwischen kleine Inseln von lymphoiden Mark- und
einigen Fettzellen.
Linker Femur: Corticalis atrophisch, namentlich am unteren Ende der
Diaphyse, so dass die Epiphyse sich abgeknickt hat, dadurch Zerstörung der
Epiphysengrenzlinie; das Mark dort faserig, sonst meist lymphoid mit
reichlichen Riesenzellen.
Niere und Leber o. B.
No. XIX.
Anfangsgewicht 72 g, Endgewicht 60 g. Yersuchsdauer 5 Tage.
2 Stunden gekochte Vs Sahne, */> Milch + ^ g H^^* Frisst sehr
schlecht, nimmt kaum von der Milch.
Kein Obduktionsbefund.
Femur: Verschmälerung der unteren Epiphysengrenze. Mark zell-
reich und gefässreich, mit einzelnen kleineren zellarmen Partien durchsetzt,
namentlich in der unteren Epiphyse.
Tibia-Querschnitt am oberen Drittel der Diaphyse. Die Tibiakante
von erweiterten Markräumen durchsetzt. Mark gefössreich, massig zellreich,
im Zentrum an freien Zellen ärmer. Einige Fettzellen und reichlich fein-
fädiges Zwischengewebe.
No. XX.'
Anfangsgewicht 88 g, Höchstgewicht 110 g, Endgewicht 85 g.
Yersuchsdauer 31 Tage.
2 Stunden gekochte if« Sahne, «/«Milch-f 2 g Heu + 2 g Kleie.
Kleie wird schlecht gefressen.
Schleimhaut des Dünndarms an einigen Stellen injiziert.
Am Unterkiefer kleine runde Löcher; bricht beim Präparieren ab.
Becken spröde und morsch. Keine sichtbaren Prakturen.
Humerus: Verringerung der Spongiosa. Epiphysenlinie verschmälert,
daselbst faseriges Mark, sonst gefassreiches Lymphoid-Mark.
Scapula: Corticalis atrophisch; Mark stellenweise zellarm.
No. XXI.
Anfangsgewicht 90 g, Höchstgewicht 105 g, Endgewicht 96 g.
Versuchsdauer 9 Tage.
2 Stunden gekochte V« Sahne, ^ji Milch -|- 2 g Heu.
Im Duodenum und Dünndarm leichte Injektion der Schleimhäute.
Knochen leicht brechbar.
des künstlichen Morbus ßarlow bei Tieren. 31
Scapala: Corticalis atrophisch. Verringerung der Spongiosa. Im
Mark zahlreiche stark gefüllte Gef&sse. Die freien Markzellen auf kleine
Häufchen reduziert, dazwischen ein feinfädiges Stützgewebc.
Femur: Epiphysengrenzen auf Kosten der Zone der Knorpelwuoherung
und hypertrophischen Zellsäulen verschmälert. Spongiosa in der Diaphyse
Terriogert. Corticalis normal. Im oberen Drittel der Diaphyse befindet sich
ein grösserer in Organisation begriffener Thrombus in der Markhöhle.
Das Mark ist zellarm, die Zellen um die engen Gefässe angeordnet,
das Zwischengewebe besteht ans hellen, sternförmigen und spindeligen Zellen
mit feinen Ausläufern.
Humerus: Befund wie am Femur.
No. XXII.
Anfangsgewicht 75 g, Höchstgewicht 102 g, Endgewicht 95 g.
Versuchsdauer 33 Tage.
2 Stunden gekochte V4 Sahne, */« Milch + 2 g Heu + 2 g Kleie.
Gegen Ende des Versuches Decubitus der Fusssohlen.
Serosa des Dünndarms an einigen Stellen gerötet. Unterer Skapular-
rand umgebogen. Becken spröde und morsch.
Femur: Corticalis z. T. atrophisch, z. T. rarefiziert; Spongiosa Ter-
ringert. Mark trägt lymphoiden Charakter, an den Epiphysengrenzen
jedoch faserig, sonst einzelne zellärmere Partien darin verstreut, wenig
Fettzellen.
Humerus: Befund wie am Femur.
Schädeldach: normal. Niere: 0. B.
No. XXIII.
Normales Tier. Gewicht 150 g.
No. XXIV.
Anfangsgewicht 115 g, Höchstgewicht 125 g, Endgewicht 105 g.
Versuchsdauer 81 Tage.
Rohe V« Sahne, V« Milch + 2 g Heu + 1 g Kleie.
Vier Tage vor dem Tode Konvulsionen.
Serosa des Duodenums an einigen Stellen gerötet. An der rechten
Tibia an der oberen Epiphysengrenze eine frische Blutung, Epiphysen-
absprengung. Knochen spröde und morsch.
Humerus: Corticalis stellenweise atrophisch und zerklüftet. Spongiosa
verringert. An der oberen Epiphysenlinie feines fibröses Mark und Ab-
lagerungen von Pigmentkörnchen.
Femur: Verschmälerung der Epiphysenlinien. Corticalis atrophisch
und zerklüftet. Spongiosa verringert. Am oberen Ende der Diaphyse das
Mark mehr homogeu, gallertig, am unteren Ende mehr faserig. In der oberen
Epiphyse zellarmes Mark.
Tibia: Obere Epiphysengrenze z. T. zerstört; keine Bildung von
osteoidem Gewebe. Spongiosa stark vermindert. Corticalis z. T. atrophisch,
zerklüftet, namentlich am oberen Ende der Diaphyse.
An der Epiphysengrenze faseriges Mark, sonst zahlreiche Herde von
zellarmem, homogenem, gallertigem Marke.
32 Bartenstein, Beiträge zar Frage
Scapula: Gorticalis an eiDzelnen Stellen atrophisch. Spongiosa ver-
ringert.
Milz: 0. B. Niere: Kleiner Infarkt
No. XXV.
Anfangsgewicht 75 g, Höchstgewicht 122 g, Endgewicht ^ g.
Versuohsdaaer 61 Tage.
Rohe V4 Sahne, ^U Müch + 2 g Heu + 2 g &Ieie.
Bewegungen der Hinterbeine werden mit der Zeit sehmeFahAft, ge-
braacht dieselben nicht als Stütze, liegt platt auf dem Baache. Starke Ab-
magerang. Am Ende der Dorsal Wirbelsäule eine deailiche Kyphose der
Wirbelsäule. Unmittelbar hinter dem Pyloros im erweiterten Duodenum
2 flache Ulcera, das eine linsen-, das andere hanf körn gross. Mesenterialdrüsen
geschwollen. Rechter unterer Scapularrand umgebogen. Becken äusserst
morsch und spröde, ebenso die Wirbelkörper.
Humerus: Corticalis atrophisch und am oberen Ende der Diaphjse
zerklüftet, rarefiziert. Humeruskopf gegen den Schaft abgeknickt. Spongiosa
Terringert. Mark sehr geiässreich, um die Gefässe Pigmentablagerungen. An
der oberen Epiphysengrenze Mark feinfaserig mit spindeligen Kernen und
PigmentablageruDgen.
Femur: Corticalis atrophisch. Spongiosa zum grössten Teile ver-
schwanden.
In der Diaphjse an der Epiphysen grenze derbes zellarmes Mark mit
Pigmentablagerungen, sonst homogenes, gallertiges nnd lymphoides Mark
herd weise abwechselnd. In der unteren Bpiphyse hauptsächlich Gallertmark.
Wirbelsäule: Keilförmiges Zusammensinken eines Wirbelkörpers, leichte
Kompression des Rückenmarkes. Stark atrophische Corticalis, z. T. yölliger
Schwund. Spongiosa vermindert. Im lymphoiden Mark reichlich Pigment-
ablagerungen um die Gefässe.
Scapula: Totale Umknickung des unteren Randes um 180o. Atrophie
von Corticalis und Spongiosa.
Schädeldach: normal.
Niere, Milz, Leber o. B.
Duodenum: Grosses Geschwur mit ausgedehnten Blutungen.
No. XVI.
Anfangsgewicht 157 g, Endgewicht 107 g.
Versa chsdauer ^5 Tage.
Rohe Vi Sahne, »/i Milch -f 2 g Heu -f 1 g Kleie.
Vor dem Exitus klonische Krämpfe.
Schleimbaut des Magens und Dünndarms leicht gerötet.
Von der rechten Spina ant. sup. des Beckens am Oberschenkel
herabziehend eine subkutane und intramuskuläre Blutung. Rechter Femur
frakturiert. Fraktur des linken Femur. Becken morsch, dito Unterkiefer
und Wirbelsäule.
Linker Femur: In der Mitte der Diaphyse eine Querfraktur mit Ver-
schiebung ad longitudinem und mit Blutungen in die Markhohle und um-
gebenden Weichteile. Keine CallusbiJdung. Im oberen Drittel der Diaphyse
eine alte Blutuog in die Markhöhle. Enchondrale Ossiflkationsgrenze ver-
• des küiwtliclien Morbas Bmrlow bei Tieren. 38
schmälert. Spongiosa der Diaphjse ganz vergchwanden, di« der Epiphjse
stark verringert Corticalis der Dia- and Epiphysen and der Patella atrophisch,
rarefiztert, an der unteren Epiphysengrenze mehrfach eingebrochen. Das
Marie ist diffas zellarm, gallertig, namentlich in der anderen Bpiphyse.
Die freien Zellen sind auf einzelne Häafchen am die Gef&sse b«achr&nkt.
An der unteren Epiphjraengrenze faseriges Mark.
Rechter Femar: Im oberen Drittel der Diaphyse eine Winkelfmktar
mit aasgedehnten Blutungen. Corticalis atrophisch. Gef&ssreiohes Mark.
Hnmerus: Epiphysenlinien yerschin&iert. Corticalis atrophisch.
Spongiosa verringert. Mark stellenweise zellarm, gallertig.
Hnmerus: Querschnitt. Corticalis wenig atrophisch. Mark stellen-
weise zellarm.
Niere o. B.
No. XXVII.
AnfaBgsgewicht 71 g, Höchstgewicht 95 g, Endgewieht 82 g.
Versnohsdaaer 87 Tage.
2 Standen gekochte Vs Sahne, >/, Milch + 2 g Hea + 1 g Kleie.
Gangrftn der Fasssohlen. Punktförmig« Blutangen im Magen. Milz
vergrössert. Becken und Wirbelsäale spröde und morsch.
Femur: Verringerung der Spongiosa. Corticalis zum Teil atrophisch.
ZeUreiches, gefässarmes Mark.
Hamerns: Verschmälerang der Epiphyeenlinie and der Knorpeilage an
der Gelenkfläche der Epiphyse. Verringerong der Spongiosa. Corticalis zum
Teil atrophisch. Im oberen Drittel der Diaphyse ein feinfaseriges Mark mit
spindeligen Kernen, sonst zell- und gefässreich.
Unterschenkel: Querschnitt: Corticalis an einer Seite Ton weiten Mark-
räumen durchzogen. Zellarmes, fettreiches Mark.
Niere o. B.
No. XXVIII.
Anfangsgewicht ^ g, Höchstgewicht 100 g, Endgewieht 85 g.
Versachsdaaer 87 Tage.
2 Standen gekochte >/> Sahne, Vs Milch + 2 g Hea + l g Kleie.
Gangrän der Fasssohlen. Im Dickdarm mehrere Blutungen.
Femar: Verschmälerang der Epiphysenlinie. Verringerang der
Spongiosa in Dia- und Epiphyse. Atrophie der Corticalis. Im unteren
Drittel der Diaphyse feines, faseriges Mark mit spindeligcn Kernen. In der
Epiphyse und an einzelnen Stellen der Diaphyse zellarmes, gallertiges Mark.
Humerus: Verlust der Spongiosa. Teilweise Atrophie der Corticalis.
Geftssreiches, lymphoides Mark.
Kniegelenk: Atrophische Corticalis.
Humerus: Querschnitt. Atrophische und rarefizierte Corticalis.
Querschnitt durch die Fusswurzelknochen. Starke Atrophie und
Rarefikation der Corticalis.
Dickdarm: Blutungen in die Mucosa und Muscularis mit Zerstörung
der Mucosa.
Niere o. B.
No. XXIX.
Anfangsgewicht 84 g, Höchstgewicht 107 g, Endgewicht 100 g.
Nach 24 Tagen getötet.
Jahrbach f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft l; 3
34 Barten stein, Beiträge zar Frage »
Rohe Vi Sahne, '/, Milch + 2 g Hea + 1 g Kleie.
Becken und Unterkiefer morsch.
Femnr: Gorticalis am unteren Ende der Diaphyse atrophisch und
rarefiziert, Spongiosa stark yerringert. Zelireiches Mark mit reichlich Fett-
und Pigmeotzellen.
Humerus: An der enchondralen Ossifikationszone keine Knochenneu«
bildnng. Spongiosa verringert. Gorticalis an einzelnen Stellen Ton weiten
Markr&umen durchzogen. Zellreiches Mark.
Milz und Niere o. B. In der Leber eine kleine frische Blutung.
No. XXX.
Anfangsgewicht 105 g, Höchstgewicht 114 g, Endgewicht 83 g.
Versuchsdauer 23 Tage.
5 Minuten gekochte ^t Sahne, '/> Milch -f- 2 g Heu + ^ S Kleie.
Pemur: Gorticalis zum Teil atrophisch. Epiphjsenlinie yersohmälert.
. Verringerung der Spongiosa in Dia- und Epiphjse. Im unteren Ende der
Diaphyse feines faseriges Mark mit spindeligen Kernen. Sonst diffus
gallertiges Mark mit Häufchen von freien Zellen. Einzelne frische Blutungen
im Mark.
Humerus: Befund wie am Femnr.
Unterschenkel: Querschnitt. Gorticalis an der Tibiakante atrophisch
rarefiziert; das gewucherte Periost bricht durch die Gorticalis ein. Das
Mark au dieser Stelle fibrös zellärmer.
Niere o. B.
No. XXXI.
Anfangsgewicht 93 g, Höchstgewicht 105 g, Endgewioht 94 g.
Versuchsdauer 24 Tage.
5 Minuten gekochte ^/i Sahne, */s Milch H~ ^ fi[ ^^^ 4' ^ g Kleie.
Becken, Wirbelsäule und Unterkiefer spröde und morsch.
Femur: Epiphysengrenze verschmälert; Spongiosa verringert. Gorticalis
stellenweise atrophisch. Am unteren Ende der Diaphyse eine schmale Zone
von faserigem Gewebe mit spärlichen freien Zellen.
Humerus: Befund wie am Femnr. Das Mark stellenweise zellarm.
Unterschenkel: Querschnitt. Gorticalis zum Teil von erweiterten
Haversschen Kanälen durchzogen. Mark zellarm.
Milz, Niere und Leber o. B.
No. xxxn.
Normales Tier. Gewicht 90 g.
No. XXXIII.
Anfangsgewicht 100 g, Höchstgewicht 208 g, Endgewicht 168.
Versuchsdauer 53 Tage.
5—10 Minuten gekochte V» Sahne, »/i Milch + 2 g Heu + 1 g Kleie.
Decubitus an den Fusssohlen.
Nicht untersucht.
No. XXXIV.
Anfangsgewicht 120 g, Endgewicht 148 g.
Versuchsdauer 20 Tage.
des künstlichen Morbus Barlow bei Tieren.
35
5—10 Minuten gekochte Vi Sahne, */s Milch + ^ g Hea + l g Kleie.
Nicht untersucht.
Anhang.
Die histologische Untersuchung der mit Kuhmilch ernährten
Meerschweinchen hatte eine mehr oder minder starke Atrophie
der Knochensubstanz ergeben; es lag nahe, dass damit gleich-
zeitig eine Verarmung des Organismus an Kalksalzen Hand in
Hand gehe. Ich versuchte dies dadurch nachzuweisen, dass ich
den Gesamt-Kalk- Gehalt von normalen und von der einseitigen
Milch-Ernährung unterworfenen Tieren bestimmte. Zu diesem
Zwecke wurden die Tierleichen gefroren, der Inhalt von Magen, Darm
und Blase möglichst entfernt und das ganze Tier gut zerkleinert;
nach Trocknung auf dem Wasserbade wurde der Rest zu einem
feinen und gleichmässigen Pulver verarbeitet. Von diesem Pulver
wurden möglichst grosse Mengen 2 — 5 g zur Kalkbestimmung
genommen und die gefundenen Werte von CaO auf 100 g fett-
Ireie Trockensubstanz berechnet.
CaO
Normales Tier
120 g
No. 34: 148 g
20 Tage Versuchsdauer
No. 33: 168 g
53 Tage Versuchsdauer
10,36
8,93
8,58
100 g fettfreie
Trockensubstanz
enthalten :
Es hat also bei den beiden untersuchten Versuchstieren der Ge-
samtkalkgehalt um 1,43 bezw. 1,78 pCt. abgenommen, oder dieselben
weisen nur 82,81 pCt. des Normalkalkgehaltes auf. Die untersuchten
Tiere zeigten nicht so schwere Veränderungen an den Knochen
(Frakturen), wie sie bei anderen. Tieren z. T. beobachtet wurden,
sodass anzunehmen ist, dass bei weiter fortgeschrittenen Stadien
der Kalkgehalt noch weiter sinkt.
Worauf die Kalkverarmung beruht, ob auf verminderter
Resorption oder vermehrter Ausscheidung, lässt sich nicht ohne
weiteres entscheiden.
III.
Zur Wirkung der Fettdarreidiuiig auf den
S&uglingsstoffiprecbseL
VOD
Dr. WALTHER FREUND,
Aulstenten der Klinik.
Aus einer grossen Zahl yon Untersachangen ist die Tatsache
als gesichert hervorgegangen, dass beim Säuglinge die einen ge-
wissen Betrag überschreitende Fettzufuhr regelmässig eine Reihe
von Veränderungen im Mineralstoffwechsel hervorruft, deren am
längsten und besten studierte Begleiterscheinung die konstante
Erhöhung der Ammoniakausscheidung durch den Urin ist, bekannt-
lich der grundlegende Befund fQr die Czerny-Eellersche
Hypothese von der Säureintoxikation bei vielen chronischen Er-
nährungsstörungen des Säuglingsalters.
Wir wissen, dass die Fettzufuhr eine Acidose hervorruft,
deren Wesen nicht darin besteht, dass vermehrte oder abnorm«
Säuren im intermediären Stoffwechsel unabgebaut bleiben und
ausgeschieden wei-den, wie dies nach Analogie mit dem Diabetes
von den ersten Untersuchern der Frage vermutet wurde. Viel-
mehr sind sowohl die Versuche des direkten Nachweises der
Säuren (Keller)*), als auch das indirekte Vorgehen, durch Gegen-
überstellung sämtlicher Säuren- und Basen äquivalente im Urin
einen eventuellen Basenüberschuss und damit die Anwesenheit
unbekannter Säuren zu erweisen [Freund (l)J^), ohne positives
0 Diese Versuche sind nicht pabliziert
)) Die Zahlen hinter den Autorennamen verweisen auf das Literatur-
verzeichnis am Schluss.
Freund, Zur Wirkung der Fettdarreichung etc. dl
Ergebnis verlaufen. Andrerseits gelang es Stein itz (2), durch
Utttersuchnngen über den Alkalistoffwechsel entscheidende Auf-
klärungen für die Frage der Acidose bei Fettzufuhr beizubringen.
Er fand als eine der wesentlichsten Ursachen derselben eine durch
das Fett konstant hervorgerufene Alkalientziehung durch den
Kot, infolge deren die Alkalien im intermediären Stoffwechsel zur
Neutralisation der zur Ausscheidung gelangenden Säuren nicht aus-
reichen, so dass vom Körper hierzu Ammoniak vorgeschoben werden
muss. Die von Steinitz (3) hierfür später gebrauchte Bezeicix-
nung relative Acidose soll zum Ausdruck bringen, dass es sich
nicht um ein Kreisen vermehrter Säuren, sondern nur um eine
Verminderujig der zur Verfügung stehenden Alkalien handelt, die
sich direkt darin zu erkennen gibt, dass sich bei Fettdarreichung
die Alkaliausfuhr durch den Urin — entgegen dem bei der wirk-
lichen, absoluten Acidose bekannten Verhalten — vermindert.
Indessen weist auch Steinitz darauf hin, dass es sich bei dem Ein-
flüsse des Fettes auf die Steigerung der Ammoniakausseheidung
nicht allein um die alkalientziehende Wirkung desselben handelt,
sondern dass noch ein zweites Moment in Betracht kommt, welches
auf den Organismus tatsächlich im Sinne einer Säurung wirkt
Dieses Moment ist das Verhalten der Phospliorsäureaugscheidung
bei Fettzufohr. Keller (4), dem wir die grundlegenden Unter-
suchungen über den Phosphorstoff Wechsel beim Säuglinge verdanken,
hatte bereits kurz die Aufmerksamkeit auf einen Untersohied in
der Phosphoraaure&usscheidung bei verschiedenen Arten der
künstlichen Ernährung gelenkt; er bestimmte bei magendarm-
kranken Säuglingen Stickstoff und Pbosphorsäure im Urin bei
Ernährung mit fettaraer und fettreicher Milch; dabei ergab sich
die Tatsache, dasa die relative Phosphorsäureausscheidung stets
bei Ernährung mit Magermilch niedriger als bei Ernährujag mit
Sahne war. Das gesetzmässige Verhalten der absoluten Werte
der Phosphorsäureausscheidung wurde in den Versuchen Kellers
dadurch rerdeekt, dass in den einander gegenübergestellten
Perioden von Magermilch- und Sahneemährung, infolge der ver-
aehiedenen Verdünnung der beiden Milcbarten, die Einfuhr von
Stickstoff und Phosphor sich sehr w^entlich unterschied. So
kam es, dass bei Keller die absoluten Werte der Pkosphorsäure-
ausseheidimg in den Magermilchperioden sogar wesentlich grösser
ausfielen, also gerade das entgegengesetzte Verhalten zeigten,
als die relativen Werte. Ich bringe kurz die hierhergehörigen,
von mir berechneten Durchschnittszahlen seiner drei Versuche.
88
Freund, Zur Wirkung der Fettdarreichung
Tabelle.
Gesamt-
Phosphors&ure-
Verhältnis
stiokstoffmenge
menge in mg
von
in mg
P.O5
P,Os:N
Kind J.
Abgerahmte
Müch
1148,95
303,06
1:8,8
Sahne
545,9
252,66
1:2,2
Kind M.
Sahne
Abgerahmte
529,55
281,05
1 : 1,85
Müch
2686,6
447,3
1 : 5,66
Sahne
559,5
247,3
1 : 2,3
Kind S.
Sahne
Abgerahmte
754,8
869,6
1 : 2,08
Milch
3271,16
734,6
1:4,1
Ich selbst (1) hatte dann spater Gelegenheit, mir über das
Verhalten der Phosphorsäure bei Fettzufahr Aufklärung zu ver-
schaffen, und zwar anlässlich des bereits oben erwähnten Versuchs
einer Gegenüberstellung der Säuren und Basen im Urin bei fett-
armer und fettreicher Ernährung, die sich, abgesehen vom Fett-
gehalt, in ihrer Zusammensetzung nicht wesentlich unterschieden.
(Gleichstarke Verdünnungen von Milch und Sahne.) Ich fand in
der Milchperiode eine Phosphorsäureausscheidung von 0,7707 g,.
die in der Sahneperiode auf 1,3310 g, also nahezu auf das
Doppelte anstieg. Das ebenfalls stark vermehrte Ammoniak hatte
demnach hier nicht allein die Stelle der auch hier stark ver-
mindert zur Ausscheidung gelangenden fixen Alkalien vikariierend
auszufüllen, sondern es musste auch das Äquivalent der mehr-
ausgeschiedenen Phosphorsäure decken. Die Ursachen der ver-
mehrten Phosphorsäureausscheidung im Urin bei Fettzufuhr auf-
zuklären, war in erster Reihe der Zweck der weiter unten
folgenden Untersuchungen. Es konnte sich a priori hierbei um
zwei Möglichkeiten handeln; einmal um eine tatsächliche Abgabe
von Phosphorsäure, um eine Störung der Phosphorbilanz, und
zweitens um eine Veränderung der Resorptionsbedingungen, d. h»
eine Verminderung der Phosphorausscheidung durch den Kot
unter dem Einflüsse der Fettzufuhr. Steinitz, der diese Möglich-
keiten diskutiert, hält die erstere für unwahrscheinlich mit Rück-
sicht darauf, dass bei der Annahme der Einschmelzung phosphor-
auf den Sau glingsstoff Wechsel. 89
haltigen Gewebes auch ein entsprechender Stickstoffverlust zu
konstatieren sein mQsste, was tatsächlich nicht der Fall ist.
Andererseits findet sich in der Literatur für die andere
Möglichkeit, dass sich unter dem Einfluss der Fettzufuhr die
Resorption des Phosphors steigere, und dadurch mittelbar eine
Mehrausscheidung im Urin herbeigeführt werde, kein direkter
Anhaltspunkt. Bekannt sind allerdings die Tatsachen, dass bei
animalischer Eost, die stets mehr oder minder fettreich ist, der
Eot nur kleine Mengen von Phosphorsäure enthält [Bischof (6),
Friedrich Müller (6)], während umgekehrt bei fettarmer vegeta-
bilischer Eost der Eot reichlich Phosphate ausführt, wohingegen
der Harn phosphorarm wird [Bischof (5), Weiske (7),
Bertram (8)]. Wie weit indessen hierbei der verschiedene Fett-
gehalt, wie weit andere Faktoren die Wege für die Ausscheidung
der Phosphorsäure bestimmen, lässt sich nicht erkennen. Ich
finde nur einen einzigen reinen Versuch, der hierauf einen Schluss
gestattet. Bischof (5) fütterte einen Hund in zwei Versuchs-
perioden mit täglich 1500 g Fleisch, unter Zugabe das eine Mal
von 30 g, das andere Mal von tOO g Fett. Hier blieb die Aus-
scheidung der Phosphorsäure im Eot in beiden Perioden die
gleiche, die Vermehrung des Nahrungsfettes zeigte sich also ohne
Einfluss.
Bevor ich auf meine zur Entscheidung dieser Frage beim
Säugling unternommenen Untersuchungen eingehe, möchte ich
noch über einige Vor versuche berichten, deren Zweck nur war,
die Regelmässigkeit des bisher nur in einem Falle erhobenen
Befundes der Steigerung der Phosphorausscheidung im Urin auf
Fettzufuhr hin zu beweisen. Es handelte sich durchweg um die
erwähnte Versuchsanordnung: Milch-Sahne in sonst gleicher
Eonzentration. Die Versuche sind teils von mir selbst an-
gestellt, teils hatte ich Gelegenheit, mich an entsprechenden Ver-
suchen im Laboratorium der Elinik mit Urinuntersuchungen zu
beteiligen. Die Durchschnittswerte der täglichen Phosphorsäure-
ausscheidung finden sich in folgender Tabelle:
Versuch I
Versuch II
Versuch III
Per. I (Milch)
0,3300
0,4030
0,6560
Per. (II Sahne)
0,6100
0,6275
0,7580
40 Freund, Zar Wirkung der Fettdarreichung
Hierdurch schien mir der in Rede stehende Befand g«&Q|^
gesichert, am aasf&hrlichere Stoffwechselunterauchungen lu seiner
Aufklärang ku begründen.
Yersach [ (b. dazu Tabelle I).
Krnst A. worde am 17. Dezember 1903 im Alter von V« J^^^ ^n den
städtischen Kinderhart ohne weitere Anamnese eingeliefert, und zwar in
schlechtem Ernährungszustände mit einem Körpergewicht mit 3450 g. £r
erholte sich bei Brusteni&hrung gut (17. Jannar 3800 g), erkrankte aber beim
Versuch eiaet Allaitement mixte mit '/s Milch -^ Hafersckleinif nahm bei
.wieder aosaehliesslieher Bmsternfthrang rasch ab (28. Januar 8330 g) und
erholte sich dann langsam bei Allaitement mixte mit Buttermilch; am
9» III. (Körpergewicht 3630 g) warde zu ausschliesslicher Buttermilch-
ernährung übergegangen, im Alter von 6 Monaten bei einem Körper-
gewicht von 3720 g, am 14. III. Beginn der I. Versaehsperiode bei
ttogeftnderter Emähnug. Da das Kind während der ganzen letzten Woehe
mit groaser Regel m&esigkeit 3 mal täglich fast zu den gleichen Zeiten ge-
formten, fettweichen, gelbbraunen Stahl von stets gleichem Aussehen und
etwa gleicher Menge entleert hatte, und dieses Verhalten während des Ver-
suches bestehen blieb, konnte ich die 1. Versuchsperiode bereits nach
2 Tagen beschliessen und dabei bis zu einem hohen Grade sicher sein, dass
das auf diese Zeit fallende Stuhlquantum tatsächlich einer zweitägigen
Nahrungsmenge entsprach. Nun begann eine Zugabe von 16,5 g Butter
pro Tag, und zwar zunächst während einer etwas mehr als 24 stündigen
Z wischen periode und dann während einer darauf folgenden dreitägigen
2. Versuchsperiode. Über den Stuhl während der Butterperiode entnehme ich
meinem Protokoll folgende Notizen:
I. Tag: Imal festweicher, breiiger, reichlicher Stuhl (40 g), heller
als früher, übelriechend,
n. Tag: Imal teils geformter, teils breiiger, reichlicher Stuhl (50 g).
Imal wie der vorige, nur immer heller (40 g);
Imal fest (mit Blntspuren) geformt, fast weiss (30 g);
III. Tag: Imal reichlich, geformt weissgelbgrau (Glaserkitt), immer
stinkender (50 g);
Imal dünnbreiig, hell (40 g);
Imal fest geformt mit dünnbreiigen Partien, fast weiss (30g).
Versuch II (s. Tabelle II).
Roman S. wurde am 4; Jan. 1904 im Alter von 1 Monat ohne Anamnese
in sehr elendem Znstande in den städtischen Kinderhort eingeliefert; das
Körpergewicht bei der Aufnahme betrug 3040 g. £r erholte sich zunächst
bei Brosternährung, nahm aber infolge versuchter Zufüttcrnng von V> Milch
-f Haferschleim, auch bei wieder ausschliesslich verabreichter Frauenmilch
stark ab, am 28. I. Körpergewicht 2960 g, um gleich darauf bei vorsichtig
eingeleitetem Allaitement mixte mit zunächst einer Mahlzeit Buttermilch
stark zuzunehmen und sich sichtlich zu erholen (Farben, Motilität.) Am
auf den S&aglingsstoffvrechsel.
41
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;0
42 Freund, Zur Wirkung der Fettdarreichung
10. März, bei einem Korpergewicht yon 3680 g, erfolgte der Übergang zu
ausschliesslicher Buttermilohern&hrnng. Am 14. März, im Alter von 3 Monaten,
bei einem Körpergewicht von 3780 g, Beginn der 1. Yersuchsperiode. Auch
dieses Kind hatte lange vor dem Versuch mit grosser Regelmässigkeit täglich
4 — 5 breiige oder dünnbreiige Stuhlentleerungen von sattgelbor Farbe und
yerhielt sich diesbezüglich während der 1. Yersuchsperiode ganz unverändert,
so dass ich auch hier mit grösstmögliohster Wahrscheinlichkeit eine gleich-
massige Verteilung des Stuhls auf die Yorsuchszoit yoraussetzen darf.
Während der nachfolgenden Itägigen Zwischenperiode und 3tägigeu Fett-
periode erhielt das Kind zur Buttermilch einen Zusatz von sehr stark konzen-
trierter, durch die Zentrifuge gewonnener Frauenmilchsahne. Schon während
der Zwischenperiode machte sich eine deutliche Veränderung im Aussehen
des Stuhles geltend, der gebundener und heller als vorher wurde und nur
2 mal erfolgte. Während der 2. Versuchsperiode erfolgte am 1. Tage 4 mal,
am 2. Tage Imal, am 3. Tage 3 mal breiiger bis festweicher, sehr heller,
aber nicht ganz weisser Stuhl.
Bezüglich der Methodik beider vorstehenden Versuche ist
noch hinzuzufügen, dass dieselben gleichzeitig ausgeführt wurden,
und zwar auf der Säuglingsabteilung des nebenamtlich unter
meiner Leitung stehenden städtischen Einderhorts, dessen Ein-
richtungen die erfolgreiche Durchführung derartiger Untersuch-
ungen ermöglichen. Die Art des AufFangens der Exkrete war die bei
uns übliche. Was die analytischen Methoden betrifft, so kam für
die Fettbestimmung in der Nahrung die Gerbersche Acidbutyro-
metrie in Anwendung; in den Fäces wurde zur Bestimmung der
Grösse: „Fettsäuren aus Gesamtfett ** der Trockenkot zwecks
Spaltung der Seifen mit salzsaurem Alkohol erst eine Zeitlang
gekocht und dann eingedampft, der Rückstand in äer üblichen
Weise im Soxhl et sehen Apparat mit Äther extrahiert. Die
Zahlen der Tabelle geben das Gewicht dieses bei 50 — 60® zur
Eonstanz getrockneten Ätherextraktes. Die Fettsäuren aus un-
löslichen Seifen wurden derart bestimmt, dass dem Trockenkot
zunächst durch Extraktion mit Alkohol, dann mit Äther im
Soxhletapparat Neutralfett, Fettsäuren und Alkaliseifen entzogen
wurden, worauf ich erst die allein noch vorhandenen unlöslichen
Seifen der Spaltung mit salzsaurem Alkohol, mit nachfolgender
Ätherextraktion unterwarf.
Die Ammoniakbestimmungen habe ich nach der Erüger-
R eich sehen Methode (9) ausgeführt, die nach einer Reihe von
Paralleluntersuchungen Resultate von grosser Eonstanz gibt, in-
dessen beim systematischen Vergleich mit der Schlösingschen
Methode stets etwas höhere Werte liefert als diese letztere. Ich
auf den Säuglingsstoffwechsel.
43
lasse hier eine Reihe solcher Porallelbestimmangen folgen, ohne
entscheiden zu können, welche Werte die korrekteren sind.
Für den Yorliegenden Zweck, für den es lediglich auf Ver-
gleichswerte ankam, bot die Erüger-Reichsche Methode jeden-
falls den Vorteil weit schnellerer Ausführbarkeit.
N
Ammoniakwerte in ccm jrr-Lösung.
Urin 1.
. 2.
» 3.
» 4.
» 5.
Nach Krüger-Röich
4,15
3,9
8,8
7,0
6,25
Nach Schlösing
3,6
3,3
3,15
6,3
5,85
Versuch III wurdeyon den Kollegen Steinitz undWeigert zu
anderen Zwecken auf der Einderklinik ausgeführt; er bestand darin,
dass ein bei Ernährung mit ^/i Milch -f- Mehlsuppe befindliches,
5*/4 Monate altes Eind in einer Versuchsperiode von 2 Tagen diese
Nahrung, in einer zweiten, gleichfalls nur 2tägigen Periode dazu
taglich ca. 30 g Phosphorlebertran erhielt. Ich beteiligte mich an
der Untersuchung, indem ich Stickstoff und Phosphor in (Irin und
Eot bestimmte. Die Ergebnisse dieses Versuches, der trotz der
Eürze der Versuchsperioden und trotz des Mangels der Phosphor-
zahlen in der zugeführten Nahrung für meine Frage wohl ver-
wertbar ist, finden sich in folgender Tabelle HI.
Daner
in
Tagen
Ernährung
M(
Nahrung
inr
mgen ^
Urin
^on
Trocken-
kot
N
Urin
PtO»
NH.
Koeffls.
K
ot
PiOb
V« Milch
Per. I
2
-f- Mehlsuppe
+ Zucker
Vs Milch
1000
356
11,2
1,555
0,2688
9,9 pCt.
0,2679
0,4648
Per. II
2
-|- Mehlsuppe
+ Zucker
-^- Lebertran
1000
166
25,6
0,9718
0,2793
16,4 pCt.
0,4009
0,3259
44 Freand, Zar Wirkung der Fettdarreich an g
BespreehuBg der Yersuchsergebnisse.
I. Das Verhalten der Phosphorsäare bei Fettzufuhr.
Eine gleichzeitige Erörterung gestatten die Versuche I und II,
da sie in jeder Beziehung bis in die kleinsten Einzelheiten einen
gleichartigen Verlauf und gleichartige Zahlenergebnisse aufweisen.
Angesichts dieser vollkommenen Übereinstimmung fallt der Um-
stand nicht ins Gewicht, dass die in den 2 Perioden erzielten
Ausschläge sich in massigen Grenzen halten. Zwei Kinder von
gleichem Körpergewicht, die bei bisher gleicher Ernährung und
Nahrungsmenge ein gleiches klinisches Verhalten gezeigt haben,
erhalten eine gleich grosse Zugabe von Fett zur Nahrung; bei
beiden wird die Fettmenge auf das Sfache gesteigert; bei beiden
tritt eine charakteristische Veränderung der Fäces auf, im Sinne
grösserer Konsistenz, hellerer Farbe und Vermehrung der Trocken-
substanz; beide nehmen an Körpergewicht zu, und zwar in der
Fettperiode stärker als vorher, bei beiden zeigen die Nahrungs-
mengen, der eingeführte StickstofiF und Phosphor, die Urinmengen
während beider Versuchsperioden ein überraschend gleichartiges
Verhalten. Dass unter solchen Umständen auch schon massige
Ausschläge der Ausscheidungsgrössen für die einzelnen Stoff-
wechselelemente — iiatürlich auch hier die gleiche Über-
einstimmung vorausgesetzt — eine hinreichende Deutbarkeit er-
langen, verschafft uns in unserem Falle die willkommene Ge-
legenheit, die Wirkung der vermehrten Fettzufuhr zu studieren,
auch ohne dass wir mit der Höhe derselben, um eindeutige Ver-
such sresultate zu erhalten, bis an die Grenze dessen gehen
müssen, was man Kindern überhaupt zumuten kann. Betrachten
wir unter solchem Gesichtspunkt unsere Tabellen I und II, so
bemerken wir zunächst eine massige, aber übereinstimmende
Steigerung der Ammoniakkoeffizienten
im Falle I von 3,6 auf 5,0 pCt.,
59 » II » 3>8 „ 5,3 „
Wir finden weiter die erwartete Vermehrung der relativen
Phosphorsäureausscheidung (vgl. oben die Kellerschen Zahlen)
im Urin:
PjOgiN im Urin:
Periode I Periode II
Versuch I 1 : 6,1 1 : 4,4
Versuch II 1 : 4,7 1 : 3,7
auf den S&ttglingsstoffwechsel. 45
Aach die absolute Menge PsOg zeigt eine geringe, aber
wiederum übereinstimmende Vermehrung in der Fettperiode.
Wir sehen also, dass die bekannten Wirkaagen der Fett-
zufuhr auf die Zusammensetzung des Urins auch in diesen Ver-
suchen eingetreten sind, und wenden uns nun der Betrachtung
der Fäces zu.
Obgleich hier in beiden Versuchen die Trockenkotmenge
unter dem Einfluss der Fettvermehrung ansteigt, erkennt man ein
deutliches Absinken der Phosphorausscheidung. In beiden Fällen
ist eine nicht unbedeutende Verbesserung der Phosphorresorption
eingetreten. Diese stieg n&mlich
in Versuch I von 37,6 auf 46,5 pOt.,
in Versuch II von 46,0 auf 65,6 pCt.
des mit der Nahrung eingeführten Phosphors.
Dieses Verhalten findet sich nun weiterhin in noch aus-
gesprochenerem Grade (weil hier die Fettdarreichung eine weit
grössere) in unserem Versuch III. Hier ist in der Fettperiode die
Phosphorausscheidung durch denKot von 0,4648 auf 0,3259 herunter-
gegangen, wiewohl die Trockenkotmenge die enorme Steigerung
von 11,2 auf 26,6 g erfahren hat. (Bei einem derartigen Resultat
entkräftet sich natürlich der oben gestreifte Einwand zu kurzer
Versuchsdauer von selbst.)
Das klare Ergebnis der drei Versuche lautet daher: Zufuhr
von Fett (Kuhmilchfett, Frauenmilchfett, Lebertran) bewirkt eine
bessere Resorption von Phosphor, setzt die Phosphorausscheidung
durch den Kot herab.
Dieser primäre Vorgang dürfte nun wohl in der Regel eine
vermehrte Ausscheidung von Phosphorsäure im Urin zur Folge
haben, und demnach diesen bereits früher erhobenen und in der
Einleitung besprochenen Befund in vollkommener Weise aufklären.
Die Mehrausscheidung von Phosphorsäure im Urin erfordert
natürlich die äquivalente Mehrausscheidung von Ammoniak. Ob
es indessen hierzu kommt, hängt noch von einem anderen Momente
ab. Wenn nämlich gleichzeitig eine erhebliche Retention von
Phosphor im Körper stattfindet, so kann dies natürlich dazu
führen, dass trotz der grösseren Resorption von Phosphor, dennoch
dessen Ausfuhr durch den Urin nicht entsprechend oder
eventuell garnicht ansteigt. Wie steht es nun in unseren Fällen
I und II in dieser Beziehung? Beide Kinder befanden sich in
Zunahme und retinierten Phosphor, und zwar beide in der Fett-
46
Freund, Zur Wirkung der Fettdarreichung
periode in gesteigertem Masse; die entsprechenden Retentions-
zahlen lauten:
Versuch I
Versuch II
Periode I
+ 0,1016
+ 0,1575
Periode II
+ 0,1564
+ 0,2022
Auf diese Weise erklärt es sich, dass die Steigerung der
Urinphosphate — und damit auch des NHskoeffizienten — hier
nicht so hochgradig ausfiel, wie es der vermehrten Resorption
entsprochen hätte. Für Versuch III liegen leider die vollständigen
Bilanzen nicht vor, hier dürfte es aber aller Vermutung nach
ganz ebenso liegen.
IL Welches sind die Ursachen der vermehrten Phosphor-
resorption bei Fettdarreichung?
Die Phosphorsäure erscheint im Kot in Verbindung mit Kalk,
Magnesia und Eisen, wobei letztere beiden Basen gegenüber der
ersteren quantitativ weitaus zurücktreten. Angesichts des be-
sprochenen Verhaltens der Phosphorsäure war . es zunächst not-
wendig, die Ausscheidung des Kalks unter dem Einfluss der ver-
mehrten Fettzufuhr festzustellen. Ich habe mich hierbei auf die
Versuche I und II beschränkt und dabei gefunden, dass die Ealk-
ausfuhr im Kot in beiden Versuchsperioden nahezu die gleiche
blieb; die Zahlen lauten:
Versuch I
Versuch II
Periode I
1,0305
0,893
Periode II
0,9713
0,8247
So lag nun nahe, daran zu denken, dass ein Teil des Kalks
zur Seifenbildung verwendet und dadurch seiner Bindung mit
Phosphorsäure entgangen war. Die Entscheidung dieser Frage
erforderte die Bestimmung der unlöslichen (im wesentlichen Kalk-)
Seifen in den Fäces, die, nach der oben beschriebenen Methode
vorgenommen, das Ergebnis hatte, dass in der Fettperiode des
Versuches I 43,8 pCt„ in der des Versuches II 31,4 pCt. der ins-
gesamt ausgeschiedenen Fettsäuren als Kalk- (und Magnesia-)
auf den Säagliogsstoffwechsel. 47
seifen gebunden waren. Da in den I. Perioden beider Versuche
die Gesamtfettausscheidung nur miDimal war, erübrigte es, den
Anteil der Ealkseifen an ihr festzustellen. Es ist somit der Be-
weis für die Richtigkeit der oben ausgesprochenen Vermutung er-
bracht, dass bei Fettdarreichung ein Teil des Kalks anstatt, wie
vorher, als Galciumphosphat ausgeschieden zu werden, zur Seifen-
bildung verwendet und so der Bindung an Phosphorsäure ent-
zogen wird, die ihrerseits nunmehr in Form von Alkali- resp.
Ammoniaksalzen einer vermehrten Resorption unterliegt.
III. Sonstige Versuchsergebnisse.
Aus den Versuchstabellen verdienen noch einige andere
Punkte hervorgehoben zu werden, die einer kurzen Besprechung
bedürfen. Es zeigt sich in Versuch I in geringerem, in Ver-
such III aber in erheblichem Grade ein hemmender Einfluss des
Fettes auf die StickstofFresorption. Was für die Kohlehydrate
bereits längst aus einer grossen Anzahl von Stoffwechselversuchen
bekannt und zuerst von Keller (10) einer zusammenfassenden
Bearbeitung unterzogen worden war, dass sie nämlich die Resorption
des Stickstoffs verschlechtern, liess sich für das Fett bisher nur
aus dem Umstände vermuten, dass bei Fettzufuhr die Stickstoff-
ausscheidung im Urin regelmässig abnahm (cfr. die Versuche von
Steinitz), was immerhin kein eindeutiger, weil auch von der
Grösse der ev. N-Retention abhängiger Befund war. In dem
entgegengesetzten Verhalten der Phosphor- und der Stickstoff-
resorption bei Fettzufuhr liegt somit der Grund, warum die
Steigerung der relativen Phosphorsäureausscheidung im Urin
meistens deutlicher hervortritt, als die Steigerung der absoluten
Werte.
Schliesslich lohnt es noch, in Anbetracht der nur spär-
lichen, hierüber in der Literatur vorhandenen Angaben, die
Daten aus unseren Versuchen zusammenzustellen, aus denen
etwas über das Schicksal des Fettes selbst im Darm hervorgeht.
In der Stoffwechselkasuistik des Säuglingsalters ist nur wenige
Male die Resorption des eingeführten Fettes eruiert worden,
wobei noch hinzuzufügen ist, dass ein grosser Teil der Fett-
bestimmungen im Kot unter Vernachlässigung der gebildeten
Fettseifen, d. h. eines nicht abzuschätzenden Anteils des Kotfettes,
ausgeführt wurde.
48 Freund, Zar Wirkung der Fettdarreichung
Ich lasse die Zahlen hier folgen:
Ol
2
sog
C
Autor
so
Ernfthnng
i.5
S ■" 2 J
C3
SS
-2
1^
^l-s-
E
>
^
,^.2 S
fa 'TJ -^
n
Bendix (11)
Versuch I
6
Tage
Heubner-Hofmannsche
Mischung
23,65
11,01
Nachperiode
2
»
Dieselbe
22,34
8,89
Versuch II
3
1»
V» Milch mit Wasser
14,94
8,08
Bendix (12)
5
Tage
Verdünnte Milch
21,4
40,91
Lange and
p
Berend (13)
*©
Versuch I
5
Tage
Heubner-Hofmannsche
Mischung
30,16
34,8
5
•**
Versuch II
5
»
Dieselbe
80,58
13,5
% l
Versuch IV
5
-
Brust
22,38
4,4
Heubner und
Rubner (U) (15)
S c
Gesundes Kind
7
Tage
Kuhmilch
32,86
8,6
00
03
Gesundes Kind
9
n
Muttermilch
16,71
5,69
Atroph iker
4
i>
verd. Kuhmilch
12,1
15,54
c
^
Atrophiker
8
9
Kindermehl
0,77
43,1
jo
In meinen Versuchen gestaltete sich der Fettverlast
f olgendermassen :
Tägliche
Fettzufuhr
Gesamtfett-
säuren im Kot
Fettverlast
in pCt.
Versuch I
Versuch II
Per. I
Per. II
Per. I
Per. II
3.13 g
16,5 g
3,17 g
15,9 g
0,4468 g
2,416 g
0,5785 g
2,259 g
14,27
14,64
18,25
14,21
Eine Fettresorption von rund 85 pCt. muss im Vergleich
mit der Mehrzahl der obigen Werte als eine günstige angesehen
werden^). Beide Kinder boten auch in klinischer Beziehung
1) Die Fettverluate sind natürlich in den Fällen vou Heubner und
Eubner, Lange und Borend in Wirklichkeit weit grössere.
aaf den Saaglingsstoffwechsel. 49
alle Anzeichen der zunehmenden Reparation der früher durch-
gemachten schweren Ernährungsstörungen und zeigten auch nach
dem Versuch in monatelanger weiterer Beobachtung ein be-
friedigendes Gedeihen.
Die versuchsweise durchgeführte Vermehrung des Nahrungs-
fettes hat ihnen jedenfalls keinen Schaden gebracht, doch scheint
es mir nach sonstigen klinischen Erfahrungen wahrscheinlich,
dass eine fortgesetzte Fettzufuhr dieses Betrages eine Schädigung
herbeigeführt hätte. Wie nämlich aus den obigen Versuchs-
protokollen ersichtlich, nahm während der 2. Versuchsperiode in
beiden Fällen, ganz besonders ausgesprochen im Versuch I, der
früher gallig gefärbte Stuhl eine weisse Farbe an. Die Beob-
achtung von Säuglingen hat uns gelehrt, dass ein solches Ver-
halten immer darauf hinweist, dass die verabreichten Fettmengen
für das Kind zu grosse sind, und dass ohne Herabsetzung
derselben weitere Krankheitserscheinungen drohen. Mit Rücksicht
auf die erhebliche klinische Bedeutung, die eine derartige Stuhl-
veränderung meines Erachtens besitzt, verdient auch die
chemische Zusammensetzung eines solchen Stuhles Interesse.
Was die weisse Farbe betrifft, so wissen wir durch Untersuchungen
von Langstein (16), dass es sich hier um eine übermässige
Reduktion des Gallenfarbstoffes über Hydrobilirubin hinaus zu
dem ungefärbten Urobilinogen handelt, womit die stark alkalische
Reaktion solcher Fäces im Einklänge steht. Aus meinen beiden
Versuchen geht nun des weiteren hervor, dass diese Stühle zum
grössten Teil aus Seifen bestehen. Im Versuch I, Periode II,
wo die Fäces allmählich schneeweiss wurden, stammten von
2,416 g gesamten Fettsäuren des Kots 1,058 g oder 43,8 pCt.
aus unlöslichen Seifen. Ferner erwies sich hier die Ausfuhr der
Alkalien in Kot von 0,179 g in der I. Periode auf 0,511 g ge-
steigert, wobei wir gewiss annehmen dürfen, dass dieses Plus
zur Seifenbildung verwendet wurde. Somit dürfte hier nur ein
sehr geringer Teil des Fettes als Neutralfett und in Form von
freien Fettsäuren ausgeschieden sein. Im Versuch 11 war die Ver-
änderung des Stuhls minder eklatant, hier wurde derselbe nur sehr
hellgelb, nicht schneeweiss. Die Fettsäuren aus den unlöslichen
Seifen betrugen hier nur 31,4 pCt. der Gesamtfettsäuren, und die
Steigerung der Alkaliausfuhr ging von 0,2096 auf 0.338 herauf;
immerhin lässt sich wohl auch hier auf einen Seifengehalt von
ca. 50 pCt. schliessen. Die Angabe, dass die grauweisen glaser-
kittartigen Säuglingsstühle Seifen enthalten, ist bereits von
Jahrbach f. Kinderbeilknude. N. F. LXI, Heft 1. 4
50 Freund, Zur Wirkung der Fettdarreicbung etc.
Zoja (17) in einer mir im Originale nicht zuganglichen Ab-
handlang gemacht worden; dieser Autor schlägt dafür geradezu
den Namen Seifenstühle vor.
Den Gehalt von Säuglingsstühlen an Seifen unter dem
Einfluss der Fettzufuhr hat auch Keller (18) studiert und
mehrfach ansehnliche Prozentzahlen speziell an unlöslichen Seifen
gefunden. Doch fehlen bei ihm die absoluten Werte und die
Angabe über die Farbe und sonstige Beschaffenheit der Fäces.
Im übrigen sind mir aus der Literatur Angaben über die
chemische Zusammensetzung von weissen Säuglingsstühlen nicht
bekannt.
Literaturverzeichnis.
1. Freund, Walt her, Monatsschr. f. Kinderheilk. Bd. 1.
2. Steinitz, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 57. N.F.
3. Derselbe, Centralbl. f. innere Med. 1904. No. 3.
4. Keller, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 36.
5. Bischof, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 3.
6. Müller, Fr., Zeitschr. f. Biologie. Bd. 20.
7. Weiske, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 8.
8. Bertram, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 14.
9. Krüger and Reich, Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. 39.
10. Keller, Centralbl. f. innere Med. 1899. No. 2.
11. Bendix, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 43.
12. Derselbe, Engelmanns Arch. 1899.
13. Lange nnd Berend, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 44.
14. Heubner und Rubner, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 36.
15. Heabner und Rubner, Zeitschr. f. Biologie. Bd. 38.
16. Langstein, Festschr. f. Salkowski. Berlin 1904.
17. Zoja, La clinica med. italiana. Bd. 37. 1898. (Nach Czerny-Keller,
Des Kindes Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie.
II. Abt. S. 229.)
18. Keller, Monatsschr. f. Kinderheilk. Bd. 1.
IV.
Drei Fälle von Pachymeningitis haemorrhaglca
mit Hydrocephalus externus.
Von
Dr. FR. GÖPPERT
ID Kattowltii.
Im Laufe von 2 Jahren hatte ich Gelegenheit, 3 Fälle von
Pachymeningitis haemorrhagica zu beobachten, die in mehrfacher
Hinsicht von dem gewohnten Bilde dieser Krankheit abweichen.
Ausserdem ist die angewandte Therapie, nämlich die wiederholte
Ausfuhrung der Spinalpunktion, in ihrer prompten Wirkung auf
den akuten Anfall von Interesse.
Die Krankengeschichten sind folgende:
I. Joseph G. ist das uneheliche Kind einer Arbeiterin, weiches
Ton den fast monatlich wechselnden Quartierwirtiunen nebenbei dorch-
ge pflegt wurde.
Das Kind wurde am 8. Oktober 1900 zum ersten Male wegen ruhr-
ähnlichen Darmkatarrhs vorgestellt. Das 6 Monate alte Kind war stark ab-
gemagert. Gewicht 4,830 kg. Über den Kopf ist notiert: Caput qnadratum,
Oraniotabes, grosse Fontanelle 3 Qaerfinger im schrägen Durchmesser. Der
Darmkatarrh besserte sich damals ziemlich schnell, sodass seit dem 12. Oktober
das Kind von der Mutter als genesen betrachtet wurde. Am 23. Februar wurde
das Kind zu mir gebracht» weil es seit 2 Tagen bräche und einmal Krämpfe
gehabt hätte. Die gestrickte wollene Mutze war dem Kinde mit einem Male
zu eng geworden. Über den Befund finde ich notiert: Kopf auffällig gross,
gespannte Fontanelle, der Augenhintergrund rechts zeigt einige Blutungen.
Keine sonstigen nervösen Erscheinungen. Die Spinalpunktion ergab 20 ccm
Flüssigkeit, von der ich nicht angeben kann, ob sie blutig gefärbt war (die
späteren zeigten massige Blutbeimengungen). Jedenfalls entstand kein
Spinnwebengerinnsel. Die Augenuntersuchung ^) ergab folgendes: Sehnerven
ein wenig, jedoch nicht ausgesprochen atrophisch, Yenenstauung, auf dem
rechten Aagenhintergrund 3 grössere Blutungen.
^) Anmerkung: Herr Dr. Lubowski, Augenarzt in Kattowitz, hatte
stets die Güte, meine Augenbefande nachzuprüfen und zu ergänzen, wofür
ich ihm an dieser Stelle meinen besten Dank sage,
4*
52 Göppert, Drei Fälle von Pachymeningitis
25. II. Das Kind hat nicht mehr gebrochen, ist sofort nach
der Punktion manterer, heat wieder ein venig matter, doch viel regsamer
als am 22. Temp. 36,8. Gewicht 6,150 kg.
28. II. Das Kind wird gebracht, weil wieder Krämpfe und Er-
brechen aufgetreten sind. Der Hirnschädel macht gegenüber dem Gesicht
den Eindruck einer starken Vergrösserung. Die Fontanelle ist stark ge-
spannt; 2 neue ßlutungen im rechten Augenhintergrunde. Gewicht 6,300 kg.
Spinalpunktion.
16. III. Kind soll wieder munter gewesen sein; seit gestern wieder
Erbrechen. Im rechten Augenhintergrunde starke Schlängelung der Venen;
Punktion entleert 30 ccm leicht blutig gefärbte Flüssigkeit. Beginn einer
Schmierkur.
17. III. Das Kind ist munterer, schläft besser und bricht nicht mehr.
Gewicht 6,000 kg.
22. III. Kind lachte und spielte bis heut, angeblich nie Hitze
Kopfumfaog anscheinend ycrgrössert, 51 cm. Temp. 36,9. Da das Kind
heut wieder matter ist, wird durch Punktion 50 ccm leicht blutige Flüssig-
keit entleert.
24. III. Kopfumfang 5OV3 cm.
31. III. Wegen Zunahme der Beschwerden Punktion. Nurj 20 ccm
stark blutige Flüssigkeit wird entleert, trotzdem hält die Besserung bis
zum 5. April an.
6. IV. Seit heut wieder stark unruhig. Kopfumfang 52 cm.
Gewicht 6,380 kg. Temp. 37,5. Durch Punktion 60 ccm blutiger Flüssigkeit
entleert. Kind ist danach etwas matter, statt wie sonst munterer.
20. IV. Absolut normales Bewusstsein, am rechten Angenhinter-
grund keine Blutungen, etwas stärker geschlängelte Venen, grober Tremor
beider Beine. Es hat sich eine ziemlich starke Furunkulose entwickelt.
Kopfumfang 52 cm. Gewicht 6,30 kg.
28. IV. Gewicht 6,32 kg. Das Kind wird nach Breslau gebracht
und in die chirurgische Klinik aufgenommen.
Über das weitere Ergehen und den Sektionsbefund hat Herr Geheimrat
Ponfick die Güte gehabt, mir ausführliche Mitteilungen zu machen. Das
Kind trat am 4. Mai in die chirurgische Klinik ein. Abgesehen von der
Furunkulose zeigte sich nur eine leichte Parese des linken Beines und Herab-
setzung des linken Fusssohlenreflezes. Vom 6. Mai ab begann ein Fieber,
das bis zum 16. des Monats dauerte, nach Eröffnung sämtlicher Abscesse für
7 Tage verschwand und dann in unregelmässiger Weise bis zu dem am
5. Juni eintretenden Tode dauerte. Krämpfe sind nicht mehr aufgetreten.
Der Sektionsbefund ergab 0: Disseminierte Peribronchitis tuberculosa der
linken Lunge, Verwachsung der rechten Lunge im Gefolge von tuberkulöser
Pleuritis, verkäsende Tuberkulose der Bronchialdrüsen beiderseits, sowie der
Hals- und Gekrösdrüsen. Miliare Tuberkel in Milz und Leber, Rachitis
massigen Grades.
Auffällig ist der Sektionsbefund des Schädels. Die Dura ist fast an
der ganzen Innenseite ihrer Konvexität mit einer fest-weichen, aus Blut-
1) Ponfick, Atlas. Taf. XXVIII. Fig. 2. Der Atlas enthält ein be-
sonders schönes Bild des horizontalen Schädeldurchschnittes.
haemorrhagica mit Hydrocephalas externas. 53
gerionselu Terschiedenen Alters beBtehenden Masse überzogen. Dieses
H&matom 'ist durch eine fast millimeterdicke Membran nach innen zn ein-
gekapselt In der Hinterbauptsgegend fehlt die H&matombildang, dagegen
besteht hier, namentlich rechts, eine Verdickung der Dura durch Fortsetzung
dieser neugebildeten Membran. Rechterseits beträgt die Mächtigkeit des
Hämatoms bis zu 1 cm, links bis zu 3 mm. Zwischen der Hämatom-Membran
und der Pia befindet sich links ein klarer, intermeningealer Erguss, der im
Oefrierschnitt eine Mächtigkeit von durchschnittlich 0,5 cm, höchstens aber
1 cm beträgt. Rechts bedingt dieser Erguss einen Abstand von durch-
schnittlich l — 1,5 cm, in der Gegend der Fossa Sylvii von 2,2 cm. Die
Flüssigkeit, die rechts diesen Raum erfüllt, ist flockig getrübt. Diese
Flocken haben sich auf der Pia niedergeschlagen, lassen sich jedoch leicht
abspülen. Die Pia erscheint eher verdickt als verdünnt. „Somit liegt hier
das immerhin ungewöhnliche Beispiel einer Ausschwitzung in das Cavum
intermeniDgeale vor, welche ebensosehr durch ihre Menge, wie durch die
Heftigkeit der sie verursachenden Entzündung ausgezeichnet ist, gleichwohl
jedoch die weiche Hirnhaut bloss äusserlich in Mitleidenschaft gezogen hat.^
Ausserdem fand sich ein leichter Hydrocephalus internus. Die Yergrösserung
des Schädels war im wesentlichen durch den Hydrocephalus extemns ver-
anlasst.
Fall II. Paul H. war das uneheliche Kind eines Dienstmädchens
Das Kind wurde im 1. Monat an der Brust ernährt, kam dann nachher in
leidliche Pfiege, in der es anfangs gedieh. Am 28. Mai, im Alter von vier
Monaten, zeigte sich beginnende Furunkulose, auch war das Kind weniger
fest als im Monat yorher. Körpergewicht 6,15 kg. Im Laufe des Juni ent-
wickelte sich eine schwere Furunkulose, die spontan abheilte. Ende des
Jahres kam es dann in eine andere Pflege, in der es an und für sich leid-
lich gehalten wurde, jedoch nie mehr ins Freie herauskam.
3. III. Ich überzeugte mich an diesem Tage als Vormund wieder
«inmal yon dem Befinden des Kindes und trug folgenden Befund ein:
Fontanelle 3—4 Querfinger, Caput quadratum. Das Kind stellt sich auf die
Beine, ist munter und rege und augenscheinlich in Zunahme begriffen. Erst
nachträglich erfuhr ich, dass das Kind Weihnachten mit der Wiege, die es
lebhaft zu schaukeln verstand, umgeschlagen und bewusstlos unter derselben
hervorgezogen worden wäre.
8. III. Angeblich Erbrechen und Obstipation.
9., 10. III. Desgl., teilnahmslos; grelle Schreie.
11. III. Teilnahmslos, abgemagert. Nähte klaffen bis zur Schläfe.
Fontanelle vorgewölbt und starr gespannt. Puls 60 — 70. Pupillen reagieren;
bei Blickrichtung nach unten folgt das obere Augenlid nicht völlig. Kein
Fieber.
12. IIL ün regelmässige Krämpfe, meist tonischer Natur, Pupillen-
•differenz. Puls 70, unregelmässig.
14. III. Leichte Besserung; Kind greift, hebt aber den Kopf noch
nicht. Puls 118. Linke Lidspalte etwas enger. Qydrocephalischer Blick.
15. — 18. III. Kind munterer, lacht, greift, setzt sich wieder auf.
19. IIL Puls unter 100. Ausser der Ausdehnung der Fontanelle und
der Nähte nichts Pathologisches.
Sitzt und stösst die Wiege stundenlang.
54 Göppert, Drei Fälle yon PachymenlDgitis
Augenbefand: Papillen YöUig yerwascheii, stark prominent und ver-
breitert'. Ausgedehnte Blutungen.
Links Blutung in den Glaskörper (Lubowski).
Wohlbefinden bis zum 22.
23. III. Erbrechen und Schreien.
24. III. Kein Fieber. Spannung der Fontanelle und N&hte exzessiv«
Puls 70, nn regelmässig. Das Kind macht einen sichtlich verfallenen Ein-
druck. Die Spinalpunktion ergibt 100 g klare Flüssigkeit. Das Kind
schläft danach ruhig ein, wacht morgens vergnügt auf. Das Verhalten ist
ganz wie in gesunden Tagen.
2. lY. Erbrechen, Schreien, Verfall.
3. IV. Abends 8 Uhr fast völlig bewusstlos, extrem elend. Puls 140,.
klein. Die Spinal punktion ergibt 50 g leicht blutig gefärbte Flüssigkeit.
Die Blutbeimengnng wurde damals auf einen schrägen Einstich zurück-
geführt. Der Eiweissgehalt der Spinalflüssigkeit war ein sehr geringer und
der Blntbeimengung durchaus entsprechend. Weder in Spinalflüssigkeit I
noch II bildete sich ein Spinnwebengerinnsel. Das Kind schläft die Nacht
wieder gut und wacht vergnügt am Morgen auf. Bis zum 13. IV. besteht
abwechselnd Ödem der Lenden gegen d und Austräufeln von klarer Flüssig-
keit durch den Stichkanal. Erst beim Aufhören dieser Erscheinungen fängt
der Kopf. vom 14. — 19. April an härter zu werden. Da eine Schmierkur bisher
sehr mangelhaft durchgeführt worden war, wird vom 14. IV. ab 2 mal täg-
lich 1 cg Hydrargyrum protojoduretum gereicht.
21.- IV. Erbrechen, kreischendes Schreien, schnelles Wachstum des
Kopfes, völlige Anästhesie.
22. IV. Abmagerung, völlige Bewusstlosigkeit. Cheyne-Stokes-
sches Atmen. Puls 70, leicht, unregelmässig. Kopf umfang 54, Brustumfang
44 cm. Pupillen reagieren träge.
Punktion: 70 g gleichmässig blutige Flüssigkeit. Puls nach der
Punktion 103. Atmung anfangs unverändert
23. IV. Atmung nach der Punktion ohne Pausen; Schreien, Erbrechen,.
Krämpfe sind verschwunden.
24. IV. Hat nach der Klapper gegriffen, kann den Kopf ein
wenig halten.
25. IV. Bewusstlosigkeit. Pupillen reagieren nicht auf Licht, mittel-
weit. Kopfumfang 54 cm.
Patellarreflexe sind nicht zu erzielen. Scheinbar tonische Anspannung.
Mit dem linken Arm streicht das Kind in regelmässigen Absätzen über
die Brust. Puls 120, stellenweise aussetzend. Auf Nadelstiche in die
Extremitäten erfolgt keine Reaktion. Nur am Kopf und au den Glutaeen
scheint eine solche zu erfolgen. Die Spinalpunktioo ergibt 30 — 40 ccm stark
blutige Flüssigkeit Die Fontanelle sinkt darauf tief ein. Schlitzung des
Duralsackes nach Quincke. Unmittelbar hinterher reagiert das Kind leb-
hafter. Augenbefund: Sämtliche Blutungen sind resorbiert, die linke
Papille ist auffällig weiss, nur in der Mitte leicht rosa, nicht mehr ver-
breitert, eine Vene nach oben zu noch stärker geschlängelt. Die rechte
Papille ist noch bedeutend vergrössert, von schmutzig grauweisser Farbe»
Die Venen sind noch stark geschlängelt.
haemorrhagica mit Hydrocephalus externus. 55
26. lY. Die Pupillen reagieren prompt. Die Panktionsöffoang ist ge-
schlossen. Kein Ödem der Lendengegend. Die Fontanelle ist etwas weicher.
Puls beschleunigt, Temperatur 37. Das Kind ist ruhig und isst mit Appetit,
was ihm in den Mund gesteckt wird. Wenn es aufgesetzt wird, fasst es an
den Wiegenrand» sinkt aber bald wieder zurück.
28. IV. Puls nicht mehr zählbar, sehr rasch. Pupillen starr,
mittel weit.
29. IV. Nachmittags 4 Uhr Tod im Älter von 1 Jahr 4 Monaten.
Sektion:
Innere Organe ohne Befund, deutliche Rachitis an Rippen and Röhren-
knochen. Kein Zeichen Yon Syphilis.
S&mtliche Sch&deln&hte klaffen weit. Nach Durchsägung der Stirn-
beine und LoslösuDg der Scheitelbeine wird die DuralhÖhle geöffnet, und es
ergiesst sich eine reichliche Menge stark blutiger Flüssigkeit. Die Ent-
fernung der Dura mater vom Gehirn scheint überall eine beträchtliche,
wohl überall mehr als 1 Querfinger betragende zu sein. Nach Znrück-
schlagung der Dura zeigt sich die ganze mittlere Partie der rechten Hirn-
hälfte Ton der Hirnsichel bis zum Kopfumfang dureh ein irisches, dunkles
Blutgerinnsel bedeckt Ein kleinerer Bluterguss findet sich an derselben
Stelle links. Die Hirnwindungen sind nicht wesentlich abgeplattet, die
Himhöhlen nicht erweitert und mit klarer Flüssigkeit gefüllt. Arachnoidea
und Pia zeigen keine Veränderung. Die gesamte Dura mater ist, soweit sie
dem Grosshirn entspricht, und zwar auch an der Basis, yon unregelmässigen
roten bis branuroteu Flecken bedeckt. Bei genauer Betrachtung ergibt sich,
dass die harte Hirnhaut in fast ganzer Ausdehnung eine Verdickung durch
eine anfliegende, festhaftende Membran erfahren hat. Die Blutflecken liegen
teils in den duralwärts gelegenen Schichten dieser Membran und werden
glatt und spiegelnd von derselben überzogen, teils mehr in den oberflächlichen
Schichten. Hier erscheint die Oberfläche rauher. Schliesslich liegen
grössere Blntgerinnsel flach der Dura an und sind mit dem Messer abkratz-
bar, aber nicht mehr abzuspüleu.
Bei der Öffnung der Dura mater spinalis zeigt sich ein Blutstreif die
ganze Länge des Rückenmarks entlang an der hinteren Seite desselben. Er
isc nicht abspülbar.
Mikroskopisch erweist sich die Auflagerung auf der Dura als
Extravasat in jeder Form der Organisation oder aus yerschieden altem
Granulationsgewebe, das aus letzterem heryorgegangen ist. Zum Teil ist
es schon zu Gefässbildung mit erheblichem Kaliber und sehr yerschiedener
Wanddicke gekommen. An der Grenze der Dura ganze Reihen yon
Pigment führenden Zellen. Herr Geheimrat Ponfick war so liebenswürdig,
die Präparate zu beurteilen. Er glaubt an die Möglichkeit, dass im Verlauf
Ton 7 Wochen eine so weit gehende Organisation der Blutergüsse hätte
stattfinden können, hält es aber eher für wahrscheinlich, dass der Prozess
ein älterer ist.
Der Blutstreif an der Rückseite der Medulla besteht in einer
Infiltration des Teils der Arachnoidea, der der Dura am nächsten anliegt.
Die Dura selber erscheint in ihren inneren Schichten etwas zellreicher.
Göppert, Drei Fälle von Pachymeningitis
Die beiden Blinder, deren Krankengeschichten hier wieder-
gegeben sind, waren bei schlechter künstlicher Ernährung
kümmerlich gediehen und ohne Licht und Luft aufgewachsen.
Bei beiden wurde vor der Krankheit ein etwas grösserer Kopf
bemerkt, der jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die englische
Krankheit zu beziehen war. Ob damals schon bei beiden ein
leichter Hydrocephalus externus bestanden hat, lässt sich natürlich
nicht mit Sicherheit bestreiten.
Das Kind Joseph G. zeigte jedenfalls 3 Vs Monate vor seinem
Tode im Alter von lOVa Monaten die ersten manifesten Gehim-
erscheinungen, nämlich ein rapides Wachstum des Schädels in wenigen
Tagen und Krämpfe. Den klinischen Verlauf charakterisieren die
Attacken von Gehirndruck, die im ersten Monate der Krankheit
etwa alle 5 — 8 Tage eintraten. Nach Spinalpunktion verschwanden
die Erscheinungen sofort, sodass das Kind schon beim Ankleiden
im Wartezimmer einen heitereren Eindruck machte. In den
2. Monat der Krankheit fielen 2 Attacken, die von einem neuen
Wachstum des Schädelumfangs um 1,5 cm begleitet waren. Ihr
Grund sind grosse, intermeningeale, durch Spinalpunktion nach-
gewiesene Blutergüsse. Die Punktion vermochte hier eine Er-
leichterung zu schaffen, wirkte aber sichtlich nicht mehr so be-
lebend; hieran schloss sich ein chronisches Siechtum von 8 Wochen,
in dem Furunkulose und Tuberkulose die Kräfte aufzehrten. Es
ist dies die Zeit der Hämatombildung. So klar die Deutung der
Stadien vom 2. Monat der Krankheit ab ist, nämlich Stadium der
Meningeal-Apoplexie und Stadium der Hämatombildung, so sehr
bedarf das Krankheitsbild des ersten Monats einer näheren Er-
örterung, zu der uns die Spinalpunktion als Schlüssel dient.
Über die Spinalpunktionsflüssigkeit des ersten Males fehlen
mir leider die Angaben in meiner Krankengeschichte; jedenfalls kann
ich bestimmt behaupten, dass sie, wenn überhaupt, dann nur sehr
wenig mit Blut gefärbt war. Die folgenden 3 Spinalpunktions-
flussigkeiten waren leicht blutig tingiert. Es erhebt sich nun die
Frage, woher die zwischen 20 und 50 ccm betragenden Flüssigkeits-
mengen stammen. Es kann natürlich ein Teil der Flüssigkeit des
nachgewiesenen Hydrocephalus internus durch die Operation ent-
leert worden sein. Durch die 5. und 6. Spinalpunktion, die stark
blutige Flüssigkeit entleerte, ist jedoch die freie Kommunikation
nach dem Cavum subdurale nachgewiesen. Wäre also zu Anfang
die Hauptvergrösserung des Schädels durch die Blutungen hervor-
gerufen worden, so wäre auch damals schon wahrscheinlich eine
haemorrhagica mit Hydrocephalus externus. 57
stärker blutige Spinalflüssigkeit erschienen. In Rücksicht namentlich
auf den 2. Fall, wo die Verhaltnisse klarer liegen, nehme ich
daher an, dass Pachymeningitis und intermeningealer, seröser
Erguss Hand in Hand gingen. Erst später erfolgten grosse
Blutungen in den freien serösen Erguss, die sich durch blutige
Punktionsflüssigkeiten verrieten. Dann klärte sich durch Organisation
der Blutergüsse die Flüssigkeit des Hydrocephalus externus links
vollständig, rechts blieben dagegen eine Trübung und Zeichen von
stärkerer Entzündung bestehen.^) Wir haben daher nach dem
Tode noch als Hauptmoment der Vergrösserung des Eopfumfanges
den Hydrocephalus externus, als zweiter Moment die grossen
Hämatome der Dura mater anzusehen.
Das II. Kind zeigte 27a Monate nach einem schweren Schädel-
trauma im Alter von 1 Jahr 2 Monaten die erste manifeste Er-
scheinung, nämlich die des zunehmenden Gehimdrucks mit auffällig
starkem Wachstum des Schädels. Der erste Anfall dauerte 7 Tage
und verlief spontan. Nach einer 9 tägigen Pause erfolgte ein
gleicher schwererer, weitere 8 Tage später ein dritter. Die beiden
letzteren wurden durch Spinalpunktion sofort coupiert, obwohl
vorher der Verfall des Kindes ein stark ausgeprägter war. Der
vergrösserte Kopfumfang blieb jedoch bestehen. Die zweite
Punktion hatte die glückliche Nebenwirkung, dass der Stich-
kanal sich 8 Tage lang nicht schloss und das Austräpfeln von
Cerebro-Spinalflüssigkeit eine Zunahme des Druckes verhinderte.
Die Spinalpunktionsflüssigkeit des ersten Males betrug 100 g
und war vollständig wasserklar, die zweite, 50 cm betragende,
nur leicht blutig gefärbt und die tagelang durch den Stichkanal
nachsickernde Flüssigkeit wasserklar. Wir haben also hier deut-
licher als im vorigen Fall ein erstes Stadium, in dem der Hydro-
cephalus externus das raumbeengende Element darstellt. Da
wir nach dem mikroskopischen Befund nicht annehmen dürfen,
dass die ersten Blutungen jünger als 4 Wochen sind — der
Zeitraum zwischen der ersten Spinalpunktion und dem Tode — ,
ja nach dem urteil von Herrn Geheimrat Po nf ick eher älter als
7 Wochen, so beweist dieser zweite Fall, was wir für den ersten
1) Diese entzündliche Steigung hängt yieileicht mit einer hamatogenen
Infektion zusammen, wie sie von Kracke bei einem Fall von Pachymeningitis
haemorrhagica mit zutretender Diphtherie beschrieben wurde. (Siehe Krücke,
Dissertation, Kiel 1902.)
Übrigens beschreibt auch Steffen (Jahrb. f. Kinderheilk. N. F. Bd. I,
S. 157) eine gelblich-eitrige, fibrinöse, von der Arachnoidea abziehbare flaut.
58 Göppert, Drei F&Ue von PachymeDiogitis
nur vermuten konnten, dass Pachymeningitis und seröser, iüter-
meningealer Erguss vom ersten Moment an zu einander in Be-
ziehung stehen und die Erscheinungen des ersten zu Anfang
überwiegen. Am Ende der 6. Erankheitswoche treten wir in das
Stadium der Meningeal-Apoplexie. Die Spinalpunktion ergab
fast reines Blut. Sie verringerte die Erregungserscheinungen
wie Brechen, Schreien und Krämpfe, auch kehrte die geschwundene
Pupillenreaktion für 24 Stunden wieder zurück. Das Kind er-
lag jedoch dem grossen Blutverlust, der, wie die Sektion zeigte,
frei in den Subduralraum erfolgt war. Die enorme Menge blutig-
seröser Flüssigkeit bewies, dass dieser Raum vorher durch einen
serösen Erguss gefüllt war.
Dass diese Krankheit unter glücklichen Verhältnissen einen
günstigen Verlauf nehmen kann, zeigt folgender Fall:
Fall IIL Kind Antoo K., das siebente Kind gesander Eltern, wurde
spontan in Kopflage leicht geboren und von seiner Mutter selber in 2- bis
3 stündlichen Pansen genährt. Am 15. VIII., im Alter von 8Vs Monaten,
traten Kr&mpfe auf, die von dem behandelnden Arzt für ein Symptom von
Gastroenteritis gehalten and mit Aussetzen der Brust behandelt wurden.
Am 18. VIII. sah ich das Kind zum ersten Male. Die Kr&mpfe hatten sich
mehrmals täglich eingestellt. Vor 14 Tagen ungefähr sollte das Kind Yom
Gartentisch gefallen sein.
Beim Schwingen des Kindes zum Zweck der Beruhigung war es 3 Tage
Yorher auch noch gegen einen Schrank gestossen worden, wovon 2 leichte,
blaue Flecke an beiden Stimhöckern herrühren sollten.
Es war ein besonders schönes Brustkind. Puls 110, regelmässig.
Temperatur 87,5. Die Fontanelle ist gespannt Nach der Untersuchung ein
Kramp fanfall eklamptischer Natur, von rechts beginnend.
19. VIII. Nachts € mal Krämpfe, Fontanelle stark gespannt, Kopf-
umfang 42 cm. Keine Schlafstellnng der Hände, lacht nicht. Beiderseits
starke Stauungspapille. Enorme retinale und präretinale Blutungen (Dr. Lu-
bowski).
23. VIII. Das Aussehen ist besser geworden, die Fontanelhenspannung
geringer. Das Kind nimmt seine gewohnte Schlafstellung wieder ein.
25. VIII. Dauernde Unruhe. Hydrocephalischer Blick. Fontanelle
starr gespannt, alle Nähte, besonders die Hinterhaupts- und Kranznaht, sind
auseinander gewichen. Schädelumfang hat um 2 cm zugenommen. Die
Schädelhaut ist glänzend gespannt. Puls 110—120. Da sich abends der
Zustand noch verschlechtert und das Kind dauernd kreischende Schreie
ausstösst, wird die Spinalpunktion vorgenommen. Es werden 25—80 ccm
leicht blutiger Flüssigkeit entleert. Dieselbe wird in 6 Portionen aufge-
fangen. Alle zeigen die gleiche, leicht blutige Färbung. Auffällig ist die
sofortige Besserung des Aussehens des Kindes, die von der Mutter beim
Wiedereintritt ins Operationszimmer freudig erkannt wird.
haemorrhagica mit Hydrooephalas externus. 59
26. YIII. Das Kind hat wenig geschlafen, ist aber ruhiger. Es ver-
mag den Kopf noch nicht zn halten. Die Scheitelbeine sind über das
Hinterhauptbein geschoben, die Fontanelle ist eingefallen.
28. YIII. Das Kind lacht und hält den Kopf wieder. Der Umfang
desselben beträgt 42 cm, also 2 cm weniger als bei der zweiten Attaqno.
Die Fontanelle ist noch als Kreaz sichtbar, die Scheitelbeine noch über-
gesohoben. Die Stauangspapille ist wenig mehr ausgesprochen. Anscheinend
keine neue Blatnng im Angenhintergrund. Die Temperatur, die seit dem
25. YIII. gemessen wird, überschreitet seitdem nie wieder 37,5; Körper-
gewicht 4,800 kg; Schmierkur p. d. 1 g.
1. IX« Die Fontanelle ist seit heute wieder gespannt, das Kind etwas
unruhiger. Puls 90—100.
2. IX. Das Kind ist wieder ruhiger, lacht und ist freundlich. Kopf-
nmfang 44 cm.
4. IX. Kopfumfang 44 cm. Fontanelle nicht sehr gespannt. Hinter-
hauptsnaht deutlich auseinander gewichen. Augenbefund: Keine neuen
Blutungen, die Stauungspapille fast ganz zurückgebildet.
12. IX. Gutes Befinden. Kopfumfang 44 cm. Das Kind ist seit dem
2. IX. 1902 ohne Anfall geblieben.
2. XII. 1902. Im Alter von 7 Monaten wegen eines schweren ahnten
Schnupfens gezeigt. Kopfnmfang 47i/s cm. Brustumfang 40 cm. Geistig
und körperlich sonst nach Wunsch entwickelt.
18, YI. 1903. Im Alter von 1 Jahr 1 Monat läuft das Kind schon
allein, ist gross, schlank und fest. Fontanelle misst im schrägen Durchmesser
einen Qaerfinger. Die Ränder derselben sind weich. Kopfumfang 49^/2 cm,
Brustumfang 47 cm. Es ruft die Namen seiner Angehörigen und ist voll-
ständig sauber. Augenbefnnd völlig normal. (Dr. Lubowski.)
18. Y. 1904. 2 Jahre alt. Kopfumfang 53 cm. Brustumfang 52 cm.
Fontanelle geschlossen. Übrigens zeichnen sich Yater und Geschwister
durch auffällig grosse Köpfe aus. Der Knabe ist äusserst regsam, zeigt auf
Geheiss Bilder und nennt sie mit Namen. Er gilt zu Hause als besonders klug.
Auch dieser letzte Fall zeigt in den wichtigsten Punkten
das gleiche Verhalten wie die beiden vorhergehenden. Das Kind
erkrankt mit Krämpfen und grosser Unruhe. Der Kopfumfang
nimmt dabei rasch zu. Es treten Stauungspapille und Blutungen
im Augenhintergrund ein. Der erste Anfall macht nach 7 Tagen
einem leidlichen Wohlbefinden Platz, doch schon nach 2 Tagen
beginnt ein schwererer, der durch Spinalpunktion dauernd koupiert
wird. Die erste und einzige Spinalpunktion ergibt in diesem
Falle leicht blutige Flüssigkeit von so gleichmässiger Mischung,
dass eine Beimengung des Blutes während der Punktion aus-
geschlossen ist. Eine Blutung in den Subdural-Raum ist also
nachgewiesen, da andere Formen von Blutungen in das Lymph-
system des Zentralorgans nicht in Betracht kommen. Es fragt
sich aber, ob die Blutung eine so grosse gewesen ist, dass sie
60 Göppert, Drei Fälle von Pachjmeniogitis
allein die Zunahme des Schädelamfangs mit Auseinanderweichen
aller Nähte verursacht hätte. Nach Fall II hätten wir unter
dieser Voraussetzung eine rein blutige Punktionsflüssigkeit er-
warten dürfen, auch spricht wohl die augenblickliche Wirkung
der Punktion mit der nachweislich 2 Tage anhaltenden Abnahme
der Eopfspannung unbedingt für ein zweites Moment der Schädel-
vergrösserung, nämlich einen Hydorcephalus extemus. Das Erank-
heitsbild des 8. Falles unterscheidet sich von den beiden ersten
nur durch den günstigen Ausgang. Diesen verdanken wir wohl
dem absolut normalem Ernährungszustande des Kindes. Wie weit
die allein in diesem Falle konsequent durchgeführte Quecksilberkur
von Nutzen gewesen ist, ist nicht zu entscheiden.
Spüren wir den Ursachen der Erkrankung in unseren
8 Fällen nach, so ergibt sich in Fall II das Vorliegen eines
ernsten, in Fall III eines leichten Traumas.
Die Bedeutung dieses Faktors ist vielfach anerkannt worden,
doch ist nach den Untersuchungen von van Vleuten*) und
Laurent*) in Übereinstimmung mit den älteren Arbeiten von
Virchow^) und Eremianski*) nachgewiesen, dass nur die
Organisation des Blutergusses zwischen Dura und Arachnoidea
eine oberflächliche Ähnlichkeit zwischen Pachymeningitis hae-
morrhagica und traumatischem Bluterguss bedingt, dass sie aber
im übrigen sich so unterscheiden, wie ein regressiver sich von
einem progressiven Prozess unterscheidet. Aufs neue haben
Doehle*^) und Weyke*) die Bedeutung des Geburtstraumas in
den Vordergrund gerückt. Sie fanden bei 959 Säuglingssektionen
12 pCt. Blutungen in der Hirnkapsel und im ganzen 8 Fälle von
hämorrhagischer Pachymeningitis, meist zugleich mit Blutungen
im Gehirn. Diese Fälle kamen im Alter von 4 — 6 Monaten zur
Sektion und zeigten, abgesehen von ihrem Hirnleiden, schwere
sonstige Erkrankungen an Lunge und Darm, mit oder ohne
Syphilis, doch ist meist die Pachymeningitis die geringwertigste
der gleichzeitigen Hirnverletzungen. Nur in einem Falle führt
0 van ^leaten, Dissert. BoDn 1898.
') Laurent, Dissert. Bonn 1898. Yergl. aach Buss. Zeitschr. f. kiin.
Medizin. 1899. Bd. 38.
5) Vircliow, Verhandl. der physikal. med. GeselUch. Würzburg. 1856.
Bd. VII. S. 129. Zitiert nach König.
^) Kremianski, Yirchows Arch. 92. S. 129. Zitiert nach König.
Dissert. Berlin 1882.
') Doehle, Über chron. Pachymeningitis. Berlin, internat. Kongress.
1890. XVII. S. 40.
«) Weyke, Dissert. Kiel 1889. Vergl. Salomon, Dissert. Kiel 1897.
haemorrhagica mit Hydrocephalas extern as. 61
die Pachymeningltis durch eine, wahrscheinlich durch ein Trauma
veranlasste sekundäre Meningeal-Apoplexie zum Tode. Ein
Geburtstrauma anzunehmen, erlaubt wohl unser Fall III, wie aus
der Krankengeschichte zu ersehen, nicht. Zu einem weiteren
Vergleich ist der Doehlesche Fall mangels einer genaueren
Veröffentlichung nicht geeignet.
Von anderen Ursachen der Pachymeningitis haemorrhagica
sind Skorbut [Sutherland^)] Alkoholismus und Stauungs-
erscheinungen anerkannt, können uns aber nicht hier beschäftigen.
Auch Syphilis, deren Wichtigkeit zuerst Heubner^), dann L^on
d'Astros") hervorhob, und die auch nach Doehle und Weyke
eine grosse Rolle spielt, Hess sich in keinem meiner Fälle nach-
weisen. Der gute Ausgang des FaUes UI unter einer energischen
Schmierkur darf als Beweis für Syphilis bei Berücksichtigung
derFamilien-Anamnesenichtherausgezogen werden. Heubner fuhrt
schliesslich als Ursache chronische Magendarmerkrankungen an,
und in der Tat litten Fall I und II an schwerer chronischer
Ernährungsstörung, die sich durch ausgeprägte Rachitis- und
Furunkulose deutlich zeigte.
Unsere drei Krankengeschichten lehren uns als wichtiges,
anscheinend konstantes Symptom des akuten Anfalles grosse Netz-
hautblutungen mit oder ohne Stauungspapille kennen. Inzwischen
hat Finkelstein *) einen gleichen Augenbefund in seinem Fall
von Pachymeningitis erhoben. Die Blutungen gehören nur dem
ersten Stadium an und verschwinden später. Stauungspapille ist
bei Pachymeningitis haemorrhagica längst bekannt [Heubner/)
Legendre^)], die Netzhautblutungen augenscheinlich nicht.
Bei oberflächlicher Betrachtung ähnelt der Verlauf unserer
drei Fälle ganz dem, was oft bei Pachymeningitis haemorrhagica
beschrieben und von Legen dre als Typus aufgestellt worden ist^«
1) Sutherland, Brain 1894.
>) Heubner, Virchows Arch. LXXXIV. S. 267 und Eulenburgs
Realencykl.
*) Leon d^Astros, Les Hjdrocephalies. Paris, Steinbeil 1898.
<) Finkelstein, Gesellschaft der Gbarit^- Aerzte, Berl. klin. Wocbenscb r.
1904, S. 408.
») Heubner, 1. c.
<) Legendre nach Leon d^Asters.
0 Literatur über Fachymeuingitis hierzu:
Leon d'Astros, 1. c.
Friedrich Schulze, Die Krankheiten der Hirnhäute.
Heubner, Eulenburgs Eealencjklopädie.
Frank el, Berl. klin. Wochenschr. 1891, S. 666.
Henschen, Penzoldt und Stinzing, Bd. VIII, S. 787.
Wagner, Jahrbuch für Kinderheilkunde, N. F. I, S. 906.
62 Göppert, Drei Fälle vob PachymeDingitis
Die genauere Betrachtung hat jedoch gezeigt, dass gerade im
ersten akuten Stadium ein periodisch wachsender seröser, sub-
duraler Erguss die grösste Rolle spielt. Etwas ahnliches konnte
ich in der Literatur nicht finden. Mit den encystierten hämor-
rhagischen, bezw. serösen Exsudaten Legend res hat dieser Zu-
stand nichts zu tun. Auf Grund der Kenntnis des Falles Josef G.
hat daher Herr Geheimrat Ponfick in der Epikrise seiner er-
wähnten Arbeit die Hypothese aufgestellt, dass infolge periodischer
Entleerungen durch Spinalpunktionen es zu Blutungen aus Pial-
gefässen und dann zu Pachymeningitis haemorrhagica und den
entzündlichen Erscheinungen des Falles I gekommen sei. Auf
Grund der gesamten drei Fälle jedoch glaube ich diese Hypo-
these angreifen zu müssen. Diese Fälle, namentlich der zweite,
haben dargetan, dass in den ersten Anfällen der Hydrocephalus
externus im Vordergrund der Erscheinung steht; aber auch diese
Flüssigkeitsansammlung erfolgt in periodischen Attacken, gleich-
gültig, ob eine Spinalpunktion vorhergegangen ist oder nicht. Wir
müssen uns nach einem Organ umsehen, von dem diese Aus-
schwitzung ausgeht. Da die Arachnoidea und Pia in keinem der
beiden zur Sektion gekommenen Fälle Veränderungen aufwies, so
dürfte wohl die Ausschwitzung von der Innenfläche der Dura
erfolgt sein, die sich bei dem frischeren Fall U ebenfalls in
diffuser Weise erkrankt erwies. Dass gleich zu Anfang Blutungen
geringerer Natur erfolgen, lehrt die erste Punktion des Falles IH
(Fall I ?) und die zweite Punktion im Fall I und II. Die weit-
gehende Organisation des Exsudates im Falle Paul H. (II) weist
schliesslich weit über die vier Wochen vor dem Tode vorge-
nommene Spinalpunktion hinaus.
Es ist dadurch bewiesen, dass die Pachymeningitis von vorn-
herein einen hämorrhagischen Charakter trug. Selbst die sekun-
dären schweren Blutungen stehen in keinem zeitlichen Zusammen-
hang mit der Ausführung der Lumbalpunktion. Das Krankheits-
bild stellt sich meiner Meinung nach folgendermassen dar: Bei
einer bestimmten Form von diffuser Pachymeningitis haemor-
rhagica des Säuglingsalters erfolgen anfangs periodische, seröse
Ausschwitzungen in den Subduralraum, die eine akute Vergrösse-
rung des Schädels mit allerhand Drucksymptomen und Netzhaut-
blutungen zur Folge haben. In diesem Stadium können schon
kleinere Blutungen in den serösen Erguss erfolgen. Bei spontanem
Ablauf dauert es einige Tage, bis der Druck durch Dehnung der
Schädelkapsel sich kompensiert hat. Bei den späteren Attacken
haemorrhagica mit Hydrocephalas externus. 63
treten dann die Blatungen in den freien Subdaralraum in den
Vordergrund. In diesem Stadium kann durch eine übermässige
Blutung der Tod eintreten oder es zur Hämatombildung kommen,
die wohl nur einen Aufschub des Endes bedeutet. Dagegen ist
im ersten Stadium eine Heilung nicht ausgeschlossen.
Die Diagnose ist im ersten Anfalle künftighin mit Wahr-
scheinlichkeit bei den angegebenen Symptomen dann zu stellen,
wenn die Spinalpunktion leicht blutig gefärbte Flüssigkeit ergibt
oder bei seröser Spinalflüssigkeit ohne Spinnwebengerinnsel eine
prompte Besserung herbeiführt. Das zweite Stadium verrät sich
durch stark blutige Punktionsflüssigkeit*). Hier ist von der Aus-
führung dieser Operation nichts mehr zu erwarten; um so nütz-
licher erweist sie sich im ersten Stadium, wo sie zur Abkürzung
eines schweren Anfalles empfohlen werden kann.
>) Anm. Bei der gewöhn liehen Form der Pachjmeningitis haemorrhagica
soll nach Henschen (siehe Peozoldt und Stintzing, Bd. YIII, S. 790) und
Rieken, dessen Arbeit ich leider nicht finden konnte, die Spinalpanktion
ohne Erfolg versucht worden sein.
V.
Lähmung der Glottlserwelterer im frühen Kindesalter.
Von
Dr. ALFRED HÜSSY,
VolonUlrasslBtmiten der Klinik.
In der Literatur, vor allem der siebziger und achtziger
Jahre, finden sich Beobachtungen länger dauernder, auf nervöser
Basis beruhender Stenosen des Kehlkopfes in ziemlich grosser
Zahl niedergelegt, aber nur ein auffallend geringer Prozentsatz
derselben betrifft die Kindheit, ja aus dem jüngsten Kindesalter
sind nur zwei Beobachtungen bekannt, welche die Diagnose
„Lähmung der Glottiserweiterer** gestatteten. Ich bin nun in der
Lage, zur Kasuistik dieser vom Standpunkte des Praktikers und
in differential diagnostischer Beziehung viel Interesse beanspruchen-
den Frage, die Krankengeschichte eines Kindes beizutragen, das
wir in der poliklinischen und später in der stationären Abteilung
der Klinik zu beobachten Gelegenheit hatten.
Der Schilderung dieses Falles möchte ich zur Orientirung
das Wichtigste über Entstehen und Symptomenbild der vor-
liegenden Erkrankung vorausschicken.
Wenn die phonischen Paralysen den einzigen gemeinsamen
Charakter haben, stets von einer Stimmstörung gefolgt zu sein,
aber jeder beträchtlicheren Respirationsstörung unter gewöhnlichen
Verhältnissen zu entbehren, so bewirkt die Lähmung der Muscul.
cricoarytaenoid. postici, deren einzige Aufgabe die Erweiterung
der Glottisspalte und damit die Ermöglichung völlig freien Durch-
strömens der Luft durch den Kehlkopf ist, eine Störung der
Respiration, nicht dagegen eine solche der Stimmbildung; denn
der Glottisschluss als eine Tätigkeit der Verengerer und Spanner
kann dabei ungestört vor sich gehen.
Werden nun im Gegensatz zu allen funktionellen Lähmungen
des Kehlkopfes, die fast ausnahmslos die Glottis verengerer be-
treffen, bei organischen progressiven Paralysen der Kehlkopf-
Hfissy, L&hmaog der Glottiftetweiterer im frühen Kindesalter. 65
nerven (wie dies Semon undKosenbach als gesetzmässig fest-
stellten), die für den Posticus bestimmten Fasern des Recurrens
snecessive ausser Funktion gesetzt, so wird der Reflextonus dieses
Muskels rernichtet, das betreffende Stimmband steht auch bei
Inspiration vorerst in „Kadaverstellung" und kann nicht weiter
abduziert, bei der Phonation dagegen wohl noch adduziert werden.
Dabei bleibt es aber bei einer l&nger andauernden Lähmung
nicht; es tritt wie bei allen Lähmungen isolierter Muskelgruppen
am Korper als ein neues Moment die sekundäre paralytische
Kontraktur der Antagonisten hinzu; die Stimmbänder werden
mehr und mehr der Mittellinie genähert und endlich dauernd in
dieser Stellung fixiert. So bekommt, wie Gerhardt sich aus-
drückt, „der, dessen Glottiserweiterer gelähmt sind, ebensogut
eine Verengerung der Glottis, wie jener, dessen Nerv, radialis
gelähmt ist, seine Hand und seine Finger zu zwangsweiser Beuge-
steOung sich krümmen sieht".
Handelt es sich nur um eine einseitige Lähmung, so kann
dieses Stadium, abgesehen vom laryngoskopischen Bilde, beim
Einwachsen en und wohl auch beim älteren Kinde symptomlos ver-
laufen, genügt doch die Auswärtsbewegung des nicht affizierten
Stimmbandes, um noch eine genügende Luftzufuhr zu garantieren,
ohne dass Stenosenerscheinungen eintreten müssen. Diese symp-
tomlos verlaufende einseitige Posticnslähmung entzieht sich des-
halb sehr oft der Beobachtung, wenn sie nicht zufällig bei
gelegentlicher Laryngoskopie entdeckt wird.
Anders im jüngsten Kindesalter! Da lässt unter Umständen
die unverhältnismässige Kleinheit des Kehlkopfes, wie z. B. ein
Fall Sommerbrodts ^) zeigte, eine genügende Luftversorgung
ohne Dyspnoesymptome nicht zu. Diese einseitige Posticus-
paralyse beim kleinen Kinde und die doppelseitige Lähmung der
Glottiserweiterer müssen demzufolge ein von dem der einseitigen
Posticnslähmung der Erwachsenen wesentlich verschiedenes,
schwereres Symptomenbild zeigen, das allerdings in der Inten-
sität variieren kann, je nachdem die Stimmbänder, wie zu Beginn
der Erkrankung, in „Kadaverstellung^ stehen, oder eine mehr
weniger starke paralytische sekundäre Kontraktur der Antagonisten
sich schon eingestellt hat; die Intensität der Symptome hängt
selbstredend auch von der Vollständigkeit der Lähmung ab.
Zu der sekundären Kontraktur der Antagonisten gesellt sich
0 Breslauer ärztl. Zeitschrift. 1881. No. 10.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 1. 5
66 Hüssj, LähmuDg der Glottiserwetterer im frübeD Kindesalter.
als weiteres Moment hinzu, dass sich die Stimmlippen bei der
Inspiration noch mehr, bis zur Berührung nähern, sei es weil,
wie die Einen glauben, die unterhalb der Stenose entstehende
Luftverdunnung ein Aneinandersaugen der Stimmlippen bewirkt,
sei diese Annäherung die Folge einer von anderen Autoren an-
genommenen, durch die Atemreize erregten Mitinnervation auch
der Glottis verengerer, die schon bei ruhiger Atmung statthaben
soll. [Vide z. B. Sinnhuber i).]
Schon RiegeP) betont ausdrücklich: „Das Symptomenbild
der doppelseitigen, vollständigen und reinen Lähmung der Glottis-
erweiterer ist ein nahezu charakteristisches, sodass auch ohne
Laryngoskop mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf das Vor-
handensein dieser Lähmungsform geschlossen werden kann." Dieser
Hinweis erscheint um so dringender notwendig, weil ja gerade bei
kleinen Kindern oft der Versuch, das Kehlkopfinnere mit dem
Spiegel zu übersehen, zu keinem Resultate führt und in den vor-
liegenden Beobachtungen von Posticuslähmung im Kindesalter
nur zum Teil die Diagnose durch die Laryngoskopie erhäi*tet
werden konnte.
Aus den bisherigen Erläuterungen ergibt sich ohne weiteres
die Entwickelung der Symptome: mehr weniger rasch zunehmende,
rein inspiratorische Dyspnoe mit stridulösem, keuchendem Atem-
geräusch, das um so lauter ist, je stärker die Stenose sich aus-
gebildet hat; Missverhältnis zwischen der Dauer der Inspiration
und der der Exspiration in dem Sinne, dass die Inspiration in-
folge des Hindernisses für den Luftdurchtritt eine wesentlich
längere Zeit als in der Norm beansprucht, trotzdem alle inspira-
torischen Hilfsmuskeln in Tätigkeit gesetzt werden; relativ leicht
und rasch erfolgende Exspiration ohne Stenosen geräusch und
endlich bei unkomplizierten Fällen völliges oder fast völliges
Intaktbleiben der Stimme.
Die laryngoskopische Untersuchung ergibt, kurz angedeutet:
Bei frischer Lähmung Stellung der Stimmbänder wie bei kom-
pleter Reccurrenslähmung, in späteren Stadien bei ruhiger
Respiration nur schmaler, linearer Spalt zwischen den Stimm-
bändern, bei tiefer Inspiration fast völliger Glottisschluss, bei
Intonation normale Verhältnisse.
1) Klinisches und Experimentelles ober doppelseitige Posticaslähmung.
Verhandl. d. Gesellsch. d. Chariteärzte. Ref. Berl. klin. Woclienschr. 1904.
No. 26.
>) Franz Riegel: „Über respiratorische Paralysen**. Volkmannsche
SiimmluDg klinischer Vorträge. No. 95. 1875.
H&6 8 7, Lähmung der Glottiserweiterer im frühen Kindesalter. 67
Bei schwereren Fällen zeigt der Kehlkopf infolge der Luft-
druckdifiPerenzon sehr starke inspiratorische Exkursionen, die nach
OerhardtO difPerentialdiagnostisch bis zu einem gewissen Grade
gegen Trachealstenosen zu verwenden sind.
Die Atmung ist trotz hochgradiger Atemnot eher ver-
langsamt als beschleunigt. Bei der Inspiration zeigen sich starke
Einziehungen der nachgiebigen Teile des Thorax wie bei Larynx-
stenosen anderer Ätiologie. Husten und Auswurf, Steigerungen
der Körpertemperaturen fehlen, solange keine Komplikationen
hinzutreten, gänzlich. Das Aussehen der Patienten entspricht
der hochgradigen Atemnot wie bei allen stärkeren Larynx- und
Trachealstenosen.
Das erste Symptom dieser interessanten Affektion kann
demgemäss sich darin zeigen, dass bei leichten Anstrengungen,
bei psychischen Erregungen eine etwas erschwerte Inspiration
sich einstellt. Aber das ist ausdrücklich zu betonen, es könnte
«ine solche Larynxverengerung wenigstens bei älteren Kindern
wie bei Erwachsenen lange, ja jahrelang bestehen, ohne dass eine
wesentliche Belästigung der Patienten sich bemerkbar zu machen
brauchte; denn der Organismus hat in hohem Grade die Fähigkeit, den
veränderten respiratorischen Anforderungen bei langsam zu-
'nehmender Verengung sich anzupassen. Bei solchen Kranken
kann aber eine zufällig hinzutretende Komplikation mit einer
leichten katarrhalischen Veränderung plötzlich die hochgradigste
Atemnot hervorrufen. Nicht ausgeschlossen wäre es daher, dass
in vielen Fällen, in denen als ätiologisches Moment eine
katarrhalische Erkrankung der Respirationsorgane angegeben
wurde, letztere eigentlich nur den Anlass zum Auftreten
subjektiver Beschwerden bei einer schon lange bestehenden Er-
krankung gab.
Soviel zur Entwicklung und Symptomatologie dieser Er-
krankung!
Im Anschlüsse an diese Erörterungen mag hier ein kurzer
Überblick über die wenigen als Postikuslähmung gedeuteten Fälle
des Kindesalters folgen, die ich in der mir zugänglichen Literatur
beschrieben finde:
Fall SommePbPOdt'): 6 Monate altes Kind. AnaniD estisch permanente
Yerdaaungsstörungen. Mit 7 Wochen Bronchialkatarrh. Mit 6 Monaten
') Lehrbuch der Auskultation und Perkussioo. 2. Aufl. Tübingen 1871.
>) I. c.
68 HüBBy, L&bmaDg der Glottiserweiterer im frfilien Rindesalter.
akuter Katarrh des KehlkopfeB und der Luftröhre. Schon Dach
Wenigen Tagen an Stärke zunehmende, stridulöse Inspiration, Tag und Nacht
andauernder Stridor, der sich beim Weinen erheblich steigert. Während die
katarrhalischen Erscheinungen rasch zurückgehen, bleibt der inspiratorische
Stridor stationär. In 4 — 6 wöchentlichen Zwischenräumen fieberlose Bronchial-
katarrhe. Mangelhafte Ernährung; konstant höchste Atemnot. Mit Vj^ Jahren
Untersuchung durch Sommerbrodt: Tiefe Einziehungen der unteren defor-
mierten Thoraxpartien und des Ingulum bei der heulenden Inspiration.
Enormer Lufthunger. Freie Exspiration. Bei jeder Inspiration steigt der
Kehlkopf herab. Stimme rauh, klanglos. Kind sehr anämisch. Hautdecken
intakt. Brfisen nicht geschwollen. Laryngoskopische Untersuchung un-
ausführbar. Qaecksilberkuren ohne Erfolg.
I'/« Jahre nach Auftreten dieser Symptome Tod an komplizierender
akuter Bronchitis.
Kehlkopfautopsie (die der übrigen Körperpartien wurde nicht ge-
stattet):
Der Muskul. cricoarytaenoid. post. dext. ist unTorändert; der linke da-
gegen makroskopisch atrophisch, blassgelb; Muskelfasern schmal, doch deutlich
quergestreift, die Fasern sind in grössere Bündel geordnet, in sehr reichliches
feinfibrilläres Bindegewebe eingebettet. Degeneration svorgänge sind nicht
nachweisbar, keine weitere Abnormität an Schleimhaut, Muskeln und
Nerven des Larynx. Also: „Einseitige Posticuslähmung.''
FallBresgenO: IV« Jahre altes Kind. Nach Erkältung Husten und
Heiserkeit. 12 Tage später nach einem kühlen Bade plötzliche Apnoe,
sodass an Tracheotomie gedacht wurde. Nachher langgezogene, laut tönende
Inspiration. Zunehmende Atemnot. Dabei totale Aphonie. Laryngoskopie:
Stimmbäoder standen bei der Inspiration fast dicht beisammen, Einblick in
den Kehlkopf während der Exspiration unmöglich. Unter perkutaner An-
wendung des faradischen Stromes, Jodglycerinbepinselung Heilung nach
2 Monaten. Diagnose: Doppelseitige Posticuslähmung. Die Aphonie
deutet auf Mitbeteiligung der übrigen Kehlkopfmuskeln, die Torhergehende
Heiserkeit auf pathologische Beschaffenheit der Stimmbänder.
Fall Seifert'): 4 jähriger Junge. Normale Entwicklung. Seit drei
Monaten öfter Schnupfen, häufig kurzer Husten und Auswurf. Vor zwei
Monaten Zunahme dieser Beschwerden, dazu Heiserkeit. In den folgenden
Tagen immer häufiger Erstickungsanfälle, die die Tracheotomie bedingten.
1 Monat nach Aufnahme gelingt die Laryngoskopie. Maultrommelform der
Epiglottis, diese hebt sich nur wenig. Stimmbänder stark genähert, fassen
eine schmale Spalte zwischen sich. Respirationsbewegung derselben fast 0;
bei Phonation exakter Schluss. Larynxschleimhaut im Zustande geringen
Katarrhs. Muss 8 Monate Trachealkanüle tragen, dann Heilung. Diagnose:
Posticuslähmung mit nicht sicher festzustellender Entstehungs-
ursache.
>) Deutsche med. Wochenschr. 1881. No. 2.
») Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. XVIL p. 366.
Hü 88 7, L&hmuDg der Glotti8er weiterer im frühen Eifidesalter« 69
Fall Gerhardt 1): 4j&hriger Knabe, litt seit Oktober 1875 an Schnupfen
und Husten, die am 12. XL an Intensität zunahmen, am 16. XI. Heiserkeit
uod Stickanfälle, deren Steigerung die Tracheotomie bedingte. 3 Wochen
später kann die gefensterte Kanüle stundenweise yerschlossen werden. Am
€. I. 1876 Spitaleintritt: Langgezogenes Atmen bei geschlossener Kanüle, laut
hörbar, stärkeres Geräusch bei der Inspiration. Einziehungen längs der
Diaphragmainsertionen. Mehrmals Stickanfälle, die die Entfernung des Korkes
nötig machen; sofort nach dessen Entfernung hören die Beschwerden auf.
Stimme gut. Laryngoskopie: Leicht katarrhalischer Zustand des Kehlkopfes,
der Kehldeckel hebt sich wenig, die Stimmbänder stehen nahe. Breite der
Stimmritze höchstens 2 — 3 mm. Inhalation von Natr. bicarb. durch die
Kanüle. Am 6. VIII. Dekanülement, am 17.7111. geheilt entlassen.
Fall Jurasz*): 2 jähriger Knabe, vorher nie krank. Einige Wochen
nach Erkrankung an Keuchhusten langsam sich steigernde inspiratoriscbe
Atemnot, auch im Schlafe, mit stärkster Inanspruchnahme aller respiratorischeiii
Hülfsmuskeln, sie wird noch intensiver bei psychischen Erregungen, so dass
man an Tracheotomie dachte. Reine Stimme. Laryngoskopie ohne positives
Resultat. Heilung bei perkutaner Faradisation im Verlaufe von ca. zehn
Monaten, nachdem schon in den ersten Monaten während einer Diarrhoe
Torübergehende Besserung sich gezeigt
FallRehn'): 13jähriger Junge. In der Rekonvaleszenz von Ab domin aU
typhus nach vorhergehender auffälliger Schwäche des Herzens und der
unteren Extremitäten Atembeschwerden. Zunehmende inspiratorische Dyspnoe
beim ersten Versuche eines Aufenthaltes im Freien macht die Tracheotomie
nötig. Sofort nachher freie Atmung. Nachherige Laryngoskopie ergab:
Bei flachem Atmen bildete die Stimmritze eine schmale Spalte, bei stärkerer
Inspiration Glottisschluss. Nach 15 Wochen gelang die Entfernung der
Kanüle. Heilung.
Fall FaehS^: 4jähnge8 Kind wegen Diphtherie 8 Tage intubiert.
14 Tage nach Extubation hochgradige stenotische Beschwerden, die sich
plötzlich eingestellt hatten. Tracheotomie, später wegen Unmöglichkeit, zu
dekanniieren, Laryogofissur und Resektion von einigen Knorpelringen, zum Teil
der Cartilago cricoidea und des untersten Teils der Cartilago thyreoidea.
Laryngoskopischer Befund: Von den Stimmbändern nichts zu sehen, lineare
Spalte, zu beiden Seiten von Granulationswülsten begrenzt. Später anstands-
lose Expiration, bei Inspiration Einziehungen. Phonation ungestört. De-
kanülement auch jetzt unmöglich. Diagnose: Posticuslähmung.
Ebenso glaubte Fuchs bei einem Sjährigen Kinde, bei dem nach
diphtheritischer Stenose weder die Extubation, noch später nach der sekun-
dären Tracheotomie das Dekanülement gelang, die Diagnose: , Posticus-
lähmung*' stellen zu müssen. (Kein laryngoskopischer Befund.)
0 Gerhardts Handbuch der Kinderkrankheiten. III. Bd. 2. Hälfte.
326. 1878.
') Jahrb. f. Kinderheilkunde. N. F. Bd. XIV. p. 277.
») D. Archiv f. klinische Med. XVIIL 1. p. 136. 1876.
*) Verhandlungen d. Gesellschaft f. Kinderheilkunde. Düsseldorf 1898.
157.
70 Hüssy, Lähmung der Glottiserweiterer im frühen Kindesalter.
Dieselbe Diagnose in einem dritten Falle: Nach Extabation erschwerte-
Inspiration, anstandslose Exspiration and tadellose Phonation. Heilung.
Fall Förster^;: 2i/>jährige8 M&dchen. Tracheotomie wegen Diph-
theritis. Partielle Gangrän des Ringknorpels. Doppelseitige Pneumonie-
Nach 12 Tagen Dekanülement. Geheilt entlassen nach ca. 1 Monat. Fünf
Monate später Auftreten ron Atembeschwerden. Mühsames, geräuschyoUes,.
yerlängertes Inspiriam, besonders geräuschvoll während des Schlafes. Ein-
ziehungen. Stimme rauh, nicht tonlos. H. U. grobes Rasseln. Laryngo-
skopie: Epiglottis, Taschenbänder, Schleimhäute normal. Stimmbänder
ebenfalls morphologisch normal, deren Beweglichkeit beschränkt, bei tiefem
Inspirium Divergenz derselben kaum mehr als 1 mm; Glottisschluss bei
Phonation normal möglich. Perkutane Faradisation und Galvanisation. Nach
ca. 2Vs Monaten vollständig geheilt. Die von Förster gestellte Diagnose :
„Lähmung des Nervus reccurrens* dürfte wohl heute mit vollem Recht in:
Posticusparalyse umzuschreiben sein.
Fall Taylor'): Posticuslähmung bei einem 12jährigen Mädchen, welches
daneben an kataleptischen Anfällen litt. Heilung nach 3 Monaten.
Fall Riegel*): Gjähriger Knabe. Bei Intonation normaler Glottis-
schlass, intakte Stimme, inspiratorische Dyspnoe wegen starker Verengerung
der Stimmritze, weithin hörbares Pfeifen und Schlürfen. Tracheotomie
infolge komplizierender Bronchitis und Laryngitis; zunächst Besserung,,
nachher Lungenphthise, Tod an intercurrierenden Masern.
Obduktion: L. Nerv, roccurens ist hinter dem Sehilddrüsenlappen ein-
gebettet in eine grosse Zahl Lymphdrüsen, neben dem hinteren Teil des^
Aortenbogens in festes Bindegewebe eingelagert, an die Trachea fixiert. Der
Nerv verläuft geschlängelt durch die Drüsenpakete, ist auffallend dünn..
R. Nerv, reccnrrens oberhalb der rechten Lungenspitze an der Umbiegungs-
stelle der Art. subclavia in festes Bindegewebe eingebettet. Beide Musc.^
cricoarytaen. p. atrophisch. Nerv, reccurrentes oberhalb dieser Stellen
atrophisch.
Also: Reine, unkomplizierte neuropathische Form der Lähmung der
Glottiserweiterer infolge Druckes von schrumpfendem Bindegewebe mit
sekundärer Atrophie der Muskeln.
Der von mir beobachtete Fall zeigte folgende, hier wesent-
lich gekürzt wiedergegebene Krankengeschichte:
H. F. Poliklin. Journ.-No. 2925 1902/08. 8. XII. 1902: 2«/, Monate
altes Mädchen. 4. Kind. Onkel und Tante väterlicherseits an Schwindsucht
gestorben. Erstes Kind totgeboren, doch ausgetragen. Zweites Kind gesund,
wurde poliklinisch beobachtet. Nie Zeichen von Lues. Drittes Kind erkrankte
an Lues hereditaria, die hier poliklinisch behandelt wurde; starb später an
einer Ernährungsstörung. Die Mutter machte 1899 wegen dieser luetischen
^) Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. XV. p. 298. 1880.
*) Guys, Hosp. Rep. XLI. p. 853. Ref. in Schmidts Jahrbüchern,.
Bd. 201, p. 134, 1880.
•) Berl. klin. Wochenschrift. 1872. No. 20/21. Ref. im Jahrbuch L
Kinderheilk., Bd. VI, N. F., 1879, p. 428.
Hüssj, LähmaDg der Glottiserweiterer im frühen Kindesalter. 71
£r8cheinaDgen an dem Kinde eine Inunktionsknr durch. Über die Zeit ihrer
Infektion ist ihr nichts bekannt.
Patientin war ausgetragen. Normale Geburt. Erhielt bisher 2 stündlich
die Brust. In 3 Tagen zweimal gelber, breiiger Stuhl. Speit hin und wieder.
Ist unruhig. Seit 6 Wochen wird eine Schlaffheit erst des rechten, dann des
linken Armes bemerkt.
Status praesens: Körpergewicht 4250 g. Temperatur 87,5. Guter
Tonus, aber nur massige Farbe. Nicht fett. Kein luetisches Exanthem. An
beiden Fusssohlen ist die Haut etwas glänzend. Im rechten Handteller leichte
SchnppuDg. Keine Rhagaden, Pharynx frei. Innere Organe o. B. Die Milz
ist bei tiefer Inspiration eben fühlbar.
Beide Arme zeigen schlaffe Lähmung, sind nicht druckempfindlich.
Die Epiphyseo der Arme sind massig aufgetrieben. Nirgends Grepitation.
Beine zeigen nichts pathologisches. Reflexe normal.
Therapie: Brust 4 stündlich. Inunktionsknr (täglich: 1,0 Ung. hydrar-
gyr. einer.).
Die Inunktionsknr hatte rasch Erfolg, die Parrotschen Pseudo-
paralysen gingen in wenigen Wochen total zurück. (Im ganzen 40 Ein-
reibungen.)
Das Kind wurde weiter öfter in die Poliklinik gebracht, am 4. IV. 1903
folgender Status erhoben:
Körpergewicht 5600 g. Sehr gute Farbe. Ganz guter Tonus. Hält
den Kopf. Sitzt schlecht. Stellt die Beine nicht auf. Keine Graniotabes.
Milz etwas fühlbar. Erhält von jetzt an 4 mal Brust, einmal Brühe mit Gries.
8. IX. K.-G. 6520 g. Etwas blass. Keine Zeichen 7on Rachitis. Milz
eben palpabel. Steht an der Hand. Trinkt gut. Haut intakt. Impfung.
29. X. Ernährung wie bisher. Seit einigen Tagen schlechter Appetit.
Stuhl angehalten. „Bleibt bei jeder Ernährung weg** und wird ganz blass
dabei. Temperatur 37,0. Blass. Schlaff. In der Ruhe ist die Atmung sehr wenig
stenotisch, trotzdem besteht dabei etwas Cyanose, bei jeder Erregung nehmen
die ausschliesslich inspiratorischen St^noseerscheinungen stark zu, ebenso
die Cyanose. Stimme ganz wenig belegt. Herz und Lungen o. B. Deut-
licher Milztumor. Kein Facialisphänomen. Pharynx nicht gerötet. Keine
Beläge. Auf der Zunge zwei linsen grosse, flache Ulzerationen, Haut intakt.
Therapie: Heisse Packungen. Spray. Inunktionsknr: Ung. hydrargyr.
einer., täglich 2,0.
80. X. Die bakteriologische Untersuchung des abgeimpften Rachen-
schleimes ergab keine Diphtheriebazillen.
2. XL Sehr deutliche inspiratorische Stenose; dagegen macht sich die
Cyanose kaum mehr bemerkbar. Geschwüre im Munde abgeheilt.
5. XL Temp. 37,6. Stenose stärker. Links 7om Manubrium sterni
eine deutliche Yorwölbung und leichte Dämpfung. Auskultatorisch nichts.
Herz 0. B. Trinkt gut.
Therapie: Schmierkur weiter, zweitäglich.
Injektion von 1500 J. E. Behring sehen Diphtherieheilserums (zu
diagnostischen Zwecken).
8. XL Temp. 37,6. Stärkere Stenoseerscheinungen. Wieder etwas
Cyanose. Ängstlicher Gesichtsausdruck. Starke inspiratorische Einziehungen
72 Hussy, Lähmung der Giottigerweiterer im fr&hen Kindessjter.
des Eptgafttrium. Sonst Stad. id. Die radioskopische Unteraachung ergab
keiDen Anhaltspunkt für eine Fremd kurperstenose. Injektion von 0,5 co einer
lOproz. Lösung Ton Hjdrarg^r. thymol. acet.
16. XL Temp. S7,5. Das Kind war inzwischen in die Behandlung
eines Privatarztes übergegangen, welcher Phosphorlebertran, Narkotika und
Saizbäder verordnete. Stad. id. Dämpfung Y. L. 0. unsicher. Nahrungs-
aufnahme wechselnd. , Trinkt dreimal Brust, zweimal Griesbrühe. Stuhl
angehalten.
In der Kgl. laryngologischen Poliklinik gelang es laut Bericht nicht,
den Larjnx ganz zu übersehen. Die Arjknorpel schienen sich gut zu bewegen.
24. XL IC.-G.: 6400 g. Temp. 36,9. Unruhiger Schlaf. Dyspnoe un-
verändert. Intensiver inspiratorischer Stridor, auch im Schlafe. Täglich 1
normaler Stuhl. Schlechte Nahrungsaufnahme. Patellarreflexe nicht auslösbar.
Galvanische Untersuchung des Nerv, medianus: K. Oe. Z. >> 5,0. Es gelingt
heute mit dem Kehlkopfspiegel die Stimmbänder zu sehen: sie stehen
fest aneinandergepresst, sind grauweiss, mit Schleim bedeckt.
Der Aditus laryngis ist blassrot und frei von pathologischen Veränderungen.
28. XL Wegen zunehmender Atemnot Aufnahme auf die stationäre
Abteilung der Klinik.
Status praesens: Blass, stark cyanotisch. Somnolent. Die Extremi-
täten hangen schlaff herab. Auf Hautreize keine Reaktion. Corneal- und
Pharynxreflex vorhanden.
Herzdämpfung normal. Töne laut, regelmässig, o.B., Herzaktion frequent.
Respiration sehr frequent, lauter Stridor bei jeder Inspiration, Exspiration
kurz, relativ unverändert, starke Einziehungen des Epigastrium und des
lugulum. Abdomen flach, o. B. Auf Sauerstoffinhalation verschwindet
zwar die Gyanose, eine wesentliche Besserung des Dyspnoe tritt nicht ein.
Beim Versuch die Maske wegzulassen, stellt sich jedesmal sogleich wieder
die Cyanose ein. Deshalb Tracheotomia inferior in leichter Chloroform-
narkose. Minimaler Blutverlust.
Vor der Trachea schiebt sich im lugulum von unten her das obere
Ende der Thymus herauf, es erscheint ziemlich dick.
Nach Eröffnung der Trachea und Einführung der Kanüle tritt nach
einigen tiefen Atemzügen mit folgender Apnoe sogleich eine ganz ruhige
und regelmässige Atmung ein, die den ganzen Tag anhält. Pat. zeigte nach
dem Erwachen aus der Narkose wieder freies Sensorium. Temp. mittags
38,9, abends 37,8. Erhält 4 stündlich Vz Milch, Haferschleim -f 1 Tee-
löffel Zucker.
29. XL Schläft viel. Atmet ruhig. Herzaktion leiser als gestern.
Wunde reaktionslos. Tct. Strophanti: 3 mal täglich gtt. V. Körpergewicht
5900 g.
In den nächsten Tagen Temperaturen bis 38,5. Das Körpergewicht
hält sich trotz schlechter Nahrungsaufnahme (ca. 500—600 g p. die).
2. XII. Trinkt besser. Kein Stuhl. Atmung ruhig. Sehr geringe
Sekretion aus der Kanüle. Es gelingt leicht durch das Kanülenfenster eine
biegsame Sonde so vorzuschieben, dass man deren Knopf vom Munde aus
im Larynx fühlt. Laryngoskopie: die Stimmbänder bewegen sich
ziemlich gut; der Kehldeckel nimmt bei jeder Inspiration eine wellen-
förmige Gestalt an.
Hässy, LAhmuug der Glottiser weiterer im frühen Kiadesalter. 73
5. XII. K.-G 5750 g. Standen lang gelingt es heute, die gefensterte
Kanüle zu verstopfen; nur hei sehr leicht eintretender^ Erregung hört man
dabei einen leisen inspiratorischen Stridor. Atmung ruhig, regelmässig.
Keine Einziehungen mehr.
7. XII. Decanulement: Verhalten wie bei .Verstopfen der Fenster-
kanüle. Abends muss wegen znnehmendem, inspiratorischem Stridor die
Kanüle wieder eingeführt werden. Erhält '/« Milch, Vs Haferschleim
+ 1 Teelöffel Zucker.
Am 11. und 12. XII. gelingt das Decanulement wieder yiele
Stunden lang.
13. XII. K.-G. 5680 g. Temp. 38,6. H. R. ü. leichte Dämpfung
und ziemlich reichliche, kleine mittlere Ronchi« Auch L. H. U. einige
mittlere Ronchi. Mittags Resp.=68, abends nach Einführen der Kanüle R.=^28,
sehr rahig.
Sehr schlaff. Trinkt sehr schlecht. Versuch mit 3 mal Brustmilch,
2 mal V> Milch, i/s Mehlsuppe. Kalte Einpackungen.
16. XII. K.-G. 5480 g. Temp. 39,1. Trinkt stets sehr schlecht,
schlackt meist nur bei Verschliessen von Nase und Kanüle, behält sonst
die Milch lange im Munde. Erbricht oft, sofort nach dem Trinken,
oder erst stundenlang nachher. Lungenstatus id. Ausserordentlich schlaff.
Emporgehobene Hautfalten bleiben etwas stehen. Täglich mehrere, grün-
liche, etwas schleimige, weiche, mit weissen Flocken untermischte Stühle.
Urin (Katheterismus): Schwach alkalisch, bräunlichgelb, enthält sehr
viele rote Blutkörperchen, massig reichliche Leukozyten, keine Zylinder
und Epithelien.
17. XII. Seit gestern keine Kanüle, ohne dass stärkere Dyspnoe auftritt.
Heute Mittag macht rasch an Intensität zunehmender Stridor Wieder-
einführen der Kanüle nötig.
Trinkt stets nur gezwungen. Der Versuch, mit der Sonde zu ernähren,
misslingt, weil während des Eingiessens der Nahrung sofort alles neben der
Sonde herausgebrochen wird.
Wiederholte Versuche, wieder Einblick in das Larynxinnere zu er-
halten, missliugen. Fast totale Aphonie wie bisher, hier and da ein leises
Wimmern. Lungenstat. id. R. = 36. Herztöne etwas schwach. Puls regel-
mässig, ziemlich beschleunigt.
Infus, fol. digital. 1,0 : 100 2 stündlich 5 cc. Beständige Anwendung
des äprayapparates. Inzision eines kirschgrossen. schlaffen Abszesses über
dem rechten Trochauter.
19. XIL K.-G. 5100 g. Temp. 37,4. Sehr schlaff, bewegt sich
kaum mehr. Beiderseits H. bis zur Spitze Knistern, zum Teil mittlere
Ronchi. Keine deutliche Dämpfung. Trinkt noch schlechter, behält die
Milch lange im Munde, selbst wenn man die Kanüle verschliesst. Sehr
stark abgemagert. Stuhl wie früher, 4 — 5 mal täglich, nicht stinkend in
geringer Quantität entleert. Versuch mit Pegnin -Vollmilch, bricht nach
dieser nicht.
20. XIL K.-G. 5150 g. Temp. 39,0. Heute Nacht Trachea] rasseln.
Herztöne kaum hörbar, auf Kampherölinjektionen etwas besser. Hastet
selten, kann den Schleim nicht mehr auswerfen. Um 10 Uhr wie sonst
Nahrungsaufnahme nur nach Verschliessen der Kanüle.
74 Hassy, Lähmung der Glottiserweiterer im fräben Kindesalter.
Um. 4 Uhr p. m. schlackt das Kind bei total benommenem
Sentoriam spontan, ohne indes am Pfropfen za sangen. Yerschinckt sich
dabei nicht. Abends 8 Uhr Temp. 41,0. Exitus letalis.
Obduktionsbefund: In extenso mögehier nur der das grösste Interesse
in Anspruch nehmende Bericht über die Kehlkopfautopsie mitgeteilt werden.
Die Larjnxschleimhaut zeigt ausser anffallender Blässe nichts be-
sonderes. Kein Ödem. Larynx nicht abnorm eng. Stimmbänder blass,
nicht verdickt, stehen in KadaTerstellung. Von Kontraktur ist nichts zu
sehen. Ein eingeführter Katheter gelangt ohne Hindernis durch den Larynx
in die Trachea. Auch nach Eröffnung des Larynx ist makroskopisch keine
pathologische Veränderung zu konstatieren. Epiglottis etwas lang und
etwas eingekrempelt. Trachealschleimhant etwas injiziert. Dicht oberhalb
der Bifurkation findet sich, wohl an der Stelle, wo das untere Ende der
Trachealkanüle lag, ein 5 Pfennigstück grosser oberflächlicher Schleimhaut-
defekt. Trachea im übrigen o. B.
Bronchialdrnsen nicht wesentlich geschwellt.
Im ganzen Verlaufe des Recurrens und Vagus keine Drusenpakete oder
Tumoren, die eine Drucklähmung hätten bewirken können. Die Thymus ist
nnr halb pflaumengross.
Beide Lungen zeigten, dem klinischen Befunde entsprechend, in den
Unterlappen ziemlich ausgedehnte pneumonische Infiltration Keine Ver-
wachsungen mit der Pleura.
Die Nieren boten das Bild einer wenig ausgesprochenen hämor-
rhagischen Nephritis dar.
Die Autopsie der übrigen Organe ergab keinen irgendwie bemerkens-
werten Befund; es möge nur noch erwähnt werden, dass ein massiges Piaödem
zu konstatieren war.
Die Medulla oblongata wurde nachträglich von mir in Serienschnitte
zerlegt und der mikroskopischen Untersuchung unterworfen, ebenso alle für
die motorische Innervation des Kehlkopfes eyentuell in Frage kommenden
Grosshirnpartien (Insula Reilii etc.), doch fand sich weder an diesen, noch
an den Vagus- und Accessoriuskernen irgendwelcher pathologische Befund.
Ausdrücklich sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass auch die mittleren
und kleineren Hirnarterien mikroskopisch ein vollkommen normales Bild
darboten, überhaupt bei der Autopsie luetische Veränderungen nirgends zu
konstatieren waren.
Infolge eines bedauerlichen Versehens war der Kehlkopf einer mikro-
skopischen Untersuchung nicht zugänglich.
Betrachten wir epikritisch den Verlauf des vorliegenden Falles:
10 V« Monate nach Konstatierung einer luetischen Pseudo-
paralyse, die ohne weiteres der Hg-Kur wich, treten bei dem nun
ca. 13 Monate alten Kinde Zeichen von Dyspnoe auf, die bei Er-
regungen wesentlich exazerbiert, ja zeitweilig fast laryngo-
spastischen Charakter annimmt; weitere Begleiterscheinungen, die
auf eine akute Laryngitis oder Diphtherie schliessen Hessen, fehlen.
Demgemäss bessert sich die Dyspnoe auch nicht auf eine
zu difiPerential-diagnostischen Zwecken vorgenommene Injektion.
Hu SS 7, Lähmung der Glottiserweiterer im frühen Kindesalter. 75
von Diphtherie-Heilserum. Der eigentümliche Charakter der
Dyspnoe mit der langgedehnten, wesentlich erschwerten Inspiration
bei relativ unbehinderter kurzer Exspiration wies auf ein
Hindernis in der Trachea oder im Larynx. Differential-diagnostisch
sprachen für den Sitz der Affektion im Kehlkopf die ziemlich
starken respiratorischen Exkursionen desselben. Der Charakter
der Dyspnoe machte auch die Annahme einer Fremdkörperdyspnoe
unwahrscheinlich; diese wurde ja ausserdem, um ganz sicher zu
gehen, durch die radiologische Untersuchung ausgeschlossen.
Man konnte eine Schwellung und Verdickung der Stimm-
bänder, eine Neubildung, luetische Veränderungen [im Kehlkopfe
und auch eine einseitige, oder aber doppelseitige Lähmung der
Glottiserweiterer vermuten. Dass auch eine einseitige Lähmung des
Posticus beim kleinen Kinde zum Zustandekommen intensiver
Dyspnoe genügt, zeigte der Fall Sommerbrodt; ja, dieser Autor
meint, es sei bei doppelseitiger Lähmung überhaupt ganz unwahr-
scheinlich, dass ein kleines Kind mit so kleinen Kehlkopf-
Verhältnissen länger als kurze Zeit ohne Tracheotomie die Affektion
ertragen könne.
Bei der hereditär luetischen Anamnese des Kindes drängte
sich uns selbstredend die Annahme luetischer Veränderungen im
Kehlkopfe vor allem auf, sind doch genügend Fälle von Larynx-
syphilis im frühen Kindesalter bekannt. Auch hier finden sich
neben tönender, pfeifender Respiration beschleunigte Atem-
bewegungen, Einziehen, das sich in nichts von dem bei anderen
Larynxstenosen unterscheidet, zeitweise Erstickungsanfalle in-
folge von „Spasmo surajout^ des muscles". „Lorsque les
accidents laryngis surviennent chez un enfant qui a pr^sentä ou
präsente actuellement les signes de syphilis hör^ditaire ou aura
peu de Chance de se tromper en les mettant sur le compte de
Tinfection syphilitique." [Boulay^).]
Wohl findet man bei den luetischen Veränderungen des
Kehlkopfinnern fast stets primär die Stimme verändei*t, belegt^
rauh, dem Tone einer Kindertrompete ähnelnd, häufig gleichartigen
Husten, lange bevor Stenoseerscheinungen sich zeigen, aber es
sind auch Fälle [z. B. von Gerhardt*)] beschrieben, in denen
zuerst Dyspnoe und erst später Aphonie sich geltend machte.
0 Boulay, „Larjngites chroniques** in Marfan: „Traite des maladies de
Tenfant.« III. Bd. p. 861.
>) Gerhardt, Über syphilit. Erkrankungen der Luftröhre. D. Arch.
f. klin. Med. IL 1867. p. 547.
76 Hüssy, L&hmung der Glottiserweiterer im frähen Kindesalter.
Und in anserem Falle war ja in d^r ersten Zeit die Stimme
nur unwesentlich verändert. Das sprach aber jedenfalls gegen
wesentliche entzündliche Yeranderiingen oder Neubildungen des
Kehlkopfinnem. Der Charakter der Dyspnoe und die vorerst
wenig veränderte Stimme Hessen auch, wie ich früher ausgeführt,
vielmehr auf eine Lähmung der Glottiserweiterer, denn auf eine
luetische Larynxaffektion schliessen; „müsste man doch geradezu
eine klappenartig den Larynx verschliessende Narbenmembran
supponieren, in deren Konfiguration und Sitz die Möglichkeit
höchster inspiratojrischer Dyspnoe und freier Exspiration läge,
eine Annahme, die an Willkürlichkeit nichts zu wünschen übrig
Hesse." [Sommerbrodt^).]
Der Erfolg einer spezifischen Behandlung sollte, da eine
laryngoskopische Untersuchung vorläufig nicht gelang, bei den
nicht absolut klaren Verhältnissen die Diagnose sichern. Das
Besultat war ein Versagen der Quecksilber- und Jodkalibehandlung.
Wohl zeigte sich in den letzten Lebenstagen eine Besserung der
respiratorischen Funktion insofern, als die Trachealkanüle zeit-
weise entfernt werden konnte, doch kommen ja solche Besserungen
auch in Fällen nicht luetischer Ätiologie vor.
Ein sicherer Rückschluss darauf, dass die erst nach Ablauf
mehrerer Wochen sich geltend machende Besserung der spezifischen
Therapie zuzuschreiben war, war kaum erlaubt. Inzwischen
gelang, wenn auch nur für einen Moment, die Laryngoskopie
und bestätigte die Diagnose: Lähmung der Glottiserweiterer
mit katarrhalischer Stimmbandveränderung. Letztere erklärt nun
auch bis zu einem gewissen Grade die an Intensität zunehmende
Heiserkeit, die sich zur Aphonie steigert; indes ist zu ihrer Er-
klärung die Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass sich zur
Lähmung der Stimmbanderweiterer inzwischen wie so oft eine
Lähmung der korrespoudierenden Muscul. thyreo-arytaenoidei
intern, gesellte, deren Einfluss auf die Stimmbandstellung bei der
so kurzen laryngoskopischen Untersuchung dem Auge vielleicht
hat entgehen können. Dass es sich übrigens im weiteren Ver-
laufe nicht nur um eine subjektive Besserung der Beschwerden
handelte (man könnte, was aber bei der zunehmenden pneumonischen
Infiltration wenig wahrscheinlich war, an ein Zurückgehen der
sekundären, katarrhalischen AfiFektion der Stimmbänder denken),
zeigt das Resultat der laryngoskopischen Untersuchung vom 2. XIL:
1) 1. c.
HüBbj, L&hmnffg der GlottisM^eit^rer im frühen Kindeealter. 77
Die Stimmbänder schienen sich ziemlich gnt zu bewegen.
Abo muss es sich nur noch um eine leichtere Parese äer Poertioi
gehandelt habeti, die nur zu gewissen Zeiten sich noch geltend
machte und auf diese Weise ein zeitweises Entfernen der Kanüle
schon gestattete.
Eine weitere Erscheinung, die unser Fall zeigte, ist noch
erwähnenswert:
Burger*) betont ausdrucklich: „Der höchste Grad geräusch-
YoUer, heulender Inspiration findet sich bei den Kranken mit
Medianstellung der Stimmbänder fast ausnahmslos während des
Schlafes.'' Unser Fall nahm eine Ausnahmestellung insofern ein,
als die stenotischen Erscheinungen während des Schlafes stets
etwas geringer als während des Wachens waren und schon bei
leichten psychischen Erregungen intensiv zunahmen. Diese Er-
scheinung dürfte sich wohl zwanglos durch die Annahme eines
zu der Posticusparalyse sekundär hinzutretenden, inspiratorischen,
psychisch bewirkten Krampfes der Adduktoren erklären lassen;
oder sollte bei meinem Falle die von Krause') aufgestellte,
so viel angefochtene Hypothese zutreffen: „Das allgemeine, als
Posticusparalyse bekannte klinische und laryngoskopische Bild
— inspiratorische Dyspnoe und Stridor bei ungetrübter Stimme,
Medianstellung der Stimmbänder und Adduktionsbewegungen der-
selben bei der Einatmung — soll nicht mehr auf eine Lähmung
derStimmbandabduktoren, sondern auf eine primäre Kontraktur
der Adduktoren zurückgeführt werden.'' Die das beschriebene
Bild verursachenden Schädlichkeiten seien in ihrer Wirkung auf
den Recurrens nicht als lähmende, sondern als reizende Faktoren zu
betrachten!? Mir scheint, die Krankengeschichte meines Falles
dürfte kaum als Stütze dieses hypothetischen Baues in Anspruch
genommen werden.
Das Kind erlag der 14 Tage nach der Tracheotomie auf-
tretenden pneuinonischen Infiltration beider Lungen, an deren
Weiterausbreitung die ebenfalls in zunehmendem Grrade sich
geltend machende intensive Ernährungsstörung mit sekundärer
haemorrhagischer Nephritis wohl nicht unschuldig war. Auffallig
war die in der letzten Zeit vor dem Exitus sich zeigende Nah-
0 jiBie Frage der PoBticusIähmung.*' Sammlung klio. Vorträge. N. F.
No. 57. p. 603. 1892.
>) Krause, Virch. Arch. 1884. Bd. XCVIII. S. 294. Virch. Arch.
1885. Bd. CIL S. 301. Git. nach Barger 1. c.
78 Hüssy, Lfthmnng der Glottiserweiterer im frahen Kindesalter.
rungsverweigeruDg, die die Ernährang des kranken Kindes erheb-
lich beeinträchtigte. Nur sehr selten zeigte sich etwasVerschlucken,
eine erhebliche sekundäre Mitbeteiligung der Gaumenmuskulatur
an der Lähmung ist daher jedenfalls auszuschliessen. Es handelte
sich wohl eher um eine Dysphagie auf psychischer Basis; dafür
spricht auch, dass das Kind einige Stunden vor dem Exitus let.
bei vollkommen benommenem Sensorium normale Schluck-
bewegungen beim löffelweisen Eingiessen der Nahrung in den
Mund ausführte, ohne dass diese in die Luftwege geriet.
Der Leichenbefund hat, wie sich aus dem Obduktionsbericht
ergibt, insofern unsere Diagnose bestätigt, als ein anatomischer
Befund — eine Neubildung, luetische Narbenbildung etc. — , der
die Larynxstenose hätte erklären können, in keiner Weise zu kon-
statieren war; er lässt aber infolge der aus oben erwähnten Gründen
fehlenden mikroskopischen Untersuchung der Nerv, recurrent und
Vagi und der Larynxmuskulatur keine absolut sichere Entscheidung
über die Ursache der Stenose zu. (Makroskopisch war ja an den
Stimmbändern keine Atrophie zu konstatieren.) Trotzdem glaube
ich nicht, dass nach dem klinischen Befunde irgend ein berech-
tigter Zweifel dagegen erhoben werden kann, dass die Symptome
dieser schweren Larynxstenose nur die Diagnose: „doppelseitige
Lähmung der Glottiserweiterer" gestatten.
Anders ist es mit der Frage nach der Ätiologie dieser Läh-
mungsform. Die Obduktion hat irgendwelche charakteristische
luetische Veränderungen an inneren Organen nicht ergeben, auch
das an MeduUa oblongata und Gehirn erhobene mikroskopische
Bild bot in keiner Weise einen Anhaltspunkt für eine luetische
Erkrankung, auch nicht der Arterien. Demgemäss ist die An-
nahme einer syphilitischen Arterienerkrankung mit konsekutiven,
zerstreuten Erweichungsherden und Schwielenbildung, wie sie
Peters^) zur Erklärung bei anderen Formen von Lähmung bei
hereditär-syphilitischen Neugeboi*enen und Säuglingen annimmt,
von vornherein auszuschliessen. Eine befriedigende, sichere Ant-
wort auf die Frage nach der Ursache der Lähmung ergibt somit
die Obduktion nicht, trotzdem wird man in Ermangelung jedes
andern ätiologisch in Frage kommenden Momentes, wie Katarrhe
der Luftwege, Diphtherie etc., an einem gewissen Zusammenhang
der hereditären Lues mit der vorliegenden Affektion kaum zweifeln.
Man könnte noch daran denken, dass es sich in diesem Falle um
1) Peters, Jahrbuch für Kinderheilkunde, Bd. 53, p. 307.
Hüssy, Lähmaog der Glottiserweiterer im frühen Kindesalter. 79
eine syphilitische Neuritis des Nerv, recurrens mit ausschliess-
lichem Ergriffensein der für den Posticus bestimmten Fasern
handelte; aber gegen diese Annahme spricht nicht nur die Tat-
sache, dass syphilitische Neuritiden ungemein selten vorkommen
(Peters), sondern auch der Misserfolg der antiluetischen Behandlung.
Die Frage nach der Ätiologie der in Frage stehenden Er-
krankung erhält auch durch die spärliche Zahl der hier repro-
duzierten Fälle des Eindesalters keine sehr befriedigende Antwort.
Yor allem sind es katarrhalische Erkrankungen der Luftwege,
Coryza, Laryngitiden, Bronchitiden nach plötzlicher Abkühlung
(z. B. nach einem kalten Bade), die in der Mehrzahl der Fälle
ätiologisch yerantwortlich gemacht werden. Ob es sich dabei
auch um Druckwirkung der consensuell geschwollenen Lymph-
drüsen handelt, deren Schwellung wieder zurückgehen oder bei
längerem Bestehen in die hyperplastische Form übergehen kann,
wie Gerhardt meinte, bleibe dahingestellt.
In der zweiten Hauptgruppe der Fälle werden als ursäch-
liches Moment die akuten Infektionskrankheiten beschuldigt, vor
allem die Diphtherie. Schon Riegel ^) „kann an Hand eines Falles
den Verdacht nicht unterdrücken, dass mancher angeblich wegen
Diphtherie tracheotomierte Kranke vielleicht nicht sowohl wegen
dieser, als um einer dadurch veranlassten sekundären Lähmung
der Glottiserweiterer zur Operation kam^ ; es dürfte sich auch bei
später zur Tracheotomie kommenden Fällen für gewöhnlich nicht
nur um eine Inaktivitätsparese der Glottiserweiterer handeln, wie
von einzelnen Autoren [Hüter, Lüning]^) angenommen wird.
Allerdings möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass in der Dis-
kussion zu dem Vortrage von Fuchs*) Escherich die diphthe-
ritische Natur der Posticusparesen bezweifelt und viel eher glaubt,
sie auf Schwellungszustände, Innervationsstörungen etc. zurück-
führen zu müssen.
In vereinzelten Fällen zeigte sich die Posticuslähmung als
Komplikation im Anschluss an Keuchhusten (Fall Jurasz) und
Typhus (Fall Rehn).
Es könnten in diesen Fällen sowohl Neuritiden der Nerven-
stämme, wie Affektionen der Kemgegenden in Betracht kommen,
wenn auch, wie die Kasuistik der Erwachsenen zeigt, erstere
1) Riegel, 1. c. p. 785.
') Langenbecks Archiv, Bd. XXX, H. 2 u. 3, 1884.
«) 1. c.
80 flit&sy, LihmaBg der Olottiterweiterer im frflhen Rindesalter.
Formen weitaus vorherrschen dürften. Hysterie (Fall Taylor)
spielt offenbar eine sehr kleine ätiologische Rolle im Eindes-
alter, eine so häufige Ursache der phonischen Stimmbandlähmungen
sie auch sonst ist.
Mein Fall ist der einzige, in dem vielleicht Lues verant-
wortlich gemacht werden kann.
Leitungsstörungen im Bereiche des Nerv, recurrens und
vagtts, bedingt durch Tumoren, durch Aortenaneurysmen, peri-
cardiale Exsudate, Strumen, indurative Prozesse der Lungen-
spitzen, Pachymeningitis infolge Syphilis oder anderer Leiden,
wie sie in der Kasuistik der an diesem Leiden erkrankten Er-
wachsenen verantwortlich gemacht werden, sind in unserer
Kasuistik nur durch den Fall Riegel (Einbettung des Recur-
cens in schrumpfendes Bindegewebe) vertreten. Grundbedingung
für das Zustandekommen der Posticusparalyse ist, dass dabei
nur diejenigen Fasern lädiert werden, die den Muse, cricoaryt. p.
innervieren, und das ist wohl immer „ein besonderes Spiel des
Zufalls«.
Die Möglichkeit einer funktionellen Lähmung von respira-
torischen Rindenzentren des Kehlkopfes hat, soweit die klinische
Erfahrung einen Schluss gestattet, für die Kindheit ebensowenig
wie für die Erwachsenen [Semon*)] einen praktischen Wert.
Bulbäre Lähmungen könnten möglicherweise durch Blutungen
sklerotische und syphilitische Herderkrankungen etc. bedingt sein;
doch liegen hierfür ebenso wenig wie für toxische Lähmungen
(Blei, Arsen, Belladonna) Beobachtungen vor. Auch die primäre,
rein myopathische Entstehungsweise einer Posticuslähmung ist,
wenn man die zahlreichen Fälle völlig dunkler Ätiologie nicht
zu den myopathischen rechnet, bei den Erwachsenen die seltenste
(Burg er), bei den Kindern völlig unerwiesen.
In den epikritischen Bemerkungen zu der Krankengeschichte
habe ich bereits einige die Dlfferentlaldlagnose betreffende
Momente gestreift. Ich möchte noch daran erinnern, dass auch
Papillome des Kehlkopfes in seltenen Fällen zuerst, besonders
nachts, Erstickungsanfälle und erst später Veränderungen der
Stimme bewirken können. Differentialdiagnostisch viel schwieriger
>) Semon, Die NerveDkrankheiten des Kehlkopfes und der Luftröhre
in Hey m an ns Handbuch der Laryogologie und Rhinologie. Bd. I. 1. Hälfte.
p. 685. 1898.
Ebenda findet sich ein fast vollständiges Literaturverzeichnis der
Posticuslähmungen.
Hüssy, Lähmung der Glottiserweiterer im frühen Kindesalter. 81
stellt sich die Sache natürlich, wenn Patienten mit Erweiterer«
lähmang in Beobachtung kommen, die sekundäre Laryngitidea
und demgemäss schon Stimmveränderungen zeigen. Affektionen,
mit denen die Posticuslähmung ferner verwechselt werden könnte,
sind entweder Folgen mechanischer Bewegungsstörungen der Stimm-
lippen, resp. der zugehörigen Giessbeckenknorpel oder durch
Krampf bedingte Medianstellung .der Stimmbänder. Die Diffe-
rentialdiagnose gbgen mechanische Bewegungsstörungen (bedingt
durch lokalentzündliche Prozesse des Cricoarytaenoidealgelenkes,
die zu dessen Anchylosierung führen infolge rheumatischer
Entzündung oder Allgemeinerkrankungen) ist in Fällen, wo
lokale Erscheinungen, wie Narbenkontraktion an der hinteren
"Wand des Kehlkopfes etc. fehlen, oft schwierig. Gewisse Krank-
heiten (Lues, Diphtherie, Tuberkulose) können sowohl Posticus-
lähmung wie lokale entzündliche Prozesse auslösen, welche eine
mechanische Unbeweglichkeit einer Stimmlippe im Gefolge haben
[Semon^)]. Unter Umständen kann nur jahrelanges Ausbleiben
anderer lokaler oder allgemeiner Symptome die Annahme einer
mechanischen Läsion einigermassen festigen.
Ebenso grosse Schwierigkeit mag die sofortige Stellung der
Differentialdiagnose gegen inspiratorischen, funktionellen Glottis-
krampf bieten. Allerdings gilt das nur für solche Fälle, in denen
die stenotischen Erscheinungen nicht wie gewöhnlich ganz all-
mählich zunehmen, sondern plötzlich auftreten und nur relativ
kurze Zeit andauern, ist doch bei schweren Fällen von Glottis-
krampf die Stimme ebenso frei, die Inspiration so geräuschvoll
und die Exspiration so unbehindert, wie bei der Posticuslähmung.
Wohl zeigen sich beim typischen Glottiskrampf in der Regel
freie Interwalle, doch können Glottiskrämpfe in leichtesten Fällen
tagelang andauern. Aber beim Glottiskrampfe verschwindet fast
stets die Dyspnoe während der Nacht, bei der Posticuslähmung
nimmt sie oft während des Schlafes zu, jedenfalls hört sie
nicht vollständig auf, zudem zeigt bei längerer Phonation das
laryngoskopische Bild schliesslich ein Auseinanderfahren der
vorher in Medianstellung stehenden Stimmlippen.
Diese Form käme eventuell bei älteren neuropathischen Kindern
in Frage, für das frühe Kindesalter könnte dagegen der auf der-
selben Koordinationsstörung beruhende, oft erst nach Monaten
in Heilung übergehende „klonische Glottiskrampf der Neu-
') Semon, I. c.
Jabrbnch f. Kinderheilknude. N. F. LXI, Heft l.
82 Hü 88 7, LähmuDg der Glottiserweiterer im frühen Kindesalter.
geborenen und Säuglinge", den Lori*) und Thomson^) be-
schrieben, eine differentialdiagnostische Rolle spielen: in den
ersten Tagen oder Wochen auftretender Glottiskrampf, der
leichter als beim gewöhnlichen Laryngismus stridulus, aber mehr
weniger konstant ist; inspiratorisch krächzendes Greräusch, in-
spiratorische Einziehungen des Sternum und der Interkostal-
räume, dabei subjektiv wenig Beschwerden und vor allem
Fehlen des Nasenflügelatmens und der Cyanose. Auch hier ist
differentialdiagnostisch wichtig, dass beim Krämpfe fast aus-
nahmslos der Stridor während des Schlafes verschwindet. Das
laryngoskopische Bild ist bei beiden Affektionen auf der Höhe
der Inspiration dasselbe, nur bei Beginn der Exspiration weichen
die Stimmbänder beim Krämpfe auseinander. Semon zieht zur
Sicherung der Differentialdiagnose in diesen Fällen noch die
„enorme Seltenheit'^ der doppelseitigen Glottisöffnerlähmung bei
Säuglingen heran. Er glaubt auch, dass es sich in Fällen, in
denen von Robertson*) die Diagnose doppelseitige Erweiterer-
lähmung gestellt wurde, mit Bestimmtheit um klonischen Kehl-
kopfkrampf handelte.
Soviel zur Frage der Differentialdiagnose.
Die Prognose der Glottisöffnerlähmung ist im allgemeinen
eine ernste. Immerhin ist gerade hier das die Lähmung aus-
lösende Moment von entscheidender Bedeutung. Wo dieses nicht
therapeutisch beeinflusst werden kann oder eine Restitutio ad
integrum durch die Natur des Leidens zur Unmöglichkeit wird,
ist die Prognose selbstredend ungünstig. Aber auch in Fällen,
wo eine Beseitigung des ätiologischen Momentes gelingt, wo es
sich z. B. um Syphilis, Drucklähmung durch Kropf etc. handelt,
erholt sich, wenn die. Lähmung seit längerer Zeit bestand, der
affizierte Muskel nur selten. Im Kindesalter ist, wie die hier
mitgeteilten Fälle das erweisen, die Prognose deshalb besser,
weil sie in der Mehrzahl Folge von Infektionskrankheiten sind,
während zentrale Affektionen, Tabes etc., die die Prognose-
stellung beim Erwachsenen so ungünstig beeinflussen, hier keine
Rolle spielen. Die nach Infektionskrankheiten auftretenden
1) Über den klon. Glottiskrampf der Neugeborenen und Säuglinge.
Allgem. Wiener med. Zeit. 1890.
>) John Thomson, Infantile respiratory spasm or con genital spasm.
Edinb. med. Jouro. 1892. Cit. nach Semon 1. c. p. 758.
•)W. Robertson, Posticusparalyais in infants. Journ. ot Laryng.
Okt. 1891.
HäBsj, Lähmung der Glottiserweiterer im frühen KindeBalter. 83
LähmuBgeo der Postici zeigen das gleiche Schicksal wie andere
auf denselben Ursachen beruhende Paralysen; in vielen Fällen
tritt, wenn anch oft erst nach vielen Monaten, eine vollständige
Bestitutio ad integrum ein.
Die Prognose quoad vitam ist dagegen bei den Kindern,
speziell im jüngsten Kindesalter, insofern eine viel ernstere denn
bei den Erwachsenen, als bei der Kleinheit des kindlichen Kehl-
kopfes schon die durch einseitige Lähmung des Glottisöffners
bedingte sekundäre Kehlkopfstenose das Kind plötzlich in Lebens-
gefahr bringen kann.
Therapeutische Eingriffe werden sich selbstverständlich in
erster Linie gegen das Grundleiden richten. Man wird also in
Fällen, bei denen wie in dem unsrigen eine hereditäre Lues nach-
gewiesen ist oder wenigstens vermutet wird, wohl immer eine
spezifische Behandlung versuchen. Man wird, wo eine Struma
eine Drucklähmung hervorruft, operativ eingreifen. Aber die
Fälle, in denen man die Grundkrankheit wirksam beeinflussen
kann, bilden Ausnahmen. Es bleibt daher sehr oft nur die
Möglichkeit einer symptomatischen Behandlung. So wurde
versucht, die Lähmung mit dem faradischen und galvanischen
Strome, sei es auf perkutanem Wege, sei es durch direkte inti*a-
laryngeale Applikation, zu beeinflussen. Einzelne Autoren glauben
die Heilung durch diese Methoden herbeigeführt oder beschleunigt
zu haben; mit wieviel Recht ihre Annahme begründet ist, ob
jedesmal das post hoc auch ein propter hoc war, das lässt sich
kaum entscheiden. Jedenfalls herrscht bei der Beurteilung der
Erfolge viel Optimismus. Ebenso ist es mit den Strychnin-
Injektionen. „Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden^,
dass man eine Beeinflussung auf diesen Wegen versucht, meint
Semon^ launig.
Es bleibt noch die symptomatische Behandlung der Atemnot.
Sie wurde in unserem Falle kurze Zeit durch Zufuhr von Sauer-
stoff vermittelst einer Inhalationsmaske versucht, doch nur mit
dem Erfolge, dass die Cyanose etwas geringer wurde, der Stridor
selbst blieb unverändert. Selbstredend wäre mit einem solchen
Verfahren ein dauernder Erfolg kaum zu erwarten.
Und nun zum Ultimum refugium: Tracheotomie oder In-
tubation.
Wohl empfiehlt Sommerbrodt^), die Tracheotomie nur in
1) Semon, 1. c. p. 731.
*) Sommerbrodt, 1. c.
6*
84 Hüssy, LähmaDg der Glottiserweiterer im frühen Kindesalter.
der äussersten Not vorzunehmen, und fragt sich dabei, ob es über-
haupt in einem solchen Falle richtig sei, das Leiden zu mildern,
nur um es zu verlängern!
Soweit darf man, wie die Kasuistik lehrt, in seinem Pessimis-
mus nicht gehen.
Semon hat schon vor 20 Jahren betont, dass in jedem
Falle doppelseitiger GlottisöfiPnerlähmung, in welchem es nicht
gelingt, durch sonstige Mittel nicht nur subjektive Besserung,
sondern auch aktuelle Erweiterung der Glottis zu erzielen, die
prophylaktische Tracheotomie vorgenommen werden sollte, um
den Kranken der ihn stets bedrohenden Lebensgefahr zu ent-
ziehen, kann doch sonst bei vorhandener, stärkerer Atemnot eine
leichte, hinzutretende Laryngitis schwere Erstickungsanfölle hervor-
rufen und der herbeigerufene Arzt zu einer, nun durch die
Indicatio vitalis bedingten Tracheotomie schon zu spät kommen.
Semon macht allerdings darauf aufmerksam und auch die
Kasuistik des Kindesalters bestätigt seine Ansicht, dass unter
günstigen Verhältnissen selbst bei ziemlich schwerer Dyspnoe
von einer Tracheotomie zuweilen Abstand genommen werden
kann, aber zum mindesten muss sich der behandelnde Arzt dabei
des Kisiko bewusst sein und die Angehörigen über die drohende
Gefahr aufklären. Wenn solche kleine Patienten im Kranken-
hause unter ständiger ärztlicher Aufsicht sind, wird man auf eine
prophylaktische Tracheotomie eher verzichten dürfen.
Tritt eine Heilung der Lähmung auch nach Monaten nicht
ein, so wird es empfehlenswert sein, irgend eine Kanüle mit
einemVentilapparat tragen zulassen, die eine ziemlich ungehinderte
Sprechfunktion ermöglichen kann. Gerade weil die Intubation
den Patienten seiner Stimme beraubt, ohne das Leiden zu heilen,
verwirft Semon^) die permanente Intubation und macht auf die
Gefahren aufmerksam, die dem Patienten drohen, wenn durch
einen Hustenstoss der Tubus plötzlich herausgeworfen wird; der
Patient ist durch die Plötzlichkeit mit der die Stenose reproduziert
wird, schlimmer daran, als zuvor. —
Auch von einzelnen Autoren unternommene therapeutische
Versuche, vermittelst Durchschneidung eines Rekurrens die
Glottisstenose zu vermindern, führten zu keinem positiven Resultat,
sie beanspruchen demgemäss nur historisches Interesse.
') Semon, 1. c. p. 739.
VI.
Ober alimentäre Albuminurie.
Von
Dr. JOSEPH KALISKI,
Arzt in Breslao,
UDd
Dr, RICHARD WEIGERT,
Anlst«nten der Klinik.
Unter alimentärer Albuminurie verstehen wir das Auftreten
von Eiweiss im Harn, veranlasst durch Nahrungsaufiiahme bei
Individuen, deren Harn sonst frei von Eiweiss ist. Hierbei ist
zu unterscheiden zwischen dem Einfluss der Quantität und der
Qualität der Nahrung.
Frerichs war einer der ersten Autoren, der angab, dass
vollkommen gesunde Individuen nach reichlichen Mahlzeiten Ei-
weiss mit dem Harn ausscheiden, eine Tatsache, die auch später
noch vielfach angegeben wurde^).
Besondere Erwähnung verdienen die Versuche von EdeP),
<ier bei Individuen mit cyklischer Albuminurie feststellte, dass
gerade nach den Hauptmahlzeiten eiweissfreie Hamportionen
entleert werden, ja es gelang ihm durch Verlegung der Mittags-
mahlzeit auf spätere Stunden den bisherigen Cyklus (der eiweiss-
haltigen und eiweissfreien Urinportionen) entsprechend zu modi-
fizieren.
0 Literatar siehe Le übe, über physiologische AlbumiDurie. Therapie
^. Gegen w. 1902. 43. Jahrg. S. 485.
*) Edel, Gyklische AlbumiDurie und neue Gesichtspunkte für die Be-
kämpfung der Albuminurien. Munch. med. Wochenschr. 1904. No. 46
und 47.
86 Kaliski- Weigert, Über alimentäre Albuminurie.
Grössere Übereinstimmung herrscht in der Literatur über
den Einfluss der Art der Nahrung auf die Eiweissausscheidung
bei gesunden Individuen. Insbesondere sind viele Beobachtungen
angestellt wordien über Eiweissausscheidung nach Genuss von
rohen Eiern.
Es war in zahlreichen Fällen beobachtet worden, dass sich
nach Verabreichung von rohen Eiern in einem Teile der Fälle
Ei weiss im Urin zeigte, während der Harn in anderen Fällen
eiweissfrei blieb. Man erklärte sich dieses Faktum so, dass Eier-
eiweiss in nativem Zustande durch die Wand des Yerdauungs-
kanals in die Blutbahn gelangen könne und alsdann — als nicht
assimilierbar — durch die Nieren ausgeschieden würde; diese
Ausscheidung sollte mit einer Reizung des Nierenparenchym»
einhergehen, wodurch auch zugleich Serumalbumin in den Urin
übertrete.
Einen neuen Weg für das Studium dieser Fragen hat
As coli/) angegeben, indem er die Präzipitinreaktion^) dazu ver-
wandte, die Art der im Urin ausgeschiedenen Eiweisskörper fest-
zustellen. A. fand: Eiereiweiss verursacht, in massigen Mengen
gesunden Individueü per ös verabreicht, keine Albuminurie, trotz-
dem es unter denselben Bedingungen im kreisenden Blute dem
direkten Nachweise durch die biologische Reaktion noch zugäng-
lich ist. Bei Nier ei) kranken hingegen kann es unter denselben
Bedingungen vom Blute in den Harn, das Nierenfilter passierend^
übergehen; dasselbe trifft für die alimentäre Albuminurie nach
Genuss exzessiver Mengen roher Eier bei Individuen mit schein-
bar intakten Nieren zu, und zwar ist es in beiden Fällen möglich»
im Harne sowohl Eiereiweiss als Bluteiweiss nachzuweisen.
Hieraus und aus der Tatsache, dass die gesunde Niere das
Bluteiweiss sonst nicht durchlässt, schliesst Ascoli, dass eine
Läsion der Nieren stattgefunden haben muss, die den Übergang
des Blut- und des Eiereiweisses in den Harn ermöglichte. Diese
Annahme findet nach seiner Ansicht eine Stütze in Befunden
vieler Autoren, die nach Einspritzung von Eiereiweiss bei Tieren
mikroskopisch Nierenläsionen feststellen konnten.
Die ganze Frage wird dem Verständnis näher gebracht durch
0 Ascoli, Münch. med. Wochenschr. 1902. No. 10. S. 398.
•) Der Wert der Präzipitinreaktion zur Dififerenzierung von £i weiss-
korpern wird durch neuere Arbeiten (Obermeyer und Pick, Rostoski^
H. Frieden thftl) angezweifelt.
Kaliski -Weigert, Über alimentäre Albuminurie. 87
die moderDen Auffassangen über die Eiweissverdauung, die Oppen-
heimer^) in seiner Arbeit: ^Über das Schicksal der mit Um-
gehung des Darmkanals eingeführten EiweissstofiPe im Tierkorper^
zusammengefasst hat. Normaler Weise passiert per os eingeführtes
Eiweiss nicht den Darm, sondern wird durch Einwirkung der
Yerdauungssäfte arteigen gemacht, d. h. assimiliert, und damit
erst Bestandteil des Tierkörpers. Diese Unpassierbarkeit der Darm-
wand für unveränderte fremde Eiweisskörper ist indes nicht absolut.
Wird den natürlichen Verdauungskräften des Darmes, die die
Assimilation der zugeführten Eiweisskörper besorgen, eine zu
grosse Arbeit zugemutet, so entzieht sich ein Teil des Nahrungs-
eiweisses dem normalen Gange der Verdauung und geht unver-
ändert durch die Darmwand in die Blutbahn über. Hier kann
nunmehr der Organismus den artfremden Eiweisskörper entweder
noch nachträglich zerstören, bezw. assimilieren, oder der Eiweiss-
körper kann unverändert das Nierenfilter passieren und alsdann
im Urin nachgewiesen werden. Nimmt man mit Senator^) an,
dass der Durchgang des Eiweisses durch die Nieren ohne Schädi-
gung der letzteren möglich ist, so hat man nach dem Voraus-
geschickten die alimentäre Albuminurie als eine ausschliessliche
Insuffizienz der Verdauung aufzufassen, während nach As coli
zum Zustandekommen einer alimentären Albuminurie eine Läsion
der Nieren erforderlich ist.
An dieser Stelle müssen wir der Versuche Erwähnung tun,
welche bezweckten, durch subkutane oder intravenöse Einver-
leibung von Eiweiss bei Tieren Albuminurie zu erzeugen. Damit
war im Grunde genommen nichts anderes erreicht wie durch
Überschwemmung des Verdauungskanals mit grossen Eiweiss-
mengen, nämlich der Eintritt von nativem Eiweiss in das Blut.
Wie die subkutane Ernährung allgemein als eine künstliche ange-
sehen wird, so muss auch die auf diese Weise experimentell er-
zeugte Albuminurie als nicht physiologisch bezeichnet werden.
Darauf weist schon der Umstand hin, dass die subkutanen Injek-
tionen Fieber erzeugen können.
Wie wir bereits oben ausgesprochen haben, ist jetzt wohl
die Auffassung am meisten anerkannt, dass die alimentäre Albu-
minurie an letzter Stelle auf eine Insuffizienz der Verdauungs-
organe zurückgeführt werden müsse. Es kann daher für die
Klärung der auf physiologischem Wege entstandenen Albuminurie
i) Hofmeister, Beiträge, 4. Bd., 7. u. 8. Heft, S. 263.
') Senator, Die Albominurie. Berlin 1890. Hirschvald.
88 Kaliski- Weigert, Über aliment&re Albuminurie.
wenig gewonnen werden, wenn bei der Einfuhr des Eiweisses der
Magen darmkanal umgangen wird.
Da Leube und As coli ^) die Literatur dieser Frage bis
zum Jahre 1902 berücksichtigt haben, bleibt nur noch übrig, uns
mit der neuesten Publikation zu beschäftigen. Inoye ') hat an
21 Patienten mit gesunden Nieren Versuche angestellt, in denen
er morgens nüchtern vier bis acht rohe Eier verabfolgte. Der
Urin wurde zwei- bis dreistündlich auf Eiweiss untersucht. Das
Ergebnis war, dass in acht von diesen Fällen die Eiweissreaktion
positiv gefunden wurde. Einen dieser Fälle gibt der Verfasser
mit Recht selbst preis, da er bereits vor Beginn dieses Versuches
Spuren Eiweiss zeigte. Von den übrigen Fällen erscheinen uns
noch sechs nicht einwandfrei zu sein, indem sie an Affektionen
litten, bei denen erfahrungsgemäss hie und da Eiweiss im Urin
aus geschiedenwird. Es sind dies je ein Fall von chronischem Alko-
holismus, Phtisis pulmonum (Fieber?), Typhusrekonvaleszenz und
zwei Fälle von Pleuritis. Auch Fall 8 (73jähriges Individuum
mit Ulcus ventriculi) scheint uns für einen derartigen Versuch
nicht sehr geeignet zu sein. Demnach bleibt Fall 7 (28jähriger
Student), bei dem nach Genuss von sechs rohen Eiern Eiweiss im
Urin an demselben Tage in einer Portion deutlich, in einer zweiten
in Spuren, am nächsten Tage noch einmal in Spuren nachgewiesen
werden konnte.
Inoye erklärt den häufigen positiven Ausfall seiner Ver-
suche mit einer Verdauungsschwäche resp. einer Schwäche des
Intestinaltraktus seiner Versuchspersonen, eine Annahme, die er
in keiner Weise begründet.
Es muss auffallen, dass nur diejenigen Versuche, in denen
rohe Eier verabreicht wurden, zu einem positiven Resultate führten.
Man sollte von vornherein erwarten, dass Genuss von reichlichen
Mengen Milch zu denselben Resultaten führen müsste, zumal sich das
Eiweiss in der Milch in leicht resorbierbarem Zustande befindet
und es möglich ist, grosse Mengen Milch ohne Verdauungsstörung
^) 1. c. BeBOuderB verwiesen sei hier nur auf eine Arbeit vod J. Prior
in der Zeitschrift für klinische Medizin, Bd. 18, Jahrgang 1892, „Die Ein-
wirkung der Albaminate auf die Tätigkeit der gesunden und erkrankten
Niere der Menschen und Tiere". Bezüglich der alimentären Albuminarie
schliesst Prior aus seinen zahlreichen Versuchen, „dass der gesunde Mensch
sowohl im kindlichen wie im erwachsenen Alter eine beträchtliche Anzahl
von rohen Hühnereiern zu sich nehmen kann, ohne dass es zu einer Albu-
minurie kommt".
<) Deutsches Archiv für klinische Medizin. 1903, Bd. 75.
Kaliski -Weigert, Über alimentäre Albuminurie. 89
zu verabreichen. Diese aprioristischen Erwägungen sind jedoch
deswegen hinfällig, weil die Milch durch den Magensaft sehr schnell
gelabt wird. Die jetzt entstandenen Gerinnsel sind (selbst wenn
das peptische Ferment nicht alles Kasein sofort angreifen kann)
nicht mehr imstande, die Magenwand zu passieren.
Es erübrigt sich wohl, zu erörtern, dass bei Fleisch und bei
vegetabilischem Eiweiss die Möglichkeit des Übertritts von Eiweiss
durch die Schleimhaut des Intestinalkanals noch unwahrschein-
licher ist.
Wir gehen nunmehr dazu über, unsere eigenen Versuche
mitzuteilen, die wir zur weiteren Klärung dieser Frage anstellten.
Bei der Yersuchsanordnung gingen wir von vornherein von den
oben begründeten Erwägungen aus, dass der rationellste Weg
zur Erreichung einer alimentären Albuminurie die brüske Über-
schwemmung des Yerdauungstraktus mit grossen Eiweissmengen
sein müsse. Wiewohl wir durch die vorliegende Literatur darüber
unterrichtet waren, dass eine alimentäre Albuminurie nur durch
die Verabreichung von nativem Eiereiweiss erzielt werden könne,
schickten wir trotzdem systematisch unseren Versuchen mit rohem
Eiweiss stets solche mit gekochtem Eiweiss voraus. Dabei be-
schränkten wir uns nicht bloss auf die Zufuhr von Eiereiweiss,
sondern gaben unseren Versuchskindern auch Milch, Fleisch und
Vegetabilien in grossen Mengen. In allen diesen Versuchsperioden
wurde die Nahrung gern genommen und gut vertragen; die Kinder
wurden nach Beendigung dieser Versuche in bestem Zustande mit
Gewichtszunahmen aus der Klinik entlassen. Besonders sei her-
vorgehoben, dass auch die Verabreichung grosser Mengen Eier
(bei Kind Scholz an einem Tage 22 gekochte, bei Kind KoUey
an zwei Tagen je 20 rohe Eier) nie Widerwillen oder Störungen
hervorrief, wie es von anderer Seite angegeben wurde.
Um möglichst eindeutige Resultate zu erzielen, legten wir
Gewicht darauf, dass die betreffende Eiweissart fast ausschliesslich
zur Ernährung der Versuchskinder verwendet wurde; es wurden
nur geringe Zugaben von Zwieback, Butter und Obst gewährt.
In allen Versuchen — mit Ausnahme der mit Verabreichung von
Milch — wurde als Getränk dünner russischer Tee (ohne Milch
und Zucker) ad libitum verabreicht.
Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, dass auf eine
Darreichung der Vegetabilien in rohem Zustande verzichtet
werden musste.
90 Kaliski-Weigert, Über alimentäre Albuminurie.
Der Urin der Versuchskinder wurde quantitativ gesammelt
und der so erhaltene Mischurin mit Essigsäure und Ferro-
cyankalium, mit der Kochprobe und der Salpetersäureschicht-
probe au^ Eiweiss untersucht. Die Untersuchung der Einzel-
portionen konnte nicht vorgenommen werden, weil der Urin zu
anderweitigen quantitativen Untersuchungen verwendet werden
sollte. Jedem Versuch wurde eine mehrtägige Vorperiode mit
der gleichen Ernährung vorangeschickt.
Unsere Versuche wurden an zwei Kategorien von Kindern
vorgenommen: an völlig gesunden and an solchen mit cyklischer
Albuminurie.
1. Versuche an gesunden Kindern.
Alfred Scholz, ll'/« Jahre alt, blasser, graciler Knabe, warde
wegen neuropathischer Beschwerden in die Klinik aufgenommen. Objektiv
nichts Krankhaftes nachweisbar. Der Urin warde in zahlreichen Unter*
sachnngen frei von Eiweiss gefanden.
I. Versuch: Es wurden an 4 aufeinander folgenden Tagen 1250, 1600,
1700 nnd 1850 cm* gekochte Milch und täglich ca. 500 g frisch gelabter
Käse (also dieselbe Eiweissart) nebst den oben erwähnten kleinen Zulagen
verabreicht, d. h. es wurde täglich 155 g^) Milcheiweiss zugeführt.
An allen Tagen blieb der Urin eiweissfrei.
II. Versuch: Der Knabe erhielt an drei aufeinander folgenden Tagen
500, 750 und 750 g gehacktes, nach Möglichkeit von Sehnen und Fett be-
freites, mit Butter leicht angebratenes Rindfleisch. Die Zulagen waren im
wesentlichen dieselben. Demnach erhielt das Kind am I.Tage ca. 110g, am
2. Tage 165 g und am 8. Tage 146 g Muskelei weiss.
Urin andauernd eiweissfrei.
III. Versuch: Dio Nahrung bestand am 1. Tage in 480, am 2. in 880,
am 8. in 800 und am 4. in 860 g gekochtem Ei. (Zulagen wie oben.) Die
Netto- Ei Weisszufuhr betrug demnach an den 4 Tagen des Versuches 62,5,
136,0, 122,0 und 126,0 g. '
Urin andauernd eiweissfrei.
IV. Versuch: Der Knabe erhielt, abgesehen von den üblichen Zulagen,
soviel an Reis, Bohnen und Erbsen, dass die Zufuhr an vegetabilischem Ei-
weiss am 1. Tage 110 g, am 2. Tage 106 g, am 3. Tage 116,5 g und am
4. Tage 158 g Eiweiss betrug. Der Urin blieb eiweissfrei.
Georg Müller, 13 Jahre alt, wurde in der Poliklinik wegen Kopf-
schmerzen behandelt. An den Organen bei wiederholten Untersuchungen
nichts Krankhaftes. Gesunder, kräftiger Knabe. Urin bei wiederholten
Untersuchungen eiweissfrei gefunden.
') Der Eiweissgehalt der Nahrung wurde durch Multiplikation der
nach dem Kjeldah Ischen Verfahren ermittelten Stickstoff werte mit 6,25
erhalten.
Kaiiski-Weigert, Über alimoDtäre Albaminarie. 91
I. Versach: Verabreichung von roher Milch an S Tagen mit einem
Eiweissgehalt von ca. 105, 97 and 104 g.
Der Urin blieb eiweissfrei.
IL Versach: Ernährung mit rohem, fettfreiem, gehacktem Rindfleisch,
dessen Eiweissgehalt pro Tag 125 g betrug (Zulagen wie oben).
Urin dauernd eiweissfrei.
III. Versuch: Die Kost bestand in Reis und Erbsen mit einem an
allen 8 Tagen des Versuchs gleichen Eiweissgehalt Ton 84,5 g.
Urin dauernd ei weis frei.
IV. Versuch: Der Versuch wurde nach 2 Tagen abgebrochen, weil die
Eitern die Entlassung des Knaben wünschten. Als Nahrung wurden rohe
Eier gegeben, und zwar am 1. Tage 12 Stuck mit einem Eiweissgehalt Ton
62,5 g, am 2. Tage 12 Stück mit einem Eiweissgehalt yon 63,5 g. Die Eier
wurden mit Zucker geschlagen yerabfolgt und gern genommen.
Im Sammelurin des 1. Tages zeigten sieh bei der Salpetersäureschicht-
probe Spuren Ton Eiweiss, während die Probe mit Essigsäure und Ferro-
cjankalinm negatir blieb. Der Urin des 2. Tages war deutlich eiweisshaltig.
Josef Kolley, 12 V« Jahre, filasser Knabe, in der Poliklinik wieder-
holt wegen Pharyngitis and Bronchitis behandelt. Sonst gesund. Bei der
Aufnahme zum Stoffwechsel versuch gutes Befinden. Urin stets eiweissfrei.
Versuch: Der Knabe erhielt nach einer 24stündigen Vorperiode an drei
aufeinander folgenden Tagen 16 bezw. 18 rohe Eier (mit Zucker geschlagen)
und die gewöhnlichen Zulagen. Der Eiweissgehalt betrug am 1. Tage 80 g,
am 2. und 8. Tage 85 g Biweiss.
Der Urin blieb andauernd eiweissfrei, auch an den dem Versuch
folgenden Tagen.
Demnach wurde bei Verabreichung von gekochtem Eiweiss
in keinem Falle Albuminurie beobachtet. Bei den Versuchen
mit rohem Eier-Ei weiss stellte sich nur in einem Falle (Knabe
Müller, Versuch IV) Eiweiss im Urin ein, während eine Er-
nährung mit erheblich grösseren Mengen roher Eier bei Knabe
Kolley diesen Effekt nicht hatte.
Bezuglich der Versuche mit rohem Fleisch sei hier noch
nachgetragen, dass wir gelegentlich einer Anzahl von Ver-
suchen mit Verfütterung grosser Mengen rohen Fleisches an
tuberkulöse Kinder gleichfalls nie Albuminurie konstatieren
konnten.
Damit waren die bisherigen Erfahrungen bestätigt, dass es
nur mit Verabreichung von rohem Eiweiss gelingt, Albuminurie
zu erzeugen, jedoch auch dann nur in einem Teil der Fälle.
Für das Zustandekommen der Albuminurie scheint die Menge
der zugeführten rohen Eier nicht ausschliesslich in Betracht zu
kommen, da einzelne Autoren die Albuminurie schon nach Genuss
geringer Mengen auftreten sehen, während beispielsweise die
92 Kaliski-Weigert, Über alimentäre Albuminarie.
enorme Zahl von 18 Eiern bei unserm Yersuchskinde KoUey
keine Eiweissausscheidung im Urin veranlasste. Nimmt man
demnach die oben postulierte Insuffizienz der Yerdauungssäfte als
die Grundlage für das Zustandekommen einer alimentären Albu-
minurie an, so muss mindestens darauf hingewiesen werden,
dass diese Insuffizienz bald bei geringeren, bald grösseren Mengen
zugeführten Eiweisses eintritt. Ja, in einzelnen Fällen scheinen
die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Magens und Darmes so
hoch zu liegen, dass eine alimentäre Albuminurie überhaupt nicht
zu erzielen ist.
Es erschien uns nunmehr wünschenswert, experimentell fest-
zustellen, ob nicht vielleicht doch neben der Insuffizienz der
Verdauung auch eine solche der Nieren für das Austreten der
alimentären Albuminurie verantwortlich zu machen wäre. Als
ein geeignetes Objekt für solche Studien erschien uns die cyklische
Albuminurie, für die einige Autoren^) eine angeborene grössere
Durchlässigkeit der Glomerulus-Membranen bezw. der Epithelien
supponiert hatten.
Wir wählten unsere Yersuchsanordnung dergestalt, dass wir
bei Kindern mit cyklischer Albuminurie durch Bettruhe eiweiss-
freien Urin erzielten. War dieses durch mehrere Tage hindurch
erreicht, so begann die Eiweisszufuhr.
Charlotte Quander, 12 Jahre, kräftiges Mädcheo mit guteo Farben,
wegen cyklischer Albuminurie in die Klinik aufgenommen.
I. Versach: An vier aufeinander folgenden Tagen erhielt das Mädchen
je 2^1 Liter rohe Milch neben der gemischten Kost der Klinik. — Der Urin
blieb eiweissfrei.
II. Versuch: Neben der gemischten Kost der Klinik nahm das Kind
durch 4 Tage täglich 10 rohe Eier. — Der Urin war am 1., 2. und 4. Tage
eiweissfrei. Am 3. Tage war im Mischurin eine Spur Albnmen zu kon-
statieren.
Martha Schulz, 11 Jahre alt, mageres, blasses Mädchen. Klagt über
Husten. Es besteht eine geringe Bronchitis. Das Kind ist wegen cjklischer
Albuminurie seit 3 Jahren in poliklinischer Beobachtung.
Versach: Es wurden neben der gemischten Kost an einem Tage 6,
au einem zweiten 8 rohe Eier yerabreicht. — Der Urin beider Tage war
eiweissfrei.
Martha Krowatsch, 9 Jahre alt, mager, blass. Seit einem halben
Jahre wegen cyklischer Albuminurie in poliklinischer Beobachtung.
Versuch : Das Kind bekam neben der gemischten Kost der Klinik am
ersten Tage des Versuches 6, am 2. 10, am 3. 12 rohe Eier. Die Auf-
nahme der gemischten Kost wurde durch Zugabe der Eier nicht wesentlich
reduziert.
Der Urin blieb an allen Tagen einweissfrei.
^) Leube, 1. c.
Kaliski-Weigert, Über alimentäre AlbumiDurie. 93
Demnach ist es uns auch bei Kindern mit cyklischer
Albaminurie, trotzdem bei ihnen nach vorliegenden Anschauungen
für diese Versuche günstige Verhältnisse vorausgesetzt werden
mussten, in zwei Fällen nicht geglückt, eine alimentäre Albumi-
nurie zu erzeugen. Im dritten Falle (Quander) war bei Zufuhr
grosser Mengen roher Milch niemals, bei Zufuhr von rohen Eiern
von vier Versuchstagen nur an einem eine Spur Ei weiss im Urin
zu konstatieren.
Durch das Ergebnis dieser Versuche wurde die voraus-
geschickte Annahme, dass beim Zustandekommen der alimentären
Albuminurie die Nieren nicht beteiligt sind, in keiner Weise
erschüttert.
Diese Annahme findet eine weitere Stütze in Untersuchungen,
die an einem 7 jährigen Knaben mit chronischer Nephritis an-
gestellt wurden*). Dieser Patient wurde in 3 aufeinanderfolgen-
den Versuchsperioden mit Reis bezw. Kartofi^eln bezw. rohen
Eiern, 10 — 12 Stück pro Tag, gefüttert. Die im Urin aas-
geschiedene Eiweissmenge wurde täglich nach der Methode von
Seh er er quantitativ bestimmt. Hierbei zeigte es sich nun, dass
die Durchschnittswerte aller drei Perioden in gleicher Höhe lagen,
dass also auch hier die Ernährung mit rohen Eiern eine Ver-
mehrung des im Urin ausgeschiedenen Eiweisses nicht zur Folge
hatte a).
Zum Schluss dieser Ausführungen möchten wir darauf hin-
weisen, dass uns nunmehr der Weg zur weiteren Klärung dieser
Frage so vorgeschrieben zu sein scheint, dass für die Versuche
Individuen mit insuffizienter Verdauung gewählt werden müssen,
insbesondere solche, bei denen die peptische Kraft des Magens
damiederliegt (Achylia gastrica).
Da uns derartiges Material nicht zur Verfügung stand, so
mussten wir auf weitere Versuche verzichten.
') Die Versuche werden an anderer Stelle aasfQhrlicher publiziert
werden.
*) Nachtrag bei der Korrektur: Mehrere Monate später worden dem-
selben Knaben wiederum durch 8 Tage täglich 10 rohe Eier verabreicht.
Von dem 3 pro Mille Eiweiss enthaltenden Urin wurden in 3 Wochen drei-
mal je 10 cm' einem Kaninchen subkutan iniciert Das Serum dieses Kaninchens
gab danach weder gegen Lösungen von Eiereiweiss noch gegen das Serum eines
anderen mit Eier-Eiweisslösungen vorbehandelten Kaninchens die Präcipitin-
reaktion. Trotzdem es sich hier also um schwer geschädigte Nieren handelte,
war selbst mit der empfindlichsten Methode, der biologischen Reaktion, ein
tJbertritt des artfremden Eiweisses in den Urin nicht nachzuweisen.
VII.
Die Kohlenstoff- und Stickstoffausseheidung
durch den Harn beim Säugling und älteren Kinde.
Von
Dr. L. LANGSTEIN, Dr. F. STEINITZ,
ft. Zt. Asiiitonten der UnlvenlUlts-Kliider- und Auiitenten der UnlvenlUta-KlnderkUnik
kUoik In Berlin in Breilaa.
Yoit hat wohl als erster aus BeobachtuDgen am Hundeharn
erschlossen, dass derselbe mehr Kohlenstoff enthält, als darch den
Harnst off geh alt erklärt wird. Denn er fand das Verhältnis von
Kohlenstoff zu Stickstoff grösser als 12:28. Kubner^) hat dann
in grundlegenden Untersuchungen diese Tatsache bestätigt und
weiter verfolgt. Speziell hat er konstatieren können, dass das
Verhältnis C : N alimentär beeinflusst wird. Denn bei reiner
Eiweissfütterung betrug der durchschnittliche Quotient von Kohlen-
stoff zu Stickstoff 0,532, also ein dem Hamstoffquotienten (0,429)
ziemlich nahestehender Wert, bei Fleischfutterung 0,610, bei Hunger
0,728. Alle späteren Untersuchungen — wir nennen besonders
die von Scholz^), Pregl'), Steyrer*) — ergaben unter physio-
logischen Verhältnissen beim Tier oder beim erwachsenen Menschen
in derselben Breite schwankende Quotienten; und dass dieselben
auch unter pathologischen Verhältnissen nicht verrückt werden,
hat Mohr'^) erst kürzlich für das Fieber bewiesen.
Aus seinen Experimenten erschloss Kubner, dass diejenigen
relativ kohlenstoffreichen Verbindungen, welche den Quotienten
über den des Harnstoffs erhöhen, kompliziert zusammengesetzt
sind. Denn sie steigern die Verbrennungswärme des Harnes.
Heute wissen wir insbesondere durch die Untersuchungen Pregls,
0 Rubner, Zeitschr. f. Biol. 1885, 21, 329.
») Scholz, Centralbl. f. inn. Med. 1897, 15.
») Pregl, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 1898.
A) Steyrer, Hofmeisters Beiträge, 2, S. 812.
») Mohr, Zeitschr. f. klin. Med. 1904.
LaDgstein-Steinitz, Die Kohlenstoff- Ausscheidung etc. 95
dass Harnsäure, Kreatinin, Xanthinbasen, vielleicht auch die noch
nicht genügend erforschte Oxyprotsäure die Ursache für die Er-
höhung des Quotienten sind. Beteiligt sind dabei auch wohl die
aus dem Harn durch Quecksilber ausfällbaren, noch unbekannten
kohlenstoffreichen und stickstoffarmen Verbindungen. Durch die
Untersuchungen Heubners und Rubners*) über den Stoffwechsel
des an der Brust genährten Säuglings haben wir erfahren, dass
der Quotient sogar über 1 steigen kann. Diese Beobachtung hat
durch eine grössere Untersuchungsreihe van Oordts^) ihre Be-
stätigunggefunden. Yan Oordt untersuchte denHarn von mehreren
Brustkindern, resp. Urine desselben Kindes an mehreren Tagen
und fand durchschnittlich den Kohlenstoff- Stickstoff-Quotienten
= 1,12. £r schloss daraus, dass hier wohl stickstoffarme oder
stickstofffreie kohlenstoffreiche Verbindungen im Harn in ver-
mehrter Menge auftreten, über deren Natur er nichts weiter aus-
sagen konnte. Durch diese Beobachtung van Oordts war die
Frage aufgerollt, ob die hochgradige Erhöhung des Kohlenstoff-
Stickstoff- Quotienten eine Eigentümlichkeit des Säuglings Stoff-
wechsels ist oder die Folge einer bestimmten Ernährung. Dies
a priori zu entscheiden, war bei den in der Literatur vorliegenden
und mit diesem Befund eventuell in Kombination zu bringenden
Angaben nicht möglich. Denn einerseits fanden Heubner und
Kubner allerdings, dass Kuhmilchernährung den Quotienten im
Harn des Säuglings nicht über die Werte erhöht, die wir vom
mit gemischter Kost ernährten Erwachsenen kennen. Anderer-
seits gibt van Oordt an, dass Zugabe von Buttermilch zur
Brustnahrung den hohen Quotienten nicht beeinflusst. Und man
konnte aus den in der Literatur vorliegenden niederen Harnstoff-
werten im Säuglingsharn — wir haben insbesondere die Analysen
Pfaundlers') im Auge — die Möglichkeit herleiten, dass der
grösste Teil des Stickstoffs vom Säugling in kohlenstoffreicheren
Verbindungen ausgeschieden wird, als es der Harnstoff ist.
Nachstehende Untersuchungen sollten die durch diese Befunde
aufgeworfene Frage beantworten. Es war dazu nötig, die Harne
einer grösseren Beihe von Säuglingen bei verschiedener Ernährung
nicht nur in Bezug auf ihren Kohlenstoff-Stickstoff- Quotienten,
sondern auch in Bezug auf die Stickstoffverteilung zu studieren.
1) Heubner a. Rubuer, Zeitschr. f. Biol. 36 u. 38.
s) van Oordt, Zeitschr. f. Biol. 43, S. 46.
s) Pfaundler, Jahrb. f. Kinderheilk. 54, S. 247.
96 Langstein-Steinitz, Die Kohlenstoff-
Soweit es möglich war, haben wir stets 24 stundige Harnmengen
untersucht. Zu einer exakten Beantwortung der hier auf-
geworfenen Frage wie überhaupt zum Studium des Stoffwechsels
beim Säugling halten wir dies für unbedingt nötig und eine Ver-
wertung von an Proben entnommenen Urins ungestellten Unter-
suchungen nur in zweiter Linie für angebracht. Es besteht auch^
wie wir genügend Gelegenheit hatten, zu beobachten, gar keine
Schwierigkeit, die 24 stündige Harnmenge unzersetzt zu erhalten,
wenn man sich der Vorsichtsmassregeln bedient, die Freund*)
seiner Zeit angegeben hat, und die Mühe nicht scheut, den
Rezipienten auch nachts einigemale zu wechseln.
Bevor wir in eine Besprechung unserer Resultate eingehen,
lassen wir dieselben in tabellarischer Übersicht erfolgen, möchten
jedoch mit einigen Worten vorher die Methodik unserer Unter-
suchungen erörtern.
Methodisches.
Die StickstofPbestimmungen wurden nach Kjeldahl ausge-
führt, die Ammoniakbestimmungen nach Reich^). Die Harn-
stoflFbestimmung führten wir nach dem von Pfaundler')
ausgearbeiteten Verfahren aus. Zur Destillation des durch
Spaltung mit Phosphorsäure in Ammoniak übergeführten Harn-
stoffstickstoffs bedienten wir uns, wie dies Pfaundler auch
später auf Rat von Camerer tat, überschüssiger Lauge. Die
Kohlenstoffbestimmungen wurden auf trockenem Wege nach dem
von Pregl*) und Steyrer*^) modifizierten Verfahren ausgeführt.
Je 2 ccm Harn wurden in ausgeglühten Porzellanschiffchen im
Vakuum über Schwefelsäure zur Trockene eingedampft, was niemals
mehr als 12 Stunden beanspruchte. Anwendung von Bimstein
zur schnelleren Eintrocknung erwies sich nicht als nötig, da die
Harne kaum je sehr kpnzentriert waren. Die Verbrennung erfolgte
im Kopf er- Ofen. Das Verbrennungsrohr war mit ausgeglühtem
Kupferoxyd gefüllt. Am Ende des Rohres befand sich eine un-
gefähr 15 cm lange Schicht von Bleisuperoxyd und eine kurze
Silberspirale, die bei einer Temperatur von 150 bis 180® ge-
halten wurden. Das Wasser wurde durch ein Chlorcalciumrohr
i) Freu od, Jahrb. f. Kinderheilk. 48, S. 137.
') iDaugural-Diss. Breslau. 1902.
») Pfaundler, 1. c.
*) Pregl, I. c.
*) Steyrer, 1. c.
und StickstoffausBcheidung durch den Harn beim Säugling etc. 97
zurückgehalten, die Eohlensäare in einem der üblichen Eali-
apparate aufgefangen und gewogen. Stets wurden, wie aus
unserem nachfolgenden Yersuchsprotokollen hervorgeht, Eontroll-
bestimmungen ausgeführt.
Tabelle I
(betrefPend Säuglinge.)
No.
Kind
Ernährung
Harnmenge^)
in ccm
mg N
in
100 ccm
mg O
m
100 ccm
C:N
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Heldt
5.-6. 3.
Scholz
15.— 16. 3.
Heldt
Heldt
Scholz
BlOY
18.— 19. 3.
Bloy
19.— 20. 3.
Bittner
Bittner
15.— 16. 3.
Linke
Schäfer
25.-26. 3.
Raabe
Raabe
Bloy
28.-29. 3.
Fritach
29.— «0. 5.
Fritsch
Fritsch
Lehmann
Lehmann
20.— 29. 6.
Brust
Brust
Brust
Brust
Brust
Vollmilch
Vollmilch
Buttermilch
Buttermilch
600 Malzsappe
Malzsnppe
Malzsuppe
Malzsuppe
VtMilch + Mehi
+ Malz
V. Milch (750)
-|-40gMilchz.
Thee
1000 Halbmilch
+ 50 Milchzuck.
1000>/,Milch-+-
Rohrzucker
310 sauer
432 sauer
405 sauer
Portion
Portion
222 aufgef. auf 250
220 aufgef. auf 250
sauer
222 aufgef. auf 350
312 sauer
165 auf 250 schw.
alkalisch
165 aufgef. auf 200
alkalisch
frisch katheteris.
Portion
katheterisierte
Portion
414 sauer
483 neutral
75 nach 24stünd.
Theediät
260 aufgef. auf 350
sauer
610 alkalisch
189,28
103,74
128,3
160,1
63,23
1292,2
1161,9
829,9
985,5
307,58
281,7
334,88
451,36
404
264
239,3
473.2
438
304
227,5
177
266
279
94,45
883
790
658
741
422
381
485
620
426
412,5
340
800
545
361
1,2
1,5
2,08
1,T
1,4
0,68
0,67
0,78
0,75
1,3
1,3
I 1,4
!l,3
I 1,05
1,6
1,4
1,6
1.2
1,1
Da eine befriedigende Erörterung der vorstehenden Befunde
nicht gegeben werden kann ohne die Mitteilung von Resultaten,
■) S&mtlicbe nntersnchten Harne waren zacker- und eiweissfrei.
Jthrbacb f. Kloderbellkunde. N. F. LXI, Heft 1. ^
98
Langstein-Steinitz, Die KobleiiBtoff-
die den Harnquotienten des älteren Kindes und des Erwachsenen
bei stickstofParmer Diät, wie auch die Stickstoffverteilung im Harn
von Säuglingen betreffen, geben wir in Folgendem in tabellarischer
Übersicht unsere diesbezüglichen Untersuchungsergebnisse wieder.
Tabelle II
(betreffend ältere Kinder und einen Erwachsenen bei
vegetarischer Ko^.)
Kind, Alter
Ern&hrang
Harnmenge
in ccm
mg N in
100 ccm
mg C in
100 ccm
C:N
Bittner,
3V> Jahre
23.-24. 3.
AUgem. Kost
830 sauer
520
409
0,7
Kraase
6 Jahre
25.-26. 2.
Alldem. Kost
790 sauer
1026,4
777
0,6
Kraase
2 Liter Milch
607 sauer
1679
1025
0,6
Kraase
2 Liter Sahne
422 aufgef. auf 500
sehr sauer
1354
940
0,6
Dr. E.
Yeget. Kost
960
569
705
1,2
Dr. E.
»
1030
569,66
688
1,12
Tabelle III.
(Stickstoff- Verteilung im Harn von Säuglingen bei verschiedener
Ernährung.)
Kind
Ernährung
Tages-
menge
in ccm
Gesamt-
stickstoff
in 100 ccm
Auf
NH,-
N
• 100 mg N en
Harnstoff-
+ Amino-
säuren-N
tfallen
Harn-
8t0ff-N
Scholz
Brust
432
103,74
23
72
69
Heldt
Brust
405
128,3
23
68
68
Bloy
Vollmilch
222
aufgef. a.
250
1292,2
7
88
86
Bloy
Vollmilch
220
aufgef. u.
250
1161,9
6
88
86
Linke
Malzsuppe
165
aufgef. a.
250
307,58
3,4
81
77
Schäfer
Malzsuppe
165
aufgef. a.
200
281,7
9
70
63
und StickstoffausscheiduDg dareh den Harn beim S&ugling etc. 99
Wie aus unserer ersten Tabelle hervorgeht, besteht
die Annahme, dass bei der natürlichen Ernährung an
der Brust in besonders reichlicher Menge Stoffe zur
Ausscheidung gelangen, die stickstoffarm oder stick-
stofffrei und Indikatoren eines besonders gearteten
Stoff\vechsels sind, nicht zu Recht. Vielmehr ist das
Verhältnis C:N in hohem Grade dem alimentären Ein-
flüsse unterworfen. Je geringer die absolute Menge
ausgeschiedenen Stickstoffs, desto höher der Quotient
0:N und umgekehrt. Das zeigt am anschaulichsten folgende
kleine Zusammenstellung, die wir unserer ersten Tabelle der
Übersicht halber entnehmen:
Ern&hrung
mg N in
100 ccm Urin
C:N
'/. Milch
-|- Milchzucker
239,3
1,43
Malzsappe
281.7
1,36
Malzsappe
451,36
1,37
Brast
189.3
1,19
Halbmilch + Malz
404
1,05
Battermilch
829,9
0,78
Battermilch
985,5
0,75
Vollmilch
1111,9
0,67
Vollmilch
1292
0,68
Infolgedessen ist auch der Quotient C:N im Harn des älteren
Kindes bei stickstoffreicher, wenn auch qualitativ wechselnder
Diät nicht von dem des Erwachsenen bei gemischter Eost ab-
weichend. Und der Erwachsene zeigt bei stickstoffarmer Diät,
als deren Repräsentant wir die vegetarianische wählten, den
hohen Quotienten von 1,1 — 1,2. Letztere Beobachtung deckt
sich mit einer erst jüngst von Camer er ^) gemachten. Aus den
mitgeteilten Zahlen geht auch hervor, dass der grösste Teil des
Stickstoffs im Harn von Säuglingen als Harnstoff ausgeschieden
wird. Die abweichenden Resultate Pfaundlers finden in vor-
liegenden Untersuchungen keine Bestätigung^). Denn letzterer
fand z. B. in vier Untersuchungen folgende Harnstoffwerte:
') Camerer, Monatsschr. f. Kinderheilk. II. S. 1.
*) Pfaundler gibt allerdings selbst an, dass seine UnterBuchungeii
noch der Nachprüfung bedürfen.
7*
100 LangsteiD-SteinitZf Die Kohlenstoff-
21 Tage altes Kind, mit Halbfettmilch ernährt, 17,2 pCt»
Harnstoff- N;
2Va Monate altes, mit Nestle-Milch ernährtes Kind 39,4 pCt.
Harnst off-N;
3 Monate altes, mit ^/g Fettmilch ernährtes Kind 57 pCt
HarnstofP-N ;
mit ^/s Fettmilch ernährtes, P/4 Monate altes Kind 29,2 pCt.
Harnstoff-N.
Unsere prozentischen HarnstofPzahlen decken sich eher mit
den von C am er er*) und Keller^) ermittelten, welche zwischen
60 und 84 pCt. liegen. Während unser höchster Wert im Harn
der mit Vollmilch genährten Kinder sich findet (vgl. Camerer,
der bei gleicher Ernährung 84 pCt. N fand), ist der tiefste bei
dem mit Malzsuppe ernährten Säugling zu konstatieren gewesen^
was sich speziell mit den Beobachtungen von Keller deckt.
Wir fanden auch nur bei dem mit Malzsuppe ernährten Kinde
eine nennenswerte Differenz zwischen dem prozentischen Gehalt
an Harnstoff- -f- Aminosäuren-Stickstoff einerseits und Harnstoff-N
andererseits, eine Differenz, die wohl ausserhalb der Fehlergrenzen
der angewandten Methodik liegt, was wir von den bei anders
genährten Kindern ermittelten Differenzen nicht ohne weiteres
behaupten wollen. Hier besteht ja auch die faktische Möglich-
keit, dass Aminosäuren im Harne auftreten, da Malzwürze an
diesen Eiweissspaltungsprodukten besonders reich ist. Wir
möchten aber nicht verfehlen, darauf aufmerksam zu machen^
dass die Berechtigung, die Differenz zwischen Hamstoff-N und
Aminosäuren- -f- Harnstoff-N auf Rechnung von ausgeschiedenen
Aminosäuren zu setzen, erst durch den exakten Nachweis der-
selben im Harn erbracht werden muss.
Es ist gewiss nicht ohne Interesse, rechnerich zu zeigen^
dass der hohe Kohlenstoffstickstoffquotient bei gewissen Ernährungs-
formen nicht auf eine besonders reichliche Ausscheidung von stick-
stoffarmen oder stickstofffreien organischen Substanzen durch den
Harn bezogen werden muss. Wir haben in folgender Tabelle die-
jenigen Kohlenstoffmengen neben einander gestellt, die nicht als
Harnstoff zur Ausscheidung gelangen, was ja bei den Säug-
0 Camerer, Stoffwechsel des Kindes, Tübingen. Zeitschr. f. Biolog.
35, S. 218; 38, S. 276; 43, S. 13; 45, S. 1.
*) Keller, Die Malzsuppe. Verl. Ton Fischer. 1898.
und Stickstoffausscheid QDg durch den Harn beim S&ugÜDg etc. 101
lingen, deren Stickstoff- und Eohlenstoffausscheidung durch den
Harn während 24 Stunden genau ermittelt wurde, ein leichtes
war. Wir geben in folgender
Tabelle IV
<lie absoluten Zahlen derjenigen G-Menge, die nicht als Harn-
stoff zur Ausscheidung gelangt.
Nicht als Harnstoff zur
Kind
Ernährang
Ausscheidung gelangender
Kohlenstoff
C:N
In 100 ccm
In d«r
Tageimenge
Scholz
Brust
146,66
633,57
1,0
Heidt
Brust
228,48
925,84
2,08
Bloy
Vollmilch
405,14
1012,85
0,68
Bioy
Vollmilch
360,30
900,75
0,67
Linke
Malzsuppe
320,16
800,4
1.3
Sch&fer
Malzsuppe
304.68
609,36
M
C:N im Harnstoff wurde gleich 0,43 gesetzt.
Aus vorstehender Tabelle geht zur Evidenz hervor, dass
die absolute Menge des nicht als Harnstoff zur Ausscheidung
gelangenden Kohlenstoffs nicht dort am grössten ist, wo der
Quotient am höchsten, sondern gerade dort, wo der Quotient
•ein geringer ist. Die Tabelle beweist augenfällig den alimentären
Einfluss auf den Eohlenstoffstickstoffquotienten. Damit ist jedoch
noch keineswegs gesagt, dass diejenigen Stoffe, die den Quotienten
im Harn von Säuglingen über den des Harnstoffs erhöhen,
qualitativ immer die gleichen sind. Diese Substanzen könnten,
ohne dass sich dies in der groben Stoffwechselbilanz kundgeben
muss, beim Säugling auch bei verschiedener Ernährung sehr
wohl wechseln. Wir haben ja schon darauf hingewiesen, dass
möglicherweise für den hohen Quotienten bei Malzsuppen-
•emährung die Ausscheidung der relativ kohlenstoffreichen Amino-
säuren verantwortlich gemacht werden kann, für deren Vorhandensein
wir bei andersartiger Ernährung keine Anhaltspunkte haben.
Die nächste Aufgabe muss daher sein, nach dem Vorgänge
Pregls beim Erwachsenen die relativ kohlenstoffreichen Sub-
stanzen im Säuglingsharn zu identifizieren, was wir uns vor-
behalten möchten.
102 Langstein-Steinitz, Die Kohleostoff-
VersuchsprotokolleJ)
1. Heldt.
N : 20 ccm Terbr. 10,375 j Säare.
10,426 ,
NH. : 25 ccm vcrbr. 8,7 j^ S; 8,825 j^ S.
C:4 ccm enth. 0,0341 CO,; 0,033 CO,.
2. Scholz.
N N
N : 10 ccm Terbr. 2,875 j S; 2,9 ^ S.
N N
NHt:25 ccm Terbr. 4,1 ^^S; 4,15 |qS.
N N
ür + NH, ») : 5ccm Terbr. 1,05 j S; 1,00 ^.
Ur : 5 ccm Terbr. ^f4 Tq S; 2,5 Tq S.
CO, in 2 ccm = 0,014; 0,012.
3. Heldt
•vr TO^
N : 10 ccm Terbr. 8,55 ^ S; 3,5 j S.
N N
NH,:25 ccm verbr. 5,15-jyS; 5,lj^jS.
N N
ür + NH, : 5 ccm Terbr. 2,95 jq S; 3,00 j^- S.
N N
ür:5 ccm Terbr. 2,9^^8; 3,15 jgS.
CO,iQ 2 ccm = 0,0181; 0,0209.
4. Heldt.
N N
N:10 ccm verbr. 10,9 ^S; 11,05^^8.
CO, in 2 ccm = 0,212; 0,0199.
5. Scholz.
N:10 ccm Terbr. 4,35 jgS; 4,175^^8.
CO, in 2 ccm = 0,0078; 0,006.
N N
*) Bei den Ton nns zur Titration benutzten -^ and tt: Säaren entsprach
1 ccm jS = 3,64 mg N.
1 ccm IQ S = 1,46 mg N.
») Ur = Harnstoff; NH, = Aminosäure.
und Stickstoffaussoheidang darch doD Harn beim Säagling etc. 108
6. Bloy.
N N
N : 10 ccm yerbr. 35,6 j S; 85,5 jS.
N N
NH, : 25 ccm verbr. = 16,3 ^^S; 16,4 j^S.
N N
Ur + NH,:5 ccm verbr. 39,15 j^S; 39,05 jgS.
Ur:5 ccm verbr. 38 ^S; 88,15 jqS.
CO) in 2 ccm-= 0,0647; 0,0649.
7. Bloy.
N:100 ccm verbr. 32,25 jS; 82,8 -^S.
N N
NH,:25 ccm verbr. 11,65 y^S; 11,9 j^S.
Ur + NH, :5 ccm verbr. 35,25 jgS; 35,05 JqS.
N N
Ur:5 ccm verbr. 84,5 j^S; 84,55 ^qS.
CO j in 2 ccm = 0,0588; 0,574.
8. Bittner.
ig ig
N:10 ccm verbr. 22,7 jS; 22,9 ^S.
CO, in 2 ccm = 0,0489; 0,0484.
9. Bittner.
N:10 ccm verbr. 27,2 jS; 26,95 ^S.
CO s in 2 ccm = 0,0551; 0,0538.
10. Linke.
ig ig
N in 10 ccm = 8,45 ^S; 8,45 jS.
NH,: 25 ccm verbr. 1,8 jö^; 1 J& Jo^*
N N
ür + NH, : 5 ccm verbr. 8,6 y^S; 8,65 y^S.
N N
ür : 5 ccm = 8,2 jgS; 8,25 j^S.
CO, in 2 ccm = 0,046; 0,0449.
11. Schäfer.
N N
N:10 ccm verbr. 7,7 -^S; 7,78 ^S.
ig M
NH,:25 ccm verbr. 4,7 j^S; 4,75 ^^S.
N N
Ur + NH,: 5 ccm verbr. 6,85 y^S; 6,75 j^S.
ür:5 ccm = 6,l|QS; 6,1 j^S.
CO, in 2 ccm = 0,0292; 0,0270.
104 Langstein-Steinitz, Die Kohlenstoff-
12. Raabe.
N N^
N:5 ccm verbr. 4,6 ^S; 4,6 ^S.
CO, in 2 ccm =0,0372; 0,0341.
13. Raabe.
N:5 ccm verbr. 6,2 -jS; 6,2 jS.
COt in 2 ccm =0,046; 0,049.
14. Bioy.
N in 10 ccm 11,1 jS; 11,1 jS.
GOt in 2 ccm = 0,0313; 0,0313.
15. Fritsch.
N in 10 ccm = 7,4 jS; 7,3 jS.
COt in 2 ccm = 0,0283; 0,0268.
16. Fritsch.
N N
N in 10 ccm = 6,6 ^S = 6,55 jS.
CO] in 2 ccm = 0,0261; 0,0242.
17. Fritsch.
N N
N : 10 ccm = 13,1 jS; 12,9 -jS.
CO, in 2 ccm = 0,0608; 0,580.
18. Lehmann.
N N
N: 11,95 ^S; 11,85 ;fS.
CO, in 2 ccm = 0,0400; 0,039.
19. Lebmann.
N N
N : 10 ccm 8,35 ^S; 8,35 ^ S.
CO, in 2 ccm = 0,0265; 0,0265.
20. Bittner.
N in 10 ccm 14,4 ^S; 14,2 jS.
CO, in 2 ccm 0,030; 0,031.
21. Krause.
N N
N in 10 ccm 28,15 jS; 28,25 ^S.
CO, in 2 ccm 0,055; 0,057.
22. Krause.
N N
N in 10 ccm 46,15 ;jS; 46,15 ^S.
CO, in 2 ccm 0,0751; 0,0753.
und StickatoffausscheiduDg darch den Harn beim Säugling etc. 105
23. Krause.
N N
N in 10 ccm 37,2 jS; 37,2 jS.
CO I in 2 ccm 0,0698; 0,0695.
24. Dr. E.
N N
N in 10 ccm 15,6 jS; 15,7 ;fS.
CO t in 2 ccm 0,0472; 0,0465.
25. Dr. E.
N N
N in 10 ccm 15,55 jS; 15,75 ^S.
CO, in 2 ccm 0,0474; 0,0468.
7m.
Ober Entfettungskuren im Kindesalter.
Von
Dr. ARNOLD ORGLER.
Entfettungskuren im Kindesalter vorzunehmen, dazu bietet
sich nur selten Gelegenheit. Nicht als ob die Fettsucht im
jugendlichen Alter überhaupt etwas ganz besonders Seltenes
wäre; aber nach den Anschauungen des Laienpublikums und
namentlich der bessersituierten Kreise gilt selbst hochgradige
kindliche Fettleibigkeit nicht als Gegenstand ärztlicher Behandlung.
Auch sprachen theoretische Erwägungen dagegen, im kind-
lichen Alter Entfettungskuren vorzunehmen. So lange man näm-
lich die Ansicht vertritt, dass die Fettsucht, namentlich die des
jugendlichen Alters, eine Konstitutionsanomalie sei, bedingt durch
eine „Yerlangsamung oder Erniedrigung des Stoffwechsels, d. h.
durch eine spezifische Erniedrigung der Leistungen des Proto-
plasma^, so lange musste man es auch für ziemlich zwecklos
halten, durch Entziehungskuren eine Verminderung des Körper-
gewichtes herbeizuführen. Für diese Anschauung liegen aber bis
jetzt keinerlei Beweise vor. Schon die Arbeiten von v. Noorden*),
Magnus-Levy^), Jaquet und Svenson'), die neben dem
Stickstoffstoffwechsel auch den Gaswechsel im nüchternen Zustand
bei fettleibigen Personen untersuchten, boten keine Stütze für
diese Anschauung. Namentlich zeigten aber die grundlegenden,
den gesamten Stoff- und Kraftwechsel umfassenden Untersuchungen
Rubner8*)j dass der Gesamtkraftwechsel fettleibiger Menschen
keine Herabsetzung gegenüber den normalen Individuen er-
kennen lässt.
>) V. Noorden, Pathologie des Stoffwechsels. Berlin 1893.
') Magnus-Leyy, Zeitschrift für klinische Medizin. Bd. 33. 1897.
)) Jaquet and STenson, Ebenda. Bd. 41. 1900.
*) Rubner, Beiträge zur Ernährung im Knabenalter. Berlin 1902.
Orgler, Über Ent/ettungskaren im Kindesalter. 107
Gerade die von Rabner untersuchten beiden Brüder haben
für unsere Betrachtung grosses Interesse, da beide aus einer
kinderreichen Familie stammend gleichmässig in ärmlichen Ver-
hältnissen aufgewachsen sind. Der ältere, einährige normale
Knabe wog 26 kg; der jüngere, zehnjährige fettsüchtige 40 kg.
Das ist nuD ein Verhältnis, aus dem man eigentlich auf eine Stoff-
wechselanomalie, d. h. auf eine Erniedrigung des Stoffwechsels
bei dem fettleibigen Jungen schliessen könnte; und doch zeigte
es sich, dass bei ihm „kein Darniederliegen der Verbrennung,
eher eine Vermehrung" vorlag.
Wenn ich auch die Möglichkeit einer eigentlichen Fettsucht
nicht vollständig bestreiten will, so wird man doch m. E. in den
allermeisten Fällen auch für das jugendliche Alter als Ursache
für das Zustandekommen einer Fettleibigkeit diejenigen Momente
ansehen müssen, die beim Erwachsenen zur Fettleibigkeit führen,
und die v. Noorden^) in folgenden Sätzen präzisiert: 1. Steigerung
der Nahrung bei durchschnittlich normalem Verbrauch; 2. Her-
absetzung des Verbrauches bei durchschnittlich normaler Nahrungs-
zufuhr; 3. Vereinigung von übermässiger Ernährung und herab-
gesetztem Verbrauch."
Als das oberste Prinzip jeder Entfettungskur wird die
Forderung aufgestellt, dass der Organismus kein Ei weiss von
seinem Bestände abgibt. Dass die Wahrung des Eiweissbestandes
bei Entfettungskuren möglich ist, ja dass sogar ein geringer Eiweiss-
ansatz stattfinden kann, geht aus den zahlreichen Stoffwechsel-
versuchen von Dapper^) und von Magnus-Levy') hervor.
Auch der Weg, der bei Entfettungskuren eingeschlagen werden
muss, ist nach dem oben Gesagten klar vorgezeichnet. 1. Ein-
schränkung der Nahrungszufuhr. 2. Erhöhung des Verbrauches
durch Muskelarbeit. Auch darin sind sich alle einig,, dass der
erste Punkt bei weitem bedeutungsvoller ist. Aber eine Ein-
schränkung der Nahrungsmenge bereitet, falls sie für längere
Zeit durchgeführt werden soll, grosse Schwierigkeiten. Man muss
naturgemäss auch auf seelische Momente Rücksicht nehmen, wie
Rosenfeld^) sehr richtig ausführt, und Sorge dafür tragen, dass
') y. Noorden, Id Nothnagels Spezielle Pathologie uod Therapie.
Bd. VII. 1900.
*) Dapper, Archiv für Verdauungskrankheiten. Bd. 3. 1898. Zeit-
schrift för klinische Medizin. Bd. 28. 1898.
') Magnas-Levy, 1. c.
^) Rosenfold, Deutsche Ärzte-Zeitung. 1904. Heft 9.
108 Orgler, Über Entfettangskureo im Kindesalter.
der Patient gesättigt von Tisch aufsteht. Daher kann man nicht
die Quantität der Speisen zu stark vermindern, sondern muss die
Qualität so wählen, dass die Nahrung bei grossem Volumen
dem Körper nur wenig Kalorien zufuhrt. Zu diesem Zweck
empfiehlt Rosen feld neben der Vermeidung von Fett die
voluminöse, aber kalorienarme Kartoffel und die Zufuhr grosser
Flüssigkeitsmengen. Namentlich der letzte Punkt befremdet auf
den ersten Blick; ist doch gerade die Flüssigkeitsbeschränkung
als vorzügliches Mittel zur Entfettung von Oertel und seinen
Nachbetern enthusiastisch empfohlen worden! Ich verweise in
betrefP dieses Punktes auf die Kritik, die Rosen feld ^) an den
Oertelschen Prinzipien übt, und will hier nur folgendes an-
führen. Sicher ist, dass man durch Wasserentziehung allein
einen Gewichtsverlust herbeiführen kann; aber es ist vorläufig
noch völlig unbewiesen, dass dieser Verlust auf Fettschwund be-
ruht; zum grössten Teil hat er seine Ursache in einer starken
Wasserverarmung des Organismus. Dies ist aber gerade bei
Fettleibigen durchaus zu vermeiden. Wie nämlich Rubner*) aus-
führt, tritt beim arbeitenden Fettleibigen schon bei 20 • eine Ver-
mehrung der Wasserdampfabgabe auf, während sie beim Mageren
bei gleicher Arbeit noch fehlt. „28 — 30 ® sind etwa die Grenzen
für das normale Verhalten des schwach arbeitenden Fetten; denn
bei 36 ^ nahm die Bluttemperatur zu, und der Wasserverlust stieg
in ausserordentlichem Masse an." Diese Beobachtung warnt
direkt davor, Flüssigkeitsentziehungen bei fettleibigen Menschen
vorzunehmen. —
Von diesen Gesichtspunkten aus wurde bei einem Knaben
mit hochgradiger Fettsucht eine Entfettungskur vorgenommen.
Fritz Seh., IS'/s Jfthr alt. Der Vater ist mit 52 Jahren an einem
Schlagaofall gestorben; die Mnttcr leidet an Diabetes; sämtliche Familien-
mitglieder sind korpulent. Zwillingskind. Gewicht bei der Geburt 1750 g;
der 5000 g schwere Zwiliingsbrnder nach 10 Tagen gestorben. Nach der
Aussage der Mutter gedieh das Kind an der Ammenbrust pr&chtig, sodass
es mit 2 Monaten das für dieses Alter normale Gewicht erreicht haben soll.
Von Kinderkrankheiten hat Patient Masern, Scharlach und Croup durch-
gemacht. Im Alter von 6 Jahren soll Patient 52 Pfd. gewogen habeo. Mit
8 Jahren wurde Patient auf der Klinik') behandelt;, sein Gewicht betrug
damals 35,5 kg. Nach dieser Zeit lebte Patient nach Oertelschen Prinzipien:
Wenig Flüssigkeit, wenig Kartoffeln, viel Fleisch und Eier. Bei dieser Kost
^) Rosenfeld, 1. c.
') Rubner, 1. c.
>) cf. Göppert, Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. 51. 1900.
Orgler, Über Entfettun gekoren im Kindesalter. 109
ist Patient nie richtig satt von Tisch aufgestanden. Das Körpergewicht
nahm trotzdem von Jahr za Jahr zu, so dass es jetzt zu Beginn der Kar
72,2 kgO beträgt. Patient hat also in b^ji Jahren sein Gewicht verdoppelt.
Nach Quetelet') soll das Gewicht eines Knaben in der Zeit von 8 Jahren
bis za 13^/) Jahren von 21,6 kg anf 35,1 kg, also um 63 pCt. anwachsen:
bei unserem Patienten ist es in diesem Zeitraum um 100 pCt. gestiegen. In
der Schule kommt Patient gat mit, ist stets versetzt worden, muss aber an-
geblich mehr arbeiten als seine Kameraden.
Der 150 cm grosse Knabe zeigt eine ziemlich gleichmässige Fett-
ablagerung am Körper, dicke Backen, sehr stark ausgebildete Mammae,
sehr dicken Leib; auch am Rücken and an den unteren Extremitäten sind
machtige Fettpolster vorhanden. Lordose mittleren Grades. Innere Organe
ohne besonderen Befund. Im Urin nie Eiweiss oder Zucker. Fritz ist ein
aufgeweckter Junge; den Arbeiten im Laboratorium folgt er mit grossem
Interesse, unterstützt die Ärzte beim Aufnehmen von Pulskurven u. s. w.
Dabei ist eine gewisse körperliche Trägheit oder Vorliebe für „sitzende
Lebensweise* vorhanden; wenn Fritz ins Laboratorium kam, holte er sich
sofort einen Stuhl herbei, um sitzend uns zuzusehen; auch auf der Station
pflegte er, wenn er mit den kleinen bettlägrigen Patienten spielte, sich einen
Stuhl heranzuholen.
Während der vier wöchentlichen Entfettungskur nahm Patient
Ton 72,200 kg auf 67,950 kg, also um 4^/4 kg ab, ohne dass er
dabei über irgendwelche Beschwerden klagte. Nach sämtlichen
Mahlzeiten war Patient völlig gesättigt; nur ein einziges Mal
erklärte er, vom Mittagessen nicht ordentlich satt geworden
zu sein. Hin und wieder trat Obstipation auf. Ein- bis zwei-
mal klagte Patient über Kopfschmerzen, an denen er überhaupt
häufig leidet. In der ersten Zeit fiel dem Patienten das Trinken
des Wassers vor der Mahlzeit etwas schwer; doch gewöhnte er
sich nach einigen Tagen vollständig an diese Massregel.
Die Kost wurde unter Berücksichtigung der oben genannten
Momente, Vermeidung von Fett und Saucen, viel Flüssigkeit
und viel Kartoffeln, durch die allgemeine Krankenkost bestimmt.
So gestaltete sich der wöchentliche Speisezettel z. B. in der
dritten Woche folgendermassen:
18. VII. I. Frühstück: 150 ccm Tee«) mit Saccharin, 45 g Semmel,
10 g Honig. -^ 2. Frühstück: 300 ccm Wasser, 85 g Semmel, 20 g
') Der Knabe wurde jeden Morgen vor dem ersten Frühstück in
Hosen, Hemd und Strümpfen gewogen.
3) Zitiert nach Vierordt, Anatomische Tabellen. Jena 1893.
*) Tee und Wasser wurden in vorher ausgemessenen Gefässen yer-
abreicht; die Suppe und das Essen vor den Mahlzeiten gewogen und das
nicht Verzehrte zurückgewogen.
110 Orgler, Über Entfettungskuren im Kindesalter.
Honig; um 12 Uhr 110 ccm Wasser; Mittagessen: 450 com Wasser,
330 g Brühkartoffeln, 110 g Rindfleisch, 60 g Bohnengemüse. Vesper:
250 ccm Tee mit Saccharin, 45 g Semmel; Abendessen: 450 ccm Wasser,
320 g durchgeschlagene Hafergrütze, 120 g Kartoffeln.
19. VlI. I. Frühstück: 250 ccm Tee mit Saccharin, 40 g Semmel^
10 g Honig; II. Frühstück: 85 g Semmel, 175 ccm Wasser; Mittagessen:
450 ccm Wasser, 250 g Brühe, 190 g Kartoffeln, 90 g Kalbsbraten, 110 g
Apfelringe; Abendessen: 450 ccm Wasser, 410 g Sappe und 120 g
Kartoffeln.
20. VII. I. Frühstück: 250 ccm Tee mit Saccharin, 50 g Semmel,
10 g Honig; IL Frühstück: 175 ccm Wasser, 90 g Semmel; Mittagessen:
450 ccm Wasser, 480 g Brühe, 80 g Rindfleisch, 200 g Kartoffeln, um
6Vs Uhr 220 ccm Selterwasser. Abendessen: 450 ccm Wasser, 310 g Brot-
suppe, 170 g Kartoffeln.
21. VII. I. Frühstück: 250 ccm Tee mit Saccharin, 40 g Semmel,
10 g Honig; II. Frühstück: 150 ccm Wasser, 80 g Semmel, 20 g Honig;
Mittagessen: 450 ccm Wasser, 420 g Semmelsuppe, 130 g deutsches Beef-
steak, 140 g Kartoffeln, 100 g Backpflaumen; Abendessen: 450 ccm Wasser,
430 g Griessnppe, 140 g Kartoffeln.
22. VII. I. Frühstück: 100 ccm Tee mit Saccharin. 45 g Semmel,
10 g Honig; II. Frühstück: 100 ccm Wasser, 85 g Semmel, 20 g Honig;
Mittagessen: 450 ccm Wasser, 380 g Brühe, 100 g Rindfleisch, 180 g
Kartoffeln; Vesper: 45 g Semmel; Abendessen: 450 ccm Wasser, 280 g
Brotsuppe, 140 g Kartoffeln.
23. VII. I. Frühstück: 200 ccm Tee mit Saccharin, 45 g Semmel,
10 g Honig; II. Frühstück: 220 ccm Wasser, 85 g Semmel, 20 g Honig;
um 12 Uhr 250 ccm Seiter; Mittagessen: 300 ccm Wasser, 280 g Brühe,
80 g Kalbsbraten, 190 g Kartoffeln; Abendessen: 450 ccm Wasser, 40 g
Reissuppe, 150 g Kartoffeln.
24. VII. I. Frühstück: 150 ccm Tee mit Saccharin, 45 g Semmel,
10 g Honig; II. Frühstück: 200 ccm Wasser, 85 g Semmel, 20 g Honig;
Mittagessen: 450 ccm Wasser, 430 g legierte Suppe, 80 g Schmorbraten,
80g Kartoffeln, 70 g ged&mpfte Kirschen; um 6 Uhr 220 ccm Selterwasser;
Abendessen: 450 ccm Wasser, 70 g Wiener Würstchen, 120 g Kartoffeln.
Vom 19.— 21. VII. und vom 27.^VII.— 1. VUI. ein-
schliesslich wurde ein Stoffwechselversuch zur Bestimmung
des StickstofPumsatzes vorgenommen. Die Nahrungsmittel
wurden täglich analysiert, ebenso der Stickstoff in Urin
und Kot bestimmt. Die Abgrenzung des Kotes geschab im
ersten Versuch mit Kohle; im zweiten Versuch misslang die Ab-
grenzung am ersten Tage, so dass am 29. VII. eine nochmalige
Abgrenzung, diesmal mit Blaubeeren, vorgenommen wurde. Der
zweite vollständige Versuch umfasst daher nur die Tage vom
30. VII.— 1. VIII. einschliesslich.
Orgler, Über Entfettungskuren im Kindesalter.
I. Versuch:
111
Tag
N in
Nahrung
N im
Urin
N im ; ,. T D-i
„ ^ N*Bilanz
Kot
Körpergewicht
19.-20. VII.
20.-21. VII.
21.-22. VII.
7,6110
8,2657
8,5172
7,1976
6,9598
7,063
1,019
1,019
1,019
— 0,6136
+ 0,2869
-f 0,4852
am 19. VII. 69,600
, 20. VIT. 69,300
, 21. VII. 69.400
, 22. VII. 69,100
Im ersten Yei*such hat also Patient 500 g in den 3 Tagen
abgenommen; dabei hat er am ersten Tage 0,6 g N vom Stick-
stoff des Organismus abgegeben, am zweiten Tage wird die
Bilanz positiv; er retiniert 0,3 g N und am dritten Tage 0,4 g
N, sodass einer Abgabe von 0,6 g N eine Retention von 0,7 g
gegenübersteht, also ein Ansatz von 0,1 g N stattgefunden hat.
II. Versuch:
Tag
N in
Nahrong
N im
Urin
N im
Kot
N-Bilanz
Körpergewicht
27.-28. VII.
8,7121
9,0382
0,9326»)
- 1,2587
am 27. VII. 68,550
28.-29 VII.
8,0145
5,965
0,9326«)
+ 1,1169
„ 28. VII. 68,400
29.-30. VII.
8,763
7,1997
0,9326»)
+ 0,6307
, 29. VII. 68,250
30.-31. VII.
7,9163
6,8218
0,8462
+ 0,2483
„ 30. VII. 68,450
31.VII.-1.VIII.
8,0889
6,5034
0,8462
-h 0,7393
„ 31. VII. 68,800
1.-2. VIII.
8,9999
7,4315
0,8462
+ 0,72if2
„ . 1. VIII. 68,100
, 2. VIII. 68,000
Der zweite Versuch zerfallt in zwei Abschnitte; in der ersten
Periode (27. — 29. Juli) wurde nur der Nahrungsstickstoft und der
Urinstickstoff bestimmt, da die Abgrenzung des Kotes misslang;
in der zweiten Periode wurde auch der Kot analysiert. Ich glaube
keinen allzu grossen Fehler zu machen, wenn ich für die ersten
drei Tage des zweiten Versuches das Mittel aus dem Kotstickstoff
des ersten und dem des zweiten Versuches =0,9326 g N setzte.
Dann findet sich am ersten Tage ein Stickstoff defizit von
1,26 g N, am zweiten Tage aber eine Ketention von 1,12 g N,
am dritten Tage werden 0,63, am vierten 0,25, am fünften 0,74,
am .sechsten 0,72 g N retiniert, so dass in den sechs Tagen einer
Abgabe von 1,26 g N eine Retention von 3,46 g N gegenüber-
^), '), '> Die Werte für den Kotstickstofif sind das Mittel aus dem Kot-
stickstoff des ersten Versuches und dem der zweiten Periode des zweiten
Versuches.
112 Orgler, Über EntfettuDgskaren im Kindesalter.
stellt, mithin ein Ansatz von 2,2 g N stattgefunden hat. Dabei
hat das Körpergewicht am 550 g abgenommen, also taglich um
ca. 90 g.
Auffallend sind die täglichen Schwankungen des Stickstoff-
umsatzes bei ziemlich gleichartiger Kost. Dies tritt namentlich
im zweiten Versuch henror, wo einem Defibsit von 1,2 g N am
nächsten Tage ein Plus von 1,1 g N gegenübersteht. Diese
Differenzen finden sich aber auch in den Dapp ersehen*) Versuchen;
hier kommen ganz erhebliche Schwankungen vor, so von
— 2,34 g N bis + 3,61 g N (Versuch I), von — 2,03 g N bis
+ 4,24 g N (Versuch III) bei ziemlich gleichmässiger Kost.
Worauf diese Schwankungen beruhen, dafür kann ich keine Er-
klärung geben.
Ganz lehrreich ist auch der Verlauf der Gewichtskurve. In
der ersten Woche, als die Nahrungsmenge noch nicht völlig aus-
probiert war, ging das Gewicht in den ersten Tagen nur wenig
herab, um dann in drei Tagen um 1 kg zu sinken. Diese geringe
Abnahme der ersten Tage ist wohl darauf zurückzufuhren, dass
Patient infolge der grossen ungewohnten Flüssigkeitszufuhr an
Wasser ansetzte, so dass der Fettverlust durch diesen Wasser-
ansatz verdeckt wurde. Solche unbedeutenden Abnahmen oder sogar
Gewichtszunahmen zu Beginn einer Entfettungskur, die nut starker
Flüssigkeitszufuhr einhergeht, z. B. bei einer Brunnenkur, sind
bekannt. So nahm Dappers') Patientin E. S. (Versuch II) in
4 Tagen um 600 g zu, als nach einer Periode mit geringer
Flüssigkeitszufuhr Kissinger Brunnen gereicht wurde.
Als nun bei meinem Patienten in den folgenden Tagen ein
stärkerer Gewichtsverlust eintrat, als meinen Wünschen entsprach,
wurde die Nahrungsmenge etwas gesteigert. Nachdem so von
der zweiten Woche an die Nahrung genau geregelt war, ging
das Körpergewicht in ziemlich gleichmässiger Kurve herunter,
hin und wieder von 'Körperzunahmen unterbrochen; die tägliche
Abnahme betrug durchschnittlich 150 g. Dabei bestand Stickstoff-
gleichgewicht oder ein niöht unbedeutender Stickstoffansatz.
Mit diesem Resultate können wir ganz zufrieden sein; in
den meisten Dapp ersehen*) Versuchen — ich sehe von den Ver-
suchen mit Stichproben ab — betrug die Gewichtsabnahme in
0 Dapper, 1. c
•) Dapper, L c.
*) Dapper: 1. c.
Orgler, Über Entfettungskuren im Kindesalter. 113
4 Wochen 4,4 kg; 4,8 kg; 4,1 kg. In seinem Selbstversuch er-
zielte Dapper allerdings die bedeutende Abnahme von 5,7 kg
in 18 Tagen und einmal in einem zehntägigen Versuch (Ver-
such IV) eine solche von 2,5 kg; Magnus-Levy*) erzielte eine
Abnahme von 1,8 kg in 4 Wochen; bei meinem Patienten be-
trug die Gewichtsabnahme 4,25 kg in 4 Wochen und wurde ledig-
lich durch Änderung der Nahrungsqualität nach den Rosenfeld-
schen Prinzipien (Vermeidung von Fett, Zufuhr grosser Flüssig-
keitsmengen und viel Kartoffeln) erreicht, ohne dass Muskelubungen
oder gar Schwitzbäder als Hilfsmittel herangezogen wurden.
Fragen wir uns zum Schluss noch, wodurch die Fettleibig-
keit bei unseren Patienten bedingt ist, so glaube ich, dass man
in diesem Falle eine konstitutionelle Fettsucht ausschliessen kann.
Die Leichtigkeit, mit welcher Patient sich entfetten Hess, spricht
entschieden dagegen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die
häusliche Kost in Rücksicht auf den Diabetes der Mutter sehr
viel Fett und nur wenig Kohlehydrate enthielt, dass Patient also eine
an Volumen nicht *zu grosse, aber sehr kalorienreiche Nahrung zu
sich nahm, so wird man wohl diesen Umstand als die haupt-
sächlichste Ursache für das Zustandekommen dieser hochgradigen
Fettleibigkeit ansehen müssen. Den Fettansatz unterstützte dann
die körperliche Trägheit des Patienten, die allerdings auch eine
Folge seiner hochgradigen Fettleibigkeit sein kann.
>) Magnus-Levy: l. c.
J&brbuch f. Kiuderheilkunde. N. F. XLI. Heft 1.
IX.
Ober den Kalk^rehalt des SäugUngsgehinis und seine
Bedeutung.
Von
Dr. ROBERT QüEST
VolontinMitteiiteii der KUaik.
Die Veranlassung zu den vorliegenden Untersuchungen gaben
die Arbeiten Sabbatanis') und seiner Schüler Regoli etc., welche
an Tieren die biologische Wirkung des Kalkes auf das Nerven-
system studierten. Danach haben die geringen Mengen Kalk,
die sich normalerweise in den Muskeln und nervösen Zentren
vorfinden, einen dauernden mässigendenEinfluss auf dieErregbarkeit
derselben. Die normale Erregbarkeit der Grosshimrinde ist von
einem bestimmten Gehalt an aktivem Kalk abhängig. Eine Ver-
minderung des Kalkgehaltes der Hirnrinde erhöht die Reizbarkeit
derselben bis zum Ausbruch von epileptischen Konvulsionen,
während eine Erhöhung des Kaikgehaltes über die Norm die
Reizbarkeit herabsetzt.
Die Versuche wurden von Sabbatani folgendermassen aus-
geführt:
Es wurden bei Hunden ohne Anwendung von Narcoticis
die motorischen Rindenfelder einer oder beider Hemisphären
freigelegt und durch den Rollenabstand eines Induktionsapparates
die Minimalzuckung festgestellt. Dann wurde eine dem Hunde-
blute isotonische CaCl^-Lösung mit einem Baumwolienbausche
einige Minuten lang appliziert und wieder die Minimalzuckung be-
stimmt. Der Effekt war in allen Versuchen der, dass die Er-
regbarkeitherabgesetzt wurde, so z. B. im fixperimente 2 (Regoli):
Vor der Applikation der 5 pCt. CaCIs-Lösung Minimalzuckung
bei 130 mm RA; nach zwei Minuten langer Applikation der
Lösung trat die Minimalzackung bei 125 mm RA, nach fünf
^) SabbataDi, ImportaDza del calcio cbe trovasi nella corteccia
cerebrale. Rivist. sperim. di freniatria 1901. *
Qu est, Über deo Kalkgehalt des Säaglingsgehiros etc. 115
Minuten bei 110 und nach einigen weiteren Minuten erst bei
90 mm RA. auf. Der Einfluss des Kalkes auf die Hirnrinde
wurde aber noch auf eine andere Weise geprüft. Bekanntlich
wird der Kalk aus seinen Lösungen durch Citrate, Oxalate etc.
gefallt, und diese chemische Eigenschaft der genannten Ver-
bindungen wurde nun auch benutzt, um Kalk der Hirnrinde zu
entziehen.
Ihre Anwendung hatte die entgegengesetzte Wirkung auf
die Hirnrinde als die Kalklösung und rief nach länger dauernder
Applikation einen allgemeinen epileptischen Anfall hervor, so
z. B. im Versuche 6: normale Erregbarkeit 130 mm RA., nach
einmaliger Anwendung einer Natrium oxalicum-Lösung 140 mm RA.,
nach der vierten Applikation 165 mm RA. und nach der fünften,
Auftreten von allgemeinen Krämpfen. Im Versuche 10 wurden
auf derselben Hemisphäre zuerst eine CaCl^Lösung, dann eine
Trinatriumcitrat-Lösung nacheinander aufgelegt mit demselben
Erfolge wie in den früheren Versuchen. Durch diese physio-
logischen Versuche wurde also festgestellt, dass eine auf die
Hirnrinde applizierte Kalklösung die Erregbarkeit derselben
herabsetzt. Über den Mechanismus der Einwirkung der Kalk-
lösung spricht sich Sabbatani überhaupt nicht aus. Roncoroni^)
vermutet, dass sie nach der Arrheniusschen Theorie stattfinde.
Diese Arbeiten eröffneten einen neuen Gesichtskreis für das
Studium der mit Krämpfen einhergehenden Erkrankungen, besonders
der Epilepsie. Auf Anregung Sabbatanis hat Roncoroni')
bei drei Epileptikern therapeutische Versuche in dieser Richtung
hin angestellt. Er wählte dazu eine Calciumbromat-Lösung,
welche subkutan injiziert wurde. Hierbei sollte sich die Wirkung
des Calcium und des Brom summieren. Bei zwei Epileptikern
ging die Anzahl der Anfälle zurück, beim dritten blieb die
Therapie erfolglos. Roncoroni meint, es müsse sich in diesemFalle,
welcher mit Idiotie kompliziert war, wahrscheinlich um schwere
anatomische Veränderungen des Gehirnes handeln.
Im Hinblick auf die grosse Wichtigkeit der Sache — ist
doch die Pathogenese der funktionellen Krämpfe besonders im
Kindesalter noch völlig rätselhaft — schien es von Interesse zu
sein, nachzusehen, ob man die Richtigkeit der Theorie Sabbatanis
^) Roncoroni, Alcune esperienze intorno all' azione del calcio sulla
corteccia cerebrale. Rivista sperim. di freniatria 1908.
)) Roncoroni, Aumento delP eccitabilita corticale e fenomeni di
epilessia Estratto dall' Archivio di Psichiatria. Vol. XXIV. 1903.
8»
116 Qu est, Über den Kalkgehalt
nicht auf einem anderen Wege ermitteln könnte und zwar vor
allem durch Bestimmung des Kalkgehaltes in Gehirnen von
Kindern, die unter Erscheinungen von Krämpfen ad exitum
gekommen sind; andererseits drängte sich die Frage auf, ob und
in welcher Beziehung der etwa pathologisch veränderte Kalk-
gehalt des Gehirnes zum Kalkstoffwechsel im allgemeinen stehe.
Dass wir durch die Ernährung die Erscheinungen der Tetanie
und anderer funktioneller Neurosen des Kindesalters beeinflussen
können, ist durch die Arbeiten Gregors ^ und spätere Mit-
teilungen Finkelsteins^), Thiemichs') und Japhas^) bekannt
geworden. Es ist durch diese Arbeiten festgestellt worden, dass
durch Frauenmilchernährung und Wasserdiät die elektrische
Übererregbarkeit binnen 24 bis 48 Stunden herabgedruckt
werden könne, während bei der Ruckkehr zur kunstlichen Er-
nährung die Krankheitssymptome wieder prompt zurückkommen»
Dass irgend ein bestimmter Bestandteil der Nahrung, wie ihn
Finkelstein in der Molke gefunden zu haben glaubt, die
Nervenüberregbarkeit verursache, ist nicht anzunehmen. Es
sprechen dagegen die Erfahrungen, welche an der Breslauer
Klinik gemacht wurden, indem doch, wenn auch vereinzelte^
Tetaniefälle bei ausschliesslicher Ernährung an der Brust und bei
Allaitement mixte beobachtet wurden, bei welchem die Zufütterung
lediglich aus Kohlehydraten bestand. Jedenfalls ist das eine
sicher, dass es bei rationell durchgeführter natürlicher Ernährung
so gut wie keine Tetanie gibt, und dass keine künstliche Er-
nährung den Säugling sicher vor dieser Erkrankung zu schützen
vermag. Alle diese Umstände sprechen dafür, dass es sich bei
den funktionellen Hyperkinesen der Säuglinge um eine Schädigung
des Stoffwechsels, vielleicht des Kalkstoffwechsels, handle.
Inwiefern sich diese Zustände mit der bekanntesten, mit Kalk-
armut des Organismus einhergehenden Konstitutionsanomalie —
der Rachitis — in Einklang bringen lassen, ist noch nicht er-
wiesen. Allerdings wäre die Anschauung, dass es sich bei den
genannten Störungen um eine dauernde oder temporäre Ab-
normität des Kalkbestandes des Gehirnes handle, plausibler, als
die Kassowitzsche Theorie, nach welcher bekanntlich die ent-
0 Arch. f. Kinderheilk. XXIX. Bd. 1900. S.44, u.Monatsschr. f. Psychiatrie
u. Neurologie. Bd. X. Heft 2. /
>) Finkelstein, Fortschritte der Medizin, Bd. 20, 1902.
») Thiemich, Revue d'hygieoe et de raedecine infantiles. Tome IL 1908»
*) Japha, Berl. klin. Wochenschr. 1903, S. 1126.
des Säagliogsgehirns aod seine Bedeatung. 117
zundliche Hyperämie des rachitischen Schädels einen Reiz aut
die corticalen Zentren ausüben sollte.
Bei meinen Untersuchungen habe ich mich darauf beschränkt,
den Ealkgehalt in Gehirnen von Kindern mit normalem und
abnormem Nervensystem festzustellen.
Zur Verarbeitung gelangten insgesamt 12 Gehirne, und zwar
2 Gehirne von Föten, 1 von einem Neugeborenen, 4 von normalen
Kindern, 3 Gehirne von Kindern mit Tetanie und 2 von Kindern
mit Muskelhypertonie.
Wegen der geringen Kalkmengen im Gehirne musste auf
•die Bestimmung derselben in der Hirnrinde allein verzichtet
und die ganze Gehirnmasse verarbeitet werden.
Die Methode, deren ich mich dabei bediente, war im
jiUgemeinen dieselbe, welche in Hoppe-Seylers Lehrbuch der
physiologischen Chemie angegeben ist: Das Gehirn wurde von
•den Häuten und Gefässen möglichst sorgfältig befreit, dann zer-
kleinert und mit Alkohol zu einem Brei zerrieben. Derselbe
wurde auf dem Wasserbade getrocknet, pulverisiert, durch mehrere
Tage mit 80pCt. Alkohol, heissem Alkohol, Chloroformalkohol
behandelt und schliesslich im Sox hl et sehen Ätherextraktions-
apparate vollkommen entfettet.
Bei diesem Vorgange wurden Fett, Lecithin, Protagon etc.
«ntfernt, und es brauchte deshalb nicht unnutz viel Substanz
zur Verarbeitung gelangen, was bei den geringen in Betracht
kommenden Kalkmengen von Vorteil war. Die Schwankungen
des N-Gehaltes in dem zur Verarbeitung verwendeten Material
sind, wie aus den Tabellen zu ersehen ist, nur gering (10,63
bis 12,31 pCt.).
Dieser Umstand spricht für die Gleichmässigkeit des Materials.
Wegen des fast konstanten N-Gehaltes des verwendeten Gehirn-
pulvers habe ich auch den Kalkgehalt auf diese Grösse bezogen
N
und denselben als Quotienten -p— angegeben.
Von dem feinen Pulver wurde ein Teil zur Ca-Bestimmung,
•ein zweiter zur N-Bestimmung und ein dritter zur Bestimmung
-der Trockensubstanz genommen.
Das Ca wurde nach vorherigem Ausfällen des Fe durch
Ammon. oxalic. ausgefällt, als CaO gewogen und auf die Werte
für Ca umgerechnet. Der N- Gehalt wurde nach der Kjeld abl-
ochen Methode bestimmt.
Gehirn-
Genvicht
NpCt.
Ca pCt.
N
Ca
63,9 g
13,4
0,168
79
145 ,
11,71
0,164
71
339,6 ,
10,63
0,107
99
605 ,
11,44
0,072
15S
1119 „
12,20
0,074
164
—
11,20
0,067
167
1204 g
11,54
0,0506
228
118 Quest, Über den Kalkgehalt
Es verhielt sich nun der Ealkgehalt der Gehirne von Kindern
mit normalem Nervensystem folgend ermassen:
No. 1. 7 Monate alter Fotos i) . .
No. 2. 8 Monate alter Fötus . . .
No. 8. Neugeborenes, 1 Tag alt . .
No. 4. Willy H., 4 Monate alt . .
No. 5. Rudolf H., 1 J. 4 Mon. alt
No. 6. Carl S., 2^8 Jahre alt») . .
No. 7. Curt L., 8 Jahre alt . . .
Kind No. 3: Zwilling.
Kind No. 4 ist an einer akuten Magen darmerk rankung mit Sklerem
gestorben.
Kind No. 5: Akute Magendarmerkrankung mit beginnender Kerato-
malacie.
Kind No. 6: Schwere septische Scarlatina und Tuberculosis pulmonum.
Rachitische Auftreibungen der Epiphysen.
Kind No. 7: Nephritis post scarlatinam, Pneumonie, starke Herz*
dilatatioo, keine Urämie.
Aus obiger Zusammenstellung ist zu ersehen, dass der Kalk-
gehalt des Gehirnes beim Fötus und Neugeborenen auffallend
hoch ist, während er später ziemlich schnell abnimmt, so dass das
4 Monate alte Kind bereits nur halb soviel Gehirnkalk besitzt,
als der 7 — 8 Monate alte Fötus. Bei den nächstfolgenden älteren
Kindern nimmt derselbe allmählich aber konstant mit zunehmendem
Alter ab.
Dieses rasche Sinken des Kalkgehaltes des Gehirnes in den
ersten Lebensmonaten ist aus den Entwicklungsverhältnissen des-
selben wohl erklärlich. Nach den Untersuchungen von Toyo-
naga^) enthält nämlich die zellkernreiche Hirnrinde bei Pferd
und Kalb viel mehr Kalk als die zellkernarme Marksubstanz.
Er führt diese Tatsache in Übereinstimmung mit den Befunden
von Loew auf den Umstand zurück, dass der Kalkgehalt mit der
Anzahl der Zellkerne steigt. Nun wissen wir aber, dass beim
Neugeborenen die graue Gehirnsubstanz bei weitem mehr ausge-
bildet ist, als die weisse, die sich erst im Laufe des 1. und 2.
Lebensjahres entwickelt.
1) Von diesem Gehirne wurde nur eine N- und eine Ca -Bestimmung
gemacht. Diese Zahlen sind auf das entfettete Ausgangsmaterial berechnet^
während alle anderen auf absolute, fettfreie Trockensubstanz berechnet sind.
*) Ohne Kleinhirn zur Verarbeitung genommen.
*) Toyonaga, Bull, of the KoU. of Agric. Tokio 5 zitiert nach dem
Refer. in Malys Jahresb. für Tierchemie 1902, S. 530.
des Säugliogsgehims und seine Bedeutung. 119
Die Verringerang des Ealkgehaltes des Gehirnes mit zu-
nehmendem Alter fände also in der anatomischen Entwicklung
eine Erklärung.
Aus meinen Untersuchungen ergibt sich natürlich nicht ohne
weiteres als Tatsache, dass die Gehirnrinde des Neugeborenen
kalkreicher, als die des Erwachsenen ist; nehmen wir dies aber
zunächst einmal an und fragen wir: Wie verhält sich dies zur
Theorie von Sabbatani?
Ergibt sich aus den obigen Untersuchungen, dass der Kalk-
gehalt im Gehirne des Neugeborenen grösser ist, so drängt sich
die Frage auf, ob entsprechend der Theorie von Sabbatani die
Erregbarkeit in diesem Lebensalter geringer ist. — Dies ist nun
nach den vorliegenden Untersuchungen^) tatsächlich der Fall.
Soltmann hat durch Versuche bei jungen Hunden und
Katzen festgestellt, dass den Neugeborenen dieser Tierspecies die
elektrische Erregbarkeit der motorischen Rindenbezirke voll-
kommen fehlt.
Wenn auch diese Untersuchungen von den Nachuntersuchern
nicht im vollen Umfange bestätigt worden sind, indem es nämlich
Paneth gelungen ist, bei jungen Welpen durch elektrische
Reizung der Rindenzentren Zuckungen hervorzurufen, so besteht
doch die Tatsache zu Recht, dass beim Neugeborenen aller Tier-
arten und auch beim Menschen (wie der, wenn auch nicht ein-
wandsfrei beobachtete Fall von C. Westphal zeigt)^) die Erreg-
barkeit viel . geringer ist.
Das physiologische Sinken des Ealkgehaltes geht in den
ersten Lebensmonaten rasch vor sich, in der zweiten Hälfte des
ersten Lebensjahres dagegen, also gerade in der kritischen Zeit,
wo die meisten Tetanieerkrankungen vorkommen, langsamer und
nähert sich allmählich dem Verhalten beim älteren Kinde.
Wie verhält sich nun der Kalkgehalt des Gehirnes in patho-
logischen Fällen, zunächst bei der Tetanie? Hier sollte man
nach Sabbatani eine Verminderung des Hirnrindenkalkes vor-
aussetzen.
1) Siehe Literatur bei Thiemich: Über die Funktionsfäbigkeit der
mot. Rindenfelder beim Säuglinge. Zeitschr. f. klin. Medizin 1902. Bd. 45.
Heft 8 und 4.
') C. Westphal konnte bei einem neugeborenen Kinde, dessen Gehirn
nur von der Pia bedeckt zu Tage lag, analog den Soltmannschen Ver-
suchen keine Erregbarkeit der Hirnrinde finden.
120 Qu est, Über den Kalkgehalt
Unter den von mir untersuchten Gehirnen befinden sich
drei von Kindern, welche mit eklamptischen Konvulsionen ad exitum
gekommen sind, und zwar
Gehirn- ^, « « ^ N
gewicht NpCt. CapCt. ^
Kind No. 6. Erich L.»), 10 Mou. 692 g 11,05 0,041 269
„ 7. Gertrnd P., 11 Mon. 816 „ 11,295 0,047 240
„ 8. Frieda W., IJ. 11 Mon. 1010 „ 12,11 0,0535 226
Makroskopisch boten alle drei Gehirne keine pathologisch-
anatomischen Veränderungen dar.
Kiod No. 6. Keine Rachitis. 4 Tage voi dem Exitas Krämpfe.
Facialis - Phänomen, einige laryngospastische Anfälle. Der Tod erfolgte
während eines eklamptischen Anfalles.
Kind No. 7. Mit Erscheinungen manifester Tetanie: Facialis- Phänomen,
typische laryngospastische Anfälle, dauernd spontane Totaniestellung der Hände,
Krämpfe. Keine Zeichen von Rachitis.
Kind No. 8 Rachitis hohen Grades. Hatte bereits mit 1 J. 5 Mon.
Krämpfe gehabt. Mit 1 J. 11 Mon. zahlreiche Anfälle von Stimmritzenkrampf,
starkes Facialis-Phänomen. Dififuse Bronchitis.
Vergleicht man den Kalkgehalt der Tetaniegehirne mit dem
der entsprechend annähernd gleichaltrigen normaler Kinder, so
sieht man, dass der Kalkgehalt der ersteren geringer ist. Aus
der geringen Anzahl der untersuchten Tetanikergehirne kann man
jedenfalls noch keine endgültige Schlussfolgerung auf die Ab-
hängigkeit der Übererregbarkeit von der Kalkarmut des Gehirnes
ziehen. Beim Kinde No. 6 steht noch die Frage offen, ob der
auffallend niedrige Kalkgehalt des Gehirnes nicht doch durch die
Formalininjektion in irgend welcher Weise bedingt ist.
Die letzte Gruppe der untersuchten Gehirne gehört Kindern
an, welche während ihres Lebens Symptome von allgemeiner
Muskelhypertonie aufwiesen, ein Krankheitsbild, wie es von
Czerny und Moser*) und Gregor*) beschrieben worden ist. Eines
von ihnen zeigte zeitweise elektrische Übererregbarkeit; die
letzten Tage vor dem Exitus wies es normale elektrische Werte
auf, bei dem zweiten konnte während der mehrwöchentlichen
klinischen Behandlung nie eine elektrische Übererregbarkeit
konstatiert werden. Der Kalkgehalt beider Gehirne zeigt keine
1) Das Kind No. 6 wurde post mortem zu anderen Zwecken nach der
Gregor sehen Methode mit Formalin injiziert. S. ausführliche Kranken-
geschichte bei Tada (S. 163 dieses Heftes).
») Jahrb. f. Kinderheilk. N. F. XXXVIII. 1894. p. 449.
») 1. c.
des S&ugliog8gehiros iiod seine Bedeutung. 121
übereinstimmenden Werte, sodass man aus diesen Zahlen keinen
Schluss ziehen kann.
Gehirn- ^, ^ ^ ^ N
gewicht NpCt. CapCt. ^
Kind No, 9. Paul ü., 3 Mon. 514 12,31 0,065 189
, „ 10. Paul B., 4 Mon. 535 11,68 0,075 155
Aus meinen vorliegenden Untersuchungen ergeben sich zwei
Kesultate:
Das erste, wie ich glaube, wohl gesicherte, ist die Tatsache, dass
der Ealkgehalt im Gehirne des Neugeborenen relativ hoch ist
und in der weiteren Entwicklung in gesetzmässiger Weise ab-
nimmt, und zwar in den ersten Lebensmonaten rapider, dann
allmählicher. Das zweite Ergebnis, welches bei der naturgemässen
Seltenheit des Materiales aus nur wenigen Beobachtungen hat
abgeleitet werden müssen, ist dies, dass die Gehirne von tetanie-
kranken Kindern im Vergleiche mit den von tetaniefreien einen
auffallend geringen Ealkgehalt aufgewiesen haben.
Bei der hohen prinzipiellen Wichtigkeit dieser Befunde bleibt
es natürlich wünschenswert, dieselben erst dann als absolut sicher
zu weittragenden Schlüssen zu verwenden, wenn sie durch zahl-
reichere Untersuchungen ihre Bestätigung gefunden haben werden.
X.
Zur Kenntnis der natürlichen Immunität des Kindes
im ersten Lebensjahre. 0
Von
Dr. ALADÄR SCHÜTZ.
VolonttrasslitenUn der Kliuik.
Die Frage, wie weit der Darmtractus der Säuglinge gegen
Gifte und Bakterien geschützt ist, war im letzten Dezennium
Gegenstand mancher Versuche und Betrachtungen.
V. Zaremba^), welcher die Schutzvorrichtungen des Darm-
tractus gegen Gifte studierte, fuhrt aus der Literatur nur zwei
an menschlichlichen Föten vorgenommene Untersuchungen an.
Charrin fand, dass die giftzerstörende Fähigkeit der Leber bereits
im 5. Monate des Fötallebens besteht, und Roger sah, dass die
Leber eines Fötus, falls sie glykogen haltig ist, bei Bruttemperatur
Alkaloide unwirksam macht.
V. Zaremba prüfte bei 4 Kindern die entgiftende Wir-
kung von Pancreasextrakt gegenüber Diphtherietoxin. Von drei
an verschiedenen Krankheiten gestorbenen Säuglingen im Alter
von 4 Wochen, 4 und 4^2 Monaten entgiftete das Pancreasextrakt
die 20, 7 bez. 15 fach tödliche Giftdosis, und in einem Falle,
welcher ein 4 Monate altes Kind betraf, erwies es sich un-
wirksam.
Ich machte es mir zur Aufgabe, die Schutzkraft des Magen-
saftes neugeborener Kinder gegenüber Bakteriengiften zu prüfen.
Die zu den Untersuchungen ausgewählten neugeborenen Kinder
stammten aus der kgl. Universitäts-Frauenklinik, deren Direktor
Prof. Küstner ich für diese Unterstützung grossen Dank schulde.
Die älteren gesunden und kranken Säuglinge, deren Mageninhalt
1) EiDe Yorläufige Mitteilung erfolgte im Budapesti Orvosi Ujeag.
1904. No. 3. Jao.
») Arch. f.Verdauungskrankh. Bd. VI. 1900.
Schütz, Zar Kenntnis der natürlichen Immunität etc. 123
ich zu Untersuchungen verwendete, wurden dem Materiale der
Kinderklinik entnommen.
Zur Prüfung der toxinhemmenden resp. -vernichtenden Eigen-
schaft des Magensaftes benutzte ich das in seinen Eigenschaften
best studierte Diphtherietoxin^, welches mir von den Farbwerken
vorm. Meister, Lucius u. Brüning in Höchst bereitwilligst
zur Verfügung gestellt worden war.
Die Technik meiner Versuche war folgende: 1 Teil der
0,5 pCt. Karbolsäure haltigen Dtoxinbouillon wurde mit 4 Teilen
steriler 0,8 pCt. NaCl-Lösung versetzt. Da diese Mischung in
2 Wochen trübe wurde (negat. bakter. Befund), ohne dabei an
toxischer Kraft einzubüssen, benutzte ich vom 5. Versuche an
zur Verdünnung eine mit 0,5 pCt. Karbolsäure versetzte Koch-
salzlösung. Die Toxinlösung blieb darnach klar. Sie wurde im
Finstem im Eisschranke aufbewahrt. Durch Vorversuche wurde
festgestellt, dass 0,025 cm' der Toxinverdünnung resp. 0,005
unverdünntes Toxin 100 g Meerschweinchen ziemlich genau in
24 Stunden tötete, was ungefähr der 3 fachen Dosis letalis minima
entsprach. (Dosis let. min. ist die Toxinmenge, die 100 g Meer-
schweinchen in 4 Tagen tötet.) Ich verwendete so hohe Toxin-
dosen, um die toxinhemmende resp. -vernichtende Wirkung des
Magensaftes möglichst klar zu veranschaulichen.
Alle zu den Versuchen notwendigen Gegenstände wurden in
heisser Luft sterilisiert. Der Mageninhalt wurde bei Brustkindern
1^/4, bei künstlich genährten Kindern l*/a — 2Stunden nach beendeter
Mahlzeit mit vorher ausgekochter Magensonde ausgehebert, in
Glasgefässen aufgefangen und in Porzellanschalen zu einer mög-
lichst homogenen Masse verrieben. Diese Masse verwendete ich
stets unfiltriert.
Jeder Mageninhalt wurde auf freie Salzsäure (Günzburgsches
Reagens) untersucht. Es ist bemerkenswert, dass in den von mir
untersuchten Fällen niemals freie Salzsäure nachweisbar war, ob-
zwar der Mageninhalt stets zu einer Zeit nach der Nahrungs-
aufnahme ausgehebert wurde, zu der man nach den schon vor-
liegenden Erfahrungen freie Salzsäure hätte erwarten können.
Wenn Mageninhalt in genügender Menge vorhanden war, wurde
auch die Gesamtacidität ermittelt. Endlich ist noch zu erwähnen,
dass zumeist vom Mageninhalte auf Serumplatten abgeimpft
wurde.
1) Der Kurze halber bezeichne ich es im folgenden: Dtozin.
124 Schütz, Zar Kenntnis der natürlichen Immunität
Durch besondere Untersuchungen wurde festgestellt, ob nicht
schon die Milch, welche die zu meinen Beobachtungen herange-
zogenen Kinder bekamen, antitoxische Eigenschaften besass. Zu
diesem Zwecke wurden bei firastkindem vor und nach dem
Anlegen des Kindes Proben der Frauenmilch gesammelt. Bei
künstlich genährten Kindern wurde ein Teil der Nahrung zur
Untersuchung reserviert. Alle Milchproben wurden bis zur Be-
nutzung auf Eis aufbewahrt.
Die Mischungen von Toxin mit Mageninhalt oder Milch wurden
mit einer in 100 Teile geteilten 1 cm'-Pipette in Uhrschälchen
hergestellt. Sie wurden stete mit einer 0,8 pCt. NaCl-Lösung
auf ein einheitliches Volumen gebracht und ^^ — ^U Stunden lang
im Thermostaten der Brutwärme ausgesetzt. Die Menge der an-
gewandten Toxinmischungen wurde stets auf 100 g Tierkörper-
gewicht berechnet.
• .
Die Versuchstiere (Meerschweinchen) wurden schon einige
Tage vor den Versuchen täglich gewogen. Es wurden meist nur
an Gewicht zunehmende Tiere verwendet.
Ich impfte subkutan in der Bauchgegend, selbstverständlich
unter aseptischen Kautelen. Die Tiere wurden nach der Impfung
anfangs täglich, später jeden 2. Tag, endlich einmal wöchentlich
gewogen. Gefuttert wurden dieselben mit Mohrrüben, Gras und
Heu. Das Schicksal der Versuchstiere wurde, wenn sie am Leben
blieben, wochenlang kontrolliert; starben sie, so wurde der Tod
nur dann als Folge des Diphtherietoxins betrachtet, wenn sich
bei der Sektion mehrere der bekannten, für Diphtherie charak-
teristischen Befunde erheben Hessen.
Dies muss deshalb erwähnt werden, weil sich in Kontroll-
versuchen schon die Injektion von Milch oder Magensaft allein
für die Tiere als ein schwerer EingriflF erwies. Reagierten doch
die Meerschweinchen in den meisten Fällen mit mehr oder minder
starken Gewichtsabnahmen.
Die bei einzelnen Tieren an den Injektionsstellen beob-
achteten Infiltrate und Schorf bildun gen können nicht ohne
weiteres, wie dies zumeist angenommen wird, als abgeschwächte
Giftwirkung gelten; denn Nencki, Sieber und Schoumow-
Simanowski^) sahen sogar nach subkutaner Injektion von
') Centralbl. f. Bakt. 1898. Bd. XXIII.
des Kiodes im ersten Lebensjahre. 125
sterilem Magensafte Infiltrationen, bei Injektion grösserer Mengen
Schorfbildungen der Bauchwand auftreten. Da bei meinen Ver-
suchen, wie ich mich durch Abimpfen überzeugte, der Magen-
inhalt nicht steril war, so bin ich nicht geneigt, den Infiltrationen
oder Schorf bildungen besonderes Gewicht beizulegen.
Ebenso wenig Wichtigkeit scheint mir den kleinen zeitlichen
Unterschieden im Eintritt des Todes der Meerschweinchen unter
dem Einflüsse des Dtoxins zuzukommen. Dieselben müssen
auf individuelle Eigenschaften der Meerschweinchen bezogen
werden. Schon Ehrlich^) äusserte sich darüber: „Als einfach
tödliche Dosis möchte ich auf Grund meiner langjährigen, ausge-
dehnten Erfahrung das Quantum bezeichnen, das jedes Meer-
schweinchen von 250 g sicher im Laufe des 4., allerhöchstens
noch des 5. Tages tötet. Ein solches Quantum kann empfäng-
liche Tiere schon schneller, binnen 36 — 48 Stunden töten." Ähn-
liche Erfahrungen finden sich in meinen Versuchen (z. B. in
Versuch XI und XIII). Ein Tier starb nach Injektion von
0,00203 cm^ Dtoxin pro 100 g Körpersubstanz nach ungefähr
64 Stunden, ein anderes gleichschweres Tier, das nur 0,00166 cm*
erhielt, in 38 Stunden.
In meinen Versuchsreihen finden sich einzelne Befunde,
welche sich nicht erklären lassen und manchmal sogar im Wider-
spruch zu einer ganzen Reihe von Befunden stehen. Ich habe
sie in den Protokollen angeführt, weil sie geeignet sind, die
Fehlerquellen der Tierexperimente zu kennzeichen, um den Wert
derselben einzuschränken, aber nicht aufzuheben.
Die Resultate meiner Untersuchungen sind folgende:
No. I. 8 Tage altes, drittes Kind einer 28jährigen Frau. Mutter seit
der Geburt fieberfrei. Das Kind kam mit 2260 g Gewicht spontan zur Welt.
Vom 3. Tage an Ikterus. Am 4. Tage war mit 2200 g die grösste Gewichts-
abnahme erreicht. Am 6. Tage Nabelabfall. Am 8. Tage 2290 g Gewicht,
normale Temperaturen. Stühle normal. Ikterus hielt an. Das Kind schlief
gut, trank 3 stündlich aus beiden Brüsten, 6 mal im Tage. Am 8. Tage vor-
mittags Nahrungsaufnahme von 50 g. 1^4 Stunde nach beendetem Trinken
wurden mit der Sonde 5 cm* fein geronnener Mageninhalt entleert, der keine
freie Salzsäure enthielt. Die Mischungen von Mageninhalt und Toxin wurden
1^4 Stunden lang der Brutwärme ausgesetzt.
i) Klin. Jahrbuch. Bd. VI. 1897.
126 Schutz, Zur Kenntnis der natürlichen Immunität
Tabelle I.')
A
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 14. X. 03
Injiziert wurden
(absolute Meoge)
Gew.
am
9. XI.
03
Verlauf des Versuches
Ä
Toxin
Magen-
inhalt
Prauen-
milch
1.
260
0,013
—
—
—
Tod am 15. X., mittags. Lungen-
atelekiase. Pleuratranssudat. Ge-
ringe Nebennierenhyperämie
2.
. 275
0,014
0,07
—
303
Lebt
3.
280
0,014
0,35
—
353
Lebt
4.
275
0,014
0,70
—
855
Lebt
5.
250
0,013
0,065
erw&rmt
Tod am 15. X., nachm. 7 Uhr.
Geringes hämorrhagisches Ödem
der Injektionsstelle. Transsudat
der Pleuren u. des Peritoneums.
Lungen atelektatisch. Geringe
Nebennierenhyperämie
6.
245
0,013
0,325
erwärmt
—
323
Lebt
7.
260
0,013
0,65
erwärmt
—
295
Lebt
8.
240
0,012
0,06
Tod am 15. X., nachm. 5 Uhr.
Suffusion der injizierten Stelle.
Nebennierenhyperämie. Ausge-
breiteteLungenatelektase. Pleura-
transsudat
9.
305
0,015
0,75
Tod am 15. X., nachm. 7 Uhr.
Geringe Hyperämie der Injek-
tionsstelle. Ausgebr. Lungen-
atelektase. Pleuratranssudat.
Grosse Milz. Petechien am Peri-
toneum, Darm u. Nebennieren
10.
275
—
—
0,75
393
Lebt
0,025 cm» Mageninhalt vernichtet im Verhältnis von 5:1 die Wirk-
samkeit der dreifach tödlichen Toxinmenge (pro 100 gTier). 5 Minuten
lang auf 60<> C. erwärmt, wirkt der Mageninhalt schwächer, denn 0,132 cm^
hemmt erst im Verhältnis von 25 : 1 die Wirkung der dreifach tödlichen
Toxinmenge. Muttermilch (50 : 1) erweist sich unwirksam.
No. II. 32 Tage altes Kind, das fünfte einer 33jährigen Frau, die
seit der Geburt intermittierendes Fieber und starken Auswurf hat. 2 Kinder
sind an Lungenentzündung gestorben, 2 leben. Spontane Geburt. Anfangs-
gewicht des Kindes 3200 g. Abnahme bis zu 3010 g am 3. Tage. Das Kind
nimmt an der Brust nicht zu, wiegt am 15. Tage erst 3040 g. Vom 16. Tage
^) Die Injektionen wurden stets zwischen 2 und 5 Uhr nachmittags
ausgeführt. Für die von Mitternacht bis 6 Uhr morgens verendeten Tiere
ist als Zeit des Todes 6 Uhr früh angegeben.
des Kiodes im ersten Lebensjahre.
127
an bekommt es V« Milch and '/i Wasser und Milchzucker; vom 26. Tage
V, Milch und >/t Wasser. Am 32. Tage 3270 g Gewicht; dauernd fieber-
frei; täglich 1 — 2 normale Stuhle. Trinkt vormittags 100 g Nahrung. Nach
2 Stunden werden 15 g grobflockiger Mageninhalt ausgehebert. Keine freie
Salzsäure. Gesamtazidität 0,135 pGt. (in Salzsäure ausgedrückt). Die Misch-
ungen von Mageninhalt und Toxin werden ^4 Stunde in den Thermostaten
gestellt.
Tabelle II.
o
t* fleo
» © o
'S , JS .
«> MC
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Toxin
Magen-
inhalt
Kuh-
milch
Gew.
am
16. XI
03
Verlauf des Versuches
1.
700
0,03
2.
400
0,02
3.
410
0,02
4.
435
0,022
5.
460
0,023
6.
460
0,023
7.
1
370
0,1
0,5
1,15
1,15 I -
erwärmt i
— 1,15
— 1,15
327
Tod am 16. X., nachm. 5 Uhr.
0 bduktionsbefund für Diphtb erie
typisch
Tod am 16. X., nachm. 3^, Uhr
Obduktionsbefund für Diphtherie
typisch
Tod am 17. X., früh 6 Uhr. Ob-
duktionsbef. f. Diphth. typisch
Tod am 17. X., früh 6 Uhr. Ob-
duktionsbef. f. Diphth. typisch
Tod am 17. X., früh 6 Uhr. Ob-
duktionsbef. f. Diphth. typisch
Tod am 17. X., früh 6 Uhr.
Ödeme der Injektionsstelle. Ge-
ringe peritoneale Petechien
Tod am 29. XI. an Tuberkulose
0,25 cm* Mageninhalt bleibt in natürlichem wie erwärmtem (5 Min,
70^ C.) Zustande unwirksam (50: 1), ebenso die Milch.
No. IIL 7 Tage altes Kind. Mutter 26 Jahre alt, II para, war nie an
Diphtherie erkrankt; seit der Geburt des Kindes fieberfrei. Spontane Ge-
burt. Anfangsgewicht des Kindes 3000 g. Abnahme bis zu 2710 g am
3. Tage. Am 7. Tage 2880 g Gewicht; Nabelschnur noch nicht abgefallen.
Ikterus nicht vorhanden. Das Kind gedeiht gut, trinkt 60 g. 1^4 Stunden
nachher werden 20 g Mageninhalt ausgehebert. Derselbe reagiert stark sauer.
Keine freie HCl. Ges. Acid. 0,274 pGt. Die Mischungen von Mageninhalt
und Toxin V, Stunde im Thermostaten gehalten. (Tab. III S. 128.)
0,25 cm' Mageninhalt vernichtet die Wirkung der 3 fach tödlichen
Toxindosis in natürlichem wie erwärmtem (5 Minuten 80^) Zustande (50 : 1).
Das Tier, das mit 0,367 ccm Magensaft (75 : 1) geimpft wurde, starb. Sektions-
befund nicht für Diphtherie charakteristisch. 0,381 cm> Muttermilch blieb
unwirksam (75 : 1).
128
Schutz, Zur Kenntnis der naturlichen Immunität
Tabelle III.
d
2;
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 16.x. 03
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
16. XI
03
1 Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
inhalt
Frauen-
milch
1.
263
0,013
—
—
—
Tod am 17. X., nachm. 2 Uhr.
Obduktionsbefund für Diphtherie
typisch
2.
252
0,012
0,06
—
—
Tod am 18. X., früh 6 Uhr. Ob-
duktionsbef. f. Diphth. typisch
3.
255
0,012
0,6
—
330
Lebt
4.
245
0,012
0.9
—
—
Keine Lähmungen. Tod am
13. XL Kein Diphtherietod
5.
230
0,011
0,055
erwärmt
~~
"^^
Tod am 17. X., mittags 2 Uhr.
Obduktionsbefund für Diphtherie
typisch
6.
235
0,011
0,55
erwärmt
—
301
Lebt
7.
235
0,011
0,825
erwärmt
—
300
Lebt
8.
190
0,009
—
0,045
—
Tod am 18. X., früh 6 Uhr. Ob-
duktionsbef. f. Diphth. typisch
9.
180
0,009
—
0,45
—
Tod am 18. X., früh 6 Uhr. Ob-
duktionsbef. f. Diphth. typisch
10.
177
0,009
—
0,675
—
Tod am 18. X., früh 6 Uhr. Ob-
duktionsbef. f. Diphth. typisch
11.1
168
—
_.
0,675
288
Lebt
12.
213
—
0,9
—
296
Lobt
No. IV. 14 Tage altes Kind. Mutler 21 Jahre alt, Ipara, fieberfrei.
Spontane Geburt. Anfangsgewicht des Kindes 3320 g. Abnahme bis zu
3150 g am 4. Tage. Am 14. Tage 8600 g. An beiden Fersen Decubitus;
täglich 2 mal normale Stühle. Trinkt 120 g. Nach 1 Stunde 28 cm* Inhalt
ausgehebert. Keine freie HCl. Ges. Ac. 0,142 pCt. Die Mischungen von
Magensaft und Toxin bleiben Va Stunde im Thermostaten.
Tabelle IV.
6
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 17. X. 03
Injiziert wurden
(absolute Menge)
1
1 Gew.
am
Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
inhalt
Frauen-
milch
27. XL
1 03
1.
2.
650
310
0,032
0,015
0,075
—
—
Tod am 18.X., abends lOUhr. Ob-
duktionsbef. f. Diphth. typisch
Tod am 19. X., früh 7 Uhr. Ob-
duktionsbef. f. Diphth. typisch
des KwdM im ersteD L«b«ii8jaitr«.
129
6
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 17.x. 08
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Oew.
am
YerUuf des Versuches
Toxin
Magen-
inhalt
Frauen-
milch
IrZ.XI.
03
3.
BOO
0,015
0,75
—
—
Todam 19.x., früh 9 Uhr. Obduk-
tionsbefund für Diphth. typisch
4.
283
0,014
0,07
erwärmt
—
Tod am 19.x., früh 7Uhr. Obduk-
tionsbefund ffir Diphth. typisch
5.
290
0,014
0,7
erw&rmt
—
Tod am 19.x., früh 7 Uhr. Obduk-
tionsbefund für Diphth. typisch
6.
263
0/)13
—
0,065
—
Tod am 18. X., nachts 12Uhr. Ob-
duktionsbef. für Diphth. typisch
7.
800
0,015
—
0,75
—
Tod am 18. X.. nachts 12 Uhr. Ob-
duktionsbef. für Diphih. typisch
8.
211
—
—
0,6
285
Lebt
9.
295
—
0,75
892
. Lebt
10.
275
—
0,7
erwärmt
~~
848
Lebt
0,25 cm* natürlicher wie erwärmter (5 Minuten, 80*) Mageninhalt pro
100 g Tier, 0,25 cm* Muttermilch bleiben unwirksam gegen die 8faeh töd-
liche Dosis (50:1).
KO. V. 9 Tage altes Kind, wiegt bei der Geburt 8850 g. Mutter
84 Jahr« alt» Ilpara, ist nie an D. erkraakt gewesen; fiebert die ersten Tage
■aeh der Geburt. Srstes Kind gestorben. Dieses Blind nimmt bis zum
4. Tage ab (8450 g). Ikterus Tom 2. Tage an. Nabel noch Dicht abgefallen.
Am 9. Tage wiegt das Kind 8710 g, entwickelt sieh gut, trinkt 90 g.
IV« Stunde spftter werden 15 cm' Mageminhelt ausgehebert; darin keine freie
HCl. Ges. Ac 0,204 pCt.' Die Mischungen von Mageninhalt und Toxin werden
vor der Injektion Vs Stunde der Brutw&rme ausgesetzt.
Tabelle V.
o
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 20.x. 03
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
27. XL
03
Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
Inhalt
Mntter-
miloh
1.
2.
170
207
0,01
' 0,01
0,25
—
275
Tod am 21. X.. nachts 12 Uhr. Ob-
duktionsbef. für Diphth. typisch
Lebt
3.
205
0.01
0,5
—
290
Lebt
4.
205
0,01
0,75
—
294
Lebt
5.
6.
195
192
0,01
0,01
0,25
gekocht
0,5
gekocht
—
—
Tod am 22. X., nachm. 5 Uhr. Ob-
duktionsbef. für Diphth. typisch
Tod am 22. X., früh 6 Uhr.
Obdutionsbef. f. Diphth. typisch
Jahrbuch f. KlnderheilkuDde. N. F. LXI, Heft l.
130
Schütz, Zur Kenntnis der natürlichen Immanität
6
2
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 20. X. 03
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
27. XL
03
Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
inhalt
Mutter-
milch
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
190
165
165
210
152
195
202
0,01
0,008
0,008
0,008
0,75
gekocht
0,75
0,75
gekocht
0,2
0,4
0,6
0,6
295
255
269
268
Tod am 22. X., mittags. Obduk-
tionsbefund für Diphth. typisch
Lebt
Tod am 21.X., nachts 12 Uhr. Ob-
duktionsbef. für Diphth. typisch
Tod am 21. X., nachts 12 Uhr. Ob-
duktionsbef. für Diphth. typisch
Lebt
Lebt
Lebt
0,125 cm' Mageninhalt erweist sich im Verhältnis Ton 25 : 1 wirksam,
0,40 cm* gekochter Magensaft unwirksam (75:1). 0,125 cm' Milch ist
wirksam (25:1), während dieselbe Milch bei 0,25 cm> (50:1) und 0,285 cm«
(75:*/t) Menge unwirksam bleibt. Ein ganz merkwürdiges Verhalten!
No. VL 8 Tage altes Kind. Mutter 28 Jahre alt, Illpara. Nie krank
gewesen, fieberfrei. Erstes Kind lebt, zweites Abort. Dieses Kind mit
32(X) g Gewicht geboren. Abnahme bis zu 2950 g am 4. Tage. Ikterus vom
3. Tage an. Das Kind wiegt am 9. Tage 3100 g, zeigt ausser dem Ikterus
nichts Abnormes. 80 g Nahrungsaufnahme; nach l'/i Stunde 20 cm> dünn-
flüssiger Mageninhalt ausgehebert. Keine freie HCl. Ges. Ac. 0,226 pCt.
Die Mischungen von Mageninhalt und Toxin bleiben */4 Stunden im Thermostaten.
•
Tabelle VL
d
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 21.x. 03
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
21.XL
03
Verlauf des Versuches
A
Toxin
Mageu-
iDhalt
Frauen
milch
1.
315
0,016
—
—
—
Tod am 23.x., früh 6 Uhr. Obduk-
tionsbefund für Diphth. typisch
2.
318
0,016
0,08
—
312
Lebt (wirft i. d.Beobachtung8zeit)
8.
317
0,016
0,4
—
352
Lebt
4.
280
0,016
0,8
—
342
Lebt
5.
327
0,016
0,08
gekocht
—
—
Tod am 24.x., früh 8ühr. Obduk-
tionsbefund für Diphth. typisch
6.
322
0,016
0,4
gekocht
-^
—
Tod am 26. X., früh 7 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 5
7.
335
0,017
0,85
gekocht
—
—
Tod am 28. X., nachts 10 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 5
des Kindea im erstea Lebensjahre.
131
6
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 21.x. 03
Injiziert worden
(absolute Menge)
Gew.
am
21. XL
03
Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
inhaU
Frauen-
milch
8.
9.
10.
11.
12.
13.
315
290.
295
298
310
312
0,014
0,015
0,015
0,8
0,85
0,07
0,375
0,75
0,76
355
360
Tod am 23. X„ früh 8 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 5
Tod am 22. X., nachts 11 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 5
Tod am 22. X., nachm. 5 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 5
Lebt
Keine Lähmungen.
Tod am 7. XL Obduktion ergibt
Pneumonie. (Kein Diphtherietod.)
Lebt
0,025 cm* Mageninhalt wirkt gegen die 3 fach tödliche Dosis (5:1).
Zweimal aufgekochter Mageninhalt schützt auch in der lOfachen Menge (50: 1)
kein Tier vor dem Toxin tod. 0,25 cm* Muttermilch erweist sich unwirksam
<50:1).
No. VII. 6 Tage später neue Untersuchung des Kindes No. 4. Das
Gewicht bleibt yom Tage der ersten Untersuchung an 4 Tage lang stationär.
Decubitus abgeheilt. Am 20. Tage 3620 g Gewicht. Trinkt 50 g Muttermilch.
l>/4 Stunde später werden 18 cm* Mageninhalt ausgehebert. Keine freie HCl.
Ges. Ac. 0,336 pCt. Die Mischungen Ton Mageninhalt und Toxin bleiben
'/s Stunde im Thermostaten.
Tabelle VIL
d
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 23. X. 04
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
4.XIL
04
Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
Inhalt
Frauen-
milch
1.
245
0,012
—
—
—
Tod am 25. X., früh 10 Uhr. Ob-
duktionsbef. für Diphth. typisch
2.
269
0,014
0,07
—
—
Tod am 25. X., früh 7 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
3.
263
0,013
0,65
—
251
Lebt
4.
232
0,012
ao6
erwärmt
—
—
Tod am 25. X., früh 7 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
5.
227
1
0,012
0,6
erwärmt
—
251
Lebt
6.
1 287
0,013
—
0,7
—
Tod am 24. X., abends 9 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
7.
268
—
0,65
—
247
Lebt
8.
237
—
0,6
erwärmt
—
290
Lebt
9*
182
Schütz, Zar EftBntnis der Dutürliclien Immanitftt
0,25 cm* Mageninhalt (50:1) erweüt sich unwirksam gegen die 8facb
tödliche Tozindosi« im natürlichen wie erwftrmteq Zuetande. 0,8 cm* Frauen-
milch ist unwirksam gegen das Gift.
No. VIII. 1 Tag altes Kind. Matter Ipara,19 Jahre aH. ^iphiherie
in der Annamnese. Fieberfrei. Anfangsgewicht des Kindes 9800 g. Maeh
24 Stunden bei einem Gewicht von 3180 g wird das Kind zum ersten Male
an die Brust angelegt. Trinkt nar 5 g. 8 — 10 g Colostrum werden ab-
gedrückt und durch die Flasche gereicht. Nach '/i Stunden erh< man
kaum 1 cm* Mageninhalt. Das Colostrum reagiert amphoter, der Magen-
inhalt sauer. Keine freie HCl. Die Mischongen von Mageninhalt uud Toxin
werden ^/s Stande im Thermostaten belassen.
Tabelle YIII.
6
h Oeo
S 8i
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
27. XI.
08
Verlauf des Versuches
Tezin
Ä.-
Co-
iMftniB
1.
820
0,008
—
—
—
Tod am 25. X., nachts 12 Uhr.
Obduktionsbef. f.Diphth. typisch
2.
258
0,018
0,066
—
—
Tod am 26. X., nachm. 2 ühr.
Obduktionsbefund w^e No. 1
8.
265
0,018
0,a25
—
&28
Lebt
4.
190
0,0095
0.0475
gekocht
—
—
Tod am 25. X., nachm. 2 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
5.
187
0,0095
0,24
gekocht
—
—
Tod am 25. X., nachm. 8 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
6.
160
0,008
—
0,04
—
Tod am 26. X., früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
7.
162
0,008
—
0,4
—
Tod am 26. X., früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
8.
158
—
-
0,4
255
Lebt
0,125 cm* Mageninhalt ist wirksam (25 : 1). Aufgekochter Magen-
inhalt bleibt unwirksam (25 : 1). 0,25 cm* Colostrum ist (10 : 1) ebenfalls
unwirksam gegen die 3 fach tötliche Toxinmenge.
No. IX. 8 Tage altes Kiod. Die Mutter 28 Jahre alt; Ilpara, fieber-
frei; soll an Diphtherie nie erkrankt gewesen sein. Das 1. Kind lebt, ist
gesund. Anfangsgewicht des Kindes 2700 g. Abnahme bis zu 2446 g am
4. Tage. Ikterus vom 5. Tage an. Am 7. Tage Nabelschnurabfall. An-
scheinend sonst normales Kind, trinkt, schl&ft gut, ist ruhig. T&glich 2 mal
normale Stühle. Das Kind wiegt am 8. Tage 2600 g, trinkt 50 g an der Brust.
Nach 11/4 Stunde werden 18 cm* fein geronnener Mageninhalt ausgehebert.
Ges. Ac. 0,179 pCt., keine freie HCl. Die Mischungen von Mageninhalt und
Toxin werden */4 Stunden im Thermostaten gehalten.
des Kindes ittir erflten Lebei»8j»hre.
133
Tabelle IX.
Gewicht der
sohweinehen
am 26. X. 03
Injiziert wnrden
(absolnte Menge)
Gew.
am
4.XIL
08
Toxin
Magen-
Inhalt
Krauen
milch
U8
0,005
—
—
—
288
0,014
0,015
—
—
216
0,011
0,085
—
—
260
0,018
0,08
—
—
175
0,009
^~
0,09
—
150
0,0075
—
0,875
—
148
0/X)75
—
0,75
—
118
0,006
—
1,2
—
Verlauf des Versaches
Tod am 28. X.,
früh 6 Uhr
Tod am 27. X.,
nachts 10 Uhr
Tod am 27. X.,
frah 8 Uhr
Tod am 28. X.,
frfth 6 Uhr
Tod am 30. X.,
früh 6 Uhr
Tod aih 29. X.,
früh 9 Uhr
Obduk-
tion sbef and
für
Diphtherie
typisch
Tod am 27. X., xrachts 10 Uhr.
Obduktion : GeringeNebennieren-
hyperämie. Lunsen, Pleuren,
injektionsstelle ohne Befand.
Tod am 28. X. früh 6 Uhr.
Obduktionsbefnnd für Diphtherie
typisch
Um die antere Grenze der gifthemmenden i^esp. giftvemichtenden Eigen-
schaft des Mageninhaltes zu bestimmen, wurde bei diesem Kinde, das, ab-
gesehen yon Ikterus und etwas kleinem Anfangsgewicht (Mutter war ziemlich
kleiner Statnr), nichts Abnormes zeigte, absichtlich kleinere Mengen an-
l^ewaudt. Der Erfolg war negativ. 1 cm* Frauenmilch erwies sich un-
wirksam (200 : 1). Der Tod des mit 0,50 cm* (100 : 1) geimpften Tieres kann
nach dem Sektionsprotokoll nicht als Diphtherietod bezeichnet werden. Dieser
Tetsuoh wurde wiederholt rn der notsh zu beeprecheiiden Versuchsreihe No. XI.
Ha. X betrifft eiu 22 Tage altes Kind mit 8040 g Anfangsgewicht, das
TOB Geburt an künstlich ernährt Wurde (Vs Miteh -f Wasser -f 4 pOt.
Rohrzucker). Am 2. Tage 2890 g Gewicht; leichter Ikterus. Am 6. Tage
C^ewicht 2700 g; Ikterus gering. Soor. Am 18. Tage Gewicht 2630 g.
Das Kind erh< 1 mal Buttermilch, 4 mal ^/g Milch und bricht dabei öfters.
Am 22. Tage wiegt das Kind 2700 g. Geringer Soor, noch leichter Ikterus,
2 mal t&glich gelbe Stühle. Ernährungszustand nicht befriedigend. Nach
einer lange dauernden grossen Gewichtsabnahme ist nan seit deir Butter-
milch-Darreichung ein beginnender langsamer Gewichtsanstieg zu verzeichnen.
Das Kind trti^kt am 27. X. vormittags aus der Flasche 100 g Buttex^miich;
nach 2 Stunden werden 15 cm* Mageninhalt ausgehebert. Ges. Ac. 0,85 pCt.
Bei der nächsten Mahlzeit am Nachmittag trinkt das Kind 100 g ^/s Kah-
milch. Es werden nach 2^U Stunden 15 cm* grossflockiger Mageninhalt aus-
gehebert, dessen Ges. Ac. 0,336 pCt. beträgt
134
Schütz, Zar Kenntnis der naturlichen Immunität
Die Mischungen von Mageninhalt und Toxin werden '/t Stunde auf
Bratw&rme gehalten.
Tabelle X.
1
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 27. X. 03
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
27. XI.
03
Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
Inhalt
Kuh-
milch
(«ek.)
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
370
305
230
225
223
210
205
190
0,008
0,015
0,0115
0,011
0,011
0,0105
0,01
0,0095
0,375
(nach
Butterm.)
0,035
(nach
Kuhm.)
0,11
(nach
Kuhm.)
0,255
(nach
Kuhm.)
0,315
(nach
Kuhm.,
gekocht)
0,5
0,95
335
265
247
Tod am 29. X., vorm. lOühr. Ob-
duktionsbef. für Diphth. typisch
Lebt
Tod am 29. X., früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
Tod am 30. X., nachts 10 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
Lebt
Lobt
Tod am 29. X., früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. I
Tod am 29. X., früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
0,123 cm* Mageninhalt (nach Buttermilchernährung) and 0,114 cm*
Mageninhalt (nach Kuhmilchernährung), beide 25 : 1, erwiesen sich wirksam
gegen das Toxin. Auffallender Weise wirkte auch der aufgekochte Kuhmilch-
maf2:eninhalt entgiftend (30 : 1). Kuhmilch selbst war unwirksam (100 : 1).
Die weitere Beobachtung des Versuchskindes zeigte, dass es sich um
ein bereits schwer geschädigtes Kind handelte, welches mannigfache In-
fektionen in derFolgezeit durchzumachen hatte and allmählich atrophisch wurde.
No. XI. Wiederholung des Versuches No. IX nach 2 Tagen. Daa
nunmehr 10 Tage alte Kind wiegt 2700 g. Ikterus besteht noch; sonstige»
Verhalten normal. Trinkt 70 g. Nach IV4 St. werden 18 cm^ Mageninhalt
ausgehebert; derselbe reagiert schwach sauer. Ges. Ac. 0,183 pCt; kein»
freie HCl. nachweisbar. Die Mischungen von Mageninhalt und Toxin werden
V) St. im Thermostaten aufbewahrt.
des Kindes im ersten Lebensjahre.
135
Tabelle XI.
4.
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 28. X. 03
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
27. XL
03
Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
inhalt
Frauen-
milch
1.
172
0,0035
—
—
—
Tod am 31. X., ^
früh 6 Uhr
2.
330
0,016
0,04
—
—
Tod am 29. X.,
Yormitt. 11 Uhr
3.
330
0,016
0,4
—
Tod am 29. X.,
vormitt. 11 Uhr
Obduktions-
4.
5.
193
195
0,01
0,01
0,5
0,5
gekocht
—
—
Tod am 29. X.,
nachmitt. 6 Uhr
Tod am 29. X.,
nachmitt. 6 Uhr
befund für
Diphtherie
typisch
6.
210
0,0105
—
0,525
—
Tod am 30. X.,
früh 7 Uhr
7.
210
0,0105
—
h^
—
Tod am 29. X.,
früh 8 Uhr J
8.
203
—
---
2,1
250
Lebt
9.
182
—
0,5
—
265
Lebt
0,25 cm> Mageninhalt blieb im Verhältnisse von 50*: 1 im natürlichen
wie aufgekochtem Zustande unwirksam. Auch 1 cm' Frauenmilch (200:1)
zeigte keine giftabschwächende Wirkung.
No. XII. 3 Tage altes Kind. Mutter 23 Jahre alt, Ipara, fieberfrei.
Das Kind wird im 8. Monat der Gravidität mit 2270 g Anfangsgewicht
geboren. Am 3. Tage 2080 g. Es wird noch Meconium entleert. Normale
Temperaturen. Trinkt 20 g. Nach */< Stunden lässt sich durch die Sonde
Vz cm* kleinflockiger, fadenziehender Mageninhalt aushebern. Die Mischungen
Yon Mageninhalt und Toxin werden ^/t Stunde im Thermostaten aufbewahrt.
Tabelle XIL
i
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 28. X. 03
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
27.XL
03
Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
inhalt
Kolo-
Btram
1.
2.
3.
4.
5.
288
275
190
185
180
0,014
0,014
0,0145
0,014
0,07
0,85
0,725
2,8
2,8
330
220
Tod am 30. X., früh 7 Uhr.
Obduktionsbef. f. Diphth. typ.
Lebt
Tod am 29. X., abends 10 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
Tod am 29. X., abends 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
Lebt
136
Schütz, Zur Kenntnis der natürlichen Immunität
Der Mageninhalt erweist sich bei 0,125 cm* (25 : 1) Menge gifthemmend.
1,5 cm* Kolostrum ist unwirksam gegen die 4>/sfftch tödliche Toxindosis
(200:11/2).
No. Xni. 58 Tage altes Kind. Kam mit 3650 g Anfangsgewicht cur Welt ;
erreichte dasselbe an der Brust wieder am 24. Tage. Am 12. Tage Pemphigus,
am 18. Soor, am 15. Abtsessbildang am rechten Oberschenkel. Temperaturen
bis 37,8. Am 29. Tage Soor verschwunden. Hin und wieder häufige Stnhl-
entleerungen. Langsame, schwankende Gewichtszunahmen. Am 58. Tage
4240 g schwer. Trinkt 90 g. Nach Vjt Stunde werden 15 cm* Mageninhalt
ausgehebert, dessen Ges.-Ao. 0,2847 pCt. beträgt; freie HCl nicht vorhanden.
Die Mischungen von Mageninhalt und Toxin werden */4 Stunden der Brut-
wärme aasgesetzt.
Tabelle XIII.
d
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 28. X. 03
Injiziert worden
(absolute Menge)
Gew.
am
27. XL
03
Verlauf des Versuches
Toxin
Blagen-
inhalt
Frauen-
milch
1.
180
0,003
—
Tod am 31. X., früh 7 Uhr.
Obduktionsbef. f. Diphth. typ.
2.
354
0,0175
0,045
—
—
Tod am 31. X., früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
3.
266
0,018
0,18
—
295
Lebt
4.
305
0,0145
0,725
—
287
Lobt
5.
280
0,014
0,7
gekocht
—
—
Tod am 6. XL früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
e.
210
0,0105
""*
0,525
"-~
Tod am 30. X., früh 6 Uhr.
Versuchsfehler: Maeeninhalt in
der Bauchhöhle. Peritonitis
7.
257
0,013
--
1,3
305
Lebt
8.
360
0,0135
—
2,7
—
Tod am 1. XL, früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
9.
194
—
2,7
—
Keine Lfchmungen. Tod am
30. XL Kein Diphtherietod
0,068 cm* Mageninhalt (10: 1) erweist sich wirksam gegen die 4fach
tödliche Toxindosis. 0,25 cm* gekochter Mageninhalt (50 : 1) bleibt unwirksam.
0,75 cm* Frauenmilch entgiftet nicht zwei Toxineinheiten (200 : Vs)) w&hrend
0,50 eni* sich wirksam (100 : 1) gegen drei Toxineinheiten zeigt.
No. XI7. 8 Mon. altes Kind, das zum erstenmale am 24. VI. (da-
mals im Alter von 4 Mon.) mit einem Körpergewicht von 4170 g in der
Poliklinik vorgestellt wurde. Die Bauchdecken waren sehr schlaff, es bestand
Craniotabes. Es bekam zunächst V< Milch mit Haferschleim ohne Zucker,
vom 4. VII. an mit Malzzusatz. Körpergewicht am 12. VII. 4600 g. Pem-
phigus. Am 18. VII. mit einem Gewicht von 4530 g in die Klinik auf-
de8 Kindes itt erateD Lebensjahre.
137
genommen, wurde es mit einer Mileb-Meblmischang ernährt and am 23. VIII.
mit einem Körpergewicht tod 4560 g entlassen. Im weiteren Verlaufe der
poliklinischen Beobachtung erkrankte es TOn neuem an einer Bronoho-
pneomonie und wurde am 29. VIIL zum xweiteomale in die Klinik auf-
genommen. Da es sich bei Erikährung mit Milch-Meblmiscbanged nicht
reparierte, wurde am 14. IX. eine Buttermilchem&hrang eingeleitet, bei der
es gut sanahm, allerdings auch weiterhin zuweilen Husten and Temperatur-
anstiege bis auf 38,2* zeigte. Um das Kind Ton der Buttermilch su
entwöhnen, wurde weiterhin jeder Mahlzeit ein £sslö£fel Vollmilch zugesetzt.
In diese Zeit (81. X. 03) fiel die Untersuch ungsreihe XIV. Vjf Stande naoh
einer Mahlzeit von 150 g wurden 60 ccm grobfiockiger Mageninhalt aus-
gehebert^ dessen^G^s. Ac. 0,332 pCt. betrug. Keine freie HCl. Die Mischungen
von Mageninhalt und Toxin worden */« Stunden im Thermostaten belassen.
Tabelle XIV.
i
1 1i
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
16. XI.
03
Verlauf des Versuches
T«ztn
Magen-
inhalc
Butter-
milch
1.
315
0,016
—
—
—
Tod am 2. XL, froh 6 Uhr. Ob-
duktionsbef. für Diphth. typisch
2.
190
0,0095
0,0475
—
225
Lebt
3.
185
0,0095
0,28
—
187
Lebt
4.
197
0,01
0,5
—
215
Lebt
5.
177
0,009
0,9
—
190
Lebt
6.
180
0,009
0,45
gekocht
—
—
Tod am 3. XL, nachm. 5 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. I
7.
170
0,0065
0,85
gekocht
—
—
Tod am 5. XL, fr&h 9 Uhr.
Obduktionsbefund wie l^o. 1
8.
155
0,0075
—
0,75
—
Tod am 2. XL, nachm. 5 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
9.
160
—
0,9
—
161
Lebt
0,025 ccm Mageninhalt erwies sich wirksam gegen die 3 fach tödliche
Tozinmenge (5:1); 0,25 ccm (50:1), 0,5 ccm (100:1) aufgekochter Magen-
inhalt nnd 0,5 com Buttermilch hatteü jedoch keine entgiftende Eigenschaft.
-^ Auffallend war die hohe antitoxisohe Kraft, die der Mageninhalt dieses
künstlich genährten, in Reparation befindlichen atrophischen Kindes zeigte.
No. X? betrifft dasselbe Kind, bei dem schon die Versuche No. IV und
No. VII aasgefQhrt worden waren. Das nunmehr 33 Tage alte Kind wiegt
3870 g. IVt Standen naoh einer Mahlzeit von 80 g Frauenmilch werden
12 ccm kaum geronnener Mageninhalt aasgehebert. Ges. Ac. 0,197 pGt.
Freie Salzs&are nicht vorhanden. Die Mischungen Ton Mageninhalt und Toxin
werden >/> Stunde lang auf Brutwärme gehalten.
138 Schütz, Zur KenDtnis der natürlichen Immunität
Tabelle XV.
d
Gewicht der
Meer-
schweinchen
am 4. XI. 03
Injiziert wurden
(absolute Menge)
Gew.
am
4. XII.
08
Verlauf des Versuches
Toxin
Magen-
inhalt
Frauen-
milch
1.
265
0,013
—
—
—
Tod am 6. XL, früh 6 Uhr.
Obduktionsbef. typ. f. Diphth.
2.
245
0,013
0,325
—
288
Lebt
3
245
0,013
0,65
—
237
Lebt
4.
280
0,014
0,35
gekocht
—
—
Tod am 9. XL, früh 7 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
5.
275
0,014
0,7
gekocht
—
—
Tod am 6. XL, früh 7 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
6.
210
0,0105
—
0,525
—
Tod am 6. XL, früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
7.
225
0,011
—
1,1
—
Tod am 6. XL, nachm. 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
8.
220
0,011
—
2,2 !
Tod am 6. XL, nachm. 3 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
9.
230
^
0,65
__ (
320
Lebt
10.
325
0,0055
—
" !
—
Tod am 8. XL, früh 6 Uhr.
Obduktionsbefund wie No. 1
mit
der
0,125 ccm Mageninhalt vernichtet im Verhältnis 25 : 1 die Wirksamkeit
3 Tozineinheiten. Aufgekocht bleibt 0,25 ccm Mageninhalt gegen die-
Menge Gift unwirksam (50: I), ebenso auch 1 ccm Frauenmilch (200:1).
Es wurden somit von mir an 12 Kindern 15 Untersuchungen
Mageninhalt vorgenommen. 9 von den Kindern waren an
Brust, 3 künstlich ernährt. Unter den Kindern waren:
8 Neugeborene,
1 war 2 Wochen alt,
waren 3
„ 1
war 2
. 8
Monat
Monate
4 Versuche (mit Mageninhalt von 2 an der Brust und
I künstlich genährten Kinde) hatten einen negativen Erfolg. In
II Versuchen erwies sich aber der Mageninhalt (von 8 an der
Brust und 2 künstlich ernährten Kindern) in den von mir ange-
wendeten Mengen in verschiedener Intensität antitoxisch wirkend.
So fand ich bei einem zwar schwachen, aber sonst gesunden,
gut gedeihenden Bru^tkinde (bei 2 Untersuchungen, No. IX u. XI)
den Mageninhalt ohne antitoxische Wirksamkeit, dagegen entgiftete
des EiDdes im ersten Lebensjahre. 139
der Mageninhalt eines künstlich genährten atrophischen, aber in
Besserung befindlichen Kindes (No. XIV) die grössten Toxindosen.
Gleiche Gegensätze bilden die Fälle IV und X. Im Falle IV
handelt es sich um ein zwei Wochen altes, gut gedeihendes Brust-
kind, das bei der ersten Untersuchung bezüglich der antitoxischen
Fähigkeit seines Mageninhaltes ein negatives Resultat aufwies, ink
Fall X dagegen um ein drei Wochen altes, von Geburt an künst-
lich ernährtes Kind mit beginnender Atrophie, welches bereits in
diesem Alter einen gegen Diphtherietoxin wirksamen Mageninhalt
hatte. Dies genügt, um zu zeigen, dass die toxinhemmende
oder -vernichtende Eigenschaft des Mageninhaltes unabhängig
vom Alter, der Art der Nahrung und dem Ernährungszustande
des Kindes, also individuell verschieden ist.
Ähnliche Schwankungen in der Wirksamkeit von Organ-
sekreten oder -Extrakten gegenüber Bakterien oder Giften sind
bereits von anderen Autoren konstatiert worden. So fand Talma*),
dass die bakterienhemmende Fähigkeit der Galle bei verschiedenen
Tieren individuell schwankte, und ebenso konnte Zaremba^) b'ei
der Prüfung der antitoxischen Kraft des Pankreas-Extraktes bei
Säuglingen individuelle Differenzen wahrnehmen.
Bei der Besprechung meiner Versuche muss ich zunächst
auf die Frage eingehen, inwieweit die Nahrung der Kinder zu
der antitoxischen Wirksamkeit des Magens in Beziehung steht.
Über die Giftfestigkeit verleihende Eigenschaft der Milch
liegen folgende Untersuchungen an Tieren vor: Ehrlich') fand
in seinem bekannten Ammenvertauschungsversuche, dass Mäuse
durch Milch Giftfestigkeit gegen Rizin und Abrin erlangen können.
Brieger und Ehrlich*) konnten auf junge Mäuse durch Fütte-
rung mit einer von tetanusimmunen Ziegen stammenden Milch
Giftfestigkeit gegen Tetanustoxin übertragen. Brieger und Cohn*^)
konnten bei Mäusen aus der Milch Antikörper isolieren, welche
gegenüber Tetanustoxin Heilkraft besassen. Nach Ehrlich und^
Wassermann*) enthält die Milch einer diphtherieimmunen Ziege
Diphtherie-Antitoxine, deren Wirksamkeit 15— 30mal geringer ist
als die des Blutserums der betreflFenden Ziege. Vaillard'') be-
0 Ref. Centralbl. f. inn. Med. 1901, No. 8.
») 1. c.
») Zeitschr. f. Hygiene, Bd. XII, 1892.
*) Deutsche med. Wochenschr. 1892, No. 18.
>) Zeitschr. f. Hygiene u. InfektioDskr., XV, 1898.
<) Zeitsohr. f. Hygiene u. Infektionskr., XVIII, 1893.
0 Annales de Plnstitat Pasteur, XI, 1896.
140 Schutz, Ztif Kenntnis der nat&rlichen Immunit&t
stätigt EhrlicHs Befände anMäusen, wähtend bei Meerschweiiichett
and Kaninchen durch die Säugang Giftfestigkeit gegisn Tetanus-
toxin nicht übertragen werden konnte. Salomon undMadsen*)
berichten über eine gegen Diphtherie immunisierte Stute, deren
Blut 200 mal so stark antitoxisch wirkte als ihre Milch. Römer')
berichtet über eine gegen Diphtherie ittiittaöisierte Stute, deren
Fohlen post partum frei Ton Antitoxin war, trotzdeln das mütter-
liche Blut einen beträchtlichen Antitoxingehalt aufwies. Während
des Stillens konnten bis zum 16. Tage ansteigende Mengen Anti-
toxin im Fohlenblute gefunden werden, dann ti'at eine langsame
Abnahme ein. Ein ähnlicher Versuch Ransoms*) (1898) hatte
das entgegengeseta^e Ergebnis. Dais Fohlen besass hier post partum
in seinem Blute eine ziemlich grosse Tetanus-Antitoxinmenge,
welche, trotzdem die Milch der State gleichfalls Antitolin enthielt,
doch kontinuierlich sank.
Aus den angeführten Tierversuchen können wir einmal
ersehen, dass beim Übergang von Antitoxin in die Milch dasselbe
nicht in den kindlichen Körper überzugehen braucht. Dann aber
erhellt ans ihnen, dass wir nicht das Recht hfiben, an einer Tier-
spezies gewonnene Resultate zu verallgemeinem resp. auf den
Menschen zu übertragen.
Zum Beweise eines Übertritts immunisierender Schutestoffe
ans der Milch in den kindlichen Organismus werden zahlreiche
Versuche herangezogen, welche den Übertritt von Typhnsagglu-
tininen in die Milch und auf das Kind beweisen sollen. Eine
kritische Sichtung derselben ergibt folgendes:
1. Die Agglutination ist mit der Immunität nicht identisch,
wie dies die Arbeiten von Pfeiffer*), Stern*), Vidal und
Nob^court*), E. Fränkel und Otto^ u- A. beweisen.
2. Vi dal selbst sieht in der Agglutination ein phenomene
d'infection und nicht eine ph^nom^ne d^immunit^.
3. Es finden sich auch bezüglich der Agglutination in der
Literatur die widersprechendsten Angaben über Beobachtungen
am Tier und Menschen.
1) Annales de l'Institat Pasteur, XI, 1897.
^) Berl. klin. Wochenschr. 1901, No. 46.
*) Zit. nach Römer.
*) Deutsche med. Wochenschr. 1896. No. 6—7.
«) Ceutralbl. f. Bakteriol. XXI. 1896.
>) La Semaine medic. 1897. No. 87.
0 Centralbl. f. Bakteriol. XXIII. 1898.
das Kinde« im ersten Lebensjahre. 141
4. Die bei den einz^elneA UntersuchujageD gewonneneii
AgglutinatioijiswBrte fallea zumeiet in das Bereich des Physio-
logischen. Ausserdem sind vielfach die Eivder nicht so genau
untersucht, dass ein Typbusyerdacbt auszuschliessen wäre.
Zur Erlauter uQg des Angeführten mochte Ich kurz auf 2 Ver-
suche eingehen.
Yidal und Sicard^) konnten Agglutinationsfähigkeit durch
die Milch auf juoge Mäjase übertragen. Auf Meerschweinchen
oder Kiatzen konnte aber di;rch Säugpng niemals Agglutinations-
veriQ^gen übertragen werden.
Schuhmacher') beschreibt folgenden Fall: Eine Frau er-
krankte im 8. bis 9. Monate der Schwangerschaft an Typhus.
4 Wocheji später (36. Woche der Gravidität) gebar sie ein Kind.
Die Agglutination^ werte des Placentar- und Nabelsehnurblutes
betrugen nur Vio '^^^ ^^i Prüfung des mütterlichen Blutes ui^d
Colostrums erhaltenen Zahlen. Am 11. Tage war die Agglutinations-
kraft des mütterlichen Blutes uad der Milch unverändert; das
kindliche Bl^t aggJutinierte um 26 pCt. schwächer wie zuerst.
Am 83. Tage waren die Agglutinationswerte des Blutes der Mutter
noch gestiegen, das kindliche Blut hingegen agglutinierte überr
haupt nicht n^r, trotz ausschliesslicher Brustnafarung, während
die Milch noch am 112. Tage kräftig agglutinierte.
Endlich wäre hier noch zu erwähnen, was über die Eigen-
schaft der Milch, Schutzstoffe gegen Bakterien zu übertragen,
bekannt ist.
Remlinger*) konnte bei Kaninchen und Meerschweinchen
die Imn^unität gegen Typhusba^sillen durch das Stillen nicht über-
tragen. Brieger und Cohn^) konnten mit ihren konzentrierten
Milchantikörpern keinen Schutz gegen Infektion mit Tetanussporen
erzielen.
Untersuchungen am Menschen, welche die gegen Bakterien
oder Toxine schützende Kraft der Milch beweisen, liegen erst in
geringer Zahl vor.
Schmid und Pflanz^) fanden, dass die im Blute der
Wöchnerin enthaltenen Schntzkörper in die Milch übergehen.
Ihre Menge ist in der Milch erheblich geringer als im Blute, so
') La Semsine medic. 1897. No. 85.
») Zeitachr. f. Hygiene. XXXVII. 1901.
s) Aonales de rinstitut Paetear. 1899. XIII.
*) I. c.
•) Wiener klin. Wochenschr. 1896. No. 42.
142 Schütz, Zur Kenntnis der natürlichen Immunität
dass man, um die gleiche Schutzwirkung wie mit letzterem zu
erzielen, stets ein mehrfaches Quantum der ersteren braucht.
Der höchste Wert (von 6 Versuchsreihen) war so gross,
dass 0,12 ccm Milch 0,04 com D-Toxin (d. h. die in 2 Tagen
todliche Dosis) unwirksam machte^). Aus diesen Kesultaten
folgert Moro'-*): „Es wäre somit nach den Untersuchungen von
Schmid und Pflanz im Blute der Brustkinder durch das mit
der Frauenmilch eingefuhi*te Antitoxin eine Steigerung der ursprüng-
lichen Schutzkraft (Fischl und Wunschheim) gegeben." Zu
diesem Schlüsse berechtigen die Untersuchungen von Schmid
und Pflanz keinesfalls. Bei meinen Untersuchungen habe ich
auch mit der antitoxischen Kraft der Nahrung gerechnet und mit
Frauenmilch in ähnlicher Weise wie mit Mageninhalt Versuche an-
gestellt. Pro 100 g Tiergewicht habe ich in mehreren Versuchen
ebenso hohe Milchmengen als Schmid und Pflanz, allerdings
gegen etwas stärkere Toxindosen, gebraucht. Wenn man aber
die von mir gefundenen hohen toxin vernichtenden oder -hemmenden
Werte des Mageninhaltes mit der Wirksamkeit der Milch von
Frauen, die angeblich keine Diphtherie durchgemacht haben,
vergleicht, so muss man zugeben, dass den Angaben von Schmid
und Pflanz kein grosses Gewicht beigemessen werden darf.
Wir sehen z. B. in meinem Falle XV, dass 0,25 ccm Magen-
inhalt die Wirksamkeil der 6fachen Toxindosis vernichtet, während
1 ccm der betreffenden Milch gegenüber der Sfachen Toxindosis
unwirksam ist. In meinem Falle I und VI vernichtet ^/^ ccm
Mageninhalt die Wirksamkeit der SOfach tödlichen Toxindosis,
dieselbe Milchmenge aber auch nicht einmal den 10. Teil dieser
Toxinmenge. Wenn der Mageninhalt des von Anfang an künstlich
genährten Kindes No. X dieselben antitoxischen Wei*te aufweist
als der der Brustkinder No. V, VIII, XII und XV, und wenn
ein seit langer Zeit künstlich genährtes Kind (No. XIV) den
wirksamsten Mageninhalt aufweist (0,25 ccm Mageninhalt hemmt
die Wirksamkeit von 30 Toxindosen), so muss man sich sagen,
dass die Frauenmilch, welche, um die 2- bis 4fach tödlichen
Toxindosen zu vernichten, im besten Falle in einer Menge von
0,25 ccm, häufig aber auch in einer Menge von 1,5 ccm ver-
wendet werden muss (Schmid und Pflanz), unmöglich für die
1) Die Zahlen sind durch Umrechtiung der Werte auf 100 g Tiergewicht
gewonnen.
») Jahrb. f. Kinderheiik. Bd. LV. 1902.
des Kindes im ersten Lebensjahre. 143
hohe Wirksamkeit des kindlichen Mageninhaltes gegenüber dem
Toxin verantwortlich gemacht werden kann.
Einer Besprechung muss ich hier die Anschauungen Moros ^)
unterziehen, nach welchen die Frauenmilch dem Säuglingskörper
Alexine und bakterizide Stoffe zuführen soll. Moro fand, dass
weder die Frauen- noch die Kuhmilch nachweisbare bakterizide
Eigenschaften besitzen. Dagegen hat das Blutserum von Brust-
kindern, selbst das Serum eines schwachen Brustkindes (Körper-
gewicht 1950 g) eine bedeutend grössere bakterizide Kraft als
— „unter annähernd gleichen Verhältnissen" — das Blutserum
künstlich genährter Säuglinge. Die bakterizide Kraft des Blut-
serums ist grösser, solange der Säugling an der Brust trinkt,
als nach Einleitung der künstlichen Ernährung. Dieser letzte
Schluss ist auf einen einzigen Versuch aufgebaut, ohne Angaben
über das Verhalten des Kindes während der künstlichen Ernährungs-
periode. Moro fand ferner, dass das Blutserum Neugeborener
vor der ersten Nahrungsaufnahme dieselbe bakterizide Wirksamkeit
zeigte wie das Plazentarblutserum. Dieselbe betrug 59 pCt.,
d": h. 59 pCt. der zugesetzten Bakterienmenge waren nach 4 Stunden
vernichtet. Das Plus an wirksamer Substanz betrug hiernach
bei Brustkindern 18 pCt., während die Abnahme derselben bei
künstlich genährten Kindern gegenüber dem Plazentarblutserum
25 pCt. betrug.
Die Beurteilung der mitgeteilten Versuche wird dadurch
erschwert, dass die Angaben über das Verhalten der untersuchten
Kinder sehr spärlich sind.
Um das widersprechende Verhalten der Milch und des
Serums von Brustkindern zu erklären, stellt Moro die Hypothese
auf, dass die Alexine in der Milch in einem eigentümlichen
Bindungsverhältnisse mit dem Kaseinmolekül stehen müssen und
erst durch die Verdauung aus einer unwirksamen in eine wirk-
same Modifikation übergehen. Die Bindung der normalen Blut-
alexine an das Milchkasein sei eine Funktion der Brustdrüsen-
zellen.
Diese Hypothese ist durch nichts gestützt und entspringt
der überwertigen Idee, dass der Säugling seine Immunität gegen
Toxine und Bakterien durch die Frauenmilch zugeführt bekommt,
und dass, wenn wir auch die bakterizide resp. antitoxische Wirk-
samkeit der Milch nicht nachweisen können, dieselbe doch vor-
handen ist.
0 i. c.
1^4 Schütz, Zar K^njatois der natarlichen Iipmuiiität
'Uh selbst habe in 12 Yersucbsreiben die antitoxiscbe
Wirkung der Frauenmilch geprüft und l^onnte dieselbe nur 2jaal
(Fall Y uad XIII) nachweisen.
In der Yersuchsrßihe Y vernichten 0,126 ccm Milch pro 100 g
Tier 3 Dtozindosen, wahrend 0,25 ccm und 0,286 com derselben
Giftmenge gegenüber unwirksam waren.
In der Yersuchsreihe XIII waren 0,5 ccm Milch pro 100 g
Tier gegen 3 Dtoxindosen wirksam, wahrend 1 ccm 2 Dtoxin-
dosen ni^ht zu entgiften imstande war.O
Derartige kaum erkl&rbare Schwankungen geben mir nicht
das Recht, die antitoxische Fähigkeit der Frauenmilch als erwiesen
zu betrachten. Dass bei Kuhmilch und Butteroodlch von einer
entgiftenden Eigenschaft nicht die Rede sein kann, soll nur
nebenbei bemerkt werden.
Um über die Natur des antitoxisch wirkenden Agens näheren
Au&chluss zu erhalten, studierte ich den Einflnss, den das Er-
wärmen und Kochen auf dasselbe ausübt« Die Resultate dieser
Untersuchungen erscheinen mir bemerkenswert:
6 Minuten auf 60^ erwärmter Mageninhalt (Yersuchsreihe I)
zeigite abgeschwächte Wirksamkeit
5 Minuten anf 80^ erwärmter Mageninbalt (Yersuchsreihe III)
zeigte dieselbe Wirksamkeit wie im natürlichen Zustande.
Dasselbe Yerhalten wies 5 Minuten auf 82^ erwärmter
Mageninhalt (Yersux^hsreihe Yll) auf.
Durch 5 Minuten langes Kochen verlor der Mageninhalt in
6 Fällen bei natürlicher und in einem Falle bei Buttennilch-
ernährung selbst die kräftigste antitoxische Wirkung ganz.
Die Ergebnisse dieser Yersuche scheinen darauf zu deuten,
dass die das Toxin vernichtende Substanz organischer Natur ist.
Es liegt nahe, in dieser Substanz das Pepsin zu erblicken,
besonders da von Gamaleia^) und anderen Autoren über die
Dtoxinvernichtende Fähigkeit des Pepsins berichtet worden ist.
Diese Auffassung scheint mir aber nicht ganz vereinbar mit dem
Resultate allerdings eines einzigen Yersuches, in welchem sich
5 Min. lang gekochter Mageninhalt wirksam erwies, wenn auch
schwächer als in natürlichem Zustande.
^) Übrigens war auch in einem Versuche von Schmid und Pflanz
das Resultat insofern nicht ganz einwandfrei, als 0,29 und 0,59 ccm Frauen-
milch pro 100 g gegenüber 0,04 Toxin wirksam war, während 0,876 ccm
derselben Milch dieselbe Giftmenge nicht paralysierte.
') Compt. rend. d. l. Societe de Biologie. 1892.
des Kindes im ersten Lebensjahre. * 145
Fischl and Wnnschheim^) fanden, dass das Blutserum
Neugeborener durch einstündiges Erwärmen auf 56® oder halb-
stündiges Erwärmen auf 66® seine antitoxische Fähigkeit nicht
verliert; sie kann demnach durch A^lexine nicht bedingt sein.
Charrin und Levaditi*) konnten dagegen durch viertel-
stündiges Erhitzen auf 72 — 74® das in der Pankreasdrüse des
Hundes enthaltene, gegen Toxin wirksame Ferment völlig ver-
nichten.
Alle diese Untersuchungen scheinen darauf hinzudeuten,
dass ausser dem Pepsin noch ein anderer hitze beständiger
Körper bei der Entgiftung mitwirkt.
Des weiteren war es von Interesse, nachzusehen, inwieweit
die Acidität des Mageninhaltes von Einfluss auf die Toxin-
wirksamkeit sei. In den Versuchen von Charrin und Lefevre*)
hatte die Salzsäure eine hemmende Wirkung auf Dtoxin gezeigt.
Dagegen fanden Nencki, Sieber und Schoumow-Simanowski,
dass die Säure des Magensaftes allein nicht die Gift Wirkung auf-
hebt. Denn in ihren Versuchen hatte der Magensaft, mit Soda
bis zur schwach sauren Reaktion abgestumpft, dieselbe Wirkung
wie ohne Soda.
Meine eigenen Versuche zeigten, dass der Grösse der Ge-
samtacidität auf die antitoxische Fähigkeit des Mageninhaltes kein
erheblicher Einfluss zukommt. Denn abgesehen von einem Falle
(Versuchsreihe X) wurde dieselbe in den Versuchsreihen VI,
XIII, XIV trotz grosser Gesamtacidität durch Kochen auf-
gehoben.
Um mich über den Einfluss der Acidität auf das Toxin zu
orientieren, stellte ich einige, allerdings nicht ausreichende Ver-
suche derart an, dass Meerschweinchen tödliche Toxindosen,
welche mit verschieden starken Salzsäurelösungen digeriert waren,
injiziert wurden. Es geht aus ihnen hervor, dass die Salzsäure
einen entgiftenden Einfluss auf Dtoxin haben kann; dieser ist
aber bei den minimalen Mengen von Salzsäure, welche im Säug-
lingsmagen vorhanden sind, unwahrscheinlich.
Wenn ich die Resultate meiner Untersuchungen zusammen-
fasse, so ergibt sich folgendes:
0 Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. XLI. 1896.
>) Compt. reod. de la Soc. de Biol. 1899.
>) Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1897.
Jahrbuch f. Klnderhellkande, N. F. LXI, Heft 1. IQ
146 Schütz, Zur KenntniB der natürlichen Immnnit&t etc.
1. Die Eigenschaft des Magensaftes, Diphtherietoxin zu
entgiften, ist bei Säuglingen individaell verschieden nnd un-
abhängig vom Alter, der Ernährung und dem Emährungsznstande
des Kindes.
2. Die Frauenmilch besitzt keine nennenswerte antitozische
Wirksamkeit gegenüber dem Diphtheriegift.
3. Der Mageninhalt verliert durch Aufkochen seine ent-
giftenden Eigenschaften.
4. Hohe Aciditätsgrade des Mageninhaltes können möglicher-
weise die Wirkung von Diphtherietoxin abschwächen.
5. Abgesehen von der kongenitalen, ist die natürliche
Immunität des Kindes, wie die Erfahrung zeigt, hauptsächlich in
seinem Gedeihen begründet und unabhängig von der Art der
Nahrung.
Juli 1904.
XI.
Ober Deminerallsation und Fleischtherapie bei
Tuberkulose.
Von
Dr. FRANZ STEINITZ und Dr. RICHARD WEIGERT,
AMiatanten der Kllaik.
In Frankreich hat unter den Theorien, die sich mit dem
Zasammenhang von Infektion -und chemischer Konstitution des
Körpers beschäftigen, die Theorie der Demineralisation eine aus-
gedehnte Verbreitung gefunden. Der Begriff der Demineralisation
bei Tuberkulose wurde unseres Wissens von Robin*) geschaffen.
Ausgehend von Beobachtungen, nach denen die Ausscheidung
fester Urinbestandteile bei Tuberkulösen gegenüber Gesunden
vermehrt sein soll, supponierte er eine dadurch erfolgende, dem
Organismus schädliche Verarmung an fixen Bestandteilen.
Die Ausscheidung derselben erfolgt am intensivsten bei be-
ginnenden Tuberkulosen und beträgt im Mittel pro die 50,81 g,
während sie bei stationären Fällen auf 32,93 g und bei weit
fortgeschrittenen, im Endstadium der Krankheit befindlichen
Tuberkulösen auf 29,48 g sinkt.
Im Zusammenhang mit dieser Erscheinung findet Robin
eine Verschiebung des Verhältnisses der im Urin ausgeschiedenen
Mineralien zu der Summe der festen Bestandteile desselben.
*
Dieses — le coSfficient de demineralisation — beträgt bei den drei
oben genannten Gruppen der Krankheit 38,8 pCt., 35,3 pCt. und
30,4 pCt., ist also in der 1. Periode der Tuberkulose am grössten.
Ebenso faud Boureau*) das Verhältnis des Urinstickstoffes
zu den anorganischen Bestandteilen bei Tuberkulösen zu 10,11:9,0,
während Gaube^) beim Gesunden aaf 15,24 Stickstoff 18,5 Mineral-
bestandteile berechnete.
') Robin, Sur la nntrition dans la phthise pulmonairo. Archives
gen^rales de medecine. 1895. Bd. 175. S. 885.
>) Zitiert nach Le Coat de Kervegaen. These de Paris. 1902. S. 25.
10^
148 Steinitz-Weigert, Über DemioeralisatioD
Für eine Demineralisation des Organismus, die sich nach
dieser Hypothese vorzugsweise auf Ealk und Magnesia er-
strecken soll, sprach ein Befund von Gaube^), nach dem auf
1000 cm^ Urin bei Gesunden 0,336 g an Kalk und Magnesia, bei
Individuen, deren Eltern oder Grosseltem an Tuberkulose ge-
storben waren, 0,606 g kommen.
Diese Befunde dienten als Unterlage für die bereits er-
wähnte Theorie der Demineralisation. Die Autoren sind sich
darin einig, dass die von ihnen angenommene Verarmung des
Organismus an Mineralbestandteilen ein primärer Vorgang ist,
der nicht der destruktiven Tätigkeit der Tuberkelbazillen seine
Entstehung verdankt, sondern im Gegenteil erst das Terrain für
die Ansiedlung der Tuberkelbazillen vorbereitet.
Nach derselben Annahme findet die Demineralisation ihren
Ausdruck in einer veränderten Reaktion der Gewebe, d. h. in
einer Herabsetzung ihrer Acidität. Da die saure Reaktion des
Organismus gleichfal^ einen Faktor im Kampfe gegen den
Tuberkelbacillus darstellt, so soll auch die durch den Verlust an
Mineralien bedingte Hypacidität eine Verminderung der Resistenz
gegenüber Infektionen zur Folge haben.
Von Seiten deutscher Autoren hat die Frage der Demine-
ralisation bisher nur wenig Beachtung gefunden. Wenn wir von
den Befunden Senators^) absehen, da er lediglich Urin e Tuber-
kulöser untersuchte, in denen er eine vermehrte Kalkausscheidung
finden konnte, so bleiben eigentlich nur die Untersuchungen
Otts*) zu erwähnen. Sie sind die einzigen, die sich mit der
Nachprüfung der von den Franzosen aufgestellten Theorie
beschäftigen.
In richtiger Würdigung des von Robin und anderen
Autoren gemachten Fehlers, Schlüsse auf den Gesamtbestand des
Organismus lediglich auf Urinuntersuchungen aufzubauen, be-
stimmte er bei Tuberkulösen in verschiedenen Stadien der
Krankheit die Gesamteinnahmen und -Ausgaben, und zwar er-
streckten sich seine Bilanzen auf Stickstoff, Gesamtasche und
alle wichtigeren Mineral bestandteile, mit Ausnahme von Eisen.
^) Gaube, De la chaux et de ia magnesie chez les descendants de
tubercaleux. Gompt. rend. de la soci^te de biologie. 1894. Bd. 46.
») Senator, Charite-Annalen. 1882. S. 397.
*) Ott, Deutsches Archiv f. klin. Medizin, Bd. 70, S. 582, und Zeit-
schnft f. klin. Medizin, Bd. 50, S. 432.
UDcl Fleischtherapie bei Tuberkulose.
149
Seine Yersuchsresultate seien durch folgende Tabelle, in der
aber nur Stickstoff und Gesamtasche berücksichtigt sind, erläutert.
Dauer des
Versuches
Krankheitszustand
N-Bil.
Asche-
ßil.
Körper-
ansatz
Ernährung
I. Versuch
4 Tage
IL Versuch
4 Tage
III. Versuch
3 Tage
Beginnender Spitzenkatarrh.
Im wesentlichen fieberfrei.
Verdichtung des 1. Oberlappens.
Nachtschweiss. Fieber.
Verdichtung des L Oberlappens.
Nachtschweiss. Febris hectica.
+ 10,13
+ 0,8
-2,9
+ 2,45
^8,7
-4,86
+ 650g
-400g
-300g
Milch. Plaa-
moniwielMMdc.
CognaiB.
Dass.
Dassi
Was die Bilanzen der Einzel-Mineralien anlangt, so waren
sie im 1. Versuche bis auf den Schwefel durchweg positiv, im
zweiten Versuche bis auf Na, Mg und Gl negativ, im 3. Ver-
suche bis auf E, S und P positiv.
Im Anschluss hieran seien Untersuchungen desselben Autors
«rwähnt, die sich nur auf Ca- und Mg-Bilanzen erstrecken. Als
Besultat derselben hatte sich ergeben, dass bei so hinreichender
Ernährung, dass stärkere Verluste des Körpers an Eiweiss ver-
hütet werden, auch bei fiebernden Phthisikern von Verlusten an
Kalk und Magnesia keine B.ede sein kann.
Aus all diesen Untersuchungen folgert Ott:
„1. Auch bei vollkommener Ruhe setzt der rekonvaleszente
Phthisiker nicht nur Fett, sondern auch Gewebssubstanz an, und
zwar letztere in sehr beträchtlichem Masse; 2. das Vorkommen
«iner Demineralisation bei vorgeschrittener Tuberkulose muss
zugegeben werden; dieselbe ist indes weder ein regelmässiges
Symptom bei vorgeschrittener Tuberkulose, noch ist sie als
Frühsymptoip zu betrachten."
Wenn wir auch durch unsere eigenen Untersuchungen zu
«inem ähnlichen Resultat gekommen sind wie Ott, so möchten
wir es doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass auch
diese Untersuchungsbedingungen nicht exakt genug gewählt
sind, um die Frage der Demineralisation zu klären. Es erscheint
uns nicht angängig, aus drei bis vier Tage dauernden Ver-
buchen, selbst wenn die Resultate derselben erhebliche Aus-
schläge bringen, auf den Gesamtbestand zurückzuschliessen, denn
die einzelnen Faktoren schwanken vermutlich auch bei gesunden
Individuen in weiten Grenzen. Überdies könnte, selbst wenn ein
kurzer Stoffwechsel versuch keinerlei Anhalt für eine Demineralisation
150 Stoinitz-Weigert, Über Demmeralisation
ergeben y^urde, eine solcbe nicht aasgeschlossen werden, denn
es handelt sich, wie von den französischen Autoren ausdrucklich
hervorgehoben wird, nicht um eine Verarmung des Organismus
an Mineralien infolge der Giftwirkung der Tuberkelbazillen^
sondern um einen bei Beginn des tuberkulösen Prozesses bereits
vorhandenen Minderbestand an anorganischen Stoffen, der gleichsam
die Disposition zur Erkrankung darstellt.
Da auf dem Wege der Stoffwechseluutersuchungen aus den
erörterten Gründen eine Lösung der Frage nicht zu erwarten
war, so suchten wir auf einem anderen Wege zu entscheiden, ob
eine Demineralisation bei tuberkulösen Individuen vorhanden ist.
Dieser Weg war die chemische Untersuchung des gesamten
Körpers eines Tuberkulösen. Es war klar, dass uns bei dieser
Methode eine Demineralisation nicht entgehen konnte. Denn
wenn sie schon bei Beginn der Krankheit vorhanden ist, so ist
ihr Bestand nach Ausgang derselben um so eher zu erwarten,
weil keine Veranlassung vorliegt, anzunehmen, dass sie sich im
Laufe der Krankheit ausgleiche. Haben doch die französischen
Ärzte sowohl bei beginnender wie bei fortgeschrittener Tuber-
kulose eine vermehrte Ausscheidung von Mineralbestandteilen
nachweisen können.
Da wir uns nicht auf vergleichende Daten des gesunden
Erwachsenen stützen konnten, so mussten wir ein möglichst junges
Objekt für unsere Untersuchungen wählen und als Vergleichs-
werte die bezüglichen Zahlen heranziehen, die für den gesunden
Neugeborenen und für den mehrere Monate alten magendarm-
kranken Säugling vorliegen.
Kind Emma W., 10. Kind. Das Kind wurde nach dreitägiger Brust-
ernährung mit Mileh und Wasser in aufsteigender Konzentration, in letzter
Zeit mit Yollmich unter Zugabe von wenig fester Nahrung (Biskuit), ernährt.
Am 18. Januar 1904 wurde es im Alter von einem Jahre in die Poliklinik
eingebracht mit der Angabe, dass es seit zwei bis drei Monaten mit An-
fällen von Blauwerden und Atemnot huste, und dass die Nahrungsaufnahme
schlechter geworden sei.
Status praesens: Schlecht genährtes Kind mit blaugrauer Hautfarbe
und Dvspnoe. Das Gewicht des stark abgemagerten Kindes beträgt 4800 g.
Fieber besteht nicht (37,5 ^ C.). Hypertrichosis. Decubitus am Anus. Über
beiden Lungen fehlt allenthalben der normale helle Perkussionsschall.
R. H. hört man ausgebreitetes Bronchialatmen und beiderseits spärliche^
teilweise klingende bronchitische Geräusche.
Leber und Milz sind erheblich yergrössert.
Am 26. 1. Deutliche Ödeme der unteren Extremitäten, am 28. 1.^
nachmittags um ^i^ Uhr, erfolgt der Exitus letalis. Bereits zwei Stunden
später wurde das Kind in die Poliklinik gebracht und sofort gefroren.
und Fleischtherapie bei Tuberkulose.
151
Die Berechtigung der Diagnose einer Tuberkulose, die schon
durch den klinischen Befund und Verlauf gestützt schien, wurde
noch durch folgende anamnestische Daten gesichert. Während
zwar in der Familie eine hereditäre Belastung nicht vorlag, war
zehn Tage zuvor eine in demselben Hausstande befindliche Pflege-
schwester des Kindes an einer durch die Obduktion bestätigten
Tuberkulose zu Grunde gegangen. Es lag die Vermutung nahe,
dass unsre Patientin von ihrer gleichaltrigen Pflegeschwester in-
fiziert worden war.
Die Diagnose wurde durch die am 30. 1. an dem gefrorenen
Kinde vorsichtig und verlustlos ausgeführte Obduktion bestätigt.
Es handelte sich um ausgebreitete verkäste Herde in beiden
Lungen und in den Bronchialdrüsen. Die Mesenterialdrüsen waren
gleichfalls verkäst, und in der vergrössei-ten Milz waren deutliche
Tuberkel zu konstatieren. Auf weitere Details der pathologisch-
anatomischen Veränderungen konnte mit Rücksicht auf rasches
Arbeiten nicht geachtet werden.
Die Verarbeitung erfolgte nach dem Prinzip von Camer er
und Söldner^) mit der von uns^) beschriebenen Modifikation, die
darin bestand, dass diie Zerkleinerung nicht manuell, sondern in
einer geeigneten Maschine vorgenommen wurde. Der gut durch-
gemischte Brei wurde mit Alkohol und Äther extrahiert, ge-
trocknet und in einer Pulvermühle fein zermahlen. Die Alkohol-
und Atherextrakte wurden eingeengt und vereinigt.
Bestimmt wurden Wassergehalt, Stickstoff, Ätherextrakt,
Gesamtasche und von einzelnen Mineralbestandteilen P2O5, CaO,
Gl, KjO, NajO, MgO und Fe^ 0«.
Gewicht des Kindes 4619 g.
Tabelle I.
Absolute Werte in Gramm:
. i
Trocken-
substanz
Ätherextrakt
Asche
N
Pulver 1
Alkohol- + Äther- ,
extrakt {
716,55
200,29
27,8875
154,2
108,87 ' 92,00
22,92 5,372
!
Summa |
916,84
182,09
131,79
97,372
1) Zeitschr. f. Biologie. Bd. 39. S. 173.
') Stein itz, Jahrb. f. Kinderheiik. Bd. 59.
Weigert, dieses Heft. S. 187.
S. 447.
152
Steinitz-Weigert, Über Demineralisation
Tabelle II.
100 g Leibessubstanz enthalteD:
Wasser
Trocken-
substanz
Ätherextrakt
Asche
N
79,71
20,29
4,03
2,85
2,154
100 g fettfreic Leibessnbstanz enthalten:
88,06
lß,94
3,04
2,245
Tabelle III.
100 g TrockensubstaDZ enthalten:
Ätherextrakt
Asche
N
19,9
14,4
10,6
100 g fettfreie Trockensubstanz enthalten:
1 17,94
13,2
Tabelle IV.
Der gesamte Körper
100
g Asche
enthalten
P,0» 45,73
34,7
CaO 47,25
85,85
Gl 9,73
7,38
K,0 9,07
6,88
Na,0 11,9
9,08
MgO 1,8
0,99
Fe,0, 0.56
0,425
Summa
125,54
95,255
Wenn wir die vorliegenden Zahlen zu. Schlüssen verwerten
wollen, so müssen wir zum Vergleiche die in der Literatur schon
vorhandenen Säuglingsanalysen heranziehen. Es sind dies die
Untersuchungen von Sommerfeld^), Camerer und Söldner •)
und Steinitz^). Alle diese Analysen beziehen sich auf Neu-
geborene oder magendarmkranke Säuglinge bis zum Alter yon
höchstens 4 Monaten, sodass unmittelbar mit unserem tuberkulösen
1) Arch. f.
Kinderheilk.
Bd.
30.
S.
253.
>) Zeitschr.
f. Biologie.
Bd.
43.
S.
1.
») 1. c.
und Fleisohtherapie bei Tuberk alose. 153
Kinde vergleichbare Werte leider nicht zur Yei*fügang stehen. Da
aber bis aaf den Fettgehalt alle bisher vorliegenden Zahlen mitein-
ander übereinstimmen, mögen sie sich auf Neugeborene oder einige
Monate alte chronisch magendarmkranke Säuglinge beziehen, so
begehen wir sicherlich keinen erheblichen Fehler, wenn wir dieselben
als Vergleich smaterial für unseren vorliegenden Fall benutzen.
Denn wir wissen zwar, dass sich im Laufe der Wachstumsperiode
das Verhältnis der festen Bestandteile untereinander und dieser
zum Wasser nicht unerheblich ändert, doch erfolgt die Umsetzung
so allmählich, dass man die grob chemische Zusammensetzung
eines ein Jahr alten, als nahezu identisch mit der eines vier
Monate alten Kindes ansehen kann.
Was den Wassergehalt anlangt, so ist derselbe gegenüber
dem des gesunden Neugeborenen, bei dem er 71,8 pCt. beträgt, mit
79,71 pCt. erheblich erhöht. Da aber der Fettgehalt des tuber-
kulösen Kindes nur 4,03 pCt. gegenüber 12,3 pCt. beim Neu-
geborenen beträgt, was ja nach dem Überstehen einer konsump-
tiven Krankheit nicht verwunderlich ist, so wird der Unterschied
gering, wenn der Wassergehalt auf fettfreie Leibessubstanz be-
rechnet wird: Wassergehalt des fettfreien Neugeborenen 81,9 pCt.,
Wassergehalt des fettfreien tuberkulösen Kindes 83,06 pCt. A priori
wäre anzunehmen gewesen, dass der Wassergehalt des ein Jahr
alten Kindes kleiner oder zum mindesten nicht grösser sein
würde, als der des Neugeborenen. Dass dies nicht der Fall ist,
könnte begründet sein in dem Vorhandensein von Ödemen, dann
aber auch in Veränderungen, die die Tuberkulose in der Zu-
sammensetzung des Organismus hervorgerufen haben könnte,
Veränderungen, die allerdings von Steinitz bei den Analysen
magendarmkranker Kinder nicht gefunden wurden.
Da sowohl der Fettgehalt des Organismus in weiten Grenzen
wie auch der Wassergehalt, wenn vielleicht auch nur in geringerem
Masse, schwanken kann, so sind Schlüsse auf das Verhältnis
zwischen organischer und anorganischer Substanz — also auf eine
eventuelle Demineralisation — nur durch Berechnung auf fett-
freie Trockensubstanz möglich.
Wir stellen deswegen die bezüglichen Zahlen des Durch-
schnittkindes von Camerer und Söldner, des ältesten von
Steinitz und des von Sommerfeld untersuchten Kindes in
folgender Tabelle zusammen.
154
Steinitz-Weigert, Über Demineralisation
100 g fettfreie Trockensabstanz enthalten:
Ge-
samt-
ascii«
CaO
P1O5
K,0
Na,0
Gl
MgO
Fe,0,
Gamerer a. Söld-
ner: Neageb.
Gewicht: 2821 g
Steinitz: 4monatl.
magendarmkrankes
Kind. Gew. :3190 g
S 0 m m e r f e I d : 3 mon.
magen darmkrankes
Kind. Gew. :4340 g
Steinitz nnd Wei-
gert: Tuberkalöses
Kind IJ. alt. Gew.:
4519 g
16,8
18,44
16,5
17,94
6,4
6,97
6,443
6,88
1,206
1,263
1,445
1,434
1,114
1,087
0,1745
0,2437
0,1163
fehlt
6,43
6,2-24
1,284
1,62
1,824
0,1769
0,0762
Aus dieser Tabelle ergibt sich, dass der Gesamtaschengehalt
des an Tuberkulose zugrunde gegangenen Kindes ca. 18 pCt.
der fettfreien Trockensubstanz beträgt. Er ist also nur um Wenig
geringer als der des viermonatlichen magendarmkranken Kindes
und deutlich vermehrt gegenüber dem der Neugeborenen und
des dreimonatlichen Kindes von Sommerfeld. Dieser letztere
Unterschied scheint uns um so bedeutungsvoller, als das Gewicht
unseres Kindes und des Kindes von Sommerfeld ungefähr
gleich ist.
Die Werte der Einzelaschen haben für die Frage der all-
gemeinen Demineralisation keine grosse Bedeutung, insofern als sie,
verglichen mit den Zahlen des Neugeborenen und des magen-
darmkranken Kindes, nicht gleichsinnig laufen, d. h. z. T. ver-
mehrt, z. T. vermindert sind.
So ist der Gehalt an Kalk, Phosphor und Magnesia bei dem
tuberkulösen Kinde etwas niedriger als erwartet werden musste.
Es handelt sich hier aber nicht um eine für Tuberkulose spezi-
fische Verarmung an diesen Mineralbestandteilen, sondern um
eine Folge der nicht unbeträchtlichen Rachitis des Kindes, die
jedenfalls den Minderbetrag an phosphorsaurem Kalk und
Magnesia erklärt.
Hingegen besteht eine Vermehrung von Chlor und Natrium.
Der Gehalt an Kalium ist unverändert, der Eisengehalt
spielt wegen der geringen Menge des überhaupt vorhandenen
Eisens bei der Erörterung unserer Frage keine Rolle.
and Fietschtherapie bei Taberkalose. 155
Wenn sich demnach die von den Franzosen supponierte
Theorie der Demineralisation bei Tuberkulose nicht als stichhaltig
erwiesen hat, so soll damit nicht gesagt sein, dass die Disposition
zur Tuberkulose nicht in einer anders gearteten chemischen Um-
Stimmung des Kqrpers begründet sein könnte, deren Natur wir
allerdings nicht kennen. So gibt es einige klinische Erfahrungen,
durch die der Zusammenhang zwischen Tuberkulosedisposition und
chemischer Zusammensetzung des Körpers wahrscheinlich gemacht
wird. Wir weisen auf die Tatsache hin, dass Gichtiker gegen
Tuberkulose relativ immun sind, und dass eine grosse Reihe von
Fleischfressern schwer oder garnicht mit Tuberkulose zu infizieren
ist. Auch diese Beobachtungen wurden darauf zurückgeführt,
dass hauptsächlich von animalischer Kost lebende Individuen reich
an Mineralien sein sollen.
Einer der eifrigsten Verfechter dieser Ansicht ist Le Coat
de Kerv^guen^), der zum Zweck einer zielbewussten Prophylaxe
der Tuberkulose vorschlug, durch Ernährung ev. mit Unter-
stützung ' einer medikamentösen Therapie den Organismus he^
drohter Individuen chemisch umzustimmen und an Mineralien an-
zureichern.
Diese durch eine Therapie erreichbare Übermineralisierung
des Organismus und deren günstigen Einfluss auf den Verlauf
von Tuberkulose nachzuprüfen, war der Zweck einiger Versuche,
in denen in der Breslauer pädiatrischen Klinik und Poliklinik
tuberkulöse Kinder einer Behandlung mit rohem Fleisch unter-
zogen wurden. Dass wir rohes und nicht gekochtes Fleisch, das
in demselben Masse eine Übermineralisierung hätte bewirken
mQssen, verabreichten, hatte seinen Grund darin, dass eine grosse
Reihe französischer Autoren in neuester Zeit gleichfalls solche
Versuche angestellt' und nur mit rohem Fleisch Erfolge erzielt
hatten.
Diese letzteren Versuche gingen allerdings nicht von theo-
retischen Erwägungen aus, sondern verdankten ihre Entstehung
dem Zufall.
Riebet^) ernährte bei Versuchen über medikamentöse Be-
handlung experimenteller Tuberkulose zufällig eines der geimpften
Tiere mit rohem Fleisch, und gerade dieses Tier war das einzige,
0 1. c.
') Zitiert nach Raison ni er, La Zomotherapie etc. These de Paris.
1902. S. 22.
156 Steinitz-Weigert, Über Demineralisation
das die Infektion überstand. Daher stellte er im Verein mit Hiri-
court^) nunmehr systematische Versuche über die Behandlung der
Tuberkulose mit rohem Fleich an. Das Resultat der Experimente war
völlig eindeutig. Die mit rohem Fleich oder mit Fleischsaft ge-
fütterten Tiere überstanden zum grössten Teil die Infektion,
während die mit gekochtem Fleisch ernährten Tiere ausnahmslos
zugrunde gingen. In besonderen Versuchsserien stellte \[lich et
fest, dass zum Schutz gegen Tuberkulose für 1 kg Gewicht
10 — 15 g rohes Fleich erforderlich seien.
Die sehr ermutigenden Erfolge an Tieren waren die Ver-
anlassung, die Heilversuche mit rohem Fleisch auch auf den
Menschen zu übertragen. Das Resultat dieser Versuche war ein
glänzendes'). Selbst bei ausgedehnten Zerstörungen beider Lungen
und bei aufs äusserste reduziertem Allgemeinzustande wurden
staunenswerte Besserungen berichtet, die lediglich der Fleisch-
therapie zugeschrieben wurden.
Auch die Mitteilungen über die Fleischbehandlung der
Lungentuberkulose bei Kindern lauten durchweg günstig:.
Durchaus bestechend sind die Resultate, die Josias*) be-
richtet. Er behandelte 24 tuberkulöse Kinder mit rohem Fleisch*
Der besseren Übersicht wegen teilte er seine Fälle je nach der
Schwere der Krankheit in drei Gruppen. Von 6 Kindern im
}. Stadium der Tuberkulose wurden 4 geheilt, 2 gebessert, von
6 Kranken des 2. Stadiums 1 geheilt, 2 gebessert, und von 12
Kindern des 3. Stadiums 1 geheilt und 2 gebessert.
Gleichfalls unter der Leitung von Josias berichtet Rai-
sonnier*) über vier Kinder (1., 2. und 3. Stadium), deren Lungen-
tuberkulose durch die Fleischtherapie in durchwegs günstiger
Weise beeinfiusst wurde.
Wenn wir diese Berichte kritisch betrachten, so müssen wir
zugeben, dass die Gewichtszunahmen in allen geheilten oder ge-
besserten Fällen auffallend gute sind und überhaupt der Prozent-
satz der Heilungen und Besserungen als ausserordentlich günstig
zu bezeichnen ist. Die Diagnose der Tuberkulose wurde nur in
1) Riebet und Hericonrt, Gompt. rend. de la societe de biologie.
Bd. 52. S. 527.
Dieselben, Bulletins de Pacad. de medec. Paris, November 1899.
>) Literatur, siebe bei Pertik in Lubarscb-Ostertag, Ergebnisse der
allgemeinen Patbologie. 1904. Bd. VIII, 2. S. 439.
*) Josias, Revue d'bygiene et de medecine infantiles. Bd. I. S. 1.
*) 1. c.
und Fieischtherapie bei Tuberkulose. 157
4eT Minderzahl der Fälle (7 von 28) durch den Nachweis von
Tuberkelbazillen erbracht. Bei den übrigen Kranken war deip
Lungenbefand derartig, dass die Diagnose einer Tuberkulose, die
überdies noch durch die positive Tuberkulinreaktion gestützt
wurde, nicht bestritten werden kann.
Gegenüber diesen Resultaten sind folgende Bedenken geltend
zu machen. Einmal muss aus der Betrachtung des Prozentsatzes
der Heilungen die von Raisonnier mitgeteilte Serie von vier
Fällen eliminiert werden, weil sie nur eine Auslese von Fällen
— und gewiss nicht der schlechtesten — aus einer grossen Zahl
von Beobachtungen darstellt, während über das Schicksal der
übrigen nichts erwähnt wird. Fernerhin sind auch die von
Josias berichteten günstigen Erfahrungen (25 pCt. Heilungen,
25 pCt. Besserungen) nicht geeignet, die Fleischtherapie als
spezifisches Heilmittel der Tuberkulose erscheinen zu lassen;
denn damit würden nicht im Einklang stehen die von Raisonnier
mitgeteilten Misserfolge der Zomotherapie bei Peritonitis tuber-
ciilosa und ihr gänzliches Versagen bei Meningitis tuberculosa,
das von Josias und Roux^ in fünf Fällen beobachtet wurde.
Wie soll sich ferner eine spezifische Therapie der Tuber-
kulose vereinigen lassen mit der Tatsache, dass im Verlaufe
einer Kur mit rohem Fleisch ein neuer tuberkulöser Knochenherd
auftrat bei einer Patientin, bei der gleichzeitig der Lungenprozess
günstig beeinflusst wurde? Ein solcher Fall findet sich aber
unter den Krankenberichten von J-osias. (Derselbe findet sich
auch in extenso bei Raisonnier.) Ein zehnjähriges Mädchen
wurde in sehr abgemagertem Zustande mit intensiver Diarrhoe
und Infiltration der rechten Lungenspitze dem Hospital Bretonneau
zugeführt. Die eingeleitete Fleischkur hatte den Effekt, dass der
Durchfall sofort aufhörte, die Lungenerscheinungen erheblich
zurückgingen, das Fieber verschwand und das Gewicht rapid —
um fast 7 kg : — anstieg. Dann aber erschien an der Mitte der
linken Tibia eine Osteomyelitis tuberculosa, die bei der Entlassung
des Kindes noch vorhanden war.
Abgesehen von den eben geltend gemachten Einwänden
sind es auch die nun mitzuteilenden, in unserer Klinik gemachten
Erfahrungen, die uns gegenüber dem uneingeschränkten Lobe
der Fleischtherapie seitens der erwähnten Autoren zur Skepsis
zwingen.
^) Societe de therapeutique, ferner 1901. Zit. n. RaisoDuier.
168 Steinitz-Weigert, Über Demineralisation
Das uns zur Verfügung stehende Material ist zwar geringe
jedoch ist in allen Fallen der Misserfolg der Fleischtherapie so
eklatant, dass die Resultate absolut eindeutig und daher mitteilens-
wert sind; andererseits machen sie es erklärlich, dass diese Be-
handlungsart wieder von uns verlassen wurde.
In keinem Falle hat die Zomotherapie die tuberkulöse
Affektion, wo auch immer ihr Sitz war — in den Lungen oder
in anderen Organen — irgendwie günstig beeinflusst.
Fall I. Martha St., 12 Jahre alt, warde am 13. I. 1903 der Klinik
zugeführt. Gut genährtes Kind mit blasser Farbe, flachem Thorax und
schlechter, nicht yoUständig korrigierbarer Körperhaltung. Am linken Kiefer-
rande und unter dem Kiun stark vergrösserte, z. T. exulzerierte Drusen.
Auch sonst sind am Kieferrande und längs des Muse, sternocleidomastoideus
bis in die Snpraclaviculargruben zahlreiche, grosse, harte Drüsen zu tasten.
Im Intrascapularraum deutlich verbreitertes, scharfes bronchiales Atmen.
Ad basim beiderseits, besonders deutlich L. H. und R. V. über der Leber
kleinblasiges, klingendes Rasseln.
Keine Temperatursteigerung. Körpergewicht 24,6 kg.
Am 5. Tage des Aufenthaltes in der Klinik ist das Gewicht 24,9 kg,
am selben Tage wird die Verabreichung des rohen Fleisches begonnen und
bis zum 8. III., also durch 51 Tage, fortgesetzt. Während dieser ganzen
Zeit bekommt das Kind täglich 500 g rohes, gehacktes Rindfleisch. Daneben
isst es mit massigem Appetit die übliche Krankenhauskost, die gleichfalls
täglich ca. 125 g gekochtes Fleisch enthält. Das Körpergewicht steigt in
den ersten 12 Tagen auf 26 600 g, um dann bis zur Entlassung unter genügen
Schwankungen auf 25 600 g herunter zu gehen. Die Temperatur ist in den
ersten 2 Wochen normal und bewegt sich dann andauernd remittierend
zwischen 37,0 und 38,8 <^ C. Der Erweichungsprozess der Drüsen am linken
Kieferrande und am Kinn schreitet weiter fort, und die Abszesshöhlen zeigen
trotz Behandlung mit Perubalsam keine Tendenz zur Heilung. Der Lungen-
befund bleibt gänzlich unverändert. Nach der am 10. III. 1903 erfolgten
Entlassung wird das Kind weiter poliklinisch beobachtet.
Am 15. V. 1903 ist das Gewicht weiter auf 23,2 kg heruntergegangen;
der Drüsenbefund ist unverändert, trotzdem das Kind sich seit der Entlassung
in chirurgischer Behandlung befindet. Es besteht Fieber.
Dieser selbe Befund wird auch noch am 28. VII. 1904 erhoben. Das
Körpergewicht ist auf 26,9 kg gestiegen, das Fieber besteht weiter.
Fall II. Elisabeth Fl. Hereditär mit Tuberkulose belastet. Wurde
drei Jahre lang wegen tuberkulöser Drüsen und Ohrenleiden in einem hiesigen
Hospital chirurgisch behandelt.
Das Kind wurde im Alter von 9 Jahren in unsere Poliklinik gebracht ;
damals bestand bereits eine Verdichtung in der linken Lungenspitze und ^ine
diffuse trockene Bronchitis. Zwei Jahre später wurde das Kind mit folgendem
Status zur Einleitang einer Fleischkur aufgenommen. Mageres, blasses Kind.
Thorax lang und schmal, links abgeflacht. L. V. und- H. 0. deutliche
Dämpfung, lautes Bronchialatmen und zahlreiche klingende und knarrende
Geräusche. Es besteht eine sternale Dämpfung. Am Halse befinden sich
aod Fleischtherapie bei Tuberkulose. 150
zahlreiche grosse Drüsen und allenthalben am Körper zahlreiche flache,
strahlige oder kreisförmige Narben. Körpergewicht 22,4 kg.
Vom 8. Juni bis 10. August 1902 bekommt es ausser der gewöhnlichen
Kraukenhaaskost t&glich 250 g rohes Fleisch. Das Gewicht steigt w&hrend
dieser Zeit um 1,3 kg, die Temperatur ist, abgesehen Ton eiozelnen geringen
abendlichen Steigerungen, in der Klinik normal. Im Spatum dauernd Tuberkel-
bazillen.
Bei der Entlassung hat sich der Lungenbefnnd absolut nicht geändert
und auch im übrigen Befinden ist eine Besseru'ng nicht eingetreten.
Die Zomotherapie wird in der Poliklinik in der Weise fortgesetzt, dass
das Kind dreimal wöchentlich in der Klinik 250 g rohes Fleisch verabreicht
erhält. Trotzdem diese Kur bis zum Dezember weiter geführt wird, yer-
schlimmert sich der Lungenprozess derartig, dass Fat., da eine ambulante
Behandlung unmöglich wird, dem städtischen Hospital überwiesen wird.
Fall III. Kind Mari^ J. Die Mutter des Kindes ist nach der Ent-
bindung an Schwindsucht gestorben, der Vater ist chronisch lungenkrank.
Das Kind selbst soll yon Geburt an blass und kränklich sein; es besteht
schon seit Jahren Husten. Es wird im Alter yon 3 Jahren 4 Monaten der
Klinik zugeführt.
Aufnahmestatus: Sehr kleines, kachektisch aussehendes Kind. Es
besteht beiderseits starke Otorrhoe. An den Lungen ist beiderseits H. 0.
dichte Dämpfung zu konstatieren; L. H. 0. bestehen deutliche Kavernen-
sjmptome; allenthalben hört man grossblasiges, feinstes Rasseln. Gewicht
6,890 kg, Temperatur 39,4 o C.
Die sofort auf der Klinik eingeleitete Fleischkur (250 g täglich) vermag
den Lnngenprozess nicht aufzuhalten. Es besteht dauernd remittierendes
Fieber bis 40^ C, das Gewicht sinkt kontinuierlich und am 3. IX., d. h. am
43. Tage der Fleischkur, erfolgt bei einem Körpergewicht von 5,640 kg der
Exitus letalis.
Die Obduktion ergibt ausgebreitete Lungentuberkulose mit Kayemeh-
bildnng.
Fall IV. Martha K., 2V4 Jahre alt, mit generalisierter Tuberkulose,
(Lungen-, Drüsen-, Mittelohrtuberkulose) starb bereits 8 Tage nach Beginn
der eingeleiteten Fleischtherapie, so dass auf eine ausführliche Wiedergabe
des Krankenjonrnals verzichtet wird.
Abgesehen von den mitgeteilten klinischen Fällen verfugen
wir über eine Reihe poliklinisch behandelter Patienten, die gleich-
falls während eines Zeitraumes von je 1*/, bis 5 Monaten rohes
Fleisch erhielten. Die Kur wurde so durchgeführt, dass die Kinder
drei- bis viermal wöchentlich 250 resp. 500 g rohes Fleisch in
der Klinik in Gegenwart des Arztes oder der Wärterin verzehrten.
Dabei wurde den Eltern aufgegeben, nach Massgabe der Mittel
den Kindern auch zu Hause möglichst viel rohes oder gekochtes
Fleisch zuzuführen.
Wir möchten an dieser Stelle dem Einwand begegnen, dass
die Kur nicht als ausreichend angesehen werden könnte, weil die
Kinder nur jeden zweiten Tag ihr Fleischquantum erhielten. Wir
160 Steinitz-Weigert, Über DemiDeralisation
wollen deswegen erwähnen, dass auch mit diesem Modus der
Forderung von Josias, den Patienten täglich 10 — 12 g Fleisch
pro Kilogramm Körpergewicht zuzuführen, in den meisten Fällen
genügt wurde.
Vier von diesen Kindern waren sicher tuberkulös; es sind
die folgenden Fälle:
Fall V. Klara W., 11 Vi Jahre, hereditär mit Tuberkulose belastet.
An beiden Oberschenkelknochen besteht tuberkulöse Osteomyelitis. Die
Fleischkur erstreckt sich über 4 Monate, während deren eine Besserung
nicht erfolgt. Hingegen tritt während dieser Zeit eine Spondylitis tuber-
culosa auf, die die Überweisung des Kindes an eine chirurgische Klinik er-
forderlich macht.
Fall VI. Elisabeth 0., 4^1 Jahre, Spondylitis tuberculosa« Die Fleisch-
kur wird 5 Monate durchgeführt. Der tuberkulöse Prozess wird nicht
beeinflusst — Eineinhalb Jahre später erfolgt der Exitus, nachdem lozwischeD
eine Lungentuberkulose hinzugetreten ist.
Fall VIT. Walter 6., d^i Jahre. Lupus an der rechten Hand. Drusen-
tuberkulose (kalte Abszesse am Halse und ii^ den Supraclayiculargruben).
Dauer der Fleischtherapie drei Monate. Während der Kur tritt ein neuer
Drüsenabszoss auf. Alle Abszesse heilen erst, als nach Beendigung der
Fleischkur eine chirurgische Behandlung eingeleitet wird. Der Lupus wird
durch die Lichttherapie nach Finsen beseitigt. Gegenwärtig (nach 1 Vs Jahren)
sind auf dem Boden der alten Narben neue Abszesse entstanden, trotz guten
Allgemeinbefindens.
Fall VIII. Meta W., 5^/3 Jahre, ist wegen Tuberkulose der linken Lungen-
spitze mit Kavernenbildung seit 4 Jahren in Beobachtung der Poliklinik.
Die Zomotherapie dauerte 3^/s Monate, nach denen der Lungenbefund un-
verändert ist. — Am 20. VII. 1904 ist der tuberkulöse Prozess über die ganze
linke Lunge ausgebreitet.
Wir berichten nunmehr noch über sechs weitere Fälle, bei
denen ein chronischer Liingenprozess bestand, dessen tuberkulöse
Natur zwar sehr wahrscheinliche aber nicht mit Sicherheit nach-
gewiesen war. Der leichteren Übersicht wegen bringen wir den
Befund und Verlauf in Form einer Tabelle.
(Hier folgt Tabelle auf Seite 161.)
Von diesen sechs Fällen ist nur in einem einzigen Falle
(No. XIV) Verschwinden eines Lungenbefundes zu konstatieren,
aber auch in diesem Falle ist der tuberkulöse Prozess mit grösster
Wahrscheinlichkeit als nicht erloschen zu betrachten, da das Kind
auch monatelang nachher noch fieberte.
Bei diesen wie auch dem grössten Teile der vorher be-
sprochenen Patienten konnten wir eine Erscheinung beobachten,
die auch Josias bei seinen Fällen hervorhebt. Es ist dies eine
z. T. nicht unbeträchtliche KörpergewLchtszunahme, die zumeist
im Beginne der Fleischkur zu konstatieren war. Wir sind aber
weit entfernt, diese als spezifisch therapeutischen Effekt der Fleisch-
und Fieischtherapie bei Tuberkulose.
161
:: Name u. Alter
S, des Kindes
IX ,
X
XI
Elsbeth D.,
8V4 Jftbre
Richard ü.,
5 Jahre
Herbert H.,
IOV4 Jahre
Herbert R.,
8^4 Jahre
III I Magdalone R.,
i 7V2 Jahre
IV Ma^arete H.,
4'/j Jahre
Heredit.
Belastung
Vor-
handen
Vor-
handen
Vor-
handen
Keine
hereditär.
Belastung
Kbine
hereditär.
Belastung
Heredit.
Belastung
Yorhand.
Lnngenbefund
Rechtsseitiger
Spitzenkatarrh
Rechtsseitiger
Spitzenkatarrh
Rechtsseitiger
Spitzenkatarrh ^
Infiltration der
rechten Lungen-
spitze
Zirkumskripter,
chron. Katarrh der
Lingula mit kling.
Geräuschen
Rechtsseitiger
Spitzenkatarrh
Temperatur
Dauer der
Fleisch-
therapie
Lungenbefund
nach Beendigung
der Fleischkur
Dauernd sub- 7 Wochen
febril. Temp.
Daaemd nor-
male Temp.
Subfebrile
Temperatur.
Dauernd
Fieber
Subfebrile
Tempe-
raturen
Dauernd
Fieber
2 Moni
51/3 MoD.
5 Mon.
5 Mon.
4 Mon.
Unverändert
Unverändert
Unverändert
Unverändert
Unverändert
Kein Langenbef.
mehrnachweisb.;
Fieber dauert an
therapie auf die Tuberkulose zu deuten. Wir glauben vielmehr,
dass sie yerursacht ist durch den Wechsel des Ernährungsregimes.
Denn die meisten unserer Patienten stammten aus ärmlichen Ver-
hältnissen, und Fleisch dürfte in der vorangegangenen Ernährung
eine nur untergeordnete Rolle gespielt haben. Dafür spricht auch
der Umstand, dass die Gewichtszunahmen hauptsächlich in die erste
Zeit der Fleischbehandlung fielen.
Abgesehen davon kommt für die in der Klinik behandelten
Patienten noch der Umstand hinzu, dass der Wechsel der Um-
gebung, die bessere Pflege, die Gesellschaft gleichalteriger Spiel-
genossen, die durch den Aufenthalt im Krankenhause bedingt ist,
an und für sich einen Faktor darstellt, der das Allgemeinbefinden
und den Ernährungszustand von Patienten jeder Art günstig zu
beeinflussen pflegt.
Schliesslich möchten wir noch betonen, dass auch wir die
Erfolge von Josias als günstig bezeichnen müssen, wir glauben
aber, dass sie bedingt sind durch die eben erörterten Faktoren.
In diesem Sinne mag die Verabreichung von rohem Fleisch oder
Fleischsaft ein Glied in der Kette der Heilfaktoren sein. In
keinem Falle berechtigen uns aber die bisher vorliegenden Er-
fahrungen, die Fleischtherapie als ein spezifisches Heilmittel der
Tuberkulose anzusehen.
P* IC« X--
;! -^ "^
+ 500 g
+ 500 g
+ 900 g
+ 1500 g
+ 1300 g
+ 1000 g
.lAbrbaeh f. Kinderheilkunde. N. F. TJCf, Heft 1.
11
XII.
Beitrag zur Frage der Thymushypertrophle.
Von
Dr. G. TADA
aus Nagoya (Japan).
Zahlreiche Berichte sind über den plötzlichen Tod sowohl
im kindlichen als im spateren Lebensalter veröffentlicht worden,
der auf eine Thymushypertrophie zurückgeführt wird. Trotzdem
ist das Wesen der genannten Todesursache noch von einem
Schleier umhüllt
Wir können darüber vom pathologisch-anatomischen Stand-
punkte wenigstens keine bestimmte Erklärung erhalten. Die einen
[Grawitz (1), Nordmann (2), Pott (13) Siegel (3) u. A. m.}
behaupten, dass eine vergrösserte Thymus sowohl bei Kindern
als auch bei Erwachsenen einen plötzlichen Tod durch Erstickung
infolge der Kompression der Trachea durch die vergrösserte Drüse
herbeiführen kann. Die anderen, an Zahl grösseren Autoren aber
erklären diesen plötzlichen Tod durch die infolge der Kompression
der grösseren Gefässe bezw. Nervenstämme erfolgte Herzlähmung
[Paltauf (5), Kohn (4), Richter (6) u. A. m.]. Svehla (7)
dagegen versuchte diesen Tod auf Grund eines Tierexperimentes
durch Intoxikation eines übermässig produzierten Thymusgiftes
zu erklären. Eine präzise Beweisführung über diese Frage liegt
jedoch noch nicht vor. Abgesehen von Svehlas Ansicht können
wir also die zur Erklärung des plötzlichen Todes durch Thymus-
hypertrophie aufgestellte Theorie als eine mechanische bezeichnen,
von denen bei der einen eine Druckwirkung auf die Trachea, bei
der anderen ein Einfluss auf die Gefässe und Nervenstämme an-
genommen wird. Trotzdem über diese Frage in der Literatur
vielfach gestritten worden ist, konnte ich, soweit ich es übersehe,
eine spezielle Beschreibung über die topographischen Verhältnisse
der in Frage kommenden Organe nicht finden, die dazu geeignet
wäre, um mit einem Blicke übersehen zu können, wie sich die
Tada, Beitrag zui* Frage der Thjmushypertrophie. 163
hypertrophierte Thymus zu ihren benachbarten Organen verhält.
Je nach der Grösse der Thymus werden ihre topographischen
Verhältnisse selbstverständlich mehr oder weniger verschiedene
sein. Wenn erst mehrere genaue Beschreibungen der topo-
graphischen Verhältnisse vorliegen werden, so glaube ich, dass
dieselben eventuell mit Vorteil zum Studium des rätselhaften
Thymustodes benutzt werden können. Ich hatte Gelegenheit, an
der königlichen Kinderklinik zu Breslau einen Fall von Thymus-
hypertrophie sowohl im Leben zu beobachten, als auch nach dem
Tode die topographischen Verhältnisse der vergrösserten Drüse
genau zu studieren.
Ich werde zunächst die Krankengeschichte des Falles hier
folgen lassen.
Erich L., 10 Monate. Das yod Geburt an künstlich ernährte Kind
kam im Alter von 6 Monaten in poliklinische Beobachtung. Zur Ernährung
hatte es in letzter Zeit zweistündlich ca. 200 g ^/s Milch + V> Haferschleim
mit je 2 Teelöffeln Zucker erhalten. Täglich war 5 mal Stuhl; früher soll es
Krämpfe gehabt haben. Das 5200 g schwere Kind sitzt mit Unterstützung
hat leidliche Farben und einen guten, eher etwas erhöhten Muskeltonus. Es
besteht zur Zeit eine massige Pharyngitis ohne Fieber; am hinteren Rande
der Sterno-Gleidomastoidei sind zahlreiche kleine harte Lymphdrüsen zu
tasten. Lingua geographica. Innere Organe ohne Befund. Reflexe normal.
Kein Facialisphänomen. Als Ernährung wurden 5 Mahlzeiten a 200 g
Va Milch 4- V> Haferschleim mit je 1 Teelöffel Zucker verordnet. Bei dieser
Ernährung nahm die Zahl der Stühle bald ab, es wurden täglich zwei
homogene gelbe Stühle entleert. Das Körpergewicht hielt sich ungefähr um
5000 g herum. Zeitweise wurde ein Facialisphänomen beobachtet. Hautfarbe
und Muskeltonus waren immer gut. Letzterer wurde manchmal als erhöht
bezeichnet notiert.
Im Alter von 7 Monaten wurde links vorn oben auf und neben dem
Sternum und unterhalb der Glavicula eine deutliche Dämpfung konstatiert.
Ein Auskultationsbefnnd über der Dämpfung konnte dagegen nicht erhoben
werden. Die linke Pupille war weiter als die rechte. Diese Pupillendifferenz
war jedoch nicht konstant nachweisbar. Da das Kind mit der Zeit blässer
wurde und das Körpergewicht abnahm, wurde es am 20. X. 1903 in die
stationäre Abteilung zur genaueren Beobachtung aufgenommen. Es bekam
zunächst dieselbe Ernährung wie in der Poliklinik. Es bestand leichte
Hypertonie der Muskulatur. Da das Körpergewicht nicht zunahm, wurde
statt i/s Milch -f- Va Haferschleim V* Milch + Va Mondaminabkochung mit
1 Teelöffel Zucker gegeben. Auch dabei wurde keine Zunahme erzielt, des-
wegen wurde der Zucker durch einen, später zwei Teelöffel Malzsuppenextrakt
ersetzt. Mit dieser Ernährung wurde eine Körpergewichtszunahme von
4600 g am 4. XI. auf 5380 g am 15. XII. erzielt. Der erwähnte Perkassions-
befund über dem Manubrium sterni und links davon unterhalb der Clavicuia
wurde dauernd, wenn auch in wechselnder Intensität und Ausdehnung, beob-
achtet. Ein Auskultationsbefund über dieser Dämpfung konute jedoch nie-
164 Tada, Beitrag zur Frage der Thymushypertrophie.
mala gefanden werden. Ebenso wurde niemals eine Temperatursteigerung
beobachtet, mit Ausnahme an einigen Tagen am Ende des Monats November,
die auf eine Pharyngitis mit stark schleimig-eitriger Sekretion im Nasen-
rachenraum zurückgeführt werden konnte. Die am Anfang beobachtete leichte
Hypertonie der Muskulatur verschwand allmählich, ebenso das mitunter beob-
achtete Facialisphänomen. Yergrösserung der Milz war niemals vorhanden.
Das Kind wurde mit der Zeit sehr agil, sass allein und stellte die Beine auf.
Dagegen blieb die Hautfarbe immer etwas blass. Am 14. XU. wurde das
Kind wieder in poliklinische Beobachtung entlassen. Es bekam dieselbe
Ernährung weiter und entwickelte sich dabei sehr gut. Das Körpergewicht
nahm bis auf 6150 g am 7. I. 1904 fast regelmässig zu. Der Perkussions-
befund wurde weiterhin ebenso wechselnd wie auf der Klinik beobachtet.
Ein Facialisphänomen und eine Pupillen differenz war niemals vorhanden.
Am 10. I. 1004 erkrankte das Kind unter Fieber und bekam Krämpfe. Als
das Kind deswegen in die Poliklinik gebracht wurde, konnte nur ein schwaches
Facialisphänomen und eine Temperatur von39oC. festgestellt werden. Darm-
erscheinungen bestanden nicht. Trotzdem wurde das Kin^ auf Teediät gesetzt,
worauf die Krämpfe sistierten. Am anderen Tage war die Temperatur normal;
ausser einer etwas vermehrten Blässe der Hautdecke wurde kein Befund
konstatiert. Das Facialisphänomen war nicht mehr nachweisbar. Zur
Nahrung bekam das Kind zunächst Haferschleim ohne Milchzusatz. Am
nächsten Tage waren zwar keine Krämpfe mehr aufgetreten, aber hin und
wieder leichte lary ngospastische Anfälle. Die Dämpfung blieb unverändert.
Als Ernährung wurde 5 mal 200 g */j Milch -|- V« Haferschleim verordnet.
Tags darauf wurde das Kind spät am Abend unter Krämpfen wieder ein-
gebracht, die jedoch hier nicht mehr zur Beobachtung kamen. Es bestand
nur eine gewisse Steifigkeit der Extremitäten. Am Tage sollte das Kind
schlecht getrunken haben. Es wurde dem Kinde 0,5 g Ghloral per Klysma
verabfolgt, worauf es bald einschlief. Gegen Morgen des folgenden Tages
traten wieder Krämpfe auf, unter denen der Exitus letalis eintrat.
Um eine möglichst genaue Aufklärung des seltsamen Per-
kussionsbefundes zu erhalten und zum besseren Studium der
topographischen Verhältnisse des eventuell zu erwartenden Sektions-
ergebnisses wurde die Leiche nicht nach der gewöhnlichen Ob-
duktionsmethode seziert, sondern sie wurde von der Vena cava
inferior aus mit lOproz. Formalinlösung injiziert, wie es Gregor (8)
zur Konservierung der Brustorgane in situ angegeben hat. Bei
der Herausnahme der gehärteten Brustorgane in toto konnte
zunächst von aussen an den Lungen nichts Abnormes konstatiert
werden. Zwischen den beiden freien Lungenrändem war vorn
die persistente Thymus sichtbar. Zur Nachhärtung wurden die
gesamten Brustorgane in Sublimat, später in Alkohol gebracht.
Nach vollendeter Härtung wurden dieselben durch horizontale
Schnitte in Lamellen von je 1 cm Stärke ungefähr zerlegt Auf
diesen Durchschnitten wurde eine hypertrophierte Thymusdrüse
sichtbar, die einen grossen sterno-vertebralen Durchmesser zeigte,
Tada, Beitrag zur Frage der Thjmushypertrophie.
165
während an den Lungen makroskopisch kein pathologischer Be-
fund sichtbar war. Zum weiteren Studium wurden die einzelnen
Scheiben der gesamten Brustorgane in Celloidin eingebettet und
mittelst eines grossen Jungschen Mikrotoms in mikroskopische
Schnitte zerlegt und die einzelnen Schnitte mit Alaunkarmin ge-
erbt. Auf diese Weise konnten die topographischen Verhältnisse
an mikroskopischen Schnitten durch die ganzen Brustorgane
genau studiert werden. Zum Verständnis derselben genügt es,
vier Durchschnitte herauszugreifen, die in verschiedenen Höhen
angelegt worden waren. Die Abbildungen derselben sind nach
Photographien der mikroskopischen Schnitte in natürlicher Grösse
hergestellt. Zunächst soll hier eine genaue Beschreibung der
einzelnen Bilder folgen.
vagus
N, recurrens
Fig. 1.
Figur 1 stellt einen Horizontalschnitt ungefähr in der Höhe
des dritten Brustwirbels vor; derselbe geht durch die höchste
Spitze des Aortenbogens. Zwischen den beiden Lungen (das
Loch der rechten Lunge ist ein Kunstprodukt infolge fehlerhafter
Einbettung) springt zunächst die hypertrophische Thymus in die
Augen, welche hauptsächlich links von der Medianlinie gelegen
ist. Ihre grösste Breite beträgt 3,3 cm und ihr grösster sterno-
vertebrale Durchmesser des linken Teiles der Drüse beträgt
3,3 cm, während der rechte Teil der Drüse, der die Vena cava
superior zum Teil umfasst, eine Dicke Aion nur 1,0 cm aufweist.
166
Tada, Beitrag zur Frage der Thymushypertrophie.
Links hinten von der Vena caya sup. befindet sich die Trachea.
Links hinten von dieser liegt der Oesophagus; zwischen Trachea
und Vena cava sup. liegt eine etwas abgeplattete grössere Lymph-
drüse, welche in dieser Gegend fast konstant auch an anderen
von mir untersuchten Brustorganen gefunden wurde. Vergrössert
sich dieselbe erheblich, so wäre eine Druckwirkung auf die Vena
oder die Trachea denkbar. Dass in unserem vorliegenden Falle
die erheblich vergrösserte Thymus eine Eompressionswirkung auf
die Trachea ausgeübt hat, ist nicht ersichtlich und auch nicht
Fig. 2.
recht verständlich, da die grossen Gefässe — von hinten nach
vorn der Reihe nach aufgezählt — Vena anonyma sin., Art.
subclavia sin., Art. vertebralis sin., die hier direkt aus dem
Aortenbogen abgeht, Art. carotis sin. und Art. anonyma gerade
an der Abgangsstellc von der Aorta getroffen und Vena cava
sup. gewissermassen eine halbkreisförmige Schutzmauer gegen
die Thymus um die Trachea bilden. In einem dreieckigen, mit
lockerem Binde- und Fettgewebe ausgefüllten Räume zwischen
Oesophagus und Trachea und den von dem Aortenbogen ab-
gehenden Gefässen finden wir eine Anzahl von Nerven querschnitten,
welche wohl zum Teil als Äste des N. recurrens vagi an-
zusprechen sind. Zwischen Art. subclavia sin., Vena anonyma
Tada, Beitrag zur Frage der Thymushypertrophie.
167
sin. und dem hinteren Teile der vergrösserten Thymus sieht
man in einem Räume, der von lockerem Binde- und Fettgewebe
•erfüllt ist, den Querschnitt eines grösseren Nervenstammes,
<]er den Hauptstamm des N. vagus darstellt. Auch hier ist von
einer Kompression der Nerven durch die Thymus keine Rede.
Der Schnitt, welcher durch Figur 2 wiedergegeben wird,
liegt ungefähr 5 mm unterhalb des ersten. Er geht durch die
Bifurkationsstelle der Trachea und ungefähr in halber Höhe
-durch den Aortenbogen. Die Thymus weist hier eine Breite
Fig. 3.
von 3,2 cm und in ihrem linken Lappen eine Dicke von 4,2 cm
auf. Auch hier liegt der grösste Teil der Thymus links von der
Medianlinie. Zwischen Oesophagus, Trachea und Aortenbogen
sind wie in dem ersten Schnitte die Äste der N. recurrens vagi
sichtbar, während der Hauptstamm des N. vagus an der linken
hinteren Wand des Aortenbogens sichtbar ist. Im übrigen ist
4ie Topographie dieselbe wie im ersten Schnitte. Von einer
Druckwirkung der Thymus auf Trachea, Gefässe und Nerven-
stämme ist auch hier nichts zu sehen.
Figur 3 stellt einen horizontalen Schnitt vor, welcher 8 mm
unter dem zweiten, etwas unterhalb der Bifurkation der Trachea
gelegen ist. Die Dimensionen der Thymus haben wesentlich ab-
genommen. Der zwischen den vorderen Lungenrändem sichtbare
168
Tada, Beitrag zur Frage der Thjmnahjpertrophie.
Teil der Drüse beträgt 1,2 cm. Der linke Teil der Thymus
zieht als ein schmales Band von wenigen Millimetern Durch-
messer an dem konkaven Teile der linken Lunge halbkreisförmig
um die von dem Herzen abgehenden grossen Gefässe nach hinten
bis fast an die Wirbelsäule reichend herum. Die beiden Haupt-
bronchi liegen dicht nebeneinander. Unmittelbar hinter dem
linken Bronchus liegt der Oesophagus. Zwischen und um diese
drei Organe sieht man mehrere kleine Lymphdrüsen. Rechts
neben dem Oesophagus von ihm durch eiiiige kleine Lymphdrüsen
Fig. 4.
getrennt sind die Aste des N. recurrens vagi getroffen. Links
neben dem Oesophagus und dem linken Bronchus liegt die Aorta
descendens, während die Aorta ascendens vor dem linken Bronchus
und Aorta descendens gelegen ist. Rechts neben der Aorta
ascendens liegt die Vena cava sup., vom begrenzt durch den
rechten Thymuslappen, hinten durch den rechten Bronchus.
Links von der Aorta ascendens liegt die Art. pulmonalis, während
die Spitze des rechten Vorhofes vor diesen beiden Gefassen zu
sehen ist. Die Thymus zieht also in einem ovalen Bogen, voü
der Vena cava ausgehend, um die Aorta ascendens, Ventriculus
dexter, Arteria pulmonalis und Aorta descendens herum.
Tada, Beitrag zur Frage der Tbymushypertrophie. 189
Figur 4 entspricht einem Horizontalschnitt, welcher ungefähr
6 mm unterhalb von Figur 3 angelegt ist. Auf diesem Bilde
finden wir nur noch einen 2 — 3 mm dicken Streifen der Thymus,
der sich bogenförmig um den rechten Ventrikel und linken Vor-
hof herumzieht. Der rechte Thymuslappen reicht nicht mehr in
diese Schnittebene herunter. Die weitere Topographie des Schnittes
gestaltet sich folgendermassen: Links hinten vom Oesophagus
liegt die Aorta descendens, zu beiden Seiten des Oesophagus die
beiden Bronchien. Der linke, schräg getroffene, zeigt eine ellipsen-
förmige Gestalt. Der rechte dagegen, senkrecht getroffen, ist rund
und vom Oesophagus durch einige Bronchialdrüsen getrennt.
Vor diesen vier Organen liegt quer ziemlich an der Basis durch-
schnitten die Arteria pulmonalis. Sic weist ein langes, fast spalt-
förmiges Lumen auf. Vor der Art. pulmonalis liegt rechts die
Vena cava sup., links die Aorta ascendens; vor diesen beiden
wieder der rechte Vorhof; links davon der rechte Ventrikel und
links hinter diesem ist der linke Vorhof getroffen, der eine ovale
Gestalt zeigt.
Als grösste Dimensionen der Thymus ergeben sich 3,5 cm
Länge, 3,2 cm Breite und 4,2 cm Dicke. Das Gewicht der
Thymus konnte naturlich nicht bestimmt werden. Die weitere
genaue histologische Untersuchung der Thymus ergab nur eine
reine Hypertrophie.
Über die normale Grösse der Thymus liegen in der Literatur
verschiedene Angaben vor. Friedjung (10), der die Thymus-
literatur in einem Sammelreferat zusammengestellt hat, berichtet
darüber:
„Die Thymus ist nach Hyrtl ein drüsiges Organ des
vorderen Mittelfellraumes, das sich nur im Embryonalzustande
und im frühen Kindesalter nachweisen lässt, zur Zeit der
Pubertät aber schon ganz oder bis auf kleine Reste geschwunden
ist. Nach Friedleben nimmt das Organ von der Entstehung
bis zum 25. Jahre an Umfang wohl zu, während das Gewicht
schon früher infolge einer fettigen Umwandlung des Drusen-
körpers abnimmt; bis zum 35. Jahre jedoch lassen sich be-
deutende Reste noch nachweisen, erst dann kommt es zum
völligen Sehwunde. Waldeyer, einer der gründlichsten Forscher
in dieser Frage, findet Thymusreste sogar bis in das höhere
Lebensalter. Wir wollen die Zahlen Friedlebens, mit denen
die Befunde Paltaufs und v. Mettenheimers gut überein-
stimmen, festhalten.
170 Tftdft, Beitrag zar Frage der Thymoshypertrophie.
Das Gewicht der Thymus vom
1.— 9. Monate 20,7 g,
9.-24. „ 27,3 g,
2.— 14. Jahre 27,0 g,
15.-25. „ 22,1 g,
25.-35. yy 3,1 g.
Das sind Durchschnittszahlen, die den grössten Schwankungen
unterliegen.^
Angaben über die Grössenmasse der Thymus gibt Fried-
leben (12):
Alter von der Geburt — 9 Monate Länge der Thymus 30,1 mm
„ „ 9 Monaten — 2 Jahre r» v n 6Ö,6 „
„ „ 3 Jahren —14 „ » » » 84,4 „
Diese Zahlen hat er an Leichen plötzlich verstorbener
Individuen gewonnen. Monti (11) hat Normal-Masse für die
Thymusdrüse bei Neugeborenen aufgestellt. Im Durchschnitt
beträgt
das Gewicht der Thymus 14 g,
die Länge „ „ 3 — 9 cm,
die Breite „ „ 2 — 4 „
Die Ausdehnung in die Tiefe, d. h. die Dicke, ist jedoch
nicht angegeben.
Aus diesen Zahlen geht hervor, dass die Masse und das
Gewicht der Thymus auffallend grossen Schwankungen unter-
worfen ist, so dass sich normale Grössen für die einzelnen Alters-
stufen nicht aufstellen lassen. Vergleichen wir die Dimensionen
der Thymus an unserem Falle, was Breite und Länge anbetri£Pt,
mit denen der vorliegenden Zahlen, so ist dieselbe keineswegs
als besonders gross zu bezeichnen. Um nochmals auf die
mechanische Druckwirkung der vergrösserten Thymus einzugehen,
so liegt bei unserem Falle, wie schon erwähnt, kein Anhalt für
eine derartige Kompression vor. Auch ist mir nach den Ver-
suchen von Scheele (14) die Möglichkeit einer Druckwirkung
auf die Trachea kaum vorstellbar. Um nach Scheele die Trachea
eines 1jährigen Kindes zu komprimieren bezw. zum vollständigen
Verschlusse zu bringen, ist eine Belastung von 750 — 1000 g er-
forderlich. Aus den topographischen Verhältnissen ergibt sich
aber, dass zwischen Thymus und Trachea die Wurzeln der
grossen Gefässe gewissermassen als eine Schutzmauer gelegen
sind. Es wäre also eine um vieles grössere Belastung als die von
Scheele angegebene erforderlich, um die Trachea hinter diesem
Tada, Beitrag zar Frage der Thymashjpertrophie. 171
Schutzwall komprimieren zu können. Eher können wir eine
Druckwirkung der Thymus auf die grösseren Gefässe und
namentlich auf den Vagusstamm zugeben, wie aus den topo-
graphischen Verhältnissen von Fig. I und II ersichtlich ist.
Trotzdem die Thymus in unserem Falle den Massen nach
keine besonders abnorme Grösse erreichte, so hat dieselbe doch
in vivo eine ausgedehnte intensive Dämpfung hervorgerufen.
Eine Thymusdämpfung wird normaler Weise in der Literatur
zum Teil geleugnet, zum Teil flüchtig erwähnt und keine be-
stimmten Angaben darüber gemacht. Blumenreich (9) dagegen
will in jedem Falle durch leise Perkussion sowohl am lebenden
als am toten Kinde eine Thymusdämpfung erhalten haben. Die
von ihm erhaltenen Dämpfungsfiguren stimmten mit dem nach
Herausnahme des Sternums aufgezeichneten Situs der Thymus
meist gut überein. Auf Grund von 22 im 1. Lebensjahre genau
untersuchten Fällen stellt er folgende Norm auf: Die Form der
Thymusdämpfung stellt ein ungleichseitiges Dreieck dar, dessen
Basis die Verbindung der beiden Sterno-Claviculargelenke bildet,
dessen abgestumpfte Spitze in der Höhe der zweiten Rippe oder
etwas unterhalb derselben liegt und dessen Schenkel die Sternal-
Linien ungleichmässig überragen, so zwar, dass die grössere
Hälfte des Dreiecks nach links hia zu liegen kommt Nach ihm
können also Dämpfungen, welche die oben genannten seitlichen
Grenzen um 1 cm oder mehr überschreiten, eine Vergrösserung
der Thymus anzeigen. Eine Vergrösserung der Thymus erfolgt
meist nach links hin. In unserem vorliegenden Falle überschritt
die gefundene Dämpfung die angegebene Grenze nach links ganz
erheblich. Fragen wir uns, wodurch diese ausgedehnte Dämpfung
hervorgerufen wird, so geben uns unsere Bilder ebenfalls Auf-
schluss darüber. In Figur I und II liegt der grösste Teil der Drüse
links bis 2 cm von der Medianlinie. Femer infolge des grossen
sterno - vertebralen Durchmessers der Drüse, der bis 4,2 cm
beträgt, während Blumenreich bei 55 Fällen denselben nie
mehr als 6 — 9 mm mass, müsste die Perkussion bis 2 cm nach
links von der Medianlinie absolut gedämpften Schall ergeben.
Links vorn aussen ist die Thymus von einem verhältnismässig
schmalen Teile des vorderen linken Lungenrandes überlagert,
wie die Fig. I und II ergibt. In diesen Präparaten nehmen die
Lungen die maximalste Inspirationsstellung ein. Normalerweise
wird der vordere Lungenrand weiter zurückweichen. Durch die
Wölbung des Thorax ist die Perkussionsrichtung mehr oder
minder von links vorn aussen nach rechts hinten innen gerichtet.
172 Tada, Beitrag zur Frage der Thymashypertropliie.
Ein Blick auf unsere Bilder zeigt dann, dass auch bei ziemlich
weit nach aussen einwirkender Perkussion die Thymus von einem
verhältnismässig schmalen Streifen lufthaltigen Lungengewebes
überlagert ist. Dadurch muss also namentlich bei etwas stärkerer
Perkussion eine ausgedehnte Dämpfung zustande kommen. — Die
Form und die Ausdehnung der Dämpfung in unserem Falle ent-
sprach derjenigen, welche durch vergrösserte verkäste Bronchial-
drüsen und durch tuberkulöse Eäseherde im linken Oberlappen
— einem Lieblingssitz der Lungentuberkulose im Eindesalter —
hervorgerufen werden. Auch in unserem Falle wurde viel eher
an diese Möglichkeit gedacht, wenn auch sonst keine Symptome
dafür sprachen, als an eine vergrösserte Thymus. Die Differential-
diagnose zwischen Thymushypertrophie und Lungen- oder Bron-
chial- und Mediastinal - Drüsentuberkulose ist natürlich von
eminenter Wichtigkeit. Die eine Erkrankung stellt vielleicht
nur eine gewisse Gefahr für das betreffende Individuum dar, die
andere dagegen lässt mehr oder minder bald eine infauste
Prognose in Aussicht stellen.
Selbst bei ausgedehnter Lungentuberkulose bei Säuglingen
können die charakteristischen Symptome — bronchiales Atem-
geräusch und klingendes Rasseln — fehlen, sogar, wenn es schon
zur Cavernenbildung gekommen ist, höchstens ist eine leichte
Dämpfung im Oberlappen nachweisbar, ja es können sogar aus-
gebreitete tuberkulöse Herde in den Lungen von Säuglingen
unseren physikalischen üntersuchungsmethoden der Perkussion
und Auskultation vollständig, entgehen und erst bei der Ob-
duktion zutage treten, wenn vielleicht auch schon in vivo
ein Verdacht auf Tuberkulose aus anderen Symptomen ab-
geleitet worden war. Für die Differentialdiagnose sind daher
die anderen Symptome als wesentlich heranzuziehen. In erster
Linie käme das Fieber in Betracht; im Verlaufe der Lungen-
tuberkulose bei jungen Kindern sehen wir oft wochenlang, ja
monatelang erhöhte Temperaturen nur mit kurzen Unterbrechungen
bestehen, oder es treten öfters Fiebertemperaturen auf, die einige
Tage anhalten und sonst nicht erklärt werden können. Zugegeben
muss allerdings werden, dass es auch Tuberkulosen bei Säug-
lingen gibt, die ohne Temperatursteigerungen verlaufen, und sind
solche Fälle auch schon in der Literatur mitgeteilt worden.
Einen weiteren Anhaltspunkt für die Diagnose bietet der Er-
nährungszustand der betreffenden Kinder. Bei der Thymushyper-
trophie handelt es sich oft um wohlgenährte eher fette Kinder.
Die tuberkulösen Kinder dagegen siechen meist langsam dahin;
Tada, Beitrag zur Frage der Thymushypertrophie. 173
ihr Ernährungszustand ist ein schlechter und verschlechtert sich
immer mehr; selbst bei sonst richtig gewählter Nahrung, ja selbst
bei der idealsten Ernährung, der Ernährung mit Frauenmilch,
lässt sich oft eine Körpergewichtszunahme und normale Ent-
wicklung bei ihnen nicht erreichen; diese Kinder widersprechen
oft in ihrem Verhalten jeglicher Erfahrung auf dem Gebiete der
Ernährungstherapie.
. Sonst sind differentialdiagnostisch noch zu erwähnen Aorten-
aneurysmen und Mediastinaltumoren. Erstere kommen als Rarität
kaum in Betracht und dürften wohl auch noch andere Symptome
bieten, die eine Diagnose sichern. Tumoren des Mediastinum
sind ebenfalls selten und zeigen meist einen raschen Verlauf und
starkes Wachstum.
Aus unseren Betrachtungen können wir also den Schluss
ziehen, dass bei jungen Kindern sternale und parasternale
Dämpfungen, die namentlich links vom Sternum auftreten, beim
Fehlen sonstiger Symptome nicht ohne weiteres auf eine Tuber-
kulose der Bronchialdrusen oder der Lunge zu beziehen sind.
Nur eine fortgesetzte genaueste Beobachtung kann hier eine Ent-
scheidung bringen.
1. Grawitz, Über plötzliche Todesfälle im S&uglingsalter. Zitiert nach
Ziegler: Lehrb. d. spez. pathol. Anat. 1902.
2. Nord mann, Zitiert nach Siegel: Pathologie der Thymusdrüsen. Berl.
klio. Wochenschr. No. 40. 1896. p. 889.
3. Siegel, Über die Pathologie der Thymusdrüse, Berl. klin. Wochenschr.
No. 40. 1896.
4. Kohn, H., Zum Thymastod. Deutsche med. Wochenschr. No. 2. 1901.
5. Pal tauf, Beziehung der Thymus zum plötzlichen Tode. Wiener klin.
Wochenschr. 1889. Zitiert nach Zieglers Lehrb.
6. Richter, Plötzliche Todesfälle im kindlichen Alter. Yerhandl. d. 6e-
sellsch. f. Kinderheilk. 1902.
7. Svehla, a) Die Rolle der Thymusdrüse. Münch. med. Wochenschr.
1900. No. 42. p. 1476.
b) Experimentelle Beiträge zur Kenntnis der inneren Sekretion der
Thymus, der Schilddrüse und der Nebennieren von Embryonen und
Kindern. Arch. f. experim. Pathologie u. Pharmakologie. Bd. 48. 5. u. 6. H.
8. Gregor, Über die Lokalisation der Lungenerkrankungen bei Säuglingen.
Yerhandl. d. Gesellsch. f. Kinderheilk. 1908.
9. Blumenreich, Über Thymusdämpfungen. Yirchows Arch. Bd. 161.
10. Friedjung, J. K., Der Status lymphaticus. Gentralbl. f. die Grenzgebiete
der Medizin u. Chirurgie. IIL Bd. 1900.
11. Monti, Kinderheilkunde in einzelnen Darstellungen.
12. Friedleben, Zitiert nach Sah li. Topographische Perkussion im Kindesalcer.
13. Pott, Über Thymnsdämpfung und die dadurch bedingte Lebensgefahr.
Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 34. 1892.
14. Scheele, Zitiert nach Pott. cfr. 13.
XIII.
über die Herkunft des fötalen Fettes.
Von
Privatdozent Dr. MARTIN THIEMICH.
In einer früheren Mitteilung^) habe ich über zwei Tier-
versuche berichtet, welche derart angestellt worden waren, dass
ich eine Handin während zweier aufeinanderfolgender Tragzeiten
mit zwei sehr verschiedenen Fetten fütterte und das Fett der
neugeborenen Hunde untersuchte, indem ich die Jodzahl der rein
dargestellten Fettsäuren bestimmte.
Dabei ergab sich, dass trotz der grossen DiflFerenz der ver-
fütterten Fette — einmal Palmin mit der Jodzahl 8, das andere
Mal Leinöl mit der Jodzahl 120 — die Fejttsäuren der neu-
geborenen Hündchen in beiden Yersuchen fast die gleiche Zu-
sammensetzung mit einer Jodzahl von rund 70 darboten.
Aus diesem Befunde durfte ich den Schluss ableiten, dass
das Nahrungsfett des Muttertieres während der Tragzeit keinen
mit der verwendeten Methode nachweisbaren Einfluss auf die
Beschaffenheit des fötalen Fettes ausübt. Es blieben aber danach
noch zwei Möglichkeiten bestehen: entweder konnte das Fett des
Fötus selbständig von diesem gebildet sein oder es konnte aus
den Fettdepots des Muttertieres abstammen. Eine Entscheidung
dieser Alternative war bei der Anordnung meiner bezeichneten
Versuche nicht zu treffen, weil ich das Fett des Muttertieres
nicht gleichzeitig untersucht und wahrscheinlich durch die während
der Tragzeit erfolgten Fütterungen garnicht beeinflusst hatte, da
ich damals das Tier vor dem Beginne des Experimentes nicht
abmagern Hess, sondern mit reichlich gefüllten Fettdepots benutzte.
Zur Klarstellung war ein neuer Versuch nötig, in welchem
die Fettdepots des Muttertieres in ihrer Zusammensetzung ver-
ändert und kontrolliert werden mussten. Diesen Versuch habe
1) Ccntnilbl. f. Physiol. Bd. XII, No. 26.
Thiemich, Über die Herkunft des fötalen Fettes. 175
ich nun im vorigen Jahre angestellt und will karz über sein Er-
gebnis berichten.
Eine gelbe, 9100 g schwere Hündin wurde am 27. und
28. Oktober belegt und von da an auf absolute Wasserdiät ge-
setzt bis zum 3. November, an dem sie 8300 g wog; bis zum
9. November erhielt sie darauf nur täglich etwa 1 Liter ab-
gerahmte Milch (mit ca. 0,1 pCt. Fett), wobei sie am 9. November
8200 g erreichte. Yon diesem Tage ab bekam das Tier mageres
Pferdefleisch, Brot, Kartoffeln, meist — aber nicht täglich —
abgerahmte Milch und täglich das schon in dem früheren Versuch
verwendete Kokosfett „Palmin" (mit nur 8 pCt. Jodverbindungs-
vermögen) in so grossen Mengen, als es fressen wollte. Bei dieser
Kost stieg das Körpergewicht rasch wieder an und betrug am
10. XII. 1903 10,9 kg. Anfang Januar 1904 warf die Hündin
4 Junge, welche sofort nach der Geburt getötet wurden. Die
Köpfe und Lebern habe ich abgeschnitten und weggetan, um
nicht unnötig grosse Mengen von Cholesterin und Lecithin in das
Ätherextrakt hineinzubekommen. Der feingeschnittene und zer-
hackte Gewebsbrei aller Tiere wurde darauf vereinigt und — da
ich ihn aus äusseren Gründen nicht sofort verarbeiten konnte —
mit Alkohol übergössen stehen gelassen. Immer nach einigen
Tagen wurde der Alkohol abgegossen und in einer grossen Schale
verdampft, der Brei mit neuen Alkoholmengen überschichtet.
Später wurden die Trockenrückstände der vereinigten Alkohol-
extrakte, sowie die auf dem Wasserbade getrockneten Gewebs-
bröckel im Soxhletschen Extraktionsapparate mehrere Tage lang
entfettet. Die weitere Bearbeitung des gesammelten Äther-
extraktes — Verseifung, Abspaltung und Reinigung der Fett-
säuren, sowie Bestimmung der Jodzahlen — geschah nach der-
selben Methode, deren ich mich früher bedient habe^).
Zur Kontrolle des mütterlichen Fettes habe ich am Tage
nach dem Wurfe dem Tiere in Chloroformnarkose einige Gramm
IJnterhautfettgewebe aus der unteren Halsgegend in der Nähe
des Jugulums weggenommen und ebenso wie die Föten verarbeitet.
Die Fettsäuren des Unterhautfettes waren nur leicht gelblich
gefärbt, während diejenigen der neugeborenen Tiere trotz wieder-
holter Waschung der Seifen mit reichlichen Äthermengen dunkel-
braun gefärbt blieben.
Das Resultat der Jodadditionsbestimmungen nach der
Hübischen Methode war nun folgendes:
») Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. XXVI. S. 189 flf.
176 T hie mich, Über die Herkunft des fötalen Fettes.
Jodzahl
des Muttertieres der Neugeborenen ')
31,7, 45,9,
30,9. 47,4.
Lassen nun diese Zahlen eine Deutung über die Herkunft
des Fettes der neugeborenen Tiere zu?
Zunächst ist festzustellen, dass durch die Palminfütterung
des Muttertieres tatsächlich das Unter hautfett desselben verändert
worden ist. Zwar beträgt die Jodzahl des Palmin nur 8,
während die der Hundefettsäuren in meinem Versuche etwa 31
beträgt, doch besitzen die Fettsäuren des Hundefettes normaler-
weise, das heisst bei einem mit gewöhnlichem Hundefutter ge-
nährten Tiere, im Durchschnitte etwa die Jodzahl 50^). Die
Veränderung des Jodbindungsvermögens ist also bei unserem
Palmin-Tiere in dem erwarteten Sinne einer Herabsetzung erfolgt,
und dass dieselbe nicht weiter gegangen ist und zu völliger
Übereinstimmung des Nahrungs- und des Depotfettes gefuhrt hat,
erklärt sich leicht daraus, dass erstens keine vollkommene A.b-
magerung des Versuchstieres vor der Palminfütterung stattgefunden
hat, und dass zweitens bei der Darmverdauung die oleinreichen,
leicht schmelzenden Anteile besser resorbiert werden als die hart-
schmelzenden oleinarmen Triglyceride des verfütterten Fettes.
In derselben Weise, wie wir beim Muttertiere eine Beein-
flussung der Fettzusammensetzung durch die Nahrung aus dem
Herabgehen des Jodbindungsvermögens erschliessen, dürfen wir
dies hinsichtlich der Fettsäuren der neugeborenen Tiere tun. An
und für sich besteht keine Übereinstimmung zwischen dem Depot-
fette der Hündin und dem der Neugeborenen; wenn wir aber in
Betracht ziehen, dass in den früheren Versuchen die Jodzahl der
Fettsäuren bei den neugeborenen Welpen etwa 70 betragen hat,
so bedeutet das Herabgehen der Jodzahl in dem oben mitgeteilten
Versuche auf 46,6 im Mittel eine Annäherung an die Beschaffen-
heit des mütterlichen Fettes. Dieses Ergebnis lässt wohl den
Schluss zu, dass die neugeborenen Tiere ihr während der intra-
uterinen Entwicklung angesammeltes Fett wenigstens zum Teil
aus dem mütterlichen Organismus erhalten haben.
Ob neben dieser Fettaufnahme noch eine eigene Fettbildung
1) Die starke Eigeofärbung erschwert die genaue Bestimmung der End-
reaktion beim Titrieren.
') Nach Benedict-Ulzer.
Thiemich, Über die Herkunft des fötalen Fettes. 177
im fötalen Organismas stattfindet und welchen Umfang dieselbe
erreicht, das ist aus dem mitgeteilten Versuche aus mehreren
Gründen nicht zu entscheiden.
Denn erstens ist nicht bekannt, ob das mütterliche Fett bei
seinem Transport zum Fötus irgend welche Veränderungen er-
leidet, und zweitens sind die miteinander in Vergleich gebrachten
Fettsäuren nicht völlig gleichartig. Vom Muttertiere ist nur das
Unterhautfett untersucht, bei den Welpen musste, um genügendes
Material zu erhalten, das gesamte Fett — hnr mit Ausschluss
des Leberfettes *-- verarbeitet werden, sodass die von den
Welpen erhaltenen Fettsäuren ein Gemisch von verschiedener
Herkunft (und wahrscheinlich auch nicht ganz übereinstimmender
Zusammensetzung) darstellen.
Die Lücke, die mein Versuch offen lässt, könnte nur durch
Verwendung grösserer Tiere ausgefüllt werden, bei denen auch
an den Neugeborenen eine getrennte Verarbeitung der verschiedenen
Fettdepots möglich ist.
Falls ein Transport unveränderten Fettes aas einem be-i
stimmten Fettdepot der Mutter zum Fötus erfolgt, so müsste
sich dies auch beim Menschen nachweisen lassen durch sorg-
faltige Untersuchung in denjenigen Fällen, in denen Mutter und
Kind intra partum zugrunde gehen. Erleidet aber das mütter-
liche Fett beim Transporte oder bei der Aufspeicherung inl
Fötus Veränderungen, so werden voraussichtlich die konstatier^
baren Schwankungen in der Zusammensetzung zu gering seitif,
um sichere Schlüsse zu gestatten. Wir sind dann auf das Tier-
experiment angewiesen, bei dem wir durch Herbeiführung extremer
Veränderungen leichter Klarheit herbeiführen können.
Zum Schlüsse möchte ich noch darauf aufmerksam machen,
dass nach den bisher vorliegenden Untersuchungen von Knöpfel-
macher, mir und Siegert das Unterhautfett des menschlichen
Neugeborenen ol einärmer ist (niedrigere Jodzahlen aufweist), als
das des Erwachsenen, während in meinen Tierversuchen die Jod-
zahlen der gesamten Fettsäuren der neugeborenen Tiere stets
höher lagen, als die der erwachsenen Tiere. Eine Erklärung
dafür vermag ich bisher nicht zu geben.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. K. F. LXI, Heft 1- 12
XIV.
über den Einfluss der Ernährung auf die chemische
Zusammensetzung des Organismus.
Von
Dr. RICHARD WEIGERT,
Assistenten der Klinik.
Der tierische Organismus besteht zum grossen Teile aus
Wasser. Die Grösse des Anteils des Wassers an den chemischen
Bestandteilen des Körpers ist durch mehrere Faktoren bedingt.
Diese sind, soweit uns bekannt ist, beim gesunden Organismus
in der Hauptsache das Alter und die Ernährung des betreffenden
Individuums.
Inwieweit Krankheiten imstande sind, den Wassergehalt
des Körpers zu verändern, ist nicht bekannt, denn die bei
kranken Individuen vorgenommenen Untersuchungen ^) von
Einzelorganen gestatten kein ruckschliessendes Urteil auf den
Wassergehalt des Gesamtkörpers. Abgesehen davon, ist auch
nicht festzustellen, welche chemische Zusammensetzung der
Körper vor dem Einsetzen der Erkrankung hatte. Demnach
bleibt die Frage offen, ob etwa eine vorausgegangene Ver-
änderung der chemischen Zusammensetzung des Körpers die
Bedingungen für das Entstehen der Krankheit gunstig gestaltete,
oder ob erst der Einfluss der Krankheit eine Alteration der
chemischen Komponenten des Organismus nach sich gezogen habe.
Bezuglich des Einflusses des Alters liegen Analysen über
den Wasser- und Aschegehalt des Tierkörpers von Bezold*)
vor. Dieser fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen [folgender-
massen zusammen :
„1. Jedes Tierindividuum besitzt einen für seine Art und
für sein Alter typischen normalen Gehalt von Wasser, organischer
I) V. HössHd, Deutsches Archiv f. kiin. Medizin. Bd. 38. 1883.
S. 600.
') y. Bezold, Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie. 1857. Bd. 8. S. 487.
Weigert, Über den Einflass der Ernährung etc. 179
Materie and anorganischen Salzen, der entweder nahezu konstant
ist (die höheren Wirbeltiere) oder zwischen engeren oder
weiteren Grenzen schwankt ....
3. Die Entwicklang und das Wachstum eines jeden Tieres
ist durch gewisse, für die Art oder Gattung derselben typische
Veränderungen in dieser Zusammensetzung charakterisiert.
4. Der Typus dieser Veränderungen ist für die drei ersten
grossen Gruppen des Wirbeltierreiches, für Säugetiere, Vögel
und Amphibien, im wesentlichen ein und derselbe. Die Haupt-
momente dieser Veränderungen sind:
a) Abnahme im Gehalte des Organismus an Wasser und
flüchtigen Bestandteilen von der Entwicklung des Keimes
bis zur Höhe des freien Wachstums;
b) Zunahme im Gehalte an anorganischem festem Material,
welche in der ersten Periode nach der Geburt die grösste
Schnelligkeit besitzt;
c) stetiges und gerade in den ersten Zeiträumen des freien
Lebens mit der grössten Langsamkeit vor sich gehendes
Wachstum des Aschengehaltes bis zur Vollendung der pro-
gressiven Entwicklungsperiode."
Der nach Abschluss der Entwicklung lange konstant
bleibende Wassergehalt des Organismus scheint im Alter wieder
zuzunehmen^).
Grosse, dem Organismus zugeführte Wassermengen können
nur dann retiniert werden und den Wassergehalt des Körpers
beeinflussen, wenn sie durch andere Bestandteile der Nahrung
im Körper gebunden und festgehalten werden.
Eine Wasserentziehung vermögen Tiere nur kurze Zeit
zu ertragen^).
Während die eben zitierten Anschauungen unbestritten in
der Literatur dastehen und auch durch zahlreiche Analysen ge-
stützt sind, ist die Bedeutung der Ernährung für den Wasser-
gehalt des Körpers durchaus nicht allseitig anerkannt.
Die bedeutsamsten Untersuchungen für diese Frage stammen
von Bischoff und Voit. Voit^) schreibt hierüber in Herrmanns
Handbuch der Physiologie: „Bei schlechter Ernährung wird der
ganze Körper wässriger; ein wohlgenährter Organismus enthält
1) Herr mann, Handb. der Physiol. 1881. Bd. 6, 1. S. 347.
') Rabner in Leydens Handb. der Ernährungstherapie. 1897.
£(d. 1. S. 58.
s) Herrmann, Handbach der Physiologie. 1881. Bd. 6, 1. S. 347.
12*
180 Weigert, Über den Einfloss der Emihrang aaf die
dagegen mehr Trockensubstanz, da in ihm mehr Fettgewebe mit
geringem Wassergehalt abgelagert ist und auch die übrigen
Organe, die Muskeln u. s. w., weniger Wasser einschliessen.
Bischoff und ich') haben bemerkt, dass ein Hund, der während
einer 41 tagigen Fütterung mit Brot eine 3717 g Fleisch ent-
sprechende Stickstoffmenge abgegeben, jedoch nur 531 g an Ge-
wicht verloren hatte, W^asser im Körper zurückbehielt, wodurch
eine starke Tränkung desselben mit Wasser stattfand.''
Um diesen während einer Fütterungsperiode mit Kohle-
hydraten eintretenden, im Stoffwechselversuch sich ergebenden
Wasseransatz sicherzustellen, fütterten Bischoff und Yoit zwei
Katzen mit Brot. Die Analysen von Muskeln und Gehirn-
substanz ergaben bei den mit Brot gefütterten Tieren einen
Wassergehalt, der 3 — 4 pCt. höher war, als der einer Katze^
die, wie gewöhnlich, mit gemischter Kost gefüttert wurde.
Gegenüber diesen Anschauungen, nach denen eine Änderung
des Wassergehaltes durch die Ernährung erzielt werden könne,
steht folgende Ansicht Rubners'): „Zahlen über den Wasser-
gehalt des Menschen hängen ganz von dem Umstände ab, ob der
betreffende viel oder wenig Fett abgelagert hat. Bei Tieren
sieht man mit der Zeit der Mast den prozentigen Wassergehalt
sinken und mit der Magerkeit steigen. Am häufigsten begegnet
man grosser Magerkeit, also wasserreichen Organen, bei Tuberkulose.
Wenn in ein normales fettarmes Gewebe Fett eingelagert
wird, so muss, weil letztere Substanz wasserfrei ist, der prozentige
Wassergehalt sinken, ohne dass der Organismus selbst auch nur
die geringste Wassermenge verloren zu haben braucht."
Gegen diese Anschauung Rubners, die der Stütze durch
Analysen von Gesamtorganismen entbehrt, führt in jüngster
Zeit Steinitz^) das Ergebnis zweier (noch nicht publizierter)
Versuchsreihen an, die sich mit der Feststellung des Wasser-
gehaltes wachsender Kaninchen beschäftigen. Er fand, dass der
Wassergehalt wachsender Kaninchen ab-, der Fettgehalt gleich-
1) Bischoffund Voit, Die Gesetze der Ernährung des Fleischfressers.
1860. (Leipzig, Heidelberg.)
') Ruh n er, Lehrbuch der Hygiene. 1900. S. 440. Derselbe, Leydens
Handbuch der Ernährungstherapie. 1897. Bd. 1. S. M).
^) Steinitz, Über den Einfluss von Ernährungsstörungen auf die
chemische Zusammensetzung des Säuglingskörpers. Jahrb. f. KinderheÜk.
N. F. LIX. fl. 4. S. 450.
chemische Zasammensetzang des Organisinas. 181
zeitig zunehme, dass sich aber auch bei der Berechnung auf fett-
freies Tier ein Sinken des Wassergehaltes konstatieren lasse.
Bei Untersuchungen pathologisch veränderter Organe konnte
Hösslin*) feststellen, dass Wasser- und Fettgehalt dieser Organe
in Ab- bezw. Zunahme durchaus nicht im umgekehrten Verhältnis
zu einander stehen.
Auch die in der Literatur vorliegenden Analysen ganzer
Organismen sind nicht geeignet, die Anschauungen Rubners zu
bestätigen, wenn auch die mangelhafte Technik der älteren
Untersuchungen keine absolute Gewähr für die Richtigkeit der
Zahlen bietet.
Die ältesten und meist zitierten Daten stammen von Law es
und Gilbert^), die folgende prozentige Zusammensetzung für das
ganze Tier angeben:
Prozent Wasser Prozent Fett
Halbfetter Ochs
51,5
19,1
Fetter Ochs
45,5
30,1
Mageres Schaf
57,3
18,7
Halbfettes Schaf
50,2
23,5
Fettes Schaf
43,4
86,6
Sehr fettes Schaf
35,2
46,8
Mageres Schwein
55,2
23,3
Fettes Schwein
41,3
42,2.
Wurden die Schwankungen im Wassergehalt der Tiere ledig-
lich durch Schwankungen des Fettgehaltes bedingt sein, so müsste
die Summe des Wasser- und Fettgehaltes bei Tieren derselben
Art stets gleich sein; dass dies in der eben zitierten Zahlenreihe
nicht zutrifft, ist ohne weiteres ersichtlich. Hierbei ist jedoch zu
bemerken, dass einige der Zahlen als Yergleichswerte ausfallen,
weil das Alter der Tiere nicht gleich war^.)
Für die von Fr. Hoffmann*) gelieferten Werte eines nach
•einer längeren Hungerperiode mit Speck gefutterten Hundes fehlen
leider Yergleichszahlen.
0 Hösslin, Arch. f. klio. Medizin. 1888. Bd. 83. S. 600.
>) Lawes and Gilbert, Experimental inquirj into the composition of
some of the animals fed and slaaghtered as haman food. Philosoph. Trans-
actions Part. II, 1859. Zitiert nach Herrmann, Handbuch der Physiol. 1881.
Bd. VI, 1. S. 348.
*) Joam. f. Landwirtschaft. 1878. XXVI. S. 602.
0 Zeitschr. f. Biologie. 1872. Bd. VIII. S. 176.
182 Weigert, Cber den Einflass der Eroäbrang aaf die
Ebenso sind die von Weiske und Wildt*) aasgeführten
Analysen gemasteter und nicht gemästeter Ferkel für unsere Zwecke
nicht verwertbar, weil es sich um junge Tiere verschiedenen
Alters handelt.
Forster') analysierte drei ausgewachsene Tauben, von denen
die eine mehrere Tage mit fettfrei gemachtem Fleisch ernährt
und dann getötet wurde (Hungertaube), während die anderen nach
der „Hnngerperiode^ mit Speck bezw. Stärke gemästet wurden.
Die Werte des Wasser- und Fettgehaltes gestalteten sich
danach folgend ermassen:
Prozentische Zasammensetznog der Tauben
^ ; Trocken- i ^ ^^ j Fett in Prozent
^"*"' i 8ubsUnz ; ^^" der Trocken-
sabstanz
Hanger 73,8 26,2
Speck 66,3 33,7
Stärke 69,1 30,9
1,04 ' 3,97
6,48 ' 19,19
6,04 ! 19,58
Auch hier genügen die Differenzen des Fettgehaltes der
Tiere nicht, um die Unterschiede im Wassergehalte zu begrQnden.
Henneberg, Kern und Wattenberg') bestimmten bei
gemästeten Hammeln den Gehalt des Fleisches an Fett und
fettfreier Trockensubstanz. Sie konstatierten hierbei einen erheb-
lichen Zuwachs an Fett, daneben auch einen geringen Ansatz voa
fettfreier Fleischtrockensubstanz, den sie aber als Zunahme nur des-
„löslichen Eiweisses^ ansehen.
Soxhlet^) fütterte 3 annähernd gleichalterige Schweine durch
mehrere Monate mit Gerstenschrot; zwei dieser Tiere (II und HI)
wurden danach noch durch 75 bezw. 82 Tage mit Reis gemästet
und dann analysiert, während eines (I) sogleich nach Beendigung
der Gerstenfütterung getötet wurde. Der Versuch erreichte seinen
Zweck insofern nicht, als das vor der Mastperiode getötete Tier I
fetter war als das gemästete Schwein U (siehe folgende Tabelle).
») Zeitechr. f. Biologie. 1874. Bd. X. S. 14.
>) Forst er. Über den Ort des Fettansatzes im Tiere bei verschiedener
Fütterangsweise. ZeiUchr. f. Biologie. 1876. Bd. XII. S. 458.
») Journ. f. Landwirtschaft. 1878. Jahrg. XXVI. S. 549.
^) Zeitschr. d. landwirtechaftl. Vereins in Bayern. 1881. LXXI. Jahrg.
Angustheft S. 428.
chemische ZusammensetzoDg des Organismus.
Zusammensetzung der Schweine:
183
In Prozent
ten des Reingewichts
I
II
III
Reingewicht
95,88
98,63
99,0
Fleisch
34,10
41,46
37,36
Trockensabstanz
56,11
51,56
58,55
Wasser
48,89
48,44
41,45
Fett
40,56
35,69
44,59
Fettfreie Trockensubstanz
15,54
15,87
14,00
Eiweiss
12,71
12,92
10,88
Stickstoff
2,033
2,068
1,741
Asche
2,630
2,442
2,170
Chaniewski^) mästete drei Gänse, II, III und IIb (der
folgenden Tabelle). Die mitgeteilten Zahlen demonstrieren deutlich,
dass auch in diesen Versuchen die Fettzunahme auf der einen
Seite nicht gleich ist der Wasserabnahme auf der anderen Seite,
und dass also auch die Grösse der fettfreien Trockensubstanz durch
die Mästung verändert lYurde.
Versuchstier
Lebend-
gewicht
g
In Prozent des Lebendgew.
Wasser Protein Fett
Gans I, Normalzustand
Gans II K, ,, , , f
Gans III I ™-"^ ^^°^ Normalzustands
Gans Ib, Hnngerzustand
Gans IIb, Mast vom Hungerzustand
3219
3816
4471
2838
3390
67,52
63,62
58,79
70,21
60,17
21,22
18,64
16,22
16,19
14,43
6,68
12,81
19,9
3,25
16,00
Die übrigen in der Literatur vorliegenden Analysen ganzer
Tiere sind für die Entscheidung unserer Frage nicht verwertbar,
weil entweder der Fettgehalt oder die Grösse der Trockensubstanz
nicht bestimmt würde.
Die Veranlassung, mich mit der Frage nach der Grösse des
Wassergehaltes des Organismus zu beschäftigen, war für mich
das Resultat einer Keihe *) von Versuchen , die die Wichtigkeit
des Wassergehaltes künstlicher Nährböden für das Bakterien-
wachstum gezeigt hatten. Es hatte sich herausgestellt, dass sich
^) Chaniewski, Über Fettbildung aus Kohlehydraten im Tierkörper.
Zeitschr. f. Biologie. 1884. Bd. XX. S. 192.
') Weigert, Richard, Über das Bakterienwachstum auf wasserarmen
Nährböden. Ein Beitrag zur Frage der natürlichen Immunität. Centralbl.
f. Bakteriol. 1904. Bd. XXXVl. (Originale). S. 112.
184 Weigert, Über deo EiDflass der Eroihmag auf die
das Wachstum der Bakterien verschlechtert, sobald der Wasser-
gehalt der beschickten Nährböden geringer wird, und dass
schliesslich das Fortkommen von Bakterien ganz aufhört, wenn
der Wassergehalt so niedrig wird, dass er fast gleich dem mittleren
Wassergehalt des Menschen wird. Es entspricht das einem
Wassergehalt von 65 pCt.
Danach lag es nahe, die Frage zu stellen, ob der tierische
Organismus in der Höhe seines Wassergehaltes eine Waffe gegen
die Ansiedinng von Bakterien habe.
Um der Beantwortung dieser Frage näher zu kommen,
schien es vorerst erforderlich, über folgende Gesichtspunkte durch
Analysen von Tieren und Tierversuche Klarheit zu schaffen:
1. Welchen Wassergehalt hat ein ausgewachsenes Tier einer
bestimmten Spezies bei seiner gewöhnlichen Lebensweise ?
2. Ist es möglich, den Wassergehalt dieses Tieres durch
gewisse Faktoren — insbesondere durch die Ernährung — nach
Belieben zu vermehren oder zu vermindern?
3. Erweisen sich Tiere, deren Wassergehalt in dieser Weise
kunstlich vermehrt oder vermindert ist, gegenüber Infektionen
(Impfungen mit infektiösem Material) anders als Tiere derselben
Spezies mit dem normalen Wassergehalt?
Die voriiegende Mitteilung ist in der Hauptsache der Be-
antwortung der ersten beiden Fragen gewidmet.
Zunächst versuchte ich den Körperbestand dadurch zu be-
einflussen, dass die Tiere neben der erforderlichen Menge Stick-
stoff nur Eiweiss oder Kohlehydrate oder Fett erhielten, also
einseitig ernährt wurden.
Die Versuche wurden an Mäusen begonnen. Diese Tiere
erwiesen sich aber als ungeeignet, da sie die einseitige Ernährung
nicht vertrugen und sämtlich eingingen. Daher wählte ich nun-
mehr Hunde zu Versuchstieren, von denen der erste (A, 3 Monate
alt) nur rohes Fleisch, der zweite (B, 2 Monate alt) wenig Brot
mit viel Butter, der dritte (C, 2 Monate alt) trocknes Brot be-
kam. Die Menge der Nahrung wurde dem Appetit der Tiere
angepasst. Da auch diese Tiere in der ersten Zeit nicht gut
fortkamen, so bekamen sie nebenher täglich eine Schüssel Fleisch-
brühe.
Die Tiere wogen bei Beginn des Versuches am 15. I. 1903
A. = 7400 g, ß. = 3040 g, C. = 3400 g, am Ende des Versuches
am 24. III. 1903 wog A. = 8250 g, B. = 4150 g, C. = 4200 g.
chemische Zasammensetzaog des Organismus.
185
Eine zweite Serie Hunde (annähernd gleichaltrige, aus-
gewachsene Tiere vom Typus der Dachshunde) wurde am 6. IV. 03
eingestellt und in derselben Weise ernährt. Sie wogen bei
Beginn des Versuches D. = 3000 g, E. = 3500 g, F. = 3700 g, am
Ende des Versuches, den 2. VI. 03 D. = 6400 g, E. = 6320 g,
F. = 3935 g.
Die Tiere wurden durch Chloroforminbalationen getötet und
auf ihren Gehalt an Trockensubstanz und Asche untersucht. (Die
Methodik wird weiter unten beschrieben werden.)
Die Analysen ergaben folgende Werte:
Trocken-
Wasser-
substanz
gehalt
pOt.
pCt.
pCt.
A. Fleisch und Brahe ^)
43,847
56,653
4,22
B. Butter, Brot, Brühe >)
42,37
57,63
3,39
C. Brot and Brühe
88,64
61,36
5,05
D. Fleisch und Brühe
87,497
62,503
3,421
£. Botter, Brot und Brühe >)
47,421
52,579
3,267
F. Brot und Brühe
84,416
65,584
2,2137
Das Resultat dieser Versuche ist nicht eindeutig. Den
höchsten Gehalt an Trockensubstanz, also den niedrigsten Wasser-
gehalt, haben die in der Hauptsache mit Fett ernährten Tiere.
Ihnen am nächsten stehen die mit Fleisch gefutterten Hunde.
Da jedoch das verfutterte Fleisch (gehacktes Kindfleisch, das
möglichst gut von Sehnen und Fett befreit war) noch 2 — 7 pCt.
Fett enthielt, so ist auch hier der hohe Gehalt des Tieres an
Trockensubstanz eventuell dem Fettgehalt der Nahrung zuzu-
schreiben.
Die Yersuchsanordnung wurde daher nun in anderer Weise
gewählt und das Hauptgewicht darauf gelegt, eine Serie Tiere
mit möglichst fettfreier und eine zweite Serie mit fettreicher
Nahrung zu füttern.
Die Tiere wurden in grossen Stallkäfigen gehalten, in denen
sie sich ausgiebig bewegen konnten.
Jede der drei angestellten Yersuchsserien bestand aus
Tieren desselben Wurfes. Es handelte sich also stets um Ver-
0 Das Fleisch warde zar Hälfte roh, zur Hälfte gekocht verfüttert.
>) ca. 150 g Butter, 50 g Brot.
') £. erhielt als zweite Mahlzeit nachmittags ca. 50 g Speck.
186 Weigert, Über den Einfluss der ErnähruDg auf die
gleichstiere derselben Art und desselben Alters. Die Hunde waren
sämtlich im Tierstalle der Klinik geboren und wurden bis zum Beginn
der Verabreichung der Versuchsnahrung vom Muttertier gesäugt.
Es wurden im ganzen drei Versuchsreihen mit sieben Hunden
eingestellt. Die Fütterung und die Körpergewichtskurve verlief
folgen dermassen: Serie I. Beginn der künstlichen Ernährung
6 Wochen nach der Geburt der Hunde.
Hund A., 1750 g schwer, erhielt zweimal täglich eine Schüssel
ca. 7 — 8 proz. Sahne ^), die gut genommen wurde.
B., löOO g schwer, bekam zweimal täglich eine Schüssel
durch Zentrifugieren erhaltener Magermilch; der Fettgehalt
dieser Nahrung betrug 0,2—0,6 pCt. ^).
C, 1400 g schwer, wurde während der ersten 16 Tage mit
derselben Magermilch wie Tier B. unter Zugabe von Semmel
gefüttert. Von da ab erhielt er Fleischbrühe mit Semmel und
täglich 5 — 6 Stückchen Zucker (ca. 50 g).
Verlauf der Gewichtskurve:
Datum A. B. C.
10. VI. 03 1750 g 1600 g 1400 g
26. VI. 03 2100 „ 1550 „ 1650 „
16. VII. 03 2500 „ 2200 „ 1700 „
20. Vn. 03 2630 „ 2280 „ 1630 „
31. VII. 03 2600 „ 2500 „ 1600 „
7. VIII. 03 2700 „ 2450 „ 1550
»
14. VlII. 03 2850 „ 2800 „ 1450 „
21. Vin. 03 3000 „ 3000 „ 1400 „
30. VIII. 03 2800 „ 2750 „ 1300 „
8. IX. 03 2250 „ 8. IX. 2660 „ 10. IX. 1300 „
Die mit Sahne bezw. Brühe und Semmel ernährten Tiere
zeigten in den ersten Tagen des Septembers wenig Appetit, waren
dauernd nass und neigten zu Durchfällen. Daher wurde der Versuch
am 8. bezw. 10. September abgebrochen. Alle drei Tiere wurden
durch Chloroforminhalationen getötet, gewogen und dann in einer
gut schliessenden Blechbüchse, die in eine Kältemischung gebracht
wurde, gefroren. Nach 24 bis 36 Stunden wurde sodann an die
Aufarbeitung der Tiere gegangen, die bei diesen wie bei den
1) Die Fettbestimmungen wurden nach der Methode von Gerber
ausgeführt.
chemische ZasammensetzuDg des Organismus. 187
früheren und noch folgenden Tieren nach folgender Methode*)
vorgenommen wurde:
Das vollkommen hart gefroreoe Tier wurde in einer grossen
Porzellanschüssel mit Messer und Schere zerkleinert und der
Magen und Darmkanal, sowie die Blase von ihrem Inhalte befreit.^)
Dieser Hess sich als Eis sehr gut ausstreichen, wurde schnell gewogen
und von dem Gesamtgewicht des Tieres in Abzug gebracht.* Als-
dann wurden die einzelnen Stücke und Organe in eine Fleisch-
hackmaschine gebracht und mit Fell, Knochen und Zähnen zer-
mahlen. Die sehr stark gebaute und mit Zahnradübertragung
versehene Maschine überwand alle diese Hindernisse spielend.
So wurde ein homogener Brei von der Konsistenz gehackten
rohen Fleisches erhalten. In der Maschine blieben einige grössere
Stückchen von Knochen, Knorpeln und Haut zurück, diese wurden
später mit der Schere vollends zerkleinert und mit der Haupt-
masse vereinigt. Die einzelnen Teile der Maschine, die leicht
auseinanderzunehmen ist, wurden alsdann mit Alkohol abgespült^
ebenso die zum Zerkleinern gebrauchten Instrumente (Messer und
Schere) und meine eigenen Hände. Der ganze Brei wurde in einen
hohen glattwandigen Glaszylinder gebracht, mit circa der drei*
fachen Menge Alkohol übergössen und mehrere Tage stehen ge-
lassen. Dabei wurde durch wiederholtes Umrühren mit einem
grossen Glasstabe dafür gesorgt, dass keine Fäulnisprozesse ein-
traten, und dass die Extraktion möglichst gründlich war.
Schliesslich Hess ich die Masse sich gut absetzen und heberte
den Alkohol ab, Diese Prozedur wurde darauf n.och zweimal
mit demselben Quantum Alkohol und danach dreimal mit der
gleichen Menge Äther vorgenommen. Jede dieser fünf Extraktionen
dauerte 24 Stunden.
Der Alkoholextrakt wurde in einer Porzellanschüssel auf
ojSPenem Wasserbade eingeengt. Die in einer grossen Flasche
vereinigten Atherextrakte wurden in eine Wasserwanne von
ca. 30^ G. gebracht und alsdann an eine Wasserstrahlsaugpumpe
angeschlossen. Hierdurch wurden die Ätherextrakte auf ca. l — P/j 1
eingeengt, danach mit den Alkoholextrakten vereinigt und ihr
1) of. Camerer and Söldner, Zeitschr. f. Bioi. Bd. 39. Steinitz^
Über den Einflass der Ernährungsstörungen auf die chemische Zusammen-
setzung des Säuglingskörpers. Jahrb. f. Kinderheilk. 1904, N. F. LIX,
H. 4, S. 451.
>) Um möglichst wenig Magen- und Darminhalt zu erhalten, Hess ich
die Tiere am letzten Tage des Versuches hungern.
188 Weigert, Über den Einiluss der ErnähruDg auf die
Volumen auf dem Wasserbade möglichst vermindert. Nunmehr
wurden die Extrakte in ein Glasgefass mit eingeschliffenem Deckel
gebracht und ihr Gewicht festgestellt. In diesen Gefässen hielt
sich das Gewicht der Substanz ziemlich konstant; kam eine Zu-
oder Abnahme infolge Wasseraufnahme oder -Abgabe vor, so
wurde sie vor der Entnahme von Substanz für die Analysen
durch. Wägung festgestellt und in Anrechnung gebracht. Der
Extrakt hatte etwa die Konsistenz von Marmelade.
Der mit Alkohol und Äther extrahierte Brei wurde in grosse
Porzellanschüsseln gebracht, und es wurde durch Erhitzen auf
dem Wasserbade der zurückgebliebene Alkohol und Äther voU-
ko9inien aus ihm vertrieben. Dadurch wurde ein grobes, trockenes,
hartes Pulver erhalten, das nach Feststellung seines Gewichtes
gleichfalls in einem Glasgefass mit eingeschliffenem Deckel auf-
bewahrt wurde.
Ein Teil dieses Pulvers wurde sogleich in einer Pfeffermühle
mit feinster Einstellung staubfein zermahlen.
Nunmehr wurden abgewogene Mengen des groben und des
feinen Pulvers im Yakuumapparat bei 98^ C. bis zur Gewichts-
konstanz getrocknet.
Aus der Menge des nicht getrockneten groben Pulvers und
aus dem Wassergehalt des groben und des feinen Pulvers wurde
festgestellt, wie gross die Menge des feinen Pulvers gewesen
wäre, wenn alles grobe Pulver verlustlos' in feines Pulver zermahlen
worden wäre.
Der vereinigte Alkohol- und Ätherextrakt wurde bei 60 — 70® C.
im Trockenschrank bis zur Konstanz getrocknet.
Im feinen Pulver und im ;Extrakt wurde ausserdem Asche-,
Stickstoff- und Fettgehalt bestimmt.
Die Stickstoff bestimm ungen erfolgten nach der Methode
von Kjeldahl; die Fettbestimmungen wurden im Äther-
extraktionsapparat nach Soxhlet ausgeführt. Die Substanz wurde
zunächst mit gewöhnlichem Äther 24 Stunden extrahiert, der so
erhaltene Extrakt darauf im Trockenschrank bei 60 — 70* C.
bis zur Konstanz getrocknet, mit wasserfreiem Äther aufgenommen,
filtriert, nochmals 24 Stunden getrocknet und dann gewogen.
Von allen vorgenommenen Bestimmungen wurden Kontroll-
bestimmungen gemacht.
Die nach diesem Verfahren analysierten Tiere der Serie I
ergaben folgende Werte:
chemische ZusammensetzuDg des Organismas.
189
Gewicht des Tieres abzüglich |
Magen-, Darm- u. Blaseninhalt
Trocken-
subst, g
Äther-
oxtrakt g
Äsche g
N. g
A. 2111 g (Sahne) 867,78
B. 2642 . (Magermilch) 781,39
C. 1297 „ (Semmel u. Zucker) 362,96
210,91
62,60
56,18
122,67
144,62
72,809
84,677
107,80
29,681
Auf 100 g des Gesamttieres, bzw. auf 100 g der Trocken-
substanz des fettfreien Tieres umgerechnet, gestalten sich die
Vergleichszahlen folgendermassen :
100 g Leibessubstanz enthalten
Ern&hrongsweise
Trocken-
sabstanz
Äther-
extrakt
Asche
N
A. Sahne '
B. Magermilch
C. Semmel a. Zucker
41,107
29,58
•27,985
9,99
2,369
4,393
5,811
4,348
5,613
4,011
8,510 '
2,29
Auf fettfreie Leibessubstanz berechnet enthalten 100 g
Ernfthrangsweise
Trocken-
substan/.
Asche
N
100 g Trockensubstanz
enthalt. Ätherextrakte
A. Sahne
B. Magermilch
C. Semmel u. Zacker
34,57
28,51
24,73
6,456
5,607
5,868
3,927
3,595
2,392
24,306
8,011
15,48
Hieraus geht hervor, dass das mit Sahne gefütterte Tier A
bei dem grössten Gehalt an Trockensubstanz zwar auch den
höchsten Gehalt an Fett besitzt, dass sich aber daneben auch
ein beträchtlicher Ansatz an sonstiger Trockensubstanz konstatieren
lässt, der sich auch in der Vermehrung des prozentischen Ge-
haltes an StickstofF und Asche ausspricht.
Dies ist schon deutlich genug, wenn die Werte der mit
Magermilch und Sahne gefütterten Hunde verglichen werden, und
wird noch auffälliger an den Werten des Tieres C; bezüglich
des letzteren ist jedoch zu bemerken, dass die Zahlen nicht als
absolut eindeutig angesehen werden können, weil das Tier kaum
seinen Körperbestand zu erhalten vermochte: Anfangsgewicht
1400 g, Endgewicht 1300 g. Dies legt die Vermutung nahe, dass
die Stickstoffzufuhr zeitweise gar nicht ausreichend gewesen ist.
Serie II. Hund No. 3 und 4.
Beide Tiere wurden am 20. I. 1904 geboren und bis An-
fang März vom Muttertier gesäugt, alsdann erhielten sie zum
190
Weigert, Über den Einflass der Ernährang auf die
Zweck des Abstillens bis zum 20. III* reine Kuhmilch. An
diesem Tage wurde der Versuch begonnen.
No. 4 erhielt 7 — 8 proz. Sahne. No. 3 wurde bis zum
8. März mit Magermilch ernährt, die ca. 0,2 — 0,6 pCt. Fett ent-
hielt und nach dem Rezept von Teixeira de Mattos^) mit 1 Ess-
löffel Weizenmehl und 2 Esslöffeln Rohrzucker pro Liter zurecht-
gemacht wurde. Da No. 3 diese Nahrung schlecht nahm,
schlechter Stimmung war, sein Fell nass und sein Stuhl dünn
und hell wurde, so bekam dieses Tier von nun ab nach dem-
selben Rezept zubereitete Buttermilch. Diese hatte einen durch-
schnittlichen Fettgehalt von 0,1—0,7 pCt. Die Buttermilch
wurde gut genommen. Das Tier wurde wieder trocken, munterer
und agiler, die Durchfälle hörten auf. Trotzdem war andauernd ein
grosser Unterschied im Verhalten beider Tiere zu bemerken,
indem die Agilität des mit Sahne gefutterten Hundes bei weitem
besser und überhaupt auffallend gut war. Ebenso war das Aus-
sehen dieses Tieres besser, das Fell glatt, glänzend und sauber,
die Beine gerade und schlank.
Der mit Buttermilch ernährte Hund zeigte dagegen nur
massige Agilität, sein Fell war zwar trocken, aber struppig und
schmutzig. Am Anfang April waren seine Beine hochgradig
verkrümmt.
Am 8. IV. wurden beide Tiere getötet.
Körper- Gewicht während der Fütterung
Datum No. 4 Sahne No. 3 Buttermilch
4. in. 04 2020 g 1095 g
8. III. 04 1880 „ 1190 „
11. III. 04 1975 „ 1060 „
14. III. 04 2080 „ 1110 „
21. III. 04 2390 „ 1200 „
30. III. 04 2830 „ 1685 „
8. IV. 04 2775 „^) 1647 J)
Analyse der Serie U (Hund 4 und 3).
Gewicht des Tieres abzüglich
Magen-, Darm- und Blaseninhalt
g
Trocken-
8 abstanz
g
Ätherextrakt
g
1
Asche
g
N
g
Sahne No. 4 = 2753
Battermilch No. 3=1621
1081,03
399,262
511,5
60,829
98,64
60,459
104,31
41,94
0 Teixeira de Mattos, Jahrb. f. Kinderheilk. 1902. Bd. 55. S. 1.
') Gewicht des toten Tieres.
chemische ZasammeosetzuDg des Organismas.
Serie II.
100 g Leibesaubstanz enthalten
191
Ernährungsweise
Trockensubstanz
Ätherextrat
Asche
Stickstoff
4. Sahne
3. Buttermilch
89,27
24,63
18,58
3,752
3,588
8,73
1
8,79
2,587
Auf fettfrei
e Leibessubstanz berechnet enthalten 100 g
Ernährungsweise
Trockensubstanz
Asche
N
100 g Trockensubstanz
enthalten Ätherextrakt
4. Sahne
3. Buttermilch
25,41
21,69
4,40
3,875
4,654
2,688
47,32
15,28
Es stellt sich also auch in dieser Reihe bei dem mit fett-
reicher Nahrung gefütterten Tiere eine Zunahme von Trocken-
substanz heraus, die durch das Mehr an Fettgehalt allein nicht
erklärt wird. Es bleibt in der Trockensubstanz auch nach Ab-
zug des Fettes ein Plus von 3,72 pCt. zugunsten des mit Sahne
ernährten Hundes. Der Zuwachs an Trockensubstanz spricht
sich auch in der beträchtlichen Zunahme des Tieres 4 an Stick-
stoff- und Aschegehalt aus.
Serie UI.
Die sechs Wochen alten Hunde 12 und 11 wurden wie die
Serie H am 4. HI. 04 in den Versuch eingestellt und mit dem-
selben Futter ernährt: 12 mit Sahne, 11 erst mit Magermilch,
vom 8. III. mit Buttermilch. Bezuglich des Gedeihens verhielten
sich die Tiere völlig analog den Tieren der Serie II, d. h. der
mit Sahne gefütterte Hund (12) war dem mit Buttermilch er-
nährten (11) in jeder Beziehung weit überlegen. No. 11 hatte
Ende April einen wallnussgrossen Abszess an der Bauchwand,
der spontan abheilte. Verkrümmungen der Extremitäten zeigten
sich bei beiden Tieren nicht. Die Fütterung dieser Hunde wurde
bis zum 30. VI. 04 in derselben Weise durchgeführt.
Körpergewicht während des Versuches:
Datum
No.
12 (Sahne)
No.
11 (Buttermilch)
4. III.
1130 g
1090 g
8. III.
1040 „
1150 „
11. m.
1230 „
1140 „
14. m.
1000 „
1230 „
21. m.
1140 „
1360 „
192
Weigert, Über den EinilasB der Ernfthrong auf die
Körpergewicht während des Versuches:
Datum
No.
12 (Sahne)
No.
11 (Battermilch)
80. m.
1340 g
1790 g
8. IV.
1530 „
1760 „
15. IV.
1590 „
1810 „
28. IV.
1750 „
1880 „
10. V.
1970 „
2150 „
25. V.
2100 „
1950 „
30. VI.
2360 „
1960 „
Analysen der Serie III (Hund 12 und 11).
Gewicht des Tieres absüglich
Magen-, Darm- a. Blaseninhalt
g
Trocken-
substanz
g
Ätherextrakt
g
Asche
g
N
g
Sahne No. 12^2294
Buttermilch No. 11 = 1897
836,8
559,43
331,95
284,16
97,03
105,41
69,34
55,67
100 g Leibessubstanz enthalten
Ernährungsweise
Trockensubstanz
Ätherextrakt
Asche
N
12 Sahne
11 Buttermilch
36,46
29,49
14,47
12,35
4,23
5,56
3,02
2,93
Auf fettfreie Leibessnbstanz berechnet, enthalten 100 g
Ernährungsweise
Trocken-
substanz
Asche
N
100 g Trockensubstanz
enthalten Ätherextrakt
12 Sahne
11 Bttttermilcli
25,71
19,55
; 4,94
1 6,34
3,53
3,35
39,69
41,86
Der Vergleich der Analysen dieser beiden Tiere ist be-
sonders interessant dadurch, dass der mit fettreicher Nahrung
gefütterte Hund nur wenig mehr Prozentgebalt Fett besitzt, wie
der mit fettarmer Nahrung ernährte. Dabei zeigt es sich, dass
auch hier der Trockengehalt des Sahnetieres (12) beträchtlich
grösser ist als der des Buttermilclitieres (11), und es wird nun
besonders deutlich ersichtlich, dass das Plus an Trockensubstanz
auch einen wirklichen Ansatz fettfreier Trockensubstanz darstellt
und nicht nur in einem Mehr an Fettansatz begründet ist.
Als Ausdruck der Zunahme der fettfreien Trockensubstanz
des Tieres 12 zeigt sich eine Vermehrung des Prozentgehaltes
an Asche sowohl wie an StickstoflF.
ohemisohe ZusammensetzuDg des Organismus.
193
Bei den mit Buttermilch ernährten Tieren der Serie II
und m (Hunde 11 und 3) besteht gegenüber den Sahnehunden
{12 und 4) eine Verschiebung in dem Verhältnis des Stickstoff-
zam Aschegehalte und zwar zugunsten des Aschegehaltes. Dieses
scheint darauf hinzudeuten, dass die wasserreichen Tiere zur
Bindung des Wassers einer grossen Salzmenge bedürfen, die
darin ihren Ausdruck findet, dass der Aschegehalt der Tiere ver-
mehrt ist, während doch die gesamte Trockensubstanz gegenüber
der der Sahnehunde zurückbleibt.
No.
Alter und
Flitter an gsart
Ge-
wicht
a a
H •
i
Fett
i|
1 1
Asche
ll
N
2
g
pCt.
pCt.
pCt.
pCt.
pCt.
pCt.
pCt.
pCt.
pCt.
A
4>/, Mon.
SahDe
^111
41,107
58,893
9,99
24,306
34,57
5,811
6,456
4,011
3,927
B
4>/, Mon.
Magermilch
2642
29,58
70,492
2,869
8,011
28,51
4,348
5.607
3,510
3,595
0
4V> Mon.
Semmel nnd
Zucker
1297
27,985
72,015
4,394
15,48
24,73
5,613
5,868
2,29
2,392
4
3Vi Mon.
Sahne
2753
39,27
60,73
18,58
47,32
25,41
3.583
4,40
3,79
4,654
3
3V» Mon.
Buttermilch
1621
24,63
75,37
3,752
15,23
21,69
3,73
3,875
2,587
2,688
12
5«/, Mon.
Sahne
2294
36,48
63,52
14,47
39,69
25,71
4,23
4,94
3,02
3.53
11
5Va Mon.
Buttermilch
1897
29,49
70,51
12,35
41,86
19,55
5,56
6,34
2,93
3,35
Ansgewachs.^)
Meer-
424
32,92
67,08
10,013
30,4
25,46
4,348
4,832
3,187
3,542
schweinchen A
Meer-
schweinchen B»)
248,8
27,27
72,73
4,82
17,7
23,58
4,18
4,39
2,889
3,035
2—3 Monate
alt
Leider ist es nicht statthaft, die erhaltenen Werte aller
Tieranalysen untereinander zu vergleichen, sondern nur die der
Tiere der einzelnen Serien unter sich. Um ersteres tun zu
können, müssten ausgewachsene Hunde derselben Rasse für die
') Die Besprechung der Analysen der Meerschweinchen folgt weiter unten.
Jahrbuch f. Kinderhellkunde. N. f. LXI, Heft 1. 13
194
Weigert, Über den Einfluss der Ernährnng auf die
Versuche ausgewählt werden, da Wachstum und Ernährungs-
weise die chemische Zusammensetzung der Trockensubstanz
vielleicht in verschiedener Kichtung beeinflussen, selbst wenn die
Ernährung so gewählt ist, dass sie ebenso wie das Wachstum
den Wassergehalt vermindert.
Immerhin seien in vorstehender Tabelle (S. 193) der besseren
Übersicht wegen die Analysen derjenigen Tiere zusammengestellt,
bei denen neben dem Wassergehalt auch der Fett-, Asche- und
StickstoflFgehalt des Organismus bestimmt wurde.
Um auch Vergleichszahlen von einem Hunde zu haben, der
in der üblichen Weise ernährt wurde, analysierte ich einen aus-
gewachsenen Hund (C), der einem Restaurateur gehört hatte
und hauptsächlich mit Eüchenabfällen gefuttert worden sein soll.
Das Tier schien ziemlich mager zu sein.
Analyse des Hundes C.
Gew. des Tieres
(abzügl. Blasen-,
Magen- und
Darm inh alt)
g
Trocken-
substanz
g
Fett
g
Fett
pCt
Fett der
Trocken-
substanz
pOt.
Trocken-
substanz
pCt.
Troeken-
■atetuii
des feU-
freien
Tieres
8
8915
1483,05
428,81
10,953
28,91
37,88
80,24
Wir sehen, dass auch dieses Tier denjenigen Hunden, die
einen geringeren Fettgehalt haben als er selbst, an Prozentgehalt
der fettfreien Trockensubstanz erheblich überlegen ist.
Da der Hund ein Carnivore ist und speziell die Versuchs-
tiere mit Milch, also mit einer sehr eiweissreichen Kost gefüttert
waren, so musste es interessieren, auch Vergleichszahlen über
solche Ti^re zu erhalten, die vegetarisch, also überwiegend von
Kohlehydraten leben. Daher wurden in der gleichen Weise wie
die Hunde zwei Meerschweinchen verarbeitet ^) und analysiert.
Ich wählte ein ausgewachsenes, gut genährtes Tier (A) und
eines von 2 — 3 Monaten (B).
Analysen der Meerschweinchen A und B.
Gewicht des Tieres ab-
züglich Magen-, Darm-
und Blaseninhalt
g
Trocken-
substanz
Ather-
extrakt
g
Asche
g I
N
g
A.
B.
424
243,8
139,59
66,47
42,455
11,754
18,484
10,190
13,514
7,044
»; Die Zerkleinerung wurde nicht in der Fleischmaschine, sondern mit
Messer und Schere vorgenommen, wobei ein Brei Ton ca. erbsengrosscn
chemisohe Zasammensetenng des OrguDismas.
100 g Leibessubstanz enthalten
195
Trockensubstanz
Ätherextrakt
Asche
N
A
B
32,92
27,27
10,013
4,82
4,348
4,18
3,187
2,889
Auf fettfreie Leibessabstanz berechnet enthalten 100 g
Trockensubstanz
Asche
N
100 g Trockensubstanz
enthalten Ätherextrakt
A
B
25,46
23,58
4,832
4,39
3,542
3,0355
30,4
17,7
Es bestätigt sich an diesen Tieren die auch von Steinitz^)
gefundene Tatsache, dass wachsende Tiere an Wassergehalt er-
heblich abnehmen, dass jedoch diese Abnahme nicht durch den
Fettansatz allein ausgeglichen wird; es ist yielmehr auch, vom
Fett abgesehen, eine Zunahme der Trockensubstanz zu kon-
statieren.
Das Ergebnis der mitgeteilten Untersuchungen ist demnach
folgendes:
1. Der Wassergehalt der Tiere ist abhängig von ihrem
Alter und von der Ernährungsweise;
2. die Schwankungen des Wassergehaltes sind nicht allein
bedingt durch die Zunahme oder Abnahme des Fettgehaltes
des Tierkörpers, sie sind auch begründet in einem verschieden
grossen Gehalt an fettfreier Trockensubstanz;
3. die Zunahme an fettfreier Trockensubstanz bezieht sich
in gleicher Weise auf den Gehalt an Stickstoff und Asche;
4. von den Tieren, die mit eiweiss- und fettreicher Kost
(Sahne), eiweiss- und kohlehydratreicher, aber fettarmer Kost
(Buttermilch), kohlehydratreicher, aber eiweiss- und fettarmer
Kost (Fleischbrühe mit Semmel und Zuckerzugabe, vegetabilische
Nahrung s. die Analysen der Meerschweinchen) ernährt wurden,
zeigen diejenigen den höchsten Gehalt an fettfreier Trockensubstanz,
die mit eiweiss- und fettreicher Nahrung aufgezogen wurden.
Die Beantwortung der dritten eingangs gestellten Frage, ob
nämlich durch Verschiebungen im Wassergehalt des Körpers die
Bedingungen für das Verhalten der Tiere gegenüber Infektionen
Stücken gewonnen wurde. Das feine Pulver wurde hieraus, wie sonst, in der
Pulverniühle hergestellt.
1) Steinitz, 1. c.
13»
196 Weigert, Über deo Eiofluss der Ern&hrang aaf die
geändert werden, muss leider vorerst unterbleiben, da die zur
Klärung dieser Angelegenheit eingeleiteten Versuche aus äusseren
Granden während mehrerer Monate unterbrochen werden mussten.
Trotzdem will ich es nicht unterlassen, am Schlüsse dieser Aus-
fuhrungen auf einige klinische Erfahrungen hinzuweisen, die mit
der diskutierten Frage einen Zusammenhang zu besitzen scheinen.
In meiner Mitteilung über den Wassergehalt kunstlicher
Nährböden habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Mor-
talitäts- und Morbid itätszahlen vom Säuglingsalter bis zur Ent-
wicklung sich in absteigender Linie bewegen, und dass fast mit
gleicher Gesetzmässigkeit der Wassergehalt des Organismus von
der Geburt bis zur beendigten Entwicklung abnimmt. Es kann
hier weiter hinzugefügt werden, dass die Mortalität und Morbidität
der frühgeborenen Kinder noch eine entsprechend grössere ist,
als die der ausgetragenen. Dies fallt wiederum mit der Tatsache
zusammen, dass von der Geburt bis zum Beginn des embryonalen
Lebens^) zurückgerechnet der Wassergehalt des Embryo dauernd
zunimmt.
Ein deutlicher und allseitig anerkannter Einfluss der Er-
nährung auf die Morbidität und Mortalität lässt sich beim
Menschen im Säuglingsalter konstatieren, je nachdem die Er-
nährung mit Muttermilch oder „künstlich" durchgeführt wird.
Wir wissen, dass das gesunde Brustkind mit einer hohen Immu-
nität gegen Infektionen ausgestattet ist, die es erlaubt, es mitten
zwischen kranken Kindern in der Klinik aufzuziehen, ohne dass
es selbst erkrankt. Es erscheint daher erforderlich, nachzu-
forschen, welcher Teil der Brustnahrung es ist, der diesen
günstigen Einfluss auf die Immunität des Kindes ausübt.
Die Versuche, die künstliche Säuglingsnahrung der natür-
lichen möglichst gleichwertig zu gestalten, sind bisher nicht zum
wenigsten daran gescheitert, dass das Tiermilchfett von dem
Säugling schlechter ausgenützt wird, als das Frauenmilchfett, ja
dass das Kuhmilchfett oft eine Schädigung für ihn bedeutet.
Daher datieren die Versuche, das Fett in der Säuglingsnahrung
auf ein Minimum zu reduzieren und durch Kohlehydratgaben zu
ersetzen (Kindermehle, Malzsuppe, Buttermilch). Wir sehen also,
dass die Frauenmilch der künstlichen Nahrung überlegen ist durch
einen hohen Gehalt an Fett, das gut vertragen und ausgenutzt
wird. Da sich nun in den mitgeteilten Untersuchungen heraus-
^) T. Bezold, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. VIII. 1857.
chemische ZuBammensetzuDg des Organifmas. 197
gestellt hat, dass bei Hunden eine fettreiche Kost eine Ver-
minderung des Wassergehaltes und neben einem Ansatz von Fett
auch einen solchen an fettfreier Trockensubstanz zur Folge hat,
so dürfen wir annehmen, dass Brustkinder infolge des Reichtums
der Frauenmilch an Fett relativ wasserärmer sind, als künstlich
ernährte Kinder.
Wir sehen also auch hier einen mit viel Wahrscheinlichkeit
anzunehmenden geringen Wasseirgehalt des Organismus zusammen-
treffen mit einer vermehrten Widerstandskraft gegen Infektionen^
und es liegt nahe zu vermuten, dass dieses Moment einen der
Faktoren ausmacht, die die hohe Immunität der Brustkinder zur
Folge haben.
Im Gegensatz zu den Brustkindern sind von den künstlich
genährten Säuglingen diejenigen am wenigsten resistent gegen
Infektionen, die durch längere Zeit in der Hauptsache oder gar aus-
schliesslich mit Kohlehydraten (Mehl- oder Schleimabkochungen)
ernährt wurden.
Wir wissen aus vielen Stoffwechselversuchen und sehen es
auch aus meinen oben mitgeteilten Analysen, dass die mit Kohle-
hydraten ernährten Tiere viel Wasser retinieren, und dass
ihr Organismus bei der Analyse einen grossen Wassereichtum
aufweist.
Bischoff und Voit*) ernährten, wie schon oben erwähnt,
einen Hund lange Zeit mit Brot und machten an ihm folgende
Beobachtung: „Interessant ist auch hier wieder die starke Trän-
kung des Körpers des Tieres mit Wasser, während er Fleisch und
Fett verlor. Als er darauf mit 1800 g Fleisch täglich gefüttert
wurde, liess er das Wasser, so zu sagen, in Strömen fahren.
Er verlor trotz der 1800 g Fleisch, von denen er 600 g ansetzte,
am ersten Tage 300 g an Gewicht, gab also 900 g- Wasser ab.
Im Harn allein waren 120 g Wasser mehr, als er eingenommen
hatte. Am zweiten Tage ergab sich noch ein ähnliches Verhältnis,
bis die Zunahme an Fleisch so gross war, dass wieder alle 1800 g
umgesetzt wurden."
Eine ähnliche Beobachtung können wir an Säuglingen
machen, die lange Zeit mit grossen Mengen von Kohlehydraten
ernährt wurden. Wir sehen bei ihnen bei Beginn einer Er-
krankung oder bei Überführung zu einer anderen — mehr Eiweiss
und Fett enthaltenden — Nahrung in 24 bis 48 Stunden immense
0 Ern&hruDg des Fleischfressers. 1860. S. 213.
198 Wcig^ert, Über den Einfluss der Ernährung etc.
Yerlaste an Körpergewicht eintreten, die in Anbetracht der Kurze
der Zeit vorwiegend auf Wasser bezogen werden können. Und
gerade diese Säuglinge sind, wie erwähnt, nach unseren Erfah-
rangen gegenüber Infektionen äusserst gefährdet, und erreichen
— wenn die ausschliessliche Kohlehydraternährung eine gewisse
Zeit überschreitet — zumeist nicht das Ende des ersten Lebens-
jahres.
Auch bei Erwachsenen ist der Zusammenhang zwischen
Wassergehalt und Immunität lange vermutet worden. So nimmt
Pettenkofer^) an, dass die karge Kost der armen Yalksklassen
eine Anreicherung der Organ« mit Wasser veranlasse, und daes
dies zusammenhänge mit der Erfahrung, dass die in ihrem
Körperbestand so veränderten Individnen eine, geringere Wider-
standskraft gegenüber krankmachenden Einflüssen besitzen.
1) Zitiert nach Forsterr hl> Handbnoh der Bygkne und Gewerbe-
krankheiten von Pettenkofer and Ziemssen. 1882. Bd. l. S. 60.
XV.
Die exsudative Dtathese.
Von
Prof. AE>. CZERNY
in BreilAO.
Unter dieser Bezeichnung' will ich eine Anzahl von Krank heits-
syDi^ptoiaen zu ein^m einheitlichen Krankheitsbilde zusammenfassen
and besprechen, welche mir nach der klinischen Beobachtung
zusammenzugehören scheinen. Ein Teil derselben wurde bisher
der Skrophialose im weitesten Sinne des Wortes zugezahlt Es
wäre möglich gewesen, der alten Nomenklatur treu zu bleiben,
und den Symptomenkomplex, den ich hier analysieren will, als
«ine Form der Skrophulose darzustellen. Dies will ich aber mit
Absicht vermeiden. Denn mit dem Worte Skrophulose provoziert
n^an sofort die Frage nach der Beziehung oder Identität mit der
Tuberkulose und verliert sich dabei, wie die Literatur lehrt, in
«ine vom Standpunkte des Klinikers ganz unfruchtbare Kontroverse.
Das Krankheitsbild, das den Gegenstand meiner Besprechung
bildet, steht aber in keinem Zusammenhange mit Tuberkulose.
Die Darstellung wird deshalb leichter, wenn ich durch die Wahl
«iaes neuen Naniens a priori diese Diskussionsmöglichkeit ver-
meide.
Mit dem Namen exsudative Diathese will ich zunächst an-
•deuten, dass ea sich um eine kongenitale Anomalie des Organis-
mus handelt, welche n^eist alle Kinder einer Familie betrifft, sich
aber in sehr verschiedenen Graden und Formen bei den einzelnen
Familienmitgliedern äussern kann. Vielfach lässt sich die Erblich-
keit leicht nachweisen. Manchmal geben aber die Eltern an,
atets gesund gewesen zu sein. Solche Angaben müssen mit
grosaer Reserve aufgenommen werden. Die exsudative Diathese
macht sich meist nur in den Kinderjahren geltend. Sind die
GrosseKern nicht alt geworden, so wissen viele Eltern über ihre
eigenen Kinderjahre keine Angaben zu machen. Überdies hat.
200 Czerny, Die exsudative Diathese.
wie später noch zu besprechen sein wird, die Lebensweise einen
wesentlichen Einfluss auf die durch die exsudative Diathese be-
dingten Erankheitssymptome , worauf bei der Anamnese sehr
geachtet werden muss. Lebten die Eltern in ihren Kinderjahren
beispielsweise auf dem Lande und hatten sie nur wenige und
sehr leichte Erankheitssymptome, so können dennoch ihre Kinder^
wenn dieselben in einer Grossstadt aufgezogen werden, schwer
unter der hereditären Belastung zu leiden haben.
Die Erblichkeit macht sich in der Regel am wenigsten
geltend, wenn sie sich vom Vater, mehr, wenn sie sich von der
Mutter, am schwersten, wenn sie sich von beiden Eltern ableitet.
Doch gibt es auch Ausnahmen.
Sehr oft zeigen sich die Krankheitssymptome der exsudativen
Diathese bereits im ersten Lebensjahre, manchmal sogar schon
in den ersten Lebenswochen. Bald handelt es sich um schwache,,
zarte, bald um grosse, scheinbar kräftige Kinder. Bei genauerer
Beobachtung ergeben sich aber stets Anhaltspunkte für eine be-
sondere Einschätzung dieser Kinder. Bei den zarten Kindern
fallt zumeist der Kontrast zwischen Mutter und Kind oder beiden
Eltern und Kind auf: die Mutter, anscheinend eine blühende,,
üppige Erscheinung, oder beide Eltern grosse, rüstige Menschen
und das Kind oder die Kinder so zart und schwächlich, dass die
Zusammengehörigkeit geradezu überraschend wirkt. Bei der
Untersuchung der starken Kinder ergibt sich wiederum, dass
dieselben eine mächtige Adipositas aufweisen, während die
Muskulatur,, besonders der oberen Körperhälfte, sehr wenig ent«
wickelt ist
Gleich von Anfang an zeigen sich meist bei diesen Kindern
von der Norm abweichende Ernährungserfolge. Diese sind
besonders dann klar zu beurteilen, wenn die Kinder an der
Brust ernährt werden. Dabei lassen sich zwei Typen unter-
scheiden, welche aber keinesfalls Gegensätze darstellen. Der ein&
Typus ist dadurch charakterisiert, dass die Kinder trotz der Er-
nährung an einer milchreichen Brust in ihren Körpergewichts-
zunahmen hinter der Norm zurückbleiben, auch dann, wenn keiner-
lei Störungen der Magendarmfunktionen vorhanden sind. Der
zweite Typus von Kindern erreicht dagegen selbst bei Ernährung
an milcharmer Brust und kleinsten Nahrungsmengen, noch mehr
aber unter gegenteiligen Bedingungen stark über den Durchschnitt
hinausgehende, extreme Körpergewichtszunahmen, die durch einen
starken Fettansatz bei mangelhafter Muskulatur bedingt sind.
Czerny, Die exsadatWe Diathese. 201
Nach meinen Beobachtungen handelt es sich in beiden Fällen um
eine Störung der Fettausnutzung der Nahrung.
Was den ersten Typus anbelangt, so ist dessen Kenntnis
für den Arzt von grosser Wichtigkeit. Ich bin überzeugt, dass
die Beobachtung zugehöriger Fälle viele Ärzte zu der irrigen
Ansicht von der Existenz einer guten und schlechten Frauen-
milch veranlasst hat, und was noch bedauernswerter ist, zu der
Folgerung, dass die 'künstliche Ernährung für viele Kinder zweck-
mässiger sei als die natürliche. Ich habe mehrfach gesehen, dass
Mütter, welche ihr eigenes Kind stillten, veranlasst wurden, eine
Amme zu nehmen, oder dass Ammen beständig gewechselt wurden^
in der Meinung, man müsste endlich die richtige finden. Der
Zufall bringt es manchmal mit sich, dass nach einem Ammen-
wechsel das Kind vorübergehend besser zunimmt, als dies vorher der
Fall war. Dieser Erfolg hält aber nie lange an. Wer sich nicht
so leicht entschliesst, einen Ammenwechsel vorzunehmen, der
wird beobachten können, dass auch bei Ernährung durch die
Mutter oder eine einzige Amme Perioden besserer und schlechterer
Zunahmen zu verzeichnen sind, doch bleiben die Kinder gegen
gleichaltrige gesunde im ganzen an Körpergewicht zurück. Diese
an der Brust unbefriedigend gedeihenden Kinder weisen oft
bei fettärmerer künstlicher Ernährung starke Körpergewichts-
zunahmen auf. Die meisten Ärzte und Laien betrachten dies
als das einzig Notwendige und Wünschenswerte und sind zu-
nächst von dem Erfolge erfreut, bis anderweitige Krankheits-
symptome diese Freude allmählich herabstimmen.
Unter dem Gesichtspunkte, dass eine starke Körpergewichts-
zunahme unter allen Umständen bei Säuglingen erreicht werden
müsste und der Ausdruck guten Gedeihens sei, geben natürlich
die Kinder, welche den erwähnten zweiten Typus repräsentieren^
niemals früher zur Unzufriedenheit Veranlassung, ehe sich nicht
die exsudative Diathese in Form schwerer Symptome geltend
macht. Dazu möchte ich schon hier hervorheben, dass diese
Kinder, bei denen sich die Stoffwechselanomalie durch den starken
Fettansatz kennzeichnet, mehr gefährdet sind, als die Kinder,
welche ich als ereten Typus angeführt habe.
Eines der ersten Symptome der exsudativen Diathese kann
die Landkarten Zunge sein. Sie ist manchmal schon bei Säug-
lingen der ersten Lebensmonate zu beobachten. Die Landkarten-
zunge lässt sich nur klinisch studieren. Post mortem verschwinden
die Erscheinungen, so dass sie weder makro- noch mikroskopisch
202 Gzeroy, Die exsudative Diathese.
nachgewiesen werden können. Sie sind bedingt durch streifen-
förmig und schmerzlos auftretende Exsudationen in der Zongeni-
schleimhaut, wodurch die betroffenen Papillen vergrössert und
prominent erscheinen. Stärkere Desquamation lässt die affiziarten
Schleimhautstellen weiss erscheinen. Das Bemerkenswerteste an
dar Landkartenzunge ist die FliLchtigkeit ihrer Erscheinung.
Heute sind zahlreich» Streifen vorhanden, morgen sind dieselben
verschwunden und neue an anderen Stellen angetreten. So,
wiederholen sich oft die Eruptionen tagelang. Dann kommen
Tage oder Wochen, in denen an der Zunge nichts wahrzunehmen
ist. Yon neuem zeigen sieh wieder die charakteristischen
Zeichnungen, ohne dass es gelingt, die Ursache fuj das Aus-
treten und Verschwinden derselben festzustellen, selbst dann,
wenn man sich Monate odar Jahre lang darum bemüht.
Beim besten Wohlbefinden der Kinder können die Symptome
der Laodkartenzunge auftreten u^üd umgekehrt gerade in Zeiten,
wo anderweitige Erankheitszustände das Befinden der Kinder
ungünstig beeinflussen, fehlen.
Dia Landkartenzunge ist ganz besonders geeignet, die Er-
kenntnis des Wesantlichen an den Symptomen der exsndativen
Diathese zu erleichtern, da sie stets ohne Komplikationen ab-
läuft. Bei den meisten anderen Erscheinungen der e:¥;sudativen
Diathese ist dies nicht der Fall. Die betroffenen. Haut* oder
ScUeimhautstellen wevden vielmehr rasch durch sekundär hin-^
zutretende Infektionan so verändert, dass das Primäre leicht
übersehen werden kann. Dass die Zunge ganz besonders gut
gegen Infektionen geschützt ist, ist genügend durch die Er-
fahrung der glatten Heilung von Verletzungen oder chirurgischen
Wunden an der Zunge verbürgt.
Nicht jedes Kind mit exsudativer Diathese hat eine Land-
kartenzunge. Doch kommt dieselbe viel häufiger vor, als jene
glauben, welche nicht regelmässig nach derselben suchen. Nicht
selten ist sie auch bei mehreren Kindern einer Familie zu beob-
achten. Die Landkartenzunge bleibt niemals das einzige Symptom
d«r exsudativen Diathese. Gerade deshalb ist sie beachtenswert.
Denn sie ermöglicht rechtzeitig, prophylaktische Massregeln zu
treffen, welche später besprochen werden sollen.
Die Exsudationen in der Zungenschleimhaut, welche die
Lingua geographica charakterisieren, bleiben stets nur auf die
Zunge beschränkt. Niemals zeigen sich dieselben an der Lippen-,
Wangen- oder Gaumenschleimhaut. Dieses Verhalten zwingt
Czerny, Die exsudative Diatheee. 203
uns zu der Annahme einer besonderen lokaleii Veranlagung^ für ,
deren Erklärung aber bisher keine Befunde vorliegen.
Eine ähnliche lokale Disposition der Gewebe macht sich
auch bei anderen Erscheinungen der exsudativen Diathese geltend:
Sehr deutlich zeigt sich dies beispielsweise beim Gneis ujad dem
Milchschorf der Säuglinge.
Der Gneis macht sich nur im Säaglingsalter, dab^ei aber oft
schon in den ersten Lebenswochen bemerkbar. Er ist auf der
behaarten Kopfhaut lokalisiert, aber nicht derart, dass die ganze
Kopfhaut in MiÜeidenachaft gezogen wird. Die Prädilektions-
stelle ist die Höhe des Schädeldaches, also Scheitel, Umgebung
der Sagittalnaht und der grossen Fontanelle. An diesen Stehen
bilden sich sehr festhaftende Schuppen voa schmutziggrauer
oder bräunlicher Farbe, deren Bilduoig besonders dann sehr auf-
fallend ist, wenn es sich um Kinder handelt, filr deren Rein-
haltung ängstlich gesorgt wird. So lange die Schuppen auf der
Haut bleiben, erscheint dieselbe äusserliok normal. Dass dies
aber nicht der Fall ist, zeigt sich bei Yersuchen, die Schuppen
zu entfernen. Werden letztere durch Fett odftr Salben auf-
gelockert und abgßhoben, so bleibt die Haut an den af&zierten
Stellen hyperämisch und bedeckt sich bald von neuenii mit
Schuppen. Geschieht die Ablösung der Schuppen nickt sehr
schonend, so beginnen die gereinigten Hautstellen au nässen.
Dieses Nässen gibt einerseits YeranlassuBg zur Bildung von
Krusten, andejrerseits ermöglicht es das Zustandekommen von
Infektionen und dadurch die Entstehung von Kopfekaemen.
Das Nässen beweist aber vor allem, dass die Kopfhaut nicht
normal war. Denn dasselbe zeigt sich nur dort, wo eine Exsndatiion
in die Haut stattgefnuden hat. Eine Yerletzang intakter Haut
führt niemals zu einer ähnlichen Ausscheidung von Gewebs-
flüssigkeit an die Oberfläche. Tritt sekuu^är Ekzem zum Gnei^
hinzu, so nimmt die Exsudation in die Haut und damit auch
das Nässen immer stärker zu.
Gneis beobachtet man bei mageren und fetten Kindern.
Bei letzteren ist aber die Tendenz zum Nässen nach Entfernung
der Schuppen bedeutend grösser und damit der Ausbruch eines
Ekzems mehr zu befürchten. Nach meinen Ausführungen ist es
verständlich, dass ein Kind mit Gneis doch kein Kopfekzem zu
bekommen braucht. Es muss nur bei der Entfernung desselben
sehr vorsichtig vorgegangen werden, insbesondere bei rapid
stunehmenden fetten Kindern, bei welchen zweckmässig gleich-
204 Czerny, Die exsudative Diathese.
•zeitig eine Änderung des Ernähr angsmodus vorgenommen
werden soll.
In mehrfacher Beziehang ähnlich dem Gneis verhält sich
eine andere Erscheinung der exsudativen Dinthese, der Milchschorf.
Er ist dadurch gekennzeichnet, dass bald früher, bald später im
Säuglingsalter, aber nur in diesem und nie nach dem ersten
Lebensjahre, eine auffallende Rötung der Haut auf der Höhe
der Wangen oder mehr in der Nähe der. Ohrmuscheln auftritt.
Diese Rötung unterscheidet sich von der, welche normale Kinder
auszeichnet, dass sie sich nicht allmählich in die Farbe der
Haut in der Umgebung verliert, sondern ziemlich scharf von der
im übrigen weissen Körperhaut abhebt. Ausserdem ist bald an
den geröteten Hautstellen eine Abschuppung wahrnehmbar.
Die Schuppen sind aber klein, bleiben stets weiss und sind
leicht zu entfernen. Diese Rötung tritt ohne nachweisbare
Ursache auf, besteht oft tagelang, verschwindet wieder, auch
ohne Therapie, auf kürzere oder längere Zeit, kehrt wieder, um
nach einiger Zeit wieder abzublassen. So kann sich der
Wechsel wochen- und selbst monatelang wiederholen. In diesem
Stadium hat der Milchschorf eine gewisse Ähnlichkeit mit der
Landkartenzunge, nur mit dem Unterschiede, dass die Haut-
affektion nicht so flüchtiger Natur ist, wie die der Schleimhaut.
Der Milchschorf bleibt aber nicht immer in dem beschriebenen
Stadium, sondern gibt noch viel häufiger als der Gneis zur Ent-
stehung von Ekzemen Veranlassung. In den meisten Fällen wird
die dazu notwendige Infektion durch Epitheldefekte vermittelt,
welche sich die Kinder durch Kratzen beibringen. Nicht in jedem
Falle von Milchschorf besteht Juckreiz. Manche davon betroffenen
Kinder kratzen nicht, auch wenn sie über volle Beweglichkeit ihrer
Hände verfügen. Bei anderen geht die Entwicklung desMilchschorfes
von Anfang an mit einem solchen Juckreiz einher, dass sie jede Ge-
legenheit benutzen, um mit ihren Händen an die Gesicbtshaut zu
gelangen und sich sichtbare Kratzwunden beizubringen. Wird
das Kratzen mit den Händen verhindert, dann versuchen sie durch
Reiben der Wangen an der Unterlage oder jedem erreichbaren
Gegenstand den Juckreiz zu mildern. Der Juckreiz ist also
individuell verschieden und von dem Grade der Erregbarkeit des
Nervensystems abhängig. Wir werden noch bei der Besprechung
anderweitiger Symptome der exsudativen Diathese zu erörtern
haben, welchen wichtigen Einfluss der Zustand des Nervensystems
auf die Form und den Verlauf derselben hat. Beim Milchschorf
Czerny, Die ezsadative Diathese. 205
ist nun die Komplikation mit Jackreiz eine ganz fatale, da sich
dabei kaum für längere Zeit die Möglichkeit einer sekundären
Infektion mit Entstehung von Ekzem und Drusenschwellungen
vermeiden lässt.
Der Milchschorf zeigt sich überdies in eklatantester Weise
in seinem Verlaufe abhängig von dem Ernährungszustande der
Kinder. Während man ihn bei mageren Kindern nur angedeutet,
in leichten Formen beobachtet, erreicht er bei fetten Kindern
die höchsten Grade. Es besteht eine oft ausgesprochene Meinung,
dass seine Entstehung lediglich die Folge zu fetter Milchnahrung
sei. Diese Meinung ist unhaltbar, denn Kinder, welche durch
reichliche Kohlehydratemährung fett werden, leiden ebenso sehr
unter Milchschorf, wie jene, welche bei Milchernährung Fett an-
setzen. Am deutlichsten tritt die Beziehung zwischen Adipositas
und Milchschorf hervor, wenn bei einem Kinde durch Ernährungs-
störungen oder interkurrente Infektionskrankheiten grosse
Schwankungen des Körperbestandes auftreten. Bestehender Milch-
schorf geht rasch zurück oder verschwindet sogar vollständig bei
Abmagerung aus jeglicher Ursache und tritt manchmal sofort
wieder auf, wenn auf die Abnahme des Körpergewichtes rasche
Zunahme folgt. Dieser Umstand lässt sich mit gleichem Ei-folge
therapeutisch ausnutzen. Da wir aber bei therapeutischen Mass-
nahmen bei Säuglingen niemals so gewaltsame Eingriffe in den
Körperbestand vornehmen können, wie sie die pathologischen
Prozesse mit sich bringen, so sind die Erfolge auch nicht so
schnell zu erzielen.
Der nicht komplizierte Milchschorf stört die Kinder wenig
in ihrem Allgemeinbefinden. Der mit Ekzem verlaufende muss
dagegen als eine schwere, selbst lebensgefährliche Erkrankung
aufgefasst werden. Von den nässenden Ekzemstellen aus können
septische Infektionen erfolgen, welche durch Fieber, Drüsen-
vereiterungen, schwere Anämie, septische Hämophilie das Leben
der Kinder bedrohen. Mancher Fall von sogenanntem Ekzemtod
gehört hierzu.
Eine merkwürdige Tatsache ist es, dass die Kinder, welche
im ersten Lebensjahre an Milchschorf mit oder ohne Ekzem ge-
litten haben, im späteren Alter nichts an ihrer Gesichtshaut
zeigen, was auch nur im entferntesten auf die im ersten Lebens-
jahre vorhanden gewesene lokale Disposition der Haut hinweisen
würde.
^06 Czerny, Die exsadative Diathese.
Noch in einer dritten Form äussei*t sich die exsudative
Diathese oft schon bei Säuglingen. Sie findet sich unter sehr
verschiedenen Namen in der Literatur beschrieben. Ich selbst
gebrauche die Bezeichnung Prurigo, andere ziehen den Namen
Strophulus vor. Auf die ganze Nomenclatur einzugehen, erscheint
mir unnötig. Nur die Bezeichnung Urticaria möchte ich noch
erwähnen, weil mit derselben die Beziehung der Hauta£Pektion
zum Nervensystem und zu einer besonderen Disposition ange-
deutet wird.
Die Prurigo zeigt sich manchmal schon bei Säuglingen der
ersten Lebensmonate. Meist tritt sie aber zum erstenmale nach
dem sechsten Monat oder gegen Ende des ersten Lebensjahres auf.
Sie ist aber nicht wie der Gneis oderMilchschorf auf dieses Lebensjahr
beschränkt, sondern kann sich jahrelang in küi%eren oder längeren
Pausen immer wieder geltend machen. Wie lange dies dauert,
hängt nach meiner Erfahrung nur von der Art der Ernährung ab.
Bei andauernder Mästung kann Prurigo noch bei 6- und 8jährigen
Kindern beobachtet werden. Bei Kindern, welche nach dem
Säuglingsalter bei zweckmässiger Ernährung und ausreichender
körperlicher Betätigung nicht in die Lage kommen, übermässig
fett zu werden, erlischt die Prurigo schon im zweiten oder dritten
Lebensjahre.
Aber nicht nur die Dauer der Prurigo steht in so enger
Beziehung zu der Art der Ernährung, sondern auch die Litensität
der einzelnen Eruptionen derselben. Das verschiedene Aussehen
der einzelnen Effloreszenzen bei Kindern in magerem oder fettem
Zustande gab offenbar die Veranlassung zu den mannigfaltigen
Bezeichnungen. Bei fetten Kindern äussert sich die Prurigo
derart, dass zumeist ohne nachweisbare Ursache eine Gruppe von
Quaddeln an irgend einer Stelle des Rumpfes aufschiesst, welche
im ersten Stadium die grösste Ähnlichkeit mit Mückenstichen
haben. Sie sind deutlich prominent und gerötet. Die Rötung
betrifft auch die Umgebung der Quaddeln. Nach 24 — 48 Stunden
verschwindet zum grössten Teil die Rötung und Schwellung, und
es bleiben derbe, knötchenförmige Infiltrate in der Haut viele
Tage lang bestehen, welche unverletzt niemals vereitern und
langsam ohne Narben sich zurückbilden. Die Prädilektionsstelle
ist am Rumpfe die Lendengegend, aber vielfach sind die
* Effloreszenzen an verschiedenen Stellen des Rumpfes zerstreut,
manchmal finden sie sich auch an den Extremitäten, mehr an
den Beinen als an den Armen und am seltensten im Gesichte.
Czerny, Die exsudative Diathese. 207
Bei mageren Kindern treten an den gleichen Stellen kleine
derbe, prominente, knötchenförmige Hautinfiltrate auf, ohne oder
mit nur sehr geringer, kurz andauernder Rötung. Es fehlt also
die intensive Reaktion im Beginne der Affektion, welche bei
fetten Kindern zu beobachten ist. Die Hautinfiltrate sind kleiner
und derber.
Wie beim Milchschorf, so beobachtet man auch bei Prurigo
bald schwächeren, bald stärkeren Juckreiz. Dieser bringt, wenn
er nicht beherrscht werden kann, Komplikationen mit sich. Die
beschriebenen Hautinfiltrate werden zerkratzt und weisen infolge-
dessen Borken auf, oder es entstehen durch Infektion von Kratz-
wunden aus Pusteln oder Ekzeme. Vielfach wird auch angegeben,
dass der Juckreiz den Schlaf der Kinder stört.
Die Prurigo tritt in ganz unregelmässigen Intervallen auf.
In der Zwischenzeit erscheint die Haut der betroffenen Kinder
ganz normal. Die Pausen zwischen den einzelnen Eruptionen
können selbst mehrere Monate betragen, aber andererseits so
kurz sein, dass neue Effloreszenzen auftreten, ehe die letzten
vollständig verschwunden sind. Wie für die Landkartenzunge,
so ist es auch für die Prurigo bisher nicht gelungen, das aus-
lösende Moment zu eruieren. Vorgänge im Darmtraktus, an
welche wegen der Ähnlichkeit mit Urticaria zu denken wäre,
sind es nach meinen Beobachtungen nicht. Manchmal tritt
Prurigo das erstemal nach der Vaccination in Erscheinung. Dass
in solchen Fällen Laien geneigt sind, sofort die Prurigo als eine
Folge der Impfung aufzufassen, ist leicht verständlich.
Ob dies Berechtigung hat, lässt sich leider ärztlicherseits
weder beweisen noch widerlegen. Auch mit dem Durchbruch
der Zähne wurde das Auftreten von Prurigo in Verbindung ge-
bracht (Zahnpocken). Die zweite Hälfte des ersten Lebensjahres
ist aber meist die Zeit des Ausbruchs von Prurigo, auch wenn
die Kinder nicht geimpft werden oder wenn sie wegen gleich-
zeitig bestehender Rachitis im ersten Lebensjahre gar nicht zahnen.
Die beschriebenen Hautaffektionen kommen auch in ver-
schiedener Kombination an einzelnen Kindern gleichzeitig zur
Beobachtung. Vor dem Auftreten, sowie nach dem Abheilen der-
selben, ebenso in den freien Intervallen ist an der Haut durch
Inspektion und Palpation nichts Abnormes nachweisbar. Und
dennoch müssen vorläufig nicht definierbare Eigenschaften der
Haut bei Kindern mit exsudativer Diathese vorhanden sein, welche
sich durch das leichte Wundwerden von Halsfalten verraten. Es
208 Czemj, Die exsadative Diathese.
genügen bei solchen Kindern ofiPenbar Schädlichkeiten, um Infil-
tration der Haat und Exsudation auszulösen, welche bei normalen
Kindern die Haut noch nicht zu irritieren Vermögen.
Es ist selbstverständlich, dass nicht jedes Wundsein der
Säuglinge auf exsudative Diathese bezogen werden darf. Das
Wundsein der Säuglinge bei Ernährungsstörungen und mangel-
hafter Sauberkeit ist auf die Umgebung des Anus und des Geni-
tales lokalisiert.
Bei den Kindern mit exsudativer Diathese zeigt sich aber
das Wundsein mit Vorliebe auch hinter den Ohrmuscheln, in den
Halsfalten, in der Achselhöhle, also an Körperstellen, die nicht
solchen äusseren Reizen ausgesetzt sind, wie die Genitocrural-
falten, und ist auch zu Zeiten zu beobachten, in welchen keine
Ernährungsstörungen bestehen.
Glucklicherweise nur bei einer kleinen Zahl von Kindern
bleibt die Disposition zum Wundwerden auch nach dem Säug-
lingsalter erhalten. Bei diesen macht sie sich nach dem zweiten
Lebensjahre bis in das spätere Kindesalter hinein besonders in
der Ellbogenbeuge, der Kniekehle und den Genitocruralfalten sehr
störend geltend. Denn nicht nur, dass an den genannten Stellen
die Haut zeitweilig wund wird, so lässt es sich auch kaum verhüten,
dass durch hinzutretende Infektionen Ekzeme entstehen, welche sehr
langwierige Behandlung erfordern. Bemerkenswert scheint mir
der Hinweis auf die Erfahrung, dass man mit äusserer Behand-
lung allein in solchen Fällen keinen Dauererfolg erzielen kann.
Nach erfolgter Heilung zeigt sich nach kürzerer oder längerer
Pause immer wieder Rötung und Nässen an den erwähnten Haut-
stellen und früher oder später auch Ekzem.
In ähnlicher Weise wie an der Haut macht sich die exsu-
dative Diathese an der Schleimhaut des Respirationstraktes
geltend. Die Kenntnis der Krankheitssymptome, welche sich an
letzterer abspielen, ist nach meiner Erfahrung weniger verbreitet,
obzwar alle Kinder mit exsudativer Diathese pathologische Er-
scheinungen der Luftwege aufweisen und nur ein Teil derselben
gleichzeitig an den besprochenen Hautkrankheiten leidet. Ein
Zusammenhang zwischen der Disposition zu Ekzemen und Er-
krankungen des Respirationsapparates wurde bisher nur für das
sogenannte Asthma der Kinder angenommen. Namentlich haben
französische Ärzte^) auf das häufige Zusammentreffen dieser
^) Literatur bei Markel, Tasthme chez les enfants. These de Paris
1901 und bei Lemonnyer, These de Paris 1902.
Cz&rny, Dio exsudative Diathese. 20 •)
Krankheitszustände hingewiesen. Nach meiner Erfahrung kann
ich dies bestätigen, obzwar mir auch Ausnahmen bekannt sind.
Das sogenannte Asthma der Kinder ist nichts anderes, als
eine akut einsetzende diffuse Bronchitis, welche ein häufig vor-
kommendes Krankheitsbild bei Kindern mit exsudativer Diathese
darstellt. Der Befund einer über beide Lungen ausgebreiteten
Bronchitis sollte immer Veranlassung geben, an den Bestand
dieser Diathese zu denken. Sie beginnt derart, dass zunächst bei
beschleunigter und verkürzter Atmung ein Giemen und Pfeifen über
den Lungen hörbar wird, welches so laut ist, dass es selbst Laien
nicht entgeht. Auf dieses Stadium, welches manchmal nur
Stunden, manchmal einen oder zwei Tage anhält, folgt das zweite,
gekennzeichnet durch das Auftreten von mehr oder weniger
dichtem Rasseln in den grösseren Bronchien. Je nach der Inten-
sität des Anfalles verliert sich dieses nach wenigen Tagen oder
ein bis zwei Wochen, selten später. Ob nun ein Kind bei einer
solchen diffusen Bronchitis asthmaartige Erscheinungen von Be-
klemmung, Atemnot, Angst u. s. w. zeigt, hängt nicht von der
Bronchitis, sondern vielmehr von der Erregbarkeit des Nerven-
systems des erkrankten Kindes ab. Die Asthmaerscheinungen
stehen zu der Bronchitis in gleicher Beziehung, wie das Jucken zu
der Prurigo oder dem Milchschorf. Sie beeinflussen das Krank-
heitsbild, müssen aber nicht obligat vorhanden sein. Dem ent-
sprechend sieht man Kinder, welche in Abständen von Wochen
oder Monaten immer wieder Anfälle von Bronchitis bekommen,
ohne jemals Asthmaerscheinungen zu haben, während andere, in
gleicher Weise erkrankt, oft in immer zunehmendem Grade asth-
matisch werden. Mir erscheint es deshalb richtiger, nicht das
Asthma, sondern die diffuse Bronchitis mit der exsudativen
Diathese in Zusammenhang zu bringen.
Die Krankheitssymptome an den Luftwegen, durch welche
sich diese Diathese kennzeichnet, haben in mehrfacher Beziehung
Ähnlichkeit mit den Hautaffektionen. So fällt zunächst auf, dass
bei einem Teile der Kinder bestimmte, engbegrenzte Schleimhaut-
partien wiederholt in gleichartiger Weise erkranken. Ein Kind
macht jedes Jahr mehrmals eine Pharyngitis, ein anderes folli-
kuläre Angina, ein drittes Infektionen der Rachenmandel, ein
viertes Pseudocroup, ein fünftes diffuse Bronchitis durch. Die
einzelnen Attacken sind so gleichartig, dass die Eltern der Kinder
bei den späteren häufig nicht mehr den Arzt zu Rate ziehen,
weil ihnen Kraukheitsbild und Therapie schon bekannt sind. Es
Jahrbach f. Kinderheilkunde. N. K. LXI, Heft 1. 14
210 Czernj, Die ezsadaÜTe Diathese.
tnass demnach eine gleiche lokale Disposition TorUegen, wie es
fQr den Gneis oder den Milchschorf der Fall ist. Das wieder-
holte Auftreten nach verschieden grossen Intervallen ist identisch
mit dem Verlauf der Prurigo. Die Unterschiede zwischen den
Krankheitserscheinungen an den Schleimhäuten und der äusseren
Hautdecke sind nur durch die verschiedene Reaktion der beiden
gegenfiber gleichwertigen pathologischen Reizen bedingt. Ver-
ständlicher wird dies vielleicht, wenn ich auf die analogen Ver-
hältnisse bei den Morbillen hinweise. Auf der Haut das Exan-
them, an der Schleimhaut das Enanthem. Letzteres ermöglicht
sehr leicht sekundäre Infektionen, welche Bronchitis und Pneu-
monie zur Folge haben können.
In gleicher Weise glaube ich, das Zustandekommen der viel-
fachen Infektionen der Luftwege bei Kindern mit exsudativer
Diathese auffassen zu müssen. Erst entwickelt sich ein Reiz-
zustand, wie es beim Wundwerden in den Hautfalten der Fall
ist, und dieser schafft erst die Infektionsmöglichkeit. Wer Ge-
legenheit hat, Kinder mit exsudativer Diathese lange und genau
zu beobachten, der wird sich leicht überzeugen können, dass
solche Reizzustände sehr oft vorhanden sein können, ohne dass
Infektionen hinzutreten. Wenn Kinder beispielsweise in staab-
und rauchfreier Luft leben, wie dies in kleinen Orten und auf
Landgütern zutrifft, so bleiben dieselben oft jahrelang von In-
fektionen verschont. Werden diese Kinder wegen der Schule
oder wegen Ortswechsel der Eltern in eine grosse Stadt mit
schlechterer Luftqualitat gebracht, so geht kein Reizzustand ohne
Infektion vorbei, und die Kinder, die sich vorher befriedigend
entwickelten, leiden durch die Infektionen in ihrem ganzen
Allgemeinzustande. Umgekehrt kann man Kinder seltener er-
kranken sehen, wenn man sie aus ungünstigeren Luftverhältnissen
in bessere versetzt, wovon therapeutisch vielseitig Gebrauch
gemacht wird. Dass dadurch aber nicht die exsudative Diatbese
verschwindet, beweist die Erfahrung, dass mit der Rückkehr in
die alten Verhältnisse die Infektionen in unveränderter Form
wieder einsetzen.
Die Reizzustände in den obersten Luftwegen machen sich
durch Zunahme des lymphoiden Gewebes in den Tonsillen geltend.
Auch bei Kindern, welche von Infektionen verschont bleiben,
können letztere infolgedessen eine Grösse erreichen, dass sie
mechanische Hindernisse abgeben. Häufiger und zumeist schneller
ist dies bei Kindern zu beobachten, welche wiederholt Infektionen
Czeroj, Die exsudative Diathese. 211
«rleiden. Diese Erfahrung gab zu der Ansicht Veranlassung,
dass die Disposition zu den Infektionen der Nasen- und Rachen-
Schleimhaut von den grossen Tonsillen abhängig sei. Die Un-
haltbarkeit dieser Anschauung lässt sich schon ans den Miss-
erfolgen der operativen Eingriffe zur Entfernung der vergrösserten
Tonsillen demonstrieren. In den Lebensjahren, in denen sich die
exsudative Diathese an den Luftwegen hauptsächlich geltend
macht, das ist meist bis zum 10. oder 12. Lebensjahre, ist durch
Entfernung der Tonsillen allein die Disposition zu Infektionen
nicht zu beheben. Die Effekte der Operationen nach dem ge-
nannten Alter sind leicht verständlich, da sich in den folgenden
Jahren die exsudative Diathese unter allen umständen weniger
geltend macht, als im ersten Lebensdezennium. Dass der Nutzen
der Entfernung der Tonsillen im allgemeinen überschätzt wird,
beruht auf der Zersplitterung der Medizin in Spezialftcher. Viele
halten offenbar jedes Kind für geheilt, dem sie die Tonsillen ent-
fernt haben, wenn es nicht wieder vorgestellt wird. Die Eltern
gehen aber mit dem Kinde, das nach den Operationen weiter
durch Infektionen zu leiden hat, nicht zu demselben Spezialarzt,
sondern zum Kinderarzt. Die Rachenmandel ist bereits entfernt,
das Kind leidet aber nach wie vor an Infektionen, was sollen
wir nun mit dem Kinde vornehmen? Diese Angabe hört gewiss
jeder Kinderarzt ebenso häufig wie ich.
Die für die Kinder sehr nachteiligen Infektionen gehen nicht
von dem lymphoiden Gewebe aus, sondern von der Schleimhaut
in der Umgebung der Tonsillen und über denselben, und diese
behält bei exsudativer Diathese ihre Reizbarkeit bei, ob das
lymphoide Gewebe entfernt wird, oder nicht.
Ein Krankheitsbild, welches durch pathologische Vorgänge
an den Schleimhäuten der obersten Luftwege bei bestehender
exsudativer Diathese ausgelost wird, scheint mir nicht genügend
bekannt zu sein. Ich möchte mich deshalb mit demselben hier
ausführlicher beschäftigen. Viele Kinder werden mit der Angabe
vorgestellt, dass sie appetitlos seien. Manchmal widerspricht
•dieser anamnestischen Angabe der ziemlich gute Ernährungs-
zustand der Kinder. In anderen Fällen sind es zarte, blasse
Kinder, bei deren Aussehen den Eltern Appetitlosigkeit ein be-
unruhigendes Symptom erscheint. Bei Feststellung der Anamnese
•ergibt sich nun, dass es sich nickt um eine andauernde, sondern
«m eine in längeren oder kürzeren Pausen auftretende Anorexie
handelt, auf welche immer Zeiten folgen, in welchen die Nahrungs-
212 Czemj, Die exsudative Diathese.
aufnähme eine befriedigende ist, oder sogar als „Heisshunger^
auffällt. Die Zunge ist in den Tagen der Anorexie belegt. Oft
wird dabei auch Foetor ex ore bemerkt, welcher vielfach als
„Geruch aus dem Magen" bezeichnet wird. Die Funktionen de»
Darmes sind dabei normal, manchmal besteht Obstipation.
Einzelne Kinder fiebern wenigstens im Anfangsstadium der
Störung jedesmal so hoch, dass das Fieber auch ohne Messung
nicht zu übersehen ist. Das Fieber hält einen oder mehrere
Tage, selten eine Woche oder länger an. Andere Kinder fiebern
angeblich bei denselben Krankheitserscheinungen niemals, oder
nur ausnahmsweise einmal. Ich zweifle aber an der Richtigkeit
dieser Angabe, da in solchen Fällen die Temperatur nicht ge-
messen wird, und deshalb geringe Temperatursteigerungen unbe>
achtet bleiben können.
Ein Teil der Kinder mit den in Rede stehenden Symptomen
ist bei jeder Attaque in seinem Allgemeinbefinden schwer alteriert^
während bei einer anderen Zahl von Kindern trotz der be-
stehenden Blässe und Anorexie das subjektive Befinden nicht
nennenswert gestört ist. Die Störung des Allgemeinbefindens ist
nicht von der Höhe der Temperatursteigerung, auch nicht von dem
Grade der Anorexie abhängig, sondern von der individuell ver-
schiedeneu Erregbarkeit des Nervensystems der Kinder.
Wie ich aus eigener Erfahrung weiss, werden solche Kinder
sowohl von ihren Eltern, als auch von den behandelnden Ärzten
für magenkrank gehalten. Man bemüht sich immer, die Ursache
herauszufinden, wodurch sich die Kinder den Magen verderben,,
gestaltet die Diät immer strenger und behandelt die Kinder er-
folglos mit appetitanregenden oder die Verdauung befördernden
Mitteln. Schon die Beobachtung, dass die Kinder nach Ablauf
der Störung alles vertragen, was man ihnen zu essen gibt, auch
wenn man nicht ängstlich auswählt, weist darauf hin, dass hier
die Ursache der Anorexie an anderer Stelle als im Magen zu
suchen ist. Tatsächlich handelt es sich immer um Kinder mit
hypertrophischer Rachenmandel. Der Foetor ex ore ist, wie leicht
nachzuweisen ist, bedingt durch Zersetzung von Exsudatmassen
in den Krypten der adenoiden Wucherungen. Zu den Zeiten des
Bestandes von Anorexie ist, wenn überhaupt die Aufmerksamkeit
darauf gerichtet wird, stets eine erschwerte Nasenatmung und
nasale Sprache bemerkbar, selbst dann, wenn auch in den freien
Intervallen bezüglich der Nasenatmung und Sprache nicht normale^
Verhältnisse vorliegen. Meist, hauptsächlich aber dann, wenn di&
Czerny, Die exsudative Diathese. 213
Attaqaen mit hohem Fieber verlaufen, sind am Nacken ge-
schwellte Lymphknoten nachweisbar. Auch aus diesem Befunde
muss der Sitz der Erkrankung im Nasenrachenraum erschlossen
werden. Die Anorexie ist eine Folge der Vorgänge an dieser
Stelle. Ich beziehe sie auf Resorption toxisch wirkender Zer-
setzungsprodukte in den Krypten der Rachenmandel. Diese
wird noch durch den Umstand begünstigt, dass bei den be-
sprochenen Prozessen meist eine gesteigerte Sekretion der
Schleimhaute des Nasenrachenraums, durch welche ein Teil der
Zersetzungsprodukte entfernt werden konnte, fehlt.
Die Rachenmandel lässt sich als Locus minoris resistentiae
manchmal schon bei Säuglingen der ersten Lebenswochen erkennen.
Yerringerte Nahrungsaufnahme und geringe Temperatursteige-
rungen, bei Ausschluss anderer Krankheitssymptome, sollten auch
bei Säuglingen immer die Aufmerksamkeit auf den Zustand des
Nasenrachenraums lenken. Drusenschwellungen am Nacken und
das Offenhalten des Mundes erleichtern dabei schon in den ersten
Lebenswochen der Kinder nicht selten die Diagnose. Manche
Otitis media der Säuglinge würde weniger überraschendes bieten,
wenn die besprochenen Symptome die gebührende Beachtung
finden würden.
Vielfach machen sich die periodisch auftretenden Schwel-
lungen und Infektionen der Rachenmandelregion erst vom Ende
des ersten oder zweiten Lebensjahres geltend, manchmal sogar
erst viel später. In letzteren Fällen werden sie oft anscheinend
durch eine Infektionskrankheit ausgelöst. So wird in der Anam-
nese berichtet, dass das Kind, seitdem es Diphtherie, Masern
oder Scharlach gehabt habe, anfallig sei. Es ist sicher, dass
nach Infektionskrankheiten die Symptome der exsudativen Diathese
sich in schwereren Graden bemerkbar machen. Dass sie aber
durch die Infektionskrankheiten direkt ausgelöst werden, bezweifle
ich nach meinen Beobachtungen. Leichte Erscheinungen der
exsudativen Diathese sind in solchen Fällen immer vorher vor-
handen gewesen, sie wurden nur nicht beachtet.
Äussert sich die exsudative Diathese an einer anderen Stelle
des Respirationstraktus als in der Region der Rachenmandel, so
weisen ihre Symptome so deutlich auf die Ursprungsstelle hin,
dass Fehldiagnosen nicht vorkommen. Die leicht nachweisbaren
pathologischen Befunde verleiten nur dazu, sich mit diesen zu-
frieden zu geben und nur nach einer lokalen, nicht aber einer
Allgemeinen Disposition zu suchen.
214 Czerny, Die exsudative Diathese.
Dies ist nach der Literatur häufig der Fall gewesen bev
der Beuiieilung der Disposition zu folliculäi^er Angina. Die Be-
funde an den Tonsillen werden in ihrer Bedeutung überschätzt,
und die ursächliche Erkrankung der Schleimhaut, welche sich in
der Rötung, Schwellung und Hyperästhesie geltend macht, wenig
beachtet. Letztere ist aber bei Kindern mit exsudativer Diathese
viel häufiger vorhanden, ohne dass es zu den Erscheinungen der
folliculären Angina kommt, und stellt dann ein ganz gleich-
wertiges Krankheitsbild dar. Erwähnenswert erscheint mir, dass
sich in einem Teil dieser Fälle von Pharyngitis fast jedesmal
Husten einstellt, während in anderen Fällen die Kinder bei
gleichen Befunden nicht husten. Es handelt sich dabei nicht um
verschiedene Krankheitsprozesse, sondern nur um eine individuell
verschiedene lieaktionsföhigkeit der Nerven der Pharynxschleim-
haut. Bei manchen Kindern genügen kleinste pathologische Reize,,
um eine Hustenreflexerregbavkeit der Pharynxschleimhaut aus-
zulösen, bei anderen Kindern beoabachtet man diese nur unter
ganz besonderen Umständen, wie z. B. bei Keuchhasten.
Ebenso wie sich die exsudative Diathese an der Haut eines
Kindes in verschiedenen Formen äussern kann, kann dies auch
an der Schleimhaut der Kespirationstraktus der Fall sein. So
sieht man bei einem Kinde, das an folliculären Anginen leidet,,
ein oder das anderemal Pseudocroup, oder es treten bei einem
Kinde wiederholt Infektionen der Kachenmandelregion auf und
nebenbei zeitweilig Asthma u. s. w.
Kinder, die an den Krankheitssymptomen der Luftwege leiden,,
brauchen niemals Zeichen der exsudativen Diathese an der Haut
aufzuweisen. Bei Kindern aber, welche an letzteren leiden, fehlen
die Krankheitssymptome der Luftwege nie. Die Hautkrankheiten
charakterisieren demnach die schwereren Formen der Diathese.
Ausser an der Schleimhaut der Luftwege macht sich die
exsudative Diathese auch an der der Augen als Blepharitis oder
als Phlyctäne geltend und an der Schleimhaut der Urogenital-
systems als Vulvitis oder Balanitis. Dagegen ist mir, abgesehen
von der Landkartenzunge, kein pathologischer Zustand der Schleim-
haut des Darmtractus bekannt, der sich auf dieselbe Diathese
beziehen liesse.
Alles, was ich bisher angeführt habe, gibt kein erschöpfendes
Bild der exsudativen Diathese. Auf die atypischen Formen und
die merkwürdigen Varianten bei Kindern einer Familie werde
ich gelegentlich an anderer Stelle zurückkommen. Mit der vor-
Czerny, Die exsudative Diathese. 215
liegenden Darstellung handelt es sich nur zunächst darum, ein
Krankheitsbild wieder in die Literatur einzuführen, das aus ihr
zu verschwinden droht, und dies nicht deshalb, weil es überflüssig
geworden ist, sondern lediglich wegen eines aussichtslosen Streites
in der Literatur um die Identität mancher Formen von Skrophu-
lose mit Tuberkulose. Ich habe deshalb von vornherein meinen
Standpunkt bezüglich der exsudativen Diathese dahin präzisiert,
dass dieselbe zur Tuberkulose in keiner Beziehung steht. Ein
Kind mit exsudativer Diathese kann ebenso tuberkulös werden,
wie jedes andere. Bestehende Tuberkulose macht sich, wie
Infektionskrankheiten überhaupt, bei exsudativer Diathese so
geltend, dass die Krankheitssymptome letzterer in schwereren
Formen auftreten. Im Laufe der Jahre ist an der unter meiner
Leitung stehenden Breslauer Kinderklinik mehrmals Tuberkulose
diagnostiziert worden, die sich bei der Obduktion nicht nach-
weisen liess. Diese diagnostischen Irrtümer waren immer darauf
zurückzuführen, dass aus dem Bestände von schweren Folge-
erscheinungen der exsudativen Diathese auf die Möglichkeit einer
Tuberkulose geschlossen wurde.
Die Kenntnis der exsudativen Diathese ist für den prak-
tischen Arzt von grosser Wichtigkeit, denn er kommt sicher
täglich in die Lage, Folgeerscheinungeu derselben behandeln zu
müssen. So wie wir heute nur selten eine Familie finden, deren
Kinder frei auch von leichten Formen der Rachitis %>ind, ebenso
so selten finden wir Familien, deren Kinder keinerlei Zeichen der
exsudativen Diathese aufweisen. Während sich aber die Rachitis,
abgesehen von wenigen schweren Fällen, nur in den ersten Lebens-
jahren bemerkbar macht, gibt die exsudative Diathese die ganzen
Kinderjahre hindurch, und nicht selten auch im späteren Leben,
Veranlassung zu Krankheitserscheinungen. Denn wenn auch die
letzteren meist schon vor den Pubertätsjahren an Intensität ab-
nehmen, so verschwinden sie doch keineswegs immer vollständig.
Der wesentlichste Umstand, der mich aber veranlasst,'für die
Rekonstruktion des Krankheitsbegriffes der exsudativen Diathese
einzutreten, ist der, dass wir uns nicht damit zufrieden geben
dürfen, dieselbe als ererbten Defekt anzuerkennen, sondern dass
wir derselben erfolgreich entgegen treten können. Drei Momente
sind für die exsudative Diathese von ausschlaggebender Bedeutung:
1. die Art der Ernährung,
2. der Zustand des Nervensystems und
3. interkurrente Infektionen.
216 Czemy, Die exsudative Diathese.
Wenn wir diese Trias zweckmässig beeinflussen, so können
wir damit zwar nicht die exsudative Diathese vollständig beseitigen,
aber doch soviel erzielen, dass ihre Folgeerscheinungen auf ein
Minimum reduziert werden, welches die körperliche und psychische
Entwicklung der Kinder nicht nennenswert stört.
Was die Art der Ernährung anbelangt, so ist nach meiner
Erfahrung folgender Grundsatz massgebend: Jede Art der Er-
nährung, welche einer Mästung gleichkommt, egal ob dieselbe
tatsächlich erreicht wird oder nicht, yerschlechtert den Zustand der
Kinder mit exsudativer Diathese, jede Art der Ernährung, bei
welcher Mästung ausgeschlossen ist, bessert ihn. Nicht theoretische
Überlegungen, sondern konsequente Beobachtung von gemästeten
und nicht gemästeten Kindern, sowie von Kindern, bei welchen
nach zweckmässiger Ernährung eine Überernährung oder um-
gekehrt nach letzterer eine zweckmässige Ernährung eingeleitet
wurde, geben mir die Berechtigung zu dem angeführten Grundsatze.
Die Mästung kann durch zu grosse Quantitäten einer an sich
brauchbaren Nahrung oder durch die Qualität der Nahrung oder
schliesslich durch Kombination beider Faktoren veranlasst werden.
Der Arzt muss sich demnach sehr genau informieren, wenn er
nicht bei neuen Yerordnungen Enttäuschungen erfahren will. Bei
der Anamnese ist es überdies niemals ausreichend, zu erfahren,
was ein Kind in den letzten Tagen oder Wochen an Nahrung
bekommen hat. Nur derjenige wird den Einfluss der Ernährung
richtig schätzen lernen, der sich in jedem Falle über die Ernährung
der Kinder von ihrer Geburt an orientiert. Kein körperlicher
Zustand lässt sich durch die Ernährung in wenigen Tagen ändern.
Die Folgen einer unzweckmässigen Ernährung machen sich erst
nach längerer Zeit bemerkbar, sind aber nicht in Tagen, auch
nicht in wenigen Wochen durch eine richtiggestellte Ernährung
auszugleichen. Yiele Kinder werden beispielsweise nur in den
ersten zwei Lebensjahren gemästet und helfen sich später selbst
durch energische Ablehnung der angebotenen Nahrung. Doch
leiden läolche Kinder noch lange Zeit an den durch die Mästung
provozierten Erscheinungen der exsudativen Diathese.
Ich muss mich hier darauf beschränken, im allgemeinen
anzugeben, was für eine Art der Ernährung sich nach meinen
Beobachtungen als zweckmässig erwies. BeiKindern mit exsudativer
Diathese nach dem 2. Lebensjahre hat eine vorwiegend vegetarische
Kost den gunstigsten Einfluss. Die vegetarische Kost bedarf
nber, wenn sich nicht Nachteile geltend machen sollen.
Czerny, Die exsudative Diathese. 21/
einer Ergänzung durch kleine Quantitäten Milch und Fleisch.
Letzteres wird von Vegetarianern prinzipiell vermieden, dagegen
Eier gestattet. Bei der Ernährung der Kinder mit exsudativer
Diathese handelt es sich aber nicht darum, den Anforderungen
der Vegetarianer zu entsprechen. Eier sind das ungeeignetste
Nahrungsmittel, welches man Kindern mit exsudativer Diathese
geben kann. Fleisch in kleinen Mengen ein- oder zweimal täglich
gereicht, hat dagegen keinen nachteiligen Einfluss. Getränk ist
Wasser in unbeschränkter Quantität. Kontraindiziert sind, wie
erwähnt, Eier; diese sind am besten vollständig zu vermeiden;
ferner Milchfett, deshalb wenig Milch (^/4, höchstens ^j^ Liter
pro die), keine Sahne, wenig Butter; endlich Zucker, deshalb
keine süssen Speisen, kein Kompott, sondern rohes Obst.
Schwieriger ist die Ernährung in den ersten zwei Lebens-
jahren, da in dieser Zeit die Milch den wesentlichsten Bestand-
teil der Nahrung bilden muss. Aufgabe des Arztes ist es, die
Ernährung so zu leiten, dass die Kinder in jedem Lebensmonate
mit der kleinsten, zum Gedeihen, aber nicht zum starken Fett-
jtnsatz notwendigen Milchmenge auskommen. Das Aussehen des
Kindes und nicht die Wage darf für die Wahl der Nahrung ent-
scheidend sein. Geringe Körpergewichtszunahmen dürfen kein
Grund zum Abstillen sein. Wenn auch bei strengster Diät starker
Fettansatz nicht zu verhindern ist, so muss durch Zugabe von
Kohlehydraten die Milchnahrung schon im 2. Lebenshalbjahre ein-
geschränkt und durch Suppe und Gemüse ergänzt werden.
Ausserdem dürfen solche Kinder nicht, wie es sonst angezeigt
ist, bis zum Ende des 2. Lebensjahres vorwiegend mit Milch gross-
gezogen werden, sondern sollen schon im Alter von 1^2 oder
sogar 1^4 Jahren zu der Kost der älteren Kinder überführt
werden. Mit Rücksicht auf die mangelhafte Entwicklung des
Oebisses muss die Nahrung nur sorgföltig zerkleinert werden.
Wie äussert sich nun der Erfolg der Ernährung von Kindern
mit exsudativer Diathese nach den angegebenen Prinzipien?
Diese Frage wird jeder stellen, welcher bisher in mancher Hinsicht
widersprechende Ernährungsmassregeln für indiziert hielt. Der
Erfolg besteht darin, dass, falls die richtige Ernährung von Anfang
An prophylaktisch durchgeführt wird, die exsudative Diathese
nur in den mildesten Formen auftritt und die Disposition zu
sekundären Infektionen dadurch ganz vermieden wird oder nur
selten sich geltend machen kann. Die wenigen Infektionen ver-
laufen überdies sehr leicht. Dies konnte ich in einer grossen
218 Gzeroy, Die exsudative Diathese.
Zahl voD Familien darch den wesentlichen Unterschied in der
Morbidität der späteren, nach meinen Forderungen ernährten
Kinder im Vergleich zu den ersten, nach entgegengesetzten Prin-
zipien ernährten Kindern nachweisen. Die Zahl meiner Be-
obachtungen ist so gross, dass Zufälle durch ungleiche hereditäre
Belastung der Kinder einer Familie, die oft vorkommen, aus-
geschlossen sind.
Aber auch an Kindern, deren Ernährung eine unrichtige
und deren Morbidität infolgedessen sehr gross war, konnte ich
durch jähen Übergang zu dem angeführten Ernährungsregime
ein solches Absinken der Folgeerscheinungen der exsudativen
Diathese erzielen, dass nicht nur für mich, sondern auch für die
Laien die Abhängigkeit des Erfolges von der Ernährungsweise
ausser Zweifel gestellt wurde. Der Erfolg ist bei manchen
Krankheitsformen der exsudativen Diathese ein überraschender.
Prurigo verschwindet manchmal sehr rasch, ohne je wieder-
zukehren. Die Schwellungen der Schleimhaut des Nasenrachen-
raumes und die konsekutiven Infektionen hören oft bald voll-
ständig auf oder werden immer seltener und leichter. Schon
vorhandene Schwellungen der Tonsillen nehmen nicht zu und
bilden sich allmählich zurück, wenn die Infektionen ausbleiben.
Es ist erfreulich, zu beobachten, wie gemästete Kinder^), welche
so anfällig sind, dass sie aus der Behandlung gar nicht heraus-
kommen, nach der Änderung der Ernährung im ganzen Jahre
kaum wenige Tage krank sind. Dies ist um so bemerkenswerter,
als der Erfolg bei sonst gleichbleibenden Verhältnissen zu er-
reichen ist. Hartnäckig trotzt der Ernährungstherapie oft das
geschilderte Wundwerden der Hautfalten. Erst nach lange Zeit
fortgesetzter vegetarischer Diät erlischt diese Disposition und
kann sich nach Jahren bei dem Versuch einer Mästung wieder
zeigen. Gneis und Milchschorf lassen sich durch sorgfaltig
dosierte Nahrung wenigstens so in Schranken halten, dass keine
sekundären Ekzeme entstehen.
Je geringer die Morbidität ist, desto besser gestaltet sich
die körperliche und psychische Entwicklung der Kinder. Mit
der Durchführung einer zweckmässigen Ernährung wird deshalb
mehr erreicht, als das Abnehmen oder Aufhören der mit der
^) Die mit Kakao, Milch und Eiern gemästeten Kinder sind leichter
mit Erfolg zu behandeln, als die mit Brot, Kartoffeln und Mehlspeisen
gemästeten.
Czeray, Die exsudative Diathese. 21i>
exsudativen Diathese in Zusammenhang stehenden Krankheits-
symptome.
Da letztere in ihrem Verlauf mannigfach abh&ngig sind von
dem Zustande des Nervensystems der Kinder, so muss die Tätig-
keit des Arztes dahin gerichtet sein, auch nach dieser Richtung-
möglichst normale Verhältnisse zu schaffen. Dies ist zurzeit nicht
überall der Fall. Die Kinder mit exsudativer Diathese werden
vielmehr als Objekte der dauernden Behandlung betrachtet.
Wenn Krankheitserscheinungen vorhanden sind, werden sie derent*
wegen behandelt, wenn keine da sind, werden sie prophylaktisch
behandelt. Solche Kinder sind vielfach die Versuchsobjekte für
alle Kräftigungs-, Stärk ungs- und blutbildenden Mittel. Ich habe
immer in derartigen Fällen den Eindruck gehabt, dass die Arzte
aus lauter Rücksicht auf den Körper die Psyche des Kindes
vergessen. Ein Kind, das in dem Bewusstsein aufwächst, immer
Patient zu sein, wird stets abnorm reizbar, die Neuropathie wird
bei ihm direkt grossgezogen. Jede Behandlung, ut aliquid fiat^
jede Polypragmasie muss deshalb vermieden werden. Die Eltern
sind dahin zu belehren, dass die Aufmerksamkeit des Kindes
stets von dem eigenen Körper abgelenkt werden soll. Es darf
daher über das Aussehen oder körperliche Funktionen der Kinder
nicht in deren Gegenwart gesprochen werden. Den Kindern
darf nicht das Bewusstsein, krank oder schonungsbedürftig zu sein^
aufgezwungen werden.
Das wichtigste Mittel, um Neuropathien bei Kindern vor»
zubeugen, ist, dieselben so wenig als möglich unter Erwachsenen
und so viel als möglich unter gleichaltrigen Kindern verkehren zu
lassen. Der dauernde Verkehr mit Geschwistern ist nicht immer
ausreichend. Der Verkehr der Kinder verschiedener Familien
untereinander ist stets das erstrebenswerteste Ziel. Die Forderung
nach dem Verkehr der Kinder unter möglichst Gleichaltrigen
ist gegeben, sobald die Sprachentwicklung beginnt.
Bei Kindern mit exsudativer Diathese muss diesen wichtigen
Erfahrungstatsachen ganz besonders Rechnung getragen werden.
Man darf sich aber niemals mit halben Massregeln begnügen.
Ein Besuch von Kindern untereinander einmal in der Woche oder in
noch grösseren Intervallen ist eher dazu angetan, Kinder über-
mässig zu erregen, als auf das Nervensystem günstig einzuwirken.
Der Verkehr, das Spielen der Kinder darf nicht einen Ausnahme-
zustand vorstellen, sondern muss etwas Alltägliches sein.
220 Czerny, Die exsudative Diathese.
Bei alteren Eindem ist aus gleichen Gründen der Einzel-
unterricht zu vermeiden. Wenn der Schulbesuch undurchführbar
ist, dann soll wenigstens dafür gesorgt werden, dass mehrere
Kinder gemeinschaftlich unterrichtet werden.
Das äussere Zeichen, welches Eltern und Arzt aufmerksam
machen sollte, sich um das psychische Verhalten der Kinder zu
interessieren, ist rascher Farbenwechsel oder andauernde Blässe
der Kinder. Letztere lässt die Kinder mit exsudativer Diathese
oft schlechter aussehen, als durch eine Untersuchung des Körpers
gerechtfertigt erscheint. Die Blässe ist niemals durch Anämie,
sondern durch vasomotorische Störungen bedingt und nicht au
medikamentösem Wege, sondern nur durch geeignete psychische
Behandlung zu bessern oder zu heilen.
Wenn Kinder krank sind, hört die Erziehung auf. Dieser
Fall tritt nun bei Kindern mit exsudativer Diathese sehr oft ein.
Das Unterbrechen der Erziehung begünstigt aber bei Kindern
das Auftreten neuropathischer Erscheinungen. Diese komplizieren
sodann das Krankheitsbild der exsudativen Diathese in mannig-
faltigster Form. Um diesem Übel vorzubeugen, gibt es keinen
anderen Weg als den, sich rechtzeitig um die Erziehung und das
psychische Verhalten der Kinder zu kümmern.
Noch in einer dritten Richtung können wir erfolgreich in
den Verlauf der exsudativen Diathese eingreifen, indem wir das
Zustandekommen von interkurrenten Infektionen einzuschränken
trachten. Wie bereits erwähnt, ist in dieser Beziehung die Er-
nährung das wesentlichste Hilfsmittel. Ausserdem lässt sich die
Zahl der Infektionen der Luftwege noch herabsetzen durch Auf-
enthalt in staub- und rauchfreier Luft. Soweit dies in unserer
Macht steht, müssten wir dies zu erreichen trachten. In manchen
Fällen nützt es bereits, wenn Eltern mit ihren Kindern aus dem
Zentrum einer Grossstadt an die Peripherie ziehen. Im Sommer
ist das Reisen mit Kindern nach klimatisch gutgelegenen Orten
«ine zweckmässige Massregel, von der allenthalben viel Gebrauch
gemacht wird. Sie Hesse sich noch häufiger erreichen, wenn ein
Landaufenthalt für genügend erklärt und nicht immer ein kost-
spieliger Kurort überflüssigerweise in Vorschlag gebracht werden
würde. Als ein Miss Verständnis muss ich es aber auffassen,
wenn Kinder, welche auf Landgütern oder in kleinen Ortschaften
mit ausgezeichneten Luftverhältnissen leben, in Sommerkurorte
verschickt werden. In diesen Fällen ist natürlich kein Erfolg zu
verzeichnen. Solchen Kindern ist nur mit einer Verlängerung
Czerny, Die exBadatire Diathese. 221
des Sommers durch Aufenthalt im Süden während des Frühjahrs
oder des Herbstes oder beider Jahreszeiten zu nützen.
Die Sommer-, Frühjahrs- und Herbstreisen sind nicht gleich-
wertig. Mit den Sommerreisen ist hauptsächlich ein Schutz der
Kinder durch staub- und rauchfreie Luft zu erzielen. Bei den
Frühjahrs- und Herbstreisen können überdies noch Schädigungen
der Schleimhäute durch Erkältungen vermieden werden. Bezüglich
der letzteren möchte ich noch erwähnen^ dass ich die sogenannten
Abhärtungsmassregeln für vollständig wirkungslos halte.
Die Gefahr der Erkältung liegt am meisten bei körperlicher
Ruhe vor, bei der leicht die Wärmeabgabe die Wärmeproduktion
übertrifft. In einer solchen Situation befinden sich Eindier oft
beim Fahren oder Getragenwerden. Durch die Wärmeproduktion
beim Gehen oder Laufen wird die Möglichkeit der Erkältung
herabgesetzt. Für Kinder mit exsudativer Diathese bedeutet es
somit keine Schonung, wenn sie in einem Alter, in welchem sie
sich selbständig bewegen können, noch getragen oder gefahren
werden.
Bei den Infektionen der Luftwege sind noch mehr als die
angeführten Veranlassungen die direkten Übertragungen zu be-
achten. Wenn Mutter, Kindermädchen, Erzieherin oder wer
sonst sehr viel in unmittelbarster Nähe der Kinder weilt, oft
an Anginen oder Nasenrachenkatarrhen leiden, so infizieren sie
auch häufig die Kinder. Die Erwachsenen werden manchmal
durch die Infektionen nur wenig in ihrem Allgemeinbefinden ge-
stört und unterschätzen deshalb die Gefahr der Übertragung.
Ein Arzt, der dieselbe aber beachtet, kann leicht erfolgreich ein-
greifen.
Ich musste mich in meiner Darstellung mit Rücksicht auf
den verfügbaren Raum auf eine Skizze beschränken. Dieselbe
kann aber genügen, der modernen artifiziellen Züchtung schwerer
Formen der exsudativen Diathese und ihrer Folgen entgegenzu-
treten. Wer sich davon überzeugen wird, der wird mir zustimmen,
dass es dankbarer ist, nach klinischen Beobachtungen an der
Zusammengehörigkeit von Krankheitssymptomen festzuhalten, als
sich in theoretischen Erörterungen über Identität von Skrophulose
und Tuberkulose zu verlieren.
Literatarbericht
Zauunmengestellt tod Dr. B. SALGE,
Obcnnt •■ 4er Cairenfiits-KliidcikljBlk In BrUb.
?• TnterfcoloM luid 9TptülM.
Benurkumgen über KmkmUchgemtus mttd TmierkmiasetierMckkäi. Tod W.
X, Stftrelu MoDaUtchr. L KioderheÜk. 1904. Bd. 3. p. 106.
Aaf Grond too Tabelleo, die die Zahl des Viehbestaadeft, der Vieh-
toberkolose oodMeDficbeotaberkoIofie in den eiDzeiaen preuaftlscheDRegiernngs-
bezirken aszeigeo^ kommt V. zo dem Scblasse, daas nach der Statistik ein
Weotlieber ZaaammeDbaog zwischen Yiehreichtam and grossem Milchgeniiss
»owie hoher Viehtoberkalose asd der Taberkalosesterblichkeit beim Mensehen
in Preossen nicht za beUeben scheint. Wahrscheinlich ist die Vimlenz der
Rindertaberkolosebazillen dem Menschen gegenüber ähnlich verschieden,
wie die der Menschentoberkolosebazillen gegenüber dem Rind.
Sehleissner.
Di€ Behandlung der Skrofulöse und Tuberkulose mit Soleirinkkttren. Von
R. Weigert. Monatsschr. f. Kinderheilk. 1904. Bd. 3. p. 57.
Weigert gelangt zu folgenden Resultaten :
1. Die Behandlang toberkalöser Individuen mit Soletrinkkaren ergab
«inen vollkommenen Misserfolg, vielleicht ist den Pat. darch sie sogar eine
Schädigung entstandeo.
2. Die Soletrinkkoren wurden von skrofulösen Kindern gut ver-
tragen. Alle so behandelten Pat. zeigten eine Besserung des Allgemein-
tiefindens, einige auch eine Abnahme der Neigung zu Schleimhautkatarrhen
tiud eine Verkleinerung der Ivmphatischen Organe des Nasenrachenraumes;
bei anderen blieben die' Symptome der Skrofulöse gänzlich unbeeinflnsst.
8. Die von Rosen berger versuchte wissenschaftliche Begründang
der Erfolge der Soletrinkknren ist nicht genügend gestützt; die von diesem
Autor beobachtete, während der Kur eintretende Vermehrung der Leukozyten
des Mundspeichels wurde bei W.'s Patienten nicht gefunden.
Sehleissner.
jye la necessUe de rendre obligaioire l'isoletneni des tuberculeux dans les
hopitaux. Von Armaingaud. Tuberculosis. 1904. No. 3.
Über das im Titel genannte Thema erstattete A. am 19. Dezember
1908 in einer Sitzung der permanenten Tuberkalose-Kommission zu Paris im
Auftrage der 7. Unterkommission Bericht. Folgende Resolution wurde
schliesslich angenommen und der Regierung übersandt:
1. In allen ufTentlichcn Krankenhäusern sollen die zuständigen Behörden
<len direkten und indirekten Verkehr zwischen den tuberkulösen und nicht-
4uberknlöson Kranken verbieten.
y. Tnberkalose und Syphilis. 223
2. Die Taberkalösen m&ssen io besondereD, aa98chlie88lich für sie be-
stimmten Krankenhftusern verpflegt werden; sie dürfen aach in andere An-
stalten nicht aufgenommen werden. Städte, welche mehrere Krankenhäuser
besitzen, sollen aufgefordert werden, in Zukunft eine oder mehrere von diesen
Anstalten nur für Tuberkulöse zu bestimmen.
3. Da, wo ein ganzes Krankenhaus dafür nicht zur Verfügung steht,
«ollen getrennte Abteilungen ausschliesslich für die Tuberkulösen reserviert
werden.
4. Aber selbst wenn man weder ein besonderes Krankenhans noch eine
besondere Abteilung einrichten kann, dürfen Tuberkulöse nie in den all-
gemeinen Krankensälen untergebracht werden.
Boye-Halle a. S.
Deux cas de iympkadenie dans renfance. Von P. Haushalter und Richon.
Archives de medecine des enfants. Tome 7. No. 5. 1904.
Vorwiegend kasuistische Mitteilungen.
Ein Knabe von 10 Jahren, mit Tuberkulose behaftet, macht einen
Lnngen-Rippenfellprozess durch, der zur relativen Heilung gelangt. Nach
«tner nicht spezifischen Dermatose im Gefolge von Scabies multiple Drüsen-
schwellnngen, besonders in der Halsregion und im Mediastinum; Kom-
pressionserscheinungen, rasch fortschreitende, endlich extreme Anämie, Leuko-
penie. Exitus nach einem Jahre unter Erscheinungen einer Bronchopneumonie.
Autopsie: Allgemeine Hypertrophie der blntbereitenden Organe, Sklerose der
Drüsen, Lymphombildnng in der Leber, im Magen und Darm, Herde von
fettiger Degeneration in der Leber und von Zellwucherung im Knochenmark,
involvierte Reste von Tuberkulose in der Lunge und in der Pleura.
Diskussion der nosologischen Stellung dieser Type zwischen der Psendo-
lenkämie und der tuberkulösen Lymphomatose.
Ein zweiter Fall ist nur kürzer beobachtet und nicht obduziert.
Pfaundler.
^ur Frage der Vererbung der Syphilis. Von H. Napp. Arch. f. Dermat.
u. Syph. 1904. LXX. p. 263.
Das Dogma, nach dem die Vererbung der Syphilis des Vaters eine
obligatorische ist, nicht eine fakultative, ist jedenfalls durch eine
nicht geringe Anzahl von genauen Beobachtungen gesunder Nachkommen-
schaft rezent syphilitischer Väter bestimmt widerlegt worden. V. publiziert
ebenfalls einige Fälle eigener Beobachtung, in denen trotz rezenter Lues des
Vaters gesunde Kinder geboren wurden; in zwei dieser Fälle war die Lues
des Vaters besonders heftig und oft rezidivierend, sodass eine paterne
Vererbung ganz besonders leicht zustande kommen und erwartet werden
konnte.
Ebenso bringt N. auch 4 eigene Beobachtungen, in denen die Kinder
rezent syphilitischer Mütter gesund geboren wurden und gesund blieben;
eine genügende Erklärung für diese Tatsachen steht noch aus.
Jedenfalls sind nach des Verfassers Anschauung bei graviden Frauen
Präventivkuren absolut indiziert; nur sie sind imstande, Placentarerkrankungen
zu verhüten und zu heilen. Schleissner.
224 Literaturbericht.
VI. Konstitationskrankheiten.
Ein Fall van Gichterkrankung bei einem yjäkrigen Kinde, Von Roman Lanz.
Deutsche med. Wochenschr. No. 33. 1904.
Seit dem zweiten Lebenshalbjahr erkrankte das Kind zwei- bis dreimal
monatlich, immer plötzlich des Nachts, an Schmerzen in allen Gliedern, be-
sonders den Händen und Fassen. Am Morgen nach einem starken Anfall
konnte man „an den distalen Phalangealgelenken der Finger beider Hände
typische, ungefähr erbsengrosse Ablagerungen bemerken, wie sie bei der
subchronisch verlaufenden Gicht beobachtet worden^. Die Haut der be-
troffenen Gelenke ist normal; fühlt sich nicht heiss an. An den Zehen nichts
Abnormes. Die Ablagerungen verschwanden nach 1^/2 Wochen und wurden
nicht mehr beobachtet. Der Urin enthielt sehr viel harnsaures Natron und
Oxalsäuren Kalk. Misch.
LextincHon du rackiüsme par les Gouttes de lait Von Variot La Clinique
infantile. 1. Aug. 1904.
Schon vor 2 Jahren hat Variot über Rachitis und kunstliche Er-
nährung gesprochen und glaubte durch sein damaliges Material zur Be-
urteilung der Frage besonders berufen zu sein, da er in zehnjähriger Tätig-
keit an der Goutte de lait von Belle ville dieErnährung und Entwicklang von rund
1000 Säuglingen regelmässig mit Wage und Beobachtung verfolgt hatte. Seine
Resultate fasste er dahin znsammen: dass die ausschliessliche Ernährung mit
sterilisierter Milch, selbst von Geburt an, keine Rachitis herbeiführt, wenn
Überernährung vermieden werde, dass die Kinder der Goutte de lait, i^cnn
sie nicht zu spät gebracht werden, nie schwerere Rachitis zeigen nnd jeden-
falls keine schwerere als die Kinder der wohlhabenden Klassen, und dass,
wenn bei den Kindern, die durch die Goutte versorgt werden, Rachitis 'auf-
tritt, man stets Fehler der Mutter gegen die Vorschrift nachweisen kann.
Inzwischen hat sich Variots Material weiter vermehrt» in seiner
Goutte hat er wöchentlich ca. 200 Säuglinge zu kontrollieren; es werden
ihm Kinder gebracht, die ganz an der Brust ernährt werden, solche mit ge-
mischter Ernährung, solche, die von Geburt an die Flasche bekommen und
zum grössten Teil solche in einem mehr weniger schweren Znstand von
Atrophie.
An diesem Material hat er immer wieder konstatiert, dass nur Er-
nährungsfehler die Rachitis herbeiführen, dass eine richtige Ernährung mit
sterilisierter Milch die Rachitis verhütet und schon begonnene aufhält, dass
also diese Milch das beste und einzige Schutz- und Heilmittel ist.
Phosphor oder Phosphoröl werden in seiner Goutte nicht gegeben.
Mit diesem Regime, dessen Grundlage die sterilisierte Mikh in ca. 1 1
Menge ist, gelingt es, nicht nur die Rachitis, sondern auch die schwerste
Atrophie zu bekämpfen. Sioli-Haile.
Üöer Protylin und seinen Wert als Nähr- und Heilmittel, insbesondere bei
rachitischen Zuständen im Kindesalter. Von Max Bürger. Therap.
Monatsh. 1904. H. 6.
Das Protylin ist eine Pbosphor-Eiweissverbindung mit einem Gehalt
von 2,7 pCt. Phosphor in molekularer Bindung in Form von Phosphorsäure-
anhydrid ; es ist in Wasser unlöslich, löslich dagegen in Alkalien, auch in starken
VI. Kon^itutionskraDkheiteD. 225
Lösangen von MiDeralafturen. Es wird vom Magensäfte nicht angegriffen»
unterliegt aber der verdanenden Wirkung des Pankreassaftes.
Bei 18 mit Rachitis behafteten Kindern im Alter von 7 Monaten bis
2u 2 Jahren gab Verf. das Protylin, and zwar in Dosen von i/i Teelöffel
zweimal und öfter täglich, der Nahrung zugesetzt.
Verf. will in allen Fällen einen günstigen Einfluss haben konstatieren
können, indem sowohl die örtlichen Symptome der Rachitis sich besserten,
a\8 auch das Allgemeinbefinden sich schnell hob.
Verf. begnügt sich mit solchen allgemeinen Bemerkungen, eine genauere
Kasuistik der behandelten Erkrankungen liegt nicht vor.
R. Rosen.
JSmi J^a// vofi pseudoracktHscher hätnorrhagischer Skeletterkrankung bei einem
hingen Hunde. Von W. Stoeltzner. Virchows Archiv, 177, 8.
Ein einjähriger Bernhardinerhund wurde wegen Erschwerung im
Liaufen und lebhaften Schmerzäusserungen, neben einem bestimmten Unter-
sachungsbefunde, in der tierärztlichen Hochschule zu Dresden als mit
Rachitis behaftet getötet, dem Verfasser kamen mehrere Rippen und eine
ganze Vorderextremität zur Untersuchung. An den Rippen befanden sich
rosenkranzartige Auftreibungen. An den Extremitätenknochen unregel-
massige, zum Teil sehr bedeutende Verdickungen, bedingt durch Blutergüsse
in und unter das Periost, zum Teil auch ins Mark, so war in der Fossa
«upraspinata das Periost durch ein Hämatom abgehoben, am Humerus be-
fanden sich in der aufgetriebenen Diaphyse und an der Epiphysen grenze
blutgerinnselerfüllte Hohlräume, abgekapselt und durch solide Knochen-
platten von einander und gegen Rinde wie Mark abgetrennt; ähnliche Er-
güsse waren im oberen Drhtel des Radius, geringere Veränderungen in der
Ulna. Die knöcherne Rinde war stellenweise geschwunden, zwischen ab-
gehobenem Periost und Knochen Neubildung zu beobachten, woraus auf
-eine längere Dauer der Vorgänge zu schliessen war. Mikroskopisch handelte
es sich um Atrophie der Corticalis und Spongiosa, Arrosion der Knochen-
bälkchen. Das Mark war in den Epiphysen fettzellig, sonst im allgemeinen
^ellarm, faserig, bis auf den Bereich der Spongiosa, wo es splenoid erschien.
Der Vorgang hatte mit Rachitis gar nichts zu tun, dagegen grosse
Ähnlichkeit mit Barlowscher Krankheit, wovon nur der Markbefund der
"Spongiosa ihn unterschied. Spiegelberg.
Myxödem, Von Magnus Levy. Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 52. H. 3
und 4. S. 201.
Analyse von 10 Fällen von Myxoedema adultorum (Straesburg).
Analyse von 1 Fall von Kachexia stramipriva.
Analyse von 9 Fällen \on sporadischem Kretinismus (4 Berlin,
•h Strassburg) und
Analyse von 14 Fällen von endemischem Kretinismus (Münsterthal) nach
Ätiologie, Symptomatologie und Behandlung, wobei die verschiedenen
Präparate gewürdigt werden. Die mit vorzüglichen Tafeln a la Hertoghe
versehene Arbeit ist nur im Original wertvoll; herauszugreifen sind die Er-
gebnisse der Respirationsversuche, nämlich: die geringe Höhe des
•Gaswechsels bei schweren Fällen von Myxödem ist nicht bedingt dnrch die
geringe Mepge funktionierenden Protoplasmas, sondern dnrch dessen geringe
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 1. 15
22ß Literatarberieht.
Lebenseaergie ^50^60 pCu der bei GesondenK Die OrgftnUierapie hai hier
»och eise ^eonaUtiTe* Wirkaog. Spiegelbe i^.
AmaiamiscJU Befunde in emem Faäe von Myxödem, Von A. J. Abrikossoff»
Virehowt ArehiT, 177, 3.
Die wichtigsten Veränderangen betreffeo Schilddrüse, in welcher yoIU
standige Abwesenheit aller Drosenelemente, an deren Stelle Fett and Binde-
gewebe im Verlauf des Lebeos getreten war, and Hjpophysis, in welcher
Vermehrane der Dräseozellen aod Colloideotartang gefanden warde.
Spiegelberg.
Ober amgeblicke ver/rükU Synostasem bei Krehmeu und die iypaikeiisckem Be-
siekungem der Ckondrodysiropfda foetaiis sur Atkyreasis, Von P. 6. B a y o d.
Zieglers Beiträge zar pathol. Anatomie ii. s. w. Bd. 36, 1.
Entgegen der verbreiteten Ansicht, dass fröhzeitigc Sjnostoseo zwischci>
Keilbein and Hinterhauptsbein bei Kretinen eine Wichtigkeit in Anatomie
des endemischen Hjrpothjreodismas besitzen, trennt Verfasser diese Srnostosen,.
die der Chondrodjstrophia foetalis hrpo plastica zagehören — einer Er-
krankung, die mit Kretinismus nichts gemein hat — and auch hier nur aU
Störung des enchondralen Wachstums anzusprechen sind, Ton jeder fie-
ziehuog zum Kretinismus. Verfasser stützt sich auf die Untersuchung ilterer
Präparate von Neugeborenen and älterer Kretinen. Spiegelberg.
Ober Pirckcws Kretinentkeorie. Von W. Wcygandt. Neurol. Centralbl.
No. 7, 8, 9. 1904.
In der übergrossen Arbeit des Altmeisters der pathologischen Anatomie
hat da» Studium des Kretinismus einen nicht unbeträchtlichen Kaum ein-
genommen. Zuerst im Jahre 1851, seither zji wiederholten Malen hat
Vircho w in Vorträgen and Publikationen die Pathogenese des Kretinismus be-
handelt und hierbei namentlich den Standpunkt vertreten, „dass die vor-
zeitige Verknöchernng der drei Schädelwirbel (Os basilare, Sphenoides-
posterius und anterius) den Mittelpunkt der ganzen Störuog bildet**. Da-
durch werde nicht nur die Veränderung des Gesichtsskeletts bedingt, sondern»
auch das Gehirn Wachstum gehemmt.
Allerdings hat Virchow diese nach ihm bezeichnete Kretinentheorle
nicht verallgemeinert und vorwiegend auf das unter^achte Material be-
schränkt, aber immerhin waren doch seine Äusserungen darüber so be-
stimmt, dass die Pathogenese des Kretinismus durch lange Zeit anter dem
Zeichen der frühzeitigen Verknöcherung der Schädelbasis stand. Selbst
Vertreter der pathologischen Anatomie suchten ihre nicht immer ganz ein-
deatigen Befunde unter die Theorie des allgewaltigen Meisters aaterza-
bringen. Allerdings fehlte es auch nicht an skeptischen und gegoerischen
Bemerkungen (Rindfleisch, Merkel, Kirchberg, Ziegler, Paltauf etc.),
aber erst die Sonderstellung einer Gruppe angeborener Skelettveränderongen
als Chondodjstrophia foetalis durch Kaufmann macht es wahr-
scheinlich, dass Vircho WS Musterfall kein Kretin, sondern ein Beispiel
dieser Krankheit gewesen, die eine angeborene Skelettanomalie darstellt,
ohne mit Kretinismus und Rachitis etwas zu tun za haben. Von den
Kaufmannschen Fällen hatten einige einen eingezogenen Nasenrücken ohne
Tribasilarsynostose, so dass auch dieses Symptom an Bedeutung verlor. Seit
dieser Zeit ist die Trennung des Kretinismus und der Mikromelie oder
VIII. Krankheiten des NeryensjstemB. 227
Chondrodystrophie immer mehr fortgeschritten. Vor allem hat die Kr-
fahmng gelehrt, dass wirklicher Kretinismus nicht angeboren vorkomme,
sondern sich erst innerhalb des Sftaglingsalters entwickele; ferner ergaben
klinische Untersuchungen nur ganz änsserliche Ähnlichkeiten zwischeo
Kretinen (id est Mjxodemkranken) und Mikromelen, hingegen eine Fülle
von unterschieden, endlich sind auch die derzeit durch Röntgenunter-
suchungen darstellbaren Verknöcherungsverhältnisse beider Krankheiten ver-
schieden. Auch die Annahme, dass bei der kretinistischen Idiotie frühzeitige
Nahtverwachsung des Schädels die Gehiment wicklang hemme, ist einerseits
durch unsere genauere Kenntnis der Gehimver&nderungen hei Idiotie, anderer-
seits durch die Erfolglosigkeit der eine Zeit lang sehr gepriesenen Craniek-
tomie als widerlegt anzusehen. Das letzte Glied in der Kette der Gegen-
beweise liefert Weygand dadurch, dass er den seinerzeit von Virchow
studierten „Kretinenfötus*' aus der Würzburger Sammlung entnahm und
histologisch bearbeitete. Es besteht kein Zweifel, dass dieser Fall der
Kaufmann sehen Chondrodystrophie zugehört nnd mit Kretinismus, „der
endemischen athyreoiden Degeneration**, nichts zu tun hat. Zappert
Ober die Ätiologie der SchÜddrüseHSckwunde bei Kretinismus und lAyxödetn,
Von Bayon. Neurol. Centralbl. 1. Sept. 1904.
Dass sowohl sporadischer als endemischer Kretinismus thyreogeneu
Ursprungs sind, ist heutzutage wohl kaum mehr zu bezweifeln. Wie kommt
aber der Schwund der Schilddrüse zustande? Für einen Teil der Fälle sind
antenatale Ätiologien massgebend — das Kind kommt ohne Schilddrüse zur
Welt. Für einen anderen Teil gelten postnatale Ursachen, die nach des Verf.s
Ansichten in Entzündungen der Schilddrüse zu suchen sind, die zur Ent-
artung der Drüse und den Symptomen der Hypothyreosis führen. Gelegenheit
za einer solchen Thyreoiditis bietet „fast jede schwerere infektiöse Krankheit*'
ohne dass die Erkrankung allerdings anders als histologisch erkennbar wäre.
Meist erfolgt Regeneration der durch die Entzündung geschädigten Partien,
manchmal entstehen schwere Schädigangen, wie sie in der Schilddrüse Myx-
ödematöser mikroskopisch nachweisbar sind.
Ein Urteil über diese überraschende Theorie des Kretinismus lässt
sich erst ffLilen, wenn die versprochenen genaueren Untersuchnngen des
Autors vorliegen (Ref.), Zappert.
Vlil. Krankheiten des Nervensystems.
Der heutige Stand der Erblichkeitsfrage in der Neuro- und Psychopathologie,
Von Hahn le. Neurol. Centralbl. 1904. No. 18 u. 19.
Die Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften ist noch immer
ein Streitobjekt der Biologen. Doch hat Weis mann , der bedeutende Gegner
dieser Vererbnngsmöglichkeit, seinen stramm negierenden Standpunkt etwas
gemildert, and man kann wohl heutzutage mit Orth annehmen, dass eine
Vererbung erworbener Eigenschaften besteht, soweit die letzteren den ganzen
Körper des Elternteiles, also auch die Keimzellen verändern können, dass
hingegen eine Vererbung anderer direkt erworbener Eigenschaften, also
namentlich von Veränderungen einzelner Körperteile abzulehnen sei.
Von diesem Standpunkte aus ist auch an der erblichen Übertragung
von nervösen Erkrankungen nicht zu zweifeln. Prüft man aber die dafür
15*
228 Literaturberichu
vorliegenden Beweise, so niuäs man zugeben, dass die lediglich statistischen
Resultate durchaus nicht eindeutig sind, sondern viele Widersprüche in
sich scbliessen. Als sicher vorhanden gilt die Vererbbarkeit einer neuro-
psychopathischen Disposition, aber anch hier ist es bereits kontrovers,
ob, wie wahrscheinlich, der Polymorphismus und die Trans form ation, d. i. der
wechselweise Ersatz von nervösen Störungen in verschiedenen Generationen,
oder ob die gleichartige Vererbung im Vordergrund steht. Als belastende
bezw. vererbbare Zustände gelten Geisteskrankheiten, Psychopathien, Nerven-
krankheiten, Alkoholismns, Apoplexie, Selbstmord, doch werden auch be-
züglich der Vererbbarkeit dieser Zustände Zweifel laut (z. B. über die be-
lastende Bedeutung des Alkoholismus). Am besten studiert sind die heredi-
tären Verhältnisse bei den Geisteskrankheiten, aber ein Eingehen in die vor-
liegenden Zahlen ergibt mannigfache Widersprüche. Auch mahnen die
hohen Zahlen nervöser Belastung bei Gesunden, wie sie Koller angegeben,
zur Vorsicht bei Verwertung statistischer Ergebnisse. Kontrovers wird ferner
die Frage, ob mehr Männer oder Frauen auf Grund erblicher Belastung er-
kranken, ob eine nervöse Affektion des Vaters oder der Mutter für die Nach-
kommenschaft bedenklicher ist. Nach Sommer würden auch die Stigmata
faereditaria eine Einschränkung erfahren. Von Interesse ist ferner die Mög-
lichkeit einer Degeneration hereditär entarteter Familien.
In den Schlusssätzen der mit reichem Zahlenmaterial belegten kritischen
Arbeit kommt Verf. zu dem Resultat, dass etwa in der Hälfte der Geistes-
krankheiten ererbte neuropathische Disposition als Ursache anzusehen ist,
dass auch erworbene Krankheiten ererbt werden können, dass aber verläss-
liehe Zahlen über diese Verhältnisse ebenso fehlen wie klinische Unter-
scheidungsmerkmale zwischen erworbenen und ererbten Geistes- bezw. Nerven
Störungen. Zappert.
Über familiäres Auftreten der progressiven Paralyse, Von Alexander Mare.
Alig. Zeitschr. f. Psychiatrie. 61. Bd. 5. Heft.
Die heutzutage fast allgemein — ausser von der Schule Krafft-Ebings
— ausgesprochene Annahme, dass progressive Paralyse durch Syphilis bedingt
sei, findet in vorliegender Arbeit eine Gegnerschaft. Verf. stützt dieselbe auf
das Vorkommen von Paralyse bei mehreren Generationen einer Familie. Er
hält es iür wahrscheinlich, dass die Paralyse als endogene Geistesstörung
auftreten kann und dass exogene Ursachen, als welche die Syphilis anzusehen
wäre, nicht vorhanden sein müssen.
Ob die Anhänger der Syphilisätiologie der Paralyse alle angeführten
Fälle als progressive Paralyse gelten lassen werden, muss dahingestellt
bleiben. Ebenso wird der Kinderarzt wenigstens dort, wo nur zwei
Generationen befallen werden, den Hinweis auf die hereditäre Syphilis ver-
missen. Zappert.
Einiges über die anatomischen Grundlagen der Idiotie, Von Alzheimer.
Centralbl. f. Nervenheilk. und Psychiatrie. August 1904.
Idiotie ist ein Sammelbegriff, unter den eine Anzahl von krankhaften
Zuständen eingereiht sind, die sowohl ätiologisch als anatomisch sich unter-
scheiden. Nur bei wenigen Formen der Idiotie ist man, wie etwa beim Myx-
ödem, imstande, ein ätiologisch zweifelloses Krankheitsbild aufzustelleki, meist
wird man auf die Ergründung der ursächlichen Momente verzichten und sich
einstweilen damit begnügen müssen, anatomisch die Grundlagen der Idiotie
VIII. Krankheiten des Nervensystems. 229
zu fixieren, um damit einen Ausgangspunkt für weitere Studien über Ätiologie,
Heredität etc. zu gewinnen. Eine gut ' bekannte Form der Idiotie ist die
paralytische, wenn auch bei jugendlichen Individuen die nAofpfropfang^
der Paralyse auf angeborenen Schwachsinn nicht selten ist. Von der Paralyse
wären anatomisch auch jene F&lle von meningitischer Idiotie abza-
grebzen, die wohl auf derselben Grundlage beruhen durften, aber manchmal
im Verlauf sowie im dem anatomischen Befunde sich von diesem Leiden
unterscheiden. Eine wettere gut bekannte Art der Idiotie ist die aman-
rotisch-e Idiotie kleiner Kinder, deren sehr charakteristischer Abiauf und
eigentümlicher, wenn auch noch nicht genügend geklärter anatomischer
Befand eine Verwechselung mit anderen Idiotieformen aasschliessen lässt.
Als besonderes Krankheitsbild wurde die hypertrophische tuberöse
Sklerose angesehen, bei welcher sich unter epileptischen Anfällen Be-
wegungsstörungen, Idiotie, ein langsam progredientes Leiden entwickelt
und anatomisch derbe Gliaanhäufungen im Gehirn sich vorfinden. .Eine
weitere Gruppe repräsentieren jene Fälle, bei denen Herderkrankungen im
Gehirn, namentlich auf Grund frühzeitig entstandener Encephalitis, eine
Idiotie bedingen. Am schwierigsten abzugrenzen sind jene Fälle von Idiotie,
denen eine Entwicklungshemmung des Gehirns zugrunde liegen soll.
Die früher oft ausgesprochene Auffassung, dass es sich hierbei um ein Ver-
harren des Gehirnes auf embryonaler Stufe handele, dürfte nach genauen
Untersuchungen solcher angeblich fötalen Idiotengehime doch nur für eine
Minderzahl von Fällen gelten. Häufiger sind Veränderungen an den Gehirnen
vorhanden, die als Reste einer alten Erkrankung anzusehen sind. Jedenfalls
sind diese Gehirne mit geringen oder unklaren Befunden noch weiterer
Untersuchungen wert, um die hierher gehörigen Fälle von Idiotie genauer
zu differenzieren. Zappert.
Über CysHcerkeu im Gehirn des Menschen, Von Tsuneji Sato. Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. 27. Bd. 1. und 2. H.
Auf Grund eigener sowie aus der Literatur gesammelter 128 Fälle
bringt Verf. eine auch für den Kinderarzt interessante Beschreibung dieses
Krankheitsbildes. Die aus dem Darminhalt in die Pfortader gelangenden
Finnen der Taenia solium setzen sich nächst der Muskulatur mit Vorliebe im
Gehirn an, wo bis 200 an einem Individuum gefunden wurden. Sie sollen
nach 3 — 6 Jahren absterben und pflegen dann zu verkalken. Oft machen sie
keinerlei Symptome und sind ein zufälliger Sektionsbefund, manchmal er-
zengen sie Epilepsie, die nicht selten mit psychischen Störungen vereint ist,
nfeist besteht anfallsweiser Kopfschmerz. Verf. sucht klinisch die Fälle von
Cysticerken an den Gehirnhäuten, der Hirnrinde, an den Ventrikeln und an
der Gehirnbasis zu trennen. Namentlich der Sitz in den Ventrikeln ist be-
denklich nnd führt manchmal plötzlichen Tod herbei. Die Diagnose ist fast
immer anbestimmt und könnte nur auf Grnnd von Cysticerkenbefunden an
anderen Organen gestutzt werden. Im jugendlichen Alter ist das Leiden
relativ selten. 7appert.
Über familiäre spastische Paraplegie, Von L. New mark. Deutsche Zeitschr,
f. Nervenheilk. 27. Bd. 1. und 2. H.
, Die übergrosse Kasuistik familiärer spastischer Lähmungen findet iiy
vorliegender Arbeit eine interessante Bereicherung. Die in zwei Familien
beobachteten Fälle zeigten den Charakter der rein spastischen Paraplegie ohne
2lW LiteratarberichU
sensible oder cerebrale Symptome. Anatomisch ergab sich in einem obdu-
zierten Falle eine Degeneration der Gol Ischen and Pyramidenstränge, die
Verf. als endogen auffasst, sowie eine hy dropische Quellang in den Hinter-
str&ngen, welche Verf. für sekundär entstanden h< Die Zellen der Clarke-
echen Säalen sind vermindert. In eingehender Weise bespricht Verf. die
Beziehungen dieser F&Ue zu anderen anatomischen Befanden bei familiirer
Paraplegie. Zappe rt.
Ober den „Pseudo-Teianus'^ der Kinder und seine Beaiekungen xum Tetanus
iranmaücus. Von M. Pfaundler. Monatsscbr. f. Kinderheiik. 1904.
Bd. 3. p. 198.
Ein lOjähriger Knabe erkrankte 4 Tage, nachdem ihm ein Kanalgitter
auf die blossen Fasse gefallen war, unter Hals- und Kopfschmerzen, Kiefer-
sperre, schliesslich heftigen Krampfan fällen mit Strecken der Arme und
Beine. Bei der darauf erfolgten Spitalsaufnahme traten in kurzen Zeit-
interrallen heftige tonische Krämpfe auf, die etwa 20 Sekunden dauerten.
Betroffen waren insbesondors die Masseteren, die Nacken- and Rnckenmuskeln,
die Addnktoren and Strecker der unteren Extremitäten; in etwas geringerem
Orade manche mimische Muskeln und die Bauchpresse; nahezn frei waren
die Muskeln der oberen Extremitäten, die äusseren Augenmuskeln und das
Zwerchfell. Das Schlucken erfolgte anstandslos: das Bewusstsein war voll-
kommen erhalten. Da die Möglichkeit eines traumatischen Tetanus bestand,
wurde die Wunde am Fusse lokal behandelt und ausserdem 100 Einheiten
Behrings Tetanus-Antitoxin subkutan injiziert.
Der Zustand bestand nahezu unverändert 14 Tage, worauf langsam die
Kontrakturen nachliessen: in der vierten Woche kehrte die normale Be-
weglichkeit der einzelnen Extremitäten wieder.
Von besonderem Interesse sind die mitgeteilten bakteriologischen
Untersuchungen: Im Eiter der Wunde und im kranken Gewebe konnten trotz
sorgfältiger und eingehender Nachforschung keine Tetannsbazillen, im Blate
auf der Höhe der Erkrankung kein überschüssiges Tetannstoxin und 4 Monate
nach Ablauf der Erkrankung kein überschüssiges Tetanusantitoxin nach-
gewiesen werden.
Trotzdem neigt Pf. auf Grund der klinischen Beobachtung zu der An
nähme, dass der „Pseudotetanus" der Kinder dem Tetanus tranmaticus ätio-
logisch sehr nahe steht und von der Gruppe der Tetanieerkrankungen los-
zulösen sei. Schleissner.
Un cas d*atrophie musculaire progressive ckez un enfani de cinq ans. Von
M. L. Barbonneix. Archives de medecinc des cnfants. Tome 7. No. 6.
Juin 1904.
Die eingehende Analyse eines interessanten, atypischen Falles von
progressiver Muskelatrophic (seit unbekannter Zeit bestehen bei dem fünf
jährigen Knaben Zeichen fortschreitender Muskelatrophie, besonders an den
kleinen Muskeln der Hand, aber auch angedeutet an Armen und Beinen;
dabei sind alle Sehnenreflexe erhöht, es bestehen anderweitige trophische
Störungen und Nystagmus; Intellekt normal, keine choreatischen Bewegungen,
keine fibrillären Zuckungen) lässt den Verf. zur Annahme gelangen, dass
dem Krankheitsbilde eine disseminierte Sklerose (amyotrophischer Typus)
zugrunde liege. Pfaundler.
IX. Krankheiten des Auges, des Ohres and der Nase otc. 231
IX. Krankheiten des Ausres, des Ohres und der Nase.
SemerkmigeH über Häufigkeii und VerküHmg^ der Biennarrkoea tuonatorufH,
Von Winterst ein er. Wiener klin. Wocheoschr. No. 37. 1904.
Unter 2483 aagenkranken Kindern fanden sich 122 (5 pCt.) blennor-
rhoiaohe. Nicht bei allen hätte das G rede sehe Verfahren die • Krankheit
Terhindem können; denn einerseits brachten zwei Kinder die Krankheit be-
reits mit auf die Welt, andererseits war bei 40 Kindern die Blennorrhoe erst
nach dem 5. Tage aafgetroten, war also durch Infektion (durch das Lochial-
Sekret) nach der Geburt zustande gekommen. Für solche Fälle ist natür-
lich die prophylaktische Instillation von Silbernitrat nutzlos; die Prophylaxe
jnüsste sich auf die ganze Zeit des Wochenbettes erstrecken.
Was die Therapie anbelangt, so hat sich 1 — Sstündliche Ausspülung des
Bindehautsackes mit einer hellweinroten Kalium-hypermanganicum-Lösung,
sowie 1 — 2 mal täglich zu wiederholende Tuschierung der Bindehaut mit
2proz. Höllensteinlösung vorzüglich bewährt Neurath.
X. Krankheiten der Respirationsorgane.
/Fremdkörper im Sinus pyri/ormis. Von G. Singer. Kinderheilkunde 1904.
Der 4jährige Knabe schluckte aus Versehen im Wasser eine Nadel
und hat seither Schluckbeschwerden und blutig schleimigen Auswurf. Die
Nadel war um ein Geringes tiefer als der Kehlkopfeingang, links horizontal
im Sinns pyriformis, mit dem Kopfe an der Basis der Epiglottis anlehnend.
Ein Röntgenbild machte die Lage ersichtlich. Extraktion gelang leicht in
Ohloroform-Narkose mit einer krummen Komzange. Torday.
XL Krankheiten der Zirkulationsorgane.
^ur Lehre von den angeborenen Herzkrankheiten, Von Herrn. Müller.
Correspondenzbl. f. Schweizer Arzte. 1904. No. 12 und 13.
Verf. stellt aus seiner eigenen Beobachtung 9 Fälle von angeborener
Lücke der Kammerscheidewand zusammen, einer Diagnose, die er mit
•einer Ausnahme in vivo stellen konnte, und erörtert Diagnose und Prognose,
wobei er im wesentlichen zu übereinstimmender Ansicht mit Henri Roger
kommt, der zuerst das klinische Bild der Krankheit scharf gezeichnet hat
(Maladie de Roger). Wesentlich für die Diagnose ist vor allem der Ans-
kaltationsbefund: ein lautes, eigentümlich rauschendes oder brausendes, lang-
gezogenes Geräusch ist überall über dem Herzen im ganzen Verlauf der
Systole hörbar, oft zugleich mit dem systolischen Ton, der besonders deut-
lich hervortritt, wenn das Ohr sich ein wenig vom Stethoskop abhebt; auch
■auf dem Rücken ist das Geräusch hörbar, besonders deutlich im linken
Interskapularraum. Am lautesten hört man das Geräusch, und das ist von
grösster diagnostischer Wichtigkeit, über der Herzmitte, am linken Sternal-
rand, etwas unterhalb der 3. Rippe, da wo die Projektionsstelle der Kammer-
scheidewand und die Lücke im Septum liegt. Über den Stellen dagegen,
wo man die Auskultation der verschiedenen Klappen vernimmt, ist das Ge-
räusch weniger stark als an der oben bezeichneten Stelle der Herzmitte.
In den meisten Fällen ist gleichzeitig ein systolisches Schwirren an der-
selben Stelle zu fühlen. Die Perkussion ergibt nichts Konstantes, in den
späteren Jahren bildet sich bei solchen Kranken mit offenem Kammerseptum
232 Literatttrbericbt.
meistens eine massige YergrösseroDg heraus. Gyaoose, Ödeme oder sonstig»
Beschwerden fehlen meistens, die Prognose ist überhaupt ziemliQh gut;.
Verf. hat mehrere Kranke jahrelang in seiner Beobachtung, darunter eine
Dame von 28 Jahren, die bereits geboren bat. Wesentlich erleichtert wird
natürlich die Diagnose, wenn der Patient bald nach der Geburt zur. Unter-
suchung kommt. R. Rosen.
Ein Fali von <iHgeborener KomtnunikoHon zwischen Aorta und Arieria pul--
monoHs fnit gleichgeiüger AneurysmMldung des gemeinschaßlicken Sepiums,
Von Oberwinter. Münch. med. Wochenschr. No. 36. 1904.
Es handelte sich um eine aneurjsmatische Ausbuchtung der der Aorta
und Pulmonalis gemeinschaftlichen Wand nach der Seite der Pulmonalis hin^
an deren tiefster Stelle eine Öffnung Ton Vi cm Durchmesser eine direkte
Kommunikation beider Gefässe vermittelt. Obwohl die vorhandene Kommuni-
kationsöffnung als kongenital aufgefasst werden muss, waren irgend welch»
Symptome während des 40 jährigen Bestehens des Vitiums nicht zu eruieren..
Mitteilung der crhobcnon klinischen Daten mit. ausführlichem Sektions-
protokoli. Misch.
Üier vier Fälle von Herakomplikation ( Bndocarditis) Sei epidemischer Parotitis
(Mumps). Von R u d o 1 f Ta t s c h n e r. Wiener med. Wochenschr. No. 31.
1904.
Die Fälle betrafen vier Geschwister. Die Herzkomplikation wurde^
erst längere Zeit nach Ablauf der Parotitis konstatiert. Neurath.
Idiopatkiscke Pulsarhythmie im Kindesalter, Demonstr. von Escherich.
Mitteilungen der Gesellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde.^
No. 11. 1904.
Im Anschluas an eiuen demonstrierten Fall erörtert £. die idiopathische
Pulsarhjthmie, die ohne sonstige Symptome bei 5 — r2jährigen Kindern vor-
kommt und später verschwindet. Meistens lässt sich insofern eine abnorme
Verschieblichkeit der oberen Grenze der absoluten Herzdämpfung und des
Spitzenstosses nachweisen, als erstere beim Übergang vom Stehen zum Liegen
aus der Höhe des oberen Randes der 4. Rippe zum unteren Rand der 5. Rippe
und letztere vom 4. Interkostalraum hinter die 5. Rippe sich verschiebt.
Neurath.
ÜSer die Hersarhythmie der Rekonvalessenten Von S. Salaghi. Monatsschr.
f. Kinderheilk. Bd. IlT. 1904. p. 1.
Die Details der Arbeit, der zahlreiche Pulskurven beigefügt sindr
müssen im Original eingesehen werden. Schleissner.
XII. Krankheiten der Verdauungsorgane.
Taenia cucumerina bei einem Kinde, Von B. Freriks und C. W. Broers.
Weekblad Nederl. Tijdschrift voor Geneeskunde. No. 1. II. 1904.
Kasuistische Mitteilung. Das zweijährige Kind war wahrscheinlich
vom Haushuude, der auch eiue Taenia cucumerina beherbergte, infiziert
worden.
Der Parasit kommt beim Menschen nur ausnahmsweise vor. Im ganzen
fiudet man in der Literatur etwa 25 Fälle.
Cornelia de Lange -Amsterdam.
Durch B, coli hervorgerufene Appetidicitis, Von Schwoner. Demonstr. Mitt^
der Gesellsch. f. inn. Med. n. Kinderheilk. in Wien. No. 11. 1904.
Der Fall, ein 12 jähriges Mädchen betreffend, setzte unter fieberhafter
XII. Krankheiten der Verdaliungsorgane. 23$
Angina ein and entwierkeite sich ssum vollen Bilde der Appendicitis.
Der nach der Operation antersuohte Appendix zeigte von aussen normalen
Befand, bakteriologisch und histologisch ergab sich B. coli in und nnter der
Mocosa als Erreger; eine Darch Wanderung der Darmschichten hatte nicht
stattgefunden. Bs müssen daher die Toxine den entzündlichen Reiz gesetzt
haben. Nearath.
Über die akute DarminvagifuUum im Kindesalier. Von S. Kreide!. Die-
Heilkunde. Sept. 1904.
Die Diagnose der akuten Invagination ist leicht, schwerer der Befund
des Tumors. Die Prädilektionsstellen Flexur, Rectum, Coecum, die drei
Colonstrecken. Naturheilung durch Abstossung ist im 1. Lebensjahre nur in.
2 pCt., vom 2. — 5. in 6 pGt. der Fälle beobachtet worden. Daraus ergibt sich
die Dringlichkeit der Behandlung. Die Operationsprognose ist schlecht für
Kinder, noch schlechter aber bei zu langem Zuwarten (über 24 Stunden),,
namentlich ist hier der postoperative Shok zu fürchten. Luft- und Wasser-
einblasungen sind von wenig Nutzen. Von 12 Fällen (10 im ersten Lebens-
jahre, 2 wenig darüber) wurden 9 operiert (genesen 1), 3 nicht (genesen 1),.
ein Todesfall erfolgte an Perforation, 9 im Gollaps. Spiegel b erg.
Über einen Fall von Laennecscher Leber-Cirrhose bei einem 13 jährigen Knaben,
Von J. F. Ph. Hers. Weekblad. Nederl. Tijdschrift voor Geneeskunde.
No. 6. n. 1904.
Unter den Augen Verfassers entwickelte sich das klassische Bild der
L.^8chen Girrhose. Im Anfang war die Leber gross, glatt mit scharfem Rande,
die Milz aber nicht vergrössert. Allmählich vergrössert sich die Milz, ea
erscheint ein starker Ascites, die Bauchvenen erweitern sich, die Leber wird
kleiner mit höckriger Oberfläche. Ikterus hat immer gefehlt. Der Knab»
war während 1^« Jahre unter Verfassers Beobachtung; im ersten Jahre fühlte
er sich subjektiv sehr wohl. Der Exitus letalis erfolgte unter dem Bilde tiefster
Erschöpfung, nachdem der Ascites 6 mal punktiert worden war. Keir»
Abusus spirituosorum in der Anamnese.
Gornelia de Lange- Amsterdam.
Ein Beitrag sur Kenntnis der primären Peritonitis im Säuglingsalter. Von
E. Do bei i. Gorrespondenzblatt für Schweizer Ärzte. 1904. No. 14.
Es wird die Krankengeschichte eines 11 wöchigen, männlichen Kindes
mitgeteilt, das an Peritonitis erkrankte und nach wenigen Tagen starb;
die Sektion ergab allgemeine eitrige Peritonitis ohne irgend welche besondere
Herderkran kung, speziell Wurmfortsatz, ebenso Nabel normal; Magendarm-
kanal ohne Besonderheiten. Die bakteriologische Untersuchung des Eiter»
ergab nur Streptokokken. Verf. ist der Meinung, dass als wahrscheinliche
Eintrittspforte des Virus die Darmschleimhaut anzusehen ist, die im Säuglings-
alter für Bakterveu leicht durchgängig ist. Das Kind hatte schon vor der
ärztlichen Beobachtung nach Angaben der Mutter an Magendarmstörungen
gelitten. R. Rosen.
XIU. Krankheiten Mer Harn- und Gesehleehtsorgrane.
Ober die Beekscke Methode der ffypospadieoperation. Von Bottiche r.
Deutsch, med. Wochenschr. No. 36. 1904.
Das Prinzip derBeckschen Methode besteht in Freipräparierung und
Vorwärtsdislozierung der Urethra; sie ergibt so gute Endresultate, dass sie
234 Liuratarbericht.
aJle anderen für die Hypoapadie empfohlenen Methoden entbehrlich macht;
sie kann schon in den ersten Lebensmonaten der Kinder gUniende
Resnltate liefern; doch ist es in der Giessener Klinik die Regel, die Kinder
«rst im dritten Lebensjahr, als unterer Altersgrenze, za operieren.
Misch.
Ein typischer Fali von MenstruaHo praecox. Von Adolf Stein. Deutsch,
med. Wochenschr. No. 35. 1904.
Vierzehn Monate altes Mädchen, bei dem seit dem sechsten Monat
Tierwöchentliche Blutungen beobachtet werden. Beide Mammae als Fett-
brüste entwickelt: Genitalien gross und behaart. Mit Abbildung.
Misch.
Mensiruaiio praecox und Ovarialsarkom, Von Hermann Riedl. Wiener klin.
Wochenschr. No. 35. 1904.
Der Fall betraf ein 4 jähriges Mädchen mit regelmässiger 4 monat-
licher Menstruation und allen körperlichen Symptomen der Reife. Ein vom
linken Ovarinm ausgehendes medulläres Rundzellensarkom mit Erweichungs-
zyston wurde per Inparotomiam entfernt. Nach vier Monatcu Rezidive.
Neurath.
XIV. Krankheiten der Haut.
Vmügo Sei einem drei Tage alten Neugeborenen. Von P. W. Schukowski.
Monatsschr. f. Kinderheilkunde. 1904. Bd. III, p. 68.
Bei einem kräftigen, neugeborenen Mädchen bemerkte Seh. am dritten
Lebenstage 10 bis 12 Flecke, die über die obere Körperbälfte zerstreut
waren, in hohem Masse an typische Vitiligoflecke erinnerten und sich von
diesen letzteren nur dadurch unterschieden, dass sie nicht hellweiss oder
silberfarben, sondern gelblich waren, und zwar infolge des bestehenden
Icterus neonatornm; auf dem dunkelroten Untergrunde traten die Flecke
ausserordentlich deutlich hervor, besonders beim Schreien des Kindes. Ob
die Flecke schon bei der Geburt bestanden, oder erst am zweiten Lebens-
tage plötzlich auftraten, lässt sich, da das Kind vorher nicht genau unter
sucht wurde, nicht entscheiden. Im Alter von 11 Monaten zeigten sich die
Flecke typisch milch weiss. Schleissner.
Ein Versuch, die Frequenz von Favus capitis, Trichophytia capitis und Mikro-
sporie bei Schulkindern au beschränken. Von J. A. van der Wijk.
Weekblad Nederl. Tijdschrift voor Geneeskunde. No. 17. I. 1904.
Nach Verfassers Untersuchungen gab es in Amsterdam im Jahre 1901
mindestens 1000 Kinder mit Favus. Bei diesen wurden nur 6 bis 7 pCt.
Heilungen erreicht.
1903 hat die Stadt Amsterdam unter Leitung van der Wijks eine
gut eingerichtete Favuspoliklinik eröffnet.
Die Diagnose der Pilzkrankheiten wurde stets makroskopisch und
mikroskopisch gestellt. Die Kinder, welche unter poliklinischer Behandlung
standen, durften nur mit einem gut abschliessenden Kopfverbande die Schule
besuchen.
Vom 15. Februar bis 15. Dezember 1908 wurden eingeschrieben
305 Favuspatienten, bei welchen in 60 bis 80 pCt. die Heilang erreicht
wurde nach einer Behandlung von 8 bis 10 Monaten. Die kürzeste Dauer
einer Behandlung, in welcher die Heilung gelang, war 2 Monate. Die
mittlere Zahl der Konsultationen für jedes Kind bis zur Heilung betrug 43.
Der Fortschritt gegen früher ist schon bedeutend, aber Verfasser
XIV. Krankheiten der Haat. 235
wönseht die Errichtang Ton noch mehreren Favaspolikliniken ao anderen Orten
der Stadt and von einer FaTusschale im Sinne der „Ecole Lailier** in Paris.
Cornelia de Lange -Amsterdam.
Oh4r Hauidipkikerien im KUuLesalUr. Von Emerich Adler. Wiener med.
Wochenschr. No. 25 ff.
Unter Hautdiphtherien sind alle aaf der äusseren Haut auftretenden
entzündlichen Affektionen zu verstehen, die durch Diphtheriebazilleu und
deren Produkte hervorgerufen werden. Sie können als echte Diphtherie auf
der Haut entstanden oder von benachbarten Schleimhäuten her fortgeleitet
sein. Verf. bringt vier selbst beobachtete Fälle.
Als primäre Hautdiphtherie wären die Fälle zu bezeichnen, in denen
ausser der typischen Hautaffektion keine anderen, mit Schleimhaut bekleideten
Organe an Diphtherie erkrankt sind, eine nicht immer leichte Konstatierung.
Die , echten" Hautdiphtherien können primäre oder sekundäre sein, die ,fort-
geleiteten** sind immer sekundäre Erkrankungen.
Die Übertragung der Diphtheriebazillen auf die Hautober fläche kaun
erfolgen: durch Autoinoknlation, durch Übertragung von leblosen Gegen-
ständen mittelst direkter Kontaktwirkung, endlich durch Übertragung von
Individuum zu Individuum. Je nach dem Alter des betr. Patienten kommt
bald der eine, bald der andere Modus in Betracht.
Die Autoinokulation kommt am häufigsten im Säuglingsalter und in
den ersten Lebensjahren zur Beobachtung.
Klinische Erfahrungen und Tierezperimente berechtigen zu folgenden
Scb lassen:
Die Hautdiphtherien sind spezifische Erkrankungen, hervorgerufen
durch die Klebs-Loefflerschen Diphtberiebazillen und deren Stoffwechsel-
produkte. Nur diejenigen Erkrankungen der Haut, wo nebst dem klinischen
Bilde auch echte Diphtheriebazillen nachgewiesen werden, können als Haut-
diphtherien bezeichnet werden; die Hautdiphtherien können auch als idio-
pathische Erkrankungen auf intakter Huutoberfiäche entstehen, obwohl in den
meisten Fällen eine krankhaft veränderte Haut (Kontinuitutbstörungen,
Wunden, Ekzeme, Impfpusteln etc.) den Boden zur Entstehung von Haut-
diphtherien abgibt; da Bakterientoxine von der Haut aus resorbiert werden,
so können auch bei primären Hautdiphtherien ohne Mitbetoiligung der
Schleimhäute als Folgeerscheinungen postdiphtheritische Lähmungen auf-
treten, und infolge von Herzlähmung der Tod. Es sind daher alle Fälle von
Hantdiphtherie rechtzeitig mit Diphtherieheilscrum zu behandeln.
Neurath.
Liehen des scrofuleux ( Tuberculides cutaneesj. Von J. Comby. Archives
de medecine des enfants. Tome 7. No. 4. April 1904.
C. beschreibt an der Hand von 5 Fällen eigener Beobachtung die im
Titel genannte Affektion. Der Liehen scrophulosorum ist der Kindheit eigen-
tümlich. Er tritt bei Kindern mit älteren latenten Tnberkuloseherden auf,
wenn irgendwelcher interkurrente Infekt — sehr häufig handelt es sich um
Masern, seltener um Keuchhusten — den Anstoss zu neuerlicher Propagation
des Prozesses gegeben hat. Auf Grund vereiuzelter positiver Befunde
(Hauahalter) und des anatomischen Bildes hält C. die Lichen-Effioreszensen
für echte Hauttaberkel, deren bazilläre Natur nicht mehr anzuzweifeln
sei. Der Liehen scrophulosorum entsteht zumeist plötzlich in einem oder
mehreren Schüben. Die Krankheit setzt keine subjektiven Erscheinungen
und wird daher meist zufällig entdeckt. Man findet an den Extremi-
236 Literaturbeficht.
täten oder im Gesichte kleine, stark pigmentierte, rötliche oder schwärzliche,
rnnde oder ovale, etwas vorragende, zumeist isolierte, manchmal gruppierte
papuläre Effloreszenzen. Dieselben sind teils mehr flach, teils konisch, be-
deckt von einem Itrüstchen, einem verhornten Knöpfchen oder einem rasch
austrocknenden Bläschen. Die Eruption kann durch Monate bestehen bleiben.
Die Effloreszenzen sind der spontanen spurlosen Rückbildung fähig; Rezidiv»
werden häufig gesehen. An den unteren Extremitäten Werden die Knötchen
bei nicht bettlägerigen Kranken häufig hämorrhagisch. Die Prognose des
Liehen scrophulosorum als solchen ist günstig. C. wendet örtlich Ichthyol-
Vaselin (lOproz.) an und legt im übrigen den Hanptwert auf die Behandlung
des zugrundeliegenden Allgemcinleidens.
Pfaundler.
De lä dermatiU kerpeüforme de Duhring-Brocq chez i*en/aut. Von J. Halle.
Archives de medecine des enfants. Tome 7. No. 7. Jnli 1904.
Auf Grund persönlicher Erfahrungen und Studien der einschlägigen
Literatur beschreibt der Verf. die im Titel genannte, in der ganzen Kindheit,
zumal jenseits des 3. Lebensjahres allenthalben ziemlich häufige, niemals
angeborene, mitunter aber familiär auftretende Dermatose. Sie wird ins-
besondere bei neuropathischen Individuen oder Belasteten angetroffen, nicht
selten bald nach dem Überstehen eines Infektes (z.B. des Vaccinationsprozesses).
Im Beginne zeigen sich schmerzhafte, erythematöse, urticaria-ähnliche
Papeln oder Blasen mit klarem Inhalte an verschiedenen Körperstellen
(Vorderarmen, Händen, Füssen, Unterleib, Gesicht, mitunter auch auf den Schleim-
häuten von Mund, Nase, Bindehaut und Scheide). Die Eruption ist aus-
gesprochen polymorph und erfolgt in Schüben oder Anfällen. Die genannten
primären Effloreszenzen wandeln sich weiterhin in Pusteln, Schuppen, Pigment-
flecke, Narben etc. um. Begleit- und Folgeerscheinungen sind Erysipel,^
Abszesse, Furunkel. Von subjektiven und Allgeniein-Erscheinungen nennt
Verf. Jucken, brennende Schmerzen der Haut, Erbrechen, Abführen, Fieber,
Hypazoturie, Albuminurie, Asthma. Asthma und Bronchitiden, sowie nervöse
Erscheinungen verschiedener Natur scheinen aber auch gewissermassen als
Äquivalente der Anfälle und mit diesen alternierend aufzutreten. Der Verlauf
der Krankheit ist ein intermittierender, ihre Dauer ist meist eine sehr lange.
Sehr selten kommt die Erkrankung im Kindesalter, manchmal in der Pubertät
zur Ausheilung. Die aufeinanderfolgenden Anfalle nehmen in solchen Fällen
successiv an Intensität ab. Selten führt die Krankheit zum Tode bei ausser-
ordentlich schweren Hautlusionen oder auf dem Wege einer eigenartigen
Kachexie. Interkurrente Krankheiten (wie z. B. Masern) scheinen auf den
Verlauf oft günstig einzuwirken.
Was die Pathogenese betrifft, so hat man die bakterielle Theorie auf-
gegeben, vermag die nervöse Theorie nicht zu stützen und neigt heute meist
zur Annahme eines toxischen Ursprunges der Erkrankung (Analogie mit
gewissen medikamentösen Intoxikationen).
Die Diagnose wird gemacht auf Grund der Beobachtung der äuilserst
polymorphen Hauterscheinungen, der begleitenden Schmerzen, des anfalls-
weisen Auftretens und der langen Dauer der Erkrankung. Im einzelnen An-
falle kommen differential-diagnostisch in Betracht: Skabies, Prurigo, Varicellen,
Pemphigus, medikamentöse Ausschläge (Jod, Brom), Urticaria, insbesondere
aber gewisse polymorphe, blasige Erytheme.
Therapie: Bäder, einfache Salben, Brandliniment, Puder. Im übrigen
allgemeine hygienische Massnahmen. Pfaundler.
XV. Krankheiten der Bewegungsorgane. Verletzungen. 237
XV. Krankheiten der Bewegangsorgane. Verletzungen.
Chlrargisehe Krankheiten.
Ober die Fortsckriiie in der Behandlung schwerer Kinderlähmung und ihrer
Folgesustände, Von 0. Vulpius. Monatsschr. f. Kinderbeilk. 1904.
Bd. 3. p. 193.
Der Vortrag bespricht die Leistungsfähigkeit der Arthrodese und
Sehnenplastik bei ausgedehnten Lähmungen. Vier Illustrationen zeigen die
erhaltenen schönen Resultate der Operationen bei schweren Fällen.
Schleissner.
XVI. Hygiene. Statistik.
Vorläufige Mitteilung über die Impfung unter rotem Lichte, Von Hugo
Goldmann. Wiener klin. Wochenschr. No. 36. 1904.
Die Impfungen wurden in einer photographischen Dunkelkammer bei
Rotlichtlampe yorgenommen, und die Impfstellen sofort unter Einlegung von
lichtempfindlichem Papier (zur Kontrolle) mit dichten roten Binden ver-
banden. Von 40 Kindern wurden 20 unter Kotlicht geimpft und bis zu drei
Wochen mit dem uneröffneten Verbände belassen. Bei zehn wurde ein Arm
unter Rotlicht, der andere bei Tageslicht geimpft, bei fünf Kindern blieb
der Rotiichtverband nur zwei Tage liegen, bei fünf Kindern wurde erst drei
Tage nach der Impfung der Verband angelegt.
Bei unter Rotlichtverband gehaltenen Impfpusteln, sei e«, dass der
Verband sofort oder erst nach drei Tagen angelegt wurde, Hessen sich alle
entzündlichen Erscheinungen, Eitrigwerden des Inhaltes, Schwellung and
Rötung des Armes, Drüsenschwellung vermissen. Wenn jedoch einige Tage
nach der Impfang der Verband entfernt wurde, Hess sich keine Änderung
des gewöhnlichen Impfverlaufs konstatieren. Die Rotlichtimpfung hatte, wie
Kontrollimpfungen, nach wenigen Wochen vorgenommen, zeigten, eine voll-
ständige Immunisierung im Gefolge. Neurath.
^ur ^Impfung unter rotem Lichte". Von Gustav Hay. Wiener klin.
Wochenschr. No. 38. 1904.
Autor bezweifelt die Wirksamkeit der unter rotem Lichte gesetzten
Impfpusteln und sieht gerade in der Reaktionslosigkeit der Pusteln den
Beweis für die mangelhafte oder nur vorübergehende Immunität.
Neurath.
Theorie und Praxis der Karenz des Schulbesuches nach akuten InfekÜoms-
kränkkeUen, Von Rudolf Fi seh 1. Monatsschr. f. Kinderheilkunde. 1904.
Bd. III, p. 105.
Die bisherigen Massnahmen zur Verhütung der Weiterverbreitung der
Infektionskrankheiten in der Schule sind nicht absolut ausreichend, selbst
wenn die verschiedenen Verordnungen, welche die Wiederaufnahme der
Schaler nach überstandener Infektionskrankheit regeln sollen, eingehalten
werden. In praxi aber wird nicht immer mit der erforderlichen Strenge
vorgegangen, so dass viele Kinder noch infektionstüchtig die Schule wieder
besuchen. F. zeigt an anschaulichen Tabellen für eine Prager Schule das
Verhalten für die einzelnen Krankheiten ; danach nimmt mehr als die
Hälfte der Schüler am Unterrichte wieder teil zu einer Zeit, da die
Infektiosität noch nicht erloschen ist. F. fordert gegen diesen Übelstand
•entschiedene Massnahmen: Regelung der Karenztermine und strenge Ein-
haltung derselben; bei jedem Erkrankungsfall eine ärztliche Bescheinigung
über die Art der Erkrankung. Schleissner.
Besprechungen.
Sehmidt, H- B., Kompendium der RdnigeHikerapU, Berlio. 1904. Hirachwald.
Eine kurz und popnUr gehaltene, übersichtliche, auch die neuesten
Errangenschaftea der Technik berücksichtigende Darstellung desSöntgen-
instramentarinms, seiner Handhabung nnd der sieh daraus ergebenden
Pachansdröcke bildet die erste H&lfte des kleinen, lesenswerten Bnches.
Der zweite, gleich umfangreiche Teil gibt zunächst einen kurzen
Überblick über den Entwicklungsgang der Röntgentherapie. Dem an-
fönglichen Enthusiasmus über die allgemeine Anwendbarkeit der Röntgen-
strahlen zu therapeutischen Zwecken folgte die ernächtemde Einschränkung
auf ein engumgrenztes Gebiet, gemäss der selektiven Wirkung des Röntgen-
lichtes auf bestimmte zellige Gebilde.
Eine eingehende Schilderung erßihrt dann die Röntgendermatitis
in ihrer akuten nnd chronischen Form mit deren yerschiedenen Stadien;
wenn dieselbe bei den heutigen Schutzvorrichtungen auch seltener als an-
fangs beobachtet wird, so verdient sie schon deshalb eine besondere
Würdigung, weil sie der Ausgangspunkt f&r die rein empirische Methode
der Röntgentherapie wurde und bei falscher Anwendung derselben auch
heute noch entstehen kann.
Der Behandlungsmethode ist naturgemäss ein grosser Teil dieses
Abschnitts eingeräumt;. die beiden Methoden der täglichen Bestrahlung mit
wenig wirksamen und der seltenen Bestrahlung mit wirksamen Röhren
werden kritisch gegeneinander abgewogen, letzterer der Vorzug gegeben
und die eyentuellen Schädigungen bei zu langer Exposition eingehend be-
sprochen; wenn man hier sieht, welche Unmenge von Faktoren (Qualität,
Quantität des Lichtes — Dauer und Stärke der Belichtung — Art, Stellung
und Entfernung der Röhre — Schutzvorrichtungen) erwogen werden müssen^
um den erwünschten therapeutischen Effekt — nicht mehr nnd nicht
weniger — zu erzielen, so teilt man die Ansicht Lessers in dem Vorwort
zn vorliegendem W^erkchen, dass dieses Gebiet, da es eine ungemein ge-
naue Beherrschung der Technik erfordert, nur in den Händen des geübten
Spezialisten segenbringend wirken kann. Ja, selbst diesem kann das
tückische Röntgenlicht mitunter ein Schnippchen schlagen, weswegen eine
vorherige Benachrichtigung des Patienten über eventuelle kleine Haut-
verändernngen angeraten wird.
In einem letzten Abschnitt werden die Indikationen für die An-
wendung des Köntgenlichtes bei den verschiedenen Krankheiten gegeben
Neben den Erkrankungen des Haarbodens (Favus, Sjkosis, Trichophytie,
Hjpertrichosis) sind es hauptsächlich die bösartigen epithelialen Gebilde
welche unser Interesse in Anspruch nehmen. Leider hilft das Röntgenlicht
Besprechangeo. 239
bis jetzt nur bei oberflächlichen Carcinomen, bei Lapas ist die angenehmere
Finsenbehandlang vorzuziehen, und bei Sarkomen ist es, gemäss der geringen
Affinität zu den bindegewebigen Elementen, leider ganz erfolglos. Die
neueste Anwendnng bei inneren Krankheiten (Leukämie, Hodentuberkulose
wird zum Schlnss nur ganz kurz gestreift.
Anfänger wie auch Eingeweihte dürften nicht bereuen, diesem
Werkohen einige Augenblicke gewidmet zu haben.
A. H. Kettner- Berlin.
NoMeoarty P., Les infectUms digesiifoes des naurrissons. Medecine pratique.
I. Teil. Paris. 1904. A. Joanin & Cie.
Das kleine, handliche, 210 Seiten umfassende Werkchen ist der
1. Teil einer Serie, die unter dem Namen von Prof. Hut ine 1 herausgegeben
und in der Absicht geschrieben ist, in klarer and präziser Weise das zu-
sammenzufassen, was man in den einzelnen Krankheitsgebieten heute weiss..
Die einzelnen Autoren gehen dabei von wesentlich praktischen Gesichts-
punkten aus. Das ganze Werk soll nach seiner Vollendung ca. 52 Bände
umfassen.
In einer Einleitung gibt N. eine kurze Übersicht über die Entwicklung
der modernen Lehre von den Magen-Darmstörungen der Säuglinge und
eine Statistik über die Mortalität der Säuglinge in Frankreich bei Darm-
erkranknngen, woraus hervorgeht, dass die Sterblichkeit gegen fAiher fast die-
selbe geblieben ist. Die Ursachen dieser entmutigenden Erscheinung findet K.
hauptsächlich in der noch viel zu wenig verbreiteten Kenntnis der Er-
nährnogsprinzipien und der Behandlung der Verdauungsstörungen, und or
sieht den Beweis hierfür in den guten Resultaten der Krippen und ver-
schiedener Säuglingspolikliniken. — Hierin wird man dem Verf. gerne bei-
stimmen, wenn auch ohne Zweifel noch andere Faktoren hier mitspielen
(bjgienische Zustände verschiedenster Art, Abnahme des Stillens in den
grösseren Städten, erhöhte Disposition auf hereditärer Basis etc.).
In folgenden Kapiteln spricht Verf. über die Disposition der Säuglinge
zu den Verdauungskrankheiten und den Apparat chemisch-physikalischer
Schatzmittel, über welche der Organismus des Säuglings verfügt (Chemismus
der Verdauung, Mechanismus der Drüsentätigkeit und Einfluss des Reaktions-
modus der Gewebsarten und Säfte auf die Widerstandsfähigkeit des Magen-
Darmkanals).
Daran anschliessend werden die phjsiologischeu und pathologischen
Darmmikroben ausführlicher in gesonderten Abschnitten behandelt. Hier
sei kurz N.'s Stellungnahme zur Bedeutung des Coli-Bazillus des Interesse»
halber wiedergegeben. Er schreibt am Schluss: „Keine der bakteriologischen
Untersuchungsmethoden erlaubt uns zur Zeit, die Rolle der Golibazillen in
der Genese der Magen-Darminfektionen sicher zu stellen. Gleichwohl
glauben wir, dass ihre Mitwirkung nicht absolut von der Hand zu weisen
ist und dass, wenn der Beweis dafür nicht erbracht ist, sie dennoch wie
andere Keime im Darm beteiligt sein können. Jedenfalls ist der Coli-
bazillus ein ziemlich häufiger Erreger von Sekundärinfektionen. " Ätiologie
und Pathogenie, klinische und anatomische Formen der Magen-Darm ~
infektionen beschäftigen Verf. in Kap. 5 und 6.
240 Be«precliiiJigea.
EnUproeheod den bekannten {nrnzöBischen Anschaanngen ist auch
hier an der Einteilang der Krankheitaformen nach dem kliniaehen Bild«
festgehalten. Bei den ahnten nod anbaknten Erkrankungen unterscheidet
N. eine leichte Form (Dyspepsie), eine fieberhafte (ButerokatarrhX eine
algide (Cholera infantum) und eine dybenteroide oder mnco-membranöse
(Enteritis follicularis). — Die Schilderung der klinischen Bilder ist wohl
etwas magerer ansgefalleo, als wir wüuschen möchten. Jedoch ist alles
Wichtigste erw&hnt.
Kapitel 7 bringt eine Analyse der Symptome, eine kurze Schilderung
<ler KomplikatioDen und der L&sionen der wichtigsten Organe in ausführ-
licherer Form. Den Abschlnss bilden Diagnose, Prognose und Therapie,
▼on denen die letzte nicht nach den Krankheitsformen, sondern nach den
Mitteln zur Behandlung geordnet ist und mit der nötigen Gründlichkeit und
kritischen Würdigung ihres Wertes besprochen.
Alles in allem hat Verf. eine dankenswerte Aufgabe erfüllt, und ich
zweifle nicht, dass auch mancher deutsche Arzt, der sich für Säuglings-
krankheiten interessiert, dieses kleine Buch gerne in seinen Bibliothekschatz
aufnimmt, da es ihm ermöglicht, sich rasch über diese und jene wichtigere
Frage zu orientieren. Teuf fei.
Notiz zu dem Referat über: »W. Pransnitz» Physiologische und soMiaihygioniscke
Shtdiom über Säugüngsemährunfr und SäMghngssierbRchkeit,'*^ (Dieses Jahr-
bach, Bd. 58.)
Sowohl in dem oben zitierten Referate haben sich leider Angriffe
persönlicher Natur, die auf irriger Auffassung beruhen, als auch in den sich
anschliessenden, an anderem Orte (Mitteilungen des Vereins der Arzte io
Steiermark) von beiden Teilen publizierten polemischen Erörterungen leicht
missdeutbare Äusserungen eingeschlichen, welche einen sehr beklagenswerten
persönlichen Zwiespalt zur Folge hatten. Diesen Zwiespalt erachten die
Unterfertigten nach aufklärender Rücksprache bei gegenseitiger Anerkennung
voller persönlicher und wissenschaftlicher Zuverlfissigkeit, unter Wahrung
ihrer sachlichen Standpunkte, für beigelegt.
Graz, im Dezember 1904.
Prof. M. Pfaundler. Prof. W. Prausnitz.
Jahrbach far KinderheilkaDde. N. F. Bd.
T»f. VII.
Kurve des Lebenspotentiales und der Mortalität nach Lebensjahren.
f 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 12 14 16 20 30 40 50 60 70 80 90 100
6
•* Lebensjahre.
— ^— Ideelle Kurve des Lebenspotentiales.
IC D Yerbraaoh desselben durch die dem Lebensunterhalt dienenden
Vorgänge. A B Verbrauch desselben durch die Wachstumsvorgänge
ausgedruckt in Prozenten der auf das jeweilige Körpergewicht be-
rechneten Gewichtszunahme.
IAbsterbeordnune, graphisch dargestellt auf Grund der im November-
heft der Monatsnefte zur Statistik des deutschen Reiches 1887 mit-
geteilten deutschen Sterbetafel 1871/81.
Die über den Säulen befindlichen Zahlen bedeuten die Anzahl der Todesfälle in
den betreffenden Altersklassen auf 100 Lebende derselben Altersklasse berechnet.
Escherich, Die Grundlagen und Ziele der
modernen Pädiatrie.
Verlag von S. Karger in Berlin NW. 6.
XVI.
Die Grundlagen und Zic^^e der modernen Pädiatrie').
Von
THEODOR ESCHERICH
in Wien.
(Hierzu Taf. VIT.)^
Die Kinderheilkunde gehört, insofern sie die Vorschriften
für die Pflege des Neugeborenen und Säuglings umfasst, mit der
Geburtshilfe zu den ältesten, ihrer wissenschaftlichen Entwicklung
nach zu den jüngsten Kapiteln der gesamten Medizin. Erst zu
Ende des 18. Jahrhunderts löst sie sich soweit aus der Be-
vormundung der Geburtshilfe, dass das erste selbständige Werk
über die Krankheiten der Neugeborenen und Kinder, das bekannte
Lehrbuch von Kosenstein, erscheint. Dasselbe enthält ebenso,
wie die in der nächstfolgenden Zeit erschienenen ähnlichen Werke
eine systemlose Aufzählung der bei Kindern vorkommenden und
ihnen angeblich eigentümlichen Krankheitszustände, unter denen
die mit sinnenfälligen Veränderungen einhergehenden besondere
Beachtung gefunden haben. Erst auf dem blutgetränkten Boden
der französischen Revolution entstand die neue medizinische
Schule, welcher wir mit der Geburt der modernen Medizin auch
die Schöpfung der wissenschaftlichen Kinderheilkunde verdanken.
Wir werden versuchen, in kurzen Worten die Entstehung
und den Wechsel der leitenden Ideen bis zur Gegenwart zu
skizzieren, da sich daraus am besten die Richtungslinie ergibt,
in welcher die weitere Entwicklung in der nächsten Zukunft er-
folgen dürfte.
Die Erlösung von dem Banne naturphilosophischer und
humoralpathologi scher Anschauungen erfolgte unter dem er-
nüchternden Einflüsse der pathologischen Anatomie, welche in
unzweideutiger Weise auf die sichtbaren Veränderungen einzelner
') Vortrag, gehalten in der pädiatrischen Sektion des internationaien
Kongresses für Kanst ond Wissenschaft in der Weltausstellnng von Saint
Louis am 21. September 1904.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Hpft 2. ](i
242 Escherieh, Die Grundlagen onr] Ziele der modernen Pädiatrie.
Organe als Ursache uud Sitz der Erkrank angen hinwies. Billard
ist der glänzende Vertreter der Schale, welche, gestützt aaf über-
aus zahlreiche and sorgfaltige Sektionen, ein klinisches Lehr-
gebäude {gleichsam als Kommentar zu den gefundenen anatomischen
Veränderungen errichtete. Die letzteren selbst fasste er ganz
im Sinne Broussais nur als verschiedene Grade der Ent-
zündung aaf. Noch heute ist dieses Werk eine Fundgrube
wichtiger and verwertbarer Tatsachen. Allein es ist klar, dass
diese kühne Konzeption nicht ohne weiteres den praktischen
Bedürfnissen entsprechen konnte, am wenigsten im kindlichen
Alter, wo die kurze Dauer der Krankheiten es in der Regel nicht
zu hochgradigen anatomischen Veränderungen kommen lässt und
wo wir heute noch mit Zuhilfenahme der mikroskopischen und
bakteriologischen Hilfsmittel uns so oft ausserstande sehen, den
klinischen Verlauf mit den Sektionsbefnnden in Übereinstimmung
zu bringen.
Am deutlichsten tritt dieses Miss Verhältnis auf dem Gebiete
der Magendarmerkrankungen des Säuglingsalters zutage, und hier
setzte auch die von Barrier mit scharfen Waffen geführte
Opposition ein, die mit der „Diakrisenlehre^ wieder in das Fahr-
wasser humoralpathologischer Anschauungen zurücksteuerte.
Unbefinflusst von diesem theoretischen Streite bearbeiteten
aber beide Parteien mit den neu entdeckten Methoden der
exakten Krankenuntersuehung und der Statistik das jungfräuliche
Gebiet und schufen so die Fundamente einer speziellen Pathologie
und Therapie des Kindesalters, die in dem Werke von Rilliet
und Barthez eine das ganze Gebiet umfassende, mustergültige
Darstellung fanden. Damit endete auch die führende Stellung,
welche die französische Pädiatrie innehatte.
Ihr Erbe wurde wie auch auf dem Gebiete der inneren
Medizin die Wiener Schule, wo unter dem mächtigen Einflüsse
Rokitanski's und Skoda's ähnliche günstige Entwicklungs<
bedingungen vorlagen. Auch hier baut sich die Klinik zumeist
auf dem Grunde der pathologischen Anatomie auf, wie das aus-
gezeichnete Werk von Bednar „Über die Krankheiten des Neu-
geborenen und Säuglings" und die bedeutungsvollen Studien von
Kitter (Prag) erkennen lassen.
Daneben wurde in der neu errichteten Klinik im St. Anna-
Kinderspitale in Wien unter Mayr und seinemSchüler Widerhofer
die klinische Semiotik und Kasuistik ausgebildet und an dem
reich zufliessonden Materiiile die klinischen Krankheitstypen in
Escherieb, Die Gnindlagen uud Ziele der modernen Pädialrie. 243
abschliessender Form festgelegt. In ähnlichem Sinne wirkte
Henoch in Berlin, West in London, Filatow in Moskau, so
dass am Schiasse dieser Periode die Klinik und Semiotik der
Einderheilkunde, soweit sie den einfacheren Untersuchnngs-
methoden zugänglich war, wesentlicher ausgebaut war.
So wichtig diese glänzende klinische Entfaltung und die
scharfe Betonung ihrer Besonderheit für die Anerkennung der
Pädiatrie als selbständige Wissenschaft war, so gelangte man
doch in der Verfolgung dieser Richtung bald an einen toten Punkte
über welchen hinaus ein neuer Weg eingeschlagen werden musste,
wenn nicht Yerflachung und Routine an die Stelle der wissenschaft-
lichen Forschung treten sollte. Damit ruckt die im engeren Sinne
des Wortes deutsche Pädiatrie in den Vordergrund. Dieselbe
hatte anfangs bei dem Mangel selbständiger Einderkrankenhäuser
und staatlicher Förderung mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen
und stand in der ersten Hälfte des Jahrhunderts fast ganz unter
französischem Einfluss. Später brachte es die eigentumliche Organi-
sation der Universitäts* Polikliniken, welchen der Unterricht in
der Einderheilkunde oblag, mit sich, dass zunächst den Ver-
tretern der inneren Medizin — ich nenne hier nur den Namen
Gerhardts, des Begründers der deutschen Pädiatrie — die
Pflege der Einderheilkunde zufiel.
Es liegt in der Natur dieser Verhältnisse begründet, dass
von dieser Seite in einem gewissen Gegensatze zur französischen
und zur österreichischen Schule die gemeinsamen Berührungs-
punkte mit der inneren Medizin und die derselben näher steh^iden
Erkrankungen des späteren Kindesalters mit Vorliebe studiert
wurden.
Wenn durch diese Verhältnisse auch die Ereierung selbst-
ständiger Lehrkanzeln für Einderheilkunde in den deutschen
Universitäten ungebührlich verzögert wurde, so hatte dies doch
den Vorteil, dass die gerade in dieser Zeit unter dem Einflüsse
der deutschen Internisten sich vollziehende Einführung der
mächtig aufblühenden Naturwissenschaften in die Elinik auf diesem
Wege der Einderheilkunde rasch und unmittelbar zugute kam.
Die dadurch ermöglichte klarere Erkenntnis der Erankheits-
vorgänge führte mehr und mehr dazu, die Wesenseinheit der
meisten beim Einde, wie beim Erwachsenen vorkommenden
Erankheitszustände zu betonen und die Ursache ihrer Verschieden-
heiten in der abweichenden Beschaffenheit des kindlichen
Organismus zu suchen. Von besonderer Wichtigkeit ist in dieser
244 Kscberich, Die GruDdiagen und Ziele der modernen Pädiatrie.
Hinsicht das von deutschen Autoren (Biedert) mit so grossem
Nachdrucke betriebene Studium der künstlichen Ernährung, welche
! die Unfertigkeit der kindlichen Yerdauungsorgane und die daraus
sich ergebenden Konsequenzen in eindringlichster Weise demon-
striert. Auf dieser Grundlage entwickelte sich die jüngere
deutsche Schule, welche unter Ausnützung der speziell in der
' internen Medizin ausgebildeten Hülfsmittel das Ziel der modernen
Kinderheilkunde in der Erforschung derjenigen physiologischen
Besonderheiten des kindlichen Organismus erblickte, welche zu
einem abweichenden Verhalten desselben gegenüber dem beim
Erwachsenen beobachteten Verhalten unter physiologischen und
J pathologischen Bedingungen Veranlassung gegeben. Man hat
dafür in jüngster Zeit die Bezeichnung der pathologischen Physio-
logie des Kindesalters gebraucht. In derselben Richtung bewegt
sich die Entwicklung der mächtig ^aufstrebenden amerikanischen
Pädiatrie, die unter dem führenden Einflüsse Jacobis sich der
[ deutschen Schule anschloss.
Wir sehen so die Aufgabe der Kinderheilkunde von der
' Erforschung der speziell dem Kindesalter eigentümlichen Krankheits-
prozesse, wie sie die ältere Kinderheilkunde anstrebte, erweitert
zur generellen Betrachtung aller im Kindesalter vorkommenden
I pathologischen Zustände.
j Wenn ich damit die gegenwärtig herrschende Strömung und
I die zunächst vorliegende Aufgabe der Kinderheilkunde charakte-
I risiere, so sei zugleich hervorgehoben, dass die Durchführung
diesA in das Gebiet der Physiologie oder allgemeinen Pathologie
einschlagenden Fragen nicht Aufgabe der Kinderärzte allein ist,
i sondern nur im Zusammenwirken mit den betreffenden Fach-
i männern mit Erfolg in Angriff genommen werden können. Über-
dies hat die Kinderheilkunde an dem Ausbau der Gesamtmedizin
: und an der Bearbeitung spezieller klinischer Fragen seit jeher
• tätig und erfolgreich Anteil genommen, wozu sie durch die Eigen-
art ihres Beobachtungsmateriales in hervorragendem Masse be-
; fähigt ist.
Von grösster Bedeutung für die Entwicklung der modernen
Pädiatrie ist die Einführung der exakten klinisch- diagnostischen
Methoden, wie sie unter dem mächtigen Aulblühen der exakten Natur-
wissenschaften in der Mitte des vorigen Jahrhunderts sich ent-
wickelten. Bildet das dadurch erschlossene Gebiet schon für die
innere Medizin einen mächtigen Zuwachs, wie vielmehr für das
frühe Kindesalter, in welchem subjektive Angaben und so viele
Escherich, Die Grundlagen and Ziele der modernen Pädiatrie. 245
andere diagnostische Behelfe fehlen und der Arzt fast ausschliess-
lich auf das Ergebnis objektiver Zeichen angewiesen ist. Die
Einführung der für die Erkenntnis der Lungen- und Herzkrank-
heiten so wichtigen Perkussion und Auskultation erfolgte relativ
spät und zögernd. Erst in den 40er Jahren wurde sie in
systematischer Weise speziell von den deutschen Klinikern ge-
pflegt, denen auch das einzige, speziell der Perkussion des Kindes-
alters gewidmete Werk (Sahli) zu verdanken ist.
Von kaum geringerer Bedeutung für die Diagnostik war die
Verwendung des Thermometers, das insbesondere in Form der
Kektalmessungen beim Kinde so leicht und auch von Laienhand
benutzt werden kann. Durch diesen letzteren Umstand ist es
ein überaus wichtiges und verlässliches Hülfsmittel geworden.
Wenn auch die ersten thermometrischen Versuche von Roger
stammen, so ist doch die Ausbildung der Technik und die Auf-
stellung typischer Fieberkurven ein Verdienst der Deutschen,
speziell der Leipziger Schule. Verbunden mit der von altersher
geübten Inspektion und Palpation bildet die Perkussion, die Aus-
kultation und die Thermometrie, die Trias, welche für die Unter-
suchung jedes Kindes unerlässlich ist und die sichere Diagnose
zahlreicher früher nicht erkannter Krankheiten ermöglicht.
Die endoskopischen Methoden kommen in dem Masse zur
Geltung, als ihre technische Durchführbarkeit beim Kinde möglich
ist. Weitaus am wichtigsten ist die Inspektion des Rachens und
des Mundes, sowie die Untersuchung des Ohres, die relativ leicht
durchzuführen sind, während die laryngoskopischen und ophthal-
moskopischen Methoden seltener in Verwendung kommen. Zu den
nur unter besonderen Umständen zur Verwendung kommenden
physikalischen Untersuchungsmethoden zählt auch die elektrische
Untersuchung, die insbesondere durch die Feststellung der so
häufig erhöhten elektrischen Erregbarkeit für das früheste Kindes-
alter Bedeutung genommen hat, und die radiologische Unter-
suchung, welche einen ungeahnten Einblick in die Verhältnisse
der Knochenentwicklung, sowie auch der tiefliegenden Herz- und
Lungenveränderungen gestattet.
Eine für das Kindesalter besonders verwendbare und wert-
volle Methode ist die von Dienlafoy eingeführte Technik der
Punktion pathologischer Flüssigkeiten, welcher sich dann die von
Quincke erdachte Lumbalpunktion angeschlossen hat. Man kann
sagen, dass erst durch die letztere uns die Mannigfaltigkeit der
an den Meningen ablaufenden Prozesse erschlossen wurde. Andere,
246 Es che rieh, Die Grundlagen und Ziele der modernen Pädiatrie.
insbesondere die graphischen Methoden werden aus naheliegenden
Gründen bei Kindern weniger geübt, wenn es auch einzelnen
Autoren (Rauchfuss) gelungen ist, diese Schwierigkeiten zu
überwinden. Dagegen sind die histologischen Untersuch ungs-
methoden bei der Häufigkeit und V^erschiedenartigkeit der anä-
mischen Zustände von grosser diagnostischer Bedeutung, ohne
dass die Kenntnis der Pathogenese dieser Krankheiten dadurch
wesentlich gefördert wurde.
Im Gegensatze zu den physikalischen Methoden, deren
Technik zumeist eine einfache ist und deshalb einen relativ raschen
Abbau der dadurch erschlossenen Wissensgebiete ermöglichte, sind
die chemischen Methoden trotz der hohen Entwicklung der orga-
nischen Chemie noch in ihrer Ausgestaltung begriffen.
Gegenstände der chemischen Untersuchung sind in erster
Linie die Exkrete des Körpers: der Harn und die Faeces.
Die Harnuntersuchung ist lange Zeit, wenigstens für die
jüngsten Altersstufen wegen der Schwierigkeit der Gewinnung
desselben in ungebührlicher Weise vernachlässigt worden Der
Anregung Kjelbergs ist es zu danken, dass der Katheter für
die Harn gewinnung häufiger angewendet wird, in erster Linie bei
Mädchen, während wir uns bei Knaben des Raudnitzschen Harn-
fängers bedienen. Es ergab sich dabei eine unerwartete Häufig-
keit und Mannigfaltigkeit der r Albuminurien, um deren Kenntnis
sich besonders Heubner Verdienste erworben hat. Aber auch
die Anwesenheit anderer diagnostisch verwertbarer Stoffe: des
Ehrlichschen durch die Diazoreaktion charakterisierten Körpers,
des Aceton, der Diacetessigsäure u. a. wurde bei Kindeni aller
Altersstufen nachgewiesen.
Bezüglich der morphologischen Elemente sei, abgesehen von
dem sehr häufigen Befunde von Blut und Zylindern, auf das Vor-
kommen von Blasen- und Nierenepithelien, sowie von Bakterien
(meist Kolibazillen) als Ausdruck einer besonders bei Mädchen
häufigen Infektion der Harnwege hingewiesen. Der Gebrauch
der Zentrifuge erweist sich für alle diese Untersuchungen sehr
vorteilhaft. Als einer vielversprechenden Methode sei auch der
von Koranyi in die klinische Medizin eingeführten Gefrierpunkts-
bestimmungen Erwähnung getan, die auch in der Pädiatrie für
die Untersuchung des Harnes wne der Milch schon mehrfach an-
gewendet worden ist.
Ungleich günstiger als beim Harne, liegen die Verhältnisse
bei der Gewinnung des Stuhles, wenigstens im Säuglingsalter.
Escherich, Die Gruadlftgen und Ziele der modernen Pädiatrie* 247
Derselbe bietet aber auch der Diagnostik und Analyse sehr viel
günstigere Verhältnisse als bei den Erwachsenen. Während er
bei diesen eine in stinkende Fäulnis übergegangene, zu ^/g aus
Bakterien bestehende Masse darstellt, ist der Stuhl des Säuglings
infolge der absolut viel geringeren Länge des Darmtraktes dem
Verhalten bei einer Dünndarmfistel vergleichbar und zeigt gleich
iem Dünn d arminhalte saure Reaktion, keine Fäulnis und relativ
spärliche Bakterien; Nahrungsbestandteile werden darin, wenn
überhaupt in relativ wenig verändertem Zustande gefunden. Ein
weiterer Umstand, welche die diagnostische Bedeutung des
Säaglingsstuhles wesentlich erhöht, ist die Gleichartigkeit oder
doch der sehr beschränkte Wechsel der Nahrung, wodurch die
Aufstellung eines Normalkotes in Bezug auf Farbe, Menge, chemische
Zusammensetzung möglich ist. Dementsprechend hat man sich
schon frühzeitig mit der chemischen Analyse des Säuglingskotes,
in erster Linie des Brustkindstuhles, beschäftigt (Wegscheider).
Die Verhältnisse der Bakterien- Vegetation w^urden von mir und
jüngst von Tissier studiert, welch letzterer mit Recht auf die
Bedeutung der Anäroben hinweist. Dank dieser Verhältnisse ist
man imstande, im Säuglingsalter krankhafte Veränderungen des
Verdauungsvorganges mit Hilfe der chemischen und bakterio-
logischen Stuhluntersuchung viel früher und exakter zu beurteilen,
ja in einer nicht geringen Zahl von Fällen daraus die klinische
Diagnose abzuleiten.
Besondere Bedeutung gewinnt die Untersuchung dieser
Exkrete dadurch, dass ihre Analyse uns ermöglicht, einen Einblick
in die Stoffwechselvorgänge zu gewinnen, jene geheimnisvollen
Prozesse, die, wenn auch nicht das Leben selbst, so doch die
Quelle seiner Kräfte und die unmittelbarste Äusserung seiner
Tätigkeit sind. So bedeutungsvoll auch diese Frage für das
Wachstum und die gerade im Kindesalter so häufigen Dyskrasien
ist, so hat man sich doch erst in den letzten Jahren, angeregt
durch die Breslauer Schule (Czerny), mit der systematischen Er-
forschung dieses Gebietes beschäftigt. Trotz der mühevollen
Untersuchungen, die von C am er er und Heubner auf das Gebiet
der Energetik hinübergeleitet wurden, sind noch nicht mehr nis
die ersten Schritte getan zur Klarlegung dieser Verhältnisse, deren
Studium durch die ungewöhnlichen technischen Schwierigkeiten
und die Vulnerabilität des kindlichen Organismus sehr erschwert ist.
Den grössten Einfluss auf die Ausgestaltung der Pädiatrie
hatte aber jene Wissenschaft, die vor kaum 25 Jahren aus den
248 Escberich, Die Grundlagen und Ziele der modernen Pädiatrie.
bescheidenen Arbeitsstätten Pasteurs und Kochs hervorgegangen,
und die in dieser' kurzen Zeit einen so übermächtigen Einfluss auf
das medizinische Denken und Forschen genommen hat. Der Grund,
weshalb die Bakteriologie gerade auf die Kinderheilkunde eine so
hervorragende Bedeutung hatte, liegt darin, dass in keinem Lebens-
alter die Infektionskrankheiten eine so grosse Rolle spielen. Am
ergiebigsten erwies sich in dieser Hinsicht das jüngste Kindesalter,
dessen Pathologie von den durch die verbreiteten Eiterbakterien
hervorgerufenen septischen Erkrankungen beherrscht wird. Die
Natur dieser Erkrankungen ist zumeist erst durch den Nachweis
dieser leicht züchtbaren Krankheitserregern erkannt worden, um
die sich Hutinel und Fischl besondere Verdienste erworben
haben. Weniger erfolgreich war die Forschung auf dem Gebiete
der eigentlich epidemischen Erkrankungen der akuten Exantheme
und Schleimhaut-Infekte. Aber das Beispiel des durch L off 1er
entdeckten Diphteriebazillus zeigt, welch eminente Förderung die
Klinik und die Therapie von der Entdeckung des Krankheits-
erregers zu erwarten hat. Auch die Tatsache, dass nicht wenige
Infekte, die früher nur bei Erwachsenen beobachtet worden waren,
so Tetanus, Typhus, Cerebrospinalmeningitis, Dysenterie schon im
kindlichen Alter vorkommen, ist erst durch den bakteriologischen
Nachweis der betreffenden Bakterien erkannt worden.
Eine wesentliche Bereicherung erfuhr die bakterio ogische
Diagnostik durch die Verwendung der durch den Krankheits-
prozess hervorgerufenen Keaktionsprodukte des Organismus, z. ß.
der Agglutinine des Typhus (Gruber, Widal). Die Methode
kann nicht nur zu diagnostischen Zwecken, sondern auch zur
Entdeckung noch unbekannter Krankheitserreger dienen, so der
Koliinfekte und der Dysenterie. Je hie hat an meiner Klinik
die Agglutination der Pneumokokken durch das Serum von
Pneumoniepatienten schon in den ersten Krankheitstagen nach-
gewiesen, und jüngst ist es auch gelungen, aus der Scharlach-
angina Streptokokken zu isolieren, welche durch das Scharlach-
immunserum in sehr hoher Verdünnung agglutiniert wurden.
Abgesehen davon, erhalten wir dadurch einen ungeahnten
Einblick in den Mechanismus der Naturheilprozesse und der
Kenntnis der schon im Kindesalter vorhandenen Schutzvor-
richtungen des Organismus, deren weiteres Studium wichtige
Aufklärungen über die Eigenart der Kinderkrankheiten verspricht.
Diese im Laufe der letzten Jahrzehnte durch Verwendung
der naturwissenschaftlichen Hilfsmethoden gefundenen Tatsachen
Escherich, Die Grundlagen und Ziele der modernen Pädiatrie. 249
haben das Gebiet der Pädiatrie ganz wesentlich erweitert und
geklärt. An Stelle der relativ geringen Zahl vorwiegend darch
sinnfällige Merkmale kenntlicher Krankheitsbilder, welche den
Inhalt der ersten Lehrbücher ausmachten, stellt die moderne
Pädiatrie ein alle Störungen der Lebensvorgänge um-
fassendes, nach wissenschaftlichen Grundsätzen ge-
ordnetes und in seiner Universalität von keinem anderen
Spezialgebiete der Medizin erreichtes Lehrgebäude dar
Die Ursachen der Erkrankungen sind, soweit sie in von aussen
kommenden Schädlichkeiten begründet sind, bei Kindern die
gleichen wie bei Erwachsenen. Speziell die bakteriologische
Forschung, welche in der Lage ist, den Krankheitserreger als
solchen nachzuweisen, hat wesentlich dazu beigetragen, die An-
schauung von der Wesenseinheit der klinisch oft recht differenten
Krankheitsbilder zur Anerkennung zu bringen. Leider sind
unsere Kenntnisse noch nicht so weit vorgeschritten, um die
ätiologische Gruppierung der Systematik durchaus zugrunde zu
legen. Nur eine kleine Zahl von Krankheitszuständen kann im
Sinne der Ätiologie als dem kindlichen Alter eigentümlich be-
zeichnet werden, weil durch Momente veranlasst, welche im
Leben des Erwachsenen nicht vorkommen können. Es sind die
an den Geburtsakt und den Übergang des intra- in das extra-
uterine Leben sich anschliessenden, sowie die das Wachstum,
resp. die Entwicklung treffenden Störungen. In gewissem Sinne,
etwa analog den Berufskrankheiten der Erwachsenen, wären auch
die während des Schulbesuches einwirkenden Schädlichkeiten,
sowie die akuten, dauernde Immunität zurücklassenden In-
fektionskrankheiten hierher zu rechnen. Wenn trotzdem, wie die
tägliche Erfahrung und die medizinische Statistik lehrt, die Er-
krankungen des Kindesalters sowohl in der Zahl und Art ihres
Auftretens, wie in ihrem Verlaufe und Ausgange so grosse
Unterschiede aufweisen, so kann dies nur darin begründet sein,
dass zwischen dem wachsenden Organismus des Kindes
und dem fertig entwick:elten Erwachsenen bezüglich der
durch den Krankheitsprozess hervorgerufenen Re-
aktionen grosse und im Laufe des Kindesalters fort-
während wechselnde Verschiedenheiten bestehen. Die
nachfolgende Betrachtung wird zeigen, welch innige Beziehungen
zwischen dem jeweiligen Stande der Entwicklung einerseits, der
Art und Verlaufsweise der krankhaften Zustände andererseits
sich nachweisen lassen.
^50 Escherich, Die (iruDdlagea uud Zielo der muderuen Pädiatrie.
Überblicken wir zunächst einmal gleichsam von der Vogel-
perspektive das ganze Gebiet, so fallen uns folgende besondere
Eigentümlichkeiten der im Kindesalter ablaufenden Krankheits-
prozesse auf.
1. Die überraschende Häufigkeit der Todesfälle und Er-
krankungen, insbesondere der funktionellen Störungen, woraus
sich auch der in so vielen Fällen unbefriedigende Sektions-
befund erklärt.
2. Die Geringfügigkeit der die Krankheiten hervorrufenden
Schädlichkeiten, die graduell weit hinter dem für Erwachsene
notwendigen Schwellwerte zurückbleiben. Sie entgehen daher
leicht der Beobachtung, und so erklärt es sich, dass man zu
allerhand phantastischen Vorstellungen (Beeinflussung der Milch-
absonderung, Durchbruch der Zähne, Auftreten von Würmern etc.)
seine Zuflucht genommen hatte.
3. Der raschere, teils zum Tode, teils zur Genesung
führende Ablauf, der zumeist typisch und unkompliziert, weil in
einem intakten Körper ablaufenden Krankheitsprozesse. (Eine
Ausnahme bilden die im frühesten Lebensalter auftretenden Er-
krankungen, bei welchen eine raschere Ausbreitung des Prozesses
auf die anderen Organe infolge des frühzeitigen Versagens der
Funktionen beobachtet wird.) Besonders hervorzuheben ist eine
im späteren Leben nicht mehr in gleichem Masse vorhandene
Reparationsfähigkeit gesetzter anatomischer Läsionen (Aufstellung
von Hornhautnarben, Fuchs).
4. Abgesehen von diesen generellen Unterschieden zeigt der
Verlauf jeder einzelnen Erkrankung je nach dem Entwicklungs-
grade und der Leistungsfähigkeit der in Frage kommenden
Organe besondere Eigentümlichkeiten und Abweichungen gegen-
über dem beim Erwachsenen beobachteten Verlaufe, die omso
grösser sind, je jünger das Individuum ist.
Schon dieser letztere Umstand zeigt, dass es sich um Vor-
gänge handelt, die mit der Entwicklung des Organismus zu-
sammenhängen, und so werden wir auch auf diesem Wege zu
dem Schlüsse geführt, dass der Schlüssel zu dem Verständ-
nisse der speziellenPathologiedes kindlichen Organismus
in dem Studium der Entwicklungsvorgänge gelegen ist.
Trotz des grossen darüber vorliegenden Tatsachenmaterials liegt,
abgesehen von einer wenig beachteten Studie von Barrier noch
kein Versuch vor, allgemeine Gesichtspunkte und Gesetze für die
Entwicklung des kindlichen Organismus zu formulieren und ihre
Beziehung zur Pathogenese der kindlichen Erkrankungen klar zu
legen, wie dies im folgenden versucht wird.
Kschericii, Die Grundlagen und Ziele der modernen Pädiatrie. 251
Das Wachstum, insoferu man darunter die einseitige Ver-
ivendung der Nährstoffe zum Zwecke der Neubildung und des
Wachstums der Zellen versteht (G am er er), stellt sich dar als
•eine Funktion des vegetativen Lebens, genauer ausgedruckt, der
den Körperzellen innewohnenden spezifischen Lebenskraft, oder um
dies viel missbrauchte Wort zu vermeiden, des Lebenspoten-
tials^). Wenn wir, der Anschauung von R. Hertwig und
S. Exner folgend in der geschlechtlichen Befruchtung resp. dem
Zusammentreten der männlichen und weiblichen Eizelle das aus-
lösende Moment für eine neue begrenzte Reihe von ungeschlecht-
lichen Zellteilungen sehen, so müssen wir uns vorstellen, dass
die Fähigkeit des Wachstums eine den jüngsten und jüngeren
Zellgenerationen eigentümliche Funktion ist. Wir erblicken als-
dann in der Keimzelle den Träger des noch unverbrauchten
Lebenspotentiales, das sich zunächst in einem stürmischen^ dann
aber allmählich sich verlangsamenden Massenwachstum des Keimes
äussert. Leider fehlt uns ein brauchbares Mass für die Intensität
dieser Vorgänge. Am ehesten werden wir, wie dies bereits der.
Physiologe Haller getan, die Zunahme des Längen- resp. Massen-
Wachstums als solches verwenden können; zweckmässiger wohl
das erstere, weil es als das grösste aller Körpermasse Fort-
schritte im Wachstum am ersten erkennen lässt und Schwankungen
im negativen Sinne ausgeschlossen sind.
Die dem Werke von Quetelet entnommenen Längen-
und Gewichtskurven zeigen insofern einen übereinstimmen-
den Verlauf, als ihr steilster Anstieg in die intrauterine
Periode fällt. Vom 4. bis 5. Jahre tritt eine Abflachung ein,
die wenigstens bei der Längenkurve im Alter von 20 Jahren in
die Horizontale übergeht. Eigentlich sollte dann, wenn wir die
Intensität der Lebensvorgänge darstellen wollen, ein allmähliches
Absinken der Kurve eintreten, so dass sie, den von äusseren
Schädlichkeiten nicht beeinflussten Ablauf des Lebens voraus-
gesetzt, mit zirka 100 Jahren (als äusserste Lebensgrenze) wieder
zur Grundlinie herabgesunken ist. Dieser an die Flugbahn eines
in die Höhe geschleuderten Geschosses erinnernde Verlauf der
Kurve hat zusammen mit der erst in den 30er Jahren erreichten
Reife- und Blütenperiode des Individuums manche Autoren
I) Ich verdaDke den Ausdruck „Lebeospotential*', welcher mir die jedem
Lebewesen zakommende Fähigkeit, sich mittels Assimilation und Energie-
umsatz in seiner Eigenart zu erhalten, za wachsen und fortzupflanzen, iu
ztitreffender Weise aaszudrücken scheint, einer gesprächsweise erfolgten
Änssernnj; des Herrn Geheirorates Ostwald.
262 Escherich, Die Grundlagen und Ziele der modernen Pädiatrie.
(Burdach) zu der Annahme verfuhrt, dass die grösste Lebens-
energie zugleich mit der höchsten funktionellen Entwicklung und
Leistungsfähigkeit auf die mittlere Lebenszeit, das ist die höchste
Erhebung dieser gedachten Kurve falle. Gewiss mit Unrecht,
denn sowohl die einfache Überlegung, als auch das genaue
physiologische Studium der einzelnen Funktionen zeigt in un-
zweideutiger Weise, dass die Intensität der Stoffwechsel-
Vorgänge, auf die vorhandenen Körpermasse berechnet,
um so grösser ist, je kleiner sc. je jünger der Organismus
ist und dass sie von der Keimzelle an im Laufe des
Lebens kontinuierlich sich vermindert. Ich habe dies
auf Tabelle I dargestellt. Die gerade punktierte Linie CD stellt
schematisch die im Laufe des Lebens durch Aufwand für die
Lebenserhaltung eintretende Verminderung des Lebenspotentiales
dar. Sie ist der Einfachheit halber in allen Lebensjahren als
gleichmässig angenommen.
In dem der Wachstumsperiode entsprechenden Abschnitt
.findet überdies der durch die reelle Massen- und Längenzunahme
des Körpers bedingte Energie- Verlust des in der Keimzelle auf-
gehäuften Lebenspotentiales seinen Ausdruck in dem proportionalen
Absinken der Kurve AB. Ich habe als das Mass dieses Ver-
lustes hier nicht, wie ich es ursprünglich getan, das Längen-
wachstum, sondern, einem Vorschlage S. Exners folgend, den
jährlichen Anwuchs, ausgedrückt in Prozenten des jeweiligen
Körpergewichtes, gewählt, der mir ein besseres Mass dieser Arbeits-
leistung darzustellen scheint — vollkommen normale Verhältnisse
vorausgesetzt. Auf Grund der Qu eteletschen Zahlen berechnet,
beträgt derselbe im ersten Lebensjahr 200 pCt., im 1. — 2. 20 pCt,
im 2. — 3. nurmehr lOpCt. des jeweiligen Körpergewichtes u. s. w.
Eine Berechnung des dem Fötalleben entsprechenden Teiles ist
nicht möglich. Diese Werte auf die Linie CD aufgetragen,
ergaben die Linie ABD, welche das gesetzmässige Gefall des
Lebenspotentiales von der Keimzelle bis zur spontanen Erschöpfung
am physiologischen Abschluss des Lebens darstellen soll. Ich bin
mir dabei wohl bewusst, nur eine ganz schematische, approximative
Darstellung dieses für unsere Betrachtung sehr wichtigen Gesetzes
zu geben, welche lediglich die Aufgabe hat, zu zeigen, dass zu
keiner Zeit die Lebenskraft und die Lebensberechtigung des In-
dividuums eine so grosse ist als in der ersten Kindheit.
In grellem Widerspruche zu dieser Vorstellung steht aber
die bekannte Tatsache, dass keine Lebensperiode eine so grosse
Escherich, Die Grundlagen und Ziele der modernen Pädiatrie. 263
Zahl von Erkrankungen und Todesfallen aufweist, als die ersten
Lebensjahre, in welchen zirka ^/4 der Geborenen wieder dem
Tode verfilUt. Diese Erscheinung kommt, wie schon Lichten-
staedt bei der Beantwortung der von der Freien ökonomischen
Gesellschaft in Petersburg gestellten Preisfrage ausgeführt hat,
in gleicher Weise sowohl im Pflanzen- wie im Tierreiche zur
Beobachtung. Wir haben täglich Gelegenheit, zu sehen, dass
nur ein verschwindend kleiner Teil der ausgestreuten Samen zur
Entwicklung, nur einige wenige der befruchteten Eier zur vollen
Reifung gelangen. Die Ursache dieses unnatürlichen Sterbens
trotz des Überschusses an Lebensenergie ist darin gelegen, dass
die zur Unterhaltung und zum Schutze der Lebens-
vorgänge notwendigen Organe in dieser Zeit noch so
unentwickelt sind, dass schon die geringfügigsten Schädlich-
keiten hinreichen, um eine irreparable Störung ihrer Funktionen
und damit Vernichtung des Lebens hervorzurufen. In dem Masse,
in welchem diese Organe im Laufe der Entwicklung wachsen
und erstarken, nimmt die Sterblichkeit schon im 2. und 3. Jahre
erheblich ab und erreicht in der Periode zwischen dem 6. und
10. Lebensjahr den günstigsten Stand. Die Berufstätigkeit des
Mannes, die Geschlechtsfunktion des' Weibes bedingen dann
vom 20. Jahre ab ein Ansteigen der Mortalität. Li den höheren
Altersstufen kommt dann das physiologische Absinken und Er-
löschen der Lebensenergie zum Ausdruck. Hall er hat dieses
Verhalten mit den charakteristischen Worten ausgedrückt:
Infantes mori possunt, senes vivere non possunt.
Auf Tafel Vn ist neben der Kurve der absinkenden Lebens-
energie die Absterbeordnung einer geschlossenen Bevölkerungs-
gruppe auf Grund der amtlichen deutschen Statistik dargestellt.
Es führt uns diese Betrachtung zu dem, was ich als das
zweite Wachstumsgesetz bezeichnen möchte: die funktionelle
Entwicklung jedes einzelnen Organes, gemessen an der
absoluten Höhe seiner Leistung, erfolgt während des
Kindesalters in einer aufsteigenden Linie, die jedoch
für jedes einzelne Organ einen besonderen und im all-
gemeinen einen viel steileren Verlauf zeigt als die
Wachstumskurve. Leider fehlen uns die wissenschaftlichen
Daten, welche es ermöglichen würden, das Anwachsen der Ent-
wicklung und der funktionellen Leistung der wichtigsten Organe
des Zirkulations-, des Respirations-, des Verdauungstraktes etc.
graphisch darzustellen. Im allgemeinen dürfen wir aber wohl
254 Escherich, Die Grundlagen und Ziele der modernen P&diatrie.
auf Grund der auatomischen und physiologischen Daten an-
nehmen, dass dieselbe relativ rasch erfolgt, während andere
Funktionen, wie die Muskelkraft erst sehr viel später ihr Maximum
erreichen. Als die gemeinsamen Resultate aller dieser Leistungen
können wir aber die Überwindung der auf den Organismus ein-
wirkenden Schädlichkeiten, mit anderen Worten den Grad
seiner Widerstandsfähigkeit betrachten, der statistisch in
der Häufigkeit der Erkrankungen und Todesfälle zum
Ausdruck kommt. Dass damit nur ein relativer und nur
unter bestimmten gleichbleibenden Voraussetzungen brauchbarer
Massstab gewonnen wird, ergibt sich schon aus der Betrachtung
des ersten intrauterinen Lebensabschnittes. Obgleich hier die
Organe die geringste Leistungsfähigkeit aufweisen, so kommt es
doch infolge der geschützten Lage des Fötus nur selten zu Er-
krankungen. Dagegen erfordert schon der Übergang in das
extrauterine Leben eine ganz wunderbare Präzision vorgebildeter
Mechanismen. Das geringste Versagen derselben hat die
schwersten Gefahren für das Leben des Kindes im Gefolge, und
so erklärt sich die hohe, dem Geburtsakte und der nachfolgenden
Periode eigentumlichen Sterblichkeit. Dazu kommt, dass die
Verhältnisse des extrauterinen Lebens von dem Neugeborenen
zunächst als direkter Reiz empfunden werden, deren schädlicher
Einfluss nur durch sorgfältige und zielbewusste Pflege gemildert
wird. Je ruckständiger die Entwicklung des Kindes (Frühgeburt),
je ungünstiger sich das Pflegemoment gestaltet (Armut, Ille-
gitimität, unzweckmässige Ernährung), desto geringer sind die
Aussichten, das Leben des Kindes zu erhalten. Unter sozial
ungünstigen Verhältnissen steigt die Sterblichkeit bis auf 70 pCt.
der Geborenen, während sie in wohlhabenden Familien bis auf
lOpOt. und weniger herabsinken kann. Sehr viel wirksamer als
diese äusseren Einflüsse erweist sich die in diese Zeit fallende
rasche Entwicklung der Organe, insbesondere des Verdauungs-
traktes, der nach den Untersuchungen von Bloch im 3. bis
4. Lebensjahre seine volle histologische Entwicklung erreicht hat.
Dieses rapide Anwachsen der Widerstandsfähigkeit bei hoher
Lebensenergie zusammen mit der Schonung und dem Schutze,
welchen das Kind im elterlichen Hause geniesst,- führt die bis
gegen das Ende des Kindesalters reichende Periode höchster Ge-
sundheit herbei, in welcher die Erkrankungen und Todesfalle auf
ein Minimum herabsinken.
Allein die funktionelle Entwicklung ist damit noch keines-
Esc her ich, Die Grundlagen und Ziele der modernen Pädiatrie. 255-
wegs abgeschlossen. Vielmehr beginnt jetzt, nachdem die Er-
haltung und der Schatz des Lebens unter normalen Verhält-
nissen gesichert ist, die Erwerbung jener Fähigkeiten und
Reservekräfte, welche es dem Erwachsenen ermöglichen, den
Kampf ums Dasein und die Sorge für die Erhaltung der Art
unter den bestmöglichsten Bedingungen aufzunehmen: die Aus-
bildung der Kraft und Gewandtheit der Muskulatur, die Ge-
wohnung an Strapazen, an klimatische Schädlichkeiten, an ver-
schiedene Ernährungsweisen, insbesondere aber die Entwicklung
und Schulung der geistigen Fähigkeiten. Hierher wäre auch die
Kräftigung der für das Überstehen von Infektionskrankheiten
notwendigen Schutzvorrichtungen die Erwerbung der Immun-
Stoffe etc. zu rechnen.
Die Einschaltung dieser langen, der sogenannten Pueritia
entsprechenden Epoche, die wesentlich der funktionellen Ent-
wicklung bei relativ geringer Zunahme des Massen- und Längen -
wachstumes gewidmet ist, gehört ebenso wie die lange Dauer
der Kindheit überhaupt zu den hervorstechenden Eigentümlich-
keiten der Entwicklung des Menschengeschlechtes. Es ist kein
Zweifel, dass der Mensch gerade dieser langsamen Entwicklung
und Reifung nicht nur den hohen Stand seiner • geistigen und
körperlichen Leistungen, sondern auch die enorme Akkommo-
dationsfähigkeit und die funktionelle Anpassung verdankt,
welche es ihm im Gegensatze zu den niedriger stehenden Lebe-
wesen ermöglichen, unter den grössten Extremenan Klima, Nahrung
and Lebensführung zu existieren und sich dadurch faktisch zum
Herrn der Welt zu machen.
Es wäre aber ein fundamentaler Irrtum, zu glauben, dass
diese die Kindheit charakterisierende progressive Entwicklung
der Organe und Funktionen sich auf allen Gebieten in gleich-
massiger Weise vollzieht, etwa wie das Wachstum eines
Krystalles, der durch Anlagerung gleichartig gerichteter Teilchen
an die gegebenen Grundflächen des Kernes sich vergrössert.
Vor dieser leider noch immer verbreiteten Meinung, welche
in dem Kinde gleichsam die Duodezausgabe des Erwachsenen
erblickt, schützt uns zur Genüge die Kenntnis der Entwicklungs-
geschichte, welche die erstaunlichsten Wandlungen in der Form
des Embryo konstatiert hat. Die von Langer^) entworfene
Tafel zeigt die grossen Unterschiede, welche bei genauerer Be-
') Anatomie der äusseren Formen des menschlichen Körpers. 1884
256 £8cherich, Die Grundlagen und Ziele der modernen Pädiatrie.
trachtung zwischen der Gestalt des Kindes und des Erwachsenen
bestehen. Dass aber nicht nur die äussere Form, sondern auch
die inneren Organe im Laufe des Wachstums eine fortwährende
Veränderung ihrer gegenseitigen Grössenverhältnisse erfahren,
geht aus der über meine Anregung von Oppenheimer^) aus-
geführten Tafel hervor, welche das Gewicht der Organe in den
verschiedenen Lebensjahren (berechnet auf das Organgewicht
des Neugeborenen) vorführt. Die Betrachtung dieser Verhält-
nisse zusammen mit den schon früher angedeuteten Beob-
achtungen ergibt, dass das Wachstum der einzelnen Organe
ungleichzeitig und mit wechselnder Intensität, also
gleichsam ruckweise erfolgt, und dass die Reihenfolge
bedingt ist durch die grössere oder geringere Bedeutung
der sich entwickelnden Organe für die Erhaltung resp.
den Schutz des kindlichen Lebens. Ich bezeichne dies als
das dritte Wacbstumsgesetz.
Das Leben des Kindes in utero und am Beginne seines
extrauterinen Daseins ist ein rein vegetatives, so dass Plato
allen Ernstes die Frage erwog, ob der Neugeborene wirklich als
Mensch zu betrachten sei. Aber so wie das geistige Leben an
die Entwicklung und Funktion des Hirnes, so ist das vegetative
an die Entwicklung und die Funktion gewisser dem Stoffwechsel
dienender Organe gebunden. Das wichtigste ist in diesem
Sinne das Zirkulationssystem mit Leber, Nieren, Blutgefäss-
drüsen, die im Intrauterinleben eine besonders frühzeitige Ent-
wicklung erfahren. Ausser diesen sind beim Neugeborenen nur
jene Organe gut entwickelt, welche dem Assimilationsprozesse
dienen sollen: die Lungen und der mächtige Verdauungstrakt,
während das schwach entwickelte Skelett und die Muskeln nur
eine dünne, verletzbare Hülle um diese lebenswichtigen Organe
bilden. Nach der gewaltigen Massenzunahme des Körpers
während des ersten Lebensjahres, setzt die Periode der Skelett-
entwicklung ein, an welche sich vom J5. bis 6. Jahre an die
Ausbildung der Muskulatur und der geistigen Fähigkeiten
anschliesst.
Es zerfällt demnach, wie schon diese kurze Skizze er-
kennen lässt, die Kindheit in eine Reihe von physiologisch
durch die Entwicklung bestimmter Organsysteme
^) Über die Wachstumsverhältnisse des Körpers uod der Organe
Inaug.-DisB. München. 1888.
Escherich, Die Gmndlagen and Ziele der modernen Pädiatrie. 257
charakterisierte Phasen oder Perioden. Die Unter
Scheidung derselben ist nicht nur vom wissenschaftlichen, sondern
in noch höherem Grade vom praktischen Standpunkte aus ge-
rechtfertigt; denn die für jede dieser Perioden notwendigen
Lebensbedingungen und -bedürfnisse sind so verschieden, dass
die Art der Pflege und Behandlung so gut wie ausschliesslich
dadurch, resp. durch das Alter des Individuums bestimmt wird.
Mit der Ruckständigkeit der Entwicklung und der dadurch be-
dingten geringeren Variabilität der Lebensbedingungen hängt es
auch zusammen, dass die Lebensführung um so gleichmässiger
und um so sorgfältiger geschützt sein muss, je jünger das
Individuum ist. Erst in späteren Jahren können individuelle
Verschiedenheiten und der Einfluss der sozialen Verhältnisse
stärker hervortreten.
Als die brauchbarste Einteilung des Kindesalters hat sich
sowohl für die wissenschaftlichen als für die praktischen Be-
dürfnisse die auch von Vierordt angenommene Dreiteilung be-
währt:
I. Kindheit: Infantia.
1. Neugeborenenperiode (1. Lebenswoche). Charakterisiert
durch den Übergang von intra- zum extrauterinen Leben, der
sich in Bezug auf die äusseren Lebensbedingungen sehr plötzlich,
in Bezug auf die Körpergewebe und - Säfte nur sehr allmählich
vollzieht. Rückbildung der fötalen Organe. Hyperämie und
Desquamation der äusseren Decken.
2. Säuglingsperiode (1. Lebensjahr). Charakterisiert durch
die Notwendigkeit ausschliesslicher Milchnahrung infolge der
funktionellen Schwäche des Verdauungstraktes, dabei reichliche
Nahrungszufuhr und mächtiger Körperansatz (Verdreifachung des
Geburtsgewichtes), starkes Wachstum des Hirnes. Alle anderen
Funktionen treten zurück.
3. Milchzahnperiode (2. — 5. Lebensjahr). Charakterisiert
durch rasches Wachstum und Ausbildung des Skeletts, Durch-
bruch der Milchzähne, Erlernung des Gehens und der Sprache.
n. Kindheit: Pueritia (6. Jahr bis Pubertät). Charakterisiert
durch besondere Entwicklung und Übung der Muskulatur, durch
Steigerung aller funktionellen Leistungen bei nur langsam fort-
schreitendem Körperwachstum. Übertritt des Kindes aus der
Familie in das soziale Leben (Schule), beginnende Differenzierung
der Geschlechter.
Jahrbuch f. KIrderheilknDde. S. F. LXI, Heft 1. 17
258 EschBriohi Die Grandla^en und Zi«l« der nodernefi Pädiatrie.
III. Pubertatsalter. Bei Knaben Tom 16., bei Mädchen
(germanischer Abstammang) vom 13. Jahre an. Bei letzteren Ein-
tritt der Menstruation. Erwachen des Geschlechtstriebes und Ent-
wicklang der sekundären Geschlechtscharaktere.
Ich beschränke mich darauf, die physiologische Charakteri-
sierung dieser Perioden nur in Schlagworten zu geben. Dagegen
werde ich versuchen, die innigen und wichtigen Beziehungen
derselben zur Patholagie etwas ausführlicher zu schildern. Wenn
wir die Krankheit als die physiologische Reaktion und Abwehr
des Organismus gegenüber der krankmachenden Schädlichkeit
auffassen, so ist es einleuchtend, dass die jeweilige physiologische
Beschaffenheit massgebend ist für die Art und den Ablauf des
Prozesses. Sowie dies für das Kindesalter im allgemeinen gegen-
über dem Erwachsenen gilt, so trifft es in gleicher Weise für
die verschiedenen Wachstumsperioden zu, die je nach dem Ent-
wicklungsgrade so grosse physiologische Verschiedenheiten auf-
weisen. Dieselben sind namentlich für die erste Lebensperiode
so beträchtlich, dass sich unter dem Einflüsse lokaler Verhältnisse
innerhalb der Kinderheilkunde bereits eine weitere Spezialisierung
solcher Arzte, Spitäler und Kliniken herausgebildet hat, welche
sich speziell mit der Pflege und den Erkrankungen des Säuglings-
alters befassen. Wenn ich auch diese separatistischen Bestrebungen
nicht für berechtigt halte, so sind sie doch geeignet, den grossen
Umfang und die Mannigfaltigkeit der Kinderheilkunde ad oculus
zu demonstrieren.
Die Beziehung der Wachstumsperioden zur Pathologie be-
ruhen darauf, dass, wie schon oben erwähnt, die besonderen
physiologischen Verhältnisse in jeder Periode eine Gleichartigkeit
der Lebensführung und damit auch der Gelegenheitsursachen zu
Erkrankungen mit sich bringen, wie sie zu keiner anderen Zeit
bestehen. Dazu kommt, dass die Rückständigkeit der Organe im
allgemeinen eine geringe Widerstandsfähigkeit gegen Störungen
im allgemeinen bedingt und dass weiterhin die in lebhaftem
Wachstume begriffenen Organe in besonders hohem Grade zu
Erkrankungen geneigt sind. Endlich besteht für eine geringe
Zahl von Erkrankungen eine teils auf äusseren Ursachen, teils
in der Gewebsbeschaffenheit selbst beruhenden Altersdisposition.
Alle diese Momente vereinigen sich bei den einer und derselben
Wachstumsperiode angehörigen Individuen und bedingen, dass
bei diesen eine bestimmte Gruppe von Erkrankungen mit be-
sonderer Häufigkeit beobachtet wird, die in anderen Perioden
Bfteherieh, Die Grandlageh «nd Ziel« «kr modAintn P&difttrt6. 269
nicht oder sehr viel seliener vorkommen. So hat jede dieser
Wachstumsperioden nicht nar eine physiologische, sondern auch
•eine nicht minder ausgeprägte pathologische Physiognomie.
I. Infantia.
1. Neugeborenenperiode: Missbildungen, angeborene oder
•ererbte Erkrankungen (Lues), GeschwAlste, Geburtstraumen
{Frakturen, Zerreissungen, Blutergüsse, Himschädigung), Störung
in der Rückbildung der fötalen Wege (Nabelerkrankungen),
Icterus neonatorum, Reizung und L&sionen der zarten Haut und
Schleimhautdecke, dadurch begünstigte bakterielle Invasion des
der Schutzstoffe noch entbehrenden Körpers, lokale und allgemeine
«Sepsis, gonorrhoische Infektion.
2. Säuglingsperiode: Störungen durch die bezüglich der
Intervalle oder Mengenverhältnisse fehlerhaften Nahrungsaufnahme;
relative oder absolute Insuffizienz der Verdauung gegenüber der
aufgenommenen, insbesondere der künstlichen Nahrung; Reizung
der Darm Schleimhaut durch bakterielle Zersetzungsprodukte oder
Invasion der Darmwand führen zu chronischer Intoxikation und
Atrophie; das rasche Wachstum des Hirnes ist nicht selten von
Übererregbarkeit des Nervensystemes (Tetanie), Eklampsie und
Hydrocephalie begleitet; dabei besteht die Empfindlichkeit der
Haut- und Schleimhäute (Bronchialerkrankungen, Pneumonien)
sowie eine grosse Neigung zu pyogenen Erkrankungen jeder Art
fort, wogegen spezifische Infekte relativ selten vorkommen.
3. Milchzahnperiode: Störung der Ossifikationsvorgänge (schon
im Ablaufe des 1. Lebensjahres beginnend) mit ihren Folge-
zuständen (Verkrümmungen des Thorax und der Extremitäten
Bronchopneumonien etc.) durch Rachitis. Gleichzeitig damit er-
scheinen auch andere Dyskrasien (Status lymphaticus, skrofulöse,
Anämische Zustände). Das Kriechen des Kindes auf unreinem
Boden, die Gewohnheit, alles in den Mund zu stecken, bringen
zusammen mit dem mangelnden Reinlichkeitssinne die sogenannten
Schmierinfektionen hervor: zahlreiche Mund- und Rachen-
Erkrankungen, Diphterie, kontagiöse Hauterkrankungen, Helmin-
thiasis, Pertussis, auch tuberkulöse Infektion des oberen Respirations-
resp. Yerdauungstraktes und damit zusammenhängend Lymph-
drüsentuberkulose, insbesondere der Hals- und Bronchialdrüsen. Von
letzterer nimmt die diesem Alter eigentümliche Form der Hilus-
pthise ihren Ausgang. Häufiges Vorkommen der lokalen und der
miliaren Tuberkulose. Defekte der Intelligenz treten in aus-
bleibender oder verspäteter Erlernung der Sprache, schwere
17*
260 Escherieh, Die Gmndlagen and Ziele der modernen Pädiatrie.
Läsionen des Gehirnes als Idiotie oder Epilepsie zutage. Be-
sondere Haa£gkeit der akaten Poliomyelitis.
IL Poeritia. . Der Eintritt in die Schule bringt die damit
verbundenen Schädigongen: Skoliose, Myopie, nervöse Störangen
der verschiedensten Art and mannigfaltige Kontaktinfektionen,
anter denen die akaten Exantheme mit ihren Folgezostanden
Nephritis, Myokarditis die weitaas wichtigsten sind. Der leb-
haftere Bewegangsdrang erzeugt traumatische Erkrankungen, viel-
leicht auch die nunmehr einsetzende Appendicitis. Tuberkulose,
insbesondere die Drnsentaberkulose ist seltener, nähert sich dem
Typus der Erwachsenen, dagegen erscheint als neue und gefahr-
liche Infektionskrankheit der akute Gelenkrheumatismus mit
Elndocarditis und Chorea.
ni. Pubertät. Liefert vorwiegend beim weiblichen Ge-
schlechte charakteristische Erankheitsbilder: Chlorose, Hysterie,
Psychosen, Herzerkranknngen. Im übrigen gehen die Morbiditäts-
verhältnisse in diejenigen der Erwachsenen über.
Diese Gruppierung der häufigsten Krankheiten des Eindes-
alters ist jedem erfahrenen Pädiater geläufig und trägt dadurch,
dass der Kreis der in Betracht kommenden Erkrankungen für
jede Periode ein relativ beschränkter ist, wesentlich zur Er-
leichterung der Orientierung und der Diagnosen stellang bei. Sie
muss auch jeder Besprechung der Therapie zugrunde gelegt
werden, da ja auch die in Anwendung gezogenen Massnahmen
genau so wie die Pflege des gesunden Kindes für jede Wachstums-
periode verschieden sind. Vorher mögen jedoch einige Worte
über die Therapie der Kinderkrankheiten im allgemeinen voraus-
geschickt werden.
Wenn auch die allgemeinen Prinzipien der Arzneibehandlung
für das Kindesalter selbstverständlich die gleichen sind, wie für
den Erwachsenen, so gestaltet sich doch die praktische Durch-
führung derselben zu einer wesentlich verschiedenen je nach dem
Lebensalter des Kindes. So genügt es, um ein Beispiel heraus-
zugreifen, durchaus nicht, die dem Erwachsenen in einem ge-
gebenen Falle zu verordnende Dose eines Medikamentes auf das
Körpergewicht des Kindes zu reduzieren. Vielmehr bringt die
physiologische Eigenart des kindlichen Organismus, die
Verschiedenheiten im Wachstum der einzelnen Organe, seine
Intoleranz gegen die einen, die Toleranz gegen andere Mittel,
sowie die Rücksicht auf die dem Kinde zusagende Dispensierung
es mit sich, dass die Auswahl und Versohreibung der beim Kinde
£8 che rieh, Die Graodlagen und Ziele der moderneo P&diatrie. 261
7.a verweDdenden Medikamente selbst fQr die gleichen Indikationen
in fast allen Fällen yon der beim Erwachsenen üblichen abweicht.
£s kann also dem in der Einderprazis tätigen Arzte nicht
erspart bleiben, dass er sich mit der für die einzelnen Wachstums-
perioden üblichen Therapie durch ein spezielles Studium vertraut
macht.
Ähnlich verhält es sich mit den physikalischen Behandlungs-
methoden. Auch diese gerade in jüngster Zeit mehr und mehr
gewürdigten Methoden verlangen eine weitgehende Anpassung an
die geringere Widerstandsfähigkeit, an das mangelnde Entgegen-
kommen resp. den Widerstand, welchen die kleinen Patienten der
Vornahme derselben entgegensetzen. Dagegen gewähren die
Kleinheit und Transportfähigkeit des kindlichen Körpers, der
relativ leicht zu überwindende Widerstand und das Fehlen
suggerierter Angst Vorstellungen in manchen Fällen eine erwünschte
Erleichterung.
Auf Einzelheiten der Therapie kann nicht eingegangen werden.
Nur im allgemeinen sei erwähnt, dass von der Hochflut der
Medikamente, welche die chemische Industrie in letzter Zeit auf
den Markt geworfen hat, nur wenige sich in der Pädiatrie einen
dauernden Platz errungen haben. Mit Recht wird der Gebrauch
der Arzneien mehr und mehr eingeschränkt und nach Möglichkeit
durch diätetische und physikalische Behandlungsmethoden ersetzt,
die bei langer und konsequenter Anwendung überraschende
Resultate ergeben.
Nur von jenen Mitteln können wir einen wirklichen kurativen
Erfolg erwarten, welche den gerade im kindlichen Organismus so
mächtigen Naturheilprozess anregen, fördern oder ersetzen, wie
dies in glänzendster Weise durch das von Behring hergestellte
Diphterieheilserum geschieht. Hier waren die Pädiater, welche
sonst in den von der internen Medizin eingeschlagenen Wegen
zu wandeln gezwungen sind, in der Lage, in der Erprobung und
Empfehlung dieses hervorragenden Heilmittels die führende Rolle
zu übernehmen. Es sei hier gleich eines zweiten, ebenfalls bei'
Diphterie zur Verwendung kommenden Heilverfahrens erwähnt,
dessen Einführung ausschliesslich den Pädiatern zu danken ist,
ich meine die von Ihrem ebenso genialen, als bescheidenen Lands-
manne O'Dwyer empfohlene Intubation, welche die Verwendung
der blutigen Tracheotomie in der grössten Zahl der Fälle über-
flüssig gemacht hat.
382 Escherick, Die Gnindlageii imd Ziele der modernen Pädiatrie.
Der grösste Unterschied in der therapeatischen
Aufgabe des Kinderarztes gegenüber derjenigen des
Internisten liegt aber in der überwiegenden Bedeutang
and Aasgestaltang der Prophyllaxe. Das Wort Prophyllaxe
ist in diesem Sinne bis zu einem gewissen Orade identisch mit
Pflege, insofern bei der Erziehung des Kindes, dem Selbst-
bestimmung, Erfahrung und regulierende Apparate fehlen, die
Pflege nicht nur seine körperlichen Bedarfnisse befriedigen,
sondern auch alle ihm drohenden Gefahren verhüten muss. Dazu
reichen aber die dem Erwachsenen zu Gebote stehende Erfahrung
und die Regeln der allgemeinen Hygiene nicht aus, es bedarf
dazu einer speziellen, individualisierendenUnterweisung,
welche nur yon einem mit den Gesetzen der Entwicklung
des Kindes yertrauten Pädiater gegeben und von dafür
ausgebildeten Personen durchgeführt werden kann. Die
klinische Erfahrung wie die medizinische Statistik zeigt, das^
kein anderes Moment die Morbidität und Mortalität des Kindes-
alters so mächtig beeinflusst, als eine sorgfaltige und sach-
Terständig geleitete Pflege, und dass es auf diesem Wege
wenigstens beim jungen KJnde gelingt, wenn nicht alle, so doch
die meisten Erkrankungen fem zu halten. Die Pädiater sind
sich auch Ton allem Anfange an der grossen Bedeutung der vor-
beugenden Pflege, der ProphyUaxe, bewasst gewesen, wenn auch
erst die grossartigen Elrrungenschaften der letzten Jahrzehnte
ihnen den rechten Weg gewiesen haben. Wir werden versuchen,
die wichtigsten Grundsätze derselben für die verschiedenen
Perioden mit kurzen Worten zu skizzieren und damit gleich-
zeitig einige der gerade jetzt im Flosse befindlichen Fragen be-
rühren.
Die Prophylaxe bezüglich der Geburtsschädigungen fallt der
Geburtshilfe zu. Ich will hier nar den originellen Gedanken
Prof. Gärtners erwähnen, den schweren asphyktischen Zustand
des Neugeborenen durch Einführung von Saaerstoffgas in die
Nabelvene zu beheben. Im übrigen wird die Aufgabe des Kinder-
arztes darauf gerichtet sein, die den Neugeborenen umgebenden
Medien nach Möglichkeit im Sinne der in utero bestehenden Ver-
hältnisse umzuwandeln, wozu man zweckmässig eine Couveuse oder
Brutkammer verwendet. Die Zartheit der Haut und Schleimhäute
verlangt besondere Sorgfalt bezüglich der Kleidung und Reinigung
des Kindes. Es ist bekannt, dass die meisten der in den ersten
Lebensjahren auftretenden Munderkrankungen durch mechanische
JSacbericti, Die Orondlag^Q and Ziele der modertieD Pftdiatrie- 263
losalte hervorgerufen oder doch begünstigt werden. Freilich muss
noch ein weiterer Faktor hinzutreten: die Infektion. Es genftgen
jedoch zu deren Zustandekommen schon die gewohnlichen stets
in der Umgebung des Menschen verbreiteten Eiterbakterien und
die geringsten Läsionen der Decke. Von der Häufigkeit und
Gefahr derselben sprechen die älteren Findelhausstatistiken und
die Krankenhausberichte, nach denen 80 — 100 pCt. der ein-
gebrachten Säuglinge zagrunde gingen. Durch die Einfuhrung der
Antisepsis und Asepsis in der Pflege des Säuglings ist ein hochbedeut-
samer Umschwung dieser Verhältnisse und ein Rückgang der
septischen Erkrankungen eingetreten, welcher der Beseitigung des
Puerperalfiebers der Wöchnerinnen durch Semmelweiss gleich-
zustellen ist.
Die grösste und schwierigste Aufgabe dieser Lebensperiode
ist aber die Ernährung. Der Darmkanal des Säuglings hat trotz
seiner rückständigen Entwicklung die zur Yerdreifachung des
Körpergewichts notwendige Nahrungsmenge zu assimilieren. Die
Bewältigung dieser Aufgabe gelingt relativ leicht, wenn dem
Säuglinge die natürliche, seinen Bedürfnissen so wunderbar an-
gepasste Nahrung, die Muttermilch, zur Verfügung steht. Die
Schwierigkeit wächst aber ins Ungemessene, wenn die Mutter, wie
dies in immer steigendem Masse der Fall ist, wegen Mangel an
Milch oder aus sozialen Gründen nicht imstande ist, zu stillen.
Da die Kenntnis der Stoffwechsel Vorgänge trotz der grossen dar-
auf verwendeten Arbeit noch nicht soweit vorgeschritten ist, die
Aufstellung experimentell ermittelter Werte zu ermöglichen, so sind
wir heute wie in früherer Zeit darauf angewiesen, uns an das Vor-
bild der Muttermilch zu halten und die zur künstlichen Ernährung
benutzte Kuhmilch derselben nach Möglichkeit ähnlich zu machen.
Die Unterschiede der prozentischen Zusammensetzung, denen
man anfangs die grösste Bedeutung beilegte, hat man gelernt, durch
entsprechende Verdünnung und Zusatz von entsprechenden Mengen
von Fett und Kohlehydraten in recht vollkommener Weise aus-
zugleichen. Dagegen hat sich im Laufe der Forschung die Kluft,
welche bezüglich der Qualität der einzelnen Nährstoffe besteht,
noch erweitert. Wenigstens gilt dies bezüglich des wichtigsten
derselben, des Eiweisses. Dasselbe weist nicht nur in seiner
elementaren Zusammensetzung und den chemischen Reaktionen,
sondern, da es einem artfremden Lebewesen entstammt, auch in
seinem biologischen Verhalten wesentliche und unüberbrückbare
Unterschiede gegenüber dem Frauenmilcheiweiss auf. Auf die
264 Escherich, Die Grand lagen and Ziele der modernen Pädiatrie.
Bedeutung dieser Frage für die SäuglingsemähruDg haben Wasser-
mann und Hamburger hingewiesen.
Zu den qualitativ yerschiedenen Bestandteilen gehört auch
die Gruppe der in der Frauenmilch enthaltenen thermolabilen
fermentartigen Körper, auf deren Vorkommen ich selbst die
Aufmerksamkeit gelenkt habe. Dieselben vermitteln, da sie dem
Blute der Mutter entstammen, dem Brustkinde einen Teil der in
dieser enthaltenen Schutzstoffe und Stoffwechselfermente, während
die analogen in der rohen Kuhmilch enthaltenen Körper für den
Säugling keinen oder doch einen sehr viel geringeren Wert be-
sitzen. Es scheint mir deshalb vorläufig nicht berechtigt, die
Hitzesterilisierung der Kuhmilch, die ich für eine der grössten
Errungenschaften auf diesem Gebiete betrachte, aus diesem Grunde
zu verlassen, wenn man auch im allgemeinen geneigt ist, in Rück-
sicht auf die dadurch gesetzte chemische Veränderung die Dauer
und Höhe derselben möglichst einzuschränken. Es wird dies umso
eher möglich, je reiner die Milch gewonnen und je sorgfaltiger sie
bis zur Vornahme der Steril isierung behandelt wird. Es scheint aber
sehr fraglich, ob der in jüngster Zeit aufgetauchte Vorschlag des
Formalinzusatzes (Behring) oder der elektrischen Durchstrahlung
(Seiffert) imstande sein werden, die Hitzesterilisierung zu ersetzen.
Ein wesentlicher Unterschied der künstlichen und natürlichen
Ernährung liegt auch in der Art der Nahrungsaufnahme. Dos
Brustkind erhält die Milch durch aktives Saugen und — die Er-
nährung an der Mutterbrust vorausgesetzt — in einer seinen
Bedürfnissen angepassten Menge und Zusammensetzung. Dem
künstlich genährten Kinde steht dieselbe in unbegrenzter Menge
zur Verfügung und wird ihm zumeist in einer seine Verdauungs-
kräfte übersteigenden Menge eingeflösst. An der strengen Ein-
haltung der Grösse und Zahl der Einzelmahlzeiten, in der Fest-
stellung der nach der volumetrischen Methode oder dem Kalorien-
gehalte berechneten Nährstoffmenge, mit einem Worte in der
Vermeidung der habituellen Uberf ütterung der Flaschen-
kinder liegt ein weiterer praktisch bedeutsamer Fortschritt der
künstlichen Ernährung.
Trotz der grossen, in den letzten Jahrzehnten auf diesem
Gebiete geleisteten Arbeit müssen wir aber gestehen, dass
wir von dem Ziele unserer Bestrebungen, einen Ersatz der
Muttermilch zu finden, noch weit entfernt sind und dass
diese insbesondere bei in der Entwicklung rückständigen oder
durch Erkrankung geschwächten Kindern durch nichts zu ersetzen
Escherich, Die GrandlageD und Ziele der modernen P&diatrie.
ist. Dagegen können wir mit Recht darauf hinweisen, dass es
gelangen ist, der Emährang mit Kuhmilch einen grossen Teil der
früher damit verbundenen Gefahren zu benehmen, so dass, wo
die Assimilationsfahigkeit für Kuhmilch überhaupt vorhanden ist,
die künstliche Ernährung mit Aussicht auf Erfolg in Angriff ge-
nommen werden kann. Freilich gehört zur richtigen Durchführung
derselben ein sehr viel grösseres Mass von Sorgfalt, Zeitaufwand
und pekuniären Mitteln als zur Brusternährung, so dass diese
Verbesserung gerade der armen Bevölkerung, wo sie am wichtigsten
wäre, nicht, oder nur in beschränktem Masse zugute kommt.
Dieselbe Schwierigkeit besteht auch gegenüber den Forderungen
nach Pflege, Reinlichkeit, Licht und Luft in den Wohnräumen.
Diese letzteren Punkte sind von besonderer Wichtigkeit
in der Periode der Skelettentwicklung. Unhygienische
Wohnungsverhältnisse, ungenügende Ventilation, enges Zusammen-
wohnen der Menschen, wie es insbesondere bei der armen Be-
völkerung und in der kalten Jahreszeit vorkommt, haben, wie
Kassowitz nachgewiesen, einen unzweifelhaften Einfluss auf die
Entstehung und die Schwere der Rhachitis. Bei der enormen
Häufigkeit und dem schleichenden Beginne dieser Krankheit ist
•es nicht überflüssig zu mahnen, die Entstehung schwerer Formen
und rhachitischer Verkrümmungen rechtzeitig zu verhüten. In
«iner sorgfältig geregelten Diät, der Verwendung von Luft-, Bade-,
Bewegungskuren erst in zweiter Linie in der Verabreichung von
Nährpräparaten und Medikamenten (Phosphor, Eisen, Arsen) be-
sitzen wir gegenüber der Entwicklung der in dieser Periode so
häufigen Dyskrasien mächtige Behelfe. Angesichts der in dieser
Zeit vor sich gehenden Umwandlung des Skelettes aus dem
infantilen in den erwachsenen Typus könnte man auch daran
denken, diesen Prozess in günstigem Sinne zu beeinflussen und
beispielsweise die Entstehung der gefürchteten paralytischen
Thorax durch entsprechende Massnahmen zu verhüten. Die Ge-
fahren der Schmierinfektion sind durch sorgfältige Vermeidung von
Infektionsangelegenheiten, Reinlichkeit eventuell durch Ver-
wendung des Schutzpferches (Fe er) zu vermeiden. Ich habe die
Anschauung gewonnen, dass nicht wenige, der in diesem Alter
so häufigen Fälle von Meningitis tuberculosa auf Infektion durch
Wohnungsstaub zurückzuführen sind.
In der der funktionellen Ausbildung gewidmeten Periode der
IL Kindheit ist es Aufgabe des Arztes, einerseits die in dem
Kinde vorhandenen Kräfte und Fähigkeiten zu harmonischer
266 Bteh^ricky Pi« GroBdlagta nnd Zi«U der modernen PftdUlrie.
Entwickloiig za brisgen, andererseits durch passende Auswahl
ond Anleitung der körperlichen Uebnngen, durch richtige Ein-
teilung der Arbeitsstunden Übermüdung nnd Schädigung hintan-
zuhalten. Nach welcher Seite hin der Eiufluss des Arztes sich
geltend zu machen hat, hängt von der Individualität des Kindes
und seiner Erzieher, aber auch Yon den Sitten und Gebräuchen
des Landes ab. In den deutschen und romanischen Ländern
macht sich erst das allgemeine Streben nach einer intensiveren
körperlichen Ausbildung geltend, während diese bei den unter
englischem Einflüsse stehenden Völkern schon längst in Übung ist.
Ein neuer Faktor tritt mit der Schule in das Leben
des Eandes. Die heute übliche Form des Massen Unterrichtes
in geschlossenen Bäumen und mit einem relativ grossen Auf-
wände von Unterrichtstunden ist im Sinne der Hygiene als ein
notwendiges Übel zu betrachten. Umsomehr müssen wir bestrebt
sein, die damit verbundenen Schäden durch Yerbesserung der
Schuleinrichtungen einerseits durch entsprechende Ruhestunden
ausserhalb derselben zu kompensieren. Yon mancher Seite wird
die Hauptaufgabe des Arztes in dieser Periode darin gesehen,
durch rigorose Absperrungsmassregeln die Kinder vor den während
des Schulbesuches drohenden akuten Exanthemen zu schützen»
Ich kann diesen Standpunkt nicht unter allen Umständen
und nicht für alle Erkrankungen dieser Gruppe anerkennen.
Wenn auch bezüglich einzelner Erkrankungen, wie Scharlach
oder Diphterie, jede zur Verhütung geeignete Massregel (pro-
phylaktische Immunisierung) zu empfehlen ist, so kann dies*
bezüglich der sehr viel leichteren und fast alle Menschen be-
fallenden Masern und Yaricellen doch nur in dem Sinne zu
gelten, als man nach Möglichkeit zu V^erhüten trachtet, dass das
Individuum zu einer Zeit und in einem Alter von diesen Krank-
heiten befallen werde, in welchem eine verminderte Widerstands-
fühigkeit oder Neigung zu Komplikationen bestehen. Das ist
aber jenseits des 6. und 7. Jahres in der Regel nicht mehr der
Fall, während im Gegenteile die im erwachsenen Alter auf-
tretenden Masern nicht selten einen schweren Yerlauf nehmen
(Biedert). Die durch Überstehen gewisser Infektionskrankheiten
erworbene Immunität ist ein intregrierender Bestandteil jener
Widerstandskraft, welche sich der Mensch im Laufe der Kind-
heit erwerben soll. Hierher ist auch die obligatorische Vornahme
der Yaccination zu rechnen.
So bietet jede Wachstumsperiode des Kindesalters neue
Escheriob, Die Grandlagea und Ziele der modernen P&diatrie. 267
un4 bedeutsame ABgriffspankte für die Darchfübrong der in-
diyidaellen Prophylaxe, die sich ohne Schwierigkeit noch
vermehren liessen. Grundgedanke ist die andauernde
und sorgfältige Überwachung der Lebensführung des
Kindes während der ganzen, insbesondere während der
ersten Zeit des Wachstumes, Schutz und Förderung der
normalen Entwicklung nach dem Satze: medicus non sit
magister sed minister naturae. Im einzelnen also: Schonung
der in der Entwicklung rückständigen, Ausbildung der bereits
entwickelten Funktionen, spezielle Überwachung der jeweilig in
besonderem Wachstume begriffenen Organe, Verhütung sich
bildender oder ererbter Erankheitsanlagen, Schutz yor Schädlich-
keiten, insbesondere Infektionen. Die Erkrankung, mit der
sonst das Eingreifen des Arztes erst einsetzt, ist hier gewisser-
massen ein Misserfolg der vorbeugenden Pflege, ein den normalen
Gang der Entwicklung störender Zwischenfall. In diesem Sinne
wird der das Eind betreuende Arzt zum Freund und un-
entbehrlichen Berater der Familie in allen die Lebensführung des
Kindes betreffenden Angelegenheiten, vorausgesetzt, dass diese
die selbstlose Art seines Wirkens zu schätzen weiss. Ich gebe
zu, dass diese Art der Betätigung des Kinderarztes derzeit nur
ausnahmsweise, unter besonders günstigen Verhältnissen und auch
in Zukunft nur einer beschränkten Zahl von Familien errreichbar
sein wird. Aber warum sollte es verwehrt sein, am Ab-
schlüsse eines Jahrhunderts, das so ungeahnte Erfolge
gezeitigt hat, die auf Erhöhung der Widerstands- und
Leistungsfähigkeit und die Vermeidung derErkrankungen
abzielende, individuelle Prophylaxe als das ideale Ziel
unserer Bestrebungen aufzustellen?
Das Bild der modernen Pädiatrie wäre unvollständig, wenn
ich nicht auch der Bestrebungen und Erfolge gedenken würder
welche sie auf dem Gebiete des Kinderschutzes aufzuweisen
hat. Es war dies um so notwendiger, als in vielen, insbesondere
den anglogermanischen Staaten die Fürsorge für die armen,
kranken und verlassenen Kinder von vorneherein der Privat-
wohltätigkeit überlassen wurde, während in den romanischen
Ländern die Findelanstalten für die bedürftigste Gruppe dieser
Kinder versorgen. So entstanden die aus privaten Mitteln ge-
gründeten Kinderspitäler und -Ambulatorien, die heute in keinem
grösseren Gemeinwesen fehlen. Diese Anstalten gewinnen eine
besondere Bedeutung dadurch, dass sie die natürlichen Zentren
268 Escherich, Die Grandlagen und Ziele der modernen P&diatrie.
für die praktische Aasbildung und wissenschaftlichen Arbeiten
der Kinderärzte darstellten, aus denen sich dann die klinischen
Institute entwickelten.
Die Mitwirkung der Kinderärzte in der Reform des Findel-
and Haltekinderwesens, in der Schalarztfrage, in den zahllosen
Vereinen, welche der Kräftigung und Gesundung der heran-
wachsenden Jagend dienen (Schülerhorte, Ferienkolonien, See-
hospize etc.) ist selbstverständlich. Sind doch die Kinderärzte
diejenigen, welche die Notwendigkeit dieser Einrichtungen zuerst
erkannt und den Weg zur Abhilfe gezeigt haben.
Die jüngste Bewegung hat sich den Schutz der Säug-
linge zum Ziele gesetzt, deren erschreckende Sterblichkeit schon
oben besprochen wurde. Auf diesem Gebiete gebührt wie auf
dem des Kinderschutzes überhaupt, wenigstens soweit die staat-
liche Mitwirkung in Betracht kommt, Frankreich der unbestrittene
Vorrang. In den meisten anderen Ländern liegen nur private
Unternehmungen vor: Krippen, Milch Verteilungsanstalten (sog.
gouttes de lait), Wöchnerinnenasyle, Säuglingsheime. Die letzteren
dienen zumeist auch zur Ausbildung ärztlich geschulter Pflegerinnen.
In dieser Hinsicht sind die in den Vereinigten Staaten bestehenden
Einrichtungen, von denen ich speziell das von Dr. Shaw ge-
leitete St. Margarethshouse in Albany, näher kennen gelernt habe,
mustergiltig.
Alle diese Einrichtungen sind von Kinderärzten angeregt,
zum Teile durchgeführt und durch ihre freiwillige Mitwirkung er-
halten. So kommt es, dass jährlich hunderttausende von Personen,
deren wirtschaftliche Lage dies sonst nicht gestatten würde, die
Wohltat einer spezialistischen ärztlichen Beratung und Behandlung
geniessen und dass die so notwendigen Kenntnisse einer rationellen
Kinderpflege mehr nnd mehr im Volke Verbreitung finden. Das
warme Interesse und die Förderung, welche diese Bestrebungen
in allen Kreisen der Bevölkerung finden, beweist, dass man die
Nützlichkeit und die Humanität dieser Bestrebungen in vollem
Masse würdigt. Auch seitens der staatlichen Behörde wird die
hervorragendeBedeutung derselben für dieErhaltung undKräftigung
der kommenden Generation mehr und mehr anerkannt.
So kann unsere junge Wissenschaft mit voller Berechtigung
das Verdienst in Anspruch nehmen, der wichtigen Aufgabe
gerecht geworden zu sein, welche ihr auf sozialem Gebiet zu-
gefallen ist.
Jahrbuch fflr KindJjrheilkunde. Bd. 61.
id^l
Taf. I.
Fig. 1.
Fig. 2.
FiR 5.
^
Flg. 3.
Fig. i.
LöTeg^ren. Zur Kenntnis der Poliomyelitis
anterior acuta etc.
Verlag von S. Karger in Berlin NW. 6.
.Ja/u hiicft f.'hinilej /iadAu/ule, Bti LXL
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L JThcm.-xt^ t'.uA f.iAt Bfra.i 6 S3
Verlag von S. Karger T7t Berlai A W r^
XVII.
Aas dem pathologischen Institate (Prof. Dr. E. A. Homen) and der
UnWersiUts-Kinderklinik (Prof. Dr. W. Pipping) in Helsingfors (Finland).
Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
und subacuta s. chronica.
Klinische and pathologisch-anatomische Studien
Ton
Dr. ELIS LÖVEGREN,
iJeUingron.
(Hierza Tafel I u. II.)
I,
Poliomyelitis anterior aeuta.
Einleitende Literatarübersicbt.
Der englische Kliniker Michael Underwood(l)i8t der erste,
welcher auf das Krankheitsbild, das wir nunmehr unter dem
Namen Poliomyelitis anterior acuta kennen, aufmerksam geworden
zu sein scheint. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts^) beschrieb
Underwood eine Lähmung der unteren Extremitäten, die seiner
Angabe nach früher nicht in der Literatur erwähnt worden war.
Die Beschreibung ist äusserst unvollständig. Man sieht zwar,
dass Underwood Fälle von Poliomyelitis beobachtet hat, aber
man findet gleichwohl, dass seine Beschreibung auch Lähmungen
ganz anderer Natur umfasst. Underwood sagt jedoch, dass
die Krankheit, speziell in London, selten sei und er daher nur
einige wenige Fälle zu beobachten in der Lage war; sein Zweck
bei der Mitteilung dieser Krankheitsform sei nur gewesen, zu
weiterer Forschung anzuregen. Underwood will auf Grund des
geringen Materials keine bestimmte Ansicht über Ursache und
Natur der Krankheit äussern, doch fand er, dass der Dentitions-
prozess und intestinale Störungen aller Wahrscheinlichkeit nach
eine Rolle bei der Entstehung derselben spielen.
In Deutschland teilte Jörg (2) im Jahre 1810 einen
Krankheitsfall mit, der allem Anscheine nach eine Poliomyelitis
vorstellte. Es dürfte dies der erste einigermassen eingehend ge-
schilderte Fall dieser Krankheit sein, der zur Veröffentlichung
gekommen ist. Da es mir scheint, als ob die Mitteilung Jörgs
1} Einer io der diesbezQglicheD Literatur stets wiederkehrenden Angabe
nach fund hich diese Beschreibung schon in der Aul läge des Juhres 1784
▼on Underwood H Handbuch der Kinderkrankheiten. Ich hatte keine Ge-
legenheit, diese Aufluge im Originale zu ieuen, sundern nur eine im Jahre 1786
▼on Lefebvre ile Villebrune herausgegebene franzönische Übersetzung
derselben. Hier ündet sich die erwähnte Beschreibung nicht.
270 LöTegren, Zar Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
weniger beobachtet worden ist, als sie verdiept, so erlaube ich
mir, ihr einige Zeilen zu widmen.
Der Fall betrifft ein sechsjähriges Mädchen, das mit dner
ausgeprägten Lordose, Flexionskontraktur beider Hüft- und
Kniegelenke, sowie doppelseitigem Elumpfusse zu Jörg gebracht
wurde. Über die Entstehung und den Verlauf der Krankheit
berichtet Jörg folgendes: „Dieses Mädchen wurde gesund und
munter geboren, obgleich die Mutter desselben eine kränkliche und
schwache Frau ist. Kaum waren indes die ersten Wochen gesund hin-
gebracht, so verfiel dasselbe in ein heftiges Fieber, dessen Natur
und spezieller Name mir zwar von den Eltern nicht genau an-
gegeben werden konnte, welches aber ohne Zweifel von Erkältung
herrührte und zu den typhösen Fiebern, welche bei so zarten
Geschöpfen leicht und tief in alle Funktionen eingreifen, und die
ganze Ökonomie so sehr beeinträchtigen, gezählt werden musste.
Das etwa sechs Wochen alte Kind litt lange und wurde von
Eltern und Ärzten für verloren gehalten. Dessen ungeachtet
entwand sich dasselbe nach mehreren Wochen diesem Fieber,
blieb aber längere Zeit in einem nicht geringen Grade elend und
hager. Zu gleicher Zeit war auch die Mutter desselben durch
eine schwere Krankheit dem Tode nahe gebracht; daher wurde
die kleine Kranke meistenteils fremden Leuten überlassen.
Nachdem die Mutter so weit in der Genesung vorgeschritten war,
dass sie sich den Mutterpflichten nur einigermassen wieder unter-
^isiehen konnte, will sie gefunden haben, dass die Kleine ihre
Füsse nicht gehörig brauchen konnte. Nach und nach wurde
es jedoch merklicher, dass sich die Füsse in Klumpfüsse ver-
wandelten.^
Weiterhin schreibt Jörg: „Fragen wir hier nach der
Ursache aller dieser Gebrechen, so können wir nicht anders, als
wir müssen sie in jener frühereu Krankheit suchen. Aber auf
welche Weise konnte dieselbe wohl so nachteiUg auf den ganzen
Körper wirken, dass alle diese Leiden daraus entstanden? Die
Antwort darauf ist nach meinem Dafürhalten nicht leicht, aber
sie ist sehr interessant, da diese Gebrechen oft auf dieselbe
Weise entstehen.**
Es ist somit klar, dass Jörg eine recht gute Kenntnis vod
den klinischen Äusserungen der Poliomyelitis hatte. Zugleich
zeigt sich, dass er eine rationelle Therapie für das Nachstadium
der Krankheit zur Anwendung brachte. Aber weder Jörg noch
eine Anzahl anderer Autoren aus den ersten Dezennien des
utid sabaeata ^ okroniea* 271
19. Jahrhunderts fassten die Poliomyelitis als eigenartige Krankheiten
form auf. So beschreibt noch im Jahre 1839 Bartsch (3) nur
als Eurioeum einen Fall mit Ton fr ehester Kindheit an bestehender
hochgradiger Atrophie der Muskulatur sowohl, als auch der
Skelettteile der unteren Extremitäten, sowie Atrophie der Rücken-^
muskeln mit Skoliose und Lordose, ein Fall, der mit alier Wahr-
scheinlichkeit zur Poliomyelitis anterior 2u rechnen sein dürfte.
Im Jahre 1840 gab Jacob Heine (4) eine Arbeit heraus
unter dem Titel: „Beobachtungen über Lähmungszustände der
unteren Extremitäten und deren Behandlung^. Ohne sich in
nennenswertem Grade auf die Forschungen früherer Autoren
stützen zu können, hat Heine in dieser Arbeit seine eigenen
sorgfältigen Beobachtungen gesammelt und auf Grund derselben
eine in gewisser Hinsicht vollständige Zeichnung des klinischen
Bildes der Poliomyelitis geliefert. Er kennzeichnete in dieser
Monographie die Poliomyelitis als eigenartige Krankheit und
sprach zugleich die auf die klinischen Symptome gegründete Ver-
mutung aus, dass der primäre Krankheitsprozess im Rückenmark
lokalisiert sei.
Heines Arbeit war unstreitig von grundlegender Bedeutung.
Es wurde durch dieselbe nicht nur alles, was mit den derzeitigen
Hilfsmitteln in der Sache zu erforschen war, festgestellt, sondern
auch die zukünftigen Forschungen waren auf den richtigen Weg
gelenkt.
Heines Forschungen ernteten in Deutschland grosse An-
erkennung, u. a. von Komberg. Die grosse Bedeutung seiner
Arbeit war gleichwohl in ihrer ganzen Tragweite vielen der einfluss-
reichen Autoren der nächstfolgenden Zeit nicht klar. Es machten
sich leider in Bezug auf die Natur und Ursache der Krankheit
andere Ansichten als die «eine geltend und hemmten das Studium
derselben für lange Zeit.
Rilliet und Barthez (5), welche 1843 in Frankreich zuerst
eine sehr knappe Beschreibung der Poliomyelitis gaben, kannten
die Monographie Heines damals nicht einmal. Diese berühmten
französischen Kinderärzte hatten selbst zwei Fälle von Kinder-
lähmung beobachtet, von denen nur der eine veröffentlicht wurde.
Dieser Fall, welcher ein zweijähriges Mädchen betraf, verlief
tödlich infolge einer f anf Wochen nach dem Eintritt der Lähmung
hinzutretenden Bronchopneumonie. Bei der Sektion zeigten das
Gehirn und seine Häute völlig normale Yerhältnisse, und hin-
sichtlich des Rückenmarks wurde verzeichnet: „la moelle a par-
272 Lövegren, Zur Kenntois der Poliomyelitis anterior acuta
tottt une bonne consistance, ses membranes n'ofFrent aucane in-
jection."
Auf Grund dieses Obdaktionsbefundes fassten Rilliet und
Barthez die infantile Paralysie als eine Lähmung sine materia
auf und gaben ihr den Namen „paralysie essentielle^.
Im Jahre 1851 TeröfiFentlichte Rilliet (6) eine ausfuhrliche
klinische Beschreibung in einem Aufsatze, der auch in der zweiten
Auflage des Rilliet und Barthezschen Handbuches enthalten ist.
In diesem Artikel wird die Monographie Heines erwähnt und
ihre Yortrefflichkeit anerkannt, doch will Rilliet die Ansieht
Heines, dass wahrscheinlich eine Läsion des Ruckenmarks vor-
handen sei, nicht gelten lassen. Er hatte noch einen weiteren
Sektionsfall mit negativem Befunde und findet dadurch seine
Anschauung über die Natur der Krankheit noch mehr gefestigt.
Rilliet hat in diese Arbeit — ganz unverständlich, weshalb
— einige von Kennedy (6) beschriebene Lähmungsfälle als
temporäre Form seiner paralysie essentielle aufgenommen. Mit
Recht hoben Erb (7) und Seeligmüller (8) hervor, dass diese
Fälle ganz anderen Charakters sind.
Ausser von Rilliet und Barthez wurde die in Rede
stehende Kinderlähmung unter anderen von dem englischen Pädiater
Ch. West (9) beschrieben. Seit dem Jahre 1840 machte die
Kenntnis der Poliomyelitis indessen keine Fortschritte bis 1855,
wo Duchenne (10) in seinem epochemachenden Werke „L'^lectri-
sation localisee^ eine erweiterte, ausgezeichnete klinische Dar-
stellung derselben gab.
Duchenne nannte die Krankheit Paralysie atrophique
graisseuse de Tenfance. Er hatte die Reaktion der gelähmten
Muskeln für den elektris^chen Strom, speziell den faradischen,
studiert, und konnte auf Grund der dabei gemachten Erfahrungen
mittelst der elektrischen Untersuchung die Diagnose sicherstellen
und das Stellen der Prognose ermöglichen. Aus dem klinischen
Charakter der Lähmung, speziell der Art der elektromuskulären
Kontraktilität, zog Duchenne den Schluss, dass die Krankheit
im Ruckenmark lokalisiert sein müsse.
Obgleich das Krankheitsbild durch die Arbeiten Heineb
und Duchennes klinisch wohl begrenzt und charakterisiert ist,
findet man gleichwohl in der folgenden Zeit noch immer
Autoren, welche dasselbe mit Paralysen ganz verschiedener Art
zusammenwerfen. So hat beispielsweise Bierbaum (11) unter
dem Namen „idiopathische Paralysen" als hierhergehörig eine
und subacuta 8. chronica. 278
Anzahl Falle von Kinderlähmungen beschrieben, von denen nicht
ein einziger die Kennzeichen der Poliomyelitis trägt. Diese Un-
klarheit in der Auffassung der Krankheit dürfte wohl, zum Teil
wenigstens, darauf beruhen, dass die grosse Autorität Rilliets
und Barthe// ihre Lehre von der essentiellen Paralysie in weiten
Kreisen verbreitet hatte. In der im Jahre 1861 erschienenep
zweiten Auflage ihres „Traite des maladies des enfants^ findet
sich im Kapitel von den Paralysen nicht ein Wort über die be-
deutungsvollen Entdeckungen Duchennes.
Jacob von Heine (4) gab im Jahre 1860 eine zweite Auf-
lage seiner Monographie heraus unter dem Titel „Spinale
Kinderlähmung.^ In den zwanzig Jahren, die seit der ersten
Publikation von Heines verflossen waren, hatte er ein be-
trächtliches und wertvolles klinisches Material gesammelt und
hatte energische, wenngleich vergebliche, Anstrengungen gemacht,
einen Sektionsfall aufzuspüren. Er konnte somit auch jetzt seine
mit der Zeit immer bestimmtere Annahme einer spinalen Lokali-
sation des Leidens nicht anders stützen, als durch eine allerdings
sehr grosse klinische Erfahrung.
Ohne wesentlich Neues zu bringen, trug auch die zu dieser
Zeit veröffentlichte Arbeit von Brünniche (12) zur Klärung der
klinischen Begriffe bei.
Im Jahre 1861 teilte Moritz Meyer (13), der eine Menge
Fälle von spinaler Kinderlähmung beobachtet hatte, einige gleich-
ürtige Fälle bei Erwachsenen mit. Zwei Zwillingsbrüder hatten
im Alter von 17 Jahren gleichzeitig Masern durchgemacht, und
darauf hatte sich bei ihnen eine seitdem bestehende doppel-
seitige Lähmung mit Atrophie der unteren Extremitäten ein-
gestellt. Die elektro-muskuläre Kontraktilität war stellenweise
herabgesetzt, stellenweise völlig aufgehoben; die Sensibilität war
überall erhalten.
Wenngleich die Krankengeschichte dieser Brüder in ge-
wisser Hinsicht mangelhaft ist, so dürften diese Fälle doch zur
akuten Poliomyelitis gerechnet werden können, was hingegen im
dritten Falle (Beobachtung 19), den Meyer in diesem Zusammen-
hange anführt, bestimmt bestritten werden muss.
Es will scheinen, als ob die Yeriasser, trotz des bedeutenden,
schon Yorhandenen klinischen Materials, bis dahin nicht in der
Lage gewesen waren, Fälle im akuten Stadium zu beobachten*
Erst 1864 wurden derartige Fälle von Garganico (14), Du-
chenne fils (16) und Laborde (16) publiziert.
jAbrimch f. KinderbHIknnde, N. F. TJCI, Heft 2. 18
274 Lövegren, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
Labor de und Duchenne fils gaben fast gleichzeitig ihre-
ausgezeichneten Monographien über diese Krankheit heraus und
gründeten ihre Darstellung teilweise auf dasselbe Material.
Duchenne fils beschreibt unter seinen Fällen recht ausführlich
einen, der einen 22jährigen Mann betri£Ft. Labor de gab in
seiner grossen Arbeit eine fast erschöpfende klinische Darstellung
und kritisierte einige zurzeit geltende Ansichten, so z. B. die
Überschätzung der Aussichten der elektrischen Behandlung des
älteren Duchenne.
Die Hypothese Heines und Duchennes von der Lokali-
sation des Krankheitsprozesses im Rückenmark hatto immer mehr
Wahrscheinlichkeit für sich gewonnen, je mehr man das klinische
Bild studierte, aber es fand sich noch kein Sektionsbefund, der
die Sache mit voller Beweiskraft entschieden hätte.
Im Jahre 1863 teilte Cornil (17) in der Sociötö de Biologie
das Resultat der anatomischen Untersuchung eines klinisch nicht
beobachteten Falles mit. Er betraf eine 49 jährige Frau, die seit
ihrem 2. Lebensjahr^ eine Lähmung mit Atrophie der unteren Ex-
tremitäten gehabt hatte. Cornil fand die Vorder- und Seiten-
stränge des Ruckenmarks atrophisch und hielt die vorderen
Hörner für normal. Laborde teilt in seiner oben erwähnten
Arbeit zwei Sektionsfälle mit. Der eine betraf ein zweijähriges
Mädchen, das mit 8 Monaten unter Symptomen, die auf eine akute
Poliomyelitis deuteten, erkrankte. Die von Cornil und Laborde
ausgeführte mikroskopische Untersuchung des Ruckenmarks zeigte
in den Vorder- und Seitensträngen proliferiertes Bindegewebe,
variköse Nervenfäden ; in den Vorderhörnern erwiesen sich die
Ganglienzellen als „parfaitement saines"; keine Gefass Verände-
rungen. Der zweite Fall betraf einen zweijährigen Knaben. Der
Verlauf der Krankheit, sowie der bei der klinischen Untersuchung
gefundene Status sprachen keineswegs mit Sicherheit dafür, dass
es sich iu diesem Falle um eine akute Poliomyelitis gehandelt
hatte. Die Untersuchung des Rückenmarks wurde von Laborde
sowie teilweise auch von Cornil ausgeführt. Beide fanden An-
zeichen einer „congestion exsudative intense" in der Pia und
den peripheren, ihr zunächst belegenen Partien der weissen
Substanz, eine Verminderung der Anzahl der Nervenfasern in den
Vordersträngen des Cervikalteils, in den zentralen Teilen des
Rückenmarks keine Veränderungen. Dieser zweite Fall von
Laborde wird in Kürze auch von Duchenne fils beschrieben^
und subaouta 8. chronica. 27&
der — im Gegensatz zar Angabe a. a. von Goldscheider und
Brasch (18) — in seiner oben erwähnten Arbeit keine eigenen
anatomischen Untersuchungen veröfFentlicht.
Pr^Yost (19) fand 1866 bei der Untersuchung eines
Falles aus Vulpians Klinik eine Verminderung der Anzahl
der Ganglienzellen im Vorderhorne der einen Seite, sowie eine
Atrophie der Vorder- und Seitenstrange derselben Seite. Eine
ausgeprägte Atrophie der Ganglienzellen wurde drei Jahre später
auch von Lockhart Clarke (20) konstatiert.
Doch erst durch den Bericht eines klinisch und anatomisch
sorgföltig untersuchten Falles durch Charcot und Jeffrey (21)
trat die zuerst von Prövost gefundene Atrophie der Ganglien-
Zellen in ihrer ganzen grossen Bedeutung hervor. Charcots und
Jeffreys Fall betraf eine Frau, die im Alter von 40 Jahren
an Schwindsucht starb. Sie war im Alter von 7 Jahren und
3 Monaten plötzlich an allen vier Extremitäten gelähmt worden,,
worauf die Muskulatur derselben atrophisch wurde. Späterhin
waren die Extremitäten bedeutend in der Entwicklung zurück-
geblieben, und es hatten sich an ihnen Deformitäten ausgebildet.
Charcot und Jeffrey fanden in diesem Falle die Ganglienzellen
der Vorderhörner mehr oder weniger verändert, stellenweise war
eine ganze Zellengruppe verschwunden, und in gewissen Regionen
liessen sich überhaupt gar keine Ganglienzellen nachweisen. In
der Umgebung der veränderten Ganglienzellen war die Neuroglia
öfters sklerotisch, doch fanden sich Stellen, wo die atrophischen
Ganglienzellen von einer wesentlich normalen Stutzsubstanz um-
geben lagen. In den Vorder- und Seitensträngen bestand Atrophie
und eine gewisse Sklerose. Die vorderen Wurzeln waren hoch-
gradig atrophisch, am ausgeprägtesten in den Regionen, wo die
Ganglienzellenatrophie am grössten war. Die Veränderungen des
Rackenmarks waren grösser auf der linken Seite, und auf dieser
Seite war auch die Muskelatrophie der Extremitäten am weitesten
fortgeschritten.
Auf Grund dieses Befundes hält Charcot es für wahr-
scheinlich, dass die Ganglienzellen der Vorderhörner primär
affiziert waren, und dass die übrigen Veränderungen des Rücken-
marks als sekundäre zu betrachten seien. Er stellt zugleich die
Hypothese auf, dass sowohl die Lähmung als die trophischen
Störungen der Muskulatur als Folge der Degeneration dieser
Ganglienzellen auftreten.
18*
276 Luvegreo, Zur Kenntnis der Poliomyelttie anterior acuta
Charcots erfolgreiche pathologisch - anatomischen Unter-
sachungen derErankheit undseine geistreiche Lehre yon ihrerPatho-
genese hatten bezüglich einiger dankler Fragen ungeahnte Klarheit
gebracht. Das Interesse für die Sache war geweckt, und in
der nächsten Zeit erschienen mehrere ausgezeichnete Arbeiten,
welche Veränderungen in den Ganglienzellen der Yorderhorner als
konstanten Befand bei -ier spinalen Kinderlähmung feststellten.
Kurz nach der Publikation Charcots und Jeffreys hatte
Parrot Gelegenheit, im Verein mit Joffroy (22) einen Fall zu
studieren, wo der Tod etwa ein Jahr nach dem Eintritt der
Lähmung erfolgte. Parrot und Joffroy hatten in diesem Falle
Gefassveränderungen zweifellos entzündlicher Natur gefunden
und eine Vermehrung der Kerne in den Vorderhörnem des
Ruokenmarks, deren Ganglienzellen eine ausgeprägte Atrophie
zeigten. Die Ganglienzellen konnten stark verändert sein an
Stellen, wo keine Gefassveränderungen bestanden, aber anderer-
seits wurden auch hier und da Gefassveränderungen beobachtet,
ohne dass eine wesentliche Läsion der Ganglienzellen zu finden war.
Parrot und Jofffoy zogen aus ihren Untersuchungsresultaten
den Schluss, dass der Krankheitsprozess zuerst die Ganglienzellen
angegriffen haben muss. Sie schlössen sich somit der Ansicht
Charcots an, welche in der folgenden Zeit viele Anhänger ge-
wonnen zuhaben scheint, von denen der hervorragende Neurologe
Hammond (23) hier genannt sei.
Schon 1871 berichteten Roger und Damascbino (24)
über drei Fälle, welche resp. 2Vsi 6^/a und 13 Monate nach dem
Eintritt der Lähmung zur Untersuchung kamen. Die Ver-
änderungen im Ruckenmark waren in diesen Fällen überein-
stimmend und bestanden aus Erweichungsherden in den Vorder-
hörnem mit Körnchenzellen und vermehrten Kernen nebst starken
Gefassveränderungen; die Ganglienzellen waren mehr weniger
atrophisch, verhältnismässig am stärksten an den Stellen, wo die
Erweichungsherde am meisten ausgeprägt waren. Die Vorder-
und Seitenstränge zeigten Atrophie und eine gewisse Sklerose.
Die \ orderwurzeln und die peripheren Nerven waren atrophisch.
Weit später veröffentlichten diese Forscher (26) einen weiteren
Fall, der in Kürze in einer Fussnote schon in ihrer ersten Arbeit
erwähnt wird; dieser Fall bot dieselben Veränderungen wie die
drei vorhergehenden.
Nach Roger und Damaschino liegt das Wesen der
Krnnkheit in einem akuten Entzündungsprozess in den Vorder-
und sobacat» 8. chronica. 277
hörnern des Rückenmarks, einer zentralen Myelitis mitErweichungs^
herden und Ganglienzellen atrophie. Ob diese Myelitis ihren
Ursprung in der Stützsubstanz oder in den Ganglienzellen nahm,
ob sie also ursprünglich interstitieller oder parenchymatöser Natur
sei, fanden sie noch unentschieden.
In einem einen zweijährigen Knaben betreffenden Falle,
der 11 Monate nach einer akuten Poliomyelitis starb, fand
Roth (26) wesentlich dieselben Veränderungen wie Roger und
Damaschino. Roth deutete dieselben als Ausdruck einer inter-
stitiellen Myelitis. Er hält es für wahrscheinlich, dass eine pri-
märe interstitielle Myelitis auch in den Fällen vorgelegen hatte,
wo — wie in dem von Charcot und Joffroy veröffentlichten —
die viele Jahre nach dem Eintritt der Lähmung vorgenommene
Unter^chung nur eine Atrophie der Vorderhörner erwies.
Mit den pathologisch-anatomischen Untersuchungen der
sechziger und siebenziger Jahre war die Heinesche und Du-
chenne sehe Hypothese über die Lokalisation des primären
Krankheitsprozesses im Rückenmark eine völlig feststehende
Tatsache geworden. Gleichwohl waren diese bedeutungsvollen
Forschungsresultate in der Mitte der siebenziger Jahre noch
nicht durchgedrungen und ins allgemeine Bewusstsein übergegangen.
In den pädiatrischen Kreisen herrschte in der Frage über die
Natur der Krankheit noch immer eine gewisse Unsicherheit (27),
und selbst die Lehre Rilliets und Barthez' von der essentiellen
Lähmung hatte noch ihre Anhänger (28).
Im Jahre 1867 hatte Bouchut^) einen Sektionsfall mit-
geteilt, wo die von Robin ausgeführte mikroskopische Unter-
suchung des Rückenmarks einen vollständig negativen Befund
ergab. In der im Jahre 1878 erschienenen siebenten Auflage
seines grossen Lehrbuches nannte Bouchut (30) die polio-
myelitischen Lähmungen noch immer „paralysies myogt^niques*'.
Er hielt die Muskelveränderungen für das Primäre und Wesent-
liche und die Veränderungen im Rückenmark für nicht konstant
und, wo sie vorkamen, für sekundär, hervorgerufen durch die
Inaktivität der Muskeln. Als idiopathische Muskelaffektion wurde
diese Krankheit im Jahre 1873, auf Grund des negativen Befundes
von Seiten des Rückenmarks in einigen von Elischer und
Scheuthauer untersuchten Fällen, auch von K^tli (31) bezeichnet.
Fortgesetzte pathologisch-anatomische Untersuchungen wider-
*) Git. nach Mary Putnam Jacobi (29).
278 LöyegreD, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior aoata
legten diese Einwände, und im Beginn der achtziger Jahre scheint
sich überall die Auffassung geltend zu machen, dass diese Krank-
heit als akute Ruckenmarksaffektion zu betrachten sei.
In den erwähnten Arbeiten von Charcot und Joffroy,
Parrot und Joffroy, Roger und Damaschino sowie Roth
hatten die pathologisch-anatomischen Befunde, wie erwähnt, zu
zwei wesentlich von einander abweichenden Auffassungen in
Bezug auf die Pathogenese gefuhrt. Einerseits war Charcot
und mit ihm Joffroy und Parrot der Ansicht, dass die pri-
mären Veränderungen des Rückenmarks in einer Affektion der
Ganglienzellen der Vorderhörner bestanden, einer „t^phromydite
antörieure aigug parenchymateuse**. Andererseits hielten Roger
und Damaschino dafQr, dass der krankhafte Prozess von Anfang
an nicht nur in einer Atrophie der Ganglienzellen bestand^, wie
dies beispielsweise bei der spinalen progressiven Muskelatrophie
der Fall ist, sondern dass , ursprünglich eine zentrale Myelitis
mit Gefäss Veränderungen vorgelegen habe. Für den primär
interstitiellen Charakter dieser Myelitis spricht sich Roth un-
bedingt aus.
Bis in unsere Tage zieht sich wie ein roter Faden durch
die Diskussion der Poliomyelitis die Frage, was bei diesem
Krankheitsprozess das Primäre, was das Sekundäre sei. Es ist
klar, dass eine Entscheidung nur durch die Untersuchung ganz
frischer Fälle zu erlangen war. Doch dauerte es lange, ehe sich
die Gelegenheit dazu bot.
Die gegen Ende der 1870er und Anfang der 1880er Jalire
veröffentlichten Untersuchungen beziehen sich auf Fälle, in denen
•die Lähmung schon mehr weniger lange Zeit bestanden hatte,
und die gefundenen Veränderungen stimmen im wesentlichen mit
<len früher konstatierten überein.
Leyden (32) hielt die Befunde, auf denen die beiden
Theorien aufgebaut waren, für gar zu verschiedenartiger Natur, als
dass sie sich als Ausdruck verschiedener Stadien eines und des-
iselben ursprünglichen Prozesses denken liessen. Er veröffentlicht
vier pathologisch-anatomisch untersuchte Fälle, in denen die
knappen anamnestischen Angaben die Diagnose etwas unsicher
machen, und hält es für bewiesen, „dass der Kinderlähmung ver-
schiedene Prozesse zugrunde liegen können, deren gemein-
schaftliche Eigenschaften darin bestehen, dass sie bei Kindern
im frühesten Alter auftreten, sich akut entwickeln und die graue
Substanz der Vorderhörner ausschliesslich oder gleichzeitig
and sabacuta 8. chronica. 279
betreffen.*' In einem seiner Fälle, dem relativ frischesten, fand
Leyden ein Jahr nach dem Eintritt der Lähmung in den Vorder-
hörnern des RQckenmarks stellenweise Anhäufungen „grosser,
blasser, rander Zellen, mit ziemlich scharfen Konturen, ziemlich
klarem Inhalt und deutlichem grossen Kern^. Diese Zellen, deren
Kerne hier und da in Teilang begriffen waren, kamen gruppen-
weise, wenngleich in geringerer Zahl, auch in der weissen Substanz
vor. Leyden ist der Ansicht, dass diese endothelartigen Zellen
wahrscheinlich durch Schwellung und Teilung von Neuroglia-
jsellen entstanden und Fettkörnchenzellen analog sind. Spätere
Forschungen haben die Ansicht Leydens über das Vorhandensein
verschiedenartiger pathologischer Prozesse im Kückenmark als
-Grundlage für das einheitliche klinische Bild der Kinderlähmung
nicht bestätigt.
Eisenlohr (33) fand in zwei Fällen - der eine 6, der
andere 14 Monate nach Eintritt der Lähmung — diffuse Ver-
Jknderungen der Yorderhörner, die in Atrophie der Ganglienzellen,
Vermehrung der Kerne sowie in Fettkörnchenzellen in der Um-
gebung der Gefässe bestanden. Er sah das Wesen des Prozesses
in einer sämtliche Gewebe und speziell die Gefasse der Yorder-
Jhömer umfassenden Myelitis und stellte sich in bestimmte
Opposition zur Lehre von der primären Ganglienzellenatrophie.
Stadelmanns (34) Untersuchung eines Falles 2^4 Jahre nach
Eintritt der Lähmung ergab als wesentlichen Befund eine diffus
ausgebreitete Atrophie der Ganglienzellen der Yorderhörner;
sklerotische Herde waren nicht zu entdecken, ebensowenig Zellen-
einlagerungen von irgend nennenswerter Zahl. Stadelmann
schliesst sich der Gharcotschen Theorie an.
Einen höchst bedeutungsvollen Beitrag zur Kenntnis der
patbologischranatomischen Yeränderungen bei der Poliomyelitis
anterior acuta lieferte John Rissler (35) im Jabre 1888.
Rissler war in der Lage, fünf Fälle zu untersuchen, von denen
drei im akuten Stadium zur Untersuchung kamen, zwei resp.
7 Wochen und 8 Jahre nach der Erkrankung. Yon den Fällen
ans dem akuten Stadium betraf Fall 1 ein 4*/s jähriges Kind, das
am sechsten Krankheitstage starb; Fall 2 ein fünfmonatliches
ELind, das gleichfalls am sechsten Tage starb, und Fall 3 eine
21jährige Frau, die 6 Tage nach Eintritt der Lähmung und
8 Tage nach Beginn des Initialfiebers starb.
Rissler fand in den drei Fällen aus dem akuten Stadium
übereinstimmende, gleichartige Yeränderungen. Die Ganglien-
280 LöTegroD, Zur Kenntnis dor Poliomyelitis anterior acuta
Zellen zeigten eine mehr weniger ausgeprägte Atrophie, und hu-
erwieg sich, „dass die Krankheit in der näheren oder ferneren
Umgebung der Zellen keine so konstanten oder so beschaffenei»
sichtbaren Veränderungen hervorgerufen hat, dass dieselben als
für die Erzeugung der respektiven Degenerationsformen allein
ausreichende oder doch wenigstens als bei denselben mitwirkende
Causalmomente aufgestellt werden könnten^. In den Rückenmarks-
segmenten, wo die Veränderungen stärker entwickelt waren,,
konnte man einige Ganglienzellen von einer grösseren oder
geringeren Menge Zellen umgeben finden, die lüs Leukozyten
erschienen. Die Veränderungen der Ganglienzellen waren am so-
stärker, je grösser die Zahl der umgebenden Leukosiyten war.
Sowohl die Gefasswände und ihre Lymphscheiden als auch die
Grundsubstaoz zeigten meist einen grossen Reichtum an Kernen.
Die Gefässe waren stark erweitert, die Lymphräume von einem
Exsudat erfüllt, das weisse und, wenn auch in geringerer Menge,
rote Blutkörperchen enthielt. Blutergüsse aus rupturierten Ge-
lassen fanden sich nur selten und nur dort, wo das Gewebe von
Leukozyten überschwemmt und aufgelockert erschien.
Besonders bedeutungsvoll für die Deutung des Verhältnisses-
zwischen der Ganglienzellenatrophie und den Veränderungen der
Gefasse und der Neuroglia ist speziell Risslers Fall 3. Hier
wurde nämlich überall in den Vorderhörnern des Rückenmarks
die ausgeprägteste Ganglienzellendegeneration beobachtet, wogegen
die Veränderungen der Stützsubstanz höchst unbedeutend waren.
Risslers auf ein ungewöhnlich wertvolles Material gegründete
Arbeit hat uns die erste Kenntnis von den pathologisch-
anatomischen Veränderungen des Rückenmarks im akuten Stadium
der Poliomyelitis gebracht. Die Kenntnis dieser Veränderungen
ist selbstverständlich besonders geeignet, die Frage nach der Art
des primären Krankheitsprozesses zu beleuchten. Rissler ist
der Ansicht, dass seine Befunde am besten durch die Annahme
einer primären Ganglienzellendegeneration ihre Erklärung finden.
Es muss zugegeben werden, dass Risslers Fälle für eine der-
artige Deutung sprechen, und speziell dürfte sein Fall 3 sich
schwerlich anders aufiPassen lassen.
Im Jahre 1889 teilte Leegaard (36) unter anderen einen
äusserst akut verlaufenden Fall mit; er betraf eine 27jährige
Frau, die eine Woche nach dem Beginn der Krankheit starb.
Die Vorderhömer des Rückenmarks erwiesen sich geschrumpft,
die graue Substanz in ihnen — teilweise aber auch in den
und snbaottU s. cbronio». 281
Hinterhömern — war von zahlreichen Kernen und Uundzellen
erfüllt, die Gefässe waren stark erweitert, and, was Leegaard
am charakteristischsten erschien, es war nirgends eine Ganglien-
zelle nachzuweisen. Gleichzeitig gab Leegaard auch das
Resultat der mikroskopischen Untersuchung des Rückenmarks
eines Knaben, der etwas über ein halbes Jahr nach dem Eintritt
der Krankheit gestorben war. Die Vorderhörner waren kleiner
als gewohnlich, und zum grossen Teil von feinem Bindegewebe
erfüllt. Nur hier und da sah man schmale Achsenzylinder,
welche die graue Substanz in verschiedenen Richtungen durch»
kreuzten. In den meisten Präparaten fanden sich Ganglienzellen,
aber in bedeutend geringerer Menge als normal. Diese Ganglien-
zellen zeigten sich sehr wenig färbbar, waren klein, abgerundet
und besassen nur einen undeutlichen oder gar keinen Kern
einigen derselben fehlten Ausläufer. Die weisse Substanz war
völlig normal. Inbezug auf das Verhalten der Gefösse fehlen
die Angaben.
Wesentliche Beiträge zur pathologischen Anatomie der
akuten Poliomyelitis wurden 1893 — 94 von Dauber (37), Gold-
scheider (38), Siemerling (39) und Redlich (40) geliefert.
Daubers Fall betrifft einen 8^/s Monate alten Knaben,
welcher nach 5tägiger Krankheit unter den Symptomen all-
gemeiner Lähmung starb. Der mikroskopische Befund von seiten
des Rückenmarks war folgender. In den Vorderkölnern, aber
auch — wenngleich weniger ausgeprägt — in den Hinterhömern:
Hyperämie und Rundzelleninfiitration; eine meistenteils hoch-
gradige Infiltration der Gefasswände; perivaskuläre Exsudate; in
gewissen Segmenten grössere und kleinere Exsudatansammlungen
mit zentraler Erweichung, frei in der grauen Substanz oder im
Anschlnss an Gefasse gelegen; eine ausgeprägte Ganglienzellen-
atrophie; die atrophischen Ganglienzellen von Leukozyten um-
geben, zwischen ihnen auch das eine oder andere rote Blut-
körperchen; Rarefikation der NervenfUden der Vorderwurzeln;
die Vaskularisation in gewissen Segmenten von der grauen
Substanz auf die weisse übergehend, so dass die Grenzen
zwischen der grauen und weissen Substanz undeutlich erseheinen;,
eine recht starke Infiltration der Pia. Die entzündlichen Ver-
änderungen waren am intensivsten in den Cervikal- und Lumbal*
teilen. Anch iip Bulbus rhachiticus fand sich Hyperämie, die
am meisten in der Umgebung der motorischen Kerne hervortrat,
aber auch in ihnen selbst vorhanden war. Von den Ganglien-
Lövegreo, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
jsellen dieser Kerne waren einige mehr weniger degeneriert,
■andere ganz normal; die Adventitia der grösseren Gefasse war
durch Einlagerung einer Menge Rundzellen stark verdickt; die
Pia war in hohem Grade infiltriert. — Bakterien Hessen sich
nirgends in den Schnitten nachweisen.
Die von D au her gefundenen Veränderungen des Rucken-
marks müssen, sowohl hinsichtlich der Intensität als der Ver-
breitung, als ungewöhnliche bezeichnet werden. Dass die weisse
Substanz in der Nachbarschaft der am stärksten affizierten Partien
der Vorderhömer in den entzündlichen Prozess mit hineingezogen
wurde, erscheint weniger bemerkenswert, als der Umstand, dass
dieser Prozess mit bedeutender Intensität sich auf die Hinter-
hörner erstreckt
Bezuglich der Art des vorliegenden pathologischen Prozesses
spricht sich Daubev für den interstitiellen Charakter desselben
41U8, meint aber doch, dass bei dieser „primär entzündlichen
Affektion der grauen RQckenmarksubstanz eine gleichzeitige
Schädigung der Stutzsubstanz wie der Ganglienzellen durch das
entzundungserregende Agens wohl zugegeben werden kann*'.
Goldscheiders Arbeit über Poliomyelitis ist von besonders
grossem Interesse durch die Auffassung der Pathogenese, zu
welcher der hervorragende Forscher gelangte. Goldscheiders
Untersuchung betrifft einen Fall vod akuter Poliomyelitis bei
•einem 2VtJAhrigrn Mädchen, das 12 Tage nach dem Eintritt der
Krankheit starb. Die Rückenmarksveränderungen waren am
deutlichsten im Lumbaiteile ausgeprägt. Verfasser fand hier die
Gefässe der Pia — besonders vorn, vor und neben dem Snlcus
4uiterior — auffallend stark gefüllt. Die Pia war mit einkernigen
Rundzellen massig infiltriert. Die Gefässe des Sulcus anterior
zeigten eine gegen die vordere Kommissur hin zunehmende
Infiltration sowohl in ihren Wänden wie in ihrer Umgebung.
Auch einige der sog. peripheren Gefasse waren mit Rundzellen
bedeckt. Die . veränderten Gefässe waren hauptsächlich Venen
und Kapillaren, doch teilweise auch Arterien. Der Hauptherd
für die Veränderungen war das Vorderhorn, aber auch in den
Vorderseitensträngen fand man stellenweise mehr, stellenweise
weniger Gefässe mit denselben Veränderungen; vereinzelte der-
artige Gefässe waren auch in den Hinterhörnern und in den
Hintersträngen anzutreffen. Thrombosen waren nirgends nach-
zuweisen. Die Vorderhörner waren beinahe übersät mit Rund-
zellen. Die von Leyden beschriebenen ^epitheloiden^ Zellen
and sobacata 8. chronica. 288
fanden sich in grosser Menge. Die Ganglienzellen waren meistens
hochgradig degeneriert, vielfach von Rundzellen dicht umlagert
nnd bedeckt. Die feinen Nervenfasern der vorderen grauen
Substanz waren erheblich gelichtet, aber keineswegs völlig
zerstört. — Im ganzen Dorsalmark und in der Halsanschwellung
bestanden im wesentlichen dieselben Alterationen, wie im Lenden-
mark, nur an Intensität geringer.
Goldscheider stellt sich in bezug auf die Pathogenese in
bestimmte Opposition zur Lehre von einer primären Ganglien-
zellendegeneration und legt das Hauptgewicht auf das Verhalten
<]er Gefasse. Er ist der Ansicht, „dass ein Keizzustand in den
Gefässwänden sich etabliert habe, welcher zu starker Dilatation
der Gefasse und lebhafter Proliferation adventitieller bezw.
endothelialer Elemente gefQhrt hat. Von hier aus hat sich der
Prozess weiter auf die Neuroglia erstreckt und eine Proliferation
-der Neurogliazellen veranlasst**. Inwieweit noch Wanderzellen
im Spiele sind, ob ausserdem noch eine Emigration stattgefunden
iiat, über diesen Punkt wagt Goldscheider kein bestimmtes
Urteil abzugeben. Was*die Ganglienzellen betrifft, so ist er der
Ansicht, dass der von den Gefässen ausgehende EntzQndungs-
prozess auch auf sie übergegangen ist, und dass zugleich die
-durch die Gefassveränderungen verursachte Störung der Nutritions-
verhältnisse die nervösen Elemente zur Nekrobiose bringen konnte
Die Ganglienzellendegeneration gestaltet sich also dieser Auffassung
nach als eine rein sekundäre Erscheinung.
Goldscheider hebt hervor, dass die bei Poliomyelitis anterior
acuta gefundenen Lokalisationen dem Verbreitungsgebiet der
Zentralarterien entsprechen. Um weiter zu erfahren, in welchem
Verhältnisse die degenerativen Veränderungen zu den Gefässen
stehen, studierte Goldscheider im Verein mit Eohnstamm(42)
Schnittserien von einem alten Falle von Poliomyelitis. Dabei
zeigte es sich, dass die Degenerationsherde überall um veränderte
Gefösse gruppiert waren, und es schienen nicht die Ganglien-
zellengruppen als solche gewesen zu sein, die das Schicksal der
Ganglienzellen bestimmt hatten, sondern die Gefäss Verzweigungen.
Der Anschluss der poliomyelitischen Herde an Gefasse und
ihre Unabhängigkeit von bestimmten Ganglienzellengruppen war
früher an fortlaufenden Schnittserien auch von Kawka (43)
nachgewiesen worden. Dieser fand die Ganglienzellen auch an
solchen Stellen angegriffen« wo keine eigentlichen Herde vor-
handen waren.
284 Lovegren, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
Wesentlich dieselben Befunde wie Goldscb eider hatten
Siem erlin g und Redlich, welche auch zur selben Auffassung
von der Bedeutung der Gef&sse für die Entstehung des Prozesses
gelangten. In bezug auf die Affektion der Ganglienzellen sprach
Redlich (40, 41) die Ansicht aus, dass sie nicht durch die
deletare Einwirkung des Exsudats allein verursacht sein kann^
sondern, teilweise wenigstens, als durch direkte Noxenwirkung
entstanden aufzufassen ist. Dabei gab Redlich die Möglichkeit
zu, dass es leichte Fälle mit dem klinischen Bilde der akuten
Poliomyelitis geben könnte, in denen der anatomische Prozess
parenchymatöser Art wäre. Doch ist er der Meinung, dass sich
keine beweisenden Fälle finden.
Die Auffassung von Goldscheider vertreten auch Bülow-
Hansen und Harbitz (44), Matthes(46), sowie Praetorius (46).
Schon 1892 hatte Pierre Marie (47) klar die Umstände
hervorgehoben, welche für den vaskulären Ursprung des polio-
myelitischen Prozesses sprechen. Er verfugte aber auch nicht
über eigene Untersuchungen, auf die er sich stützen konnte.
Wie aus dem Angeführten hervergeht, haben sich, mit
Ausnahme Risslers, alle Forscher, die in der Lage waren,
frische Fälle von Poliomyelitis zu untersuchen, gegen die Charcot-
sehe Theorie ausgesprochen. Für diese Theorie ist in letzterer
Zeit von Eahlden (48, 49) eingetreten. Seine anatomischen
Untersuchungen betreffen fünf abgelaufene Fälle, welche selbst-
verständlich nicht ohne weiteres in eine Reihe mit Beobachtungen
aus dem akuten Stadium gestellt werden können, von Eahlden
findet, dass die Gefässverzweigung in den Vorderhömern nicht
den Umstand erklären kann, dass die Atrophie meistens in ge-
wissen Ganglienzellengruppen lokalisiert ist. Die Yeränderungeu
des Zwischengewebes hält er nicht für derartige, dass sie zur
Annahme eines primären interstitiellen Prozesses nötigten-, sie
zeigen in den meisten Fällen ungefähr dasselbe Bild, wie man es
beispielsweise nach Amputationen finde, wo ja eine primäre
Affektion der Ganglienzellen angenommen werden müsse. Gegen
die Annahme primär interstitieller Veränderungen führt von
Kahlden ferner das Verhalten der Nervenfasern in den Vorder-
hörnern bei dreien seiner Fälle an. Die Nervenfasern erwiesen
«ich nämlich zum verhältnismässig sehr grossen Teil wohl er-
halten. Nur die Nervenfasern, welche in direkter Verbindung
mit den Ganglienzellen stehen — somit hauptsächlich die zu
den vorderen Wurzeln gehenden — waren atrophisch. Das
and sabacata s. chronica. 285
väre nicht möglich, wenn die Atrophie als Folge primär inter-
stitieller Yeranderangen aufgetreten w&re, in welchem Falle auch
andere Nerrenfasem zerstört sein müssten.
Von Kahldens Auffassung der Poliomyelitis ist wesentlich
beeinflusst von seiner Ansicht über die Entzündung im allgemeinen.
Bei der Diskussion der Frage der akuten Myelitis auf dem
Kongresse für innere Medizin im Jahre 1001 äusserte er unter
anderem: ^Für mich gibt es überhaupt keine Entzündung, die
für unsere jetzigen optischen Mittel am Gefässapparate anfilngt,
sondern wir sehen immer die ersten Veränderungen am Parenchyme.^
Fälle von akuter Poliomyelitis bei Erwachsenen waren, wie schon
oben hervorgehoben wurde, schon im Beginn der 1860er Jahre von
Meyer (18) und Duchenne fils (15) beschrieben worden. Aber
erst seitdem der ältere Duchenne (10) im Jahre 1872 fest-
gestellt hatte, dass der Symptomenkomplex der spinalen Kinder-
lähmung uns auch* bei Erwachsenen begegnen kann, wurde die
Aufmerksamkeit allgemeiner hierauf gerichtet. In der darauf-
folgenden Zeit wurden verhältnismässig viele Fälle veröffentlicht,
unter anderen von Erb (7) und Charcot (50).
Franz Müller (51) gab im Jahre 1880 eine Monographie
heraus, in der er diese Fälle sammelte und vier eigene sorg<ige
Beobachtungen hinzufügte. Geht man Müllers Kasuistik durch,
so findet man, mit der Sachkenntnis, die wir gegenwärtig be-
sitzen, dass die meisten der von ihm referierten Fälle, wie auch
seine eigenen, nicht das Bild der akuten Poliomyelitis darbieten,
sondern mehr oder weniger das Gepräge der Polyneuritis tragen.
Eine zweite Zusammenstellung wurde im selben Jahre von
Rank (52) gemacht, der selbst zwei Fälle beschreibt, die als
Poliomyelitiden anerkannt werden mussten. Auch in der Be-
schreibung, die Sa uze (58) ein Jahr später über die akute
Spinallähmung der Erwachsenen gab, sind unverkennbar die
Poliomyelitis und die Polyneuritis zusammengeworfen.
Gerade um diese Zeit war es, wo die multiple Neuritis durch
die Untersuchungen Leydens bekannt und anerkannt wurde.
Es erwies sich, dass das Krankheitsbild, welches man vorher
stets als Ausdruck einer Poliomyelitis gedeutet hatte, in vielen
Fällen unwiderleglich auf einer peripheren Neuritis beruhte.
Nach dieser Entdeckung schien das vorher lebhafte Interesse
für die Poliomyelitis Erwachsener plötzlich abgekühlt zu sein.
Da die multiple Neuritis mit in Betracht zu ziehen war, so stellte
sich die Diagnose der Poliomyelitis nicht mehr so einfach wie
286 LövegreD, Zur Kesntoia der Poliomyelitis anterior acuta
fr&her. Es muss sich jetzt auch gezeigt haben, wie selten das Leiden
tatsächlich ist. Genug, seit dieser Zeit sind nur sehr spärliche-
klinische Beobachtungen desselben publiziert worden.
Der erste pathologisch-anatomische Beweis für die Existenz
der Duchenneschen Paralysie spinale aigu€ de Padulte wurde
1878 von Schnitze (54) erbracht, der in einem auch klinisch
sorgfaltig beobachteten Falle anatomische Veränderungen kon-
statierte, die völlig denen bei der spinalen Kinderlähmung ent-
sprachen. Früher hatte allerdings schon Gombault (55) einen
Fall veröffentlicht, der jedoch nicht als ganz einwandfrei anzusehen
ist. Ein zweiter, sicherer Sektionsfall ist der Friedländers (56).
Risslers (35) bemerkenswerter Fall 3, sowie der Fall
Leegaards (36) sind schon oben besprochen worden. Patho-
logisch-anatomisch untersuchte Fälle sind ferner mitgeteilt worden
von Williamson (57), v. Kahlden (48), Middleton (58),
Jagic (59), Reeder und Bickel (60), Sherman und Spiller (61)»
Taylor (62), van Gebuchten (63).
In der Mehrzahl dieser Fälle trat der Tod sehr kurze Zeit
nach Beginn der Krankheit ein. So war in den Fällen Risslers
Leegaards, Reeders und Bickels etwa eine Woche nach dem
Eintritt der Lähmung vergangen, in dem Falle Shermans und
S pillers starb Patient nur 22 Stunden nach Eintritt der Lähmung,,
ungefähr 5 Tage nach Beginn der allgemeinen Symptome. Die
gefundenen Veränderungen stimmen mit denen überein, welche man
im akuten Stadium der spinalen Kinderlähmung konstatiert hat.
Nur klinisch beobachtete Fälle, in denen die Diagnose als
sicher anzusehen ist, sind von ^Raymond (64), Grawitz (65),^
Niedner (66), Gumpertz (67), sowie von Strümpell und
Barthelmes (68) beschrieben worden.
Durch diese im ganzen nicht sehr zahlreichen, aber völUg
beweisenden Fälle steht es fest, dass Poliomyelitis anterior acuta
auch bei Erwachsenen vorkommt.
Vom Ende der 1860er Jahre bis zur gegenwärtigen Zeit
hat das Studium der akuten Poliomyelitis im Zeichen der patho-
logischen Anatomie gestanden. Die schon recht gute Kenntnis der
klinischen Äusserungen des Leidens, die man durch die Forschungen
der vorhergehenden Zeit gewonnen, wurde im Beginn dieser Periode
durch einige bedeutungsvolle Erfahrungen über die Reaktion der
Muskeln und Nerven auf den galvanischen Strom bereichert.
Salomon (69) und speciell Erb (7) wiesen das Vorhandensein
der charakteristischen Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit
und Bubaouta s. chronica. 287
nach, die Letzterer unter dem Namen Entartangsreaktion zusammen-
gefasst hat. Im übrigen wurde während einer langen Reihe
▼on Jahren das klinische Studium der akuten Poliomyelitis nicht
wesentlicli gefördert.
In letzterer Zeit ist der Frage nach der Ätiologie der
Poliomyelitis immer mehr Aufmerksamkeit zugewandt worden.
Schon im Beginn der 1880er Jahre hatten Seeligmüller (70)
und Strümpell (71) auf die Ähnlichkeit des klinischen Ver-
laufes hingewiesen, welche zwischen der Poliomyelitis und den
akuten Infektionskrankheiten besteht. Diese Ähnlichkeit ist
noch deutlicher geworden, seitdem man die Erfahrung gemacht
hat, doss die Poliomyelitis epidemisch auftreten kann.
Epidemien von Poliomyelitis sind an mehreren Orten be-
obachtet worden, speziell in Skandinavien. Schon ibSl wurde^
eine solche von Bergenholtz in Nordschweden beobachtet,
obwohl sie erst viel später durch Medin bekannt wurde.
Medin (72) hat ausführlich zwei grosse Epidemien beschrieben,,
welche in den Jahren 1887 und 1896 in Stockholm zur Beobachtung
kamen. Im Jahre 1899 trat in Bratsberg in Norwegen eine
bedeutende Epidemie auf, über die Leegaard (73) berichtet hat.
Ausserdem sind aus Norwegen einige kleinere Epidemien bekannt
geworden (die Mandalsche Epidemie 1886 u. A.). Vereinzelte
kleinere Epidemien sind auch in Frankreich und Italien beschrieben
worden. In Amerika scheint die epidemische Poliomyelitis relativ
häufig vorzukommen. In mehreren Orten hat man ein gehäuftes
Auftreten der Poliomyelitis bemerkt, ohne dass eigentlich von
wirklichen Epidemien die Rede sein konnte [Auerbach (74),.
Zappert (76), Bülow-Hansen und Harbitz (44), Johan-
nessen (76)].
Die Versuche, Bakterien in Deckglas- und Schnittpräparaten
vom Rückenmark nachzuweisen, welche von Dauber, Gold-
scheider und Siemerling gemacht wurden, fielen — wie schon
früher erwähnt — negativ aus. Im Jahre 1898 glückte es
Schnitze (77) in einem Falle von akuter Poliomyelitis mit wahr-
scheinlich gleichzeitig bestehender nicht diffuser Meningitis bei
einem 5jährigen Knaben, der die Krankheit überlebte, aus der
Cerebrospinalflüssigkeit einen Diploeoccus zu züchten, welcher
völlig dem Weichselbaum- Jägerschen Meningococcus glich.
In demselben Jahre fanden Bülow-Hansen und Harbitz (44) in
einem Falle in einer Serumagarkultur aus der bei postmortaler
Spinalpunktion gewonnenen Cerebrospinalflüssigkeit einen Diplo-
^88 Lövegreo, Zur Kenntnis der Polioinyelitis anterior acata
coccus oder ein kurzes DoppelstäbcheD , das sich nocli Gram
f&rbte. Aach in Deckglaspräparaten wurde dieser Diplococcos
gesehen, wenngleich spärlich and andeatlich. In Schnittpraparaten
vom Rückenmark waren keine Bakterien nachzuweisen. Da
sieben andere Kulturen steril blieben und die gefundenen Diplo-
kokken sich nicht virulent für Tiere erwiesen, so wollten die
Verfasser ihrem Befunde keine grössere Bedeutung zuschreiben.
Später wurden die Befunde in einigen Fällen bestätigt, u. a. von
Looft und Dethloff (78), welche bei der bakteriologischen
Untersuchung von Spinalflüssigkeit einen nach Gram farbbaren
Diplococcus nachwiesen, den sie mit dem „Meningococcus-
typus Heubner" identifizieren.
Diese positiven Resultate der bakteriologischen Untersuchung
bieten eine weitere Stütze für die Auffassung der akuten Polio-
myelitis als einer Infektionskrankheit. Jedoch sind ihrer bis auf
weiteres durchaus zu wenig, um Klarheit in die Frage zu bringen,
ob diese Krankheit in ätiologischer Hinsicht einheitlich ist oder
nicht. Zahlreiche bakteriologische Untersuchungen sind erforder-
lich^ um diese Frage beantworten zu können. Doch ist es klar,
dass die Schwierigkeiten sehr bedeutende sind. Vor allem ist
die Gelegenheit zur Untersuchung von Fällen, die im aller-
frühesten Stadium der Krankheit tödlich endeten, selten. Gleich-
wohl durften nur in diesem Stadium Chancen für positive bak-
teriologische Befunde vorhanden sein. Wie Hom^n (79) u. a.
hervorgehoben, scheinen sich nämlich die Bakterien nur eine kurze
Zeit im Rückenmark zu erhalten. Es ist in letzter Zeit die
möglichst weitgehende Anwendung der Lumbalpunktion zu dia-
gnostischen Zwecken befürwortet worden. Abgesehen davon, dass
diese Methode aus vielen Gründen nur in vereinzelten Fällen
<lurchführbar sein kann, so ist wohl ihren Resultaten nur eine
relative Beweiskraft zuzuschreiben.
Von grossem Interesse sind die Erfahrungen, welche
Roger (80), Thoinot und Masselin (81) u. A. in Bezug auf
experimentell erzeugte Poliomyelitiden machten. Durch subkutane
Einspritzung verschiedener Bakterienkulturen (Bacterium coli
commune, Staphylococcus pyogenes aureus, Streptokokken u. a.)
gelang es ihnen, bei den Versuchstieren einen Krankheitszustand
hervorzurufen, der in vielen Beziehungen eine Ähnlichkeit mit
dem Symptomenkomplex der akuten Poliomyelitis zeigt. Bei der
Untersuchung des Rückenmarks in diesen Fällen fand man Ver*
ändeningen der grauen Substanz — meist nur in dieser — , aber
und subacata s. chronica.
in einigeu Fällen zugleich auch in der weissen Substanz. Diese
Veränderungen waren wesentlich parenchymatösen Charakters.
Neben einer ausgeprägten Ganglienzellendegeneration konstatierte
Gombault in den Fällen Thoinots und Masselins unbedeutende
oder gar keine interstitiellen Veränderungen. Roger fand in
frühen Stadien die Ganglienzellen deutlich affiziert, während
Gefassveränderungen fehlten. Erst in späteren Stadien der Krank-
heit traten diese hervor. Die Untersuchung des Rückenmarks
auf Bakterien gab verschiedene Resaltate. So konnten Thoinot
und Masselin virulente Bakterien nachweisen, während Roger
und Andere negative Befunde hatten.
So wertvoll und aufklärend diese Resultate der experimen-
tellen Forschung auch sind, so können sie doch selbstredend nicht
ohne weiteres auf die menschliche Pathologie übertragen werden.
Wie die Poliomyelitisfrage gegenwärtig steht, richtet sich
das Hauptinteresse auf die Aufgabe, die Art der Infektion näher
zu erforschen, welche — nach allem zu urteilen — der Krank-
heit zu Grunde liegt. Wie oben hervorgehoben worden ist, sind
wir noch weit entfernt von der endgültigen Lösung der Frage.
Aber wenn uns auch der oder die Mikroorganismen, die hierbei
tätig sind, bekannt wären, so erübrigte uns gleichwohl immer
noch festzustellen, unter welchen Umständen überhaupt eine zur
Poliomyelitis führende Infektion zustande kommt, und auf welchen
Wegen der Infektionsstoff in den Organismus gelangt. Auf diese
wichtigen Fragen kann die Bakteriologie allein keine Antwort
geben. Es bleibt noch immer zunächst der klinischen und patho-
logisch-anatomischen Forschung vorbehalten, zu versuchen, Klar-
heit in diese Fragen zu bringen.
Klinische Beobachtungen von Poliomyelitis anterior
acuta bei Erwachsenen.
Wesentlich eine Krankheit des frühen Kindesalters, kommt
die akute Poliomyelitis, wie schon erwähnt, in seltenen Fällen
auch bei Erwachsenen vor. Die Kasuistik, welche über Polio*
myelitis anterior acuta adultorum vorliegt, ist recht arm. Die
Existenz einer akuten Poliomyelitis bei Erwachsenen wird sogar
noch in gegenwärtiger Zeit von einem so erfahrenen und hervor-
ragenden Neurologen wie Dejerine (82) überhaupt in Zweifel
gezogen. Für eine erweiterte und sichere Kenntnis dieser Krank-
faeitsform ist es notwendig, in Zukunft, mehr als es bisher ge*
Jahrbneh f. Kinderheillninde. N. F. LXI, Heft 2. 19
290 Lövegren, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
schehen ist, hierhergehörige Fälle, auch solche, die nur klinisch
beobachtet werden, zu verwerten. Folgende von mir beobachtete
Fälle, in denen die Diagnose sichergestellt zu sein scheint, dürften
somit nicht ohne Interesse sein.
Beobaehtung I (s. Fig. 1 und 2).
Julias P., IGjähriger Käthnerssohn aus Orihvesi.
Aufnahme in Prof. Homeus Nerven abteilang am 3. September 1901.
Anamnese.
Pat. ist nicht neuropathisch belastet Beide Eltern leben und
sind stets gesund gewesen. Pat hat drei Schwestern und drei Brüder^
alle gesund; mehr Geschwister haben nicht existiert. Bis zum Eintritt des
gegenwärtigen Leidens ist Pat. nie krank gewesen.
Am Morgen des 24. Juni 1899 erwachte Pat mit starken Schmerzen
im Kreuz. Er war steif im Rücken und konnte sich vor Schmerzen nicht
aufsetzen. Amvorhergehenden
Tage hatte er sich völlig ge-
sund gefühlt und in der Nacht
ruhig und gut geschlafen. Die
starken Schmerzen hielten
zwei Tage lang an und waren
in der Nacht auf den 25. so
heftig, dass Pat. nicht schlafen
konnte. Drei oder vier Tage
hatte er Fiebersymptome und
leichte Kopfschmerzen. Am
26. Juni (dem dritten Krank-
heitstage) morgens merkte
Pat beim Erwachen, dass beide
Beine völlig gelähmt waren.
Die Beweglichkeit der Arme
war unverändert. Die Schmer-
zen im Kreuz hatten sich ge-
mildert, dauerten aber in leich-
terem Grade noch etwa zwei
Wochen fort, worauf sie auf-
hörten. Eine Woche nach dem
Beginn der Krankheit wurde beobachtet, dass die Beine anfingen stark ab-
zumagern, und nach Verlauf einiger Tage hatten sie schon den Zustand er-
reicht, in welchem sie sich seitdem befunden haben. Eine Woche später
wurde eine hochgradige seitliche Krümmung der Wirbelsäule bemerkt. Diese
Krümmung hat sich, der Aussage des Patienten nach, allmählich vermindert.
In der 4« Krankheitswoche wurde ein Arzt zu Rate gezogen, welcher
ein Nervenleiden diagnostizierte und Massage verordnete. Etwa 9 Monate
später befragte Pat. einen anderen Arzt, welcher derselben Meinung war.
Die Lähmung der Beine hielt sich etwa einen Monat unverändert,
worauf allmähliche Besserung eintrat. Pat. lag vier Monate zu Bett. Nach
Fig. 1.
and subacuta 8. chronica.
291
dieser Zeit konnte er sich mit Hilfe eines Stockes umherbewegen. Die
Besserung in der Beweglichkeit der Beine ist seitdem langsam fortge-
schritten bis zum gegenwärtigen Zustande.
Im ganzen Verlauf der Krankheit war das Bewusstsein ungetrübt,
bestanden nie Störnngen yon Seiten der Sprache, des Gesichts- und Gehörs-
sinns, kamen nie Schlingbeschwerden vor.
In den ersten Tagen wurden leichte Schmerzen in den Beinen yer-
spürt, hernach aber weder Schmerzen noch irgendwelche ungewöhnliche
Empfindungen. Das Gefühl in den Beinen soll in jeder Beziehung unver-
ändert gewesen sein.
Die Respiration war un-
gestört. In den ersten Tagen
war die Darmtätigkeit etwas
träger gewesen als gewöhnlich.
Sonst hatten keinerlei Störungen
vonseiten der Digestionsorgane
bestanden. Die Defäkation und
Blasentätigkeit sind die ganze
Zeit über völlig normal vor
sich gegangen.
« Pat. kann keinerlei Ur-
sache für das Entstehen der
Krankheit angeben. Er war in
der Zeit vor der Erkrankung
weder Erkältungen noch einem
Trauma ausgesetzt gewesen,
hatte keinen kranken Hals,
keine Verletzungen noch Eiter-
bildnngen gehabt. In der Um-
gebung waren keine ähnlichen
Krankheitsfälle vorgekommen.
Es liegt kein Grund zur
Annahme vor, dass Pat. Alko-
holist sei. Er hat keine Lues
gehabt.
Status praesens.
Pat. ist für sein Alter sehr gut entwickelt. Der Knochenbau ist
robust, die Muskulatur der Arme sehr kräftig. Der allgemeine Ernährungs-
znstand gut. Die Gesichtsfarbe etwas blass. Nirgends Ödem oder Exanthem.
Temperatur normal. Pols 88 in der Min.
Von Seiten der Lungen, des Herzens und der Bauchorgane völlig
normale Befunde. Der Harn eiweiss- und zuckerfrei.
Die Psyche klar. Die Cerebralnerven funktionieren ungestört.
Die Arme sind frei und kräftig beweglich.
Bei der Untersuchung der Wirbelsäule findet man eine starke
Skoliose mit der Konvexität nach rechts. Die Skoliose nimmt .oben ihren
Anfang ungefähr beim dritten Rückenwirbel, erreicht ihren Höhepunkt beim
19*
Fig. 2.
292 Löyegren, Zar Keontois der Poliomyelitis anterior acata
zehnten Dorsalwirbel und hört unten beim dritten Lendenwirbel auf. Die
Processus spinosi der oberen Lendenwirbel etwas hervortretend, gewisser-
massen eine nnbedeatende Kyphose bildend. Der Erector trunci beider-
seits stark atrophisch, rechts mehr als links. Keine Druckempfindlichkeit.
Der Rücken wird ohne merkliche Schwierigkeit gebeugt und gestreckt
Bei Anwendung der Bauchpresse wölben sich die mittleren, unteren
und Seitenteile passiv vor, während nur der obere Teil fest kontrahiert ao-
zufühlen ist, fester links als rechts. Dabei wird der Nabel nach oben und
links gezogen. Bei Kontraktion der Muse, recti abdom. wird beobachtet,
dass nur die oberhalb des Nabels befindlichen Partien dieser Muskeln aktiv
wirken, die unteren Teile werden nur passiv gespannt. Der Nabel wird
dabei stark nach oben gezogen. Pat. kann sich nicht ohne Hilfe der Arme
aus der Rückenlage in sitzende Stellang erheben. Exspiration, auch forcierte,
geht unbehindert vor sich.
Beide Beine sind im hohen Grade abgemagert, besonders die Ober-
schenkel und speziell der linke. Die Patellae etwas hervorstehend, infolge
von Atrophie der umgebenden Muskeln. Die Haut ist etwas livid und
fühlt sich kühl an. Keine Kontraktur. S&mtliche passiven Bewegungen in
normalen Exkursionen in allen Gelenken ohne Schmerz möglich.
Umfang des Schenkels 15 cm oberhalb 1 rechts 35,0 cm
der Basis patellae: {links 32,0 „
Umfang des Schenkels 10 cm oberhalb ) rechts 32,5 „
der Basis patellae: ) links 30,0 „
(rechts 32,0 „
li ks 30 0
Abstand zwischen der Spina iliaca ant. ) rechts 51,0 „
sup. und dem Capit. fibalae: /links 51,0 „
Abstand zwischen der Spina iliaca ant. ) rechts 87,0 „
sup. und der Spitze des äusserenMalleolus: J links 87,0 ,
Alle Bewegungen der 0 berschenkel kraftlos und etwas langsam,
besonders links. Flexion und Extension in beiden Hüftgelenken möglich.
Abdaktion und Adduktion desgleichen ; Abduktion des linken Oberschenkels
lässt sich verhältnismässig gut ausführen. Rotation nach aussen und innen
beiderseits möglich.
Extension des Kniegelenks sowohl rechts als links unmöglich.
Flexion desselben Gelenks auf beiden Seiten ausführbar, rechts i-echt kräftig,
links mit äusserst geringer Stärke.
Der rechte Fuss führt unbehindert die Plantar- und Dorsalflexion,
Tibial- und Fibularflexion sowie Rotation mit gleichzeitiger Flantarflexion
aus. Plantar- und Dorsalflexion der Zehen in den Metatarso-Phalangeal-
gelenken und Flexion der Interphalangealgelenke ausführbar. Desgleichen
Ab- und Adduktion der Zehen.
Der linke Fass wird passiv in Halb-Plantarflexion gehalten. Er kann
eine recht kräftige Plantarflexion, aber fast keine Dorsalflexion ausführen.
Tibialflexion ganz unbedeutend. Fibularflexion recht gat. Rotation (bei der
halbplaotarflektierten Lage des Fasses) nach aussen möglich, nach innen
ganz unbedeuteud.
und sabacuta s. chronica. 293
In den Metatarso-Phalangealgelenken wird Dorsalflexion aosgeführt.
Piantarflexion in diesen Gelenken geschieht bei gestreckten Zehen und ist
besonders schwach; gleichzeitig mit dieser Bewegung kann keine Flexion
der Interphaiangealgelenke zustande gebracht werden. Flexion der Inter-
phalangealgetenke ist möglich, wenn die Zehen sich in Mittelstellung be-
finden und noch besser, wenn sie dorsalflektiert sind. Abduktion und
Addoktion der Zehen unbehindert.
Reflexe von den Bauchdecken treten nur in den oberen, aktiy
t&tigen Teilen hervor, und zwar deutlicher auf der linken Seite. Gremaster-
reflex auf beiden Seiten yorhanden.
Die Patellarreflexe rechts und links erloschen, desgleichen die
Reflexe der Achillessehne. Bei Reizung der Haut an der Fusssohle
tritt rasch Plantarflexion aller Zehen in den Metatarso-Phalangealgelenken
an beiden Füssen ein, in den Interphalangealgelenken nur am rechten Fusse.
Sehnen- und Periostreflexe an den Armen lebhaft.
Die Nervenstftmme und Mjskeln zeigen nirgends Drnckempfindlichkeit ;
keine Muskelspannungen; nirgends fibrilläres Muskelzittem. Die Pupillen
Ton gleicher Grösse. Pupillenreflexe normal.
Bei Untersuchung der Sensibilität erweisen sich Tast- und Schmerz-
empfindung, E<e- und W&rmesinn yöllig ungestört. Bei Prüfung der
faradocutanen Sensibilit&t mittelst der yon Erb für diesen Zweck
konstruierten Kabelelektroden findet man eine ganz unbedeutende, aber
zweifellose Herabsetzung derselben am unteren Teile des Rumpfes und an
den Beinen, wobei die Herabsetzung am Rumpfe rechts grösser ist als links
und am linken Beine st&rker als am rechten. Das Gefühl für passive Be-
wegungen ist völlig erhalten.
Der Gang ist beschwerlich, etwas paretisch, hinkend, so dass der
£örper sich länger auf das linke Bein stützte als auf das rechte. Die Ex-
kursionen des rechten Beines sind freier, die Beweglichkeit grösser als die
des linken. Die Zehen schleppen nicht auf der Diele. Auf ebener Erde
behilft sich Patient ohne Stock, beim Treppensteigen muss er eine Stütze
haben. Keine spastischen Erscheinungen. Keine Ataxie. Er steht sicher,
aach mit geschlossenen Augen.
Elektrische Untersuchung.
Diese Untersuchung wurde in mehreren Sitzungen vorgenommen. Als
differente Elektrode wurde die von Stintzing angegebene mit einem Flächen-
inhalt von 8 qcm benutzt, die indifferente Elektrode hatte eine Grösse von
50 qcm.
Um die Erregbarkeit zu bestimmen, wurde der kleinste Wert fest-
gestellt, den der elektrische Strom haben musste, um eine minimale Reaktion
hervorzurufen. Der Charakter der Muskelkontraktionen wurde bei etwas
stärkeren Strömen studiert.
Bei der Untersuchung mit dem faradischen Strome wurde der Strom
der sekundären Rolle angewandt und der Wert in Millimetern Rollenabstand
(mm RA) augegeben. Der galvanische Strom wurde mit einem absoluten
Galvanometer gemessen und in Milliampere (MA) ausgedrückt.
294 Lövegren, Zar Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
Die Bauch- und Rückenmuskeln.
Stintzings
Normal-
elektrode
Rechts
farad.
galyan.
Links
farad.
galvan.
M. rectos ab-
dominis: ' im
Epigastrium
in der Regio
umbilicalis
a. dem Hypo-
gastrium
Die breiten
Bauch-
muskeln
M. erector
trunci
79 mm RA
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
keine Reaktion
bei 35 mm RA
70—65 mm RA
KaSZ 5,0 MA
AnSZ 14,0 MA
Kontraktionen
etwas langsam
keine KaSZ, keine
AnSZ bei stärksten
Strömen
KaSZ 12,0 MA
AnSZ 9,0 MA
Kontraktionen lang-
sam a. langgezogen,
nur in den obersten,
den Rippenbögen
anliegenden Teilen
hervortretend, in d.
übrigen Teilen bei
stärksten Strömen
keine Zuckungen
KaSZ 8,0 MA
AnSZ 12,0 MA
langsame Kontrak-
tionen
79 mm RA
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
bei 40 mm RA
Kontraktionen in
den obersten, den
Rippenbögen an-
liegenden Teilen,
sonst bei 35 mm
RA keine Reakt.
85—80 mm RA
KaSZ 7,0 MA,
AnSZ 12,0MA,
Kontrakti onen rasch
und kurz
keine KaSZ, keine
AnSZ bei stärksten
Strömen
KaSZ 4,0 MA,
AnSZ 8,0 MA,
Kontraktionen rasch
and kurz, nur in den
obersten, d. Rippen-
bögen anliegenden
Teilen hervor-
tretend, in d. übrigen
Teilen bei stärksten
Strömen keine
Zuckungen
KaSZ 7,0 MA,
AnSZ 7,0 MA,
sehr langsame, lang-
gezogene Kontrak-
tionen
Untere Extremitäten.
Indirekt:
N. cruralis
N. ischiad.
N. tibialis
N. peroneus
90 mm RA
80 mm RA
(direkte Reizung
d. benachbarten
Muskeln?)
88 mm RA
92 mm RA
erste KaSZ 3,5 bis
4.0 MA
keine Reaktion bei
stärksten Strömen
erste KaSZ 1,5 MA
erste KaSZ 1,0 MA
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
67 mm RA
(direkte Reizung
d. benachbarten
Muskeln?)
82 mm RA
93 mm RA
keine Reaktion bei
6,0 MA
keine Reaktion bei
stärksten Strömen
erste KaSZ 2,4 MA
erste KaSZ 1,25 MA
Direkt:
M. yastus
internus
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
KaSZ 6,5 MA,
AnSZ 9,0 MA,
' Kontraktionen
langsam und etwas
langgezogen
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
KaSZ 8,0 MA,
AnSZ 6,0 MA,
Kontraktionen
typisch träge
und subacuta s. chronica.
295
Stintzings
Normal-
elektrode
Links
farad.
gaivan.
M. rectus
femoris
M. Yastos
externus
M. sartorins
M. tensor
laaciae latae
M. addnctor
magnus
JA. addactor
loBgus
M* gintaeus
maximus
M. biceps
femoris
Mm. semi-
tendinoBQS et
semi-
membranosus
M. tibialis
anticus
55 mm KA
50 mm KA
(Kontraktion
langsam)
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
76 mm RA
70 mm RA
(Kontraktion
etwas langsam)
65 mm RA
(Kontraktion
langsam)
94 mm RA
76 mm RA
82 mm RA
82 mm RA
KaSZ 8,5 MA,
AnSZ12,0MA,
Kontraktionen lang-
sam, etwas lang-
gezogen
KaSZ 7,0 MA,
AnSZl0,0MA,
Kontraktionen lang-
sam, etwas lang-
gezogen
KaSZ 3,7 MA,
AnSZl2,0MA,
Kontraktionen
schwach, langsam
und langgezogen
KaSZ 4,0 MA,
AnSZ 8,0 MA,
Kontraktionen fast
normal rasch and
kurz
KaSZ 7,5 MA,
AnSZ 8,0 MA,
Kontraktionen
langsam
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 8,0 MA
KaSZ 8,0 MA,
AnSZ 8,0 MA,
Kontraktionen kurz
KaSZ 10,0 MA,
AnSZ 12,0 MA,
Kontraktionen lang-
sam and etwas lang-
gezogen
KaSZ 4,5 MA,
AnSZ 8,5 MA,
Kontraktionen fast
normal rasch und
kurz
KaSZ 5,0 MA,
AnSZ 6,0 MA,
Kontraktionen rasch
und kurz
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
54 mm RA
(Kontraktionen
äusserst
langsam)
58 mm RA
(Kontraktion
langsam)
65 mm RA
74 mm RA
77 mm RA
70 mm RA
KaSZ 7,0 MA,
AnSZ 12,0 MA,
Kontraktionen deut-
lich träge
KaSZ 8,0 MA,
AnSZ 12,0 MA,
Kontraktionen träge
keine KaSZ bei
12,0 MA, AnSZ
9,0 MA. Kontrak-
tionen äusserst
schwach, träge
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 10,0 MA
keine KaSZ, keine
AnSZ bei stärksten
Strömen
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 8,0 MA
KaSZ 8,0 MA,
AnSZ 8,0 MA,
Kontraktionen kurz
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 8,0 MA
(bei stärkeren
Strömen Schmerzen)
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 8,0 MA
KaSZ 7,0 MA,
AnSZ 7,0 MA,
Kontraktionen
langsam und lang-
gezogen
296 Löyegren, Zar Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
Stintzings
Normal-
elektrode
M. extensor
digit comm.
longas
M. peroneus
loogns
M. extensor
hallaeis
longas
M. gastro-
cnemias
extemus
M. gastro-
cnemias
internus
M. soleus
}L flexor
hallucis
longas
M. flexor
digit. comm.
longus
lim. int er-
ossei dorsales
Mm.abductor
digit. minim.
M. extensor
digit. comm.
brevis
85 mm RA
87 mm KA
95 mm RA
86 mm RA
85 mm RA
91 mm RA
87 mm RA
86 mm RA
90 mm RA
80 mm RA
86 mm RA
KaSZ 8,0 MA,
AnSZ 6,0 MA,
Kontraktionen rasch
and kurz
KaSZ 8,0 MA,
AnSZ 5,0 MA,
Kontraktionen rasch
and karz
KaSZ 4,5 MA, >
AnSZ 8,0 MA,
Kontraktionen rasch
und kurz
KaSZ 4,0 MA,
AnSZ 4,0 MA,
Kontraktionen rasch
and kurz
KaSZ 2,5 MA,
AnSZ 5,0 MA,
Kontraktionen rasch
und karz
KaSZ 8,0 MA,
AnSZ 4,5 MA,
Kontraktionen rasch
und kurz
KaSZ 2,0 MA,
AnSZ 4,0 MA,
Kontraktionen rasch
und karz
KaSZ 4,0 MA,
AnSZ 6,0 MA,
Kontraktionen rasch
und kurz
KaSZ 1,0 MA,
AnSZ i,7 MA,
Kontraktionen rasch
and karz
nicht hervortretend
KaSZ 2,0 MA,
AnSZ 2,0 MA,
Kontraktionen rasch
nnd kurz
78 mm RA
78 mm RA
87 mm RA -
86 mm RA
72 mm RA
91 mm RA
77 mm RA
86 mm RA
90 mm RA
80 mm RA
90 mm RA
KaSZ 8,0 MA,
AnSZ 5,0 MA,
Kontraktionen nicht
ganz rasch und kon
KaSZ 4,0 MA,
AnSZ 9,0 MA,
Kontraktionen nicht
ganz rasch und kan
KaSZ 4,0 MA,
AnSZ 5,0 MA,
Kontraktionen rasch
and karz
KaSZ 5,0 MA,
AnSZ 9,0 MA,
Kontraktionen nicht
ganz rasch und kars
KaSZ 4,0 MA,
AnSZ 4,3 MA,
Kontraktionen
etwas langsam and
langgezogen
KaSZ 6,0 MA,
AnSZ 9,0 MA,
Kontraktionen nicht
ganz rasch und kan:
KaSZ 5,0 MA,
AnSZ 8,0 MA,
Kontraktionen nicht
ganz rasch und kars
KaSZ 5,0 MA,
AnSZ 6,0 MA,
Kontraktionen
etwas langsam
KaSZ 3,6 MA,
AnSZ 8,0 MA,
Kontraktionen nicht
ganz rasch and kari
nicht hervortretend
KaSZ 2,5 MA,
AnSZ 4,5 MA,
Kontraktionen
etwas langsam
und sabacata s. chronica. 297
Fat. lag im Krankenhanse bis zam 26. Januar 1902. Br wurde mit
Massage, Salzb&dem und Elektrizität behandelt und erhielt eine Zeitlang
innerlich Eisen und Jodkalium.
Sein Allgemeinbefinden war die ganze Zeit über das beste. Der Gang
wurde allmählich weniger beschwerlieh and weniger paretiseh.
Der Zustand des Rumpfes und der unteren Extremitäten verblieb
wesentlich unverändert, doch war die Haut der unteren Extremitäten nicht
mehr so k&hl und zyanotisch wie vorher, und bei wiederholten Untersnchungen
Uess sich weder an den Beinen noch sonstwo eine Herabsetzung der farado-
entanen Sensibilität nachweisen.
Als Fat. im Sommer 1902 eine Zeitlang (2^. VI. bis 15. VII.) im
Krankenhause war, wurde konstatiert, dass der Zustand keine Veränderung
erlitten hatte.
Vom 1. V. bis 19. VI. 1903 war Fat. wieder in der Klinik, und jetzt
fand man bei der üntersuchnng folgendes:
Die Skoliose hat etwas zugenommen, auch der oberste Dorsalteil ist
in dieselbe hineingezogen.
Umfang des Schenkels 15 cm oberhalb der Basis patellae
rechts 31,0 cm
links 30,0 „
Umfang des Schenkels 10 cm oberhalb der Basis patellae
rechts 29,5 cm
links 28,5 „
Grösster Umfang des Unterschenkels
rechts 81,0 cm
links 28,0 »
Abstand zwischen der Spina iliaca ant. snp. und der Spitze des äusseren
Malleolus
rechts 87,0 cm
links 87,0 , .
Bewegungen im Hftftgelenk: Rechts Flexion und Extension recht
gut; links Flexion ganz minimal^ Extension schwach.
Bewegungen im Kniegelenk: Rechts Flexion kräftig, eine schwache
Extension möglich; links sowohl Flexion als Extension äusserst schwach.
Die Bewegungen des rechten Fusses frei und kräftig.
LinkerFuss: Flantarflexion recht kräftig, Dorsalflexion sehr schwach.
Fibularflexion recht gut, Tibialüexien höchst unbedeutend.
Alle passiven Bewegungen der unteren Extremitäten frei; nirgends
Kontrakturen. Keine fibrillären Zuckungen.
Bauchdecken refl exe nicht nachweisbar. Der Gremasterreflex tritt
unbedeutend hervor. Die Fatellarreflexe erloschen. Sehnen- und Feriost-
reflexe an den Armen deutlich, schwach.
Die Sensibilität in jeglicher Hinsicht ungestört. Der Gang wie früher.
Fat. selbst meint, jetzt etwas besser zu gehen als vor einem Jahre.
Im übrigen derselbe Befund wie im Sommer 1902. — Das Allgemein-
befinden ist fortdauernd vortrefflich gewesen.
Der wesentliche Inhalt dieser Krankengeschichte ist folgender:
Ein vorher völlig gesunder 14 jähriger Knabe erkrankt ohne be-
298 Löyegren, Zar Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
kannte Veranlassung plötzlich mit schweren Ereuzschmerzen,
Fiebersymptomen und leichten Kopfschmerzen. Am dritten Tage
der Erkrankung tritt völlige Lähmung beider Beine ein, deren
Muskulatur binnen kurzem sichtlich atrophisch wird.
Im Beginn der dritten Erankenwoche wird eine starke seit-
liche Krümmung der Wirbelsäule bemerkt, die entstanden war,
während der Kranke ununterbrochen zu Bette gelegen hatte. Die
Schmerzen im Kreuz hielten einige Tage an, verminderten sich
hierauf bedeutend und hörten nach etwa zwei Wochen ganz auf.
In den ersten Tagen hatte Fat. auch leichte Schmerzen in den
Beinen; dieselben verschwanden bald und kehrten später nicht
mehr wieder. Einen Monat nach der Erkrankung wird eine
allmählich fortschreitende Besserung der Beinlähmung bemerkt,
aber ein grosser Teil der Muskeln bleibt mehr weniger gelähmt
und die Atrophie besteht fort. Der Zustand verbleibt hierauf
im wesentlichen stationär.
Bei der Aufnahme zeigt Fat. eine hochgradige Skoliose und
mehr weniger ausgeprägte Lähmung und Atrophie der Bauch-
und Rückenmuskeln und der Muskeln der unteren Extremitäten.
Besonders stark hat an den unteren Extremitäten die Muskulatur
der Oberschenkel gelitten. Die Lähmung ist schlaff; keine fibrillären
Zuckungen.
Bei der elektrischen Untersuchung zeigen die Bauch-
muskeln zum giössten Teile eine völlig erloschene Erregbarkeit
— In den Fartien, wo sich Kontraktionen auslösen lassen, ist die
Erregbarkeit in hohem Grade herabgesetzt — für den faradischen
Strom teilweise aufgehoben — und rechts die Zuckungen für den
galvanischen Strom langsam und langgezogen (EaR).
Die gelähmten Rückenmuskeln zeigen gleichfalls eine herab-
gesetzte Erregbarkeit für beide Stromarten und langsame Kon-
traktionen bei galvanischer Reizung (EaR).
An den unteren Extremitäten ist der N. cruralis links völlig
unerregbar, rechts ist die Erregbarkeit bedeutend herabgesetzt.
Der N. tibialis und N. peroneus beiderseits etwa normal erregbar.
Die Muskeln der Oberschenkel — besonders links — sind
für direkte faradische Reizung teils völlig unerregbar, teils ist
ihre Erregbarkeit stark herabgesetzt. Bei direkter galvanischer
Reizung auch hochgradige quantitative Herabsetzung; die Zuckungen
mehr weniger ausgeprägt träge (EaR). Auch beim faradischen
Strom tritt in dem einen oder anderen Muskel eine deutlich
langsame Kontraktion hervor (faradische EaR).
and subacuta b. chronica. 299
Bei direkter Reizung der Muskeln der Unterschenkel findet
man, speziell am linken Beine, eine quantitative Abnahme der
Erregbarkeit sowohl für den faradischen als den galvanischen
Strom. Rechts sind die Zuckungen ganz normal, links hingegen
etwas langsam und langgezogen, was besonders in den Mm.
tibialis ant. und flexor dig. comm. long, hervortritt (EaR).
Die Sensibilität ist ungestört; eine Herabsetzung der farado-
<^utanen Sensibilität, welche in der ersten Zeit des klinischen
Aufenthaltes bestand, verschwand später ganz und gar.
Die Hautreflexe von selten der Bauchdecken und Fasssohlen
treten hervor. Der Cremasterreflex ist nachweisbar. Die Patellar-
reflexe sind erloschen.
Beobaehtung IL
Augusta S., 19 jährige Kätnerstochter aus SDappertaoa.
Aufnahme in Prof. Ho mens Nervenabteilang am 15. März 1901.
Anamnese:
Die Bitern der Patientin leben. Die Matter ist gesund. Der Vater
leidet an allgemeiner Schwäche und rheumatoiden Schmerzen. Eine ältere
und eine jüngere Schwester der Pat. sind beide gesund. In der Verwandtschaft
£nden sich keine Fälle von Geisteskrankheit, Epilepsie oder Tuberkalose.
-Fat. Entwicklung im Kindesalter war normal. Mit 12 Jahren machte sie di«
Masern durch, nach denen sie yollständig genas. Im übrigen hat sie sich
bis zum Eintritt ihres gegenwärtigen Leidens einer ungestörten Gesundheit
erfreut.
Am 7. Oktober 1900 hatte Pat. eine Fahrt von etwa 6 km zum be-
nachbarten Gehöft unternommen. Bei der Rückfahrt am folgenden Morgen
hatte ein etwas kalter Wind geweht. Noch am selben Morgen, den 8. Oktober,
um 9 Uhr, erkrankte sie mit heftigen Frostschauern, Kopfschmerzen, sowie
Schmerzen im Rücken, in den Schultern, Armen and Beinen. Sie hatte etwas
Schnupfen, aber weder Husten noch Halsschmerzen. Etwa um 2 Uhr be-
merkte Pat., dass die Finger der linken Hand steif, kalt und unbeweglich
waren. Im Laufe des Nachmittags erstreckte sich die Lähmung stetig auf-
wärts, so dass um 9 Uhr abends der ganze linke Arm völlig gelähmt war.
Die Schmerzen in den Armen hörten schon am Vormittage auf, und nachher
hatte Pat. keinerlei schmerzhafte Empfindungen im linken Arme. Die
-Schmerzen im Kopfe, in den Schultern und Knien hingegen hielten etwa
2 Wochen lang an. Die Frostschauer kehrten einige Tage wieder, worauf
Pat. noch etwa eine Woche lang Fiebersymptome hatte. Zwei oder drei Tage
nach der Erkrankung trat eine so hochgradige Schwäche des rechten Beines
auf, dass Pat. nicht gehen konnte. Sie hatte weder Kälte noch Steifheit im
Beine empfunden und Schmerzen nur im Knie, nicht in den übrigen Teilen
des Beines gefühlt. In den ersten Tagen nach der Erkrankung erschien auch
^er rechte Arm etwas schwach, dech konnte Pat. unbehindert alle Bewegungen
mit demselben ausführen. Sie soll anfangs auch leichte Atembeschwerden
gehabt haben.
300 Lövegren, Zar Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
Fat. kam zwei Wochen nach Eintritt der Krankheit in ärztliche Be-
handlang (Dr. Salt in), und damals wurde die Sensibilit&t überall vollkommen
normal gefunden; der Patellarreflex war rechts erloschen, links gesteigert.
Fat. erhielt 8 Wochen lang Natrium salicjlicum 8,0 pro die. Hierauf folgte
eine Schmierknr (32 Einreibungen mit Ungt. einer. 4,0) und Jodkalium
innerlich.
Durch diese Behandlung wurde Fat* ihrer eigenen und der Ansicht
des behandelnden Arztes nach nicht gebessert.
Sie lag sieben Wochen lang zu Bett und konnte sich in dieser Zeit
nicht einmal im Bette aufsetzen, zum Teil wegen eines Gefühls von Schwere
in den Schultern, zum Teil weil sie bei jedem derartigen Versudhe
Schmerzen in der linken Schulter und der linken H&lfte der Brust empfand.
Allmfthlich besserte sich der Zustand. Die Kraft im rechten Beine
nahm zu, so dass Fat. sich mit einer Stütze bewegen konnte, und schon um
die Weihnachtszeit ging sie auch ohne Stütze. Kachher hat Fat. ohne
sonderliche Schwierigkeit, selbst mehrere Stunden hintereinander, gehen
können. Der Zustand des linken Armes hingegen ist unverändert geblieben,
er verblieb völlig gelähmt.
Während des ganzen Verlaufes der Krankheit bestanden weder
Sprachstörungen noch Schlingbeschwerden. Das Bewusstsein war stets klar.
Die Funktion der Blase war nie gestört.
Vor der Erkrankung war Fat. keinem Trauma ausgesetzt gewesen,
auch hatte sie keine Verletzung oder Eiterungen gehabt« In der Umgegend
war kein ähnlicher Krankheitsfall vorgekommen. Keine Spur von Lues
konstatierbar.
Status praesens:
Fat. ist von mittlerem Körperbau und etwas ma^er. Die Haut zeigt
überall eine gewöhnliche Beschaffenheit, die Temperatur ist nicht gesteigert.
Die Untersuchung der Lungen, des Herzens und der Bauchorgane
ergibt normale Verhältnisse.
Der Harn ei weiss- und zackerfrei.
Die psychischen Funktionen klar. Fat. ist von gleichmässiger and
guter Laune.
Die Cerebralnerven funktionieren ungestört.
Die linke Schulter ist herabgesunken, und der linke Arm hangt
schlaff nieder. Die linke Scapula ist ans ihrer normalen Lage um eine
vertikale Achse gedreht, so die Basis heraussteht und ein ffügelartiges
Relief bildet Der Abstand zwischen der Basis scapulae und der nicht-
deformierten Wiibelsäule beträgt an der Spina scapulae:
links 9,2 cm
rechts 8,8 „
am Angultts scapulae
links 9,0 cm
rechts 8,8 «
Die Fossa infraclavicularis links weniger gefüllt als auf der rechten
Seite. Das Relief des linken Deltoideus völlig aufgehoben. Unter dem
Acromion sieht man hinten eine tiefe Einsenknng. Der M. trapezius sin.,
besonders in seiner oberen Hälfte* atrophisch. Die Fossae supra- et infraspin»
links etwas eingesunken. — Der linke Oberarm von einer gleichmässig-
uod subacuta s. chronica. 301
zylindrischen Form; keine Muskelreliefs zu sehen. Die Maskalatur des
linken Unterarmes hochgradig atrophisch. Die Sehne des M. flexor.
€arpi ulnar, bildet ein kleines Relief, sonst treten weder Muskel- noch
Sehnenreliefs hervor. — An der linken Hand sind der Thenar und
Hjpothenar ganz und gar abgeplattet. Der A.dductor pollicis ist stark
«trophisch. Eine stärkere Ein Senkung der Spatia interossea ist nicht zu
▼erspören. Die Muskulatur des linken Armes fühlt sich überall schlaff an.
Die Haut ist stellenweise leicht cjanotisch, marmoriert und von etwas herab-
esetzter Temperatur.
Alle aktiven Bewegungen in der linken Schulter und dem linken
Arm Yöllig aufgehoben« Die passiven Bewegungen sind frei.
Aussehen und Funktionen des rechten Armes normal.
An der Bauch muskulatur keinerlei Veränderungen. Desgleichen sind
die Rnckenmuskeln, mit Ausnahme des M. trapezius sin., unverändert.
Das rechte Bein zeigt keine sichtbare Muskelatrophie. Alle aktiven
Bewegungen ausführbar, aber mit geringerer Kraft als im linken Beine,
welches ungestört funktioniert.
Fat. geht ohne Stütze recht gut^ gleichwohl verrät sich die Parese
des rechten Beines durch ein leichtes Kachschleppen des rechten Fusses.
Die Sensibilität ist überall in jeglicher Hinsicht erhalten. Nirgends
Druckempfindlichkeit der Nervenstämme und Muskeln. Keine Hbrillären
Musketzuckungen.
Die Pupillen von gewöhnlicher Weite reagieren gut auf Licht. Die
Sehnen- und Periostreflexe am rechten Arme schwach hervortretend, am
linken Anne erloschen. Der Patellarreflex links stark gesteigert,
rechts gewöhnlich.
Elektrische Untersuchung (Anfang Juni 1901). Die Muskeln
der linken oberen Extremität sind direkt und indirekt sowohl für
den faradischen als für den galvanischen Strom völlig unerregbar
(vollständige EaR). Die Muskeln des rechten Unterschenkels zeigen
für den faradischen Strom bei direkter Reizung eine leichte Herabsetzung
der Erregbarkeit. Die Ertegbarkeit für den galvanischen Strom ist sowohl
bei direkter als bei indirekter Reizung bedeutend herabgesetzt; die
Zuckungen überhaupt ungefähr normal kurz, in einzelnen Muskeln etwas
langsam.
Die Patientin wurde mit Faradisation und Massage behandelt und be-
kam dreimal wöchentlich ein Salzbad. Zugleich erhielt sie täglich eine
Strychnininjektion, die allmählich von 0.001 auf 0,004 gesteigerc wurde.
Kräftige Diät.
Pat. blieb bis zum 18. Juni 1901 in klinischer Beobachtung. Der
Ernährungsznstand wurde allmählich erhöht. Die Parese des rechten Beines
besserte sich etwas; der Zustand der linken oberen Extremität blieb voll-
ständig unverändert.
Brieflicher Mitteilung nach vom August 1904 ist der Znstand des
linken Armes ganz derselbe wie im Jahre 1901 ; die Beweglichkeit des rechten
Beines ist etwas gebessert.
BMbaehtung UI.
Kustaa, K., 16 Jahre alt, Käthnerssohn aus Kuru. Aufnahme in Prof.
Ho mens Abteilung für Nervenkranke am 6. XT. 1903.
302 Lövegren, Zur Kenntois der Poliomjelitis anterior acuta
Anamoese.
Eltern and Geschwister des Patienten sind gesund. Die Grossmntter
ist seit ibrem 40. Jahre zeitweise geisteskrank gewesen. Sonst weder Nerven-
noch Geisteskrankheiten in der Verwandtschaft. Patient selbst hat sich bis
zum Sp&tsommer 1903 ungestörter Gesundheit erfreat.
Eines Abends, Mitte August des erw&hnten Jahres, erkrankte Pat.
plötzlich mit Frostschauern und Kopfschmerzen. Nachdem er die Nacht
recht ruhig geschlafen hatte, erwachte er am folgenden Morgen mit massigen
Schmerzen im Rumpf und in den Beinen. Die Schmerzen nahmen in deo
n&chsten beiden Tagen zu und hielten dann etwa eine Woche an, worauf sie
sich allmählich yerminderten, um zwei Wochen nach der Erkrankung TÖllig
aufzuhören. Nur beim Versuch zu sitzen fühlte Pat. noch anderthalb Wochen
später Schmerzen im Kreuz und im Gesäss. Etwa zwei Wochen nach der
Erkrankung, als die spontanen Schmerzen schon aufgehört hatten, trat eine
rasch zunehmende Schwäche des linken Beines auf, welches nach Verlauf
von drei Tagen fast vollständig gelähmt war; nur eine schwache Beugung
der Zehen erwies sich noch als möglich. Etwa zwei Wochen nachdem die
Lähmung des linken Beines ihren Anfang genommen hatte, wurde eine
Lähmung der Streckmuskeln des rechten Oberschenkels bemerkt, welche bis
dahin ungestört funktioniert haben sollten. Gleichzeitig mit der Lähmung
trat rasch eine beträchtliche Abmagerung des linken Beines ein. Am rechten
Beine wurde nie Abmagerung bemerkt.
Sobald die Schmerzen aufgehört hatten, begann man, ohne ärztlichen
iiat einzuholen, den Kranken zu massieren. Zwei Monate nach der Er-
krankung trat eine Besserung der Lähmung des rechten Beines ein, welches
einige Wochen darauf seine Kraft zurückerhielt; gleichzeitig wurde auch
am linken Bein eine kleine Besserung beobachtet, es konnten schwache
aktive Bewegungen im Hüft- und Kniegelenke ausgeführt werden ; im übrigen
verblieb die Lähmung des linken Beines unverändert. Pat. hat sich seitdem
auf das rechte Bein stützen und mit Hilfe zweier Krücken bewegen können.
Im Verlauf der Krankheit war das Bewusstsein nie getrübt; es kamen
keine Sprach-, Gesichts- und Gehörsstöinngen oder Schlingbeschwerden vor.
Nachdem die Schmerzen verschwunden waren, kehrten sie nicht mehr wieder»
Das Gefühl in den Beinen soll ungestört gewesen sein; ungewöhnliche
Empfindungen hat Pat. in ihnen nicht gehabt. Muskelzittern ist nicht
bemerkt worden. Solange die Schmerzen bestanden, fand sich an den Beinen
eine gewisse Druckempfindlichkeit. Defäkation und Funktion der Blase
waren ungestört
In der ?eit vor und während der Erkrankung hat Pat. keinen kranken
Hals gehabt, keinen Ausschlag und keine Verletzungen oder Eiterungen.
Trauma und Erkältung waren der Erkrankung nicht vorausgegangen. Es
findet sich nichts, was auf die Möglichkeit von Lues oder Alkoholmissbrauch
hindeuten könnte. Im Juni war in der Nachbarschaft eine ganze Familie
an einer akuten Ausschlagskrankheit (Scarlatina?) schwer erkrankt. Ende
Juni hatte Pat. diese Familie besucht.
Status im Januar 1904.
Pat. ist gut entwickelt und gut genährt. Von Seiten der Brust- und
Bauchorgane keine nachweisbaren Veränderungen. Harn frei von Zucker
and sabacata 8. chronica. 803*
und Eiweiss. — Psyche klar. Die Cerebralnerven funktionieren nngestört.
Pupillen von gleicher Ghrösse, reagieren normal.
Die Arme frei and kräftig beweglich. Die Baachmuskeln werden
normal kontrahiert. Pat. kann sich aas der Rückenlage ohne Hilfe der
Arme aufsetzen. Die Wirbels&ale zeigt eine leichte Skoliose mit der
KonTCzit&t im Lumbal- and unteren Dorsal teile nach rechts, im obereU'
Dorsal teile nach links. Der Rücken wird kräftig gestreckt. Keine Atrophie
der Rucken muskeln.
An der rechten unteren Extremität ist keine Muskelatrophie zu be-
merken; alle Bewegungen« sind frei und kräftig.
Die Muskulatur der linken unteren Extremität sowohl in der
Glntaealregion als am Ober- und Unterschenkel atrophisch. Die Haut leicht
fleckig cjanotisch und bedeutend kühler als am rechten Beine. Die passiven
Bewegungen sind frei bis auf die Dorsalflexion des Fusses, welche einem
gewissen Widerstände begegnet (beginnende Kontraktur der Flexorengruppe
des Unterschenkels).
Umfang des Oberschenkels 15 cm oberhalb der Basis patellae:
rechts 39,5 cm,
links 34,5 cm.
Umfang des Oberschenkels 10 cm oberhalb der Basis patellae:
rechts 36,0 cm,
links 81,0 cm.
Grösster Umfang des Unterschenkels:
rechts 29,0 cm,
links 26,5 cm.
Abstand zwischen der Spina iliaca ant. sup. und der Spitze dea
äusseren Malleolus:
rechts 87,0 cm,
links 87,0 cm.
Aktive Bewegungen im Hüftgelenk: Flexion schwach. Extension
anmöglich. Weder Abduktion noch Adduktion. Rotation nach aussen schwach:
Rotation nach innen unausführbar.
Im Kniegelenk: Flexion äusserst schwach; Extension ein klein
wenig kräftiger.
Alle Bewegungen des Fusses aufgehoben ausser einer geringen
Plantarflexion der Zehen.
Reflexe von Seiten der Banchdecken deutlich vorhanden. Der
Cremasterreflex rechts sehr deutlich, links tritt er nicht hervor. Patellar-
reflex auf der rechten Seite schwach, auf der linken Seite erloschen. Reflex
der Achillessehne fehlt auf beiden Seiten. Plantarreflex: links nicht hervor-
tretend; rechts Dorsalflexion sämtlicher Zehen (Babinskisches Phänomen)»
Nirgends Drackempfindlichkeit der Nervenstämme und Muskeln.
Nirgends flbrilläre Zuckungen.
Die Sensibilitäc für sämtliche Qualitäten intakt. Auch die farado-
eutane Sensibilität überall erhalten.
Pat. stützt sich auf das rechte Bein und bewegt sich mit Hilfe zweier
Krücken.
Die elektrische Untersuchung wird dadurch erschwert, dass Pat..
schon bei massig starkem galvanischen Strom Schmerzen empfindet. Die
304 LövegroD, Zur KenotDU der PoliomjeUtis anterior ucnta
Maskeln des rechten Beines reagieren auf den galvanischen wie faradischen
Strom sowohl qualitativ als quantitativ normal. Am linken Beine ist die
Erregbarkeit für den faradischen Strom in einigen Muskeln herabgesetzt, in
den meisten YÖllig erloschen. Bei galvanischer Reizung erhält man mit der
grössten Stromstärke, die zur Anwendung kommen kann, meistens keine
Reaktion; in den Muskeln, wo Kontraktionen hervortreten, sind dieselben
deutlich träge und An SZ = oder>KaSZ (£a R).
Fat. befand sich 2'/s Monate unter Beobachtung und wurde mit
Massage, Elektrizität and Toniois behandelt. Der Zustand blieb unverändert.
Brieflicher Mitteilung nach vom August 1904 ist der Zustand fort-
während ganz unverändert geblieben.
Beobaehtang IV.
Taay, A., 30jähriger Schutzmann aus Yiborg; wurde am 28. No>
Tember 1901 in die Kervenabteilung des Prof. Hom^n aufgenommen.
Anamnese:
Der Vater des Patienten, ein rüstiger Sechziger, ist starker Trinker
gewesen. Die Mutter, die im allgemeinen gesund und kräftig gewesen war,
starb, nachdem sie einige Jahre gekränkelt hatte, an einem unbekannten
Leiden. Von fünf Geschwistern hat die j&ngste Schwester seit lange an
Schmerzen in der Hüfte gelitten, der älteste Bruder starb an einer akuten
Krankheit, die übrigen sind gesnnd. In der Verwandtschaft findet sich kein
Fall Yon Geisteskrankheit noch Epilepsie. In der Verwandtschaft der
Mutter sind mehrere Fälle von Tuberkulose vorgekommen. Pat ist seit
3 Jahren verheiratet. Die Frau ist gesund, hat kein Kind gehabt, auch
nicht abortiert.
Pat. hat sich fast nie völlig gesnnd gefühlt. Er hat häufig an lang-
wierigem Schnupfen und Husten gelitten und ist seit seinen Jünglingsjahren
oft von Schmerzen in der linken Brustbälfte belästigt worden. Als Kind
(etwa im Alter von 2 Jahren) machte er die Pocken durch. Mit 16 Jahren
soll Pat. im Sommer gegen 2 Monate an einer akuten Fieberkrankheit mit
Halsbeschwerden gelitten haben. Den darauffolgenden Herbst lag er vier
Wochen zu Bette mit Fieber, Kopfschmerzen und Diarrhoe (Typhus?). Seit
dieser Zeit hat Pat. zeitweise ein plötzlich eintretendes, unbestimmte« Gefühl
von Müdigkeit und Schläfrigkeit.
Ais Pat. seine Wehrpflicht als Dragoner abdiente, hat er im
Jahre 1894 3 Monate im Regimentskrankenhause gelegen unter der
Diagnose Influenza. Die Natur der Krankheit soll etwas dunkel gewesen
sein und der behandelnde Arzt im Verlauf derselben an die Möglichkeit einer
etwaigen Tuberkulose gedacht haben. Pat. genas gleichwohl, und die Krank-
heit hinterliess weiter keine Folgen. Der Kranke, welcher 1898 Schutzmann
wurde, war bis zum Beginn seiner jetzigen Krankheit im allgemeinen völlig
arbeitsfähig.
Am 9. August 1901 morgens empfand PaL bei Bewegung Schmerzen
in beiden Seiten der Brust; bei Ruhe hatte er keine schmerzhaften
Empfindungen. Er konnte am Tage noch seine Arbeit Terrichten. Etwa nm
3 oder 4 Uhr nachmittags stellten sich Fiebersjmptome ein, und die Schmerzen
wurden im ganzen Umkreise des Brustkorbes empfunden, weshalb sieh Pat.
nur mit äusserster Vorsicht bewegen konnte und tiefere Respiration mit
aod sobacota 8. ciironica. 305
«ntensiven Schmerzen verbanden war. Als er sich aui aadereu Morgen nicht
besser fühlte, begab sich Pat., trotz schwerer Schmerzen and Zittern im
ganzen Körper, allein za Fass zum Arzte, welcher annahm, dass eine Langen-
entzändang vorliege. Pat., der häufig an Hasten litt, hastete etwas mehr
als gewöhnlich, aber kraftlos und ohne Spata herausbefördern zu können.
Er war genötigt, am selben Tage das Bett einzunehmen. Es bestand
kein Erbrechen noch Störungen beim Urinieren, wohl aber eine leichte
Obstipation.
Am 12. August gegen 8 Uhr abends trat ein starker Schmerz im Kreuz
auf; auch bestand ein gewisser Schmerz an der Aussenseite beider Beine bis
etwas anterhalb des Knies. In der Nacht beobachtete Pat. kleine Zuckungen
in den Muskeln des Oberschenkels; unfreiwillige Bewegungen der Hüft- und
Kniegelenke kamen nicht vor. Am folgenden Morgen konnte Pat. sich nicht
auf seine Beine stützen, die völlig schlaff waren. Im Liegen konnte er die
Beine unbedeutend bewegen, das linke verhältnismässig besser. Gleichzeitig
erwiesen sich die Bewegungen des linken Armes im Schultergelenk be-
schränkt. Der Arm konnte nur ganz wenig nach vorne und aussen bewegt
werden, nach hinten garnicht. Die Bewegungen des Ellenbogen- und Hand-
gelenkes waren frei. Schmerzen waren im Arme nicht verspürt worden.
Nach Verlauf eines Tages waren die Schmerzen im Kreuz und in den
Beinen verschwunden, und gleichzeitig hatten auch die Schmerzen um die
Brust aufgehört.
Am 15. August konnte Pat. seinen Harn nicht lassen, sondern musste
einmal kathcterisiert werden. Am folgenden Tage ging das Urinieren schon
von selbst, nur sehr träge. Zeitweise entleerten sich einige Tropfen Harn
gegen den Willen des Pat.
Pat. lag fortdauernd mit Fieber, und die Lähmung der Beine war so
vollständig, dass nur die rechte Fnssspitze etwas bewegt werden konnte.
Am 17. August etwa hatten sich die Fiebersymptome gegeben. Ungefähr
am 21. AugQst stellte sich der Sehmerz in den Oberschenkeln intensiv wieder
ein nnd dauerte zwei Wochen. Im Beginn dieser Periode bestanden auch
Fiebersymptome. In dieser Zeit bemerkte Pat. einen stets zunehmenden
Schwund der Muskeln des Gesässes und der Beine, besonders des linken
Beines, sowie des linken Oberarmes. Die Atrophie schritt einige Wochen
fort, um dann die Muskeln in dem Zustande zu belassen, in dem sie sich
gegenwärtig befinden.
Die Lähmung hielt sich gegen zwui Monate ganz unverändert, und Pat.
musste ununterbrochen stille liegen. Hierauf besserte sich die Beweglichkeit
der Beine und des linken Armes, und Pat. konnte zuerst im Bette sitzen
und dann allmählich immer leichter mit Hilfe von Krücken sich bewegen.
Während der Krankheit hatte Pat. keine Halssehmerzen und keine
Schlingbeschwerden. Das Bewasstsein war stets klar. Von Seiten der Sinnes-
organe und der Sprache bestanden keine Störungen.
Pat. nimmt an, dass er sich das Leiden durch Erkältung zugezogen
haben könnte. Er hatte nämlich an den Tagen vor der Erkrankung trotz
der kalten und rauhen Witterung seiner Gewohnheit gemäss kalt gebadet.
In der Umgebung des Pat. war, soviel ihm bekannt, kein ähnlicher Krank-
heitsfall vorgekommen. Es ging kein Trauma, keine Verletzung voraus.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI, Heft 2. 20
306 LöTegren, Znr Kenntnis der Poliomyelitis anterior acata
Pat. hat sich seit vier Jahren TÖilig des Genasses von Alkohol ent-
halten and ist seit derselben Zeit aach im Gebrauch des Tabaks m&ssig ge*
wesen. Vorher hatte er zeitweise Tiel getranken ond war starker Raucher
gewesen. Lues und Gonorrhoe bestimmt verneint
Status praesens:
Pat. ist Ton gewöhnlichem Körperbau und massiger Em&hrang. Ge-
sichtsfarbe etwas blass. Die Haut zeigt weder Ödem noch Exanthem. Im
Gesicht finden sich einige Pockennarben, sonst von Seiten der Haut nichts
Bemerkenswertes.
Temperatur nicht erhöht. Der Puls von normaler Frequenz, regelm&ssig,.
gnt gefüllt.
Lungen, Herz and Baochorgane geben normale Befunde.
Anffassnng klar, Gedächtnis gnt.
Die Funktionen der Gerebrainerven ungestört. Die Sprache fehlerfrei.
Keine Kopfschmerzen. Pat hat zeitweise ein nnbestimmtes Gefühl von
Müdigkeit ^im Kopfe", ein Gefühl, das er nicht näher beschreiben kann.
Die Muskulatur der Arme zeigt keine deutliche Atrophie, sie scheint
aber links etwas weniger fest zu sein als rechts. Bei der Messung erweist
sich der Umkreis der Arme, in der Mitte des Oberarmes:
rechts 25,5—26,0 cm
links 24,0--24,5 „
10 cm unterhalb des Olecranon:
rechts 24,5—35,0 cm
links 23,0—23,5 „
Beide Arme sind frei beweglich. Alle Bewegungen des linken Armes
werden mit bedeutend geringerer Kraft ausgeführt als die des rechten. Der
Handdruck beträgt:
rechts 60 kg
links 46 kg.
Die Bauch- und Rückenmuskeln zeigen keine Atrophien und
funktionieren ungestört.
Die Muskeln beider Beine atrophisch, von schlaffer Konsistenz* am
auffallendsten am Unterschenkel, ganz besonders an der linken Wade. Die
rechte Glutaealregion weniger gefüllt als die linke. Der rechte Oberschenkel
dünner als der linke. Der linke Unterschenkel dünner als der rechte.
Die Skelettteile zeigen keine nachweisbaren Veränderungen. Der Umkreis
des Oberschenkels 15 cm oberhalb der Patella:
rechts 33,5—34,0 cm
links 34,5—35,0 „
der Umkreis des Unterschenkels (ungefähr auf der Grenze zwischen dem
oberen und mittleren Drittel):
rechts 29,0-30,0 cm
links 27,0-28,0 ,
Die Bewegungen im Hüftgelenke beiderseits möglich. Die
Extension und Rotation nach aussen links schwach, sonst sind die Bewegungen
ziemlich kräftig.
Im Kniegelenk wird die Extension rechts äusserst schwach sus-
geführt, links geschieht die Bewegung mit recht guter Kraft. Die Flexion
dagegen ist rechts bedeutend kräftiger als links.
und «ubaouta s. chronica. 307
Alle Bewdgangeo des rechteu Fasses siod frei und verh<nis-
m&ssig krftftig.
Dorsalflezion des linken Fasses unmöglich, Plantarflexion höchst
unbedeutend und nar durch gleichzeitige Flexion der Zehen ausfahrbar.
Tibialflexion sehr schwach, Fibularflexion unmöglich. Plantarflexion der
Zehen Iftsst sich schwach ansffihren, Dorsalflexion fast gar nicht. Ab- und
Adduction der Zehen sehr schwach.
Keine Empfindlichkeit der Nervenstämme und Muskeln, weder an den
oberen noch unteren Extremitäten noch sonstwo.
Die Pupillen rund, die rechte Tietleicht etwas grösser als die linke.
Beide reagieren auf Licht, die linke zieht sich dabei stärker zusammen als
die rechte.
Die Patellarref lexe sind beiderseits erloschen.
Die Sensibilität zeigt keine Störungen bis auf die vordere äussere
Seite des linken Unterschenkels, auf einem Gebiete, das sich von der Höbe
des Capitulum fibalae bis zam äusseren Malleolus erstreckt, Tome ungef&hr
▼on der Grista tibiae begrenzt wird and hinten ohne scharfe Grenze etwas
auf den hinteren Teil der Wade übergeht; auf diesem Gebiete besteht eine
deutliche, wenngleich geringe Herabsetzung der Schmerzempfindung.
Die Parese der Beine tritt deutlich hervor beim Gehen, was nur mit
Hilfe zweier Krücken geschehen kann. Der linke Fass schleppt dabei teil-
weise aaf dem Boden und führt eine schleudernde Bewqgung nach aussen aus.
Pat. wurde mit einer Schmierkar (8X^ g Ungt. einer.) und Jodkalium
(8 g pro die) behandelt. Dabei bekam er eine Furunculosis. Die Schmierkur
wurde unterbrochen und eine Injektion von Hydrarg. salicyl. 0,20 gemacht.
Am 20. Dezember warde wieder mit der Sehmierkur begonnen, and
Fat. erhielt jetzt 18X^ g Ungt. einer. Daneben wurden warme Bäder ver-
ordnet und Pat. mit dem faradischen Strome behandelt.
Der Allgemeinzustand besserte sich« und allmählich konnte Pat. sioh
auch freier bewegen.
Bei der Untersuchung am 10. März 1902 erwies sich folgendes:
Der Allgemeinzustand etwas gebessert.
Von Seiten der Brust- iind Bauchorgane wie früher normale Befunde.
Harn eiweiss- und zuckerfrei.
Die psychischen Funktionen klar. Desgleichen von Seiten der Cerebral-
nerven keine Funktionsstörungen.
Das Gefühl von sonderbarer Müdigkeit im Kopfe stellt sich nur selten
ein. Keine Kopfschmerzen.
Die oberen und unteren Extremitäten zeigen im Wesentlichen dieselben
Verhältnisse wie früher, doch hat ihr Umfang einigermassen und ziemlich
gleichförmig zugenommen. (Pannicnlus adiposusi) Umfang
in der Mitte des Oberarmes:
rechts 28,0—28,5 cm
links 27,5—28,0 „
10 Centimeter unterhalb des Olecranou :
rechts 25,5—26,0 cm
links 23,5—24,0 ,
20»
308 LövegreD, Zar KenntaiB der Poliomyelitis anterior acata
des Oberschenkels 15 cm oberhalb der Patella:
rechts 86,5—37,0 cm
links 38,0-88,5 .
des Unterschenkels (etwa aaf der Grenze zwischen dem oberen
und mittleren Drittel):
rechts 81,0—81,5 cm
links 29,0—29,5 ,
Die Konsistenz def'Moskalatur und die Ausdehnang der Atrophien
dieselbe wie bei der ersten Üntersachnng. Desgleichen sind die Funktionen
der verschiedenen Maskelgrnppen wesentlich unver&ndert.
Nirgends besteht Empfindlichkeit über den Nerven oder Maskeln.
Nirgends fibrilläre Zncknngen.
Die Grösse der Pupillen erscheint auf beiden Seiten gleich, die
Reaktion auf Licht ist gut; es l&sst sich kein deutlicher Unterschied zwischen
der rechten und Unken nachweisen.
Periost- und Sehnenreflexe au beiden Unterarmen nachweisbar.
Reflex von den Baachdecken auf beiden Seiten vorhanden. Der Cremaster-
reflex etwas undeutlich. Der Patellarreflex links schwach, aber deutlich
(sichtbare Kontraktion des M. quadriceps femoris), auf der rechten Seite
«rloschen. Bei Reizung der Haut der Planta pedis tritt Flexion der Zehen ein.
DieBerührnngs- undTe m per atnrempfindung sowie die faradocu-
tane Sensibilit&t sind überall völlig ungestört. Das Schmerz-
gefühl auf der vorderen äusseren Seite des linken Unterschenkels ungef&hr
in derselben Ausdehnung und mit derselben unbestimmten Begrenzung nach
hinten wie vorher, ganz unbedeutend herabgesetzt. Im übrigen ist die
Schmerzempfindung völlig erhalten. Das Gefühl fürpassiveBewegnogen
unver&ndert.
Einer brieflichen Mitteilung nach yom August 1904 ist der Znstand im
Wesentlichen unverändert geblieben; doch sind die Beine jetzt etwas kräftiger
und Pat. g«ht ohne Krücken, obgleich hinkend und vom gel&hmten linken
Fusse belästigt.
(Hier folgen die Tabellen auf S. 309 u. 310)
Im wesentlichen enthält diese Krankengeschichte folgendes:
£in SOjähriger Mann, in dessen As>cendenz Nervenkrankheiten
nicht vorgekommen sind, wohl aber Tuberkulose und Alkoholismus,
und welcher selbst früher nicht völlig gesund war, erkrankte im
August 1901 plötzlich mit Brustschmerzen, Fiebersymptomen und
etwas Husten (Pneumonie?). Drei Tage später heftige Kreuz-
schmerzen und leichte Schmerzen sowie fibrilläre Muskelzuckungen
in den Oberschenkeln; am folgenden Tage fast vollständige, schlaffe
Lähmung der unteren Extremitäten und teilweise auch der linken
Schultermuskulatur. Die Schmerzen im Kreuze und in den Beinen
dauern nur einen Tag, und gleichzeitig mit ihnen verschwinden
auch die Brustschmerzen. Etwa acht Tage nach dem Auftreten
der Lähmung, als die Fiebererscheinungen schon seit einigen
Tagen vorüber waren, treten aufs neue Schmerzen in den Ober-
und snbacotft 8. chronica.
309
Elektrische Untersnchnng (April 1902).
Obere Extremitäten.
Stintzings
Normal -
elek trode
Rechts
Farad.
galvan.
Links
farad.
galvan.
Indirekt:
N. medianus
N. ulnaris
80 mm RA ' erste KaSZ 2,5 MA
100 mm RA
erste KaSZ 2,0 MA
82 mm RA
100 mm RA
erste KaSZ 8,5 MA
erste KaSZ 4,0 MA
Direkt:
M. biceps
M. flezor
citrpi radialiä
Indirekt:
N. cmralis
N. tibialis
N. peroneus
100 mm RA
91 mm RA
65mm RA (im M.
rect. fem. keine
Reaktion, aneh b.
etwas stärkeren
Strömen)
60 mm RA
88 mm RA
KaSZ 23 MA,
AnSZ 8,0 MA,
blitzart Zuckungen
KaSZ 4,5 MA,
AnSZ 10,0 MA,
blitzart. Zackungen
105 mm RA
96 mm RA
Untere Eltremit&ten.
erste KaSZ 8,0 MA
erste KaSZ 1,5 MA
orste KaSZ 1,0 MA
74mmRA(imM.
rect. fem. keine
Reaktion, auch b.
etwas stärkeren
Strömen)
keine Reaktion
bei 40 mm RA
60 mm RA
KaSZ 2,5 MA,
AnSZ 6,0 MA,
blitzart. Zuckungen
KaSZ 4,5 MA,
AnSZ 9,0 MA,
blitzart. Zuckungen
erste KaSZ, 2,5 MA
erste KaSZ 3,5 MA
(minimale Flexion d.
Zehen, sonst kein
Bewegnngseffekt)
erste KaSZ 2,5 MA
(m inimaleEztension
d. Zehen, sonst kein
Bewegnngseffekt)
Direkt:
M. vastus
internus
M. rectus
femoris
M. Tastus
«extern US
72 mm RA |
(Kontraktion j
langsam)
65 mm RA
.(Kontraktion
langsam)
keine Reaktion
bei 40 mm RA
M. sartorius
55 mm RA
(Kontraktion
langsam)
keine KaSZ und
keine AnSZ bei
5,0M A, bei stärkeren
Strömen Schmerzen
keine KaSZ und
keine AnSZ bei
6,0 MA
KaSZ 4,0 MA,
AnSZ 3,0 MA,
Zuckungen träge
KaSZ 3,5MA, AnSZ
3,5 MA, Kontrakt.
äusserst träge
75 mm RA
70 mm RA
(Kontraktion
langsam)
bei 50 mm RA
langsame Zuck-
ungen in den
oberen Teilen d.
Muskels, in den
unteren Teilen
keine Kontrakt.
67 mm RA
keine KaSZ bei
4,0MA, bei stärkeren
Strömen Schmerzen.
AnSZ 1,5 MA, Kon-
traktion langsam
KaSZ 5,0MA, AnSZ
4,5MA, Kontraktio-
nen sehr langsam
keine KaSZ,
keine AnSZ bei
6,0 MA
KaSZ 3,0 MA,
AnSZ 3,5 MA,
Kontraktionen träge
310
LövegreD, Zur Kevntnis der Poliomyelitis anterior acata
Stintzings
Normal -
elektrode
M. addacror
magnas
M. bloepi fem.,
M iemitefldlno-
msi M. leml*
membranoBui
M. tibialis
anticos
M. extensor
digitor. com-
man. longas
M. perooeas
loDgas
M.. extensor
hallacis long.
M. extensor
digitor. com-
monis brevis
Mm. inter-
ossei dorsales
M. gastro-
cnemius
extern US
M. gastro-
cnemias
internus
M. soleus
M. flexor
digitor.
comm. long.
M. flexor
baUnois long.
82 mm RA
KaSZ 3,0MA, AnSZ
3,5 MA, Kontrakt
langsamer als
normal
98 mm RA
KaSZ 3,0MA,AbSZ
3,5 MA, Kontrakt
fast normal rasch
und kurz
nicht zu bestimmen; schon bei relativ schwachen Strömen intensiTe
Schmerzen
80 mm RA
mm RA
72 mm RA
61 mm RA
65 mm RA
78 mm RA
70 mm RA
82 mm RA
63 mm RA
68 mm RA
65 mm RA
KaSZ 1,5 MA,
AnSZ 3,0 MA,
Kontraktionen rasch
und kurz
KaSZ 2,5MA, AnSZ
2,5 MA, Kontrakt.
rasch nnd kurz
KaSZ 1,5 MA,
AnSZ 3,0 MA,
Kontraktionen
rasch nnd kurz
KaSZ 2,0 MA,
AnSZ 3,0 MA,
Kontraktionen
rasch und kurz
KaSZ 2,0MA, AnSZ
2,0 MA, Kontrakt,
schwach u. langsam
KaSZ 2,5 MA,
AnSZ 3,5 MA,
Zuckungen träge
KaSZ 1,5MA, AnSZ
2,5 MA, Kontrakt.
etwas langsam
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
(20 mm RA)
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
(20 mm RA)
keine Reaktion
bei stärksten
Strömen
(35 mm RA)
43 mm RA
(Kontraktionen
schwach)
M. inteross. IV
56 mm RA. Die
übrigen Mm.
interossei: keine
Reaktion bei
stärkst. Strömen
keine Reaktion
bei 45 mm RA
keine Reaktion
bei 45 mm RA
keine Reaktion
bei 45 mm RA
keine Reaktion
bei 45 mm RA
keine Reaktion
bei 45 mm RA
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 5,0 MA
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 8,0 MA
keine KaSZ, keine
AnSZ bei stärksten
Strömen
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 5,0 MA
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 5,0 MA
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 5,0 MA
keine KaSZ, keine
AnSZ bei 5,0 MA
und subacuta 8. chronica. 311
Schenkeln uDd Fieber auf. Diese Schmerzen sind sehr intensiv
und dauern zwei Wochen an. Eine schnell zunehmende Muskel-
atrophie tritt während dieser Zeit ein. Nach zwei Monaten wird
«ine Besserung der Beweglichkeit der Beine und des linken Armes
bemerkt. Aber ausgedehnte Lähmungen und eine bedeutende
Muskelatrophie bleiben zurück; der Zustand bleibt späterhin im
wesentlichen stationär.
Bei der Untersuchung findet man eine leichte Analgesie an
der vorderen äusseren Seite des linken Unterschenkels; sonst ist
die Sensibilität erhalten. Nirgends besteht Druckempfindlichkeit
der Nerven oder Muskeln. Patellarreflexe im November 1901
beiderseits erloschen; im März 1902 lässt sich ein ganz minimaler
Reflex links auslösen, rechts bleibt der Reflex aufgehoben.
Die elektrische Exploration ergibt im April 1902
folgendes:
An der rechten oberen Extremität ist die Reaktion
normal.
An der linken oberen Extremität ist die Erregbarkeit
der Nerven für den galvanischen Strom etwas herabgesetzt; bei
direkter Reizung keine qualitativen Veränderungen ; die faradische
Erregbarkeit normal.
An den unteren Extremitäten zeigen die Nerven links
eine deutlich herabgesetzte Erregbarkeit für beide Stromesarten;
rechts verhält sich N. cruralis ebenso, N. peroneus und N. tibialis
sind normal erregbar für den galvanischen Strom, N. peroneus
ist auch faradisch normal erregbar, N. tibialis zeigt eine etwas
herabgesetzte faradische Erregbarkeit.
Bei direkter Reizung der Muskeln der Oberschenkel zeigt sich
rechts und links teils eine mehr oder weniger bedeutende Herab-
setzung, teils ein Erloschensein der Erregbarkeit für den faradischen
Strom; die Eontraktionen in einigen Muskeln langsam (faradische
EaR). M. adductor magnus reagiert beiderseits normal. Auch
bei galvanischer Reizung zeigt sich die Erregbarkeit herabgesetzt
(ob sie in einigen Muskeln ganz aufgehoben ist, kann nicht ent-
schieden werden, da Pat. starke Ströme nicht verträgt). Die
Eontraktionen sind mehr oder weniger träge; nur M. adductor
magnus reagiert ziemlich normal. An SZ > oder •=^ EaSZ (EaR).
Die Muskeln an der Vorderseite des rechten Unterschenkels
zeigen eine leicht oder massig herabgesetzte Erregbarkeit für
312 Lövegren, Zur KeDotois der Poliomyelitis anterior acuta
den faradischen Strom; bei galvanischer Reizung normale Kon-
traktionen.
Die Wadenmuskeln verhalten sich gegen den faradischen
Strom wie die Muskeln der Vorderseite; die galvanischen
Kontraktionen sind dagegen langsam, im M. gastrocnemius int.
sogar exquisit träge (£aR).
Die Muskeln des linken Unterschenkels sind unerregbar für
die stärksten faradischen und galvanischen Ströme, die zur An-
wendung kommen können (EaR).
Am Fussrücken zeigt M. extensor digit. commun. brev. bei
faradischer Prüfung rechts eine massige, links eine bedeutende
Herabsetzung der Erregbarkeit. Mm. interossei dors. rechts^
etwa normal erregbar, links bei starkem Strome Reaktion im
Jnterosseus lY, die übrigen Interossei unerregbar.
Die Diagnose Poliomyelitis anterior acuta scheint mir in
den oben angeführten Fällen völlig berechtigt. Die beiden ersten
Beobachtungen zeigen bis ins einzelne den typischen Verlauf, der
sowohl die gewöhnliche, im Kindesalter vorkommende als auch
die bei Erwachsenen beschriebene akute Poliomyelitis kennzeichnet.
Die in diesen Fällen beobachteten Schmerzen sind bei der Kinder«
lähmung allerdings nicht unbekannt, aber im allgemeinen weniger
hervortretend, was jedoch auf der Unmöglichkeit beruhen kann,,
bei kleinen Kindern die Art der subjektiven Empfindungen fest-
zustellen. Schmerzen im Rücken und mitunter auch in den Ex-
tremitäten sind nicht nur in sicheren klinischen Fällen von akuter
Poliomyelitis bei Erwachsenen angegeben worden (Raymond,
Strümpell und Barthelmes), sondern auch in Fällen, in denen
die Diagnose durch die Sektion bestätigt worden war (Rissler,
Bickel, Williamson, Sherman und Spiller).
In den Beobachtungen III und IV war der Verlauf der
Krankheit nicht in allen Beziehungen der gewöhnliche. Im
ersteren Falle dauerten die Schmerzen und Allgemeinsymptome
zwei Wochen an; nach Aufhören derselben trat Lähmung des
linken Beines ein, und nach weiteren zwei Wochen gesellte sich
eine Lähmung des rechten Quadriceps femoris hinzu. Diese lange
Dauer der der Lähmung vorausgehenden Störungen des Allgemein-
befindens findet sich in den übrigen Fällen nicht wieder, und im
allgemeinen auch nicht in den früher veröffentlichten, genau be-
schriebenen Beobachtungen. Oppenheim (83) hebt jedoch her-
vor, dass diese Periode bei Erwachsenen sogar in der Regel
länger dauert als bei Kindern und sich über einen Zeitraum von
and subacuta b. chronica. 313^
ein bis zwei Wochen erstreckt. Noch mehr abweichend von der
gewöhnlichen Entwicklang der Krankheit war die schubweise Ent-
stehung der Lähmung. Das ist bei der Poliomyelitis etwas
ganz Exzeptionelles. Eine ähnliche Beobachtung ist gleichwohl
in Bezug auf die Poliomyelitis anterior acuta des Kindesalters von
Auerbach (74) gemacht worden; auch Gowers (84) gibt an^
dass unter 116 Fällen einer einen zweiten Anfall zeigte.
In der Beobachtung IV ist der Verlauf wesentlich der
typische, bis gegen Ende der zweiten Krankheitswoche ein neuer
Fieberanfall mit schweren, recht lange anhaltenden Schmerzen in
den Beinen eintrat. Drei Monate darauf Hess sich eine leichte^
aber deutliche Hypalgesie der vorderen äusseren Seite des linken
Unterschenkels konstatieren; diese Hypalgesie bestand noch
sieben Monate nach der Erkrankung. Im übrigen erweist die
objektive Untersuchung und der Ausgang der Krankheit dieselben
Verhältnisse wie diejenigen, denen man bei der akuten Poliomyelitia
begegnet. ^
In differentialdiagnostischer Hinsicht kommt eigentlich
nur die Polyneuritis in Frage.
Wie Raymond (64), Edwards (85) u. A. betonen, kann
dieses Leiden mit seinen verschiedenartigen Formen nicht selten
einen Symptomenkomplex zeigen, der dem der Poliomyelitis zum
Verwechseln ähnlich ist (polynövrite ä forme de poliomy^lite an-
t^rieure). Da man weis», dass bei Erwachsenen Polyneuritis eine
verhältnismässig häufig vorkommende Krankheit ist, die Polio-
myelitis hingegen sehr selten, so muss man mit der Diagnose der
letzteren sehr zurückhaltend sein. Es genügt nicht, dass im
Einzelfalle das Krankheitsbild in grossen Zügen dem der Polio*
myelitis gleicht, die Möglichkeit einer bestehenden Polyneuritis
muss ausgeschlossen werden.
Analysiert man das Krankheitsbild in den oben beschriebenen
vier Fällen, so findet man vor allem in Bezug auf die Entstehung
der Lähmung und ihrer Lokalisation folgendes: In einer Nacht
entwickelte sich eine fast vollständige Paraplegie in Beobachtung I,
Paraplegie und Lähmung der linken Schultermuskulatur in Be-
obachtung IV, innerhalb zweier oder dreier Tage eine totale
Paralyse des linken Armes und Parese des rechten Beines in Be-
obachtung II, desgleichen innerhalb dreier Tage fast vollständige
Lähmung des linken Beines in Beobachtung HI; im letzteren
Falle trat zwei Wochen später eine Lähmung des rechten
Quadriceps femoris hinzu. Ein bis zwei Monate lang erhielt sich
314 LöTegreo, Zar Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
die Lähmung unverändert, hierauf ging sie teilweise zurück.
Später entwickelte sich ein stationärer Zustand mit meist hoch-
gradiger Muskelatrophie und ausgebreiteten Lähmungen. Diese
waren lokalisiert: in beiden Oberschenkeln, dem linken Unter-
schenkel, den Bauch- und Rückenmuskeln in Beobachtung I; in
beiden Oberschenkeln, dem linken Unterschenkel und dem linken
Arme (paretisch) in Beobachtung lY; in der linken Schulter und
dem linken Arme sowie rechten Beine (paretisch) in Beobachtung II;
im ganzen linken Beine und der linken Beckenmuskulatur in
Beobachtung III.
Eine Lähmung, welche so rasch ihre maximale Verbreitung
erreicht, ist im allgemeinen etwas der Polyneuritis fremdes, während
es für die akute Poliomyelitis typisch ist. Bei der multiplen Neu-
ritis tritt die Lähmung fast stets bedeutend langsamer ein und
häufig schubweise [Remak (86), Oppenheim, Kaymond u. A.].
In Beobachtung III entstand die Lähmung allerdings in zwei
^chüben, aber wie erwähnt, ist in vereinzelten Fällen ein der-
artiges Verhalten bei akuter Poliomyelitis auch früher beobachtet
worden. Das beweist jedoch nichts für den vorliegenden Fiall.
An und für sich ist dieser Umstand geeignet, den Gedanken an
die Möglichkeit einer Polyneuritis zu wecken. Es findet sich
jedoch in dieser Krankengeschichte sonst nichts, was eine solche
Annahme bestätigen könnte. Im Gegenteil, das Krankheitsbild
trägt in allem übrigen das Gepräge der akuten Poliomyelitis.
Gegen eine Polyneuritis spricht hier unter anderm die Lokalisation
in der ganzen linken unteren Extremität und im rechten Ober-
schenkel. Es ist äusserst ungewöhnlich, dass eine Polyneuritis
im Oberschenkel beginnt, sie hält sich mit Vorliebe an die distalen
Teile der Extremitäten und ist ausserdem häufig symmetrisch
[Dejerine (82), Oppenheim (83) u. A.]. In Bezug auf die
ursprüngliche Lokalisation der Lähmungen, spricht dieselbe auch
in den Beobachtungen II und IV durchaus zugunsten der Polio-
myelitis und gegen Polyneuritis. Mehr als alles dieses ist jedoch
in Beobachtung III sowie den übrigen der schliessliche Ai^sgang
einBeweis gegen Polyneuritis und für Poliomyelitis. Eine Polyneuritis
endet in der Kegel in einigen Monaten mit Heilung, und wenn einige
Residuen zurückbleiben, sind sie fast immer leicht (Remak,
Oppenheim, Raymond u. A.). Dagegen geht eine Poliomyelitis
fast nie spurlos vorüber, und die zurückbleibenden Defekte sind
meist recht bedeutend.
Für die Diagnose ist ferner das Resultat der elektrischen
and subacuta 8. chronica. 315
Exploration von wesentlicher Bedeatang. Kosenberg (87) hat
nämlich in seiner aus der Erbschen Klinik hervorgegangenen
Arbeit dargelegt, dass bei der Poliomyelitis ein vollständiger
Parallelismus zwischen dem Funktionsvermögen der Muskeln und
ihrer elekti'ischen Reaktion herrscht, während bei der Polyneuritis
das Verhältnis sehr oft ein anderes ist. Die elektrische Reaktion
kann hier in Muskeln, deren Eontraktions vermögen fast ungestört
ist, hochgradig verändert sein, und zugleich kann man eine normale
•elektrische Reaktion in Muskeln finden, deren Funktionsvermögen
bedeutend herabgesetzt ist. Schon Duchenne^) hatte gewisser-
massen diesen Unterschied zwischen Lähmungen peripherer Natur
und der Poliomyelitis beobachtet.
Vergleicht man in meinen Beobachtungen das Resultat der
Motilitätsuntersuchung mit den elektrischen Befunden, so findet
man im grossen und ganzen einen vollständigen Parallelismus.
Wo ein totaler Verlust der aktiven Beweglichkeit vorliegt, wird
vollständige EaR konstatiert, wo die Beweglichkeit nur herab-
gesetzt ist, findet man auch die Veränderung der elektrischen
Reaktion weniger ausgeprägt und im wesentlichen in direktem Ver-
hältnis zum Grade der Motilitätsstörungen stehend.
In differentialdiagnostischer Beziehung kommt dem Verhalten
der Sensibilität eine sehr grosse Bedeutung zu. Bei Poliomyelitis
anterior acuta dürfte nie eine dauernde Herabsetzung der Sensi-
1)ilität vorkommen; nur im Beginn der Krankheit ist bisweilen
eine leichte Abstumpfung des Gefühls zu beobachten (Labor de,
Seeligmüller, Oppenhei^ u. A.). Es ist schon darauf hin-
gewiesen worden, dass in den ersten Tagen oder Wochen einer
akuten Poliomyelitis nicht selten subjektive Sensibilitätsstörungen
in Form von Schmerzen im Rücken und in geringerem Grade
auch in den Extremitäten beobachtet wurden. Dageg('n fehlen
bei Polyneuritis selten objektiv nachweisbare Störungen der
Sensibilität. Die besonders in den Extremitäten und speziell dem
peripheren Teil derselben fühlbaren Schmerzen sind mehr hervor-
tretend und langwieriger. Nerven und Muskeln sind druck-
empfindlich.
In meinen Beobachtungen kamen, wie erwähnt, anfangs recht
intensive Schmerzen im Rücken oder in der Schulter, sowie in den
Beinen vor. Diese Schmerzen dauerten nur einige Stunden oder einige
Tage, um dann allmählich abzunehmen und spätestens nach zirka
^) Duchenne, L'^lectrisation localisee, 3. edition. 1872. S. 899.
316 LOvegren, Zar KeDDtDU der PolionajelitU anterior acata
zwei Wochen ganz aafzojliören. In allen diesen Fällen, aasser in
Beob. IV, kehrten die Schmerzen später nicht mehr wieder. In
der Beob. IV traten gegen zwei Wochen nach der Erkrankimg
von neuem äusserst heftige Schmerzen in den Beinen auf. Diese
Schmerzen hielten zwei Wochen an und waren in den ersten
Tagen mit Fiebersymptomen verbunden. Bei der objektiven Unter-
suchung wurde in diesem Fülle eine leichte Hypalgesie der vorderen
äusseren Seite des linken Unterschenkels konstatiert. In den
übrigen Beobachtungen zeigte sich die Sensibilität (Berührung,
Schmerz, Wärme, Kälte, Lagegefühl) vollständig erhalten. In
Beobachtung I fand sich allerdings eine Zeitlang im Lähmungs-
gebiet eine geringe Herabsetzung derfaradokutanen Sensibilität^) vor^
welche sich aber bei späterer Untersuchung völlig ungestört zeigte»
Druckempfindlichkeit der Nerven und Muskeln war in keinem der
Fälle nachzuweisen.
Aus dieser detaillieilen Prüfung der für die Differential-
diagnose zwischen der akuten Poliomyelitis und der multiplen
Neuritis verwertbaren Symptome geht hervor, dass für die
Beobachtungen I, II und III eine Polyneuritis mit Sicherheit aus-
geschlossen ist. In Bezug auf die Beob. IV stellt sich die Sache
anders. Der in diesem Falle beobachtete zweite Fieberanfall mit
den von neuem auftretenden Schmerzen im Verein mit der
objektiv nachweisbaren Sensibilitätsveränderung gestattet uns hier
nicht, die Polyneuritis ausser Acht zu lassen. Man ist um so mehr
geneigt, an die Möglichkeit einer Polyneuritis in diesem Falle zu
denken, als die Anamnese über früheren Alkoholismus aufklärt.
Es lässt sich jedoch nicht mit Fug behaupten, dass das klinische
Bild im ganzen der Ausdruck einer multiplen Neuritis wäre. Das
Krankheitsbild weicht im übrigen, wie schon hervorgehoben wurde,^
wesentlich von dem dieser Krankheit ab und zeigt im ganzen den
Charakter, der die Poliomyelitis kennzeichnet. Auch in diesem
Falle dürfte die Diagnose aus vollgültigen Gründen auf Polio-
myelitis anterior acuta gestellt werden dürfen. Es fragt sich nur,
ob man es hier mit Poliomyelitis allein zu tun hat oder mit
Poliomyelitis, kombiniert mit Polyneuritis. Wäre das erstere der
^) Vielleicht ist die Ursache dieser unbedeutenden Veränderung der
faradokutanen Sensibilität in den Zirkulationsverhältnissen zu suchen. Für
eine solche Deutung scheint der Umstand zu sprechen, dass die erwähnte
Sensibilitätsstörung verschwand, sobald die Cyanose und Kühle der Haut
sich unter der Behandlung mit Massage, Bädern und Elektrizität ver-
mindert hatte.
und subacuta 8. chronica. 317
Fall, so würde eine Affektion der Hinterhörner vorauszasetzen
sein. An and für sich liesse sich die nachgewiesene Sensibilit&ts-
störung hierdurch erklären. Aber die oben diskutierten, für eine
Polyneuritis sprechenden Momente in der Anamnese scheinen mir
ziemlich bestimmt darauf hinzudeuten, dass in Beob. IV ein Fall von
akuter Poliomyelitis, kompliziert mit Polyneuritis, vorliegt. Die
Poliomyelitis ist dabei die wesentlich dominierende Affektion, die
Polyneuritis hat für die Entstehung des Krankheitsbildes eine
ganz untergeordnete Bedeutung gehabt.
Ausser dem, was mit Hinsicht auf die Diagnose zunächst
von Interesse war, verdienen gewisse Einzelheiten in der
Symptomatologie dieser Fälle eine nähere Berücksichtigung.
Die Verbreitung sowohl der Initiallähmungen als der
zurückgebliebenen stationären Defekte ist oben angeführt worden.
Die Form der Lähmung ist besonders interessant in Beob-
achtung I. Neben einer Lähmung der unteren Extremitäten
bestand in diesem Falle eine Lähmung sowohl der Bauch-
muskulatur als der Kückenmuskeln. Infolge dessen hatte sich
•eine hochgradige, bleibende Deformität der Wirbelsäule, eine
Skoliose und zugleich eine leichte Kyphose ausgebildet. Diese
Deformität entstand, zuverlässigen Angaben nach, am Anfange
der dritten Krankheitswoche und war schon im Beginn sehr
hochgradig; sie soll sich später etwas vermindert haben.
Ein leichter Grad von Skoliose kommt nicht selten nach
«iner akuten Poliomyelitis vor. Bei zurückbleibender Lähmung
und noch mehr bei gleichzeitiger Verkürzung einer unteren
Extremität ist sie eine gewöhnliche Erscheinung. In Beob. III
fand sich eine solche leichte Skoliose. In derartigen Fällen ist
die Skoliose eine selbstverständliche Folge der durch die Defekte
in den Beinen veränderten statischen Verhältnisse, sie ist nur
«ine Kompensationserscheinung. Was die Deviation der Wirbel-
säule in Beobachtung I betrifft, so ist sie ganz sicher anderer
Natur. Sie ist zweifellos als Folge der Lähmung der Rücken-
muskeln entstanden, welche ursprünglich auf der rechten Seite
stärker ausgeprägt gewesen sein muss und so die Veranlassung
einer linksseitigen Kontraktur wurde. Für diese Auffassung
spricht ganz bestimmt sowohl die Art der Entstehung, als der
Befund bei der objektiven Untersuchung. Schon Heine ^) kannte
das Vorkommen von Deformitäten der Wirbelsäule (Lordose) bei
0 Y. Heioc, Spinale Kinderlähmung. 3. Aufl. 1860. S. 86.
S18 Löyegren, Zar KeDntms der Poliomyelitis anterior acuta
Kinderlähmung and stellte sie in direkte Abhängigkeit vod
Paralyse der Raekenmaskeln. Labor de (16) hob hervor, das&
die Initiallähmungen häufig auch die Muskeln des Rumpfes be-
treffen, dass sie aber nur in äusserst exzeptionellen Fällen
definitiv in diesen lokalisiert sind. Er betonte mit Recht, dass
die als paralytisch angesehenen Deformitäten der Wirbelsäule
tatsächlich fast stets nur kompensatorisch sind. Die paralytische
Skoliose bei Poliomyelitis ist von Duchenne (88) beobachtet
und hinsichtlich der Art ihrer Entstehung sorgfaltig studiert
worden. Vereinzelte, bei Kindern vorkommende Fälle derselben
wurden auch in letzterer Zeit beobachtet [Johannessen (76),
Oppenheim (83)]. Marie (89) hat auf eine in seltenen
Fällen vorkommende Skoliose au&nerksam gemacht, welche sich
lange Zeit nach einer abgelaufenen akuten Poliomyelitis im An-
schluss an eine von neuem eintretende Muskelatrophie einstellt.
Eine ungewöhnliche Lähmungsform, eine sog. Hemiplegia
cruciata, zeigt Beob. II. Unter den Fällen von akuter Polio-
myelitis bei Erwachsenen, die in der Literatur beschrieben sind,
kenne ich nur einen mit dieser Lokalisation, es ist dies Ray-
monds Fall. Auch bei Poliomyelitis im Kindesalter ist dieses
Lähmungsbild selten. Unter 75 Fällen fand Seeligmüller zwei
mit Hemiplegia cruciata.
Das Verbreitungsgebiet der Lähmungen ist in den von
mir beschriebenen Fällen im ganzen recht gross. Der Unter-
schied zwischen den Initiallähmungen und den bleibenden
Lähmungen ist in dieser Hinsicht nicht besonders bedeutend.
Dieses Verhältnis ergibt sich auch bei Prüfung der in der
Literatur vorhandenen früheren Beobachtungen. In fünfzehn
Fällen von Poliomyelitis anterior acuta adultorum, in denen die
Diagnose durch die Sektion (9 Fälle) oder eine ausführliche
klinische Untersuchung sichergestellt ist, hat die Lähmung im
Beginn folgende Verbreitung:
Über alle vier Extremitäten in 6 Fällen
„ alle vier Extremitäten und die Rumpfmuskeln „2 „
„ beide unteren Extremitäten „5 „
„ den linken Arm und das rechte Bein „ 1 Fall
„ den linken Arm und das linke Bein „ 1 „
In sechs von diesen Fällen konnte das weitere Schicksal
der Lähmungen nicht verfolgt werden, da der Tod entweder im
akuten Stadium oder in einigen Monaten nach Beginn der
Krankheit eintrat. In den übrigen neun Fällen zeigte es sich^
und sabacuta s. chronica. 31^
dass eine grössere oder geringere Besserung des Fanktions*
Vermögens einzelner Maskeln oder Muskelgrappen in den meisten
der angegriffenen Regionen eintrat, aber nar in einem Fall wurde
eine ganze Extremität von der Lähmung befreit. In diesen
Fällen war die Verteilung der zurückgebliebenen Lähmungen«
folgende:
Über beide untere Extremitäten in 5 Fällen
jf beide untere Extremitäten, die linke obere
Extremität und die Rumpfmuskeln „ 1 Fall
„ alle vier Extremitäten „ 1 „
„ die linke obere und die rechte untere Extremität „ 1 „
„ die linke obere und die linke untere Extremität » 1 „
Diese Angaben umfassen nur eine geringe Anzahl Fälle.
Selbstverständlich wäre eine viel grössere Statistik ffir die Be-
leuchtung der in Rede stehenden Verhältnisse erwönscht. Aber
eine solche lässt sich gegenwärtig nicht zusammenbringen. Wie
erwähnt, ist die Anzahl der veröffentlichten sicheren Fälle dieser
seltenen Krankheitsform sehr gering. Das Material für die obigen
Angaben stammt aus verschiedenen Ländern und von verschiedenen
Verfassern her, von denen jeder nur über einen oder zwei Fälle
verfügte. Es kann somit nicht völlig dem gleichförmig ge-
sammelten, relativ reichen Material gleichgestellt werden, welches
für die Beurteilung der spinalen Kinderlähmung vorliegt. Indem
ich diese Einschränkung vorausschicke, werde ich hier auf Grund
der angeführten Angaben in Kürze auf einen Vergleich der
Lähmungsbilder bei der akuten Poliomyelitis bei Erwachsenen
und derselben Krankheit bei Kindern eingehen.
In 21 Fällen von Poliomyelitis anterior acuta des Kindes-
alters, von denen 19 auf der Üniversitäts-Kinderklinik zu Helsing^
fors in der zehnjährigen Periode 1893 — 1902 beobachtet wurden
und zwei eigene Beobachtungen aus dem Jahre 1902 darstellen,,
war die Lähmungsform folgende:
Initiallähmung:
Rechte untere Extremität . 5 Fälle |
linke „ „ 3 „ I 8 Fälle
Beide unteren Extremitäten 6 „
Beide unteren Extremitäten, linke obere Extre-
mität, rechtes Hypoglossus- und Facialisgebiet 1 Fall
Rechte obere Extremität 3 Fälle \
Unke , „ 1 Fall ( * ^^^
320 Lövegren, Zar KenDtnU der Poliomyelitis aDterior acuta
Alle vier Extremitäten 1 Fall
Linksseitiere Hemiplegie 1 „
Bleibende Lähmung:
Rechte antere Extremität 5 Fälle |
linke , „ 4 . r ^'"^
Beide unteren Extremitäten 6 „
Beide unteren Extremitäten, linke obere Extre-
mität, rechtes Hypoglossus und Facialisgebiet 1 Fall
Rechte obere Extremität 3 Fälle j
linke „ „ . 2 „ / 5 Fälle
Lähmung der Rumpfmuskeln war in keinem dieser Fälle
beobachtet worden. In einem Falle, der einen Knaben von 6^/s
Jahren betraf, trat im Beginn eine Lähmung beider Beine und
des linken Armes und zugleich des rechten Hypoglossus und
Facialis ein; diese Lähmung verblieb in höherem oder geringerem
Grade in den ursprunglich angegriffenen Gebieten. Einer der
Fälle zeigte anfangs die für Poliomyelitis ungewöhnliche hemi-
plegische Form.
Es ist offenbar die Monoplegie, welche in obiger Zu-
äammenstellnng sich als das gewöhnlichste erweist (^/^ der blei-
benden Lähmungen). Dieselbe Erfahrung hat man in Bezug auf
die spinale Kinderlähmung stets und überall gemacht [v. Heine,
Duchenne iils, Seeligmüller, Leegaard, Kirschbaum (90),
Johannessen u. A.].
Während die monoplegische Form bei Kinderlähmung am
häufigsten beobachtet wird, scheint sie bei der akuten Polio-
myelitis Erwachsener kaum vorzukommen oder zum mindesten
äusserst selten zu sein. In den von mir aus der Literatur an-
geführten Fällen findet sie sich gar nicht. Und als Initiallähmung
findet sie sich auch in den vier Fällen aus Hom^ns Klinik nicht.
Nur in Beobachtung III hatte die bleibende Lähmung diese Form.
Aus dem vorliegenden Material geht somit hervor, dass die
Lähmungen bei der akuten Poliomyelitis Erwachsener durchweg
bedeutend ausgebreiteter sind als bei Kindern. Zugleich hat es
den Anschein, dass die Tendenz zur Heilung in den verschiedenen
angegriffenen Gebieten im allgemeinen bei Kindern grösser ist,
als bei Erwachsenen.
Was die Deformitäten betrifft, die sich bei Kindern so häufig
nach abgelaufener Poliomyelitis ausbilden, so scheinen sie bei
Erwachsenen nur selten vorzukommen. In meinen Fällen fand
uod Mibftontft ».. chroDiOH. 321
mtiD in Beobachtung 1 die scIjod erwähnte Deformität der Wirbel-
säale, welche im frühesten Stadium der Krankheit entstand. Die
Andeutung einer beginnenden Kontraktur in der Flexorengruppe
des einen Unterschenkels fand sich in Beobachtung III. Im
.abrigen Hessen sich keine Kontrakturen nachweisen.
In den von verschiedenen Verfassern früher beschriebenen
Fällen bei Erwachsenen wird teils ausdrucklich angegeben, dass
Kontrakturen fehlten, teils geht aus der Beschreibung hervor,
dass solche nicht vorhanden waren. Nur in einem Falle (Schnitze)
bildete sich ehi doppelseitiger Pes varo-equinus aus. In einem
anderen (Strümpell und Barthelmes) wurde eine Tendenz zur
Bildung einer Plantarflexionskontraktur in den Fussgelenken be-
obachtet.
Es ist selbstverständlich, dass nach einer Poliomyelitis bei
einem Erwachsenen die Veränderungen ausbleiben werden, welche
sich aus einer Hemmung des Wachstums herleiten, und welche
nach einer Kinderlähmung oft sehr ausgeprägt sind.
Das grosse Verbreitungsgebiet der Lähmungen und der
Atrophie in meinen Beobachtungen fuhrt zur Annahme einer weit
ausgedehnten Affektion der Vorderhörner des Rückenmarks in der
Längsrichtung. Nicht ohne Interesse scheint mir der Versuch,
sich für die beschriebenen Fälle auf Grund dessen, was wir gegen-
wärtig über die spinalen motorischen Zentren wissen, eine Vor-
^Stellung über die wahrscheinlichen Lokalisationen dieser Affektion
zu bilden.
Ich werde hierbei hauptsächlich den von Leyden und
Goldscheider (91) tabellarisch zusammengestellten Angaben
folgen, zugleich aber auch die neuere Zusammenstellung Oppen>
heims (83) berücksichtigen.
In Beobachtung 11 waren sämtliche Muskeln der linken
Schulter und der linken oberen Extremität total gelähmt. Der
poliomyelitische Herd muss sich somit über den linken Teil des
Hulsmarks vom III. oder IV. CS nach unten l)is auf das I. DS
erstrecken.
Die anamnestische Angabe über leichte Respirations-
beschwerden im Beginn der Krankheit würde andeuten, dass die
Läsion im Beginn noch etwas weiter über die oberen Cervikal-
segmente (Scaleni, Diaphragma) verbreitet war. Die fast gleich-
.massig über das rechte Bein verbreitete Parese gestattet nur die
Vermutung, dass sich Residuen im mittelsten und unteren
.Lumbaimark und vielleicht dem oberen Sakralmark finden.
Juhrbnch f. Kiuderfaefllrande. N. F. LXI, Heft 2. 21
322 Lövegren, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior a6uta
In Beobachtung 1 war za beiden Seiten der grössere Teil
der Bauchmuskeln voliständig gelahmt und der untere Teil der
Ruckenmuskeln paretisch — VIII, bis XII. DS. Links Lähmung
des Quadriceps femoris, der Flexoren des Knies, der Dorsal-
flexoren des Fusses, der Flexoren der Zehen — IV. LS bis II. SS:,
Parese des Ileo-Psoas, Lähmung des Sartorius, Parese der Rota-
toren des Hüftgelenks nach innen — I. bis III. LS. Die Kerne
der übrigen paretischen Muskeln befinden sich im unteren
Lumbal- und oberen Sakralmarke. Rechts ist der Quadriceps
femoris gelähmt — IV. LS., die Muskeln des Hüftgelenks sind
paretisch — oberes und unteres Lumbaimark. Man wurde somit
annehmen dürfen, dass links ein poliomyelitischer Herd das Dorsal-
mark vom VIII, DS. nach unten einnimmt und gleichzeitig ein
anderer Herd das untere Lumbaimark sowie in geringerem Grade
das obere Lumbal- und obere Sakralmark betrifft. Auf der
rechten Seite muss sich ein Herd über das Dorsalmark vom
VIII. DS. nach unten erstrecken und ein zweiter Herd im IV. LS.
befinden, wobei zugleich andere Teile des Lumbaimarks leicht
affiziert sein dürften.
In Beobachtung III dürften sich die Veränderungen über
den ganzen linken Teil des Lumbaimarks und auch etwas in das
obere Sakralmark hinein erstrecken.
In Beobachtung IV deutet die Lähmung auf das Bestehen
leichter Veränderungen im linken Teile des Cervikalmarks
Poliomyelitische Herde müssen sich im Lunibalmark befinden,
und links wahrscheinlich die beiden unteren Lumbaisegmente,
aber auch die beiden oberen Sakralsegmente umfassen, rechts
vermutlich das IV. LS. betreffen.
Das Verhalten der Reflexe entspricht gut der vermuteten
Ausbreitung der Veränderungen im Rückenmarke und der Vor-
stellung, die man von der Lokalisation der spinalen Ileflexzentren
hat. In Beobachtung III, wo angenommen wurde, dass das
Lumbaimark auf der linken Seite in seiner ganzen Höhen-
ausdehnung affiziert war, fehlte der Cremasterreflex (Zentrum im
oberen Lumbaimark) links vollständig, während er rechts sehr
deutlich hervortrat. In den Beobachtungen I und IV, in denen
das obere Lumbaimark wahrscheinlich frei oder nur leicht affiziert
war, liess sich ein schwacher Cremasterreflex auslösen.
Was die in Beobachtung IV angegebenen Symptome von
Seiten der linken Pupille angeht, so dürften sie wohl als Ausdrack
einer Parese des Dilatator pupillae zu deuten sein. Die Annahme
und subacuta s. chronica. 328
liegt Dahe, doss diese Parese aaf poliomyelitischen Yeränd eräugen
im linken Teile des obersten Dorsal- und unteren Gervikalmarks
(Centram ciliospinale) beruhte. Ich habe bei Poliomyelitis keine
Miosis erwähnt gesehen; dass sie bei einigen anderen Kuckenmarks-
«ffektionen vorkommt, ist ja bekannt. Es verdient im Zusammen-
hange hiermit bemerkt zu werden, dass sie auch in einigen Fällen
von progressiver spinaler Muskelatrophie beobachtet wurde [nach
Orasset und Rauzier (92)].
Ein bemerkenswertes Verhalten zeigte Beobachtung II in
Bezug auf den Patellarreflex der linken Seite. Der linke Arm
ist völlig gelähmt. Das linke Bein besitzt eine ungestörte
Motilität, aber das Eniephänomen ist hier stark gesteigert,
während es rechts normal ist. Diese Erscheinung ist wohl mit
der Lokalisation des grossen poliomyelitischen Herdes im Cervikal-
mark in Verbindung zu bringen. Wie nicht so selten beobachtet
wurde, geht der Prozess in einigen Fällen über das Vorderhom
hinaus auf umgebende Partien des Vorderseitenstranges über.
Zurückgebliebene leichte Veränderungen nach einer solchen Läsiön
können den verstärkten Patellarreflex in Beobachtung II erklären.
Einen ähnlichen Fall bei einem Kinde hat Schüll er (93) gesehen.
In Beobachtung III fand sich rechts das Babinskische
Phänomen. Dieser seit einigen Jahren bekannte Reflex ist von
mehreren Forschern [Oppenheim (83), Sc hoenborn (94) u. A.]
stets für eine pathologische Erscheinung angesehen worden.
Babinski selbst (95), Schoenborn u. A. sind der Ansicht,
dass dieses Symptom pathognostisch für AfFektionen der Pyramiden-
bahnen ist. Richter (96) hat jedoch unzweifelhaft nachgewiesen,
dass das Babinskische Phänomen, wenngleich sehr selten, auch
in Fällen vorhanden sein kann, wo eine Krankheit des Gehirns
oder Rückenmarks mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
Wie die Erscheinung in Beobachtung III zu deuten ist,
lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Sie fand sich auf
der rechten Seite, wo früher eine Lähmung des Quadriceps
femoris bestanden hatte. Eine Steigerung der Reflexe im übrigen
war nicht zu konstatieren. Eine Affektion der Pyramidenbahnen
ist sehr unwahrscheinlich. Vielleicht gehört dieser Fall zu den
wenigen, wo das Phänomen keine pathologische Bedeutung hat.
Ätiologische Betrachtungen.
Wie früher hervorgehoben ist, liegen gegenwärtig so
vielfache Grunde für die Berechtigung vor, die akute Poliomyelitis
21»
324 LöTBgren, Zar Kenotnis der Poliomjeliti» aoterior acaU
als Infektionskrankheit aufzufassen, dass in dieser Hinsicht kaum
noch ein Zweifel herrschen kann. Die Bakteriologie hat schon
die ersten Eroberungen aaf dem Wege gemacht, der zur Lösung
der Frage nach der Art dieser Infektion führen wird. Die Be-
dingungen ihres Entstehens kennt man nur teilweise. Aber die
Bedeutung gewisser Momente ist unverkennbar.
So vor allem die Jahreszeit. Die Krankheit beginnt in
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle im Sommer und Herbst.
In dieser Zeitdes Jahres traten die in der Literatur beschriebenen Epi-
demien auf (die Mandalsche Epidemie, die beiden Epidemien in
Stockholm, die Bratsberger Epidemie). Auch die weniger aus-
gesprochenen Epidemien (Auerbach, Zappert) wurden in dieser
Jahreszeit beobachtet.
Schliesslich hat man in Bezug auf die gewöhnliche sporadische
Kinderlähmung dieselbe Erfahrung gemacht (Go wer s, Johannes-
sen, Zappert u. A.) Dieser Umstand ergibt sich auch bei
Prüfung der Falle von akuter Poliomyelitis im Kindesalter, welche
mit Ausnahme zweier eigener Fälle vom Jahre 1902 auf der
Lniversitäts-Kinderklinik in Helsingfors im Dezennium 1893 — 1902
beobachtet wurden. Unter diesen 21 Fällen konnten in 17 sichere
Angaben über den Zeitpunkt des Beginns der Krankheit erhalten
werden.
. Dieser entfiel auf den
März— Mai in 1 Fall
Juni — August in 9 Fällen
September — November in 6 Fällen
Dezember — Februar in l Fall
Auch bei Erwachsenen tritt die Krankheit vorzugsweise in
der warmen Jahreszeit auf. Unter den von mir schon früher aas
der Literatur angeführten Beobachtungen enthalten 11 zuverlässige
Angaben über den Zeitpunkt der Erkrankung. Die Krankheit
begann in diesen Fällen:
Im März — Mai in 1 Fall
im Juni — August in 4 Fällen
im September—November in 4 Fällen
im Dezember — Februar in 2 Fällen.
In den von mir auf der Hom ansehen Klinik beobachteten
Fällen trat die Krankheit auf:
im Juni in 1 Fall
im August in 2 Fälle
im Oktober in 1 Fall.
und subacuta s. chronica. 325
Stellt man diese Fülle mit den obigen zusammen, so erhält
man fQr 15 Fälle folgende Angaben:
März— Mai l Fall
Juni— August 7 Fälle
September — November 5 Fälle
Dezember — Februar 2 Fälle.
Vier Fünftel sämtlicher Fälle traten somit im Sommer und
Herbst auf
Als prädisponierendes Moment für die Entstehung einer
akuten Poliomyelitis spielt bekanntlich das Alter eine wesent-
liche Rolle.
Sowohl in den vereinzelt vorkommenden Fällen als auch
beim epidemischen Auftreten der Krankheit ))esteht die weitaus
grösste Anzahl derErgrifPenen aus Kindern in den ersten Lebens*
Jahren. Im späteren Kindesalter ist die Krankheit ungewöhnlich
und bei Erwachsenen äusserst selten. Soweit mir bekannt, hat
nur Leegaard (73) andere Erfahrungen gemacht. Während der
von ihm beschriebenen Bratsberger Epidemie erkrankten 24
im Alter unter 14 Jahren, 30 im Alter von 15 — 40 Jahren. Wie
Leegaard hervorhebt, sind die Angaben in Bezug auf die meisten
Fälle aus dieser Epidemie recht unvollständig und unsicher.
Leegaard selbst hatte nur vier Fälle gesehen, diese waren sichere
Poliomyelitiden. Beim Durchsehen der Beschreibungen der
einzelnen Fälle scheint mir ein nicht geringer Teil derselben
ziemlich bestimmt das Gepräge von Polyneuritiden zu tragen,
während andere als zweifellose Poliomyelitiden dastehen. Es
scheint also, als ob in dieser Epidemie sowohl Fälle von Polio-
myelitis als auch von Polyneuritis vorgekommen seien. Bei der
Kenntnis, die wir speziell nach den Beobachtungen Med ins
während der beiden Stockholjner Epidemien von der ätiologischen
Verwandtschaft dieser Affektionen mit einander besitzen, enthält
diese Vermutung nichts unwahrscheinliches. Es muss im Vor-
äbergehen erwähnt werden, dass Leegaard diese Zusammen-
gehörigkeit der Poliomyelitis und der Polyneuritis nicht teilt,
sondern letztere für eine sowohl klinisch als ätiologisch von
ersterer abgegrenzte Krankheit hält. Jedenfalls muss gesagt
werden, dass die Bratsberger Epidemie so sehr von dem abweicht,
was man sonst von der akuten Poliomyelitis kennt, dass die
Erfahrungen aus ihr, — speziell auch, was das Alter der
Erkrankten betrifft — nicht ohne weiteres neben dieses Bild
gestellt werden können. Gleichwohl ist es bemerkenswert, dass
LöYOgren, Zur Kenntnis der Poliomjelitis anterior acata
Leegaard (36), der eine sehr grosse Erfahrung in diesen Dingen
besitzt, aach ausserhalb dieser Epidemie, in Bezug auf das Alter
ungefähr dasselbe Verhältnis gefunden hat. Von 50 seiner Fälle
waren 19 unter 4 Jahren, 7 im Alter von 5 — 9 Jahren, 13 im
Alter von 10—19 Jahren und 11 über 20 Jahre.
Von den 21 Fällen aus der Helsingforser LJniversitäts-
Kinderklinik waren in 20 Angaben über das Alter bei der £r>
krankung zu erhalten. Diese waren auf die verschiedenen Lebens-
alter folgendermassen verteilt:
Alter
Knaben
Mädchen
Summa
l. Jsihr
l
1
1
1
2. ,
3
1 4
"i
8 .
4
4
5 .
1
1 3
4
6. .
1
;
l
7. -
1
1
8. ,
1
]
13. ,
l
1
Samma 12 8 20
in der Mehrzahl der Fälle, vier Fünftel, trat somit die
Krankheit im Alter unter 5 Jahren ein, drei Fünftel sämtlicher
Fälle kommt auf das Alter unter 3 Jahren ; zwei Fünftel auf das
Alter unter 2 Jahren.
Die obigen Angaben stimmen fast vollständig mit denen
uberein, die Gowers (84) aus einer grossen Statistik erlangte.
Andere Beobachter fanden ihre Fälle am allerhäufigsten (*/, oder
*/s sämtlicher Fälle) im Alter unter 2 Jahren.
Das Verhältnis zwischen der Anzahl erkrankter Knaben
und Mädchen betrug 3 : 2. Dass Knaben häufiger von
der Krankheit angegriffen werden, ist von mehreren Ver-
fassern beobachtet worden [Seeligmüller, Johannessen,
Schiffer (97) u. A.], während andere (Laborde, Leegaard^
Gowers u. A.) fanden, dass Knaben und Mädchen in gleicher
Weise ausgesetzt sind.
Das Alter, in welchem die akute Poliomyelitis bei Er-
wachsenen auftritt, ergibt sich aus folgender Zusammenstellung
von 18 Fällen, von denen 14 aus der Literatur gesammelt sind
und 4 die oben beschriebenen aus der Ilom^nschen Klinik
vorstellen.
and sabacata ». chronica. •'^27
16. 19. Li
ebensjal
ire 2 M^ner
1 Frau
20.— 24.
n
6 .
3 Frauen
25.-29.
»
1 Mann
1 Frau
30.-34.
V
2 Munner
—
35.— 39.
v
1 Mann
—
40.— 44.
ti
—
l Frau
12 Männer 6 Frauen
Die Hälfte der Fälle kommt somit auf das Alter von 19 — 2S
Jahren. Die Anzahl der Männer beträgt zwei Drittel der Gesamt-
zahl der Erkrankten
Die Heredität scheint bei der Entstehung des Leidens
keine Rolle zu spielen. Weder die Fälle bei Kindern noch die
bei Erwachsenen, welche als Material der obigen Zusammen-
stellung dienten, zeigten irgend etwas, was auf erbliche Belastung
als mitwirkendes ursächliches Moment gedeutet hätte. Nur in
einzelnen Fällen fand sich Tuberkulose in der Verwandtschaft,
was in Anbetracht der Häufigkeit dieser Krankheit nicht anders
zu erwarten war.
In Betreff sonstiger ursächlicher Momente findet man bei
Prüfung der mir zu Gebote stehenden Fälle recht wenig Anhalts-
punkte. In zweien der von mir beschriebenen Fälle ging Er-
kältung der Erkrankung voraus. Unter den bei Erwachsenen
beobachteten Fällen in der Literatur finde ich nur einen, wo
dieses Moment angegeben wird.
Unter meinen 21 Fällen bei Kindern finden sich nur zwei,
bei denen eine Infektionskrankheit der Poliomyelitis voraus-
gegangen war. In dem einen Falle hatte schon zwei Monate lang
Keuchhusten bestanden; im anderen hatte das Kind zwei Monate
vorher Masern durchgemacht. In einer eigenen Beobachtung,
die einen einjährigen Knaben betraf, war eine Woche vor der
Erkrankung Vaccination vorgenommen worden. In dem von mir
pathologisch-anatomisch untersuchten Falle (s. S. 69) trat die
Poliomyelitis im Anschluss an eine Pneumonie ein. Mehrere der
gewöhnlichen Infektionskrankheiten sind von den Verfassern als
Vorgänger der Poliomyelitiden angeführt worden. Kurzlich haben
Simonini (98) und Leiner(99) Fälle beschrieben, die im Anschluss
au Gelenkrheumatismen aufgetreten waren. Derartige Fälle sind
gleichwohl im ganzen genommen nicht gerade gewöhnlich,
and in Anbetracht der grossen Morbidität im Kindesalter lässt
sich für sie sehr wohl ein zufälliges Zusammentreffen denken
oder zum mindesten nicht ausschliessen.
828 Lövegren, Zur KenntDis der Poliomyelitis anterior acata
Aach in Bezug auf die akate Poliomyelitis bei Erwachsenen
ist nar ausnahmsweise eine vorhergehende Infektionski ankheit
nachzuweisen. In einem Falle, bei einem 28 jährigen Manne, war
Gumpertz (67) der Ansicht, dass eine Typhasinfektion der
Poliomyelitis zugrunde lag. Unter meinen Fällen hatte vielleicht
in Beobachtung IV einige Tage vor Ausbruch der Poliomyelitis
eine Pneumonie bestanden, doch ist dies allzu ungewiss, als dass
sich daraus eine Schlussfolgerung ziehen Hesse.
Soweitsichnachdemvorhandeoen Material urteilen lässt, scheint
das Entstehen der akuten Poliomyelitis eigentlich nur an die
Jahreszeit gebunden zu sein und auch das nicht gänzlich. Das
Alter spielt eine wesentliche Rolle. Kinder sind der Krankheit
am meisten ausgesetzt, alte Leute scheinen von ihr verschont zu
sein. In der Jugend und dem mittleren Lehensalter scheint die
Disposition gering; gleichwohl schützt diese Lebensperiode nicht
gänzlich vor der Krankheit.
Die Infektion — spezifisch oder nicht - welche mit Not-
wendigkeit als Grundlage einer akuten Poliomyelitis vorauszusetzen
ist, scheint somit unter den erwähnten Bedingungen an und für
sich ansreichend zu sein, um die Krankheit hervorzurufen;
wenigstens lassen sich nur in vereinzelten Fällen Gelegenheits-
ursachen nachweisen.
Medin (72) und Leegaard (73) schliessen die Möglichkeit
nicht aus, dass die Krankheit contagiös ist. Leegaard hat dalier
sogar die Isolierung der Kranken befürwortet. Auf welchem
Wege der Ansteckungsstoff in den Organismus eindringt, ist uns
unbekannt. Bülow-Hanseo und Harbitz (44) lenkten die
Aufmerksamkeit auf die hochgradigen Veränderungen det; Darm-
kanales, welche bei der Sektion von Fällen aus dem akuten
Stadium auffallend häufig konstatiert wurden. Auf Grund dessen
halten diese Verfasser es für wahrscheinlich, dass zum mindesten
in einem Teil der Fälle der Darmkanal die Invasionsstelle des
Infektionsstoffes ist. Störungen von Seiten dos Digestions-»
ap parates finden sich, nach mehreren Verfassern, nicht ganz
selten vor oder während einer akuten P9liomyelitis. Wie früher
erwähnt, war schon Underwood hierauf aufmerksam geworden.
Unter den 21 Fällen von spinaler Kinderlähmung, die ich studiert
habe, fanden sich fünf, in denen entweder unmittelbar vor der
Erkrankung oder etwa eine Woche früher Diarrhoe, teilweise im
Verein mit Erbrechen, aufgetreten war. Diese Störungen hielten
eine oder zwei Wochen an und war^n nur in zwei Fällen hochn
nnd Bttbftouta 8. obronica. 329
^radig. Weder in den Füllen au8 der Homensc-hen Klinik
noch in den in der Literatur beschriebenen Fällen bei Erwachsenen
sind Darmstorungen erwähnt. Nur in drei Fällen kam im Beginn
der Krankheit Erbrechen vor.
Obwohl klinische Beobachtungen allein nicht zur Aufklärung
der Frage nach der Eingangspforte des Infektionsstoffes genügen,
so kann ihnen gleichwohl nicht jeder Wert abgesprochen werden.
Nach dem Obigen hat es den Anschein, als ob der DarmkanaJ
keine Bedeutung für die Entstehung der Poliomyelitis Erwachsener
hätte. Was die Krankheit bei Kindern betrifft, so lässt sich in
einigen Fallen die Möglichkeit ein^ Infektion durch den Darm-
kanal nicht ausschliessen; in den meisten Fallen findet sich gleich-
wohl nichts, was hierauf gedeutet hätte. Andere Anhaltspunkte
für die Beurteilung der Frage liessen sich in diesen Fällen auch
nicht auffinden. Interessant ist jedoch der Fall von Sherman
und Spiller (61), einen 21 jährigen Studenten der Medizin
betreffend, welcher erkrankte, nachdem er eine Woche vorher
während der Sezierübungen eine Wunde erhalten hatte.
Die interessante Frage, welche Bülow- Hansen und
Uarbitz angeregt haben, lässt sich noch nicht entscheiden. Dia
von diesen Forschern hervorgehobenen Gesichtspunkte verdienen
y.weifellos bei zukünftigen Untersuchungen genau beachtet zu
werden.
Pathologisch-anatomische Untersuchung eines Falles
von Poliomyelitis anterior acuta gegen Ende des
Reparations Stadiums.
E. A., 4jähriger Schneiderssolin aas Pieksämäki; aufgenommen in die
vbirurgiscbe Uuiyeraitätsklinik zu Helsingfors') am 30. VIII. 1903.
Der nicbt erblich belastete Patient war gut entwickelt und gesund ge-
wesen bis zum Alter yon zwei tlabren, wo er an einer Lungenentzündung
erkrankte und sich zwei Monate lang unter ärztlicher Behandlung befand.
AU Patient von dieser Krankheit genas, wurde eine fast völlige Lähmung
beider Beine beobachtet. Diese Lähmung hat seitdem fortbestanden.
Bei der Untersuchung auf der Klinik fand man folgendes: Guter All-
gemeinznstand. Hechts konvexe Lumbal^koliose. Der Thorax asymmetrisch,
die rechte Seite höher als die linke. Die Muskulatur der unteren Extremi-
täten stark atrophisch. Pes eqninns bilateralis. Das linke Bein völlig ge-
lähmt. Die Zehen des rechten Fusses lassen sich ganz unbedeutend dorsal-
^) Der Leiter der Klinik, Professor Dr. Ali Krogiu», hat mir freand«^
liehst die im Krankenhause verzeichnete Krankengeschichte zur Verfügung
Iteatellt. aod ich erlaube mir hiermit, üun meinen Dank dafür auszudrücken.
330 Lövegren, Zar Kenntnis der Poiiomjelitis anterior atcata
flektieren. Im rechten Hüftgelenk ist eine gerioge Abdtiktion und Flexion
möglich. Die Patellarreflexe erloschen. Die Sensibilität erbalten. Die
Muskeln der unteren Extremitäten reagieren nicht auf den faradischen
Strom. Defäkation und Urinieren im allgemeinen angestört, doch geben
mitunter kleine Mengen Fäces und Urin unfreiwillig ab.
Pat. starb am 20. X. 1903 an Bronchopneumonie nach Masern.
Bei der am 22. X. im pathologischen Institut vorgenommenen Sektion
wurde n. a. folgendes konstatiert: Die Muskulatar der unteren Extremitäten
I hochgradig reduziert, insbesondere links. Die Muskeln von blasser, grau-
I gelber, etwas rötlicher Farbe, zum grossen Teil in Fett umgewandelt. Das
subkutane Fettgewebe stark entwickelt, maskiert dadurch zum Teil die
I ftusserste Atrophie der Muskeln. Auch die Ilückenmuskeln der Lendenregion
1 atrophisch. Die Nervenstämme der nnteren Extremitäten deutlich yer-
I schmälert. In der Pia mater der Hirnkonvexität reichliches Ödem. Von
I Seiten der RQckenmarkshäute — abgesehen von etwas vermehrter Blutfölle
I — nichts bemerkenswertes. Spinalflushigkeit von gewöhnlicher Menge. Die
vorderen Wurzeln im Lumbalteile äusserst atrophisch, die zum XII. Dorsal-
segment gehörenden auch bedeutend verschmälert. An Querschnitten dnrch
das Dorsal- und Lumbaimark treten keine deutlichen Yeränderunüen hervor.
Stücke aus verschiedenen Höhen des Rückenmarks wurden mit Alkohol,
mit Zenk erscher Lösung und mit Odmiumsäure nach Marchi behandelt.
Im übritren wurde das Rückenmark und das verlängerte Mark in Müller-
scher Flüs.Higkeit gehärtet. In Celloidin eingebettet wurden der ganze
Sakral- and Lumbaiteil, Stücke ans iedem der sechs unteren Dorsalsegniente,
aus dem oberen Dorsalmarke, aus dem L — VIL Cervikalsegmente, wie auch
ans drei verschiedenen Höhen der Medulla oblongata. Färbung mit Methylen-
blau nach Nissl, mit Hämatoxjlin, mit Hämatoxjlin-Pikrinsäure nach van
GiesoUf sowie Hämatoxjlin- Markscheiden färbung nach Weigert.
Zur mikroskopischen Untersuchung wurden auch Stücke des N. cruralis
und N. ischiadicus beiderseits entnommen. . Dieselben wurden iuMüllersche
Flüssigkeit gelegt, auch nach Marc bis Methode behandelt, in Celloidin
eingebettet, mit Hämatoxylin und van Giesons Lösung, sowie nach Weigert
gefärbt.
Ausserdem wurden auf der linken und rechten Seite Stücke ans den
Kückenmuskeln der Lendenregion, den Mm. psoas, qnadriceps femoris, den
Fioxoren an der Hinterseite der Oberschenkel, den Wudenmuskeln und den
Peronealmuskeln entnommen. Die Muskeln wurden in Formol-Müller (Orth-
sche Mischung) gehärtet, in Celloidin eingebettet und mit Ehrliche saurem
Hämatoxylin und nach van Gieson gefärbt.
Mikroskopischer Befund.
Vom Rückenmark und verlängerten Mark. ^Betrachtet man
Querschnitte vom V. LS , so findet man hochgradige Veränderungen in einem
begrenzten Felde beider Vorderhörner. Links ist das Feld grösser, betrifift
den vorderen und äusseren Teil des Hornes in etwa zwei Dritteln seiner
Breite und erstreckt sich nach hinten bis in die Basis hinein. Rechts be-
finden sich die Veränderungen in der Spitze des Hornes in einem ab-
gerundeten Gebiet, dessen Durchmesser ungefähr die Hälfte der Breite des
Hornes beträgt. In diesen Herden sind die Ganglienzellen zum allergrössten
and sobacata 6. ohronica. 331
Teil verschwanden. Die wenigen zurückgebliebenen sind stark verändert.
Nach Zenker gehärtete und mit MethylenbLn gefärbte Präparate geben
sehr schöne Bilder der Gangltenzellen. Einige haben eine abgerundete
Form, sind ohne Aasläufer, besitzen aber einen Kern, der peripher liegt;
die Nissischen Granula sind mehr weniger zerfallen. Andere zeigen sich
onr als eine klumpige, strukturlose Masse. Hier und da sieht man in den
Herden kleine solitäre Ganglienzellen, die recht wohlerhalten sind. Vom
Nerven fasernefz ist nur noch eine geringe Menge feiner Nervenfasern yor-
banden, fast alle stark varikös, ein Teil in reihenweise angeordnete Myelin-
klumpen zerfallen. Das Gliagewebe liegt so fast vollstäudig entblösst. Es
ist flecken weise etwas aufgelockert, fleckenweise verdichtet, in letzterem
Falle meistens mit gleichzeitiger Vermehrung der Gliakerne. Mehrfach
linden sich in demselben Lucken, von denen ein Teil leer zu sein scheint
und andere je ihre mehr weniger stark degenerierte Nervenzelle enthalten.
In einigen dieser kleinen Hohlräume fiodet sich zugleich eine Ansammlung
körniger Lymphe, in der vereinzelte runde Zellen beobachtet werden, yiel-
fach grösser als die Gliakerne, mit teilweise ungefärbtem, teilweise etwas
schwach gefärbtem, unregelmässig verteiltem, körnigem Inhalt (Fettköruchen-
zellen). Die Gefässe sind bedeutend vermehrt und teilweise hochgradig er-
weitert. Die Gefässwände zeigen im allgemeinen keine Verdickung, nur
ausnahmsweise lässt sich eine massige Verdickung nachweisen. Die peri-
vaskulären Lympbräume sind hier und da stark erweitert und mit körniger
Lymphe erfüllt, in der nur spärlich kleine Rundzellen und grössere Zellen
vorkommen, welch letztere in ihrem Aussehen an Fettkörnchenzellen erinnern.
In den in der Umgebung der Herde gelegenen Partien der Vorder-
hörner sieht man einige wohlerhaltene, grössere Nervenzellen, andere — und
sie bilden die Mehrzahl — zeigen mehr weniger ausgeprägte degenerative
Veränderungen. Das Nervenfasernetz ist auch hier etwas gelichtet.
Die Zahl der myelinföhrenden intramedullären vorderen Wurzelfasern
ist hochgradig vermindert, besonders auf der linken Seite. Der Vorder-
leitenstrang zeigt in der Umgebung des Vorderhornes, speziell auf der linken
Seite, einen deutlichen Faserausfall, im übrigen ist die weisse Substanz un-
verändert. An den Hinterhörnern keine nachweisbaren Veräuderungen.
Die extramedullären Vorderwurzeln sind äusserst atrophisch und ent-
halten nur einige wenige myelinfuhrende Nervenfabern; speziell sind diese
Veränderungen auf der linken Seite im höchsten Grado ausgeprägt.
Die zentralen Gefässe [Kadyi (100] sind sowohl in dem Suicus medianns^
anterior als auch besonders in den Vorderhörnern teilweise stark erweitert.
Aber auch die peripheren Gefässe zeigen eine merkbare Erweiterung. Die
die Gefässe uiu gebenden Lymphräume sind meist stark erweitert. In der
Pia stellenweise Anzeichen eines leichten Odems, sonst nichts bemerkenswertes.
Nissl- Präparate eines in Alkohol gehärteten Stückes vom II. LS.
zeigen wesentlich dieselben Bilder der Nervenzellen, wie oben beschrieben.
In Marchi-Präparateu vom III. LS., teils ungefärbt besichtigt, teils
nach van Gieson geförbt, treten die meistens stark gefüllten perivaskulären
Ljmphräume in den Vorderhörnern, im Suicus medianns anterior und auch
in der Umgebung der peripheren Gefässe besonders deutlich hervor. In
diesen Lymphränmen finden sich eine Menge Fettkörnchenzellen und auch
^J82 LövegreD, Zar Kenotnis der Poliomyelitis aoterior acnta
froie Fettkörner. Hier nnd da sieht man in den Vurderburnern eine NerTan-
xelle, in deren perivasknlilren Rfinmen einige Fetikörnubenxellen liegen.
Der Herd im linken Vorderliorne erstreckt siuh nach unten bis auf
das I. SS., ist aber hier schon weniger scharf abgegrenzt. Das linke Vorder-
hörn ist in diesem Segment im ganzen atrophiert. Die postero- externe
Zellengrnppe enthält recht zahlreiche wohlerhaltene Zellen. Das rechte
Hörn zeigt im oberen Sakralmarke keinen eigentlichen Herd mehr; die Zeilen
in den vorderen Gruppen sind zum grössten TM Terschwunden, in der
postero-extorncn Zellengrnppe auch hier zahlreich und wohlerhulten; das
Nerven fusernetz schon weniger rarefiziert als in den Lumbalsegmenten. Die
Vorderwnrzeln sind äusserst stark verändert; links findet sich nur die eine
oder andere murkhultige Nervenfaser, rechts ist die ZabP derselben etwas
grösser. Im II. SS. findet sich weder aaf der linken noch auf der rechten
Seite ein deutlich markierter Herd. Die Nervenzellen sind spärlich nnd
meistens atrophisch, das Nervenfaseroctz etwas gelichtet. In den Vorder-
wurzeln, besonders links, noch ein recht bedeutender Ausfall mjel in führender
Nervenfasern. Im unteren Teile des Sakralmarks und im Conus medulUris
keine Veränderungen.
Die beschriebenen Herde im V. LS. setzen sich nach oben bis ins
obere Lumbaimark hinein fort. Der Herd im linken Vordorhorne hat be-
sonders im IV. LS. eine gross^e Ausdehnung. Der Herd im rechten Vorder-
üorno vermindert sich bedeutend im mittleren und oberen Lumbalmarke.
Im I. LS. kann nicht mehr von abgegrenzten Herden die Rede sein. Das
Nerven fusernetz der Vordorhörner i^t hier durchweg rarefiziert, Nervenzellen
sind weni^ vertreten und meistens degeneriert. In den Vorderseitensträngen
FaserausfuU in der Umgebung der Vorderhörner. Die Vorderwurzeln sind
gleich den übrigen Teilen des Lumbaimarkes sehr arm an markhaltigen
Nervenfasern. Auch die Veränderungen im I. LS. sind auf der linken Seite
hochgra<li;;er.
Gleichartige Veränderungen wie im 1. LS. lassen sich, wenngleich
weniger ausgeprägt, auch auf beiden Seiten im unteren Teile des Dorsul-
markes bis zum VII. DS. hinauf nachweisen. Noch in den oberen Dorsal-
segmenten erscheint die Anzahl der Nervenzellen im linken Vordcrhonie
etwas reduziert. Die Gefussveränderungen, die schon im I. LS. recht gering
sind, treten im Dorsalmark fast ganz zurück. Im IV. DS. lassen sich in den
Vorderhörnern mit der Marchischen Methode einige Fettkörnchenzellen
aufweisen. Der Zentralkanal ist überall offen, in der Umgebung dessellten
zeigt sich nirgends etwas bemerkenswertes.
In Weigert- Präparaten vom Dorsal- und Cervikaimark sieht man im
Seitenstrange beidoräcits ein leicht verblasstes Feld, welches den hinteren
Teil der Seitenstranggrundbündel einnimmt, zugleich aber auch umgebende
Partien des Seitenstranges betrifft. In diesem Felde ist ein geringer
Nerven faseransfull und eine gewisse Sklerose nachzuweitien. Im übrigen zeigt
das Cervikaimark normale Verhältnisse.
In der Medulla oblongata sind keine Veränderungen nachzuweisen,
namentlich erscheinen die Pyraraidenbahnen ganz intakt.
Periphere Nerven. Der N. eruralis und N. ischiadicus enthalton
neben einer M««nge normaler Nervenbündel einige strophische, in denen ein
Teil der Nervenfasern in Fortfall gekommen ist. Zwischen den verschiedenen
and tabAeato s. ehtonioa. 33«^
Mervenböndeln findet sioh Fett eingelagert Verändernngen im interstitiellen
Gewebe lassen sioh sonst niclit nachweisen.
Maskeln. Sowohl die Rückenmaskeln als auch die Muskeln der unteren
Extremitäten zeigen bei der mikroskopischen Untersuchung äusserst hoch-
gradige Veränderungen. Hier und da trifft man Gruppen von Muskelfasern
an, die auf Querschnitten eine polygonale Form und normale Grösse besitzen.
Die überwiegende Mehrzahl der Muskelfasern ist abgerundet und stark ver-
schmälert; in Präparaten von den Rückenmuskeln begegnet mau stellenweise
auch hjpervoluminösen Fasern. Die Muskelkerne sind meistenteils ausser-
ordentlich vermehrt, so dass manche Muskelfasern zum grössten Teil von
ihnen bedeckt werden. Nicht selten sieht man kleine, von Bindegewebe be-
grenzte Felder, wo von der Muskelsubstanz nur noch eine enorme Anhäufung
von Kernen erhalten ist. Vielfach ist die Qnerstreifung erhalten, aber an
einem grossen Teil von Fasern ist sie fleckenweise oder gänzlich aufgehoben..
Einige Fasern sind in der Längsrichtung gespalten, andere in der Quer-
richtnng in klumpige Massen zerfallen. In einigen Präparaten trifft man
Stellen, wo die Muskelsnbstanz in eine Detritusmasse zerfallen ist. Die
Bindegewebsbalken sind im allgemeinen recht breit. Überall in den Muskeln
ist eine ansserord entlich reichliche Menge Fettgewebe eingelagert, mehrfach
nimmt es den grössten Teil des Schnittes ein, so dass nur hier und da
dünne Muskelbündelchen in dieser mächtigen Masse verstreut liegen. Die
Wände der intramuskulären Blutgefässe sind teilweise bedeutend vordickt.
Die Verdickung betrifft sowohl die Media als auch die Adventitia. Die intra-
muskulären Nerven zeigen einen bedentenden Faserausfall, enthalten aber
doch meistens eine nicht ganz geringe Anzahl dem Aussehen nach normaler
Fasern.
Der pathologisch-aDatomische Befand in dem oben be-
schriebenen Falle stimmt im Mresentlicken mit dem Qberein, was
Ton einigen früheren Forschern bei der akuten Poliomyelitis ih
diesem Stadium gefunden wurde.
Klinisch betrachtet, ist die Krankheit in diesem Falle schon
gänzlich abgelaufen. Die pathologisch-anatomische Untersuchung
zeigt, dass, obgleich eine Zeit von 2 Jahren seit dem Eintritt der
Krankheit verflossen war, der Resorptionsprozess im Ruckenmark
noch nicht zum vollständigen Abschlüsse gelangt war. Mit Hilfe
von Marchis Methode lassen sich noch zahlreiche Fettkörnchen-
zellen nachweisen. In dieser Hinsicht entbehrt der Fall nicht des
Interesses.
In einem Falle aus demselben Zeitpunkt nach dem Auf-
treten der Poliomyelitis konnten Roger und Damascfaino (25)
das gleiche Verhalten konstatieren.
Der leichte Faserausfall und die leichte Sklerose in den
Seitensträngen, die früher von Laborde (16), Charcot und
Joffroy (21), Rissl.er (85) n. A. nachgewiesen wurden^ dürfen
wohl als Folgen ein^r sekundären Degeneration longitudinal^r
334 LöTegren, Zur KeoDtniB der Poliomyelitis anterior acata
Kommissarenbahnen and vielleicht teilweise aach einer „retro-
graden Degeneration^ za den Pyramidenbahnen gehörender Fasern
gedeutet werden.
Das Odem in der Pia steht zweifellos in Zusammenhang mit
der akuten Krankheit, die den Tod verursachte.
Die degenerativ atrophischen Veränderungen der Muskeln
sind solche, wie sie schon von mehreren früheren Autoren und
zuletzt von Lorenz (101) beschrieben worden sind. Spezieller
Erwähnung verdienen nur die hypervoluminösen Fasern in den
Ruckenmuskeln. Diese sind hier wohl als Ausdruck einer
kompensatorischen Hypertrophie zu deuten.
Aus dem oben beschriebenen pathologisch-anatomischen
Befunde des Ruckenmarks geht hervor, dass sowohl die
parenchymatösen als auch die interstitiellen Gewebselementeaffiziert
waren. In den abgegrenzten Herden sind diese Veränderungen
beide vorhanden. Ausserhalb der Herde werden meist nur Ver-
änderungen der nervösen Bestandteile konstatiert; ob auch hier
früher überall interstitielle Veränderungen stattgefunden hatten,
lässt sich in diesem Falle nicht entscheiden, der schon auf der
Orenze des Stadiums der stationären Residuen steht.
Die Beschaffenheit der 'Herde scheint dafür zu sprechen,
dass sie die Folge eines sämtliche Gewebe betreffenden Krank-
heitsprozesses sind, dessen Ausdehnung nicht durch die Lage der
Ganglienzellengruppen bestimmt worden sein kann. Die Herd-
grenze geht stellenweise quer durch eine Ganglienzellengruppe,
indem sie die Zellen in ihrem äusseren Teile fast intakt lässt,
während die innerhalb der Herde belegenen Zellen untergegangen
sind. In den Herden ist das Nervenfasernetz mehrfach fast
gänzlich zerstört. Es kann somit nicht die Rede davon sein,
dass der Ausfall der Nervenfasern hier nur durch den Untergang
der Nervenzellen verursacht wäre. In den Teilen des Rücken-
marks, wo die Veränderungen nicht herdweise begrenzt sind,
wird nur das Fehlen oder die Degeneration einer gewissen An-
zahl von Ganglienzellen aus verschiedenen Gruppen in den
Vorderhörnern konstatiert und eine Rarefikation des Nerven-
fasernetzes, welche wohl damit in Proportion stehen mag. Wenn
auch hier früher ein interstitieller Prozess bestanden hat, so ist
er jedenfalls leicht gewesen, da er keine hervortretenden Spuren
hinterlassen hat.
Ob die Ganglienzellen primär affiziert wurden oder ob ein
von den Gefässen ausgehender interstitieller Prozess sekundär zu
and Bubacnta s. chronica. 335
ihrer Degeneration oder ihrem gänzlichen Untergange führte, lässt
sich auf Grund dieses pathologisch-anatomischen Befundes nicht
mit Sicherheit beurteilen. Doch scheint es, die Herd Veränderungen
betreffend, höchst wahrscheinlich, dass, teilweise wenigstens, das
letztere der Fall gewesen war. In Bezug auf die ausgedehnten
Veränderungen in den übrigen Teilen des Rückenmarks lässt
sich eine primäre Granglienzellenaffektion keineswegs ausschliessen.
Zur Beantwortung der Frage über die Art der primären
Veränderungen bei der akuten Poliomyelitis eignen sich selbst-
verstäncllich pathologisch-anatomische Untersuchungen aus dem
akuten Stadium am besten. Al>er auch die hierbei gemachten
Befunde geben in dieser Hinsicht nicht volle Klarheit. Wie aus
meiner früheren Darstellung dieser Untersuchungen hervorgeht,
fanden sich im akuten Stadium stets gleichzeitig sowohl
parenchymatöse als interstitielle Veränderungen. Beim Abwägen
ihres Verhältnisses zu einander entschieden sich einige Forscher
zu Gunsten der parenchymatösen Veränderungen als der wesent-
lichen und primären, während die Mehrzahl derselben die Gründe
für die Annahme eines primären, von den Gefässen ausgehenden
interstitiellen Prozesses für mehr weniger entscheidend hielten.
Unantastbare Schlüsse in der einen oder anderen Richtung lassen
sich auf Grundlage des gegenwärtig vorhandenen pathologisch-
anatomischen Materials nicht ziehen. Trotz unserer bedeutend
erweiterten Kenntnis der pathologischen Anatomie des akuten
Stadiums stehen wir in Bezug auf diese pathogenetische Frage
noch immer auf demselben Standpunkte wie Roger und
Damaschino^).
Mir scheint, Ernst Schwalbe (102) hatte vollgültige Gründe,
als er als seine Meinung äusserte, dass diese Frage rein morpho-
logisch garnicht zu lösen ist.
. Theoretisch erscheint ein ursprünglich von den Gelassen
ausgehender interstitieller Prozess recht unerklärlich. Man wäre
dann genötigt, bei den Gefässen der Vorderhörner des Rücken-
marks einige spezielle Eigenheiten vorauszusetzen, welche den
Krankheitsprozess veranlassen, sich gerade hier zu lokalisieren.
Soviel man weiss, sind gleichwohl die Gefässe hier ebenso gebaut
wie an anderen Stellen. Charcots Hypothese einer primären
Affektion der Ganglienzellen ist a priori bei weitem einfacher
und klarer. Die Ganglienzellen sind das Spezifische für die
«) Vergl. S. 16.
3ät) Ijövdgren, Zar Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
Vorderhörner. Die ADDahme liegt daher am Dächsten, dass ein^
eloktiv wirkende Noxe (Bakterien oder ihre Toxine) diese Gewebs-
«lemente angreift, welche ein physiologisch and anatomisch
zusammengehöriges System bilden.
Auch Hie klinische Erfahrung scheint gewissermassen die
Fnige über die Pathogenese beleuchten zu können.
Medin (72) hat bei Kindern mehrere Fälle von Poliomyelitis
mit gleichzeitiger Polyneuritis beobachtet. Ein solcher Fall ist
auch von Gowers (103) beschrieben worden. Edwards (85)
hat zwei Fälle bei Erwachsenen publiziert (ßeob. l und II), die
offenbar dieser Art sind. In einem meiner Fälle (Beob. IV) lag
höchstwahrscheinlich eine mit Neuritis kombinierte Poliomyelitis
vor. Derartige Beobachtungen scheinen in gewissem Grade darauf
hinzudeuten, dass es sowohl in den Vorderhörnern des Rücken-
markes als auch in den peripheren Nerven das Parenchym war,
welches das bestimmende Moment für die Lokalisation des Krank-
heitsprozesses bildete.
Als für die Möglichkeit des primär parenchymatösen Charakters
der Poliomyelitis sprechend lassen sich noch die fiuher erwähnten
Erfahrungen der experimentellen Forschung auf diesem Gebiete
anfuhren *).
So beachtenswei-t diese Gesichtspunkte auch erscheinen,
einen Beweis für die Richtigkeit der Charcotschen Hypothese
bilden sie selbstverständlich nicht. Doch scheinen sie mir zu der
Behauptung zu berechtigen, dass diese geistreiche, von Rissler,
V. Kahlden und auch von Möbius (104) vertretene Hypothese
bis auf weiteres noch nicht ad acta gelegt werden darf
IL
Poliomyelitis anterior subacuta s. chronica.
Einleitende Literaturubersicht.
Wie Duchenne in Bezug auf die akute Poliomyelitis bahn-
brechende Beiträge geliefeii; hat, so hat dieser scharfsinnige
Beobachter auch in der Frage der subakuten oder chronischen
•Poliomyelitis klinische Erfahrungen von grundlegender Bedeutung
gemacht. Schon im Beginn der l850er Jahre hatte Duchenne (1)
diese Krankheitsform klinisch abgegrenzt, namentlich auch von
0 VercJ. S. 29.
und subacuta s. chroniou. 387
der progressiven Muskelatrophie, nach gleichzeitigem vergleichen-
den Stadium beider. Auch für diese subakute Form suchte er
die Ursache in einer Affektion des Rückenmarks. Trotz des nega-
tiven Befundes in einigen zur Sektion gekommenen Fällen hob
er 1872 (2) hervor, dass man notwendig annehmen müsse, das
Wesen der Krankheit liege in einer Atrophie der Ganglionzellen
der Vorderhörner. Es sollte jedoch lange dauern, ehe Duchennes
Hypothese von der pathologisch-anatomischen Grundlage seiner
Paralysie g^n^rale spinale ant^rieure subaiguß als richtig bewiesen
wurde.
Nachdem Duchenne diese Krankheitsform festgestellt hatte
wurden erst in den siebenziger Jahren von anderen Verfassern
klioisch beobachtete Fälle veröffentlicht, und das Interesse für
dieselben scheint gerade am lebhaftesten gewesen zu sein, als
die Entdeckung der multiplen Neuritis drohte, die subakute
Poliomyelitis ihrer Existenzberechtigung zu berauben.
Vereinzelte pathologisch-anatomisch untersuchte Fälle wurden
allerdings schon in den siebenziger Jahren veröffentlicht, doch
hielten diese der Kritik einer späteren Zeit nicht stand.
Im Jahre 1882 beschrieb Eisenlohr (3) einen Fall, der
hinsichtlich seines klinischen Verlaufs und des Befundes von
zirkumskripten Veränderungen am Rückenmark eine Sonder-
stellung einnimmt und nicht als typisch betrachtet werden kann.
Ein anderer Fall wurde einige Jahre später von Dresch-
feld (4) veröffentlicht. Bei einem 36jährigen Patienten ent-
wickelte sich im Laufe von drei Jahren allmählich eine Lähmung
mit nachfolgender Muskelatrophie aller Extremitäten und des
Rumpfes. Keine subjektiven oder objektiven Sensibilitäts-
störungen. Blase und Rektum frei. — Bei der mikroskopischen
Untersuchung erwiesen sich die vorderen Wurzeln und die
peripheren Nerven gesund. In den Vorderhörnern wurde eine
starke Atrophie der Ganglienzellen konstatiert, stellenweise fanden
sich auch Körnchenzellen, fettiger Detritus und Deiterssche
Zellen. Die Blutgefässe in der Nähe des Zentralkanals zeigten
verdickte Wände und eine gewisse perivaskuläre Zelleniniiltration;
in der Nähe der Gefässe kleinere Hämorrhagien. Die Seitenstränge
zeigten Sklerose sowie Blutgefässe mit verdickten Wandungen und
perivaskuläre Zelleninfiltration. In den Vaguskernen einige atro-
phische Zellen und eine Hämorrhagie. — Die Veränderungen in
den Seitensträngen scheinen im Dreschfeldschen Falle recht
ausgeprägt gewesen zu sein und durften nicht mit Sicherheit
Jfthrbnch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI, Heft 2.* 22
338 Lövegren, Zar Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
nur als Ausdruck einer „retrograden Degeneration" gedeutet
werden können. Insofern ist die Reinheit des Falles etwas
zweifelhaft.
Oppenheim (5) war es vorbehalten, den ersten völlig un-
antastbaren Beweis für die Richtigkeit der Duchenneschen
Hypothese zu erbringen. Im Jahre 1888 veröfiFentlichte er einen
sowohl klinisch als pathologisch-anatomisch ausserordentlich gut
beobachteten Fall. Er betraf eine 52jährlge Frau, welche mit
Schwäche im rechten Arm erkrankte; diese Schwäche ergriflF
nach vierzehn Tagen das linke Bein sowie einige Monate später
den linken Arm und das rechte Bein und steigerte sich allmählich.
Die gelähmten Muskeln wurden atrophisch. Schmerzen, Par-
ästhesien, Störungen von Seiten der Blase und des Mastdarms;
Gehirnsymptome fehlten gänzlich. Die Lähmung, welche sich
schliesslich auch über die Muskeln des Rumpfes, Halses und
Nackens, sowie die Kaumuskulatur verbreitet zeigte, war
schlaff und degenerativer Natur. Der Exitus trat im Au-
schluss an einen Erstickungsanfall ein drei Jahre nach der Er-
krankung. — Der mikroskopische Befund von Seiten des Rücken-
marks bestand in einem fast totalen Schwund der Ganglien-
zellen der Vorderhörner in allen Höhen. Die noch erhaltenen
Zellen waren im höchsten Grade verändert. Die Grundsubstanz
bestand aus dichtgedrängten Spinnenzellen mit sehr zahlreichen
Fortsätzen, die ein starkes Fasernetz bildeten; hier und da freie
Kerne, an den Gefässen keine wesentliche Veränderung. Die
Hypoglossus- und Accessoriuskerne zeigten in ihren untersten
Abschnitten eine leichte Atrophie. Die Hinterhörner und die
Clark eschen Säulen waren normal. In den Voi'derseitensträngen
fand sich eine ganz unbedeutende Atrophie und stellenweise
geringe Sklerose. Auffallend war, dass die vorderen Wurzeln
und besonders die peripheren Nerven nur eine geringe Degeneration
zeigten. Die mikroskopische Untersuchung der Muskeln wies
eine beträchtliche Entartung auf, die sich vornehmlich durch
bedeutende Verschmälerung der Fasern und Kernwucherung in
denselben charakterisierte ohne wesentliche Veränderung des
interstitiellen Gewebes. Die Querstreifung war in den meisten
Fasern erhalten, in vielen wurde aber ein körniger Zerfall des
^luskelinhalts konstatiert.
Ein anderer klinisch und pathologisch- anatomisch sorgfältig
untersuchter Fall wurde von Nonne (6) beschrieben. Bei einer
o6jährigen, früher gesunden Frau entwickelte sich allmählich
und snbacata 8. chronica. 339
eine über die Extremitäten und teilweise auch den Rumpf und
Hals verbreitete schlaffe, degenerative Lähmung und Muskel-
atrophie. Keine Sphinkterstörungen. Sensibilitätsstörungen fehlten
bis zu. den letzten Monaten, wo massige reissende Schmerzen in
den Oberarmen und Oberschenkeln dazukamen. Objektiv waren
keine Sensibilitätsstörungen nachzuweisen. Die Gehirn- und
Bulbärnerven wurden erst im letzten Stadium in geringer Inten-
sität ergriffen. Pat. erlag einer Pneumonie 1^2 Jahre nach Be-
ginn der Krankheit. Nonne fand in den vorderen grauen
Säulen des Ruckenmarks die Ganglienzellen teils verschwunden,
teils hochgradig degeneriert und das Nervenfasernetz rarefiziert.
Die vorderen Wurzeln und die peripheren Nerven erwiesen sich
degeneriert. In den Seiten- und Hintersträngen fand sich eine
gewisse Faserrarefikation. Der Hypoglossuskern war etwas
atrophisch.
Oppenheim (7) beschrieb 1892 einen Fall, der in mehr-
facher Hinsicht eine Sonderstelhmg einnimmt. Bei einer früher
gesunden 35jährigen Frau entwickelte sich, während sie zum
vierten Male schwanger war, eine Parese der rechten Schulter
und der Muskulatur des Oberarmes, der hierauf atrophisch wurde;
anfangs leichte subjektive Sensibilitätsstörungen. Ein Jahr später
— wieder im Änschluss an eine Schwangerschaft — wurde auch
der linke Arm ergriffen. Die Lähmung schritt hierauf in beiden
Armen fort und ergriff auch die Nacken- und Halsmuskeln. Keine
ausgeprägten Bulbärsymptome. Die Sensibilität, die Blasen- und
Mastdarmfunktion waren die ganze Zeit über völlig erhalten. Der
Exitus trat infolge einer Bronchopneumonie ein, drei Jahre nach
Beginn der Lähmung. Die mikroskopische Untersuchung ergab
u. a. folgendes: Im ganzen Halsmark sind die Ganglienzellen
der Vorderhömer so gut wie gänzlich verschwunden, die wenigen
übriggebliebenen sind äusserst stark verändert; das Nervenfaser-
netz ist hochgradig rarefiziert. Im mittleren Cer vi kaimark geht
die Atrophie noch auf den vorderen Teil der Hinterhörner über.
In den Vorderhörnern einige frische Blutungen. Ein leichter
Faserausfall findet sich in der Umgebung der Vorderhörner. Die
vorderen Wurzeln atrophisch. In der Höhe der Halsanschwellung
scheinen auch die hinteren Wurzeln leicht degeneriert. Die
Atrophie der Vorderhörner setzt sich auf das ganze Brustmark
fort. In den Burdachschen Strängen findet sich im Hals- und
Brustmark ein Degenerationsbezirk. Im Bulbus wird Degeneration
der Hypoglossns- und Accessoriuskerne nachgewiesen. — Der
22*
341) Lövegreu, Zur KunntDis der Poliomyelitis anterior acuta
klinische Verlauf ist in diesem Falle sehr interessant. Höchst
bemerkenswert ist der Befund der Veränderungen in den Hinter-
strängen und den hinteren Wurzeln. Er lässt sich nicht als eine
Folge der AflFektion der Vorderhörner erklären, welche hier deut-
lich das Dominierende sind. Oppenheim hebt die Möglichkeit
hervor, dass man es in diesem Falle mit einer Art kombinierter
Systemerkrankung der Vorderhörner, Hinterhöroer und Burdach-
schen Stränge zu tun hat.
Dutil und J.-B. Charcot (8) teilten einen Fall mit,
welcher einen 56 jährigen, früher gesunden Mann betraf, der von
einer in den oberen Extremitäten beginnenden, dann teilweise
den Rumpf und die unteren Extremitäten angreifenden, fort-
schreitenden'Muskelschwäche mit nachfolgender Atrophie ergriffen
wurde. Stark hervortretende fibrilläre Muskelzuckuugen. Die
Sensibilität intakt. Keine Sphinkterstörungen. Der Exitus trat
2^/ IS Jahre nach Beginn der Krankheit infolge von Lähmung dos
Diaphragma ein. Auch diese Forscher fanden eine auf die Vorder-
hörner begrenzte Ganglienzellenutrophie, Rarefizierung des Nerven-
fasemetzes, Sklerose der Glia. stellenweise etwas erweiterte
Kapillaren, vereinzelte kleine frische Hämorrhagien. In den antero-
lateralen Strängen eine ganz leichte Sklerose und unbedeutender
Faserausfall. Die Wandungen der intramedullären Arterien — nicht
allein in den Vorderhörnern, wenngleich in diesen vielleicht mehr
hervortretend — bedeutend verdickt, sodass das Lumen vielfach
hochgradig verengt ist. Keine Infiltration, weder in den Gefäss-
Wandungen noch perivaskulär. Die vorderen Wurzeln zeigen nur
eine geringe Degeneration, in den peripheren Nerven tritt die-
selbe stärker hervor.
In einem Falle, einen 48jährigen Mann betreffend, der
3 Jahre nach dem Beginn der fortschreitenden Lähmung starb,
konstatierte Ewald (9) neben ausgeprägter Atrophie der Ganglien-
zellen der Vorderhörner und einer gewissen Sklerose ihrer Grund-
substanz ausgeprägte vaskuläre Veränderungen. Die Gefösse
waren in den Höhen, wo die Veränderungen des Parenchym am
weitesten fortgeschritten waren, bedeutend erweitert und an-
scheinend auch vermehrt, einige zeigten verdickte Wandungen
und eine Anhäufung von Kernen in ihrer Umgebung. Die vorderen
Wurzeln waren hochgradig degeneriert. Die Pia erwies sich in
der Länge des ganzen Rückenmarks erheblich verdickt mit Kern-
vermehrung und praller Füllung der zahlreich vorhandenen Gefasse.
Bielpchowsky (lO) hat einen besonders sorgfältig unter-
und subacuta 8. chronica. 341
suchten Fall mitgeteilt, wo die Gefäss Veränderungen gleichfalls
auffallend waren. Bei einem im Alter von 17 Jahren verstorbenen
Jüngling hatte sich seit seinem 9. Lebensjahre eine langsam fort-
schreitende aufsteigende, atrophische Lähmung der Muskeln sämt-
licher Extremitäten, des Rumpfes, Halses und Nackens entwickelt.
Bielschowsky fand in den Vorderhörnern starke Atrophie der
Ganglienzellen und dabei das Gliagewebe stellenweise etwas ver-
dichtet, im hinteren Teile der Vorderhörner hingegen mehrfach
aufgelockert. Die Gefasse waren blutgefuUt und die Wände ver-
dickt, das Lumen mehr weniger, mitunter vollständig verengt.
Hier und da zeigte sich die Gefäss wand strukturlos, homogen.
An mehreren Stellen zeigte sich in der Umgebung der Gefasse
eine spärliche Ansammlung von Kundzellei). Kleinere und grössere
Blutungen im hinteren Teile der Vorderhörner wurden in ver-
schiedenen Höhen des Rückenmarks beobachtet. Gefässverände-
rungen wurden auch in den Hinterhörnern beobachtet, aber nicht in
demselben hohen Grade. Die vorderen Wurzeln waren stark degene-
riert. In den atrophischen Muskeln wurde gleichfalls eine Verdickung
der Gefiisswände und Verengerung ihres Lumens nachgewiesen.
Ein Fall mit Gefässveränderungen ist auch von Grunow (II)
beschrieben worden.
Philippe und C es tan (12) teilten auf dem internationalen
medizinischen Kongress in Paris vor vier Jahren zwei Fälle mit,
die pathologisch-anatomisch durch Atrophie der Vorderhornzellen
sowie eine leichte Sklerose der antero-lateralen Stränge charak-
terisiert wurden. Die Atrophie der Nervenzellen war nicht von
Gefassveränderungen abhängig, sondern kam primär vor. Eine
Polyneuritis konnte bestimmt ausgeschlossen werden. Der klinische
V^erlauf wurde bezeichnet durch Lähmung und Muskelatrophie mit
fibrillären Zuckungen, EaR, abgeschwächten Reflexen, Integrität
der subjektiven und objektiven Sensibilität sowie der Psyche,
erhaltener Funktion der Sphinkteren. In dem einen Falle ent-
stand die Lähmung in den proximalen Teilen der unteren Extremi-
täten und schritt darnach peripherwärts fort; später wurden dio
Oberextremitäteu auf dieselbe Weise ergrifi*en. In dem anderen
Falle setzte die Lähmung in den Handmuskeln ein und verbreitete
sich allmählich über die Unterarme, Oberarme, Schultern und
den Nacken. In beiden Fällen trat der Exitus unter bulbären
Symptomen ein, in dem ersten nach neun, in dem zweiten nach
sechszehn Monaten.
342 Lövegrea, Zur KeuutDi» dtir Polioaiyelilis anterior acuta
In der Sociale de neurologie berichteten Raymond und
Philippe (13) im Jahre 1902 über einen Fall, der einen
52 jährigen Patienten betraf, bei welchem sich eine in den Füssen
und Untersehenkeln allmählich beginnende, dann aufsteigende
Lähmung und Muskelatrophie entwickelte. Die bei der patho-
logisch-anatomischen Untersuchung gefundenen Veränderungen
bezogen sich auf die Ganglienzellen der Vorderhörner, welche
eine bedeutende Atrophie zeigten. In den vorderen Wurzeln,
den peripheren Nerven und Muskeln fanden sich Veränderungen,
welche beide Forscher für sekundäre ansahen.
Die Zahl der untersuchten, unumstösslichen Fälle von Polio-
myelitis anterior subacuta oder chronica ist sehr gering. Aus
dem oben Angeführten geht hervor, dass die bei dieser Krankheits-
form gefundenen pathologisch-anatomischen Veränderungen nicht
in allen Fällen gleichartig waren. Die Krankheit ist auch klinisch
recht wenig studiert worden, und ihre Stellung zu gewissen nahe-
stehenden Kran kheits formen ist recht unklar. Im folgenden
werde ich auf Grund einer klinischen Beobachtung und eines
pathologisch -anatomisch untersuchten Falles versuchen, einen
Beitrag zur Kenntnis dieses seltenen und interessanten Rücken-
marksleidens zu liefern.
Klinische Beobachtung.
J. B., 54 jähriger Scbiffskapitun. Aufnahme in Prot'. Hamens Ncrven-
klinik am 2. X.' 1903.
Anamnese:
Patient ist, so viel man weiss, nicht neuropathisch behistet. Im Alter
von 25 Jahren acquiriertc er Lues, welche unvollständig behandelt worden
zu sein scheint; hierauf blieb er Symptomen frei. Mit 31 Jahren machte Pat.
einen besonders schweren Typhus durch. Nach demselben hat er zeitweise
eigenartige durcbschiessende Empfindungen längs der Wirbelsäule gefühlt.
Im übrigen ist Pat. im allgemeinen stets gesund gewesen. Er hat ein streng
regelmässiges Leben geführt und nie Alkohol- oder Tabaksmissbrauch ge-
trieben. Er ist verheiratet und hat zwei gesunde, erwachsene Kinder.
Anfangs Dezember 1902 hat Pat. mit seinem Dampfer eine besonders
beschwerliche Fahrt gehabt. Er hatte drei Tage lang in keinem ordentlichen
Bette geschlafen, sondern in Kleidern nur einige Stunden geruht. Als er
am 6. Dezember im Hafen anlangte, hatte er fünfzehn Stunden lang ununter-
brochen selbst das Kommando geführt und sich in der ungewöhnlich strengen
Kälte (200— 250C.) auf Deck aufgehalten. Dabei war er in einen kurzen Pelz
gekleidet, der über der Brust oflfen stand, und darunter hatte er nur eine
Weste und das Hemd. In den nächstfolgenden Nächten bemerkte Pat.
kleine Zuckungen in mehreren Muskeln des Körpers. Am Tage war er in
und subacuta s. chronica. 343
Boweflran)^ ohne andere Beschwerden als eine allgemeine Mattigkeit. In der
Nacht gegen den 8. oder 9. Dezember stellte sich ein im ganzen recht
gelinder Schmerz im Kreuz ein, der «sich später nur zeitweilig etwas steigerte.
Pat., der in diesen Tagen auch von Frostschauern belästigt wurde, legte sich
gleichwohl nicht zu Bett nud erhielt keine eigentliche Behandlung. Der
leichte Schmerz dauerte den Frühling hindurch bis in den Sommer hinein
fort ond Terschwand dann altmählich.
Im Frühling 1908 trat in den Bewegungen des rechten Knies eine
alimählich zunehmende Schwäche im Verein mit recht lebhaftem Muskel-
zittern im Oberschenkel auf, ohne dass Pat. näher angeben kann, wann diese
Störung ihren Anfang nahm. Gegen Ende Mai bemerkte Pat., dass der
rechte Oberschenkel bedeutend schmäler geworden war als der linke. Im
Laufe des Sommers wurde bemerkt, dass die stetig zunehmende Schwäche
des rechten Oberschenkels auch auf den Unterschenkel überging. Im Spät-
sommer wurde das linke Bein ganz auf dieselbe Weise ergriffen. Gegen
Ende September wurde eine unbedeutende, dann etwas zunehmende Schwäche
zugleich mit kloinen Muskelzuckungen im rechten und etwa» später auch im
linken Arme beobachtet. In letzter Zeit hat Pat. das Gefühl lebhafter kleiner
Znckangen in den Seitenpartien der Bauchmuskeln gehabt.
Pat. hat bis jetzt ohne Stütze gehen können, wenngleich mit Schwierig-
keit; speziell war das Treppensteigen äusserst beschwerlich. Er hat bis zum
Tage seiner Aufnahme in die Klinik seinen Dienst versehen.
Pat. hatte Ärzte zo Rate gezogen und war mit verschiedenen inneren
Heilmitteln behandelt worden, jedoch ohne merkbaren Erfolg.
Im ganzen Verlauf der Krankheit hat Pat. nie Schmerzen oder un-
gewöhnliche Empfindungen in den Extremitäten verspürt, keine Kopfschmerzen
gehabt, keine Beschwerden beim Kauen oder Schlucken, keine Kespirations-
beschwerden, keine Störungen von Seiten des Digestionsapparates, keine
Defäkations- oder Blasenstörungen.
Pat. ist vor der Erkrankung eine lange Zeit keinerlei Trauma aus-
gesetzt gewesen.
Status im November 1903.
Pat. ist von etwas schwächlichem Körperbau, der Ernährungszustand
anter mitteimässig. Gesichtsfarbe blass. Die Haut der Extremitäten, speziell
der unteren, kühl: sonst an derselben nichts bemerkenswertes.
Temperatur normal. Puls regelmässig, recht gut gefüllt, von gewöhn-
licher Frequenz. Die Wand der Radialarterie weich.
An den Brust- und ßauchorganen normale Befunde.
Die Gemütsstimmung deprimiert. Die Erregbarkeit gesteigert. Auf-
fassung klar. Gedächtnis recht gut.
Im Funktionsgebiete der Cerebral nerv on keine Störungen.
Die Sprache fehlerfrei.
Pupillen von gleicher Grösse, mittel weit, reagieren gut auf Lichteinfall.
Die Muskulatur der Arme schwach. Sämtliche Bewegungen der
Schulter-, Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke mit verminderter Kraft aus-
führbar. Ab and zu fibrilläre Zuckungen im Thenar und den Muskeln des
Unterarms, besonders links.
In den Muskeln des Rumpfes ist keine Atrophie zu bemerken,
anch lassen sich objektiv keine fibrillären Zuckungen nachweisen. Pat. setzt
844 Lövegreii, Zar KebntDis der Poliomyelitis anterior acuta
sich mit geringer Stütze der Arme recht leicht im Bette auf. Es wird ihm
schwer, aus nach vorne gebeugter Stellung den Rucken zu strecken.
An den unteren Extremitäten, ist die Muskulatur an beiden Ober-
schenkeln, speziell der Quadriceps femorts, bedeutend atrophisch. Tn der-
selben zeitweise fibrilläre Zuckungen. Auch die Muskeln ao der vorderen
äusseren Seite des rechten Unterschenkels merkbar atrophisch.
Aktiv wird im Hüftgelenk beiderseits eine kräftige Extension aus-
geführt; die Flexion ist schwach, besonders rechts.
In den Kniegelenken sind die Bewegungen rocLt schwach, speziell
die Extension auf der rechten Seite.
Im rechten Pussge lenke ist nur die Plantarflexion recht kr&ftig.
Dorsalflexion, Tibial- und Tibularflexion nahezu aufgehoben. Plantar- und
Dorsalflexion der Zehen erhalten.
Im linken Fussgelenke wird kräftige Plantarflexion ausgeführt, auch
die Dorsal-, Tibial- und Fibularflexion recht gut. Die Zehen werden dorsal-
und plantarflektiert.
Nirgends Muskelspannung. Alle passiven Bewegungen frei und nicht
mit Schmerzen verbunden.
Sehnen- und Periostreflexe an den Armen nicht nachweisbar.
An den Bauchdecken treteu keine Reflexe hervor.
Gremasterreflex auf beiden Seiten vorhanden. Patellarreflexe erloschen.
Plantarreflexe nicht hervortretend.
Auf den Nervonstämmen nnd Muskeln ist nirgends eine patholot^ische
Druckempfindlichkeit vorhanden.
Die Sensibilität überall für alle Keizqualitäten völlig erhalten, des-
gleichen das Lagegefühl.
Der Gang ist fltark paretisch ohne eine Spur von spastischen Phäno-
menen oder Ataxie.
Pat. wurde mil Bädern, Massage und Elektrizität behandelt. Die
Schwäche in den Beinen und auch in den Armen nahm in den ersten
Monaten des Aufenthalts in der Klinik ganz unbedeutend zu. Gegen finde
Dezember und im «lanuar aber trat eine entschiedene und recht bedeutende
Verschlimmerung ein.
Bei der Untersuchung am 22. II. 1904 Hess sich folgendes kon-
statieren.
Der Allgcmeinzustand etwas heruntergegangen. Von Seiten der Brust-
and Bauchorgaue keine Veränderungen. Psyche wie vorher.
Die Funktionen der Cerebralnerven auch jetzt ungestört.
In der Schulterni usk ulatur keine Atrophie zu entdecken. Die
Stellang der Skapula bei Armbewegungen auf beiden Seiten normal. Die
Muskelreliefs des Oberarmes sowohl rechts als links schwach hervortretend.
Am rechten Oberarme ist der M. triceps von auffallend schlaffer Konsistenz.
An den Unterarmen und Händen ist die Muskulatur überall schwach,
besondere Atrophie gewisser Muskeln oder Muskelgruppen tritt nicht hervor.
An den Unterarmen und im Thenar hin und wieder fibrilläre Muskel-
zuckungen.
Die Bauchmuskulatur erscheint etwas schwach. Die Rücken-
muskeln paretisch. Deutliche Atrophie dieser Muskeln ist nicht nachweisbar.
An beiden Oberschenkeln findet sich eine hochgradige, speziell im
Quadriceps femoris hervortretende Atrophie; das Relief des Vastus internus
und subacuta 8. chronica. ä4&
gänzlich yerwischt. — Am rechten Unterschenkel tritt im M. tibiali»
anticus und auch in den Peronealmuskeln eine recht ausgeprägte Atrophie
henror. Aach die Wadenmuskeln erscheinen etwas atrophisch; ihre^Konsistenz
gleichwohl reche fest. Am linken Unterschenkel ut der M. tibiali»
anticus etwas atrophisch; der Umfang der übrigen Muskeln vielleicht auch
etwas geringer als früher. \u den Beinen kommen fibrilläre Zuckungen
Danmehr sehr selten vor.
Weder in den oberen noch in den unteren Extremitäten Kontraktur.
Sämtliche passiven Bewegungen unbehindert und schmerzfrei.
Umfang des Oberarmes 17 cm oberhalb dos Olecranon rechts 24,5 — 25,0 cm
11 „ „ „ n links 24,5-25,0 n
„ „ Unterarmes 8 „ unterhalb ^ ^ rechts 24,0 cm
S „ „ y, r, links 24,0 „
„ „ Oberschenkels 15 cm oberhalb der Basis
patellae rechts 35,5 ^
Umfang des Oberschenkels 15 cm oberhalb der Basis
patellae links 37,0 „
Umfang des Oberschenkels 10 cm oberhalb der Basis
patellae rechts 34,5 „
Umfang des Oberschenkels 10 cm oberhalb der Basis
patellae links 35,5 .,
Umfang des Unterschenkels (etwa an der Grenze
zwischen dem oberen und mittleren Drittel rechts 30,5 „
Umfang des Unterschenkels (etwa an der Grenze
zwischen dem oberen und mittleren Drittel links 32,0 „
Die aktiven Bewegungen der oberen Extremitäten in allen
Gelenken möglich. Im rechten Schultergelenk ist die Abdaktion bis zur
Horizontalebene und Elevation darüber hinaus schwächer als auf der linken
Seite. Im rechten Ellenbogengelenk ist die Extension bedeutend schwächer
als am linken Arme. Der stärkste mögliche Händedruck ist auf beiden
Seiten bedeutend herabgesetzt und entschieden geringer als bei der Unter-
suchung im November. Er beträgt:
rechts 38 kg
links 37 kg.
Bewegungen im Hüftgelenk. Rechts: Flexion äusserst schwach,.
Extension recht kräftig, Rotation nach aussen schwach, Rotation nach innen
unausführbar. Links: Flexion recht schwach, Extension kräftig, Rotation
nach aussen gut, Rotation nach innen fast aufgehoben.
Im Kniegelenk. Rechts keine Extension, sehr schwache Flexion.
Links sowohl Extension wie Flexion ausführbar, aber sehr schwach.
Bewegungen des Fusses. Rechts: Plan tarflexion recht gut, Dorsal-,
Tibial- und Fibularflexion aufgehoben. Dorsal- und Plantarflexion der Zehen
ausführbar, recht schwach. Links: Plan tarflexion recht kräftig, Dorsalflexion
äusserst unbedeutend, Tibial- und Fibularflexion möglich. Die Zehen werden
plantar- und dorsalflektierf
Keine Empfindlichkeit über den Nervenstämmen und Muskeln. Sehnen-
reflexe, Hautreflexe und Pupillarreflexe wie früher.
Die Sensibilität in jeder Hinsicht völlig erhalten, desgleichen das
Liigegefühl.
Pat. kann nunmehr nicht gehen und nur mit grösster Schwierigkeit
34(5
Lovegreu, Zar Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
mit Hälfe der Arme aus der Häckenlage in sitzende Stellung sich gleichsam
heniufwinden. In den Bewegungen der Arme keine Ataxie.
Die'elektrische Exploration, wie auch die übrige Uotersuchaog
wurde durch die hochgradige Ermüdbarkeit des Patienten äusserst erschwert
und konnte daher nicht vollständig ausgeführt werden. Der elektrische Be-
fund war folgender:
Stintzings
Normal-
elektrode
r farad.
Rechts
galvan.
farad.
Links
galvan.
Indirekt:
N. crnralis
N. peroneus
40 mm Keine Reaktion bei , 80 mm Keine Reaktion bei
RA
97 mm
RA
•2,5 MA; stärkere!! RA 2,5 MA; stärkere
Ströme verträgt
Pat. nicht
Erste KaSZ
0,75 M A
50 mm
RA
Ströme verträgt
Pat. nicht
Erste KaSZ
1,5 M A
Direkt;
ML. vastus
externus
M. rectus
femoris
M. tibialis
anticus
>1. peroneus
longus
M. gastrocne-
mius int.
98 mm
RA
94 mm
RA
Keine Re-
aktion bei
50 mm
RA
98 mm
RA
70 mm
RA
KaSZ 1,25 MA
AnSZ 3,75 M A;
Kontraktionen
rasch und kurz
Ka S Z 2,5 M A
AnSZ 2,0 MA;
Kontraktionen
trägo
Keine KaSZ bei
4,0 MA; AnSZ
3,0 M A; Kontrak-
tionen ausgeprägt
träge
Ka S Z 2,0 M A
AnSZ 1,75 M A;
Kontraktionen
träge
liaSZ 1,25 M A
AnSZ 1,75 MA;
Kontraktion, nicht
ganz rasch u. kurz
65 mm ■ Ka S Z 3,0 M A
RA ; AnSZ 3.5 M A.-
Kontraktionen
träge .
64 mm 1 Ka S Z 3,5 M A
RA I AnSZ 2,25 MA;
! Kontraktionen
trüge
.50 mm - KaSZ 2,75 MA
RA i AnSZ 2,5 MA;
(bündelw. Kontraktionen
Kontrak- träge
tionen)
70 mm KaSZ 3,25 MA
RA AnSZ 3,0 MA;
Kontraktionen
träge
80 mm i KaSZ 1,5 MA
RA i AnSZ 2,5 MA;
I Kontraktion, nicht
I ganz rasch a. kurz
M. triceps
brachii
80 mm
RA
Ka S Z 0.5 M A
AnSZ 2,0 MA;
Kontraktionen
rasch und kurz
85 mm
RA
Ka S Z 0,5 M A
AnSZ 1,5 MA:
Kontraktionen
rasch und kurz
uud subacuta s. chronica. 34/
Put. lag beobachtuDgshalber bis zum 10. Juni 1904 auf der Klinik.
Seit dem Februar verblieb der Zustand wesentlich unverändert. Eine Tendenz
zum Zurückgehen der Lähmung oder der Atrophie war nicht zu spüren, aber
auch kein entschiedenes Fortschreiten derselben. Schmerzen oder Par&sthesien
kiiraen nicht vor.
In Kürze zusammengefasst enthillt diese Krankengeschichte
folgendes: Ein 54jähriger, neuropathisch nicht belasteter Mann,
welcher im allgemeinen sich einer guten Gesundheit erfreut hat,
wird von einer allmählich eintretenden Schwäche und Atrophie
der Muskeln des rechten Oberschenkels und darauf des Unter-
schenkels ergriffen, einige Monate später werden dieselben Ver-
änderungen um linken Beine und dann auch an den Armen und
dem Rumpfe beobachtet. Die Lähmung ist mit fibrillären Muskel-
zuckungen verbunden. Mit Ausnahme eines schon früher nach einer
schweren Erkältung entstandenen Schmerzes im Kreuz, welcher
später wieder verschwand, finden sich keine subjektiven Sensi-
bilitätsstörungen.
Die Lähmung ist schlaff. Die Atrophie ist au den unteren
Extremitäten besonders hochgradig in den proximalen Teilen; an
den oberen Extremitäten ist sie weniger hervortretend und gleich-
massiger verbreitet. Au den oberen Extremitäten werden fibrilläre
Muskelzuckungen beobachtet. Im allgemeinen wird in den ge-
lähmten Muskeln ausgeprägte EaK nachgewiesen. Die Sehnen-
reflexe sind aufgehoben. Die Sensibilität in jeglicher Hinsicht
völlig erhalten.
Das oben gezeichnete klinische Bild stimmt mit der Be-
schreibung überein, die Duchenne von seiner Paralysie spinale
ant^rieure subaigue gegeben hat. Alles scheint dafür zu sprechen,
dass in diesem Falle eine Poliomyelitis vorliegt. In differeutial-
diagnostischer Beziehung kommen in Betracht die multiple Neuritis,
die progressive Muskelatrophie und auch die amyotrophische
Lateralsklerose.
Gegen die Annahme einer multiplen Neuritis lässt sich
hier speziell die Lokalisation der Lähmung und der Atrophie an-r
fuhren wie auch das Fehlen subjektiver und objektiver Sensi-
bilitatsstörungen in den Extremitäten und der Druckempfindlich-
keit über den Nervenstämmen. Die Bedeutung dieser Momente
ist früher bei der Besprechung der akuten Poliomyelitis hervor-
gehoben worden, es wird daher auf das dort Angeführte ver-
wiesen. Gegen eine Polyneuritis und zugunsten einer Poliomyelitis
spricht ferner ziemlich bestimmt das Vorkommen fibrillärer Muskei-
zuckungen. Diese finden sich so gut wie nie bei Polyneuritis.
348 Lövegren, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
Was die progressive Muskelatrop hie betrifft, so lässt
sich auch gegen sie die Lokalisation der Lähmung und Atrophie
anfuhren. Bei dieser Krankheit werden bekanntlich, gewöhnlich
die oberen Extremitäten (meist zuerst die kleinen Handmuskeln)
ergriffen und die unteren Extremitäten verbleiben in der grossen
Mehrzahl der Fälle frei oder werden erst spät ergriffen. Nur in
seltenen Ausnahmen ist eine in den unteren Extremitäten be-
ginnende Atrophie beobachtet worden. Ferner ist bei der pro-
gressiven Muskelatrophie der Verlauf bedeutend schleppender, und
die Atrophie geht der Lähmung voraus.
Von einer typisch verlaufenden amyotrophischen Lateral*
Sklerose unterscheidet sich der oben beschriebene Fall vornehm-
lich durch das Fehlen spastischer Phänomene, durch das Er-
löschen der Sehnenreflexe und auch durch die Lokalisation.
Aus dem, was die objektive Untersuchung in diesem Falle
an die Hand gibt, verdient das Verhalten der elektrischen Reaktion
besondere Erwähnung. In den gelähmten Muskeln liessen sich
im allgemeinen ausgeprägte qualitative Veränderungen (träge
Zuckungen, An S Z > Ka S Z) nachweisen. Jedoch nicht in allen.
So verlief die Reaktion im rechten M. vastus externus qualitativ
und im Wesentlichen auch quantitativ normal. Die Herabsetzung der
Erregbarkeit stand auch nicht immer im Verhältnis zur Funktions-
störung. Derartige Erfahrungen machten auch Oppenheim (5, 7)
und Nonne (6) in ihren durch die Sektion beglaubigten Fällen.
Das von Rosenberg (19) betonte Verhalten, dass bei der Polio-
myelitis die Reaktions Veränderungen der Muskeln auf den elek-
trischen Strom parallel gehen mit dem Grade ihrer Funktions-
störungen, ist somit bei der subakuten oder chronischen Poliomyelitis
nicht als durchgängig zutreffend anzusehen.
Ein pathologisch-anatomisch untersuchter FalP).
D. V., 68 jähriger, ehemaliger Kutsclior. AufDahme iD8 Lazarett des
Helningforser Armenhauses am 10. XL 1900.
Anamnese: Pat. ist uicht nenropathisch belastet. Er hat sich stets
einer guten Gesandheit erfreut. Lues wird vorneiDt. Nie Alkoholmissbraach.
Gegen den Fröhiing 1900 begann Pat. ohne bekannte YoranlassuDg
eine Schwäche in den Händon zu empfinden, die sich u. a. darin äusserte^
>) Dieser Fall ist von Herrn Dozenten Dr. Jarl Hag eis tarn beob-
achtet worden, der mir die Krankengeschichte zur Verfüguag stellte und
das pathologisch -anatomische Material zur Untersuchung überliess. Ich er-
laube mir nochmals, Herrn Dr. Hawelstam meinen verbindlichen Dank dafar
auszusprechen.
und subacuta s. chronica. 349
<la8a es ihm schwer wurde, sich an- und auszukleiden. Im Anfang des Sommers
bemerkte er eine dann allmählich zunehmende Abmagerung der Händo, deren
Kraft stetig im Abnehmen begriffen war. Gegen den Spätsommer wurde es
Fat. schwierig, deutlich zu sprechen. Etwas später gesellten sich Schling-
beschwerden hinzu; es stellten sich während des Essens leicht Hustenanfälle
«in. Gegen den Herbst hin begannen auch die Beine sich etwas schwächer
zu zeigen.
Blasenstörungen kamen nicht vor.
Fat. war weder Erkältung noch Traumen ausgesetzt gewesen. Er hat
28 Jahre als Kutscher gedient und hierbei die Arme und Hände viel an-
strengen müssen. Sonst war seine Arbeit nicht anstrengend gewesen, und er
hat keinerlei Entbehrungen gelitten, sondern sich verhältnismässig gut ge-
standen.
Status im November 1900: Fat. ist äusserst abgemagert. Haut und
Schleimhäute blass.
Von selten der inneren Organe nichts Bemerkenswertes. Harn
eiweiss- und zuckerfrei.
Gesichtsausdruck schlaff, gedrückt. Die Mundwinkel etwas herab-
gezogen. Die Lippen dünn, können nicht zum Ffeifen gespitzt werden.
Die Zunge kann vorgestreckt werden, sie ist auffallend atrophisch
und schlaff. Speichelsekretion nicht vermehrt. Das Gaumensegel kontra-
hiert sich normal. Die Sprache äusserst undeutlich. Das Schinckcn sehr
erschwert, im Anschluss daran häufig Hustenparoxysmen.
Die Stirn wird gerunzelt und die Augen normal geschlossen, im übrigen
— ausser den oben erwähnten — auch keine Störungen im Funktionagobiete
der Gerebrainerven.
Die Fupillen reagieren auf Licht.
Die Muskulatur der Schultern, Arme und Hände stark atrophisch
und schlaff. Die Atrophie tritt besonders an den Händen hervor, wo der
Thenar und Hjpothenar nahezu geschwunden sind. Die Finger der rechten
Hand sind im letzten Interphalangealgelenk flektiert, sie können nicht ge-
streckt werden. — Die Muskulatur der unteren Extremitäten gleichfalls be-
deutend reduziert, schlaff; eine speziell in einzelnen Muskeln oder Muskel-
gruppen ausgeprägte Atrophie ist nicht vorhanden.
Die Sehnen- und Feriostreflexe tfn den Armen schwach, aber
deutlich hervortretend. DieFatellarreflexe lebhaft, erhöht. Kein Fussclonus.
Die Sensibilität überall völlig normal.
Die Blasen funktion ungestört.
Der Gang ist paretisch ohne spastische Fhänomene. Die Füsse werden
beim Gehen hoch gehoben.
In den folgenden Monaten schritt die Lähmung und Muskelatrophie
stetig fort.
Am 10. Februar 1901 wurde folgendes verzeichnet: Hochgradiger
Verfall der Kräfte. — Die Sprache fast unverstandlich. — Die Respiration
erschwert; die Halsmuskeln werden dabei stark gespannt, desgleichen der
M. pectoralis major. — Fat. hat in den letzten Tagen kaum etwas Nahrang
herunterschlucken, auch nicht liegen können, da sich hierbei Hustenparoxysmen
«instellten. — Fat. kann nicht ohne Unterstützung gehen, er hebt dabei die
Fasse hoch vom Boden. Er sitzt und geht stark vornüber gebeugt; der
350 Lövegren, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
Kopf kann nicht aufrecht gehalten werden, sondern sinkt auf die Brust hinab.
Die Nackenmuskeln, sowie beide Mm. deltoidei äusserst atrophisch.
Am 17. Februar starb Pat. unter den Symptomen von Pneumonie.
Die Sektion wurde 25 Stunden post mortem im pathologisch-anato-
mischen Institute vorgenommen.
In beiden unteron Lnngenlappen fanden sich mehrere bronchopneumo-
nische Herde.
Am Aortenbogen fanden sich in der Intima einige kleine sklerotische
Flecke. Im übrigen zeigten die Gefässe — auch die an der Hirnbasis —
keine bemerkenswerten Veränderungen.
Die atrophischen Muskeln an den Armen von einer mehr oder weniger
blassen, roten Farbe. Die Nervenstfimme nicht merkbar verändert.
Die Ruckcnniarkshäute von gewöhnlicher Beschaffenheit. Die Vorder-
wurzeln im Cervikal- und Dorsalmark dünn, von gräulicher Farbe. Die
Hinterwurzeln unverändert. Beim Einschnitt ins IV. DS. findet man die
rechte graue Vordersäule desselben zum grösseren Teile von einem mit dunner,
fast klarer Flüssigkeit erfüllten Hohlräume eingenommen. Das Cervikal- und
Lumbalniark zeigen in Querschnitten makroskopisch nichts Bemerkenswertes.
Das Ependym in den Seiten Ventrikeln des Gehirns zeigt flecken weise
ein etwas muttos Aussehen. Sonst von Seiten des Gehirns und seiner Häute
nichts Bemerkenswertes.
Behufs mikroskopischer Untersuchung wurde das Rückenmark in
Zenkcrschcr Flüssigkeit gehärtet. Zugleich wurden Stücke des Cervikal-,
Dorsal- und Lumbaimarks in Alkohol zur Untersuchung nach Nissl und in
Müllersche Flüssigkeit gelegt. Die Medulla oblongata wurde in Müller-
scher Flüssigkeit gehärtet, mit Ausnahme des unteren Teiles derselben,
welcher nebst verschiedenen Partien der Zentralwindungen beider Hirn-
hemispbären und des Lobulus paracentralis (die motorischen Zentren für das
Gesicht, die Finger, die Hand und das Bein) zur Untersuchung nach Nissl
mit Alkohol behandelt wurde. In Müllerscher Flüssigkeit wurden gehärtet
die Nn. ulnaris, medianus, tibialivS und peroneus, bowie verschiedene Muskeln
(Thenar, Hypothenar, die Flexoren und Extensoren der Unterarme, Biccps
und Triceps brachii, die hinteren Muskeln der Schenkel, die Peroneal- und
Wadenmuskeln). — Die Einbettung geschah in Celloidin.
Für das zentrale Nervensystem kam zur Anwendung Färbung mit
Methylenblau nach Nissl, mit Hämatoxylin, mit Hämatoxylin- Pikrinsäure
nach van Gieson, sowie Weigerts Hämatoxylin-Markscheidenfärbung. Da-
nebon wurden einige Schnitte versuchsweise nach der von Rissler*) an*
gewandten Methode mit Tannin-Eisenchlorid gefärbt.
Die peripheren Nerven wurden mit Hämatoxylin, mit van Gieson scher
Lösung und nach Weigert gefärbt.
Für die Muskeln wurde Färbun^^ mit van Gieson scher Lösung und
mit Ehrlichs saurem Hämatoxylin benutzt.
Mikroskopischer Befund: Rückenmark. Im Cervikal-, Dorsal-,
dem unteren Lumbal- und oberen Sakralmarke findet sich in der grauen
Vordersäule des Rückenmarks besonders rechts ausgeprägte Atrophie der
1) llissler, John, Nord. med. arkiv. Bd. XX. No. 22. S. 30.
and subacuta s. chronica. ^JÖl
Ganglienzellen und zugleich in gewissen Höhen hochgradige Karefikation
des Nerven fasern etzes. (S. Taf. I, Fig. 1.)
Die Ganglienzellen haben zum grössten Teil nicht nur ihre normale
Grösse, sondern auch ihre polygonale Form und ihre Struktur verloren. Sie
sind abgerundet, ohne Kern, oder wenn siü einen solchen besitzen, so ist er
h&ufig peripher gelegen. Die Tigroidsubstanz ist mehr weniger voUstäodig
zerfallen; meist ist dieser Zerfall im Zentrum der Zelle am stärksten aus*
geprägt (s. Taf. 11, Fig. 6). Die Ausläufer der Zellen sind meistens ver-
schwunden. In verschiedenen Höhen des Rückenmarks, speziell aber in der
Cervikal- und Lumbalaoschwellung, finden sich Ganglienzellen, deren Substanz
teilweise oder gänzlich in Pigment verwandelt ist (s. Taf. II, Fig. 6 — 12).
In der LumbalanschwcUung, wo sich recht zahlreiche, zum grossen Teil
wohlerhaltone Ganglienzellen finden, sieht man in vielen derselben neben
einer zierlich gezeichneten, normalen Tigroidsubstanz eine Anhäufung von
Pigment.
Die Degeneration der Ganglienzellen ist nicht in allen Höhen de»
Ruckenmarks gleich hochgradig und gleich verbreitet. In den beiden oberen
Cervikalsegmenten finden sich neben einer grossen Zahl degenerierter Zellen
Uicht wenige von normalem Aussehen. Vom III. CS. abwärts sind die
Veränderungen stark ausgeprägt. Ausserordentlich hochgradig affiziert sind
speziell das VIII. CS. und das I. DS. Es sind auffallend wenige und
kleine Zellen vorhanden, die meisten haben ihre Ausläufer und viele uiicb
ihren Kern verloren. Von einigen Zellen ist nur eine strukturlose, klumpige
Masse zurückgeblieben.
Die Atrophie ist nicht uut eine gewisse Gruppe von Ganglienzellen
beschränkt, so ädern über das ganze Vorderhorn verbreitet; gleichwohl findet
man, dass im oberen Cervikalmark speziell die in der vordersten Partie
der Vorderhurner gelegenen Zellen angegriffen sind, während im unteren
Cervikalmark die Atrophie vorzugsweise die postero-ezternen Teile diese»
Hernes betrifft. Zwischen stark veränderten Zellen sieht man hier und da
vereinzelte recht wohl erhaltene (s. Taf. II, Fig. 8). Im ganzen Dorsalmark
finden sich dieselben Veränderungen, wenngleich etwas weniger ausgeprägt.
Im Lumbaiteile sind einigoZcllen degeneriert (s. Taf. II, Fig. U u. 12), die meisten
jedoch wohlerhalteu. So findet man in N i s s 1 - Präparaten vom III. LS. zahl-
reiche, an Grösse und Form normale Ganglienzellen, in denen die Niss Ischen
Zellkörperchen, Kerne und Ausläufer keine pathologischen Veränderungen
zeigen. Die Vorderhörner des oberen Sakralmarks sind sehr ;irm an
Ganglienzellen und die vorhandenen sind zum grössten Teil beträchtlich
degeneriert.
Die Rarefikation des Nervenfasernetzes tritt speziell im Cervikalmark
hervor, wo sie in der Anschwellung besonders hochgradig ist (s. Tafel 1,
Fig. 1). Auch die vordere Kommissur zeigt mehrfach und speziell im Cer-
vikalmark deatlichen Faserausfall (s. Tafel 1, Fig. 3).
Von anderen Bestandteilen der Vorderhörner verdienen die Gefässe
besondere Beachtung. Eine Gefäss Vermehrung findet sich nur im IV. l)S.,
dessen Veränderungen unten beschrieben werden, sonst nirgends. Die Gefäss-
wände sind im allgemeinen nicht verändert. In verschiedenen Höhen de»
Rückenmarks und besonders im oberen Dorsalteile begegnet man indessen
sowohl in den Vorder- als in den Hinterhöinern und der weissen Substanz.
362 Lövegren, Zur Kenntnis der Poliomyelitis anterior acuta
-einigen kleineren Gefässen, deren Wände gleich massig verdickt nnd in nach
y. Gieson hergestellten Präparaten stark rot gefärbt sind, und die ein fast
strukturloses, homogenes Aussehen zeigen. In der Umgebung dieser Gefässe
ist die Gliahülle hier und da aufgelockert und stellenweise in geringer Ans-
ilehnung selbst zerfallen. Infiltration in den Gefässwänden oder periTaskalär
ist nirgends nachzuweisen. Mehrfach findet sich in der Umgebung der
befasse eine recht beträchtliche Ansammlung körniger Lymphe.
^ Die Vorderhörner als Ganzes zeigen im allgemeinen keine merkbaren
Veränderungen in Bezug auf Form und Grösse. Im VI. DS. weicht gleich-
wohl die Form der beiden Vorderhörner insofern von der Norm ab, als der
vordere Teil ihres Caput sehr schwach entwickelt ist. Im übrigen lassen
sich keine für diese Homer spezifischen Veränderungen nachweisen, die um-
gebende weisse Substanz ist normal.
Im IV. DS. befindet sich der oben erwähnte Hohlraum in der rechtea
Vordersäule (s. Tafel I, Fig. 5). Auf Querschnitten nimmt derselbe fast das
ganze Vorderhorn ein und greift etwas auf die Basis des Hinterhornes hin-
über. Die Höhle wird so gut wie überall von grauer Substanz begrenzt,
welche sie wie ein schmaler Saum von der weissen Substanz trennt. Nor
stellenweise ist im Bereiche der Höhle die graue Substanz völlig ausgehöhlt,
so dasB hier die Grenze von der weissen SubvStanz gebildet wird. Der noch
erhaltene schmale Streifen der grauen Substanz ist in dem gegen die Höhle
gerichteten Teile etwas aufgelockert und mehrfach blutig infiltriert. Stellen-
weise geht die Auflockerung durch die ganze Breite des Streifens. An vielen
Stellen bemerkt mau daselbst überhaupt keine Auflockerung. Es sind nur
wenige, stark degenerierte Nervenzellen vorhanden, die Nervenfasern erscheinen
in den Präparaten nur als kurze, gleichsam abgehauene Stümpfe. In dem Teile
der grauen Substanz, welcher die hintere Partie der Höhle zunächst umgibt,
finden sich im wesentlichen dieselben Veränderungen. In der Gegend Tor
dem Zentralkanule und zu den Seiten desselben finden sich in gewissen Höhen
dieses Segments, aber nicht in allen, einige beträchtlich erweiterte Blnt-
gefässe mit dünnen Wänden. Im linken Vorderhorne sind alle Nervenzellen
mehr oder weniger hochgradig affiziert und das Nervenfasernetz rarefiziert;
die Nervenfasern treten auch hier als kurze, gleichsam abgehauene Stümpfe
hervor. In diesem Hörne sind die Gefässe deutlich vermehrt, speziell gegen
die Basis hin, wo sich auch einige kleine frische Blutungen finden. £inige
der Zellen in den Clark eschen Säulen zu beiden Seiten sind degeneriert,
die meisten erscheinen normal. Von den solitären Zellen der Hinterhörner
ist ein Teil leicht degeneriert. — In den Hinterhörnern hier und da ein
grösseres, erweitertes Blutgefäss mit dünnen Wänden, sowie vereinzelte
kleine, frische Blutungen. Die Wände der kleineren Gefässe sind in diesem
Segment, wie auch sonst stellenweise im Rnckenmarke, etwas verdickt. Der
Zentralkanal ist in verschiedenen Höhen des Segments bald obliteriert, bald
offen; er kommuniziert nirgends mit dem Hohlräume im rechten Vorder-
horne. — Die Vorderseitenstränge zeigen in diesem Segment vor und zu den
Seiten der Vorderhörner einen gewissen Fascrausfall; die Gliabalken sind
hier etwas verdickt. Sonst lassen sich in der weissen Substanz keine Ver-
änderungen nachweisen.
Im übrigen Teile des Rückenmarks sind die Veränderungen, wie
erwähnt, ausschliesslich auf die Vorderhörner beschränkt. Die Hinterhörner
dnd subacuta s. chronica. 363
zeigen keine krankhaften Veränderungen. Aach .in diesen findet sich die
•ine oder andere Nervenzelle, welche zwar Pigment entb<, aber sonst im
wesentlichen intakt ist In der weissen Substanz finden sich keine nachweis-
baren Veränderungen.
Die intramedullären Vorderwurzeln sind meistenteils atrophisch; inehi'-
fach zeigen sich die Myelinscheiden in denselben in Zerfall begriffen. — Die
Pia mater zeigt nichts Bemerkenswertes.
Die extramedallären Vorderwurieln des Rückenmarks, welche ver-
schmälert sind, zeigen bei der mikroskopischen Untersuchung meistens deut-
lichen Faserausfall. Sie enthalten gleichwohl eine recht grosse Anzahl
Nervenfasern, von denen ein Teil stark verschmälert ist. Auf Li^ngsscbnitten
erscheint die Mjelinscheide mehrfach in Klumpen zerfallen. — In den Hinter-
wurzeln sind keine Veränderongen nachzuweisen.
Die untersuchten peripheren Nerven zeigen sich im ganzen recht
massig verändert. Im N. median us fand sich deutlicher, aber nicht hoch-
gradiger Faserausfall; die Nervenfasern sind teilweise verschmälert. Im
N. nlnaris ist der Schwund der Nervenfasern bedeutend grösser« Der
N. peroneus und besonders seine Mnskelzweige zeigen, speziell auf der
rechten Seite, recht beträchtlichen Ausfall von Nervenfasern. Auch im
N. tibialis ist ein Teil der Fasern geschwunden. Auf Längüschnitten sieht man
in den verschiedenen Nerven mehrfach klumpigen Zerfall der Myelinscheiden.
Zwischen den Nervenbündeln findet sich eine recht grosse Menge Fettgewebe
eingelagert. Nirp^ends iässt sich eine Zellinfiltratien konstatieren. Die Ge-
fässe zeigen nichts Bemerkenswertes.
Von den mikroskopisch untersuchten Muskeln zeigen die des Thenar
und Hjpothenar beträchtliche Veränderungen. Die Muskellasern sind meistens
hochgradig atrophisch, die Muskel kerne vielfach vermehrt. Daneben trifft
man speziell in den Muskeln des Hypothenar eine recht grosse An/.ahl im
Querschnitt abgerundeter, hypervoluminöstir Fasern. Die Querstreifung ist
meistens erhalten, aber in vielen Fasern gleichwohl mehr weniger verwischt.
Mehrfach begegnet man Faisern, welche teilweise in eine kömige Masse zer-
fallen sind oder ungefärbte Flecke von einem fast homogenen, strukturlosen
Aussehen zeigen. Der Zerfall der Muskelfasern betrifft teils ihren ganzen
Durchschnitt, teils nur die peripheren Partien derselben. Stellenweise
scheint das Muskelgewebe gänzlich untergegangen und durch Fettgewebe
oder lockeres Bindegewebe ersetzt zu sein. Die Bindegewcbsbalken sind
im allgemeinen verdickt. Die Gefässe bieten nichts Bemerken«<wertes. Die
intramuskulären Nerven zeigen bedeutenden Faserausfall; in Mehreren der-
selben findet man nur noch die eine oder andere Nervenfaser erhalten. Im
wesentlichen dieselben Veränderungen finden sich in den Muskeln der Unter-
und Oberarme, wenngleich sie hier weniger ausgedehnt sind. An den unteren
Extremitäten ist die degenerative Atrophie in der hinteren Muskelgruppf)
der Oberschenkel nur massig. An den Unterschenkeln sind die Mm. peropei,
speziell der rechten Seite, stark verändert, die Wadenmuskeln sind weniger
affiziert.
Der Befund an derMednlla oblongata, welche an grossen Schnitt-
serien untersucht wurde, ibt folgender: Im Accessoriuskerne sind ' die
Ganglienzellen an Zahl etwas herabgesetzt und zum grossen Teil atröfThlsch.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 2. 23
364 Lövegren, Zar Kenntnis der Poliomjelitis anterior acata
Die Zöllen im HypogloBsuskerne sind weniger sahireich als normal und
im allgemeinen klein. Die meisten dieser Zellen sind abgerundet, besitsen
einen Kirn, haben aber spärliche oder gar keine Fortsfttze. Vielfach begegnet
man Zellen, die sowohl Forts&tze als Kern yerloren haben und von denen
nor rundliche oder anregelmässig geformte klnmpige Massen übrig sind.
Nor recht wenige wohlerhaltene, grosse polygonale Zellen mit reichlichen
AnsläuferA sind vorhanden. Das Nerven fasern etz und die vom Kern aas-
gehenden Warzelfasern erscheinen reduziert. Im oberen Teile des Naclens
ambigauA zeigen die Zellen deutliche, wenngleich nicht sonderlich hoch-
gradige degenerativo Veränderungen. Der Facialiskern ist in seinem
unteren Teil auffallend arm an Zellen« Nur die eine oder andere Zelle er-
scheint wohlerhalten; die meisten sind mehr oder weniger degeneriert, einige
teigen sich als fortsatz- und kernlose Klumpen. Das Nervenfasernetz ist
beträchtlich rarefiziert. -^ Die Pyramiden bahnen zeigen keine Ver
änderangen» Auch in den übrigen Teilen des verlängerten Marks ist nichts
Pathologisches nachzuweisen. Die Gefässe sind im allgemeinen normal; hier
und da begegnet man gleichwohl Gefässen mit etwas verdickten Wänden. —
In den ettrameduliären Wnrzeln des N. hypoglossus besteht deutlicher
FasefHusfall.
In den nach Nisslb Methode untersuchten Partien der motorischen
Zone der Gehirnrinde zeigen die Nervenzellen im allgemeinen ein
normales Ausseben. Kinige Pyramidenzellen sind teilweise chromatoly tisch.
Hier und da trifft man auch Zellen, welche eine grössere oder geringere
Menge Pigment enthalten, sonst aber meistens wohlerhalten sind; in Präparaten
vom Lobulus paracentralis sieht man vereinzelte, gänzlich in Pigment ver-
wandelte, kern- nnd fortsatzlose, abgerundete Zellen.
In mit Gentianaviolett und Löfflers Methylenblaa gefärbten Präpa-
raten aus GervikaU, Dorsal- und Lumbaimark, sowie Medulla oblongata
konnten keine Bakterien nachgewiesen werden.
Die Hauptzüge des klinischen Bildes im oben be-
schriebenen Falle sind folgende:
Bei einem 68jährigen, hereditär nicht belasteten Manne, der
sich stets einer guten Gesundheit erfreut hat, tritt ohne bekannte
Veranlassung Schwäche in den Bewegungen der Finger ein. Zwei,
drei Monate darauf beobachtet man beginnende Atrophie der
Muskulatur an den Händen. Die Parese und Atrophie nehmen
hierauf stetig zu und verbreiten sich nach oben über die Arme
und Schultern, eine Kontraktur entwickelt sich in den letzten
Interphalangealgelenken der rechten Hand. Vier oder fünf Monate
nach Beginn der Krankheit wird die Sprache erschwert, und einige
Zeit darauf gesellen sich Schlingbeschwerden hinzu. Im Yer-
breitungsgebiete des N. hypoglossus und des unteren Facialis-
zweiges äussern sich Parese und Atrophie. Parese und Atrophie
treten dann auch in den unteren Extremitäten ein, und schliesslich
werden die Rucken- und Nackenmuskeln ergriffen. Die Sensibilität
and snbacnta 8. chronica. So5
ist völlig erhalteD. Die Sehnen- und Periostreflexe an den oberen
Extremitäten sind deutlich, aber nicht Terstärkt. Die Patellar-
reflexe sind erhöht. Kein Fussclonas. Keine spastischen Phäno-
mene. Nie Blasen- oder Defäkationsstörungen. Schliesslich
Lähmung der Respirationsmuskeln, Bronchopneumonie. Exitus
etwa elf Monate nach Beginn der Erkrankung.
Die klinische Diagnose wurde auf eine subakute Polio-
myelitis gestellt und durch die pathologisch-anatomische
Untersuchung bestätigt.
Die wesentlichen Veränderungen fanden sich in den Vorder-
hörnern des Ruckenmarks und bestanden in einer in gewissen
Höhen stark ausgeprägten Degeneration der Nervenzellen und
stellenweise einer Rarefikation des Nervenfasernetzes. In der
lileduUa oblongata wurde Degeneration in den Accessorius-,
Hypoglossus- und Facialiskernen, wie auch im vorderen Teile des
Nucleus ambiguus nachgewiesen. Einige Ganglienzellen in den
Vorderhörnern waren pigmentös degeneriert, desgleichen einige
Zellen in der motorischen Zone der Gehirnrinde, die sonst keine
Veränderungen darbot. Die Hinterhömer und die weisse Substanz
waren im allgemeinen nicht affiziert. Sowohl in den Vorder-
hörnern als auch in anderen Teilen des Rückenmarks Hessen sich hier
und da Gefasse mit verdickten Wänden, mehrfach von homo-
genem Aussehen, nachweisen. In der Umgebung des einen oder
anderen Gefässes erschien die Gliahülle aufgelockert. Eine Ver-
mehrung und teilweise Erweiterung der Gefässe fand sich nur in
Teilen des IV. DS., dessen rechte Vordersäule von einem Zerfalls-
herde eingenommen war, und in dem auch leichte Veränderungen der
Hinterhömer und Vorderseitenstränge vorhanden waren. In diesem
Segment fanden sich auch kleine Blutungen. Nirgends war in
der Umgebung der Gefässe Rundzelleninfiltration zu sehen. Es
muss speziell hervorgehoben werden, dass Gefässveränderungen
im grösseren Teile des Rückenmarks fehlten oder ganz unbedeutend
waren. Die im VI. DS. gefundene Abweichung der Form der
Vorderhömer ist wohl als eine kongenitale Entwicklungsanomalie
za betrachten. In den vorderen Wurzeln und Nervenstämmen
fand sich deutliche, aber nicht hochgradige Atrophie. Die Muskeln
zeigten teils einfach atrophische, teils degenerativ atrophische
Veränderungen und eine recht geringe Fetteinlagerung.
Was das Verhältnis zwischen der Affektion des Rückenmarks und
den Veränderungen in den peripheren Nerven und Muskeln betrifft,
23*
856 LöTegren, ZurJC/^qnlnU der PolMcrny^liUs anterior acuta
6)0 kann hier ^ohl kein Zweifel darüber herrschen, daas die RueMn-
marksaffektion di^s Wesentliche und Primäre war. Der Befund. ai»
den peripheren Nerven und. dem Rückenmark ist ein derartiger,
dass eine periphere Neuritis mit Sicherheit ausgeschlossen werdeo
kann.
Wie aus der Beschreibung des mikroskopischen Befunden
hervorgebt, zeigt sich die weisse Substanz im allgemeinen intakt^
und speziell fanden sich weder im Ruckenmark, noch im ver-
längerten Mark nachweisbare Veränderungen der Pyramidenbalinen.
Wir haben es in diesem Falle mit einer im wesentlichen reinen
Affektion der Vorderhörn er, einer Poliomyelitis anterior subacuta
zu tun.
Pathogenese und Ätiologie.
Die charakteristischste, in vielen Fällen die einzige patho-
logisch-anatomische Alteration im Rfickenmarke bei der subakuten
Poliomyelitis ist die ausgeprägte Atrophie der Nervenzellen der
Vorderhörner. Wie ist diese Atrophie entstanden? Ist sie primär
oder ist sie nur die sekundäre Folge von Veränderungen im
interstitiellen Gewebe? Wir haben also hier dieselbe pathogenetische
Frage zu beantworten," wie bezüglich der akuten Poliomyelitis.
Das spärliche Material zur Lösung der Frage scheint zu zeigen,
dass in vielen Fällen eine primäre Nervenzellenaffektion an-
zunehmen ist, während in anderen die Gefassveränderungen den
Ausgangspunkt zu bilden scheinen.
In dem von mir untersuchten Falle sind die Nervenzellen
anscheinend primär ergriffen. Die in den Gefässen hie und da
gefundenen Veränderungen können jedenfalls nicht die ausgedehnte
Zellenatrophie in den Vorderhörnern des Rückenmarkes und der
Mcdulla oblongata erklären. Die Alteration der Gefässwunde,
die nicht nur in den Vorderhörnern, sondern auch in den übrigen
Teilen des Rückenmarkes vorkam, ist wohl zu den Alters-
veränderungen zu zählen. Es ist möglich, dass diese Gelass-
vefänderungen die Entstehung der Zellendegeneration ein wenig
begünstigt haben. Insbesondere ist die Bedeutung derselben hei
der Beurteilung der im IV. DS. gefundenen Veränderungeti nicht
auszuschliessen.
'^ 'Der 4n 'der rechten grauen Vordersäüte hier vorhnndene
Hohlraum 'i»t nllem Anschein* nach die Fd<^e eines Erweichirngs-
pe^izesses-,:: dfei^ J vv^hl ' teüvt^ei^e von lokaleu Zirkulationsstörungen
fitibftngig' war^/i Db iiiei:bei,r wie für die Artffussj^ngjde^: s-tell^«-
- and subacata s. ohroniea. . 357
wBige nachgefwiesenen Zerfalls in der perivaskulären Gliahülle,
speziell eine Lymphstauang in Frage kommen kann,, lässt sich
nicht entscheiden« Die ausserste und wesentliche Ursache diesem
Veränderungen ist vermatlich dieselbe gewesen, die auch in deii
übrigen Stäben des Rückenmarkes der Vorderhornläsion zu-
grunde lag.
Die kleinen Blatüngen, die in geringer Zahl in der grauen
Substanz vorhanden waren, sind wohl als kurz vor dem Tode
entstanden zu betrachten. Der Tod trat hier unter schweren
Respirationsstorungen ein^ was ja das Entstehen dieser kleinen
Hämorrhagien leicht verständlich macht.
Die in diesem Falle stellenweise stark ausgeprägte pigmentöse
Degeneration der Nervenzellen ist eine im hohen Alter ge-
w5hnliche£rscheinung, die von mehrerenAutoren[Sander(14)u. A.]
beschrieben worden ist.
So viel ich weiss, ist eine flöhlenbildung von der Art and
dem Umfang, wie im oben beschriebenen Falle, früher bei der
subakuten oder chronischen Poliomyelitis nie beobachtet worden.
Einen Fall von chronischer Poliomyelitis und gleichzeitiger
i^yringomyelie publizierte Rossolimo (16), der einen gewissem
Zusammenhang zwischen diesen beiden Affektronen anriimmt.
Rossolimo konstatierte das yorhandensein eines gliösen Pro-
zesse^, der das Gebiet der hinteren Kommissur und Teile der
Hinterstränge des ganzen Gervikal- und oberen Dörsalmarks umv
fiasstei und mit Höhlenbildung einherging. Daneben bestand im
ganzem Ruckenmarke eine ausgesprochene Atrophie der multi-
polaren Nervenzellen und des Fasernetzes der Yorderhörnqr, so-
wie Atrophie der vorderen Wurzeln; zugleich fand sich Wucherung
der Gliafasern und der Spinnenzellen — Es ist ohne weiteres klar;^
dass in meinem Falle die Höhlenbildung von ganz anderer Natur
ist; hier kann wohl von einer wahren Syringomyelie nicht die
Rede sein.
Die Ätiologie der subakuten oder chronischen Polio-
myelitis ist fast vollständig unbekannt. Die Heredität erweist
sich ohne Bedeutung. Die Krankheit scheint vorzugsweise ältere
Personen zu ergreifen, aber auch jüngere und sogar Kinder (Erb [16],
Hoffmann [!?])• Einige interessante Beobachtungen von Erb (18)
scheinen für eine traumati&che Ursache zu sprechen. In dem von
mir nur klinisch beobachteten Falle war Pät. einige Monate vor der
Erkrankung einer schweren Erkältung ausgesetzt. Ob diese
doch mit der Entstehung der Poliomyelitis in Zusammenhang
368 LöTegren, Zar Kenntnis der Poliomjelitis anterior acaU
gebracht werden kann, bleibt natQrlicherweise unentsclüedexi.
In dem pathologisch-anatomisch untersuchten Falle war keine
Ursache zu ermitteln. In Schnittpräparaten aus verschiedenen
Höhen des Rückenmarks und aus der Medulla oblongata konnten
Bakterien nicht nachgewiesen werden.
Meinem hochverehrten Lehrer, Professor Dr. E. A. Hom^n,
bitte ich auch an dieser Stelle meine tiefgefühlte Dankbarkeit
bezeugen zu dürfen für die Anregung zu dieser Arbeit und für
das wohlwollende Interesse, womit er derselben gefolgt ist.
Auch Herrn Prof. Dr. W. Pipping sei es mir gestattet,
meinen ehrfurchtsvollen Dank auszusprechen für die Erlaubnis,
die auf seiner Klinik beobachteten Fälle von Poliomyelitis zu
verwerten.
Schliesslich bin ich sehr verpflichtet, Herrn Dozenten Dr.
Jarl Hagelstam zu danken für das Überweisen eines besonders
wertvollen Falles.
Erklärungen der Figuren auf Taf. I und 11^).
PoUomjelitis anterior snbacata (S. 848).
Fig. 1. IV* CS. ReohteB Vorderhom. Atrophie der NerTenseUen. Rarefi-
katioD de« Nervenfaseroetzes. Weigertpr¶t.
Fig. 2. IV. CS. Rechtes Vorderhom, Normalpr¶t (von einem 56jfthngenf
an oronpöserPnenmonie gestorbenen, rüstigen Arbeiter). Weigertprftparat.
Fig. 8. IV. CS. Vordere Kommissar. Faserausfali. Weigertprftparat
Fig. 4. IV. CS. Normale vordere Kommissar. Weigertprftparat.
Fig. 5. IV. DS. Hinterer Teil des Höhlenraames in der rechten graaeo
Vordersftaie. Weigertprftparat.
Fig. 6—12. Nach Nissl gefärbte Vorderhorazellen. Fig. 9 bei Obj. 8,0
Compens. Oc. 12 (Zeiss), alle übrigen bei homog. Im. 2,0, Compens.
Oc. 4 gezeichnet.
Fig. e, 7 and 8. Zellen ans VIII. CS.
Fig. 9 and 10. Zellen aas VI. CS.
Fig. 11 and 12. Zellen aas III. LS.
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de Salle. Paris et Montpellier. 1828. S. 674.
^) Die Mikrophotpgramme in Fig. 1 bis Fig. 5 sind Ton Dr. 6. von
Wen dt freundlichst hergestellt Ich spreche ihm hiermit meinen besten
Dank dafür aus.
and sabmouta s. chronica. 869
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Tafel III.
Abbildung 1.
Abbildung 2.
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' a b ' c • d
Nachweis der Oxydase nach Arnold.
Tafel IV.
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Nachweis der Oxydase nach Storch.
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XVIII.
' Ans dem chemisch-bakteriologischen lostitate Ton Dr. Ph. Blamenthal
Id Moskau.
Biologisches zur Hilchpasteurlslerung.
Von
ALEXANDER HIPPIUS.
(Hierzu Taf. III -VI.)
In den letzten Jahren haben alle das Gebiet der Mllch-
hygiene streifenden Fragen ein aktuelles Interesse gewonnen.
Alle wissenschaftlichen Disziplinen, welche dazu berufen sind,
diesen Zweig der Hygiene weiter auszubauen, weisen eine be-
sonders rege Tätigkeit auf, und so sehen wir Landwirte, Chemiker,
Ingenieure und Mediziner eifrig dem gemeinsamen Ziele zustreben,
die Gewinnung einer reinen, von Schädlichkeiten freien, schmack-
haften und nahrhaften Milch zu möglichst billigem Preise zu
ermöglichen. Unter den praktischen Ärzten sind es besonders
die Kinderärzte, die auf Verbesserungen in der Produktion und
dem Yertriebe der Milch dringen, denn sie müssen für eine ge-
eignete „Kindermilch^ die allerstrengsten Anforderungen an die
Reinlichkeit der Milchgewinnung und an die Beseitigung der in
jeder Milch enthaltenen bakteriellen Schädlichkeiten stellen.
Es macht sich allgemein das Bestreben geltend, der Einder-
milch die genuinen Eigenschaften der Rohmilch zu erhalten.
Bei dem zur Entkeimung der Milch eingeschlagenen Sterilisatious-
yerfahren durch anhaltendes Kochen hatte man die Erfahrung
gemacht, dass die Milch infolge der Einwirkung von hohen
Temperaturen wichtige chemische und biologische Veränderungen
erleidet und dadurch für die Ernährung minderwertig wird.
Man sah sich daher gezwungen, andere Entkeim ungs verfahren
auszuarbeiten, welche die ursprünglichen Eigenschaften der Milch
weniger^ oder, wenn irgend möglirli, garnicht alterierten. So
har^v^ih^ ,sicji die Paste urisierupg- der. Milch Balm, die mit ge;i;ingereD
366 Hipp ins, Biologisches zar Milchpas teorisierang.
Wärmegraden operiert und daher schonender vorgeht. Aber
auch damit ist man noch nicht zufrieden, und wir sind Zeugen
von neuen Vorschlägen zur Herstellung von keimfreier Milch
unter Vermeidung ihrer Erhitzung. Da alle Zusätze von Chemi-
kalien zur Milch den menschlichen Organismus schädigen, falls
sie wirklich in genügender Konzentration der Milch zugesetzt
werden, um keimtötend zu wirken, so sind sie staatlich verpönt.
Die neuen Verfahren suchen daher der Rohmilch ihre natürlichen
Eigenschaften dadurch zu erhalten, dass sie dieselbe auf mehr
oder weniger rein physikalischem Wege keimfrei machen wollen.
Hierher gehören das Aussetzen der Milch einem hohen atmo-
sphärischen Drucke, wie es der französische Ingenieur Gaulin
und der Petersburger Julien vorschlagen, und das vom Leipziger
Pädiater Seiffert angekündigte Verfahren der Entkeimung der
Milch durch ultraviolette Strahlen. Viele gehen noch weiter
und wollen die mit tadelloser Sorgfalt gemolkene und durchseihte
Milch sofort der Tiefkühlung aussetzen und bis zur Ablieferung
an den Konsumenten sehr kalt halten, um auch kleinen Kindern
ungefährdet den Genuss von roher Milch zu ermöglichen.
Im letzten Falle haben wir es mit einem Konservierungs-
verfahren zu tun, welches die in der Milch vorhandenen Keime
nur in ihrer Vermehrung hintanhält. So warm es auch im
allgemeinen für die Behandlung der Milch zu empfehlen ist,
wird es daher wol nur in Ausnahmefällen an sich allein, ohne
Kombination mit einem Entkeimungsverfahren, angewendet werden
können. Was die übrigen Vorschläge betrifft, so wird abzuwarten
sein, wie weit sie sich als Sterilisiermethoden in der Praxis bewähren
und ob sie nicht gleichfalls molekulare Veränderungen in der
Milch hervorrufen. Jedenfalls wird sowohl die Gaulin sehe
als auch die Seiffertsche Milch nicht billig in den Handel ge-
bracht werden können.
Um so mehr Grund haben wir, uns darQber genau zu
informieren, ob nicht das billige und praktisch schon mit bestem
Erfolge erprobte Pasteurisationsverfahren am Ende doch imstande
ist, den Anforderungen zu genügen, die an eine gute Kindermilch
gestellt werden müssen. Dies zu prüfen, ist der Zweck der
vorliegenden Zeilen.
In Bezug auf die Pasteurisierung der Milch sind alle darin
einig, dass die ganz rein gewonnene Milch möglichst schnell,
'S
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Ja
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VQ
Hippias, Biologisches zar Milch pastearisiemng. 367
d. h. entweder unmittelbar nach der Durchseihang oder nach
Torhergegangener Tiefköhlung, eine gewisse Zeit lang auf die
erforderliche Temperatur erhitzt, dann aber schnell abgekühlt
und in der Kälte aufbewahrt werden soll. Nur in dem Punkt
des Hitzegrades und der Zeitdauer, die zur Pasteurisierung er-
forderlich sind, gehen die Meinungen auseinander. So pasteurisiert
Freeman ^a Stunde bei 68^ C, Oppenheimer ^/^ Stunde bei
70—75* C, Monti 10—16 Minuten bei 68— 70* C, F erster
Va Stunde bei höchstens 67* C, Gerber (Schüttelverfahren)
Va — 1 Stunde bei 65® C. Als die keimtötende Kraft des
Termophors bekannt wurde, schlug ich die Erwärmung der Milch
auf geringere Grade (60—66*^ C.) während 2 Stunden vor; meinem
Beispiele folgte Kobrak (60— 65« 0. während P/j Stunden);
spätere Erfinder von Haaspasteurisierapparaten griffen jedoch
wieder zu höheren Temperaturen, so Weichardt zu 65 — 68* C.
während IVa Standen, Loock zu 85*^ C. während 6 Minuten.
Im Sammelwerke „Die Milch" (Hamburg, 1903) finden sich
folgende Angaben für die Pastearisierung der Milch: bei Kister
(S. 366) öo*^ C. und mehr, bei Weigmann (S. 883) 60—66» C.
während 25 — 30 Minuten oder 70 — 75» C. während 15 Minuten;
bei Plaut (S. 397) 60—70° C. während 20 Minuten. Prof.
Tjaden empfiehlt die 1 Stunde dauernde Erwärmung der Milch
auf 63S höchstens 65® C. — Für landwirtschaftliche Zwecke in
Molkereien ist die Pasteurisierung der Milch bei 85 — 95* C.
während 1 — 2 Minuten wol allgemein angenommen; auch
Tjaden empfiehlt hierfür eine ganz kurzdaaernde Erhitzung der
Milch und des Rahmes auf 85® C.^).
Wir sehen hier Temperaturen im Abstände von 35® C. und
Zeiträume von 1 Minute bis zu 2 Stunden empfohlen für ein
Verfahren, bei welchem schon 2—3® 0. und die Dauer von
5 Minuten von Bedeutung sind!
Das musste natürlich die praktischen Resultate der Milch-
pasteurisierung trüben, die sich einerseits überzeugte Freunde,
andererseits aber auch Gegner erwarb. Bald hiess es von Seiten
der letzteren, sie reiche zur Entkeimung der Milch nicht aus,
bald, sie lasse doch chemische Veränderungen in der Milch zustande
kommen, bald wieder, sie zerstöre die biologischen Eigenschaften
der Milch. Nun kann allerdings jeder dieser Einwände gerecht
>) Erwähnt muss noch werden, dass B a d d e die Milch durch eine
Pastearisiemng bei bO^ C. vollkommen keimfrei machen will, allerdings mit
Zusatz von Wasserstoffsuyeroxyd.
388. Hipp ins, Biologisches zur Milch pasteiurisierang.
seiD^ wenn Temperatur oder Zeitdauer der Pastearisierutig falsch
geliandhabt 'werden. Es kommt nur darauf an, dass riditig
pasteurisiert werde.
Das Ziel, das durch die Pasteurisierung erreicht werden
soll, ist eine praktisch genügende Entkeimung der Milch, d. h. Ver-
nichtung ihrer nicht sporenbildenden Saprophyten und der in ihr
eventuell enthaltenen pathogenen Keime, bei Erhaltung ihrer
physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften. Dieses
Ziel 'wird erreicht, wenn man die Milch genügend lange auf
solche Temperatüren erwärmt, welche sie einerseits chemisch
und biologisch noch nicht Terändern, andererseits jedoch aus-
reichen, um sie im erwähnten Sinne zu entkeimen.
Theorie und Praxis zeigen übereinstimmend, dass diese
Temperaturen bei einer Pasteurisationsdauer von
V« — 1 Stunde zwischen 60 und 65' C. liegen.
Von den Bestandteilen der Milch ist das Lactalbumin der
thermolabilste. Zwar findet Sebelien, der es zuerst in der Kuh-
milch nachgewiesen hat, dass seine Gerinnung erst bei einer
Erhitzung der Milch auf 72 — 80* C. erfolge (Zeitschr. f. physiolog.
Chemie, Bd. 9), doch hat Schlossmann (Ibidem, Bd. 22) schon
bei ca. 69® C. (55® R.) eine geringe Abnahme der Löslichkeit
des Albumins in der Milch bemerkt, und Solömin (Arch. f.
Hygiene, Bd. 28) gibt an, bei ^/4 stündiger Erwärmung der Milch
auf 60® C. „scheine^ die Gerinnung eines Milcheiweisses zu
beginnen; er ist jedoch nicht sicher, ob es sich hier auch wirklich
um das Lactalbumin handele. — Wir werden demnach nicht
fehlgehen, wenn wir annehmen, dass bei der Erhitzung auf 65® C.
während ^/^ Stunde keine merklichen Veränderungen im chemischen
Bestände der Milch Tor sich gehen, und damit ist die obere
Grenze der Pasteurisierunp^stemperatur festgesetzt.
Was die biologischen Eigenschaften der Kuhmilch betrifft,
so werde ich deren Verhalten zu höheren Wärmegraden im
Nachstehenden detaillierter beleuchten. Hier sei vorausgeschickt,
dass sie gleichfalls der Erwarimmg der Milch >vährend '/, bis
1 Stunde auf 60—65® C. standlialteu.
Als untere Grenze für eine nicht all/u zeitraubende Milch-
pasteurisierung muss die Erwrirmung auf 60® C. angenommen
werden, denn nach den üntersucliungen von Smith (The Journ.
of experim. med., 1899, Bd. 4, 2) und Hesse (Zeitschrift für
Hygiene, 1900,.. Bd. 34) werdt?n bei dieser Temperatur die
Tuberkelbazillen in 15 — 20 Minuten getötet, falls dabei di& Haut:
Hipp las, Biologisches zur Milchpastearisieruog. 369
bildung der Milch verhütet wird. Dasselbe geschieht, wie der
letztgenannte Forscher gezeigt hat, unter denselben Bedingungen
auch mit den Typhus-, Cholera-, Diphtherie- und Pestbazillen.
Die sehr sorgföltigen Versuche von Bassenge (Deutsche med.
Wochenschr., 1903, 38 u. 39) beweisen, dass der Typhusbacillus
bei 60® C. sogar schon nach 5 Minuten in der Milch endgültig
zugrunde geht. Da nun bei der Flaschenpasteurisation, die ja
allein bei der Erzeugung der Kindermilch in Betracht kommen
sollte, die Häutchenbildung auf der Oberfläche der Milch ver-
hindert wird und auch später bei schneller Abkühlung nicht mehr
zustande kommen kann, so könnte die Pasteurisierung der Milch
während ^j — 1 Stunde bei 60 — 65® C. anstandslos angenommen
werden, um so mehr, als dabei auch die Erreger der Milchsäure-
gärung vernichtet werden und die Milch infolgedessen haltbar wird.
In letzter Zeit jedoch hat sich eine Stimme gegen diese
Anschauung erhoben, und zwar auf Grund einer experimentellen
Arbeit, welche die Tenazität des wichtigsten in der Milch vor-
kommenden Krankheitserregers, des Tuberkelbacillus, zum Vor-
wurfe hat Ich meine den Aufsatz von W. Rullmann in No. 12
der „Münch. med. Wochenschr.", 1904. Der Verfasser hat die
zu. seinen Versuchen verwandte Milch mit tuberkulösem Material
infiziert und die Mischung Meerschweinchen nach 1 stündiger Er-
hitzung auf 65^ C. intraperitoneal injiziert, wobei er in 6 Ver-
suchen 3 mal eine tuberkulöse Erkrankung der Versuchstiere
erzielte. Er kommt zum Schlüsse, dass für die zuverlässige
Abtötung der Tuberkelbazillen in der Milch eine Erhitzung der-
selben auf 68® C. während 1 Stunde notwendig sei. Rullmann
steht hier in Widerspruch zu anderen Forschern, die in der
Bearbeitung derselben Frage ebenso wie er tuberkulöses Material
zur Infizierung der Versuchsmilch benutzt haben. So hat de Man
in seinen klassischen Versuchen (Archiv f. Hygiene, Bd. 18) den
Saft aus einem tuberkulös erkrankten Euter einer perlsüchtigen
Kuh nach 1 stündiger Pasteurisierung bei 60® C. nicht mehr
virulent gefunden (Versuch 14 und 17); wenn er tuberkulöse
Sputa der Milch beimischte, so waren die Tuberkelbazillen nach
1 Stunde bei 60* C. (Versuch 21) und nach 15 Minuten bei
65* C. (Versuch 36) zugrunde gegangen. Bang, der mit der
Milch von perlsüchtigen Kühen experimentierte (Congres pour
l'^tude de la tuberculose chez Thomme et chez les animaux,
Paris 1888), kommt zum Schlüsse, dass das Erhitzen dieser Milch
während 5 Minuten bis auf 60 — 75* C. eine derartige Schwächung
.Ifibrbnch f. Kinderheilkande. N. F. IJCI, Heft 2. 24
370 Eippias, BiologUches zar Milchpastearisierang.
des Yirus zar Folge hat, dass die Gefahr einer Infektion durch
ihren Genuss ausgeschlossen ist.
Anders liegt die Sache allerdings, 'wenn man die Wider-
standsfähigkeit der Bazillen gegen hohe Temperaturen im tuber-
kulösen Sputum selbst konstatieren will. Da haben Chauveau
und Arloing schon in den 80er Jahren nachgewiesen, dass ein
solches Sputum ^/^ Stunde bei lOü® C. gekocht werden müsse,
um seine Virulenz zu verlieren, und Gerlach findet unter diesen
Bedingungen sogar nur eine Abschwächung und noch nicht eine
völlige Vernichtung des Virus (s. de Man, L c). Diese Er-
scheinung erklärt sich durch dieselben Bedingungen, die den
pathogenen Keimen durch das beim Erhitzen der Milch sich
bildende Häutchen geboten werden: die Bazillen sind von einer
schützenden Eiweisshülle umgeben, und zwar im gegebenen Falle
von dem sehr zähen Mucin. Rullmann hat nun nach Kobrak
(Zeitschr. f. Hygiene, 1900, S. 632) zu 1 Teile tuberkulösen
Sputums 3 Teile Milch hinzugesetzt, durch Zerreiben im vor-
gewärmten Mörser eine gleichmässige Emulsion hergestellt und
mit dieser experimentiert. Derartige Vorbedingungen finden sich
zum GlQck im praktischen Leben nicht. In dieser zähschleimigen
Emulsion mussten, wenn nicht alle, so doch sehr viele Tuberkel-
bazillen in ihrer SchleimhuUe verbleiben, und in den Organismus
der Versuchstiere wurden bazillenhaltige Schleimmassen injiziert.
Der Kobrak-RuUmannsche Versuch beweist daher die Tenazität
der Tuberkelbazillen im Auswurfe des Schwindsüchtigen, aber
nicht ihre Lebensfähigkeit in erhitzter Milch. Kein Wunder
daher, wenn beide nach dieser Methode arbeitenden Beobachter
ganz aparte Resultate mit der „infizierten Milch^ erhielten (Kobrak
fand, dass die so vorbehandelte Milch auch nach 3 stündigem
Verweilen im Thermophor noch virulent war; erst in den Proben,
die 4, 5 und 6 Stunden im Thermophor verblieben waren, hatten
die Bazillen ihre Virulenz eingebüsst).
Um meine Voraussetzung zu kontrollieren, untersuchte ich
mikroskopisch Emulsionen aus tuberkulösem Sputum und Milch,
welche peinlich genau nach Rullmanns Vorschriften hergestellt
waren.
Das mit lOproz. wässeriger Formalinlösuiig >/« Stande lang fixierte
Apsstricbpräparat wurde abgespült und getrocknet. Nach Färbung derXuberkel-
basillen (Ziehl) wurde das Präparat von neuem abgespült und nun zur Tin-
gierung des Fettes auf i 9 Stunde in eine gesättigte alkoholische Lösung Ton
Sudan No. 8 versenkt; die Milchkügelchen erschienen jetzt in gelber Färbung.
Hippius, Biologisches zur Milchpastearisieruog. 871
Um nun such das Macin sichtbar zu machen, wurde das wiederum abgespülte
Präparat auf J/4 Stande in eine verdünote Thionio-LösuDg gebracht (4 Tropfen
einer gesättigten alkoholischen Thionin-Lösung auf 10 ecm destillierten
Wassers); das Mucin erhielt dadurch eine rötlich-violette Färbung.
Die SO erhaltenen mikroskopischeD Bilder zeigten aberein-
stimmend, dass die Tuberkelbazillen stets in der Schleim-
masse, nie aber in der Milch lagen (s. Taf. III, Fig. 1).
Wir können demnach die Versuche Kullmanns nicht als
beweiskräftig für die uns beschäftigende Frage ansehen und
müssen daran festhalten, dass eine Pasteurisierung der Milch
während 7« — ^ Stunde bei 60— 65* C. die Gefahr einer tuber-
kulösen Infektion beseitigt.
Wie verhalten sich nun die biologischen Eigenschaften
der Milch zur Dauerpasteurisation bei 60—65® C. während ^/^
bis za 1 Stunde und zu der kurzdauernden kontinuierlichen Pasteu-
risiemng bei 80® C. und darüber? Um dieser Frage näher zu treten,
habe ich das Verhalten einer Reihe dieser Eigenschaften zu ver-
schiedenen Temperaturen geprüft, die ich auf die Milch ver-
schieden lange Zeit einwirken liess.
Meine Beobachtungen habe ich mit der liebenswürdigen Er-
laubnis meines verehrten Freundes, Herrn Dr. Ph. Blumenthal,
in dessen chemisch-bakteriologischem Institute zu Moskau angestellt,
und zwar im Verein mit Herrn Dr. med. J. Broustein und Herrn
Mag. pharm. P. Bernhardt, denen ich hier meinen wärmsten
Dank sage für ihre energische Unterstützung und die viele Muhe,
die ich ihnen in der Verfolgung meines Zieles verursacht habe.
Wir suchten zunächst zu entscheiden, ob die Fähigkeit der
Milch, die Bildung eines spezifischen Laktoserum hervorzurufen,
den genannten Temperaturen stand hält. Bewogen wurden wir
dazu durch die Angabe von Wassermann (Munch. med.
Wochenschr. 1901, No. 47), dass die erhitzte Milch die Eigen-
schaft, auf ihr Laktoserum zu reagieren, verliere, eine Angabe, die
sich bei Schutz (Zeitschr. f. Hygiene 1901, Bd. 36) wiederholt.
Andrerseits hatte Fuld (Beitr. z. ehem. Physiol. und Pathol. 1902,
Bd. 2) gefunden, dass eine auf 90 — 100® C. erwärmte Milch nicht
im Stande sei, ein spezifisches Laktoserum zu produzieren, ein Be-
fund, den er übrigens später widerrufen hat.
Zu unsern Versuchen verwandten wir 12 Kaninchen, denen
in Abständen von 3 bis 5 Tagen je 10 cm. steril gewonnener
2i*
372 Hippias, Biologisches zar MilehpasteurisieruDg.
Kuhmilch 8 bis lOmal hinter einander subkutan injiziert wurden;
6 Tage nach der letzten Injektion wurde der Carotis der Tiere
das Blut entnommen, welches nach Abstehen das spezifische Serum
lieferte. Bei Zusatz dieses Serum zu Kuhmilch entstand sehr
bald ein feinf lockiger Niederschlag. Die Reaktion liess sich noch
schneller und deutlicher unter dem Mikroskop beobachten: wenn
wir auf dem Objektivglase einen Tropfen des präzipitierenden
Serum mit einem Tropfen Milch vermischten, schnell mit dem
Deckgläschen bedeckten und durch Obj. No. 3 betrachteten, so
verschwanden in 1 bis 2 Minuten vor unsern Augen die einzelnen
Milchkügelchen und es bildeten sich feinkörnige Häufchen. Die-
selbe Erscheinung trat auch bei starker Verdünnung (1:200) des
präzipitierenden Serum deutlich zu Tage. Es war ganz gleich-
gültig, ob wir die Kaninchen mit roher, pasteurisierter, gekochter
oder 1 Stunde bei 120® 0. im Autoklaven sterilisierter Kuh-
milch immunisierten: ihr Serum gab stets gleich prompt die
Reaktion mit Kuhmilch, und zwar wiederum gleichviel, ob wir
dieselbe roh verwandten, oder pasteusiert, oder gekocht, oder
1 Stunde bei 120® 0. im Autoklaven sterilisiert. — Der Frauen-
milch gegenüber blieb jede Reaktion aus.
Resultat: Yollwirksames Präzipitin entsteht bei der
Immunisierung der Versuchstiere nicht nur mit roher
oder pasteurisierter, sondern auch mit gekochter Milch,
ja sogar mit Milch, welche 1 Stunde lang bei 120® C.
im Autoklaven sterilisiert wurde. Ebenso übt andrer-
seits ein wirksames Laktoserum seine Wirkung auf die
entsprechende Milch aus, gleichviel ob dieselbe roh^
pasteurisiert, einfach gekocht oder bei den genannten
Bedingungen sterisiliert worden ist.
Die Präzipitinbildung kennzeichnet eben nur die Arteigeu-
heit des Milchei weisses und hält daher allen Temperaturen stand.
Wir wandten uns nun der Prüfung der bakteriziden Kraft
der Milch zu, deren Verhalten zu höheren Temperaturen von den
einzelnen Beobachtern sehr verschieden beurteilt wird. Einige,
darunter E. Moro (dieses Jahrb., 55. Bd. 5. Heft 4), und
Klimmer (Arch, f. Kinderh., Bd. 5, H. 4), stellen überhaupt ihre
Existenz in Abrede.
Zu unsern Versuchen verwandten wir, wie auch v. Behring
es empfiehlt, das B. coli und den seiner charakteristischen Färbung
wegen besonders deutliche Bilder ergebenden B. prodigiosus.
Hippias, Biologisches zar Milchpastearisierung. 373
Nach mehrereD Fehlversuchen kamen wir zar Erkenntnis, dass
€S praktisch sei, das Untersuchungsobjekt mit einer sehr geringen
Anzahl von Keimen zu beschicken, um in der Folge die Zahl der
entstandenen Eolonieen besser kontrollieren zu können. Wir fugten
2Q 6 cm einer unter den strengsten Eautelen von 3 Kühen mög-
lichst steril gewonnenenMischmilch 3 Tropfen entweder einer frischen
Bouillonkultur des B. coli, oder einer emulgierten Agarkultur des
B. prodigiosus hinzu. Yon der so infizierten Milch wurden 3 Tropfen
zum Beschicken von 10 cm verflüssigten und auf 40® C. ab-
gekühlten Agars verwandt, welcher dann inPetri-Schalen 24Stunden
bei Bruttemperatur gehalten wurde. Diese Aussaat stellte die
Ausgangs- oder Kontrollprobe dar. Ganz auf dieselbe Weise ver-
fuhren wir mit einer andern Probe derselben Rohmilch, mit dem
-einzigen Unterschiede, dass wir die infizierte Milch vor der Aus-
saat auf Agar 1, 2, 3, 4, 5 und mehr Stunden im Brutschranke
beliessen. Ebenso behandelten wir Proben derselben Milch, die
wir vor der Beschickung mit den Bakterien ^/j Stunde bei 65® C.
pasteurisiert, 2 Minuten auf 85® C. erhitzt oder einfach aufgekocht
hatten.^) Nach 24stündigem Verweilen der einzelnen Platten im
Brutschranke wurde die Zählung der Kolonien vorgenommen
4]nd deren Resultat mit der Kontrollprobe verglichen.
Zur Illustration diene folgendes Beispiel^):
In der KontroUprobe sind 3252 Prodigiosus - Keime
enthalten.
Kah milch: roh >/> Std. bei 65» G. 2 Min. bei 8.5» C.
pastearisiert p&stenrisiert gekocht
Nachl Std. im Brutschrank 640 988 2960 7060
„ 8Vi„ „ „ 58 2394 6280 Unzahlbar
„ 5 „ „ „ 356 7640 Unzählbar Unzählbar
Wir sehen hier in der rohen Kuhmilch die Prodigiosus-Keime
nach 3^/j Stunden fast vollständig vernichtet; auch nach weiteren
1 Vs Stunden haben die überlebenden Keime noch sehr wenig
Kolonien gebildet. In den ^/^ Stunde bei 65® C. pasteurisierten
Milchproben ist nach 1 Stunde. Aufenthalt im Thermostaten nur
noch weniger als ^/a der Keime lebensfähig geblieben; jetzt aber
schwächt sich die bakterizide Kraft der Milch ab, denn nach
1) £b sei hier ein fär alle Mal bemerkt, dass wir die Milch stets im
Wasserbade erhitzten.
*) Bei dem in Rede stehenden Versuch habe ich nach der Vorschrift
Ton Fr. Betzy Meyer (Hospitalstidende, 1903, Bd. 11) gehandelt und die
Milch Ton einer Kah genommen. Dieser Versuch gab mir die besten
Resnltate.
874 Hipp ins, Biologisches zur Milchpastearisiorang.
weiteren 2^/s Standen ist eine beträchtliche Yeimehrang der über*
lebenden Keime zu konstatieren, die wieder Vj^ Stande später
schon das Doppelte der ursprünglichen Keimzahl in der Kontroll-
probe erreicht hat. Aach den 2 Minaten bei 85® C. pasteurisierten
Milchproben wohnt noch eine gewisse bakterizide Fähigkeit inne^
denn nach Ablauf einer Stunde ist eine, wenn auch geringe, Ab-
nahme der Keime bemerkbar; dieselbe ist jedoch von kurzer
Dauer, da schon nach weiteren 2Vs Stunden eine starke Ver-
mehrung der Kolonien stattgefunden hat. In der gekochten
Milch haben sich die Keime von vornherein unbehindert vermehrt.
Resultat (aus 8 Versuchen): Rohe Kuhmilch übt eine
starke bakterizide Wirkung auf den B. coli und den
B. prodigiosus aus. Diese Wirkung ist am intensivsten während
der ersten 3 — 4 Stunden, nimmt dann allmählich ab und schwindet
ganz nach 6—7 Stunden. Pasteurisiert man die Milch
7s Stunde bei 66® C, so wird ihre bakterizide Fähigkeit
nicht aufgehoben, sondern nur abgeschwächt und dauert
etwa 1 — 2 Stunden an; sie ist aber in dieser Zeit noch
recht beträchtlich. Die 2 Minuten dauernde Erhitzung
der Milch auf 85* C. raubt ihr gleichfalls noch nicht
ganz ihre bakterizide Fähigkeit; dieselbe ist jedoch schwach
und von ganz kurzer Dauer. In der gekochten Milch ist
keine Spur mehr von einer bakteriziden Wirkung vor-
handen.
Will man mit v. Behring (Therapie der Gegenwart, 1904^
Heft 1) eine volle Übereinstimmung im Verhalten der bakteriziden
Kraft der Milch zu hohen Temperaturen mit den ihr eigenen
Alexinen annehmen, so gelten dieselben Ergebnisse auch
für die Alexine der Milch.
Von Wichtigkeit erschien die Frage, wie die in der Milch
enthaltenen Stoffwechselfermente sich zu der Einwirkung von
höheren Temperaturen auf die Milch verhalten.
Wir prüften in dieser Hinsicht zunächst das in der Kuh-
milch reichlich vorhandene oxydierende Ferment. Demselben
muss eine grosse Bedeutung für das Leben der Zelle zugesprochen
werden, da die Oxydasen dazu berufen sind, die Oxydation
schwer zersetzbarer Körper zu bewirken und chemische Energie
in vitale überzuführen. Nach Frau Sieber-Schiimowa spielen
sie ausserdem eine Rolle bei der Entgiftung von Toxinen. Den
Nachweis der Miichoxydase führten wir sowohl nach Arnold^
Hipp in 8, Biologisches zur Milchpasteorisierang. 875
indem wir die einzelnen Milchproben im Reagenzglase mit einigen
Tropfen von Tra. gaajaci ligni überschichteten, als auch nach
Storch, der far die Farbenreaktion eine 2prozentige wässerige
Lösang von p-Phenylendiamin mit einem Zusätze von einigen
Tropfen des me4izinischen Wasserstoffsuperoxyd vorschlägt.
Zu je 10 ccm roher und 1 Minute lang bis zu verschiedenen
Wärmegraden erhitzter Kuhmilch ^) gaben wir in einer Reihe von
Reagenzgläschen 5 Tropfen auf Wirkungswert vorgepvüfter Guajak-
holztinktur hinzu, in einer anderen (genau nach den Angaben
von Siegfeld in ^ Milchzeitung«, 1901, No. 46) 3 Tropfen
Wasserstoffsuperoxyd -f~ ^ Tropfen der p-Phenylendiamin-Lösung,
worauf letztere Proben durchschüttelt wurden. In beiden Fällen
zeigte die blaue Färbung die Wirksamkeit des oxydierenden
Fermentes an (s. Taf. III, Fig. 2, und Taf. lYy).
In ca. 20 Versuchen fanden wir stets folgendes Verhalten
der Oxydase zur kurzdauernden Erhitzung der Milch:
(Positive Reaktion = +, abgeschwächte Reaktion = -\ ,
Ausbleiben der Reaktion = — .)
Arnoidsche Probe Storchsche Probe
Rohe Milch
Milch 1 Min. auf 60» G. erw&rmt
M 1 9) 99 6^* 0. „
„ 1 „ „ 700 C. „
99 1 99 99 '^^^ C. „
99 1 19 99 "^^O C. „
99 1 t» 99 74* C. „
„ 1 „ „ 75» C. „
„ 1 „ „ 76 • C.u. drüber erwärmt — —
Das Vermögen der Farbstoff bildung des oxydierenden Fer-
mentes der Milch wird demnach bei einer kurzdauernden Er-
wärmung derselben auf 73^ C. schon etwas abgeschwächt und
erlischt endgültig bei 78 • C. Da sich dieses Vermögen mit
Zuhilfenahme von H^O« bei einer höheren Temperatur nachweisen
lässty als ohne dessen Beteiligung, so lässt sich voraussetzen ^
dass wir es hier mit einem Polyenzym zu tun haben. Dasselbe
nimmt auch Raudnitz an (Centralbl. f Physiologie, 1898, Bd. 12
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+ -
+
+ —
+
—
++-
1) Hier sei bemerkt, dass sowohl für diese, als auch für alle folgenden
Versuche die Mischmilch von 3 Kühen oder von 8 Ammen unter den strengsten
Kanteten »steril" gewonuen und sofort mit etwas Toluol versetzt wurde, um
etwaige die Beobachtung störende bakterielle Verunreinigungen der Milch zu
vermeiden.
>) Die Reaktion stellten wir sowohl hier, als auch in allen folgenden
Versuchen bei Zioamertemperatur (17 — 18* G.) an.
376 Hipp ins, Biologisches zar MilchpastearisieruQg.
No. 24, S. 700), indem er nachweist, dass der auf Wasserstoff-
superoxyd wirkende Stoff in der Milch und der die Guajakreaktion
gebende sich gegen Fällungsmittel verschieden verhalten.
Interessant war das Ergebnis bei länger fortgesetztem
Pasteurisieren der Milch bei 60—65® C: je länger die pasteuri-
sierenden Temperaturen auf die Milch eingewirkt hatten, um so
schärfer trat die Blaufärbung durch die Storchsche Reaktion
hervor (wie das auf Taf. IV leicht zu bemerken ist). Eine E^
klärung für diese Erscheinung weiss ich nicht zu geben. Möglicher-
weise spielt hier die allmähliche Abschwäch ung eines antago-
nistischen Enzyms (Pepsin?) eine Rolle, vielleicht aber auch die
bei langdauernder Pasteurisier ung zunehmende Acidität der Milch.
Resultat: Das oxydierende Ferment der Kuhmilch
wird bei kurz dauernder Erhitzung der Milch auf 76® C.
zerstört« Es erhält sich ungeschwächt bei der Pasteuri-
sierung der Milch bei 60 — 65^0. und zeigt sogar eine
besonders starke Farbenreaktion, wenn diese Pasteuri-
sierung stundenlang fortgesetzt wird.
Zur Bestimmung des fettspaltenden Fermentes der
Milch verwandten wir Frauenmilch, da diese nach den Unter-
suchungen Spolverinis (Annali d'Igiene sperimentale, Yol. XII,
F. III) die wirksamste Lipase enthält.
Zunächst griffen wir zu der von Rachford angegebenen
und von Moro zum Nachweise der Milchlipase benutzten Methode.
Dieselbe beruht auf der Emulgierung eines der Lipasenwirkung
ausgesetzt gewesenen neutralen Öles in einer alkalischen Lösung
und ist von Moro in diesem Jahrbuche (56, der III. Folge
6. Bd., Ergänzungsheft, S. 400) detailliert beschrieben worden.
Da wir jedoch ausnahmsweise in jedem Tropfen neutralen Öls,
auch ohne eine vorhergeschickte Behandlung desselben nach Moro,
eine Trübung erhielten, so suchten wir nach anderen Methoden
und schlugen schliesslich ein eigenes Verfahren ein, welches uns
durchaus deutliche und sichere Resultate ergab.
Unser Prinzip beruht auf dem Nachwelse der durch die
Milchlipase von neutralem öle abgespalteten Fettsäuren durch
einen Säureindikator. Als solchen schlug Hr. Bernhardt den
▼on den Bakteriologen zur Differenzierung von Kulturen und
Kulturfiltraten gern benutzten Mankowskyschen Indikator vor. ^)
^) Derselbe besteht aus a) gesättigter wässeriger Lösong von Indigo-
carmin, b) gesättigter Lösung Ton Säarefachsin in Iproz. KOH and c) Wasser.
Hipp ins, Biologisches zar Milchpfistearisierang. 877
Methode: Ein Ccm Fraaen milch wird in kleine konische Glaskolben
Ton ca. 1,5 ccm Rauminhalt gefüllt and erh< einen Zusatz von 10 Tropfen
neutralen Oles^). Die kleinen Kolben werden mit sterilisiertem Papier
bedeckt, vorsichtig umgeschüttet und auf 24 Stunden in den Brutschrank
bei 88^0. gestellt. Um einen innigeren Kontakt des Fermentes mit dem öle
zu erzielen, ist es ratsam, das Umschütteln in dieser Zeit 2 — 8 mal zu wieder-
holen. Jetzt wird der frisch pr&parierte Manko wskjsche Sftureindikator
mit sterilem, frisch gekochtem*) Wasser verdünnt, bis die Lösung eine
hellblaue Färbung annimmt, und in kleine Glaspokale bis zu ^t ihrer Höhe
gefüllt. Zu diesem verdünnten Indikator fügt man nan mittels steriler Pipette
etwa die H&lfte des auf der Milch schwimmenden Öles vorsichtig hinzu:
haben sich aus dem öle Fettsäuren abgespaltet, so dokumentieren sie sich
momentan durch rote Streifen, die langsam von der Berührungsfläche beider
Flüssigkeiten herabsinken und dem Indikator bald das auf Taf. V,
a und b abgebildete Aussehen verleihen.
Wir fanden, dass nach einer Va stündigen Pasteurisierung
der Milch bei 65® C. die fettspaltende Wirkung derselben ver-
loren ging; dagegen blieb sie nach cinstündiger Paste urisierung
bei 60^0., wenn auch etwas abgeschwächt, der Milch erhalten.
8 Versuche zeigten uns übereinstimmend folgendes Verhalten
der Frauenmilchlipase zur kurzdauernden Erhitzung der Milch:
(Positive Reaktion =: -[-) abgeschwächte R. = -j ,
Fehlen der R. = — .)
Rohe Milch 4-
Milch 1 Min. auf 60« C. erwärmt -}-
62® -i-
» W » J1 ^-J v v \^
n n yi n öö „ y, -)-
Gekochte Milch —
Resultat: Das fettspaltende Ferment der Frauen-
milch bleibt bei der kurzdauernden Erwärmung der
Milch bis auf 62® C. unverändert wirksam, bei 63® 0. wird
es abgeschwächt, bei 64® C unwirksam. Es verträgt
recht gut eine Pasteurisierung der Milch von 1 Stunde
bei 60® C.
Gleichzeitig verfolgten wir das Schicksal des sogen, salol-
Die Proportion ist 'ia+lb-f-^'ic. (Centralbl. für Bakteriologie. Abt. I.
Bd, 27. No. 1.)
^) Da wir ans ein absolut neutrales Olivenöl nicht verschaffen konnten,
so licss ich zu unseren Zwecken Mandelöl auf kaltem Wege pressen und
sofort sterilisieren. Dieses öi war absolut neutral.
') Durch das Kochen wird die freie Kohlensäure des Wassers aus-
getrieben, die sonst das Resultat der Säureprüfuog stört.
378 Hippius, Biologisches zar Milcbpasteurisierang.
spaltenden Fermentes in der erhitzten Frauenmilch. Für die
praktische Frage der Milchpastearisierang hat das zwar keine
Bedeutung, da hier hauptsächlich die Kuhmilch in Betracht kommt,
die dieses Ferment nicht enthält. Es war mir jedoch von
Interesse, weil Moro (dieses Jahrbuch 56, Bd. 6. Ergänzungs-
heft, S. 401) angibt, dass auch gekochte Frauenmilch salolspaltend
wirke. Benoit^) hat das Ferment sogar nach funfminutlichem
Kochen der Frauenmilch noch wirksam gefunden.
Wir verfuhren ebenso wie Moro, indem wir Proben von
Frauenmilch mit etwas Salol versetzten und bei 38® G. im
Thermostaten hielten, aber nicht länger als 3 Stunden (wie das
auch Spolverini empfiehlt), denn nach Ablauf dieser Zeit Hess
sich die stattgehabte Abspaltung der Salicylsäure durch die Eisen-
chloridreaktion stets nachweisen. EUelten wir die Proben 24 Stunden
lang im Brutschrank, so erhielten wir gleich Moro die Reaktion
auch in gekochter Milch, wenn dieselbe leicht alkalisch war.
Dasselbe sahen wir unter diesen Bedingungen übrigens auch in
schwach alkalinisiertem, destilliertem Wasser vor sich gehen.
Resultat (aus 10 Yersuchen): Eine ganz leichte Ab-
Schwächung in der Wirksamkeit des sogen, salol-
spaltenden Fermentes der Frauenmilch tritt schon bei
kurzdauernder Erhitzung der Milch auf 65®C. ein; die-
selbe ist deutlich ausgeprägt in der bis 60^0. erhitzten
Milch; bei 65^0. sind nur noch Spuren der Wirksamkeit
des Fermentes vorhanden, die bei noch stärkerer Er-
hitzung der Milch vollkommen verloren gehen.
Wir befinden uns hier im Einklang mit A. Desmouliires
(Zeitschr. f. Untersuch, d. Nahrungs- und Genussmittel. 1904.
Bd. 7. H. 2. S. 91. Ref. von A. Kirsten).
Was die proteolytischen Fermente der Milch betrifft,
so gab uns weder das Mettsche Verfahren, noch die 6 rützn er-
sehe Färbemethode, noch auch das Verfahren Spolverinis (1. c,
S. 469 — 471) deutliche Resultate. Wir wählten darauf (nach
Fermi) die Gelatine als Substrat, operierten aber nicht mit
ganzer Milch, da eine solche bei der für die Digestion der Gelatine
erforderlichen Dauer von mehreren Tagen schliesslich doch gerann,
sondern stellten nach Böchamp (C. R. 96. S. 1508) eine
1) Zit. nach Raadnitz in „Monatsschr. f. Kinderheilk.*. Bd. 2.
No. 12. S. 692.
HippiaB, Biologisches zar Milchpastearisierung. 879
FermeDtlösnDg aus Kuhmilch dar, die Yfir auf die Gelatine ein-
wirken liessen.
Methode: Man pr&pariert zunftehst die Fermentlösung nach Bächamp:
zu 1 Teile der mit Essigsäure leicht angesäuerten Milch werden 8 Teile
9öproz. Alkohol gegossen, wobei sich ein reichlicher Niederschlag bildet^
der auf dein Papierfilter gesammelt wird. Derselbe wird nun zur Entfernung
des Milchzuckers mit TerdAnntem Alkohol dorchwaschen und darauf durch
Filtrieren mit Äther sorgftltig entfettet. Nachdem man den so Yorbehandelteo
Niederschlag mehrere Stunden mit destilliertem Wasser extrahiert hat (wir
füllten Wasser bis zum ursprünglichen Volumen der Milch auf), filtriert man
Yon neuem und erhält nun eine leicht opale Flüssigkeit, welche diese wirk-
same Fermentlösung darstellt. — Jetzt wird mit geringem Znsatz von Phenol
sterilisierte reine Gelatine in lange, gleichfalls sterilisierte Probiergläser
noch flüssig eingefüllt, worauf man sie in den senkrecht aufgestellten Gläsern
erstarren lässt — Giesst man nun etwas von der Fermentlösung zu jeder
Gelatineportion und lässt die mit sterilisierten Korken verschlossenen Probier-
gläser senkrecht bei gewöhnlicher Zimmertemperatur im Dunkeln stehen, so
bemerkt man schon am zweiten, noch deutlicher jedoch am vierten Tage
eine trichterförmige Ausbuchtung an der Oberfläche der Gelatine, welche
durch die Peptonisierung derselben entstanden ist. Man tut gut, die ge-
schlossenen Probiergläser etwa zweimal täglich nmzuschütteln.
Zur Herstellung der Fermentlösung verwandten wir Kuhmilch»
Wir liessen die Lösung, die sich bei der bakteriologischen Prüfung
jedesmal als absolut steril erwies, sowohl direkt auf die Gelatine
einwirken, als auch nach einer Pasteurisierung von 1 Stunde bei
60* C. und ^/, Stunde bei 65® C, sowie nach Erhitzung auf
70, 75, 80, 90, 95 u. 100® 0. während 2 Minuten. Wir nahmen
stets gleiche Portionen der Lösung (ä 20 ccm). Am vierten
Tage fanden wir die Trichterbildung in der Gelatine aller Probier-
gläser mit alleiniger Ausnahme der mit gekochter Fermentlösung
beschickten, und zwar Hess sich stets eine gewisse Gradation der
peptonisierendon Wirkung, von der rohen bis zur gekochten
Fermentlösung absteigend, deutlich erkennen [s. Taf. VI^]-
Wir erzielten die Peptonisierung der Gelatine in gleichem Grade
sowohl bei leichter Alkalinisierung der neutralen Lösung mit
Soda (2 ®/oo)i als auch bei leichter Ansäuerung mit Salzsäure
(ß Voo)* Dennoch entschliessen wir uns nicht, die hier nach-
gewiesenen proteolytischen Fermente als Trypsin und Pepsin an-
zusprechen, da sie so thermostabil sind. Auch Babcock und
Rüssel (Centralbl. f. Bakteriologie, Abt. 2, Bd. 6), die ihren
>) Die Abbildung wurde der grösseren Deutlichkeit wegen nach Aus-
griessen der Fermentlösung gemacht. In den Probiergläsern ist nur die
nicht digerierte Gelatine zurückgeblieben.
380 HippiuB, Biologisches zur Mtlchpastearisierung.
^Galaktase^-Extract aus frisch bereitetem Separatorschlamm ge-
wannen und fanden, dass die digestive Wirkung des Fermentes
auf Milchproteide schon durch eine Pasteurisierung von 10 Min.
bei 76^ C. verloren gehe, stehen auf ähnlichem Standpunkte.
Eine Peptonisierung durch Bakterienwirkung ist in unsern Ver-
buchen absolut ausgeschlossen, da die Gelatine steril war und
die Fermentlösung wiederholt, auch nach Stägigem Einwirken
auf die Gelatine, mittels verschiedener Nährböden bakteriologisch
geprüft, sich stets als vollkommen steril erwies.
Resultat (aus 6 Versuchen): Das proteolytische
Ferment der Kuhmilch bewahrt seine digestive Wirk-
samkeit sowohl in leicht alkalischem, als auch in
schwach saurem Medium bei der Pasteurisierung der
Fermentlösung von 1 Stunde bei 60® C. und von
^/s Stunde bei 65® C, ebenso, allerdings etwas abge-
schwächt, bei einer kurzdauernden Erhitzung bis nahe
an 100® C, — verliert sie jedoch bei 100® C.
Die Kuhmilch, die für die praktische Frage der Paste urisation
vorherrschend von Bedeutung ist, enthält zwar kein amy-
lolytisches Ferment (Moro, Spolverini) und das Verhalten
desselben zu erhöhten Temperaturen ist daher für den direkten
Zweck dieser Arbeit indifferent. Dennoch interessierte mich die
Frage aus theoretischen Gründen, und wir beschlossen ihr nach-
zugehen, indem wir zu den betreffenden Versuchen Frauenmilch
benutzten.
Wir verfuhren genau nach B^champ (1. c.) und Hessen
die nach seiner Vorschrift gewonnene Fermentlösung auf einen
2 proz. Kleister von Reisstärke im Verhältnis von 5:1 24 Stunden
lang bei 38® C einwirken. Zur Ergründung der auf die Diastase
deletär wirkenden Temperaturen verfuhren wir auf zweierlei Art:
einmal erwärmten wir die einzelnen Milchproben selbst auf be-
stimmte Hitzegrade und bereitieten aus denselben erst dann die
Fermentlösung, — ein anderes Mal stellten wir aus der ganzen
zur Verfugung stehenden Milchmenge die Fermentlösung dar und
behandelten jetzt einzelne Proben derselben mit bestimmten
Temperaturen. Nachdem wir die Milchamylase 24 Stunden lang
im Brutschranke auf die Stärkelösung hatten einwirken lassen,
bestimmten wir den Grad ihrer Wirksamkeit durch Zusatz von
3 — 4 Tropfen der Gram sehen Jodkalilösung zu je 5 ccm der
Milch- oder Fermentlösungsproben, wobei uns die Färbung des
Hippias, Biologisches zur Milchpastearisicrung. 881
einfallenden Tropfens über die diastatische Kraft der Amylase
Aufschi uss gab.
In 6 Versuchen fanden wir übereinstimmend bei Prüfung
sowohl der Milchproben, als auch der Proben der Fermentlösung
folgendes Verhalten zu verschiedenen Temperaturen: in den ge-
kochten Flüssigkeiten tiefblaue Färbung; ebenso in den 1 Minute
auf 80 und 75® C, erhitzten Proben; in den 1 Minute auf 70* C-
erwärmten Proben rötlich- violette Färbung; in Milch oder Ferment-
lösung, die Va Stunde bei 65® C. oder 1 Stunde bei 60® C
pasteurisiert waren, keine Reaktion mit Jod; ebenso in den Proben
von Milch- oder Fermentlösung, die einer Erhitzung überhaupt
nicht ausgesetzt worden waren.
Resultat: Das amylolytische Ferment der rohen
Frauenmilch verwandelt Stärke in JDextrin; es bewahrt
seine volle Wirksamkeit nach Pasteurisierung der Milch
während 1 Stunde bei 60*0., oder V« Stunde bei 65® C;
eine kurzdauernde Erhitzung der Milch auf 70® C.
schwächt es so weit ab, dass es die Stärke nur bis zur
Stufe der Erythrodextrin abbaut; durch Erhitzung der
Milch auf 76® C. und drüber wird das Ferment zerstört.
Stellen wir nun die hier erhaltenen Resultate zusammen^
so ergibt sich folgendes Resumö:
1. Die Fähigkeit der Milch, ein spezifisches Laktoserum zu
bilden, wird auch durch das Kochen nicht vernichtet.
2. Die bakterizide Kraft der Milch ist noch recht beträchtlich
nach anhaltendem Erwärmen der Milch auf 60 — 65® C. und lässt
sich in geringem Masse auch nach kurzdauernder Erhitzung der
Milch auf 85® C. nachweisen.
3. Nach V. Behring müssen sich die Alexine der Milch
ebenso verhalten.
4. Das oxydierende Ferment der Milch wird bei 76® C.
zerstört, ist jedoch nach andauernder Pasteurisierung der Milch
bei 60 — 65® C. voll wirksam.
5. Das fettspaltende Ferment verträgt eine Paste urisierung
der Milch zwischen 60 und 63® C; durch die Erwärmung der
Milch auf 64® C. wird es unwirksam.
6. Das für die praktische Frage der Milchpasteurisierung
indifferente sogen, salolspaltende Ferment verträgt keine Pasteuri-
sationstemperaturen.
382 Hipp las, Biolof^isches sur MilchpasteurisieruDg.
7. Die proteolytischen Fermente sind in pasteurisierter Milch
ebenso wie in der rohen Milch wirksam und werden erst durch
Kochen zerstört.
8. Das amylolytische Ferment der Frauenmilch widersteht der
Dauereinwirkung von 60 — 65* C, geht jedoch bei 75^ C zu
Grunde.
Wir sehen also, dass die Tenazität der hier betrachteten
biologischen Eigenschaften der Milch gegenüber hohen Temperaturen
gleichfalls in den Rahmen hineinpasst, den wir in Bezug aaf
Dauer und Wärmegrade für die Pasteurisierung der Trinkmilch,
insbesondere der Kindermilch, gewählt haben. Am leichtesten
wird hierbei die Lipa^en Wirkung gehemmt, und ist daher die
Pasteurisierung zwischen 60 und 62^ C. während 1 Stunde der
Vi stundigen Pasteurisierung bei 63 — 66^ C. vorzuziehen. Eine
derartige Pasteurisation der Milch lässt sich im Haushalte leicht
bewerkstelligen, wenn der Pasteurisierapparat unter Thermometer-
kontrolle steht. Seit einem Jahre habe ich daher auch in der
Gebrauchsanweisung zu meinem Apparate die entsprechenden
Vorschriften gegeben. — Anders steht es mit der Pasteurisation
im Molkereiwesen, wo es nur auf eine genugende Entkeimung der
Milch und nicht auf feinere chemische und biologische Verän-
derungen derselben ankommt. Hier gilt es vor allem Zeit und
Arbeitskraft sparen: den Zwecken des Landwirtes genügt ein
Erhitzen der Milch und des Rahmes auf ca. 85* C. während
1 — 2 Minuten, wobei, wie wir gesehen haben, die proteolytischen
Fermente auch noch nicht zerstört werden. Aus solchem Material
lassen sich Butter und Weichkäse von vorzüglicher Qualität und
guter Haltbarkeit herstellen.
Somit befinde ich mich in vollem Einklänge mit Prof, Tjaden
welcher seine Ansicht mit folgenden Worten präzisiert: „Beide
Verfahren, die sogen, momentane, d. h. innerhalb 1 — 2 Minuten
sich vollziehende Erhitzung auf 85® und die eine Stunde dauernde
Erwärmung auf 63° bis höchstens 65 ^ stellen nach oben und
unten die Grenzwerte dar, zwischen denen Möglichkeiten vor-
handen sein müssen, die den jeweiligen Verhältnissen angepasst
dem Ziele einer Vernichtung der Krankheitserreger ohne Verän-
derung der Milch mehr oder weniger nahe kommen.^ (Deutsche
med. Wochenschr. 1903. No. 51. S. 978).
Hipp i US, Biologisches zur MilchpasteurisieruDg. 883
Wie nahe wir diesem Ziele bei richtiger Pasteurisierung der
Trinkmilch resp. Kindermilch kommen, ist nach allem hier Nieder-
gelegten recht deutlich geworden. Es lässt sich in folgenden
Sätzen formulieren:
1. Durch die Pasteurisierung werden alle in der
Milch eventuell enthaltenen infektiösen Keime un-
schädlich gemacht.
2. Chemisch bleibt die Milch dabei fast ganz un-
verändert. Wenn auch ein geringer Teil des löslichen Milch-
eiweisses infolge der Pasteurisierung in eine unlösliche Form
übergeht, so ist in praxi um so weniger eine Schädigung des
Konsamenten damit verbunden, als es sich um ein artfremdes
Eiweiss handelt, welches doch zum Zwecke der Assimilierung vor-
erst digeriert werden muss.
3. Die wichtigsten biologischen Eigenschaften der
Rohmilch bleiben der regelrecht pasteurisierten Kinder-
milch mehr oder weniger ungeschwächt erhalten.
Wir erkennen demnach in einer solchen Milch die fast ganz
unveränderte Rohmilch, deren Darreichung in der Kinderernährung
erstrebt wird, und zwar mit dem Gewinne, dass die Milch dabei
haltbarer und in keinem Falle infektiös ist.
Indem ich dies ausspreche, bin ich mir wohl bewusst, dass
ich auf theoretischem Boden stehe. Abgesehen von den aus-
gezeichneten praktischen Resultaten, die bisher bei der Ernährung
der Kinder mit gut pasteurisierter Milch erzielt und zum Teil in
der medizinischen Literatur niedergelegt sind, wäre es für den
uns hier beschäftigenden Gegenstand wichtig durch vergleichende
Emährungsversuche an gesunden Kindern nachzuweisen, wie weit
die von Escherich angenommene stimulierende Wirkung der
Stoffwechselfermente für den Endzweck der Ernährung den Stoff-
ansatz und das Wachstum von Bedeutung ist Moro (1. c, S. 418)
hat in diesem Sinne einen Versuch gemacht. Leider kann jedoch
sein Ergebnis uns keine Antwort auf unsere Frage geben, denn
er hat seinen beiden Säuglingen einmal die Milch wohl roh, das
andere Mal aber nicht etwa auf 80 — 85® C. kurze Zeit erhitzt,
sondern 10 Minuten im strömenden Dampfe sterilisiert gereicht.
In dieser Milch waren nicht nur alle Fermente zerstört, sondern
auch die groben chemischen Veränderungen eingetreten, die uns
in der sterilisierten Milch bekannt sind. Das ungünstige Ernährungs-
resultat, welches er hierbei beobachtete, kann und muss wohl
auch diesen Veränderungen zugeschrieben werden.
384 Hippiofl, Biologisches zor Milch pastearisierong.
Infolgedessen ging ich daran, den Moroschen Versuch
entsprechend zu modifizieren. Ich brauchte für meinen Versuch
eine Reihe von Kindern im Alter von 4 Monaten, d. h. solche
Kinder, die einerseits Vollmilch schon gut vertragen können und
andrerseits von der die Resultate trübenden Dentitionsperiode
noch genügend weit entfernt sind. Alle sollten die gleiche Misch-
milch erhalten, und zwar 3 stündlich in den von Feer angegebenen
Nahrungsmengen. Die Milch sollte 2 Wochen hindurch roh und
dann in Perioden von je 2 Wochen gekocht, bei 85^ C. 2 Minuten
pasteurisiert und bei 60 — 63^ C. eine Stunde pasteurisiert gereicht
werden. Tägliche Wägungen sollten darüber entscheiden, welche
Art der Ernährung den grössten Stoffansatz erziele. — Zu meinem
lebhaften Bedauern habe ich einen solchen Versuch nicht durch-
führen können, weil es mir am entsprechenden Material fehlt.
Im hiesigen Findelhause wurden mir allerdings 5 Kinder in liebens-
würdiger Weise für meine Zwecke überlassen, doch waren sie
sämmtlich recht atrophisch und standen im Alter von 6^8 Wochen.
Trotzdem ging ich an die vorgezeichneten Beobachtungen und
begann damit, die Kinder zunächst an Vollmilch zu gewöhnen.
Das gelang. Aber schon am 6. Tage der ersten Periode des
eigentlichen Versuches (Ernährung mit Rohmilch) erkrankten sie
sämtlich an schwerer Stomatitis aphthosa, und ich musste meinen
Versuch aufgeben. Ich erwähne desselben nur in der Absicht,
andere Beobachter, die über ein besseres Material verfügen und
unter glücklicheren Bedingungen arbeiten können, als es mir
vergönnt war, zu ähnlichen Versuchen anzuregen.
XIX.
Aas der IJDivergit&ts-Einderklinik zu Heidelberg.
(Direktor: Prof. 0. Vierordt)
Beitrag
zur Kenntnis des Meningococcus intracellularis.
Von
Dr. B. WEYL,
ASBlBtensant der Ambulanx.
Im Jahre 1896 gelang es Heubner, vermittelst der am-
gekehrten Lumbalpunktion, sowohl mit Kulturen des Meningo-
coccus intracellularis, dessen Identität mit dem kurz vorher von
Jäger bei epidemischer Cerebrospinalmeningitis beschriebenen
Mikroorganismus erwiesen war, als auch mit der einem erkrankten
Kinde entnommenen Punktionsflussigkeit bei zwei Ziegen das Bild
der epidemischen Cerebrospinalmeningitis zu erzeugen. Aus der
von den Rückenmarkshäuten abgestrichenen Flüssigkeit konnten
Reinkulturen des Meningococcus gewonnen werden. Ein gleicher
Versuch ist nach den Angaben von Eichhorst in Boston gelungen.
Auch Schiff infizierte zwei Ziegen intraspinal, erzeugte jedoch
nur vorübergehend spastische Erscheinungen. Auf gleiche Weise
töteten Alb recht und 6 hon eine junge Ziege, ohne dass es
ihnen möglich war, Kokken oder Entzündung nachzuweisen. Die
beiden letzten Autoren bestritten (Wiener klin. Wochenschrift,
1901, No. 41) die Identität des Heubn ersehen Meningococcus
mit dem von Weichselbaum zuerst gefundenen Diplococcus
intracellularis meningitidis und leugneten die Beweiskraft der
angestellten Versuche. Sie legten dabei das Hauptgewicht auf
die Gram sehe Färbung, die bei den Weichselbaumschen
Kokken stets negativ ausfallen soll und niemals, wie Heubner
es gefunden hatte, positiv. Danach waren eben jene positiven
Kokken von der Ätiologie der epidemischen Cerebrospinal-
meningitis auszuschliessen. Heubner entgegnete im Jahrbuch
Jahrbuch f. Ktnderbeilktinde. N. F. LZI. Heft 2. 25
tf86 Wejl, Beitrag zar EeDntnis des Meningococcas intracellalari«.
für Kinderheilkunde, 1902 (Nocli einmal der Meningococcus intra-
cellularis). Bei der Untersuchung von zwei Fallen, welche sich
klinisch als einwandsfreie Fälle von epidemischer Genickstarre
präsentierten, kam er zu folgenden Ergebnissen: In dem einen
Falle bei zweimaliger Untersuchung der Punktionsflussigkeit fand
er die in Form und Kultur typischen Meningokokken grampositiv;
in dem zweiten Falle wuchsen aus dem zu verschiedenen Zeiten
der Krankheit gewonnenen entzündlichen Exsudat zweimal gram-
negative und einmal grampositive Meningokokken. Die Fort-
züchtung veränderte die einmal gezeigte Farbreaktion niemals.
Das Verhalten der Kokken gegenüber der Gramfärbung war also
zu verschiedenen Zeiten ein verschiedenes. Auch Jäger fand
ungleiches Verhalten, und Leyden fand sie schwerer entfarbbar
als Gonokokken. Veranlasst zur Beschäftigung mit dem Thema
der Meningitis durch meinen hochverehrten Chef, dem ich meinen
ergebensten Dank ausspreche, beschloss ich, an der Hand eines
am 20. Juni in die Anstalt aufgenommenen Falles von epidemischer
Cerebrospinalmeningitis, speziell diesen Fragen meine Aufmerksam-
keit zuzuwenden und den Infektions versuch an der Ziege mit
gramnegativ sich verhaltenden Kulturen zu wiederholen. Dazu war
es erforderlich, zunächst die Identität des von mir in der Cerebro-
spinalflüssigkeit des erkrankten Kindes gefundenen Diplococcus
mit dem Meningococcus intracellularis durch Kultur und Tier-
versuch nachzuweisen.
Dass wir es klinisch mit einer sicheren epidemischen Cerebro-
spinalmeningitis zu tun hatten, das lehrt uns die Krankengeschichte
und der pathologisch-anatomische Befund, die ich zunächst in
möglichster Kürze vorausschicke.
Kern, Karl, 3 J., aus Weinheim. Eingetreten am 20. VI. 1904.
Eitern gesund. Patient nie krank. Normale geistige Entwicklang.
Seit dem 1. Jahr fiel den Eltern auf, dass der Kopf gross war.
Erkrankte plötzlich am 5. VI. (vor 15 Tagen) mit Fieber, Erbrechen,
Kopfschmerzen, Unruhe, Zittern in den Händen. Das Kind bohrte den Kopf
in das Bett; Bewusstsein war erhalten.
Im benachbarten Weinheim waren z. Zt. mehrere Personen an Hirnhaut-
entzündung erkrankt.
Status praesens: 20. VI. In dürftigem Ernährungszustande befind-
liches Kind. Liegt in Rückenlage, mit angezogenen Beinen und hinten über-
gezogenem Kopf, ist weinerlicher Stimmung, greift häufig nach dem Kopf.
In beiden Armen und Händen starker, grobschlägiger Tremor. Ausgeprägte
Nackenstarre, leichte schmerzhafte Rückenstarre, keine Lähmungen. Sen-
sorium frei. Hochgradige Erregbarkeit der Vasomotoren. Über den Körper
zerstreut flüchtige Erytheme. An den Schläfen und auf der Kopfhaut
Weyl, Beitrag zur Kenntnis des Meningococcas intracellularis. 387
Veneozeichnangen. Hirnschädel auffallend gross. Temporalumfang 53 cm.
Fontanellen and N&hte Yollstftndig geschlossen. Temp. 88,9, Pals 114.
21. VI. Erste Lumbalpanktion. Punktionsflüssigkeit leicht diffus
getrabt. Darin Eiterkörperchen und gonokokkenähnliche, gramnegative
Diplokokken, teilweise iDtracellulär. (Näheres siehe im bakteriolog. Teil.)
25. VI. Zweite Lumbalpunktion. Flüssigkeit stark trab, darin die-
selben Diplokokken in grösserer Anzahl als das erste Mal, zum Teil intra-
«ellalär, gram positiv.
29. VI. Gestern nur geringes Fieber, heute mittag 87,0. In Ruhe
gelassen, meist still, bei Berührung schreit oder weint das Kind. Abends
Temperatur wieder 88,6.
2. VIT. Zwei Tage wieder höheres Fieber, heute fieberfrei, bis 4. VII.
Wesentliche Besserung des Allgemeinbefindens, Kind zugänglicher, Nacken-
starre geringer.
4. VII. Dritte Lumbalpunktion. Flüssigkeit weniger trüb als das
letzte Mal, darin obige Diplokokken, gramnegatiy. Nach der Punktion
Collapserscheinnngen.
5. VII. Pat sehr unleidlich, schreit viel. Auf der Haut beständig
entstehende und rasch wieder verschwindende Eijtheme, öfter von masern-
ähnlichem Aussehen. Schlechte Nahrungsaufnahme.
6. VII. Seit gestern nachmittag Temperatur normal; mittags wieder 38,4.
Pat. sehr unleidlich; öfter lautes, kurzes Aufweinen. Sensoriam bisher
immer frei.
7. VII. Tief benommen. Temp. 89,2; reagiert gar nicht.
8. VII. Weniger tief benommen; reagiert mit Weinen und Abwehr-
bewegnngen.
12. VII. Anfallsweise hochgradiger, den ganzen Körper erschütternder
Tremor der Arme.
16. VII. Bis heute teilweise fieberfrei, nar einmal Temp. über 38.
Erbrechen hat aufgehört.
17. VII. Stark benommen. Hochgradige krampfhafte Steifheit fast
der gesamten Muskulatur. Den Blick starr und ausdruckslos in das Leere
gerichtet, liegt das Kind völlig steif mit zusammengepressten Lippen da.
Die Arme sind wie ein Stock steif ausgestreckt, in starker Ulnarflexion.
Hände extrem flektiert, alle Finger eingeschlagen. Beine überkreazt, gerade-
gestreckt; desgleichen Füsse in extremer Streckung. Haut beständig übersät
mit masernähnlichen, flüchtigen Erythemen.
19. VII. Benommen, doch nicht reaktionslos; Nackenstarre nicht mehr
nachweisbar.
Bereits am 18. VII. trat bei gemeinsamem Anstieg von Puls und
Temperatur eine enorme Beschleunigung der Respiration 'auf, die bis zu dem
am 23. VII. erfolgten Tode anhielt und ihre Erklärung in der Entwicklung
ausgedehnter Bronchopneumonien fand.
Vierte Lumbalpanktion post mortem. Es wird reichlich Flüssigkeit
entnommen, darin die obigen Doppelkokken gram negativ.
Sektionsbefand: (Dr. Pol) Dura prall gespannt, Hirnsnbstanz ihr an-
gepresst, Windangen stark abgeplattet, anämisch und Sulci verstrichen. Pia und
Arachnoidea der Konvexität ohne makroskopische Veränderungen, ap der
Basis dagegen verdickt, fibrinös eitrig belegt. Namentlich an der Pens und
25*
888 Weyl, Beitrag zar Kenntnis des Meningococcus intracellularis.
den Pedancali cerebri. Nach yorn za nimmt der Belag ab. Basaigefftsse in
die fixsndatmassen eingebettet. Nirgends Tal«erkelknötchen nachweisbar.
Beide Ventrikel hochgradig erweitert, enthalten reichlich trüb seröse Flfissig-
keit mit Fibrinflocken untermengt. Ependym leicht fibrinös belegt. Am
Rückenmark Quellang der Pia. Die Hinterpartie des Lumbal- und Caudal-
markes eitrig belegt. Nirgends, speziell in den Drüsen, Tuberkuloseyer-
dächtiges.
Die KrankeDgeschichte bietet uns eine gute Illustration zu
der sogen, protrahierten Form der epidemischen Cerebrospinal-
meningitis. Der Umstand, dass in dem benachbarten Weinheim
mehrere Fälle von Hirnhautentzündung zur Zeit der Erkrankung
unseres Pat. zur Beobachtung kamen, legte von vornherein den
Gedanken an die epidemische Natur der Meningitis nahe, zumal
da tuberkulöse Symptome, sowie eitrige Otitis, Schädeltrauma etc.,
die gewöhnlichen Ausgangspunkte purulenter Meningitis fehlten.
Als besonders charakteristisch für die Auffassung unseres Falles
als epidemische Genickstarre ist hervorzuheben der über einen
Zeitraum von fast 7 Wochen sich hinziehende, von wiederholten
Remissionen unterbrochene Erankheitsverlauf. Das plötzliche Ein-
setzen der krankhaften Erscheinungen, die von Anbeginn bis
4 Tage vor dem Tode noch bestehende Nackensteifigkeit. Als-
dann weitere zahlreiche motorische Reizerscheinungen, die schmerz-
hafte Ruckenstarre, der Tremor in Armen und Händen, die
mannigfaltigen spastischen Kontrakturen der Extremitäten. Yon
selten der sensiblen Sphäre machte sich andauernd teilnahmloses
Wesen bemerkbar. Dabei war das Kind zeitweise recht unleid-
lich bei der Untersuchung, freundlichem Zureden nicht zngängig,
gab nur widerwillig, oft unter Jammern die Hand. Das Bewusst-
sein war über den grössten Teil der Erkrankung völlig erhalten.
Die 17 Tage vor dem Tode einsetzende tiefe Benommenheit lässt
teilweise wieder nach. Auch gegen das Ende zu ist das Bewusst-
sein nicht ganz aufgehoben. Den von den Eltern bereits im
ersten Lebensjahre des Kindes bemerkten Hydrocephaius in ur-
sächlichen Zusammenhang mit der Meningitis zu bringen, dürfte
wohl kaum angängig sein. Das Kind war die ganze Zeit über
völlig gesund.
Bakteriologische Befunde:
21. VI. Erste Lambalpaoktion (am 17. Krankheitstage). Es werden
ca. 10 ccm einer leicht diffus getrübten Flüssigkeit entleert, bei einem Druck
von 14 mm Hg. Feines Fibrinnetz nach dem Erkalten, Eiweissgehalt gering.
Beim Cen tri fu gieren klärt sich die Flüssigkeit. Im spärlichen weissen
Sediment vorwiegend polynukleäre Leukozyten. In geringer Zahl gonokokken-
Weyl, Beitrag zur Kenntnis des Meniogococcas intracellularis. * 389
ähnliche Diplokokken, teilweise intracellulär, keine andere Mikroorganismen.
Eine Reihe auf Tnberkelbazillen hin untersuchte Präparate haben negatives
Ergebnis. Von der in sterilen Reagensgläsern aufgefangenen Cerebrospinal-
^üssigkeit wird geimpft auf ^ garplatten, Gelatineplatten, schräg erstarrtem
jgewöhnlichen Agar, Blatserum und Bouillon.
22. VI. Nach 24 Stunden Bouillon kaum getrübt, enthält relativ wenig
gramnegative Diplokokken. Am 23. VI. Bouillon unverändert, umgeimpft in
Bouillon und auf schräg^ erstarrtem gewöhnlichen Agar.
Agar bleibt steril.
Bouillon nach zwei Tagen leicht trüb, enthält gramnegatiye Diplokokken
in sehr geringer Anzahl. Heute am 25. VI. abgeimpft auf Gljzerinagar.
Nach 24 Stunden eben sichtbare mattglänzende, graue, unregelmässige Flecke,
<lie aus semmelförmigen, gramnegativen Diplokokken bestehen. Überimpfung
auf Glyzerinagar misslingt (die Kultur hatte einen Tag im Zimmer gestanden).
Bouillon nach 14 Tagen klar, weisser Satz, keine Häutchenbildung.
Die ursprünglichen Agar- und Blutserumröhrchen bleiben steril. Auf
der Oelatineplatte bei Stubentemporatur nichts gewachsen. Agarplatten stark
verunreinigt durch heubazillenähnliuhe Mikroorganismen. Ein kleiner Herd ent-
hält breitgedrückte Diplokokken.
Sämtliche Diplokokken färben sich nach Gram negativ. Ich betone,
dass die Methode der Färbung hier wie bei allen nachfolgenden Färbungen
immer genau die gleiche war (Aasnahmen sind besonders bemerkt). Die
Präparate werden drei Minuten in Kristall violett gebracht, eine Minute in
Jod-Jodkalilösung differenziert und mit Alkohol ca. eine Minute lang ent-
färbt. Dabei wurde stets nach der Uhr gearbeitet und yornehmlich auf
Gleichmässigkeit bei der Alkoholbehandlung geachtet. Die Kontrastfärbung
wurde mit Chrysoidin vorgenommen.
25. VI. Zweite Lumbalpunktion am 21. Krankheitstag. Flüssigkeit
•entleert sich im Strahl. Sie ist stark trüb mit feinen weissen Flöckchen
durchsetzt. Gröberer Fibrinschleier. Im ganzen entnommen ca. 25 ccm-
Zahlreiche polynukleäre Leukozyten, Lymphozyten in mittlerer Menge. Aus-
schliesslich an Gonokokken erinnernde Diplokokken, zum Teil intracellulär.
Diesmal reichlicher vertreten von verschiedener Grösse, die einen mehr, die
anderen weniger breit gedrückt In einer Reihe von Präparaten keine
Tuberkelbazillen. Nach Gram werden die Kokken nicht entfärbt, sondern
zeigen dunkelviolette Färbung, auch nach längerer Entfärbung in Alkohol.
Es wird geimpft auf eine Agarplatte und eine Gelatineplatte, beide bei
Zimmertemperatur gelassen, bleiben steril.
Weiter auf schräg erstarrten Glyzerinagar und in Bouillon (bei 36,5®
im Brütschrank; Bouillon sehr alt).
Nach 24 Stunden auf dem Agar nichts zu sehen. Nach ca. 36 Stunden
über dem Kondenzwasser sehr feiner streifenförmiger, graugelblicher Belag,
tags darauf etwss dicker, darüber und an den Rändern des Nährbodens feine,
wie Tanperlchen glänzende Kolonien.
Mikroskopisch: Massenhaft kaffeebohnenähnliche, schon färbbare
Diplokokken von wechselnder Grösse. Tetradenbildung.
Dazwischen (wohl Veronreinigung) einzelne Häufchen von sehr grossen
hefeähnlichen Zellen.
390 »Wejly Beitrag zur Kenntnis des Meninj2;ococcas intraceliularis.
Diplokokken alle grampositir, tief riolett, auch bei i&ngerer AlkohoU
behandlang.
29. VI. übertragen aaf zwei GlyzerinagarröhrcheD, bleiben steril.
In Bouillon nichts gewachsen. Nach 8 Tagen abermals abgeimpft auf Agar
und Bouillon, ohne Erfolg. Kultur ist im Wachstum stehen geblieben schon
Yor mehreren Tagen.
Zur Kontrolle der Färbung werden zwei Trocken pr¶te angefertigt
vom Material. 1. Der grampositiven Agarkultur, 2. der gramnegativen Agar-
kultur, der ersten Punktion und 8. von auf Agar gewachsenen Staphylokokken.
Gefärbt nach Gram finden sich grampositire und gramnegative Diplokokken
neben grampositiven Staphylokokken.
4. VII. Dritte Lumbalpunktion (am 30. Krankheitstage). Diese und
die beiden ersten Lumbalpunktionen wurden von Dr. Tob 1er ausgeführtr
ebenso in dankenswerter Weise die sich an die heutige Punktion an-
schliessende, erste Spinalpunktion einer Ziege. Von heute ab wird neue
Bouillon benutzt.
Zu Kulturzwecken werden nurmehr verwendet: Reagensgläschen mit
schräg erstarrtem Glyzerinpeptonagar und Bouillon.
Zunächst werden einige Kubikzentimeter der sich im Strahl ent-
leerenden Fl&ssigkeit abgelassen, alsdann nach Henbners Angabe die
Flftssigkeit direkt auf die Nährböden aufgetropft, nach Torherigem Abglühen
des Bandes der Beagensgläser. Flüssigkeit weniger trüb als das letzte Mal.
An der Oberfläche feines Fibrinflöckchen, Eiweissgehalt gering.
Mikroskopisch: Vorwiegend Lymphozyten. Äusserst spärlich gram-
negative semmelförmige Diplokokken, vereinzelt intracellulär.
Unter sorgfältigen aseptischen Kautelen werden einer jungen Ziege
ca. 4 ccm der gewonnenen Flüssigkeit in den subduralen Raum gebracht
(vier Punktionsversuche, Nadel hat sich mehrere Male mit Blutgerinnseln
verstopft).
Sofort nach der Operation sind die hinteren Extremitäten zum Teil
gelähmt. Tags darauf leichte Parese des rechten Vorderbeins. Nach bald
vorübergehender Fressunlust beginnt schon nach zwei Tagen die Lähmung
sich zu bessern. Am 28. VII., dem Tag der zweiten Injektion, ist die
Lähmung wesentlich zurückgegangen. Tier steht und läuft auf allen Vieren«
knickt hinten noch öfter ein, stets munter, fresslustig, keine Zeichen von
Allgemeinerkrankung.
5. VII. Bereits vormittags 9 Uhr deutliche Trübung der Bouillon in
den oberen Flüssigkeitsschichten, nimmt an Intensität in den folgenden
Tagen nicht mehr zu. Nach 14 Tagen absolut klar, weisses Sediment Keine
Häutchenbildung.
Mikroskopisch: Reinkultur von gramnegativen kaffeebohnenähnlichen
Diplokokken, einzeln in Tetraden, kleine Häufchen und einzelne Ketten
bis zu vier Gliedern, wobei die Trenn ungsl in ie der Kokken das sie ver-
bindende Band bildet.
Auf dem Glyzerinagar am Abend einzelne kleine, graue, durchsichtige
Herde, vornehmlich über dem Kondenswasser.
6. VII. Nachmittags 3 Uhr. Über dem Kondenswasser Belag etwas
.dicker, nach oben feiner werdend, darüber zarte, graue, durchschimmernde,
bläschenförmige Einzelkolonien.
Weyl, Beitrag zar Kenntnis des Meningocoocns intracellalaris. 891
überall schöne, sehr häufig in Tetraden zasammenliegende, gram-
negatiye, kaffeebohnenförmige Diplokokken.
Das teilweise gehäufte Zusammenliegen in Tetraden gibt dem mikro-
skopischen Bild ein bestimmtes charakteristisches Aassehen.
Besonders auffällig ist die zum Teil nicht unbeträchtliche Differenz in
der Grösse der Diplokokken bei gleicher Form. Die grossen Exemplare sind
intensiver gefärbt als die kleinen (Methylenblau).
Die Impfung auf Agarröhrchen wird fortan so vorgenommen, dass man
das zunächst reichlich mit dem Impfmaterial versehene Kondenswasser nach*
fraglich über den Nährboden fliessen lässt.
7. VII. In zwei Röhrchen etwas reichlichere runde, grössere und kleinere
Kolonien, wie Tautropfen, hellgrau, mit einem Stich ins Bläuliche, besonders
an den Rändern im durchscheinenden Licht, durchweg gramnegative Diplo-
kokken.
28. Vir. Vierte Lumbalpunktion: ^/q Stunde post mortem. £s werden
entleert ca. 60—70 ccm einer stark trüben Flüssigkeit, darin vorwiegend
poljnakleäre Leukozyten in reichlicher Menge.
Diplokokken wie oben in grosser Zahl, häufig intracellulär, auch zu
mehreren und in den Kernen« von wechselnder Grösse, gramnegativ.
Der Liquor cerebrospinalis wird ans der Punktionsnadel direkt bei
strenger Reinlichkeit auf die Nährböden aufgeträufelt (im Brutofen bei BS^b^),
Dieselbe Ziege erhält ca. 3 ccm Punktionsflüssigkeit intraspinal injiziert
nach vorher gründlicher Reinigung des Operationsgebietes. Gleich nach der
Operation keine Veränderung. Am nächsten Morgen erscheint das linke
Vorderbein gelähmt, teilweise auch das rechte. Temperatur 89,2. Kurze
Zeit fressunlustig. In den ersten Tagen etwas weniger lebhaft, matter Blick.
Bei lautem Rufen oder Händeklatschen fährt das Tier im Stall zusammen,
sucht allen Berührungen sich energisch zu entziehen, sonst keine krankhaften
Symptome. Am 12. VIII., dem Tage der dritten und letzten Spinalpunktion,
wird das rechte Vorderbein wieder gut bewegt nnd als Hauptstütze gebraucht.
Aueh der Zustand des linken Vorderbeins hat sich gebessert. Das Tier
frisst in der letzten Zeit gut, aber mit Auswahl.
24. VII. Erste Generation. Glyzerin peptonagar: Über dorn Kondens-
wasser kleine helle Perlen, gramnegative Diplokokken.
Bouillon schwach trüb. Die gleichen Kokken etwas grösser wie die
auf dem Agar gewachsenen. Nach 3 Tagen klar, feiner weisser Bodensatz.
25. VII. Zweite Generation. Agar: Schöne grosse Bläschenkolonien.
Im durchscheinenden Licht opalglänzend, im auffallenden, an dichteren
Stellen etwas gelblich. Mikroskopisch: Schöne gramnegative semmelförmige
Diplokokken.
26. VII. Dritte Generation. Agar: Zahlreiche grosse graue, meist
konfluierende Kolonien, reichlich über die Nährmasse verbreitet.
Typische, kaffeebohnenähnliche Diplokokken. Auffallende Grössen-
unterschiede, besonders grosse Kxemplare, mittelgrosse und kleine, die letzten
schwächer tingiert. Bei der Gramfärbung halten die grösseren und mittel-
grossen mehr oder weniger die Farbe auch bei längerer Alkoholbehandlung.
Einem jungen Meerschweinchen und einem Kaninchen werden zirka
5 ccm einer 24 stündigen Bouilloukultur unter die Haut des Rückens ge-
bracht. Keine Abszessbildung, Tiere bleiben wollig gesund.
392 Wejl, Beitrag zar Kenntni« des Meningococcoi iDtraeellalaris.
28. VII. Vierte Generation. Grauer, diffaser Überzag aaf Agar.
30. VII. Fünfte Generation. Ä.gar dicht bedeckt mit konfluierenden,
tr&b-graaen Kolonien, kaum darohsichtig, in der Peripherie hellere Tröpfchen.
In der Bouillon diesmal reichlich gewachsen.
1. VIII. Sechste Generation. Agar: Glasheller Schleier, spärlich über
dem Eondenswasser. Diplokokken klein.
2. VIII. Siebente Generation. Spärliche grane anregelmässige Flecken.
Bs wird geimpft von 6. und 7. Generation auf Agar. Bouillon, Blutsemm,
Aseitesflnssigkeit und Gelatine. (Auf letzterer wächst bei Stnbentemperatur
nichts.) Nach ca. 6 Standen wird mit dem Kondenswasser die Nährfläche
bespült.
Neben den Agarimpfnngen wird fortwährend in Bouillon geimpft und
von da wieder auf Agar, um jederzeit das nötige yirulente Material zuhaben.
8. VIII. Achte Generation. Grauer rasenförmiger Überzug, bisher
immer gramnegativ.
Ein Meerschweinchen erhält ca. 2 ccm Bouillonkultur intraperitoneal.
4. VIII. Neunte Generation. Weissl ichgrauer, trüber, undurchsichtiger,
massiger Belag. Nach Gram nicht gleichmässig entfärbt. Auch nach längerer
Alkoholbehandlung (ca. 2 Minuten) sieht man überall noch mehr oder minder
▼iolett geerbte Exemplare.
Die folgenden acht Generationen sind immer gramnegatiy und zeigen
zum Teil Üppiges Wachstum. Einigemal fand sich bereits am zweiten Tage
sehr schlechte und ungleichmässige Färbbarkeit In Bouillon yermehren
sich die Kokken in letzter Zeit dauernd auffallend wenig, das Aussehen der
Agarkulturen ist meist eintönig grau, bald mehr, bald weniger durchsichtig.
Einmal etwas dickere, weissliche, undurchsichtige Flecke (überall dieselben
Diplokokken, 8—4 Tage alte Kultur).
Am 3. VIII. auf Blutserum kaum sichtbarer Belag. Am 4. VIII. gleiches
Aussehen. Typische Semmelkokken, die besonders gut die Kontrastfarbe
aufnehmen bei der Gramfärbung.
In der Ascitesflüssigkeit Reinkultur von teilweise in Tetraden liegenden
Doppelkokken, gramnegatiy.
Das gleiche Kaninchen erhält intraperitoneal ca. 4 ccm Asciteskultur,
die stark angereichert ist mit 24 stündiger Agarkultur.
Tier frisst bereits am selben Tage wieder, bleibt andauernd gesund.
Darauf werden ca. 2 ccm Bouillonkultur einem Meerschweinchen
intraperitoneal einyerleibt.
Zur Steigerung der Virulenz werden yersuchsweise an yerschiedenen
Tagen mehrere rohe, ganz frische Eier als Nährboden präpariert, mit Meningo-
kokken beschickt und mit sterilen Tupfern bedeckt, bei 86,5® gehalten. Ein
Ei blieb steril, ein anderes war yerun reinigt. Nach Angaben yon E. Wiener
hat zuerst Hueppe das rohe Ei benutzt, Wiener selbst erzielte bei dem
für Ratten pathogenen Bacillus Danjsz in allen Fällen Virulenzsteigerang.
Er bereitet die Eier yor, indem er sie mit Seife wäscht, für kurze Zeit in
Sublimat legt, die eine Kappe abflammt, sodann mit ausgeglühter Präparier-
Wejl, Beitrag zur Kenntnis des Meningococcas intracellalftrie. 393
nadel eine entsprechende öfinung bohrt and in diese das Infektionsmaterial
mittels Platinöse einbringt.
7. YIII. Meerschweinchen am Vormittag, 8V2 Tage nach der Injektion
▼erendet. Ca. 3 Standen post mortem Sektion. Zanftchst wird anter asep-
tischen Kantelen je eine Öse Baachhöhlenflassigkeit entnommen and mit ab-
geglähter Platinnadel aaf Gljcerinagar and Boaillon gebracht.
Die Sektion ergibt eine sero-fibrinöse, leicht eitrige Peritonitis. Die
recht reichliche Baachhöhlenflassigkeit hat eine trübgraae, leicht gelb-
liche Farbe.
Mikroskopisch massenhaft in der Grösse nicht aaffUlig differente, mittel-
grosse, wohl gebildete, semmelförmige Kokken, die zam grossen Teil innerhalb
der Eiterkörperchen, dicht am sie heram and in den Kernen liegen. Die
meisten Zellen sind ganz yollgepfropft damit. Die zwischen den Zellhaafen
befindlichen Partien des Gesichtsfeldes enthalten relatir wenig Mikroorganismen.
Im Grampräparat haben alle Kokken die Kontrastfarbe angenommen.
8. YIII. In einem Agarröhrchen and beiden Boniilonröhrchen Rein-
kaltar von obigen gramnegativen deutlich semmelförmigen Diplokokken. In
Boaillon sp&rliches Wachstum (ein Agar yeranreinigt, durch lange faden-
förmige Gebilde). Auf dem ersten Agar graaweisslicher, ausgedehnter Belag.
Bouillon nur eben sichtbar getrübt, nach einigen Tagen feiner, weisser
Bodensatz.
Bei weiterer Impfang immer dieselben gramnegativen Diplokokken.
Von den am 8. VIII. geimpften Eiern wird mit aasgekochter Pravaz-
spritze Eimasse angesaugt und etwas davon auf Agar und in Bouillon gespritzt.
Im Eigelb einige dunklere Stellen. Eiweiss und Eigelb getrennt.
Keine F&ulnis bemerkbar. In mehreren Ausstrichpräparaten Ton Eigelb,
Semmelkokken in sehr geringer Anzahl.
Eine Ratte bekommt ca. 1 ccm Eigelb in die Bauchhöhle, zwei Tage
fressnnlustig, bis heute gesund.
Auf dem mit Eimasse beschickten Agar nach 86 Stunden schöne, graue
schwach durchsichtige, yielfach zusammenfliessende Kolonien in mittlerer
Anzahl. Bouillon eben trüb. Spärliche Diplokokken.
Die von dem Agar gewonnenen Diplokokken bleiben in grösserer
Anzahl bei der Gramfärbung violett, erst nach längerer Alkohol-
entfärbnng entfärben sich die meisten, dazwischen Überall noch leicht violette
Exemplare.
Einem Meerschweinchen werden intraperitoneal injiziert ca. 3 ccm
einer Bakterienaufschwemmung in Bouillonkultar. Beide 24 Stunden alte
Kulturen stammen vom ersten verendeten Meerschweinchen. Tier stirbt nach
zwei Tagen.
Am 9. VIII. Es werden geimpft:
1. Ein Kaninchen intraperitoneal mit ca. 5 ccm, 24 stündiger Bouillon-
knltnr, die stark angereichert ist mit aus dem Ei auf Agar gezüchteten
Diplokokken.
Tier bereits am Abend wieder fresslnstig, bis heute gesund.
394 Weyl, Beitrag zar Keuntnis des Meniogococcaa intracellalaris.
2. Eid Kaninchen subkutan (Bauchhan t), reichlich. Keine Abszess-
bildnng etc., bleibt gesund.
3. Ein Meerschweinchen unter die Banchhaut mit ca. 5 ccm der gleichen
Flüssigkeit, keine entzündlichen Erscheinungen, bleibt gesnnd.
4. Ein Meerschweinchen subkutan, reichlich mit 24 stündiger gewöhn-
licher Bouilionagarkultur, bleibt gesund.
10. VIII. Zweites intraperitoneal infiziertes Meerschweinchen am
gestrigen Abend (ca. 80 Stunden nach der Injektion) verendet. Sektion
ca. 12 Stunden post mortem. Fibrinöse Peritonitis, wenig trübgraue Flüssig-
keit in der Bauchhöhle. Steril überimpft auf Agar und Bouillon.
Im Ausstrichpräparat von der Bauchhöhlenflüssigkeit sehr zahlreiche,
mittelgrosse, vorwiegend intracellnlär und innerhalb der Kerne gelagerte,
kaffeebohnenförmige Diplokokken. Viele Zellen wieder ganz vollgepfropft
damit. Verschiedentlich rundliche, wie Einzelkokken aussehende, besonders
um die Zellen herumgelagerte Gebilde, viele von unregelmässiger Gestalt,
dazwischen formlose Körnchen (Zerfallprodukte?).
Gramfärbung an mehreren Präparaten zeigt alle Mikroorganbmen aus-
nahmslos völlig entfärbt.
Eine weitere von injiziertem Eigelb erhaltene Agarkultur zeigt aus-
schliesslich mittelgrosse, semmelformige Diplokokken.
Bei der üblichen Gramfärbung bleiben fast alle Kokken mehr
oder weniger violett. Auch da, wo sie einzeln liegen. Erst nach langer
Alkoholbehandlung und Anilinxylolentfärbung geben die Kokken zum grössten
Teil die Farbe ab. Immerhin aberall noch zahlreiche, bald dunkler, bald
hell violett gefärbte Exemplare. Analoges Verhalten zeigt sich bei
einer zweiten Agarkultur.
11. VIII. Auf Agar vom Meerschweinchen, reichlich Diplokokken
gramnegativ (wird weitergeimpft).
In Bouillon spärlich gewachsen.
12. VIII. Auf Agar II vom 2ten Meerschweinchen grauer, aus kon-
flaierenden rundlichen Einzelkolonien zusammengesetzter Überzug. Nur gram-
negative, semmelformige Diplokokken.
Von dieser Kultur erhält die Ziege in ca. 3 ccm Bouillonkultur gleicher
Herkunft eine intradurale Injektion.
Nach der Operation keine Veränderung.
13. VIII. Ziege macht schwerkranken Eindruck. Liegt platt auf dem
Bauch, rührt sich nicht von der Stelle, frisst und säuft nichts mehr. Der
Blick ist matt, die Ohren in beständigem leisen Tremor. Bei lautem Hände-
klatschen und Rufen fährt das Tier zusammen. Beim Messen der Temperatar
und Druck auf die unteren Partien der Wirbelsäule meckert es jämmerlich.
Temp. am Mittag 40,6.
„ am Abend 40,2.
14. VIII. Zustand derselbe, frisst hie und da etwas, rührt sich nicht
von der Stelle. Von Zeit zu Zeit (etwa alle 1 — 8 Minuten) tritt in den
vorderen Rumpfpartien und Extremitäten ein kurzes, krampfartiges Zucken auf.
Terap. am Mittag 40,1.
, am Abend 39,9.
Weyl, Beitrag zur Kenntnis des Meningococoas intracellalaris. 305
15. VIII. Temp. 39,6, etwas fresslustiger, yersacht sich zu er-
heben, hat den Kopf öfter aufgerichtet. Da eine, wenn auch langsame
Erholung nicht unwahrscheinlich erscheint, wird das Tier nachmittags 4 Uhr
getötet. Unmittelbar darnach werden mittels Lumbalpunktion einige
Tropfen Cerebrospinalflussigkeit entnommen und zu Impfzwecken ver-
wendet. Desgleichen wird geimpft Ton der Gehimoberflächenflüssigkeit und
Yom Ventrikelinhalt.
Die Nährböden bleiben alle steril bis auf ein Bouillonröhrohen, in
dessen spärlichem Bodensatz sich drei Tage später einige wenige semmel-
formige Diplokokken finden.
Überimpfung war erfolglos. Demeutsprechend fanden sich in der
zellenreichen Cerebrospinalflussigkeit nur in einem Präparat ein intracellulärer
und zwei extracelluläre sichere, semmelförmige Diplokokken.
In den Kulturen und Abstrichpräparaten keine anderen
Mikroorganismen.
An der Gehirnoberfläche makroskopisch keine Veränderungen er-
kennbar. In der Gegend des verlängerten Marks Hyperämie Jier weichen
Räckenmarkshäute. Von dem in der Dura belassenen Rückenmark kommen
von verschiedenen Stellen entnommene Stückchen zur Härtung. Für die
weitgehende Hülfe bei der Anfertigung der Präparate spreche ich Herrn
Dr. Hoff mann meinen besten Dank ans.
Die histologische Untersuchung ergab das zweifellose Vorhandensein
einer Meningitis spinalis mit spärlichem eitrigen Exsudat. Am stärksten ist
die Lendengegend befallen, darnach die Gegend der Cervikalanschwellnng.
Die Pia ist vornehmlich an der Hinterseite des Rückenmarks diffus, zum Teil
dicht von Eiterzellen durchsetzt, die verschiedentlich in der Wand und der
Umgegend kleiner Gefässe angehäuft erscheinen. Auch die Dura ist stellen-
weise in der Lumbaigegend in Mitleidenschaft gezogen. Die Zellinfiltratiou
setzt sich längs der Gef&ssscheiden in das Rückenmark fort, teilweise rechi
reichlich.
In Gewebsschnitten finden sich vielfach Gebilde, die in Form and
Grösse Meningokokken entsprechen. Mit absoluter Sicherheit konnte aber
ihre Identität nicht festgestellt werden.
Einem Kaninchen werden ca. 2 — 3 ccm von in Bouillonknltur auf-
geschwemmtem Kbkkenmaterial (einer 24 stündigen Agarkultur) intraspinal
injiziert. Nach der Operation Unbeholfenheit der hinteren Extremitäten, die
Tags darauf wieder verschwunden ist (Siehe weiter unten!)
Im vorliegenden Fall wurde viermal die Lumbalpunktion
gemacht und zwar dreimal zu Lebzeiten des Kindes, am 17., 21.,
und 30. Krankheitstage; das letzte Mal ca. Vs Stunde post mortem.
Jedes Mal ergab die Untersuchung des nativen Präparates sowie
der Kulturen die gleichen Mikroorganismen, eben jene semmel-
förmigen Diplokokken.
Die Hauptmomente, welche ihre Auffassung als Meningo-
kokken rechtfertigen, seien kurz zusammengestellt.
396 WiBjl, Beitrag zur Kenntnis des Meningococcas intracelluiaris.
Im Gegensatz zu den Pneumokokken, die mit deutlicher
Kapsel versehen, schlank und zugespitzt erscheinen, hatten die
Diplokokken eine breitgedrückte, plumpe, semmelförmige Gestalt
mit manchmal unscheinbarem kapselähnlichem Saum. Zwei
Präparate von aus Empyemeiter in Bouillon und auf Agar ge-
züchteten Pneumokokken Hessen vergleichsweise die Unterschiede
deutlicli erkennen.
Jedes Mal konnten intracellulär gelagerte Diplokokken in
der Punktionsflüssigkeit gefunden werden. In den von der
Peritonealflüssigkeit der Meerschweinchen angefertigten Präparaten
waren die Zellen ganz vollgepfropft damit.
Charakteristisch war das häufige Zusammenliegen in Tetraden
und die oft nicht unbeträchtliche Grössendifferenz der einzelnen
Individuen. Ketten, wie oben beschrieben, habe ich bis zu
6 Gliedern gesehen, gehäufter in einem der letzten Präparate.
Das im Anfang spärliche Wachstum nahm später beträchtlich zu,
sistierte öfter schon am 2. oder 3. Tage. Frühes Absterben
wurde mehrfach beobachtet.
Gut wuchsen die Kokken auf Glyzerinagar, in Bouillon,
auch auf Blutserum, bei 36 — 37 •, gar nicht dagegen ' auf
Gelatine bei Stubentemperatur. Die Kolonien auf Glyzerinagar
zeigten im wesentlichen ein farbloses Grau, waren vielfach, aber
nicht immer durchsichtig.
^ Subkutane Einverleibung von Kokkenaufschwemmungen bei
Meerschweinchen und Kaninchen machte die Tiere nicht krank.
Erst bei intraperitonealer Injektion starben die Meerschweinchen.
Aus der Peritonealflüssigkeit derselben wurden die Meningokokken
in Reinkultur gewonnen. Kaninchen dagegen blieben auch bei
intraperitonealer Infektion gesund.
Desgleichen misslang der Versuch, mittelst intraspinaler
Infektion ein Kaninchen krank za machen, resp. Meningitis zu
erzeugen.
Nach Abschluss der Arbeit höre ich, dass das Kaninchen
vor mehreren Tagen verendet ist. Eine Sektion war aus
äusseren Gründen nicht möglich!
Das Verhalten der Meningokokken gegenüber der Gramf&rbung
wurde durchweg geprüft bei stets gleichbleibender Färbe-
methode, unter Kontrolle der Uhr. Bei der ersten, dritten und
vierten Punktion verhielten sich die Mikroorganismen gramnegativ,
Weyl, Beitrag zar Kenntnis des Meningococcas intracellalaris. 397
bei der zweiten, sowohl im direkten Präparat, wie in der Agar-
kaltur, grampositiv.
Leider ist es nicht gelungen, die grampositiven Kokken von
dem Glyzerinagar weiter zu züchten.
Sie stimmten überein mit den gramnegativen Meningokokken
in ihrer zum Teil intracellulären Lagerung, in dem zunächst
spärlichen Wachstum (auf dieser einzigen Agarkultur) und in der
Farbe der Kolonien. Die Form war ausgesprochen kafPee bohnen-
ähnlich, deutliche Grössen differenz überall erkennbar. Tetraden-
büdung.
Die bei der vierten Lumbalpunktion gewonnenen Meningo-
kokken verhielten sich zunächst rein gramnegativ, behielten aber
diese Eigenschaft bei der Fortzüchtung nicht durchweg bei. Die
dritte und neunte Generation entfärbte sich auch bei längerer
Alkoholbehandlung als üblich, nicht völlig, überall fanden sich
noch reichlich Diplokokken, vornehmlich waren es die grösseren,
welche die Farbe nur zum Teil abgegeben hatten.
In höherem Masse war das veränderte Verhalten gegenüber
der Gramfärbung ausgesprochen bei den, vom infizierten Ei auf
Glyzerinagar gewachsenen Kulturen, die sich zunächst fast gar-
nicht entfärbten. Das Gesichtsfeld Hess mit wenigen Aus-
nahmen nur violette Kokken erkennen. Erst nach wesent-
lich längerer, mehrere Minuten dauernder Alkoholbehandlung und
Entfärbung in Anilinxylol wurde der grössere Teil entfärbt.
Überall sieht man noch viele blassviolette und dunkler tingierte
Organismen, auch da, wo sie einzeln liegen.
Andere Male gelang die Entfärbung wieder sehr leicht, wobei
der Alkohol ca. 10 — 16 Sekunden zur Einwirkung kam.
Ohne weitere Schlüsse hieraus ziehen zu wollen, konstatiere
ich lediglich die Tatsache und werde in Zukunft weiterhin mein
Augenmerk auf diesen Punkt richten.
Die erste bei der Ziege vorgenommen^ intraspinale Infektion
mit Punktionsflüssigkeit hatte, ich sehe von den Lähmungs-
erscheinungen ab, nur vorübergehende Fressunlust des Tieres zur
Folge. Schwerere Zeichen einer Allgemeinerkrankung waren
nicht vorhanden. Die geringe Reaktion des Tieres auf den Ein-
griff ist durch die damals geringe Giftwirkung der Meningo-
kokken wohl erklärlich. Das Kind war seit mehreren Tagen
fieberfrei, der Allgemeinzustand hatte sich erheblich gebessert,
in der Pnnktionsflüssigkeit waren nur spärliche Kokken zu finden.
398 Wejly Beitrag zar Kenntnis des Meningococcus intracellalaris.
Nach der zweiten Panktion hatte man entschieden den Ein-
druck einer leichten Allgemeinerkrankung (siehe 23. VU.). Da
der Zustand sich langsam besserte, wurde zur dritten Punktion
geschritten, diesmal mit 24 stündigen gramnegatiren Kulturen.
Die Folge waren, neben häufig auftretenden krampfhaften Zuckungen
in den vorderen Kumpfpartien und Extremitäten^ schwere
allgemeine Erankheitssymptome (siehe unter 13. YIII.). Die Tem-
peratur erreichte 40,6 ®. Die Ziege war also durch die Infektion
in einen chronischen Erankheitszustand versetzt worden, der bei
erneuter Injektion einer akuten Verschlimmerung Platz machte.
Die Erscheinungen gingen dann langsam wieder zurück. Da
auch nach der dritten Punktion diese Möglichkeit nicht aus-
zuschliessen war, wurde das Tier noch auf der Höhe der Erank-
heit getötet.
Die histologische Untersuchung des Rückenmarks ergab
zweifellose Meningitis (siehe unter 15. VIII.), die wir auf die Gift-
wirkung der Meningokokken zurückführen müssen, zumal keine
anderen Mikroorganismen gefunden wurden. Bemerkenswert ist
das schnelle Verschwinden der Eokken aus der Cerebrospinal-
flüssigkeit. Eine Vermehrung hatte jedenfalls nicht stattgefunden.
Fassen wir noch einmal die Ergebnisse unserer Untersuchung
zusammen:
Wir haben vor uns das Erankheitsbild der typischen
epidemischen Cerebrospinalmeningitis. Als Erreger derselben
wurde ein Diplococcus gefunden, dessen Identität mit dem
Meningococcus intracellularis durch das mikroskopische Bild, das
Verhalten der Eulturen und durch den Tierversuch erwiesen ist
Die Meningokokken zeigten gegenüber der Gram-
färbung zu verschiedenen Zeiten verschiedenes Ver-
halten und zwar in gleicher Weise, sowohl in den von der
Punktionsflüssigkeit angefertigten Ausstrichpräparaten wie in den
Eulturen.
Damit bin ich in der Lage, die Angaben Heubners zu
unterstützen. Ich kann aber noch einen Schritt weitergehen
und konstatieren, dass die einmal gezeigte rein gram-
negative Farbreaktion der Meningokokken bei der Fort-
züchtung nicht dauernd beibehalten wurde.
Eine Ziege, der vermittelst umgekehrter Lumbalpunktion
mehrfach gramnegative Meningokokken in den Durasack ge-
bracht wurden, erkrankte chronisch mit auf eine Rückenmarks-
afiPektion hindeutenden Erankheitssymptomen und nach der 3. In-
Weyl, Beitrag zur Kenntnis des Meningococcas intracellularis. 399
jektion mit schweren Allgemeinerscfaeinungen. Die histologische
Untersuchung von Schnitten aus verschiedenen Stellen des Rücken-
marks ergab eine Meningitis spinal is.
Literatur- Verzeichnis.
1. Berdach, Deutsches Archiv f. klin. Med. 1900. Bd. 65. S. 449.
2. Biedert, Lehrb. d. Kinderkrankh. 1902.
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4. Eichhorst, Die d. Klin. y. £. ▼. Lejden. 44. Lief. Bd. 2. S. 321.
5. Heabner, Jahrb. f. Kinderheilk. 1896. Bd. 43.
6. Derselbe, Jahrb. f. Kinderheilk. 1902. 3. Folge. Bd. 6. S. 359.
7. Derselbe: Lehrb. f. Kinderheilk. 1903. Bd. 1.
8. J&ger, ZeiUchr. f. Hygiene. 1895. Bd. 19.
9. Leichtenstern, Deutsche med. Wochenschr. 81. 1885.
10. Lewkowicz, Jahrb. f. Kinderheilk. 1902. 3. Folge. Bd. 5. S. 266.
11. Schiff, Centralbl. f. inn. Med. 1898. Bd. 19. S. 577.
12. Weichselbaum, Fortschr. d. Med. 1887. No. 18 u. 19.
Zusatzbemerkung des Redakteurs dieser Zeitschrift.
Der einzige seit meiner letzten Veröffentlichung von mir
beobachtete Fall von epid. Cerebrospinalmeningitis hat wieder
dasselbe wechselnde Verhalten der bei den einzelnen Punktionen
gewonnenen Kokken gegenüber der Gramfärbung ergebet, wie ich
es in meiner Entgegnung beschrieben und wie es Herr Weyl in
seinem Falle beobachtet hat. Die Beschreibung dieser neuen
Beobachtung wird mein Assistent, Herr Stabsarzt Kob, in den
Charite-Annalen geben.
Ich benutze die Gelegenheit, um noch auf einen Vorwurf
zurückzukommen, den Professor Weichselbaum der von mir an-
gewendeten Methode, den Meningococcus durch Kultur zu ge-
winnen, gemacht hat (Centralbl. f. Bakt., Bd. XXXHI, 1903,
No. 7, S. 521): dass sie leicht zu trügerischem Wachstum von
anderweiten in die Punktionsflüssigkeit hineingeratenen Keimen
(von der Haut oder der nicht genügend sterilen Punktionsnadel)
führen könne. — Daraufhin habe ich in einer grossen Reihe tön
Fällen (über 20), wo ich Spinalflüssigkeit durch die Punktion
gewonnen hatte, wo es sich aber nicht um epid. Cerebrospinal-
meningitis handelte, in ganz derselben Weise, die Prof. W. tadelt,
Ktdturen hervorzubringen versucht, wie ich sie in den ersten drei
Fällen von Cerebrospinalmeningitis erhalten hatte, aber nicht in
einem einzigen Falle ist etwas auch nur Ähnliches gewachsen.
Also so leicht, wie Herr W^. dieses anzunehmen geneigt ist, treten
Verunreinigungen bei dem von mir regelmässig angewendeten
Verfahren nicht ein; seine Hypothese genügt also nicht zu dem
Versuche seiner gegen mich angestrengten Beweisführung.
Heubner.
Vereinsbericht
Verhandlungen der Gesellschaft für Innere Medizin und
Kinderheilkunde in Wien.
(Pädiatrische Sektion.)
1. (aasserordentliche) Sitzung (21. I. 1904).
Der Vorsitzende, Professor Escherich, h< eine kurze Begr&ssangb-
anspräche, in der er den Zweck und die Ziele der Vereinigung der Ver-
sammlung darlegt, worauf die Wahl des Vorstandes der Sektion für Kinder-
heilkunde erfolgt.
1. Prof. Escherich: Demonstration des Krankheitsblldes der
Chorea molUs bei einem 4jährigen Knaben. (Wiener klin.-therapeutische
Wochenschr. No. 5. 1904.)
14 Tage vor der Spitalsaufnahme begann das Kind das rechte Beio
beim Gehen nachzuschleppen und über Schw&che in demselben zu klagen,
auch die anderen Extremit&ten wurden mehr weniger paretisch. Gleichzeitig
zeigten sich starke Sprachstörungen. Der Vortragende demonstrierte die
derzeit bestehende totale schlafife Lähmung der gesamten Rucken- und des
grössten Teiles der Extremitätenmusknlatur. Intendierte Bewegungen konnten
nur links und da erst nach l&ngerer Anstrengung erzielt werden, wobei sie
den wohlcharakterisierten Typus der choreatischen zeigten. Im Ruhestand
bestand das Bild der schlafifen L&hmung. P. R. leicht gesteigert. Normale
Sensibilit&t. Herzaktion arhjthmisch. Töne rein. Normaler Befund der
inneren Organe.
Prof. Escherich definiert an der Hand dieses Falles den Begriff der
Chorea mollis in diagnostischer, prognostischer und therapeutischer Hin-
sicht. An der an den Vortrag sich anschliessenden Diskussion beteiligen
sich die Herren Hochsinger, Neurath, Zappert und Eisenschiti.
Dr. Hochsinger demonstriert 1. einen Fall von Lues eongenlta«
Die Haut des 4 Wochen alten Kindes zeigt ausschliesslich diffuse luetische
Infiltrationsherde, keine solitär stehenden spezifischen Effloreszenzen.
Der Vortragende demonstriert an dem Kinde durch Umschnürung des
Oberarmes das von ihm bei der Myotonie der Säuglinge beschriebene Faofct-
phänomen.
2. Fall von Trommelsehlägrelfingern bei einem 2jährigcn, mit einer
chronischen Lungeninfiltration behafteten Kinde, das früher an Pertussis er-
krankte. Herzbefund normal. Hochsinger ist geneigt, diesen Fall in die
von Pierre Marie beschriebene Krankheitsgrappe der Osteoarthropathie
hypertrophiante pneumiqne einzureihen.
Verein sbericht. 401
Vortrag Dr. F. Hamburger: Biologisehes zur S&OgllngsepnfthPnilff.
Der Vortragende bespricht in übersichtlicher Weise die Genesis der VervoU-
kommnang der künstlichen Ernährung sowie die Unzulänglichkeit der Re-
•altate bei künstlicher Ernährung gegenüber denen der natürlichen. Ham-
barger begründet dies mit der Verschiedenheit der Frauen- und Kuhmilch,
welch letztere trotz ihrer grossen Ähnlichkeit und der .angestrengtesten
Versuche, sie in dieser Hinsicht zu yervollkommnen, doch ganz anders ge-
artet ist. An der Hand serobiologischer Versuche der Milch zeigt er die
Verschiedenheit des sonst so ähnlichen Kuhmilch-Caseins gegenüber dem der
Frauenmilch. Auf Grund der biologischen Verschiedenheiten ist es daher
auch .erklärlich, dass das für den Menschen artfremde Eiweiss der Kuhmilch
die Epithelzellen des kindlichen Verdauuogskanales, insbesondere der mensch-
lichen >iengeborenen, schädigen kann. Die Tatsache, dass bei künstlich er-
nährten Säuglingen die Verdauungsarbeit eine grössere ist bei Einführung
gleicher Kalorienzahlen als beim natürlich ernährten Kinde, sowie das
Auftreten Ton Verdauungsleukozytose bei künstlich ernährten Kindern
weisen auch auf eine erhöhte Arbeitsleistung bei der Assimilation der Kuh-
milch hin.
In weiterer klarer Folgerung dieser Erfahrungen kommt der Vor-
tragende zu dem Schlüsse, dass der natürlichen Ernährung des Kindes möglichst
Raum geschaffen werde. (Wiener med. Wochenschr. No. 5. 1904.)
Prof. Kassowitz erklärt, dass ein künstlich ernährtes, gesundes Kind
sich in nichts von einem Brustkinde zu unterscheiden braucht, gibt aber zu,
dass es schwieriger ist, ein künstlich ernährtes Kind gesund zu erhalten als
ein Brustkind.
Prof. Escherich weist darauf hin, dass Hamburger seinen Vortrag
nur Tom rein theoretischen Standpunkt anfgefasst wissen will, ohne damit der
Knhmilchernährung ihre bedingte Berechtigung nehmen zu wollen.
1. ordentliche Sitzung 4. II. 1904.
Prof. Escherich begrüsst die Versammlung in herzlichen Worten,
gibt dann in seinem Vortrage ein Bild der Eotstehung der Klnder-
heilkunde In österreleh and Dentsehland und schildert die Gründe, die
für die Bildung eines Vereins für Kinderheilkunde im Anschlüsse an den für
innere Medizin richtunggebend waren. Der Redner weist an der Hand der
früher in Österreich geschaffenen Institutionen auf die Bedeutung derselben
Tür die Entwicklung der Kinderheilkunde hin und schildert dann den Auf-
schwung dieses Faches daselbst wie in Deutschland, als die Erkenntnis Platz
griff", dass an Stelle der „Pediatria sentimentale** die exakte systematische
Korschung mit Zuhilfenahme der in der internen Medizin geübten Methoden
treten müsse.
Dr. Moro: Demonstration von Frauenmlleh. M. schildert das voo
Behring angegebene Verfahren und die Gründe, welche hierfür angegeben
wurden, zeigt, dass der Formal in zusatz ein sehr gutes Milchkonsenrierungs-
mittel sei, hebt den geringen Formalingeschmack der Milch hervor, be-
fürchtet jedoch eyentnell Nierenreizung bei deren Genuss und im Miloh-
verschleisse Unfug.
Dr. Galatti: Demonstration eines S&ugUnsTS mit aasgebreiteten
Moskelaplaslen resp. llnskelhypopJaslen.
Jahrbuch f. Kinderheil knade. N. F. LXI. Heft 2. 26
402 Vereiosbericht.
Dr. Koenigsteio: Demonstration eines Haematoma septl iiarlam
abseedens bei eiDem 4j&hrigeii Knabeo.
Diskussion: Dr. Roth.
Dr. L. Je hl d: Über den bakterlologlsehen Befand bei Dysenterien
Im Kindesalter. J. berichtet über seine mit Dr. Charleton gemach tet
bakteriologischen Untersuch aogen bei Dysenterie, gewöhnlichen Diarrhöen
nnd normalen Stühlen. Der Aator kommt zn dem Schiasse, dass es keinen
einheitlichen Djsenterieerreger, sondern mehrere Spielarten gibt, und
morphologisch dem Dysenteriebacillus Ähnliche Bakterien auch bei anderen
Stahlarten vorkommen. Aach die Agglutination mit den verschiedenen
Varietäten von Dysenteriebazillen gibt keine einheitlichen Resaltate.
Anmerkung: Dem Vortrage Dr. Jehles schloss sich in der Gesell-
schaft für innere Medizin ein Vortrag von Dr. Lein er über epidemische
Dysenterie speziell im Kindesalter an. Indem er hierbei die Ähnlichkeit
seiner Stämme mit dem Bacillus Flezner nachweisen konnte, erbrachte er zu-
gleich den Beweis für die ätiologisch nicht einheitliche Infektion bei der
Dysenterie.
In der sich anschliessenden Diskussion konnte Prof. Escherich darauf
hinweisen, dass er in den von ihm als Colitis contagiosa bezeichneten
Krankheitsbildern die pathologisch -anatomischen Befunde der Dysenterie er-
kannte. Das Fehlen einer wohlcharakterisierten Ruhrepidemie in Graz sowie
eines Immunserams zur Differenzierung der Kulturen hielten ihn damals ab,
das Krankheitsbild als Ruhr zu bezeichnen.
3. Sitzung.
Dr. Rosenberg: Demonstration von 10 Exemplaren der Taenia
eneumerlna, abgetrieben bei einem 14 Monate alten Kinde, infiziert von
einem Hunde. Als Abtreibungsmittel verwendete er Extractum filicis maris.
Primarius Dr. Riet her: Demonstration von Clavlcalartraktaren
bei Neugeborenen, hauptsächlich bei spontanen Entbindungen, verursacht
durch die Handgriffe der Hebammen bei der Entwicklung der Schultern.
R. hat als erster auf diesen Verletzungsmodus hingewiesen.
Primarius Dr. Knoepfelm acher: Demonstration eines 18 Jahre
alten Kindes mit raehitlsehem Zwergwuchs. Körperläuge 84 cm.
Diskussion: Prof. Kassowitz.
Dr. Zuppinger demonstriert ein lOjähriges Mädchen mit schwerer
HemlathetQse naeh cerebraler Kinderlähmung. Das Krankheitsbild ist
mit dem der posthemiplegischen Chorea leicht zu verwechseln.
Diskussion:
Dr. Rosenberg weist auf die tropho-neurotische Störung der Hand-
knophen der kranken Seite hin.
Dr. Swoboda bespricht das Vorkommen von Trommelsehläger-
flngern im frühen Kindesalter bei chronischen Erkrankangen der Lunge
und des Herzens.
2. Demonstration eines raehitlsehen Thoraxprftparates mit be-
sonders schweren Veränderungen.
Gesellschaft für innere Medizin etc. in Wien. 403
Dr. Lehndorff demonstriert ein 6 Jahre altes Mädchen, welches in-
folge der angeborenen abnormen Schlaffheit der Kapsel nnd Bänder des
Kniegelenkes willkürllebe Loxatlon hervorrufen kann.
Dr. Luithlen: Demonstration eines Falles von atypiseher
Psoriasis.
Dr. B. Schick stellt ein 12jähriges Mädchen mit Tuberkulose des
Baehens und der Tonsillen bei gleiebzeitlgrer doppelseitiger Lungen»
spltzenaffektion vor. Die grosslamellöso Schappung der Haat im Zu-
sammenhange mit dem Rachenbefund könnten Anlass zur Verwechslung mit
Scarlatina im Stadium der Abschuppnng geben.
Fortsetzung der Diskussion über den Vortrag Hamburger: Biologir
sebes zur Säuglingsem&bmng.
Dr. Schlichter widerspricht den Darlegungen Hamburgers auf
Grund seiner Erfahrangen in der Praxis und sucht die Differenzen, die sich
bei der Säuglingsernährung ergeben, mit der Wichtigkeit der Milchfermente
in Einklang zu bringen.
Dr. Moro erinnert an seine Versuche zur quantitativen Bestimmung
der Serumkomplemente, sowie an seine Beobachtungen der Verdauungs-
lenkozjtose bei erstmaliger Darreichung von Kuhmilch und deutet diese Er-
scheinungen im Sinne Hamburgers. Er hält es der biologischen Forschungs-
richtnng zugute, dass sie zum erstenmale den Satz von der Unersetzlichkeit
der Fraaenmilch durch Tiermilch einwandsfrei bewiesen hat.
Prof. Escherich weist auf die Wichtigkeit der Befunde Hamburgers
vor allem auf theoretischem Gebiete hin. Escherich fuhrt die grossen
Schwierigkeiten der künstlichen Ernährung besonders bei Frühgeburten in
vielen Fällen auf das quantitativ ungenügende Assimilations- (nicht Ver-
daunngs-) Vermögen zurück, hebt die Wichtigkeit der biologischen Methode
zur Prüfung dieser Funktionen hervor und erhofft von der biologischen
Forschung praktische Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Er-
nährung.
Prof. Kassowitz wendet sich gegen Moros Ansicht der Unersetz-
lichkeit der Muttermilch. Die geringeren Erfolge der künstlichen Ernährung
will K. nicht auf den vermehrten Energieaufwand für Verdauung und
Assimilation bezogen wissen, sondern auf die unhjgienischen Massnahmen
bei der künstlichen Ernährung und den dadurch häufig eintretenden Magen-
darrokrankheiten.
4. Sitzung. 3. März 1904.
Diskussion. (Biologisches zur Säuglingsernährung.)
Dr. Hamburger (Schlusswort) betont gegenüber Kassowitz, dass
es sich in seinem Vortrage lediglich darum handelte, die Unterschiede
zwischen künstliche] i\nd natürlicher Ernährung durch biologische Methoden
zu erklären, den guten Hesultaten der künstlichen Ernährung wolle er keinen
Abbruch tun. Die Ansicht Schlichters, dass für die Unterschiede zwischen
Frauen- und Kuhmilchnahrung nur die Fermente ausschlaggebend seien^
hält H. für unzutreffend, der Ansicht Escherichs, über den Sitz der
Assimilation im Darme pflichtete H. bei und schliesst mit einem noch-
maligen Appell, die natürliche Ernährongsmethode der künstlichen vor-
zuziehen.
26* * ' ■
404 Vereinsbericht.
DexnonstratioD Dr. Drej: 21 Monate alter Knabe mit Intrathorakalem
Tamor. Die Symptome lassen aaf eine tnberkalöse Bronchialdrüsenschweliong
mit Kompression des rechten Bronchus schliessen.
Dr. Hochsinger demonstriert einen 2Vf jährigen Knaben mit mOlliro«>
lolder Idiotie, Raehltls und Tetanieflymptomen und verweist aaf die
unter Schilddrü^enbehandlang erfolgte Besserang der Idiotie nnd Tetanie-
sjmptome, während die somatischen Mongoloidsymptome nicht tangiert
warden.
Diskussion:
Knoepfelmacher hält den Versuch, die mongoloide Idiotie mit
Myxödem in Zusammenhang zu bringen, für unangebracht
Hochsinger pflichtet der Ansicht K.8 bei, er erwähnte das Myxödem
nur aus diagnostischen Rücksichten.
Dr. Lein er demonstrierte a) ein serpiginiVses Syphilid bei einem
hereditär laetlsehen Kinde;
b) einen Fall von Lues heredltaria tarda bei einem 11 jährigen
Knaben besonders wegen der Knochen Teränderangen an beiden Tibieo.
Vortrag Dr. Sperk: Ober Battermlleh als Säuglingsnahrung.
Sp. berichtet über gute Resultate bei Verfntterung von Buttermilch
an chronisch darmkranke Kinder. Auch das Allaitement mixte mit Butter-
milch war in einzelnen Fällen Torzüglich gelungen. Die gewöhnliche Butter-
milch als Abfallsprodukt der st&dtischen Molkereien ist nicht zu verwenden.
5. Sitzung. 17. März 1904.
Diskussion:
Prof. Escherich bestätigt ebenfalls, dass sich die Buttermilch gerade
beim Versagen oder bei Insuffizienz der Brusternährung besonders bewährt
hat. Unter den zur Erklärung herangezogenen Hypothesen ihrer Erfolge
ist die mächtig sekretionsanregende Wirkung besonders za betonen.
Primarius Knoepfelmacher schliesat sich auf Grund einer längeren
Beobacbtungsreihe ganz den Ausführungen Sp.8 an.
Primarius Rüther hat gleichfalls gute Erfolge bei Verabreichung
von Buttermilch nach akuten Darmkatarrhen milderer Form, sowie nach
Cholera infantum gesehen.
Die Beifütterung von kleinen Mengen Buttermilch bei dystrophischen
Brustkindern führte ebenfalls zu guten Resuli^ten.
Demonstration: Dozent Zapp er t stellt einen Fall von Entblndungs-
lähmung beider oberen Extremitäten vor. Die Seltenheit besteht in
der Beiderseitigkeit der Lähmung.
Dr. von Reuss demonstriert ein Mädchen, 9 Jahre alt, mit ortfiOtl*
s^er Albuminurie im Anschlüsse an Nephritis. Die Eiweissausscheiduag
ist abhängig vom Übergange aus der horizontalen Lage in die vertikale,
entspricht sonach dem von Henbner aufgestellten Krankheitstypns jener
Fälle, bei welchen eine Nierenschädigung vorausging.
Doz. Knoepfelmacher will solche Fälle von orthotischer Albuminarie
als echte anatomische Erkrankungen aufgefasst wissen.
Prof. Es che rieh macht darauf aufmerksam, dass bei diesem Kinde
auch Nephrolithiasis vermutet wird.
Gesellschaft für innere Medizin etc. in Wien. 405
Dr. Nearath stellt ein 7 Monate altes Kind mit halbseitigem
Rlesenwaehs Tor, welcher hauptsächlich die linken Extremitäten betrifft.
Dr. Lehndorff demonstriert ein 7 Monate altes Mädchen mit
SehwellaDgen am linken Untersehenkel and rechten Obersehenkel.
welche mit Berücksichtigung des Röntgenbefundes als dem Morbus Barlow
angehörig zu bezeichnen wären.
6. Sitzung. 28. April 1904.
Demonstration: Dr. Spieler stellt ein 8 jähriges Mädchen mit kon-
genitaler, doppelseitiger HOftgelenkslaxatlon und beiderseitigem
hoehgradlgem Pes valgoplanns vor, heryorgerufen durch angeborene
abnorme Weite und Dehnbarkeit des Kapsel- und Bandapparates der Ge-
lenke, sodass auch die übrigen Gelenke leicht subluxiert werden.
Dr. Ju I.Fl e seh demonstriert ein 11 jähriges Mädchen mit hysterlseher
Dauerkontraktnr der Phalangen an den 4 Extremitäten. Dieselbe ist
schmerzlos und verhindert den Gang des Kindes fast vollständig.
Diskussion:
Hochsinger hebt hervor, dass der Fall nicht als Mjotonie in seinem
Sinne aufgefasst werden könne.
Prof. £scherich verweist im Gegensatz zum Vortragenden darauf,
dass der Fall auch nicht mit dem Fseudotetanus Escherich, noch mit den
Fällen Guinons in Beziehung gebracht werden kann.
Primanus Holtanek macht auf das Vorhandensein der Corneal- und
Rachenrefleze aufmerksam.
Dr. Zuppinger demonstriert einen 7jährigen Knaben, bei dem eine
Polloeneephalltls mit hochgradiger Idiotie, allgemeinen spastlsehen
Lfthmnngen und Kontraktarstellangen endigte. Die Affektion erfolgte
nach einer Morbillenerkrankung. Pathologisch -anatomisch hält der Vor-
tragende den Fall für eine Porencephalie beider Grosshirnhemisphären.
Diskussion.
Doz. Zappert verweist auf die Wichtigkeit des vorgestellten Falles
für physiologische Untersuchungen über die Fnnktionstätigkeit der hier vor-
handenen restlichen Gehirnteile, zumal der Fall eine letale Prognose ergibt.
Dr. Lehndorff zeigt, dass das anatomische Präparat des früher Ton
ihm als Morbus Barlow vorgestellten Falles die Charakteristika einer Osteo-
mjelitis darbietet.
Dr. Preleitner stellt 1. einen Fall von geheiltem, sehwerem
Tetanus naeh spinaler Antltoxlnli^ektlon vor;
2. einen operativ gehellten Fall von totaler bilateraler
uaamenspalte.
Vortrag Dr. G. floohsinger: Die Beziehungen der hereditären
Laos zur Raehltls und Hydroeephalle.
Hochsinger fasst seine in mehrfacher Hinsicht ioteressanten Aus-
führungen in folgende Behauptungen zusammen.
Der hjperämische Zustand an den Appositionsstellen des Knochen-
systems während der Früheruptionen der Lues congenita ist ein die Rachitis
40Ö Vereins bericht.
begünstigender umstand, die dorch Lnes heryorgerafene Hyperostose ein
Hindernis f&r stärkere rachitische Knochenyerändemngen.
Bei hereditär luetischen Kindern soll die Rachitis h&afiger seio als
bei laes freien, setzt bei den ersteren zeitlicher ein nnd läuft rascher ab.
Der Schädel am fang hereditär laetischer Säuglinge ist während des
1. Lebensjahres grösser als bei normalen Kindern, die rachitischen Kinder
überholen die luetischen Kinder bezüglich Schädelumfang erst im 2. Lebens-
semester.
Das Caput natiforme Parrots ist nur in den ersten Lebensmonaten
für Lues congenita eyentuell zu verwerten.
Der Hydrocephalus der ersten Kindheit ist sehr häufig durch Loes
congenita verursacht und kann dann von der rachitischen Psendohydrocephalie
unterschieden werden.
Der syphilitische Hydrocephalus ist häufig einer Jodqueeksilber-
behandlung zugänglich. Hochsinger empfiehlt dieselbe daher bei jedem
frühzeitigen Hydrocephalus.
Diskussion:
Doz. Zappe rt bestreitet die Richtigkeit der Schädelmessungen Hoch -
Singers und die sich daraus ergebenden Unterschiede zwischen den Kopf-
umfangen normaler und hereditär-syphilitischer Kinder.
Auf Grund pathologisch -anatomischer Erfahrungen widerspricht er
Hochsinger auch bezüglich der Häufigkeit von Leptomeningitis und Ver-
änderungen des Schädeldaches bei hereditär-luetischen Kindern.
Prof. Escherich hält es dem Vortragenden zugute, auf die Be
Ziehungen der Hydrocephalie zur hereditären Lues hingewiesen zu haben-
hält es jedoch nicht für gerechtfertigt, bei den Schädel vergrösserun gen der
ersten Lebensmonate generell die von Hochsinger sapponierten Gefäss-
und Meningenveränderungen anzunehmen und daraufhin antilnetisch zu be-
handeln.
Prof. Escherich bezweifelt auch die von Hochsinger angegebenen
Unterschiede des luetischen und rachitischen Hydrocephalus als nicht genügend
erwiesen.
Dr. Hochsinger (Schlusswort) weist gegenüber Zappert auf die un-
richtigen Schädelmessungen besonders Liharziks hin, dessen Material er
gegenüber dem eigenen als nicht rachitisfrei bezeichnet. Bezüglich der
anatomischen Basis der Hydrocephalien e Lue verweist er mangels eigener
Ob^nktioneu auf 15 Fälle in der Literatur. Der Vortragende unterscheidet
zwischen einfach syphilitischen grossen Köpfen und syphilitischen Hydro-
oephalen und schildert die Ausnahmefälle gegenüber den rachitischen Ver-
änderungen.
7. Sitzung 19. V. 1904.
Demonstration: Dr. Swoboda bespricht an zwei vorgeführten Fällen
das Krankheltsblld der Elephantiasis congenita,
^ Diskussion:
Prof. Esc herisch fragt, ob eine Röntgenuntersuchung yorgenommen
wurde, nnd weist auf das Vorkommen von Lymphangiomen der inneren Örgsoe
in solchen Fällen hin.
Gesellschaft für innere Medizin etc. in Wien. 407
Dr. Hochsinger glaubt an eine vorliegende Hypertrophie der
Knochen der unteren Extremitäten, was Dr. Swoboda auf Grand der
Röntgenuntersuchung negiert.
Vortrag Prof. Dr. M. Pfaundler- Graz: Über Kalkadsorption und
Raehltistheorlen. Erscheint als Originalbeitrag im Jahrbuch für Kinder-
heilkunde. An den in formvollendeter Weise gehaltenen Vortrag, der sich
auf exakte experimentelle Versuche stützte und dessen Tenor dahin ging, dass
die Knochenrachitis und die Kalkarmut des Knochens, bedingt durch Kalk-
abstinenz, zwei verschiedene Prozesse sind, schloss sich folgende
Diskussion:
Prof. Kassowitz wendet sich gegen die Ansicht, die Rachitis' in
allen Fällen als Allgemeinerkrankung zu bezeichnen, nur insoweit es sich um
schwere Fälle handelt, lässt er dies gelten, im übrigen will er die Rachitis
als eine auf das Skelet beschränkte Erkrankung bezeichnet wissen. Er
stimmt den Anschauungen des Vortragenden über die Ursachen der Kalk-
ablagerung bei, die er ursächlich mehr durch mechanische Vorgänge, analog
der Farbstoffeinlagerang, als durch chemische Affinitäten erklärbar findet.
Hierbei nimmt Kassowitz Rücksicht auf die von ihm beobachtete
In volutions- Wirkung des Phosphors auf die Wandungen der Kapillaren und
dadurch beschleunigte Verkalkung des Knochengebietes.
Dr. Hochsinger sagt, dass bezüglich der osteoiden Metaplasie l)ei
Rachitis sowie der syphilitischen Osteochondritis die histologischen Befunde
nicht vollkommen mit der Anschauung des Vortragenden übereinsUmmen :
dass dem metaplasierten Knorpelgewebe eine besondere Affinität f'ir die
Kalkadsorption beizumessen wäre.
Prof. Pfanndler (Schlusawort) hält an der Anfifassung der Rachitis
als ein ausgesprochen konstitutionelles Allgemeinleiden fest, das Skelet-
System dürfte nur die empfindlichsten Indikatoren für die die Rachitii( ver-
ursachende Noxe enthalten. Die Anschauung Kassowitz über, die Farb-
sto'ffeinlagerung in za färbende Fasern nähert sich der Ansicht des Vpr-
tragenden über die Kalksalzeinlagerung bei der Verknöcherung. Histologische
üntersachungen bei Rachitis mussten vor der Hand unterbleiben.
8. Sitzung 16. VI. 1904.
Demonstration: Doz. Zapp er t stellt ein 5jährlges Kind mit aas-
gebreiteter BleUfthmanfiT) vorwiegend die unteren Extremitäten betreffend,
vor. Die Lähmung ist verursacht durch das Spielen mit schwarzer, blei-
haltiger Seide.
Dr. Zuppinger demonstriert ein 6jährige8 Mädchen mit primärem
Sehlelmhautlnpas der Nasen-Rachenor^ane.
Dr. B. Schick zeigt einen 13jährigen Knaben mit Pharynx*
tuberkulöse, dessen Schwester mit der gleichen Affektion hier bereits vor-
geführt wurde.
Dr. S. Weiss: Demonstration eines Säuglings wegen eines an-
geborenen Herzfehlers. Diagnose: Stenosis art. pulmonalis, Defectus septi
ventriculornm, Persistenz des For. ovale. Gleichzeitig bestehen starke Er-
weiterungen der Venen der Kopfhaut.
408 Vereinsberioht.
Diskassion:
Prof. Escherich erklärt den Herzbefund als eine Folge des Offen-
bleibens des Ductus Botalli. Die Ektasie der Venen entspricht dem tod
Foarnier geschilderten Krankheitsbilde.
Dr. Nearath und Primarius Knöpfelmacher können sich gleichfalU
den Konklusionen des Dr. W. nicht anschliessen.
Dr. Weiss r&nmt die Möglichkeit eines offenen Ductus Botalli ein.
Dr. Schwoner stellt einen Fall von dnreta Baet. eoU hervor-
gerafener AppendieltlS vor. Das 127sjahrige Kind warde im Anfalle
operiert und der Warmfortsats bakteriologisch und histologisch bearbeitet
Die vorgenommene Untersuchung ergab das Einwandern virulenter Coli-
basiUen in die Macosa des Appendix and dadurch hervorgerufene Appendicitis.
Prof. Escherich fuhrt einen Fall von Idiopathiseher Pulsarhythmle
im Kindesaltep vor. Prof. Escherioh erörtert die lediglich von ihm ge-
machten Beobachtungen über diesen pathologischen Zustand, wobei der ge-
störte Rhythmus die ganze Krankheit zu bilden scheint Es handelt sich
dabei um 5-— 12 jährige Kinder von zarter Konstitution, geringem Fettpolster
und Muskulatur und leichter Erschöpf barkeit. Die Ursache der Arhythmie
sieht der Vortragende in einer abnormen Verschieblichkeit der oberen Herz-
grenzendämpfung nach abwärts beim Übergang Tom Stehen in die liegende
Stellung. Pie Arhythmie schwindet mit der zunehmenden körperlichen Ent-
wicklung.
Dr. Friedjung führt einen analogen Fall seiner Beobachtung an.
Vortrag Dr. B. Schick: Urotropln und Seharlaehnephrltls.
Seh. prüfte an 72 Kindern mit Scharlach den prophylaktischen Wert
des Urotropin gegenüber der Scharlach nephritis und kommt zu dem Schiasse,
dass Eintritt und Verlauf der Nephritiden durch Urotropin nicht beeinflasst
wurden, die nephritischen Symptome sogar zunahmen. ^Wiener klin.-therap.
Wochenschr. No. 88. 1904.)
Doz. Eisenschitz hebt den Wert dieser Untersnchungs-Ergebnitse
hervor. Moser.
Literaturbericht
Zusammengestellt von Dr. B. SALGE,
Obennt an der Üniyenitftto-Klnderklinlk in BerUn.
L Allgemeines. Anatomie und Physiologie, Allgemeine Pathologie
und Therapie,
KongenUaU Dioertilulbildung im Processus vermiformis. Von E. We ding er.
Yirchows Archiv. 17 8,L
Bei einem Neageborenen fanden sich zahlreiche Verlagerangen von
Schleimhaatteilen im unteren Ende des Processus, Einstülpungen and mit
s&mtlichen Schichten der Darmwandnng yersehene Anhänge. — Literatur-
aogabe. Spiegelberg.
Ober einen Fall von offenem Meckelcken DioerHkeL Von Dreifuss. Manch,
med. Wocheoschr. ^o. 40. 1904.
Bemerkenswert ist das Auftreten erst mit */« Jahren des Kindes; zu
dieser Zeit erst blutiger, später wässriger Ausfluss aus der Nabelfistel Harn
oder Kot treten aus der Fistel nicht aus. Kein Schleimhautprolaps. Heilung
darch Operation. Misch.
Vererbung einer sech^acken Missbildung an alien vier Exiremiiäien durch
drei Generationen, Von Hubert Münch. med.Wochenschr. No. 39. 1904.
Syndaktylie an beiden Händen und Füssen und überzähliger Hailax
an jedem Fuss. Vater und Grossvater des Kindes und nach Mitteilung auch
der Vater des Grossvaters weisen dieselben Missbildungen auf. Misch.
On ihe physiccU examinoHon of t^8o girls from elementary schools in London.
Von May. Dickinson Berry Brit. med. Journ. 28. Mai 1904.
Die erhaltenen Masse sind folgende:
Alter
11
12
13
14
15
DurchschnittL Grösse . . .
Durchschnitt!. Gewicht . .
131,7
31,7
144,8
84,8
147,8
88,2
156,2
49,9
157,4
48,0
Der Brustumfang war in 256 Fällen 65—67,5 cm, in 146 Fällen
62^^65,0, iB 181 Fällen 67,6—70,0, in 107 Fällen 70,0—72,5 cm, 7 Mädchen
hatten 80—82,5 Brustumfang, 6 nur 57,5—60. Die Ausdehnung der Brust
betrog bei 467 fällen 5—7,5 cm, in 818 Fällen 7,5—10 cm. Die äusseren
Verhältnisse waren dieselben wie bei den von Thorne beschriebenen Knaben
410
Literatarberich t.
aach die Gewichtsverhältoisse waren dieselbeD, während die übrigen Masse
(L&nge, Brustamfang, Brusterweiterung) etwas geringer waren. Die Zahlen
sind grösser als die von Camerer beigebrachten, obwohl auch dieser schon
besonders grosse Familien untersucht hat. Ernstliche Lungenerkrankungeu
wurden in keinem Fall gefunden, in 8 pCt der Fälle organische Herz-
geräusche, in 12 pCt. Skoliosen. In 13 pCt. bestanden Refraktions- Ano-
malien, in 8,3 pCt. Hörstörungen. Vergrösserte Tonsillen oder Adenoide
fanden sich in 10 pCt, der Fälle. Albuminurie fand sich in 151 Fällen oder
nahezu 10 pCt., 67mal wurde Albumen bei 2 Untersuchungen gefunden,
9mal in 3, lOmal in 4, 6mal in 5 Untersuchungen, doch wurden bei weitem
nicht alle Fälle so oft untersucht Einige Fälle — im ganzen 23 — blieben
3 — 5 Jahre lang in Beobachtung, davon hatten 10 dauernd Albumen, 1 zeit-
weise nicht, bei 9 war in der letzten Zeit überhaupt keine Albuminurie mehr
vorhanden. Infektionskrankheiten hatten einige der Kinder durchgemacht,
doch war der Prozentsatz angeblich nicht höher als bei den Kindern ohne
Albuminurie. Zylinder wurden aoch bei reichlichem Eiweissgehalt nicht
gefunden. Im ganzen neigte die Affektion zur Besserung, und das Allgemein-
befinden der Kinder wurde wenig gestört. Jap ha.
Tke pkysicai development of ihe London schoolboy. 1890 examinations by
Leslie Thorne. Brit. med. Journ. 9. April 1904.
Die Untersuchungen wurden ausgeführt an 1890 Knaben im Alter von
9 bis 16 Jahren, von denen 1879 äusserlich gut aussahen, 679 ziemlich gut«
die übrigen mehr oder weniger zart. Die Eltern der jüngeren Schüler bis
13 Jahren verdienen nicht, mehr i^ls 3000 M. jährlich, viele nicht 2000 M.
Das Einkommen bei den Eltern der älteren Schüler ist höher, bis zu 8000 M.,
doch verdient die Hälfte nur bis 5000 M., viele nicht 3000 IL Für deutsche
Verhältnisse müssten wohl diese Zahlen erheblich geändert werden,, wenn man
sich ein Bild von der Lebensführung der Familien machen wollte. Die
Messungsresultate sind folgende:
Alter
9
10
11
. 12
13
14
15
1
16 328
969
146 117
120
128
189
143
144
152 158
162
8
26
7 1 2
4
2
20
4
2
5
25,4
31,7
34,8
34,7
88,1
44,5
50,8
78
187
81
32
41
72
153
34
38
44
16
Zahl der Untersuchungen ... 1 16 328 969 146 117 120 13
Durchschnittsgrösse 128 189 143 144 152 ,158 162 168
10—20 pCt. über d. Durchschnitt
10—20 pCt. unter d. Durchschnitt
Durchschnittsgewicht 25,4 31,7 34,8 34,7 88,1 44,5 50,8 50,8
10— 20 pCt. über d. Durchschnitt I 78 187 81 32 41 4
10—20 pCt. unter d. Durchschnitt 72 153 34 38 | 44 3
Die Ausdehnung der Brust war in 880 Fällen 7,5 cm, in 870 Fällen
nur 2,5 bis 5 cm, in 394 Fällen 10 cm und darüber. Der Brustumfang war
in 413 Fällen 67,5 bis 70 cm, in 371 Fällen 70 bis 72,5 cm, in 239 Fällen
72,5 bis 75 cm, die übrigen Maasse lagen etwa zu gleichen Teilen darüber
oder darunter, 16 Knaben hatten nur einen Brustumfang von 57,5 bis 62,5,
14 Knaben einen von 87,5 bis 92,5 cm; eine Trennung nach Altersklassen ist
hier nicht erfolgt Alle Zahlen stimmen im allgemeinen mit denen Camerers
überein, nur die Körperlängen sind in den englischen Beobachtungen erheb-
licher. Bei einem einzigen Knaben wurde eine anscheinend, leichte Spitzen-
affektion entdeckt, bei weitem häufiger Herzstörungen, so in 62 Fällen ein
I. Allgemeines. Anatomie und Physiologie etc. 411
Mitralfehler, ein Aortenfehler und zweimal ein Pulmonal fehler. Drei Skoliosen
waren Torhanden. Die Augenbeobachtungen sind nicht schlüssig, jedenfalls
waren in 37,5 pCt. der Fäile beide Augen normal. Vergrösserte Tonsillen
öder Adenoide fanden sich in 633 Fällen. Das Gehör war in 17,6 pCt. der
Fälle angegrififen. Bei 172 Knaben oder in 9,1 pCt. der Fälle fand sich
Albuminurie, doch nur in 15 Fällen war das mit Sicherheit auf eine Nephritis
zurückzufahren. Von diesen Fällen wurden 107 noch einmal später unter-
sucht, in 53 Fällen wurde auch das zweite Mal Albuminurie konstatiert,
Japha.
PrifHäre angeborene Hershyperirophie, VonE. Beding er. Virchows- Archiv.
Bd. 178. 2.
Die älteren Fälle angeblicher angeborener totaler oder teilweiser Herz-
hjpertrophie sind zum Teil als physiologische Zustände (s. Bednar), znm
Teil als Begleiteryheinung der Thymushypertrophie (s. Henoch, Hauser
n. A.) oder als Folgen von katarrhalischen Stauungen anzusehen, zweifelhaft
ist auch eine ganzo Reihe aus der späteren Literatur; einwandfrei erst ein
Fall von Simmonds 1899, dem nur noch einzelne wenige gefolgt sind.
Verfasser fand bei einem 14 Monate alten Kinde bei normalen Klappen,
Gefässen und Nieren und geringfügigen Lungenveränderungen eine enorme
Hypertrophie, als kongenitale anzusprechen. Die Ursachen sind wahrscheinlich
in Zirkulationsstörungen während der Embryonalzeit zu suchen. Eine diffuse
Myombildung nach Virchow ist unwahrscheinlich. Spiegelberg.
Ober die BeMlehungen der Thymus srnm Kalkstoffwechsel, Von F. Sinnhnber.
Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 54. H. 1/2.
S. hat die Kalkansscheidung beim thymektomierten Hunde zum Gegen-
stand ausführlich angelegter Untersuchungen gemacht. Sein Ergebnis ist,
dass die Thymus, im postembryonalen Leben kein lebenswichtiges Organ mehr
sein kann, ihre Exstirpation auf die Kalkausscheidung keinen Einüuss hat,
dass die Drüse in keinerlei Beziehung zur Rachitis steht, wo mit solcher
atrophische oder hypertrophische Veränderung der Thymus vereinigt sei, beide
Erscheinungen die Folgen einer Grundkrankheit seien, der lymphatischen
Konstitution, ihrerseits des Ausdrucks einer durch Ernährungsfehler hervor-
gerufenen Störung der Darmtätigkeit. Auch Fütterung mit Thymus hat
keinen Einfluss auf die Kalkansseheidung, die N.-Ausfuhr ist etwas erhöht.
; Dagegen steigert Darreichung von grösseren Gaben Thyreoidin die
Kalkansscheidnng merklich. Spiegelberg.
PkasphaiurU und Calcariurie. Von v. Tob 1er. Archiv f. experimentelle
Phathologie und Pharmakologie. Bd. 52V3
Physiologische Phosphaturie findet nach jeder stärkeren Abgabe von
Säure durch den Magen (Mahlzeiten, Erbrechen, Spülung usw.) statt. Patho-
logisch wird sie durch gesteigerte Intensität und Ausdauer. Die begleitenden
allgemeinen Krankheitszustände sind verschieden, nach Soetbeer meist
chronische Dickdarmkatarrhe, symptomatisch Erbrechen, Kopf-, Leib-. Muskel-
schmerzen, Schweisse, Anämie. Verfasser hat zunächst durch 4 Fälle die
wenigen vorhandenen Beobachtungen verdoppelt Drei Mädchen zeigten im
Wesentlicben die von Soetbeer gegebenen Symptome, am auffallendsten
heftige SchmörzanfäUe im Leibe. Der Urin war an Menge und spezif.
Gewicht normal, zeigte stets starke milchige Trübung mit ausfallendem
412 Literatarberieht,
Sediment phosphorsaurer und kohlensaurer Salze, amphotere bis alkalische
Reaktion. Bei einem Knaben Ähnliches.
Die letzten exakten üntersachungen haben bei pathologischer Phos-
phatarie einen Überschtiss an Kalksalzen im Urin festgestellt Diesen Befand
hat Tobler verfolgt durch Prüfung der Kalk- und Phosphoransscheidang
bei einem gesunden and einem entsprechenden erkrankten Kinde, sowie svei
weitern solchen. Die Ergebnisse der ansfahrltehen Üntersachungen sind
wieder: ausserordentliche Steigerung darch den Harn — im Versuchsfalle
genau ebensoviel mehr, als in den Faeces weniger, worin ein weiterer Hinweis
auf deo Znsammenhang mit gestörter Darmarbeit liegt — bei normaler
Phosphorausscheidung. Gesteigerte Kalkznfahr gab im StoffwechseWersache
keioe brauchbaren Ergebnisse, wolil aber klinisch gesteigerte Schmerzeo.
Für das Verhftltnis Ca: P fand Tobler keine einheitlichen Werte.
Therapeutisch rät T. neben der Behandlung des vorliegenden Darm-
leidens eine kalkarme Schonungsdi&t nach der B ungesehen Tabelle des
Kalkgehaltes der Nahrungsmittel: viel Fleisch, viel Fett, Zucker, Mehlspeisen
und ausgewähltes Obst; Beschränkung der Wasserzufuhr. Die Milchdiät ist
zu verwerfen. Säareverabreichaug ist ohne Einfluss. Spiegelberg.
Über proteolytische Enzyme der MiUk, Von A. J. J. Vandevelde,H. de Wale
und £. Sugg. Hofmeisters Beiträge zur ehem. Physiologie nnd
Pathologie. Bd. 5.
«Durch Anwendung von Wasserstofihjperoxyd wird eine Sterilisierang
der Milch erzielt, welche die Enzjme nicht angreift; dadurch lägst sich die
Gegenwart eines proteolytischen Enzymes nachweisen unter Bedingungen,
welche eine genaue Untersuchung ermöglichen.
Die Wirkung dieses Enzymes wird durch alkalische Reaktion erhöht.
Dem Wasserstoffhyperoxyd muss zwar eine eigene eiweisslöseode
Wirkung zuerkannt werden, doch lässt sich diese leicht von der enzyms-
tischen Wirkung trennen. Die eingetrenen Änderungen in der Zusammen-
setzung der Milch lassen sich auch auf biologischem Wege nachweisei*,
nämlich durch Präzipitation mit den zugehörigen Serie, und auch darch
Labfermentfällung.** Pfaundler.
VergleUheude Studien über den Wert der natürücken und kunst&chen Säug"
ßngrsemährung bei liieren. Von Brüning. Wiener klinische Rand-
schau. 1904, No. 27—31.
Die sehr eingehenden und sorgfältigen Untersuchungen des Ver-
fassers erstrecken sich auf drei junge Ziegen, von denen eine natürlich
ernährt, die zweite mit sterilisierter Ziegenmilch, die dritte mit sterilisierter
Kuhmilch gesäugt wurde. Der Versuch ergab die grosse Überlegenheit der
rohen arteigenen Milch über die sterilisierte arteigene und artfremde Milch.
Während das natürlich ernährte Tier sein Körpergewicht schon am 15. Lebens-
tage verdoppelte, war dieses bei den künstlich ernährten erst am 20*
bezw. 22. Lebenstage der Fall. Das natürlich ernährte Tier zeigte bei
geringerer Nahrungsmenge und kleineren Energieqaotienten im Vergleich
mit den künstlich ernährten Tieren eine schnellere Gewichtszunahme, günsti-
geren Zuwachsquotienten (Fe er) und Nährquotienten (Gamerer), sowie
normalere Entwicklang und besseres Aussehen. Spanier- Hannover.
I. Allgemeines. Anatomie und Physiologie etc. 413
NoU sur i*aisorptioH des fraisses ckea les enfamis. Von P. Nobecourt und
Prosper Merk len. (Rev. mens, des Ilaladies de'Penfance. 22. Aag. 1904.)
Die Verfasser glauben in der Bestimmung der resorbierten Fettmenge
tfio Mass für die Verdauungskraft des SftugUngsdarmes zu haben. Es' kommt
dabei nicht auf die absolut resorbierte Menge an, sondern die relative, d. h.
die pro Kilo Körpergewicht resorbierte Menge. Sie finden, dass gesunde
Brust- Kinder und selbst frühgeborene eine gute Resorptionskraft für Fett
haben, die bei djsjeptischen und schwächlichen S&nglingen mehr oder weniger
abnimmt. Diese Schwäche der Resorptionskraft für Fett h< längere oder
kürzere Zeit an, um mit der Gesundung wieder zu verschwinden.
Bei einem kunstlich genährten Mjxödemkinde wurde eine niedrige
Resorptionskraft festgestellt, die zugleich mit dem Einsetzen der Thyreoidin-
behandlung sich steigerte« Auf den geringen Fettgehalt führen auch die
Verfasser die Erfolge mit Buttermilch zurück. L. Ballin.
Ü6er Hnigg Hsioiogiscke Untersuchungen der normalen Thymusdrüse eines
sechsmonaiHchen und eines reifen Fötus, Von Magni. Arch. f. Kinder-
• heilk. XXXV III. Bd. 1. u. 2. Heft.
Nach den histologischen Forschungen des Verfassers ist die Thymus*
drüse eine Drüse mit epithelialer Struktur, in der zwei Uaupttätigkeiten aus-
geübt werden, eine bildende und eine ausscheidende. Die bildende Tätigkeit
^eht hauptsächlich von der Rindenschicht der Lappen und Läppchen,
insbesondere Yon den inneren und äusseren Rändern dieser Schicht aus. Hier
vollzieht sich ausser der Fortpflanzung der Thymuszellen auch die Bildung
von Erythrozyten, die dann durch die perivenösen Lymphräume in die Venen
der Curticalis eindringen. Die ausscheidende Tätigkeit vollzieht sich haupt-
sächlich in der medullären Zone und ist durch Veränderungen, insbesondere
des Kernes, bedingt, infolge von cbromatolytischen und karioly tischen Um-
bildungen. Die hierdurch entstehenden neuen Elemente, besonders kolloider
Natur, ergiessen sich aus dem Innern der Zellen und kommen teils durch
Absorption durch die in den Lymphgefässen beobachteten Leukozyten, teils
direkt durch die Kapillarge fasse in den Kreislauf. Die ausscheidende Tätig-
keit der Zellelemente geht mit ihrem Zerfall Hand in Hand, und das bedingt
nach und nach die Atrophie des Organes. Spanier-Hannover.
Über das Bakterienwachstum auf wasserarmen Nährboden, Ein Beitrag zur
Frage der natürlichen Immunität (Aus der Kgl. Universitäts-Kinderklinik
zu Breslau.) Von Richard Weigert. Centralbl. f. Bakteriol. Bd.XXXVL
No. I.
Verf. hat an einer Reihe von Bakterien untersucht, bei wie grossem
Wassergehalt ein Wachstum in Gelatine noch möglich ist. An Bakterien
wurden geprüft: Staphylococcus pyogenes aureus, Staphylococcus pyogenes
albus Bacillus pyocyuneus, B. typhi, B. coli com. Proteus vulgaris, B. diphtheriae.
Es zeigt sich, dass die erstgenannten Bakterien bei einem Trocken-
gehalt des Nährbodens von 33 pGt und darüber in der Gelatine nicht mehr
fortkamen, nur Oberflächen Wachstum zeigten oder sich überhaupt nicht mehr
vermehren konnten. Der Diphtheriebazilius wächst noch in allen Schichten
einer Nährgelatine von 83,2 pCt. Trockensubstanz., kommt aber weder in noch
auf einem Nährboden von 35,4 pGt. Trockensubstanz fort.
Auf Nährböden, deren Trockensubstanz sich dem Werte von 33 pCt.
nähert, tritt eine allmählich zunehmende Wachstnmshemmung ein.
414 L! teimturbeneh U
Der mittlere Wassergehalt des gesaoden erwachsenen Menschen bewegt
sieh zwischen 63 und 67,6 pCt^ d. h. er entspricht dem Wassergehalt solcher
kä östlicher Nihrbödeo, in denen Bakterien nicht mehr gedeihen können.
Der Wassergehalt des Neugeborenen ist höher 71,8 pCt. nach Camerer,
er nimmt bis zar YoUendeten £ntwicklnng fortwährend ab, nnd es yerdieut
die aaffallende Tatsache Erwihnong zo finden, dass mit fast gleicher Gesetz*
roässigkeit die Mortalitäts- und Morbidit&tszahien Tom Sänglingsalter bis zam
Abschlnss der Entwicklung sich in absteigender Linie bewegen.
Es ist zu erwarten, dass der Verfasser seine interessanten Stadien aber
diesen Gegenstand noch fortsetzt und vielleicht dabei auch auf die Frage ein-
geht, ob die grosse Temperatardifferenz zwischen den Gelatinenährböden
and dem Körper des Menschen nicht wenigstens für pathogene Bakterien
einen Vergleich erschwert. Des weiteren wäre es willkommen, Aafschlass
darüber zo erhalten, ob die auf zu geringem Wassergehalt beruhende Resistenz
des Menschen auch für die an den Schleimhautoberflächen wuchernden Bazillen
in Betracht kommt. Die natürliche Immunität gegen Diphtherie wäre hier
vielleicht ein dankbares Objekt. Salge«
Experimenielle Beiiräge sur Biologie der Schwangersckafl, Habilitationsschrift
von Oskar Polano. 1904.
Die sehr interessante Arbeit Polanos hat einige Resultate gezeitigt,
die auch für die Pädiatrie von Wichtigkeit sind. Hiervon sei folgendes kurz
berichtet:
Die Prufang der Hämolysine von mütterlichem und fötalem Blutserum
ergab bei der Einwirkung von Serum der Mutter auf die Blutkörperchen
des Fötus und umgekehrt keine Hämolyse. Die Versuche wurden nur in
beschränkter Anzahl durchgeführt, da wir aus den Versuchen Hai bans schon
wissen, dass in dieser Beziehung kein einheitliches Resultat zu erhalten
ist. Bald verhalten sich die beiden Sera wie die von verschiedenen Individuen
stammenden, bald zeigt sich keine Einwirkung, wie es in den Versuchen P.8
der Fall war.
Die Einwirkung des mütterlichen und des fötalen Serums auf tierische
Blutkörperchen ergab folgendes Resultat: Auf Blutkörperchen von Riodi
Kalb und Schwein zeigte sich keine Einwirkung, wohl aber auf Kaninchen-
blutkörperchen und zwar war hier die lösende ICraft des mütterlicher Serums
stets etwas grösser als die des fötalen. Die Grösse der Differenz zwischen
beiden Sera unterliegt allerdings individuellen Schwankungen, was sich noch
deutlicher bei der Einwirkung auf Hammelblutkörperchen zeigt.
Zn diesen quantitativen Unterschieden des Gehalts an Hämolysinen
kommen auch qualitative Unterschiede, die sich bei der Einwirkung von
mütterlichem und fötalem Blutserum auf Taubenblut zeigen. Das mütterliche
Serum zeigt gegenüber diesem Bint eine hoho hämolytische Wirksamkeit,
die dem fötalen Serum vollkommen fehlt. P. konnte den Nachweis erbringen,
dass. letzteres aaf dem Mangel an geeigneten Ambozeptoren beruht, nicht
auf einem Mangel von Komplement.
Dies Ergebnis deckt sich mit den Resultaten von Halban undLand-:
Steiner, die für die Erklärung des quantitativen Unterschiedes gegenüber
dem Kaninchenblut das gleiche zeigen konnten.
Weitere Versuche beschäftigten sich mit der Frage, ob bei der Immani-
sierung von Kaninchen mit mütterlichem und mit fötalem Blut Unterschiede
I. Allgemeines. Anatomie and Physiologie etc. 41&
zu Tage treten. Dabei ergab sich das interessante Ergebnis, dass das mit
mütterlichen Blutkörperchen hergestellte Immatiseram auf die mutterlichen
Erythrozyten noch in stärkeren Verdünnangen wirksam ist als auf die fötalen
Blutkörperchen. Der Verfasser ist geneigt, das Resultat durch die Annahme
einer geringeren Zahl von rezeptiven Gruppen an den Blutkörperchen des
Fötns zu erkl&ren. Untersuchungen der Hämagglutinine und Präzipitine er-
geben im wesentlichen entsprechende Resultate, doch Hess sich ein quantita-
tiver und qualitativer Unterschied in den agglutinierbaren Substanzen des
mütterlichen und kindlichen Blutes nicht feststellen.
Bei der Prüfung des mütterlichen ttnd des fötalen Serums auf seinen
Gebalt an Antistaphylolysin zeigte sich ersteres reicher an diesem Antitoxin
als letzteres.
Schliesslich sind noch Versuche, den Übertritt von Antitoxinen von
der Mutter auf den Fötus betreffend, zu erwähnen.
Einer Schwangeren wurden 14 Tage ante partum Tetanusantitoxin
100 A. E. eingesprizt und ebenso einen Tag vor der Geburt des Kindes. Im
kindlichen Blut war deutlich Tetanusantitoxin nachweisbar.
Die vorstehenden Bemerkungen mögen genügen, Um- das Studium des
Originals zu empfehlen, in dem auch weitere interessante Ergebnisse der
biologischen Untersuchung des Fruchtwassers, der Hexenmilch, des kindlichen
Urins etc. zu finden sind. Salge.
Unttrsuchungen über das biologische VerkcUien des mütterlichen und kindlichen
Blutes und über die Schutsstoffe der normalen Milch. Von Schenk.
Monatsschr. f. Geburtsh. XIX. 1904.
Untersuchungen über den Gehalt des mütterlichen und des kindlichen
Serums an Antistaphylolysin ergaben, dass in beiden diese Antiköper vor-
handen waren, und. zwar in annähernd derselben Menge.
Die Antihämolysine gehen alßo von der Mutter auf das Kind über, sie
können auch durch Säugung übertragen werden.
Die hämolytische Wirkung des Blutserums der Mutter auf die Erythro-
zyten des Kaninchens ist stärker als die des fötalen Blutserums.
Die Agglutinationsfahigkeit des mütterlichen Serums für Kaninchen-
blatkörperchen erwies sich grösser als die des fötalen Serums. Der Gehalt
an agglutinabler Substanz ist im mütterlichen Blut immer grösser als im ent-
sprechenden kindlichen Blut. (Geprüft gegen Kaninchenserum.)
Versuche über den Alexingehalt ergeben, dass der Gehalt an Serum-
alexinen des kindlichen Blutes ausnahmslos geringer ist als der des mütter-
lichen Blutes. . .
Untersuchungen der Isoagglutinine zeigten, dass das kindliche Serum
den Erythrozyten der eigenen Mutter gegenüber immer inaktiv ist. In
20 Fällen agglutinierte sechsmal das Serum der Mutter die Erythrozyten des
Kindes, doch hatten in diesen Fällen die Mütter Infektionskrankheiten über-
standen. Verf. glaubt, dass in der Norm, d. h. bei Frauen, welche keinerlei
Erkrankangen d archgemacht haben, auch das naütterliche Serum Erythrozyten
des eigenen Kindes nicht agglutiniert. Auch die Isoagglutination normaler
mütterlicher Erythrozyten durck das Serum normaler fremder Kinder ist
selten. . .... .... . .
416 LiteratorberichL
Id der Milch fanden sieb Antih&inolysiDe (Antistaphjloijsin etc.),
ferner liessen sich bakterizide Substanzen nachweisen, in geringerer Menge
als in dem entsprechenden Seram.
Die Milch normaler Franen enthält h&afig H&magglntinine« Kolostrum-
freie Milch Yon normalen and stets gesand gewesenen Franen agglntiniert
nur ausnahmsweise Erythrozyten, die Yon ebensolchen Frauen stammen,
kolostrnmreiche Milch enthält häufiger Isoagfflntinine. Die Milch Ton Frauen,
welche infektiöse oder konstitutionelle Erkrankungen durchgemacht haben,
agglntiniert ebenso wie das Serum solcher Frauen häufig Erythrozyten anderer
Individuen, besonders solcher, die gleichfalls eine derartige Krankheit Ober-
standen haben.
Die Antihämolysine gehen durch Säugang in das Serum der Jungen
über, wie das bezüglich derjenigen Schutzstoffe nachgewiesen werden konnte,
welche nicht durch passive placentare Übertragung gewonnen sein konnten.
Bei Ziegen schwand das Aotivibriolysin nach dem Absetzen bald ans
dem Blut der jungen Tiere; es konnte nicht placenter übertragen sein, da
es im Serum des Muttertieres fehlte. Salge.
Zur Kasuistik der Hirschsprungschen Kraukkeii. Von GregorGoarevitch
Prager md. Wochenscbr. No. 47. 1904.
Ein 11/4 Jahr alter Knabe litt seit Gebart an hartnäckiger Obstipatioo:
das Abdomen war in kolossalem Masse aufgetrieben, die geblähten Darm*
schlingen zeichneten sich deutlich ab: eine plötzliche Verschlimmerung und
das Versagen von Eiolänfen und Abführmitteln veranlassten zur Laparotomie
und Anlegung eines Anus praeternaturalis. Das Kind starb an Peritonitis.
Anatomisch fand sich Dilatation und Muskelbypertrophie des Kolon, des
Coecnm und des Ileumf Dilatation des Jejunum und des Magens, wie ver-
mutet wurde, die Folgen einer abnormen Formation der Flexur.
Die histologiPche Untersuch iing ergab eine wahre Muskelhypertrophie
( Vergrösser ung der Fasern) im Coecuro, Kolon und untersten Ileum.
Das abnorm lange Mesenterium der Flexura sigmoidea und eine da-
durch bedingte abnorme Schlängelung der Flexur könnte nach Annahme
des Autors ein Hindernis für die Peristaltik gegeben haben, und so könnte
die Hypertrophie der vielleicht an und für sich zum „Riesenwuchs* dispo-
nierten Darmmuskulatur zustande gekommen sein. Neurath.
IL Krankheiten der Neugeborenen.
Respiratory spasm followed by cessation oj 6reatklng in a receniiy 6oru cM/d.
Von Robert Fulierton. Brit. med. Journ. 16. Jan. 1904.
Es handelt sich um einen jener eigentümlichen Fälle von angeborenem
Spasmus respiratorius, dessen Ätiologie noch immer nicht genügend geklärt
ist. Das gut entwickelte Kind zeigte die ersten Erscheinungen 36 Stunden
nach der Geburt, die sich bald so steigerten, dass das Kind während der
AnHllie ganz blau und asphyktisch wurde und angeblich nur Sauerstoff-
Einatmung und Respiration (eigentlich müsste diese bei krampfhaftem
Glottisverschluss wenig helfen) das Leben erhielten. Verf. machte eine
Tracheotomie; nach mehreren vergeblichen Versuchen konnte am sechstes
III. Sftaglingsera&hraiig. UageiMlArinkraDkhoiteD etc. 417
Toige die Juhe entfernt werden, ohne dA98 neue Anfälle eintraten, und das
Kind blieb dauernd geflond- 0er Verf. nimmt zur Erkl&rung eine neryöse
Storiiig 4kn, entw#der einen übtermtoig starken fteiz oder eine besondere
fmpIlQdlicbke.it der die Glottisschliesser yersorgenden nervösen Organe.
Jedenfalls verlegt er die Störung in die Glottis. Jap ha.
Ka99üs^cks MWfihmgm, Y<mi Steinkardt. Arck f. Kindeckeilk. XKXYIIL
Heft 1 and 3.
Ein Fall von WinckeUcker Krankkeit, Cyanoais afebrttis icterie»
perniciosa com haemoglobinuria, bei einem Kinde von 10 Tugea, d»« bis
Tage yorker geeund gew«een war oad dar Brkrankong in l^e bis % Tagen
erl«g. Die Matter des Kindes gab an, dass sie bereits zwei Kinder in den
ersten Lebenstagen und -Wochen an ganz den gleichen Erscheinungen ver-
loren habe. Für eine konstitutionelle Erkrankang der Erzeuger fanden sich
keine Anhaltspunkte. Spanier -Hannover.
Brysit^las fH^nat^rum gomgrit^nosum. Von Mo hl. Manch, med« W^cbanschr.
Ko. 87. 190i.
K«»ai9Aiacher Beitrag. In der Femille bestanden znr Zeit der Geburt
d«8 kr&ftigen Kindes mehrere infektiöse Erkrankungen. Am 5. Tag
Erysipel Ton den ftussepen Genitalien aus mit Blasenbildung und ülcerationen
und Auftreten eines Odems über den ganzen Körper. Nach 7 Tagen Exitus
aji Sepsis mit meningitischen Symptomen. Misch.
III. S&aglingsemAhrang. HageodanDkrankhelten der S&usrlinge.
Üb^r grosse PgussH in der SoMgüngsemakruMg. Von £. Döbeli^ Corr.-61.
f. Schweizer Ärzte. 1904. No. 17.
Als Assistent an der Breslauer Kinderklinik überzeugte sich Verf.
davon, dass die Säuglinge sowohl bei natürlicher wie bei künstlicher Er-
nährung Tierstündliche Pausen zwischen den Mahlzeiten gut vertrugen und
vortrefflich dabei gediehen. Auch in der Privatpraxis sollten die grösseren
Pausen streng durchgeführt werden; bei geringer Sekretion der Brustdrüsen
erhält man durch häufiges Anlegen des Kindes keine Steigerung der Sekretion,
wie vielfach geglaubt wird, sondern eine Abnahme. Kinder, die häufig an-
gelegt werden, die womöglich aus dem Schlafe genommen werden, saugen
schlecht und trinken die Drüse nicht ganz leer; die vollständige Leerung
der Drüse ist aber gerade das sekretionsanregende Moment. Aus dem
Schliefe soll ein Kind überhaupt nicht geweckt werden, um es anzulegen.
Bei künstlicher Ernährung sind die grösseren Pausen ganz besonders wichtig,
weil die Salzsäurebindung der Kuhmilch eine bedeutend grössere ist, wie
der Frauenmilch, «freie'' Salzsäure tritt daher bei Kuhmilchnahrung erst
2 — 2 VaStd. nach der Nahrungsaufnahme im Mageninhalt auf; diese freie Salzsäure
ist aber von grosser Wichtigkeit für die Desinfektion des kindlichen Magcn-
darmkanals, sie würde von einer zu schnell folgenden neuen Nahrungsmenge
alsbald gänzlich in Besehlag genommen werden.
Bei magendarmkranken Säuglingen sind grössere Pausen erst recht
angezeigt, da hier die Moilität des Magens immer kerabgesetzt i^t, der
Durst zwiscken den Mahlzeiten muss durch kleinere Portionen eines Tee-
anfgusses, von Gersten wasser u. dergl. ausgeglichen werden. R. Rosen.
jAhrbneh f. Klnderheilknnde. N. F. LXI, Heft 2. 27
418 Literatarbericht.
Le lait cru dans ralimenUUion des nouriss<ms. Von A. Halipre. (Revae
mens, des malad ies de TeDfaDce.) XXII. September.
Diese Mitteilang fiber das augenblicklich aktaelle Thema «rohe Milch"
wurde auf dem Kongress in Ronen gemacht H. hält die rohe Milch der
sterilisierten nberlep;en; sie wird besser Terdaut and hat noch Erfolge, wo
die sterilisierte Milch versagte. Aber nnr die einwandsfreie rohe Milch ist aA-
zuwenden. Solange aber die Bedingungen dafür, dass der Konsument eine gute
rohe Milch bekommt, nicht erfüllt werden, ist die sterilisierte Milch der
rohen Yorznziehen.
H. regt aasgedehnte Versa che mit Wasserstofisuperoxjd als Präserve-
mittel für die Milch an. L. Ball in.
Die Anämie und Leukosytose bei der Pädatropkie und Gastroenteritis, Von
Schlesinger. Arch. f. Kinderheilkunde. XXXVII. Bd. 5. u. 6. Heft
Die hämatologischen Untersuchungen des Verfassers erstrecken sich
auf 40 F&lle verschieden hochgradiger Padatrophie und 15 Fälle von
Gastroenteritis acuta und chronica mit akuten Exazerbationen. Es wurde
festgestellt die Zahl and Morphologie der roten Blutkörperchen, der Hämo-
globingehalt and das spezifische Gewicht des Blutes. Die £rgel>nis8e
seiner Untersuchungen stellt Verf. in folgenden Sätzen zusammen:
1. Bei Atrophien massigen Grades ergibt die Blatuntersuchnng
eine massige Anämie. Die Zahl der Erythrozyten sinkt mehr oder weniger
unter den physiologischen Grenzwert, der Hämoglobingehalt liegt durch-
schnittlich noch an der unteren physiologischen Grenze, wobei es nicht
selten zu einer Vermehrung der Hämoglobinmenge in einzelnen Blut-
körperchen kommt; am deutlichsten lässt das spezifische Gewicht die Ver-
dünnung des Blutes erkennen.
2. Bei schweren Fällen von Atrophie liegen die Werte allent-
halben innerhalb der gerade bei Kindern grossen physiologischen Breite,
manchmal, besondors bei Säuglingen der ersten Lebensmonate, eher an der
obern als an der untern Grenze des normalen. Dieser Befund ist nur
scheinbar ein normaler; vielmehr handelt es sich auch hier eigentlich und
ursprünglich um eine anämische Blutbeschaffenheit, die aber weiterhin aus-
geglichen und verdeckt wird durch eine Konzentration des Blutes durch
Plasmaverlast.
3. Bei Fällen von sehr schwerer Atrophie und entsprechender
Anämie — nicht oder nur ausnahmsweise kompliziert durch Diarrhöen nnd
Erbrechen — nimmt weiterhin die Zahl der Erythrozyten und der Hämo-
globingehalt in der Ilanmeinheit zu, allerdings ohne durchschnittlich die
normalen Werte zu übersteigen; das spezifische Gewicht geht aber soweit
über die physiologischen Grenzen hinaus, dass es ohne weiteres die Ein-
dickung des Blutes, die Verschleierung der jedenfalls hochgradigen Anämie
erkennen lässt.
4. Eine sehr hohe Blutdichte gibt übrigens an sich noch keineswegs
eine schlechte Prognose; fast trifft das Gegenteil zu, indem die alier-
schwersten, sozusagen verlorenen Fällewieder ein sehr viel niedrigeres spezifisches
Gewicht und auch niedrigere Zahlen der Erythrozyten und des Hämoglobins
aufweisen, und besonders ist ein Sinken des spezifischen Gewichtes bei zu-
nehmender Atrophie der Vorbote baldigen Todes.
IIL SäaglingsemähruDg. Magendarmkrankheiten etc. 410
5. Bei den mit Erbrechen und Darchfällen einhergehenden Fällen yon
Gastroenteritis liegen die Durchschnittswerte für die Zahlen der Erythro-
zyten, des Hämoglobingehalts und ganz besonders auch der filutdichte er-
heblich höher durch den stärkeren Plasmayerlust, den geringeren Hämoglobin-
untergaog, als bei gleichem Eorpergewichtsyerlust bei den reinen Päda-
trophien. Einige Zeit vor dem Tode findet auch hier ein rapides und
«tarkes Sinken der Zahl der Erythrozyten und der Blutdichte statt.
6. Schwere endoglobuläre Veränderungen der roten Blutkörperchen
fehlen im allgemeinen bei der Pädatrophie wie auch bei der Gastroenteritis.
Häufig sind Dellenformen und kleine Erythrozyten.
7. Bei der reinen Pädatrophie ist die Zahl der Leukozyten bald die
normale, bald besteht bei den yerschiedenen Graden von Atrophie eine mehr
oder weniger ausgesprochene Hypoleukozytose, beide Male mit normalem
Verhältnis der einzelnen Leukozyten formen; ausnahmsweise findet sich eine
massige, polynukleäre Hyperleukozytosc, bedingt nicht durch die Intestinal-
affektion, sondern durch Ekxem, Bronchitis u. a.
8. Dagegen weisen die Fälle von Gastroenteritis in der grossen Mehr-
zahl eine manchmal sehr starke Hyperleukozytosc auf, und zwar ausgesprochen
eine lymphozytäre; bei den übrigen überwiegen gleichfalls in einem das
gewöhnliche Verhältnis überschreitenden Maasse die Lymphozyten.
9. Diese Eigentümlichkeit der Hyperleukozytosc bei der Gastro-
enteritis findet eine bemerkenswerte Analogie in der experimentellen, gleich-
falls fast einzig dastehenden lymphozytären Hyperleukozytose an Kaninchen
nach Injektion von Bacterium coli-Kulturen. Spanier-Hannover.
Lanasarque dans les enterites graves des jeunes en/anis. Von M. 0. H u t i n e 1.
Rev. mens, des maladies de Penfance. XXII. Juli. 1904.
V. bespricht an der Hand ausführlicher Krankengeschichten Ödeme,
die im Verlauf von chronisch verlaufenden resp. immer rezidivierenden
Enterokatarrhen auftreten. Es handelt sich um Kinder, die zunächst über-
emährt waren, und die dann durch immer rezidivierende Darmkrisen gegen
Kuhmilch vollständig intolerant wurden. Infolge dieser Intoleranz wird
eine genügende Ernährung fast unmöglich, und die Kinder kommen mehr
nnd mehr herunter. Bei solchen Kindern hat Verf. Ödeme beobachtet, ohne
irgendwelche Veränderungen am Herzen oder an den Nieren nachweisen zu
können. Verf. glaubt nun in der übermässigen Salzzufuhr ein begünstigendes
Moment für die Entstehung der Ödeme gefunden zu haben, da diese nach
Weglassen des Salzes verschwanden. Als eigentliche Ursache nimmt er die
Schädigungen der Gewebe durch im Darm gebildete Toxine an. Auf
solche Schädigungen glaubt er auch meistens die Purpura zurückführen zu
sollen und führt zum Beweis einen Fall von Purpura an, bei dem derartige
Ödeme bestanden und bei dem alimentäre Glykosurie festgestellt wurde, die
mit zunehmender Gesundung allmählich verschwand. L. Ball in.
Sept cas de seorbui in/anHle. Von J. Bomby. Archives de med. des enfants.
Tome 7. No. 10. Oktober 1904.
G. hat -^ zumeist in privater Praxis bei wohlhabenden Leuten —
\>innen 7 Jahren 7 schöne Barlow-FäUe gesehen, über welche er unter dem
in Frankreich noch gebräuchlichen Namen des „infantilen Skorbuts^ berichtet.
Alle Kinder waren mit industriell sterilisierter, wasserversetzter >
27*
420 LUe«atarberioiit.
ymanipftUeiier** Mileh (G&rtoer, Yal-Brenne) gefötioFt worden. Sie
erkrankten im Alter tob 7^9 ^U 18 Moneteo. Die ereten Krankkeit»-
MreoheiBOBgOB kalten erst saek 5- bie lOmonatlip^kem Gebraaeke jen^r
Nabrung eingeeetst. Pie Kinder waren bis dabin gat gedieken. Das erst«
Krankkeiteieicken war lameist eine sokmerzkafie Pseadoparalyse der Beine.
Es zeigten sieb femer Anscbwellangen an den Femardiaphjsen (einseitig
oder beiderseitig) mit Hautödem einkergebend, von subperiostalen H&matomen
kerr&krend. Manokmal waren andere Knocken miterkrankt. Zweimal sah
B. Purpara, stets Sckleimbautblntangen im Bereicke der M&ndkökLs. Aas-
gesprocken kacbektiscb waren 4 der Kinder, leicbt raobitiacb 5, nur eins
fieberte.
Das Leiden war stets yon anderer Seite Terkannt worden. Man hatte
Polyarthritis, Osteomyelitis, Oeteoeiurkom, Fraktur, syphilitischen Knochen-
sohmerz, KinderUhmnng, Coxalgie, Malnm Pottil, PoLynearitis i^genoomnen.
In allen F&llen trat auf entsprechende Diät&ndernng (rohe oder einlach
gekochte Milch, Kartoffelparee, Orangen- nnd Traubenssit) in karser Zeit
▼oUige Heilang ein. Pfaundler.
Bif$ MUehflasckenhalter, Yon A. Meyer. Münchner med. Wochenschrift.
No. 42. 1904.
Der Apparat bekämpft die Unsitte, den Kindern die Flasche beim
Trinken in das Bett za legen.
Durch eine Querstange so ungerichtet, dass er fftr Bett und Wagen
▼erwendbar ist, kann sieh der Apparat nicht nur von oben naoh unten,
sondern auch naoh den Seiten auf das leichteste bewegen, sodass er alle
Bewegungen des kindlichen Kopfes während des Trinkens mitmacht. Ein
weiterer Vorzug ist. dass das Kind, ohne die schwere Flasche heben zu
müsaen, das Saughütchen soweit in den Mund hineinziehen kann, als es will.
In den FäUen, wo die Mütter der Fütterung nicht bis zum Ende beiwohnen
können und für offen tUcke Anstalten erscheint der Flaschen halter sehr
empfehlenswert. Eine Zeichnung illustriert die Beschreibung. Misch.
IV. Akute IfifektioiukrankheiteD.
Suiie d^experiences relatives au pkenomene de FaggiutinaHon des microUs,
Von M. Charles Nicolle. Ann. de Tinst. Fast. 1904. No. 4.
Für seine Versuche benutzte der Verf. ein ganz gleichmSssiges Ver*
fahren. Er verwandte Typhuskulturen auf neutraler Bouillon. Der Reichtam
derselben an Typhusbazillen wurde an einer Testflüssigkeit gemessen, die
durch Vermischung von Kalium-Bikarbonat- und Bleiacetat-Lösungen be-
stimmter Konzentration hergestellt wurde und eine bestimmte Trübung
zeigt. Es wurde stets das Resultat notiert, das nach eiostüudigem
Aufeinanderwirken unter dem Mikroskop zu beobachten war. Nach
intravenöser Einverleibung von Typhuskultar beim Kanijuohen steigt die
agglutinierende Kraft des Serums allmählich an, nm etwa nach 12 Tagen
den höchsten Wert zu erreichen und dann allmählich abzunehmen, nach
etwa IVi Monaten wird die Norni erreicht. Erneute intravenöse Injej^tion
lässt den Maximalwert höher steigen und die agglutinierende Fähigkeit
länger bestehen. Dabei sind Verschiedenheiten vorhanden, je nachdem die
rV. Akate lAfekti^^askn^Dk heilen. 481
zweite Injektion bald oder später iiaoh der ersten erMgt. Eia Ad^rl«^
-während des Abstiegs der Earve soll diesen yerkngSMkieny d«r V^rf» stiebt
^«8 Mtf die eintretemito Ye^mehrattg der Leilko«yte&^ die er n^ft dem
Phftirättftott in Vorbindong bringt. Agglutinierondes Serum^ eiiiom Kaniiiok«tt
üjiciert, bewirkt bei dieaem nar eine leichte Zanahme der agglntinie^endeA
Krafty die übrigens sehr schnell wieder schwindet. G^gea Temperatnreii
bis 55* ist das Agglntinin «nempfiadlieb) bei höheren Temperaturen wird
•es allaiAklieh aerstört £8 dial^siert nichU Abgetötete Kalturen s^igeil
•eine äbnlioho Empfindlichkeit wie die lebenden, besonders bewährt sieh
«ine mit Formol und Thionio behandelte Tjphnekaltar. Injiziert man
■agglntinierendes Sernm einem trächtigen Kaninehen, so geht etwas von dor
«gglntinierenden Kraft anf die Jungen nber. Injiziert man neben Typhus-
kiiltaren dem Tief noch eine andere Ealtni', so Waren die Resaltate der
Agglatininbildüng so yersohieden, dass sich keine bestimmten Sehlässre zi<ikea
liessea* Anoh did Injektion einer Misobnng TOn Tjphnskaltur und agglnti-
aterendom Serum gab dem filat des Tieres agglutinierende £»gen schärften;
wenn das agglatinicfrende Blut vom Esel stammte, so rief die mit ihtt
geAischte Typhasknltnr nach der Injektion keine agglatinici^nden Eigen-
achaften hervor. Verf. schiebt das darauf» dass dies Sefutn aufloseiide
Eigenschaften hat, und vielleicht gerade die Bakterienhülle agglutinogen
wirkte. Einwirkung höherer Temperatur auf agglutinierte Bazillen bewirkt
eine Desagglutination. Tjphasbazillen, auf einer Agglntinin entbietenden
Bouillon ansgesä^ zeigen sich agglutiniert und behalten diese Eigenschaft
in mehreren Generationen. Verf. fand auch eine spontan zur Haufen bildung
neigende Tjphuskultur. Diese agglutinierende Eigenschaft wird durch die
Einwirkung einer Temperatur von 60 Grad nicht verändert. Auch Kultur-
filtratc zeigen sich agglutinabel, doch nie in grossen Verdünnungen (aller-
höchstens 1 : 20). Zur Erklärung stellt der Verf. die Hypothese auf, dass
•diese Art der Agglutination vielleicht von Bakterien zollen ausgeht, die durch
das Filter gehen. Japha.
Z> passage du virus rabique ä iravers les fiUres. Von M. P. Rem 11 ng er.
Ann. de Tinst. Pasteur. 1904. No. 8.
In erneuten Versuchen haben die Verf. nachgewiesen, dass das Wut-
gift zu den ultramikroskopischen Organismen gehört. Das Gift geht durch
<Ue feinsten Berkefeld-Filter hindurch, dagegen nicht durch eine Chamber-
Jand-Kerze. Die Wut bei den mit filtriertem Gift infizierten Tieren ver-
läuft etwas atypisch, Inkubation und Krankheitsdauer erscheinen verlängert.
Infolge der Durchgängigkeit der Filter für das Gift ist eine Isolation von
anderen Bakterien, z. B. Fäulnisbakterien, möglich. Ferner kann man nun
viel leichter mit dem filtrierten Gift grössere Tiere zur späteren Ge-
winnung antirabischen Serums intravenös injizieren, während früher bei
•der Injektion mit Virus leicht die Gefahr einer Embolie vorlag. Endlich kann
die Filtration dazu dienen, festzustellen, in welchen Organen sich das Gift
festsetzt. Dass die von Negri im Ammonshorn und anderen Gehirnteilen
gefundenen Körperchen die Waterreger sind, ist durch ihre Grösse unwahr-
scheinlich. Eigentümlicherweise teilt das Wutgift mit den anderen „un-
sichtbaren Mikroben**, dem Gift des Gelbfiebers, der Schafpocke, der Maul-
ond Klauenseuche die leichte Zerstörbarkeit durch die Wärme (47—48^.
Japha.
422 Literatorberioht.
La dystnterie epidemique. Von L. Yaillard und Ck. Dopter. Ann. da
rinst Pasteur. 1903. No. 7.
: lo einer Rahrepidemie in Vincennes, die 180 Fälle mit 2 tödlichen
Ausgängen amfasste, fand der Verf. einen Bazillns, der in jeder Beziehong
dem ShigaBchen Bazillas glich. Er warde ansschliesslich durch das Seriiin
Ton an bazillärer Ruhr Erkrankten agglutiniert, nicht durch das Serum Ton
an tropischer (Amöben-) Ruhr Erkrankten. Durch subkutane Einverleibung
des Bazillus oder des im Körper des Bakteriums enthaltenen Toxins kano
man bei gewissen Tierarten (Hund, Schwein) die Symptome und die
charakteristischen Läsionen der epidemischen Ruhr erzeugen. Ein in die
fl&ssigen Nährböden übergehendes Gift erzengt der Bazillus nicht, das
Filtrat solcher Kulturen wirkt selbst in grossen Mengen kaum toxisch, da-
gegen überträgt es auf das Serum der Versuchstiere eine agglutinierende
Kraft. Den von Ghantemesse und Vidal 1888 zuerst beschriebenen, von
Shiga durch die Serumreaktion differenzierten Bazillus hält Verf. für die
Ursache der epidemischen Ruhr, auch in heissen Ländern. Dagegen tritt
die Amöben-Dysenterie sehr zurück. Ob der tou Kruse beschriebene
Bazillus wirklich ein anderer ist, möchten die Verf. offen lassen. Der
Arbeit sind viele Abbildungen histologischer Befände beigegeben. Jap ha.
ÜUr epitUmische Dysenterie, spesUil im Kindesalier. Von Karl Leiner.
Mitteil, der Ges. f. inn. Med. u. Kinderheilk. in Wien. No. 8. 1904.
Anlässlich zweier familiärer und einer vereinzelten Erkrankung vor-
genommene bakteriologische Untersuchungen bestätigen die Ansicht, dass
der Flexn ersehe Bazillus vom Shiga-Kruseschen abzugrenzen ist und
dass die als Dysenterie bezeichnete Infektionskrankheit bei Erwachsenen
und Kindern nicht ätiologisch einheitlich ist, sondern dass einmal der
Bazillus Shiga-Kruses, das andere Mal der Flexn ers als Erreger ge-
funden werden kann. Neurath.
Die Behandlung des Scharlachs mit Mosers Antistreptokokkenserum, H. L»
K. Shaw. Medical News. Okt. 1904. No. 18.
Shaw gibt eine Darstellung und Besprechung der in den letzten vier
Jahren an der Wiener Klinik bei allen schweren Scharlach fällen geübten
Behandlung, die unsern Lesern Bekanntes enthält. Von Interesse ist nur»
dass der Verf. an den allerletzten Beobachtungen mit teilgenommen hat
In vier Jahren sind an der Wiener Klinik von 1070 Fällen 228 mit A-S.
behandelt worden, darunter alle schweren und alle nachmals tödliclien.
Die Sterblichkeit betrug vor der Scrumbehandlung 14,5 pCt, während der
vier Jahre im Annenkinderspital 8 pCt., in allen anderen Wiener Spitälern,
wo keine Serumbehaodlung geübt wurde, 13,1 pCt. Spiegelb erg.
Nagelveränderungen nach Scharlach und Masern, Von Fe er. Münch. med»
Wochenschr. No. 40. 1904.
Verf. hat seit mehreren Jahren bei Scharlach- und Masernkranken Ver-
änderungen an den Nägeln der Finger und auch der Zehen gelegentlich
mehrfacher Epidemien beobachtet, die von ihm fast als pathognomonisch
ungesehen werden. In den typischen Fällen zeigt sich 4—5 Wochen nach
Beginn des Scharlachs an der Wurzel der Fingernägel auf der Nagelober-
tläche eine querverlaufende lineare Furche, seltener ein entsprechender
schmaler Wall, vom Verf. als „Scharlachlinie* bezeichnet Dem Wachstum
des Nagels entsprechend, wandert die Scharlachlinie in einem halben Jahre
IV. Akate Infektionskrankheiten. 423
bis zum freien Rande des Nagels yor. Am deutlichsten sind die Ver-
änderanf2:en an den Danmenn&geln sichtbar; sie sind als Analogen der
Hautsohuppnng aufzufassen und finden sich, schwächer ausgebildet, auch bei
Masern. Mit zwei Abbildungen. Misch.
Erytkema in/ecäosum, ein neues akutes Exanthem, Von T. Escherich.
MonaUschr. f. Kinderheilk. Bd. III. Nov. 1904. S. 285.
Wiederholt sind in den letzten Jahren als Röteln oder Abarten von
Röteln auch Erkrankungen beschrieben, die eine mehr oder weniger grosse
Ähnlichkeit mit den Röteln haben, von denselben aber fttiologisch utad auch
klinisch streng zu scheiden sind. Zu diesen gehört das in jQngster Zeit
immer häufiger zur Beobachtung kommende Erythema infectiosum seu con-
tagiosum (Sticker). Auch Andere haben das Krankheitsbild beschrieben;
Flachte schlägt dafür den Namen »Megalerythema epidemicum, die
(Grrossflecken," yor; Pospischill hat in diesem Jahre die Erkrankung
als neues, bisher unbekanntes Exanthem beschrieben.
Die Erkrankung tritt stets in epidemischer Form zumeist im An-
schluss an Masernepidemien auf und wird gewöhnlich bei Geschwistern, in
Schulen, Kindergärten etc. beobachtet; die meisten Erkrankungsfälle be.
treffen Kinder zwischen 4 und 12 Jahren. Meist ist das Wohlbefinden der
Kinder während der ganzen Krankheitsdauer ungestört und der Ausschlag
das einzige Krankheitssjmptom. Dieser betrifft ausschliesslich die äussere
Haut; er beginnt im Gesicht mit einer intensiven Röte und Turgeszenz der
Wange, die sich rotlaufartig gegen die Nasolabialfalte zu scharf begrenzt
und dadurch von der blassen Kinn- und Mundpartie deutlich abhebt.
Seltener findet man Flecken und Gjri. Ausserdem zeigen sich auf der
Stirn und in der Ohrengegend einzelne grosse Flecke Ton bläulich-roter
Farbe, die mit denjenigen, wie sie nunmehr auf den Extremitäten erscheinen,
im wesentlichen übereinstimmen. Am stärksten sind die Extremitäten be-
fallen, am spärlichsten der Stamm, der nicht selten ganz frei bleibt. Am
längsten hält sich das Exanthem auf den Extremitäten; gewöhnlich bleibt
es 6 — 10 Tage sichtbar. ' Für das Kontaginm scheint keine grosse Empfäng-
lichkeit zu bestehen; die Inkubationsdauer beträgt 6—14 Tage. Den
Erythemkindern kann der Schulbesuch, sobald die auffällige Hauterkrankung
im Gesicht geschwunden ist, gestattet werden. Schleissner-Prag.
Über du Dukessche y^Vierte Krankheit („Fourth disease"). Von J. v. Bökay
Deutsch, med. Wochenschr. No. 43. 1904.
Wie die Röteln zu den Masern, so soll sich zum Scharlach Dukes*
»Vierte Krankheit** verhalten. Das Neue an der Krankheit, über die seit
einigen Jahren ausschliesslich in englisch-amerikanischen Journalen berichtet
wurde, ist jedenfalls der originelle Name; sonst sind die Symptome die eines
Abortivscharlachs.
Was Bokay an die Selbständigkeit der Erkrankung glauben lässt, ist
der im allgemeinen milde Verlauf, der sozusagen vollständige Mangel an
Komplikationen und Nachkrankheiten, das relativ schnelle Schwinden dez In-
fektionsfähigkeit und besonders die starke Verlängerung der Inkubationsdauer,
Bökay hat die Überzeugung, dass er die sogenannte , Vierte Krankheil**
wiederholt gesehen hat, verfügt jedoch nicht über solche Beobachtungen
welche zur Klärung dieser Frage meritorisch beisteuern könnten; dazu gehörte
der Nachweis, „dass es solche milde, scheinbar aus Scharlachfällen bestehende
4124 Li(«rfttafb«ritsht.
Epidemi«!! gibt, welche atich «olche Kindef iitoht rerg<sli0ireii, dio SeÜMfladi
und RMelii bereits fiberdtänden babeti, andererMrite detf Rratrkeif ^M* ^A€t
spiteren Röteln- bezw. SebarlachtttfekttOtt nicht beimfareii*. Bitte MiMeÜiieg
Fifatows über , Rubeola scariatiDOsa* wird tu dfesein Siotte gedeutet»
Misch.
Komfiiikaäon tUr LH^hthH^, Bimerkungan üter Bmäkrung, mgäikmmmmidse
tmd kygiemUeks Bthandiung. Von L. Fi »eh er. Medical New». 1904.
Nov. No. 21.
F. ribi) TOD der Tstsaebe aMgefaend, dase das Diphtherietoiin durch
Binwirkvai^ aaf die Drüsen zellen die Salzsiareabeonderang des Magens be-
hindert (wie sie das Antitoxin fördert), bei der Srnftbmng der Kranken mit
SalasÜnregaben naohxnhelfen oder Torverdante Miich bezw. andere Nwhrovgs-
mittel zu reichen, bespricht die Ern&hrong mit der Seblandsonde nnd per
rectum. Alle Übrige Behandlung soll auf Entfernung der toiisoheii Ursachen
gerichtet sein. Zunächst also grosse Dosen Ton Aotitexin! Bei Nasen diphiherie
Reinigung der Nase von Membranen, welche Massnahme auch Verkleinerong
von DrAeen und der Förderang des Sauerstoffs ntritts dient; Förderung der
Entgiftnng durch reichliche Darmentleenmgen (Calomel, ssdinische Mittel);
ebenso dorofa Erregung erhöhter Diorese die Nieren zu entlasten; in gleicher
Richtung Hjpodermoklyse und DarmwassereingiessnngeB. Spiegeiberg.
Sur fa patkoghüe de certtOnes para/yses difrktkhip$es. Von M. B. Riet.
(Retne mens, des maladies de l'enfance.) XXII. September 1904.
Die Arbeit handelt von den späten diphtherischen Lähmungen, die trotz
reichlicher Behandlung mit Antitoxin zu einer Zeit noch Ituftreten, wo man
keine Diphtheriebazillen meht findet. Während einerseits die Frühlähmungen
seit der EiDf&hrung der Antitoxinbehandlung fkst ganz vet^chwunden sind,
andererseits die Tierexperimente nur ein Bltd zeigen, das dem beim Monsehett
beobachteten nicht entspricht, so kommt R., auch unter Berücksichtigung
der in der Literatur niedergelegten Theorien, zu dem Schlüsse, dass eben
neben dem- Toxin, das vom Antitoxin gebunden wird, noch ein anderes sehwer-
diffusibles Gift den Bakterienleibem innewohnen muss. Zum Beweise hnt er
an Kaninchen mit Torbehandelten Bakterien teibem experimentieet und trotz
Anwendung ton Antitoxin bei ihnen Lähmungen bekommen, die dem T)rptts
der diphtherischen Spätlähmuog entspfechen. Mit diesen Versu<ohen und
unter Berücksichtiguog der klinischen Bewbsebtaflgen, daes Spfttlähmungen
nur solche Individuen betreffen, die schwer kramk waren und bei denen sich
reichliche Membranen und damit viele Bakterien fanden, hält R. die oben
geäusserte Annahme für bewiesen. L« Ballin«
Beitrage sur Kenntnis des DifhtherU»AniHoxins imd seiner Bestießhrttgm Mm
Toxin, Von E. P. Pick und J. Schwoner. Wiener klin. Wochensohr.
No. 40. 1904.
Die Versuche führten zu folgenden Ergebnissen: Es gibt Diphtherie-
Immunsera (hochwertige Sera), welche in überkompedsierten Mischungen
40 pGt. bis 50 pCt. ihres Antitoxin wertes verlieren (toxolabile Antitoxine)*
Unter gleichen Bedingungen behalten andere Diphtfaerie-Immunsera (minder-
wertige Sera) ihren Antitoxinwert nahezu vollständig bei (toxostabile Anti-
toxine). Die Änderung des Aotitoxingehaltes unter dem Einflüsse des Toxins
erfolgt nicht allmählich, sondern mit grosser Reaktionsgeschwindigkeit. Die
gleiche Anzahl Immunitätseinheiten toxostabiler und toxolabiler Fmmunsera
IV. AkoU loMfctio&KkrMikhetten. 43Ö
erlebt Alle derMlbeu Töxinn^llf e yerschMetrw^ftlge MiwiiQiigeft. T<Mrdlä%ib
iMtnnutera stelKsn naob partielleir Absftttigaog mit Toxin toxostabile Antitotfn-
lö«aiig^ dar. NeotraJe in Maltiplen hergestellt« MiflNihüDg^ t<mi Totitt vatd
toxdllibileiii Antitoxin bleiben stabil und lassen sich mit Hälfe pr&zipitieristtde^
Immnliflerams io ihre Bestandteile nicht zerlegen. Neorath.
Beiträge Mur Kiinik und BükierioiogU der Angina ulcerosa • membrertuicea
(VincenU od^ PiatUsehe Angina), Von Uffen heimer. Hünefa. med.
Wöohensohr. 1904. No. 28.
Verf. berichte! snnAcbst ober fünf typische F&lle dieser Krankheit, Wo sich
im Aaestrioh die bekannten f oeiformen Baeillen mitSpirochfttettyergesdllsobaftet
Torfaüden. Weiter beobachtete er drei Fftlle, yro er ebenfalls diö f^siformen
Bazillen und Spirillen nachwies, wo es sich aber nicht am die typische
Angina nlceroSa^membranacea handelte. Ein Fall betraf dabei eine typische
Schairlachangina, an die sich wfthrend der Anwesenheit dieser Keime eine
Stomatitis anschloss: zugleich War stetd charakierisch ein Foetor ex Ore;
das Verschwinden des Geruchs fiel zeitlich mit dem Verschwinden d<dr
Spirochftten zusammen.
Wahrend KultiTierungsvCrsuche der Spirochftten stets misiigiflcklen,
gdlangen Anreicherungen des Bacillus fusiformie, aber keine Reinkulturen auf
Speithelnfthrböden. Die Bazillen gingen meist nach drei Generationen Zugrunde.
Bine Infektiosität Hess sich weder bei Menschen noch Tieren erweisen.
Misch»
Sur la siomaüte et tangine uicereuse. Von M. M. Moizard und S. Grenet.
Arch. de medecine des enfants. Tome 7. No. 10. Octobre 1904.
Die Vcrff. kommen auf Grund ihrer Beobachtungen zu der — keines-
wegs neuen — AaffassuDg, dass die Angina and die Stomatitis ulcerosa
wesensgleiche Prozesse seien. Die Angina ulcerosa — in Frankreich unter
dem Kamen der „Vincent sehen Angina^ bekannt — ist durch klinische
Charaktere, welche schon Bergeron hervorhob, und dann insbesondere
durch einen konstanten bakterioskopischen Befund gekennzeichnet (Spirillen
-f- spindelförmige Doppolstäbcheu), dessen Entdecker Bern heim und
Pospischill sind. Vincent veröffentlichte nach den Genannten ganz
analoge Befunde. Pfaundler.
Impfung unter rotem Licht. Von Wilh. Knöpfelmacher und Moritz
Schein. Wiener klin. Wochenschr. No. 40. 1904.
Verff. konnten nicht den von Gold mann beschriebenen milden Verlauf
bei Impfung unter rotem Licht konstatieren, sondern fanden keinen Unter-
schied gegenüber der gewöhnlichen Impfmethode. Nur schien infolge
gehemmter Verdunstung der Prozess ualer dem lichtdichten Verband bis zur
Eintrocknung der Postein langsamer zu verlaufen. Neurath.
Zur Agglutination des Meningococcus, Von Martin Hohl fe Id. Monatsschr.
f. Kinderheilk. Bd. III. November 1904. p. 293.
Die von Jaeger nachgewiesene Agglutination des Meningococcus
gestattet, denselben von anderen, ihm nahestehenden Kokken zu unter-
scheiden. Doch zeigte die bisherige Methode einige Mängel, indem die Auf-
schwemmung der Agarkultur im verdünnten Blutserum nicht immer gut
gelang und durch Krümelbiidung Pseudoagglutination zeigen konnte.
H. benutzt daher jetzt das Kondenswasscr schräg erstarrten Hammolblut-
scrums, auf dem der Meningococcus sehr gut wächst; in 10—14 Stunden
426 Literatarbericht
alten Kulturen ist du Eondenswasser gleichm&ssig granweiss getrübt und
stellt eine natürliche homogene Emulsion des Meningococcas dar, die für
die mikroskopische und makroskopische Beobachtung der Agglatination
dienen kann. Schleissner.
Über den Einfluss des Curare bei Tetanus, Von Peter Bergell and Fritz
Levy. Die Therapie der Gegenwart. 1904. 9. Heft.
Die Anregung, die Glaude-Bernard mit der Anwendung des Curare
bei Tetanus gegeben hatte, führte nicht zum Ziele, weil die Curarepräparate
von ganz yerschiedener Wirksamkeit waren und eine einheitliche Dosierung
fehlte. Diesem Mangel soll da« Ton den chemischen Werken vormals Dr»
Heinrich Byk-Berlin hergestellte Pfeilgiftprftparat „Curaril* abhelfen, das
in einer auf Mäuse eingestellten Dosierung geliefert wird: 1 ccm von der
käuflichen Lösung entspricht einer Dosis, welche 50 Mäuse gerade tötet oder
sehr schwer vergiftet. Die Verff. stellten nun zunächst in Tierversuchen die
physiologischen Wirkungen des Curarils fest und fanden, dass das Präparat
eine reine Curare Wirkung, genaue Dosierbarkeit, Haltbarkeit und Konstanz
der Lösungen darbiete und dass keine Kumulativwirkung stattfinde. Bs
wurde sodann die Wirkung des Curarils bei der künstlichen Tetanusin toxi*
kation von Tieren geprüft, und das Resultat war: Der tetanische Krampf-
znstand wird durch grosse Dosen Curaril vorübergehend (ca. 2 Stunden lang)
paralysiert; eine Heilung des Tetanus findet nicht statt, wohl aber eine Yer*
zögerung des ganzen Verlaufs der Krankheit. Die Verff. wendeten sodann
das Curaril in 4 Fällen von Tetanus bei Menschen an: Zwei an puerperalem,
schwerem Tetanus erkrankte Frauen starben bald nach der Aufnahme; die
(allerdings kleinen) Dosen Cararil üben keinen Einfluss auf die Krämpfe aus.
Bei der dritten, ebenfalls an puerperalem Tetanus erkrankten Frau bewirkt
eine Dosis Curaril, die 180 Mäusen tödlich ist, eine Remission der Krämpfe
von 5 Stunden, ohne jedoch den Exitus letalis aufhalten zu können. Bei
der Beurteilung dieses Falles muss übrigens berücksichtigt werden, dass die
Patientin ausser dem Curaril grosse Dosen Morphium und Chloral erhieltf
Der vierte Fall von Tetanas im Anschlnss an eine Fusswunde, einem Fall, den
die Verff. selbst als leicht bezeichnen, ging unter systematischer Curaril-
behandlung in Heilung über. R« Rosen.
Beitrag sur Pathogenese der transitoriscken Aphasie bei Typhus abdominalis
und ihrer Besiehung gum akuten zirkumskripten Ödem (Hydrops hyp<h
strophos). Von Beruh. Hahn. Wiener klin. Wochenschr. No. 46. 1904.
Ein 12jähriger Knabe zeigte während des Verlaufs einer typischen
Typhuserkrankung an Beinen, Armen und Wangen akutes ödem. Gleichzeitig
kam es plötzlich zu motorischer Aphasie, die nach einer Woche rasch wieder
geschwunden war. Kritische Sichtung aller aufgestellten Theorien bringt
den Antor zu der Annahme, dass die transitorische Aphasie bei Typhus
abdominalis nicht in stabilen, grobanatomischen Veränderungen ihren GruD4
habe; diese Annahme stützt sich auf das paroxysmale Auftreten und Schwinden
und die oft sehr kurze Dauer der Aphasie, auf das häufige Auftreten in der
Rekonvaleszenz, zu einer Zeit, wo die Restitution aller anatomischen
Schädigungen stattfiudet, und endlich auf den häufigen intermittierenden
Charakter der Störung. Die Ursache der Aphasie scheint vielmehr passagerer
Natur zu sein und dürfte in durch Toxin Wirkung hervorgerufenen vaso-
motorischen Vorgängen bestehen, wofür das gleichzeitige Auftreten von vaso-
motorischen Phänomenen der allgemeinen Decke resp. des akuten Ödems eins
weitere Stütze bildet. Nenrath.
Besprechungen.
Ausset, Rf La maladU de ßariaw, IV. GoDgres periodique de gyn Geologie*
d'obstetriqae et de paediatrie. Roueo. 1904. Lecerf fils. 89 Seiten.
A. gibt, nach Aufz&hlang der bisher über die Barlo wache Krankheit
veröffent lichten Arbeiten, eine Schilderung des klinischen Bildes, unter Mit-
teilung Ton 2 eigenen Fällen. Sodann entwickelt er seine Ansichten aber
das Wesen und die Entstehung der Erkrankung.
A. nimmt an, dass in den anscheinend rachitis freien Fällen von
Barlow scher Krankheit doch Rachitis vorliege, wenn auch ohne deutliehe
klinische Symptome. Er vergleicht die Barlow sehe Krankheit als hämor-
rhagische Rachitis mit dem hämorrhagischen Scharlach. A. bezweifelt den
Nutzen der antinkorbutisohen Diät, weil stets auch die Zahl und die Grösse
der Einzelmahlzeiten reguliert werden, was für die Heilung der Krankheit
Ton ausschlaggebender Bedeutung sei. Hier befindet sich Verf., der keine
grössere eigene Erfahrung über die Barlow sehe Krankheit hat, sondern
seine Kenntnisse hauptsächlich dem Studium der Literatur verdankt, ganr
entschieden im Irrtum.
Von grossem Interesse sind A.s Ausführungen über bei den Haustieren
vorkommende, als Pasteurelloseo bezeichnete hämorrhagische Erkrankungen^
deren Symptomatologie mit derjenigen der Barlowschen Krankheit über-
einstimmen soll, und als deren Erreger ovoide Bakterien (Pasteurella) be*
trachtet werden. Lewine in St. Petersburg hat dieselben Bakterien in
KoDservenfleisch und in 11 von 12 Fällen von Skorbut bei Erwachsenen in
Leber, Milz und Knochenmark gefunden. A. vermutet auch für die Bari o wsche
Krankheit eine Pasteurella als Erreger. Stoeltzner.
Haygrler» Z^es consultaüans de nourrissons. L'oeui^re medico-chirurgicak
No. 35. Paris 1903. Massen & Cte. 44 Seiten.
Die erste Gonsultation de nourrissons wurde 1892 von Budin in^
Pariser Cfaarite- Krankenhause begründet, in der Form, dass die in der ge-
burtshül fliehen Klinik entbundenen Frauen veranlasst wurden, nach ihrer
Entlassung wöchentlich einmal ihre Säuglinge zur ärztlichen Untersuchung
zu bringen und bei dieser Gelegenheit sich über Pflege und Ernährung der
Kinder beraten zu lassen.
Zur Zeit sind 4 von den 12 Pariser Gebär- Anstalten mit Consultation»
verbunden. Ferner sind in Paris durch private Wohltätigkeit 12 Gon-
sultations ins Leben getreten, die nicht mit Gebär-Anstalten in Verbindung
stehen; ausserdem unterhält die Stadt Paris deren 13. Doch reichen dies»
29 Consultations nach M. für Paris noch immer nicht aus, da manche Stadt-
viertel noch keine oder nur eine einzige Consaltation besitzen.
Auch in der Provinz werden in Frankreich mehr und mehr Consul-
tations eingerichtet, desgleichen bestehen bereits welche in Belgien, Italien,
Ungarn, Spanien und in Kanada.
Es gibt kaum eine Wohlfahrtsoinrichtung , die zur Erreichung
imponierender Erfolge so geringer Geldaufwendungen bedarf, wie dies»
Consultations: Es genügt ein Wartet^um mit einigen Bänken, ein Unter-
suchnngszimmer mit Wage, Schreibtisch und einigen Stühlen und ein Raun^
zum Verteilen sterilisierter Milch.
428 Notiz.
Das erste Bestreben der GonsaltatioDS geht dahin, die Frauen zum
Selbststillen anzufeuern. Die in dieser Ittchtung erzielten Erfolge sind er-
staunlich. In den mit Geb&r- Anstalten in Verbindung stehenden Consultations,
in denen die Frauen Ton der Zeit des Woehenbette an beraten werdea
können, itt ee erreicht worden, das» noch nach 7 Monaten 66 pCt. aller
Säuglinge ausschliesslich mit Muttermilch ern&hrt werden. Nur 6 pOt. der
Kinder müssen hier ausschliesslich künetltch ern&hrt werden. In den Con-
sultations, die nicht mit Oebftr- Anstalten in Verbindung stehen, sind die
Zahlen weit ungünstiger.
Wo künstlich gen&hrt werden mnss, wird tterilisierte Kuhmilch an
-die Frauen yerabfolgt, und zwar eine ausgezeichnete Milch ron über 3 pCt
Fettgehalt, die entweder indastriell (10—15 Minuten bei 110 — 116<^) oder in
<ler Oonsultation selbst (im Soxh lotschen oder in Ähnlichen Apparaten)
sterilisiert wird. Nur in wenigen Oonsultation« wird pasteurisierte Milch
ausgegeben.
Die gesunden Brustkinder werden alle 14 Tage untersucht, spez. ge-
wogen, diejenigen Kinder, die teilweise oder ausschliesslich mit Kuhmilch
ernährt werden, alle 8 Tage, kranke Kinder je nach Bedürfnis häufiger.
Sehr wesentlich ist, dass die Kinder bis zum Ende des zweiten Lebensji^res
unter der Überwachung der Consultations verbleiben.
Die in der Oonsultation sterilisierte Milch wird jeden Morgen, die
industriell sterilisierte jeden 2. Tag abgeholt; Zahl und Grösse der Einzel-
roahlzeiten wird genau yorgeschriebeu und, was ausserordentlfoh wiehUg ist»
so niedrig wie möglich angesetzt.
Magendarmkrankheiten kommen in der Clientel der Comultatione so
gut wie garnicht vor, ebenso Rachitis. Von den mit Untergewicht Geboreven
kommen 95 pCt. zu gedeihlicher Entwicklung.
Die Schaffung derartiger Consultations auch in Deatschland ist eine
Absolute Kotwendigkeit und gestattet keinen Aufschub mehr, nachdem unsere
westlichen Nachbarn uns gezeigt haben, was ful* Erfolge mit relativ mini-
malen Aufwendungen zu erreichen sind. StoeUzner.
Notiz.
Sonntag, den 30. April 1905, findet za Wiesbaden eiüe gemeinsame
Sitzung der Vereinigungen Niederrheinisch-westfälischer und Südi^estdeutscher
Kinderärzte statt. Da von verschiedenen Seiten der Wunsch nach einer
allgemeineren Beteiligung laut geworden ist, so ergeht hie)rm!t die fitntaduog
An sämtliche Mitglieder der Gesellschaft für Kinderheilkunde, sowid an alte
Kinderärzte zum Besuche dieser Versammhing.
Anmeldungen hierzu, sowie von Vorträgen, Demonstrationen u.a. nimmt
Dr. Lugenbühl, Schützenhofstrasse 9, entgegen.
Dr. Seiter, Solingen, Dr. Cahen-Brach, ^rankfufta.M.,
VorsitzenderdcrVereinigungNieder- Schriftführer der Vereinigung S&d-
rheinisch-westfälischer Kinderärzte. westdeutscher Kinderärzte.
Der Ortsausschuss:
Geh. Sanitätrat Dr. EmiJ Pfeiffer, Vorsitzender,
ständiger Sekretär der Gesellschaft für Kinderheilkunde.
Dr. Lugenbühl, Schriftführer.
Jaürbuch für Kinderheilkunde.
N. F. Bd. 61.
190$.
U— -
Heft 2.
Anzeigen.
Vm AiitorttttM d«r KMiJTlwilliwMle und
TaMMdM VM Antea enpIMÜM. In G»-
brauche äw prötfton KioderhotpftiUer
Oeutochlandt, dsttrrsieh-Uniiann ett.
Beste Waliruno fPr gesumle un<
darmkranke Kinder.
Eufeke's Eundermehl als Zusatz zur Milch ersetzt am
besten di^ Mirttermlielu Die Kinder .gedeihen vorzOg-
lich dabei und leiden nicht an Verdauungeetörnngeg.
Kiiffsk0iii0hl ist besoQileps In den Sommei^
mMiaton unMitlielirlioh iind komnt Im! Breohp
duroMalli Dwpinkataprit, DIarrhSa ato» als BaaUa
In Jlawandiina«
Arzti. LH&ntur, sowie Proben offeriere den
Herren Ärzten koe^nfrei
R. Kuf ekei
Btrgedorf- Hamburg und Wien I.
indeps
' meh
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Soeben ist erBcbieDen:
I ■f^W.i>W»»*-'IJ
Die vierte, wesentlich vermehrte und verbesserte Auflage
Lehrbuch der Nervenkrankheiten
Von
Prof. Dn H. Oppenheim
in Berlin.
Zwei Bande. Mit 393 Abbildungen. Broch. M. 30.—, gebund. M. 33.—.
Honatssehrift für PsyelUa^rle und Neurologie, Band XI, Heft 8:
Wesentlich vermehrt erscheint da3 bekannte Buch in dritter Auflage, nachdem
erst vor drei Jahren die zweite notwendig geworden war, ein Beweis für
•eine Vorzügllohkeit. £ii)e Fülle von neuen Forschungen findet ßich in ein-
gehender Weise berücksichtigt, so dass man vollauf berechtigt sagen darf,^
dass das BucA im der Tai den vollen Umfang unserer Wissenschaft repräsenüert.
Zur Empfehlung des Buches noch etwas hinzuzufügen, ist unnötig: wir könuen
«wr dmkieut eeim, dass wir ein derartiges Lehrtuch besUMem, das sich einen
hieiAmdem PlaUt in der Weraiur errungen hat und unendlich hefruchiettd auf
Hunderte gewirkt hat und weiter wirken wirdl (W indscheid- Leipzig.)
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8tr
Creosoial
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wege. Rapide Heilung von Pneumonie (auch Broncho-, Masern-,
Influenza-« Diphtherie-Pneumonie) durch grosse Dosen Creosotal
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%^
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Blutarme;
Rheumatismus, Qicht; son-
stige Knochen- und Qe«
lenkielden (Entzündungen,
Versteifungen , Verkrümm-
ungen);
NervenschwIche«Neuralgten
(Ischias^TabeStLlhmungen;
Anwendung der natürlichc^n
Trink- und Badequellen
(alkalisch - salinische Eisen-
s&uerlinge, Glanbersalzqnelle,
. Eisen moorbftder);
Wasser- und Lichtheilver-
fahren; eiektrlziat,
Massage;
Heilgymnastik n. Dr. Zander;
orthopädische Massnah-
men; (Rückgratsyerkrümm-
nngen etc.) Dllt.
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selbe empfiehlt sich überall dort, wo man
eine längere HacmoilobinKur beabsichtigt,
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DieNadunittaga- teMrAlwaddoaao weedcn
zweckmässig durch Darreichung von reinem
Perdynamin verabtolgt.
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besteht lediglich aus chemiach reinem
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in München.
Zweite, gftnzlieh unigeftt*beltete Aata^re.
Lex.-8o. Gebunden M. 12,—.
Sohmldfs Jahrkiiohar: Es ist ein suverlAssiges, gr&adliobes
Lehrbuch geworden, das die modernen wissenschaftlichen Lehren in an-
sprechender, klarer Form wiedergibt und dabei darchaus den Anforderangen
der Praxis Rechnung tr>.
MUnoheaar med. Woohenaohrifl: Alles in allem ist es dem Ver-
fasser vortrefflich gelangen, unter verständnisvoller kritischer SlcJlUQng des
ZQ bewältigenden Stoffes dem Leser ein ebenso amfassendes als &ber$icht-
liches Bild dea^ heutigen Standes der Kinderheilkunde vorzuf&hren; dadurch
gewinnt das Bach einen besonderen Wert für den Praktiker, der nidit in
der Läse ist, die Fortschritte der Medizin auf allen Gebieten im eioselaen
za verneigen.
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Varaniwortllcb für Inserate: S. K arger in Berlin NW. S
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XX.
Arbeiten aae der UoiT.-Kinderkiinik und -polikiinik zu Berlin..
1.
Ein weiterer Beitrag zur Kenntnis der Energiebilanz
beim Säugling.')
Von
0. HEÜBNER.
Der Yersuch, der ebenso wie unsere früheren, unter Leitung
Prof. Rubners im hygienischen Institut der Universität Berlin
im Sommer 1003 angestellt wurde, sollte den Zweck haben, über
den Eraftwechsel des Kindes im nüchternen Zustand Aufschluss
zu geben und einen Vergleich mit demjenigen bei reichlicher Er-
nährung anzustellen, um auf diese Weise etwa den kalorischen
Wert der Yerdauungsarbeit kennen zu lernen. Dieser Zweck
wurde allerdings nicht erreicht, insofern, als die am Fasttage von
dem Kinde erzeugte Energie nicht wesentlich von derjenigen der
vorherigen Tage abwich, ein Umstand, der teils mit den nachher
zu schildernden individuellen Yerhältnissen des Kindes, teils da-
mit zusammenhing, dass offenbar die reichliche Ernährung der
vorhergegangenen Tage noch nachwirkte und das Resultat trübte.
Trotzdem konnten aber in diesem Versuche nicht nur eine
Reihe früher gewonnener Resultate von neuem bestätigt, sondern
auch neue Tatsachen beobachtet werden, so dass ein kurzer Be-
richt darüber an dieser Stelle erlaubt sein dürfte.
Es handelte sich um einen ungewöhnlich kräftigen ond wohlentwickelten
Knaben, das Kind einer der an der Kinder-Klinik angestellten Ammen. Die
Matter, eine grosse, kräftige, wohlgebildete, immer gesande Frao, hatte schon
einmal geboren; das Kind war nach 14 Tagen nnter Krämpfen gestorben.
Zam zweiten Male wurde sie am 11. II. 1903 von dem männlichen
Kinde entbanden, das wir zo beobachten Gelegenheit hatten. Es wog bei
der Gebart (in der gynäkologischen Klinik der Charite) 4,06 kg und kam
mit der Mutter am 18. II. in die Kinderklinik. Da wog es 3,78 kg.
Der Knabe bekam während der ersten zwei Monate fast ausschliesslich
die Bmst (zu ^Z», V» anfangs Thee, von Mitte der 3. Woche Mehlsappe, von
0 Vortrag, gehalten auf der Naturforscher- Yersammlong in Breslau 1904.
Jahrbach f. Kinderhellkande. N. F. LXI, Heft 3. 28
430 Heabner, Ein weiterer Beitrag zur Kenntnis
der 5. Woche an Battermilch). Die Zasammentetzang der Milch erwies sich
bei wiederholten üntersochangen als eine recht gleich mftssige. Die Analysen
der Klinik stimmten mit den später im hygienischen Institut Torgenommenen
iiberein. Erst vom 5. Monat an wurde die Nahrung annähernd zur Hälfte
kunstlich (Buttermilch).
Der Energiequotient belief sich bis Ende des 3. Monats auf 100 Kalorien
stieg nur an ganz einzelnen Tagen über 105 oder 106, sank im 4. Monat ant
90, im 5. auf 80 und später auf 70. Das Volumen der zugefnhrten Nahrung
betrag in den ersten Wochen 600 ccm (bezw. das Gewicht der getrunkenen
Milch die analoge Menge von Grammen), stieg allmählich bis zu einem Liter
in der 12. Woche des Lebens und hob sich erst Ende des 6. Monats fiber
diesen Betrag (auf 1200). — Die während des nachstehenden Versuches aus
der Brust getrunkenen Mengen Muttermilch übersteigen die sonst tägKch
zugeführten Volumina etwas.
Bei dieser Ernährung zeigte das von der Geburt her kräftig yeranlagte
Kind Zunahmen von einer Intensität, dass man einen zu grossen Fettansatz
fürchtete und 4 — 5 mal einige Tage lang die Zufuhr so heruntersetzte, dass
keine Zunahme erfolgte. Es nützte dieses aber nichts. Das Kind wurde bei
der knappen Diät yerdriesslich und schlaff, und wenn man dann zum früheren
Energiiequotienten zurückging, so erfolgte die Zunahme in um so rascherem
Tempo. Ähnlich war es auch nach dem beim Versuche interpolierten Fast-
tage (Zunahme in 18 Tagen um 650 g).
Das Kind wog Ende der
4. \
Voch(
9 4180 g
8.
«
5070 „
12.
n
6840 „
16.
„
7510 „
20.
9)
8640 .
24.
11
10140 „
28.
«1
11090 „
32.
»
11860 „
Der Gewichtszunahme entsprechend yerhielten sich aber auch die
sonstigen Wachstumsverhältnisse und die körperlichen und psychischen
Funktionen. Man konnte nicht von einem nur einseitigen Fettansatz, von
Adiposität oder pastösom Habitus sprechen. Das Kind hatte immer ein
blühendes, frisches Aussehen, rosige Wangen, lebhafte, blitzende Augen,
energische, kräftige Muskelbewegungen.
Am 3. VIII. 1903 (Ende des 6. Monats) hat das Kind eine Körperlänge
von 71 cm, Kopfumfang 46 cm, Fontanelle 2,3x2 cm, Brustumfang 49 cm,
Bauchumfang 49 cm. Kein Zeichen von Rachitis bis auf eine geringe Ver-
krümmung der Unterschenkel.
Ende der 33. Woche (bei der Entlassung) beträgt die Körperlsnge
77 cm, der Kopfumfang 48 cm, Brustumfang 52 cm, ebenso der Bauchnmfang.
Festes, derbes Fleisch. Kind sitzt mit gradem Rucken und Kopf, steht,
leicht unterstützt, fest auf den Beinen. Nirgends Zeichen von Rachitis,
nirgends Drüseoschwellung«
Intelligenz sehr gut entwickelt. Kennt alle Personen der Umgebong,
beschäftigt sich sogleich mit jedem vorgehaltenen Gegenstand, fixiert nnd
beobachtet mit gespannter Aufmerksamkeit und ist ununterbrochen in ver-
gnügter, selbst übermütiger Stimmung.
der Energiebiianc beim Säugling.
431
Wir hatten es also mit einem besonders kräftigen and rasch
wachsenden, aber sonst normalen Kinde za tun, bei Beginn des
Yersaches war es S^t Monat alt.
Betrachten wir zuerst die drei mittleren Tage des Versuches,
die für die Beurteilung des regelmässigen Stoff- und Eraftwechsels
als massgebend anzusehen sind, und vernachlässigen wir vor der
Hand den in der folgenden Tabelle am 1. Tage sich vollziehenden
Gewichtsabsturz, der während des 2. Tages sich wieder ausgleicht,
so finden wir, dass das Kind während der 3 Tage naturlicher und
reichlicher Nahrungszufuhr, bei der es unter anderen Verhältnissen
stark zugenommen hätte (ungefähr 1250 Muttermilch), und über-
haupt vom Anfang der Versuche bis zum Beginn des Fasttages
sein Körpergewicht auf dem gleichen Niveau gehalten hat. Die
Ursache dieser mangelhaften Zunahme kann selbstverständlich
nicht, wie in unserem ersten Brustkind-Versuche, darauf zurück-
zuführen sein, dass das Kind eine blosse Erhaltungsdiät bekam,
ebensowenig aber in einer mangelhaften Ausnutzung der Nahrung,
wie die folgende Tabelle erkennen lässt.
Tabelle I.
BiDDftbmen
Ausgaben ia Harn und Kot
Tag|
Milch
N
£1-
weiss
N
Keti
5
<
11
c
N
0
9^
if
N
luKol
N
Harn
U.Kot
c
Harn
n.Kot
1.
Beg.
(li '».Tag.
^d.) 9760
750
1,26
1,03
85,2
49,1
1,05
88,6
42,7
305 . 0,74
0,85
27
5,08
0,47
1,21
—
2. ;9510
1180
1,98
1,72
34,2
75,5
1,78
127,4
63,3
571
1,27
1,68
43
3,25
0,26
1,53
4,39
3. 9740
1240
1,91
1,52
37,9
78,6
1,86
123,5
61,4
620
1,13
1,48
57
'8,33
0,54
1,67
4.19
4. 9730
1345
2,07
1,65
41,1
87,4
2,02
133,9
66,5
670
1,00
1,08
37
4,91
0,32
1,32
3,79
:'».
9760
560
1,18
1,42
9
1,55
0,15
1,33
Ende: 9500.
Es geht daraus hervor, dass die stickstoffhaltigen Bestand-
teile der Nahrung nicht nur im Darm gut ausgewertet, sondern
sogar zu einem nicht ganz unbeträchtlichen Betrage im Organismus
zurückgehalten worden sind. Der Kot hatte namentlich am 2. Tage
ein etwas dyspeptisches Aussehen, doch glich sich dieses bald
wieder aus. — Niemals im ganzen Verlaufe der' Beobachtung stieg
die Körpertemperatur über 37,5 •.
Somit müssen wir uns nach einem anderen Moment um-
sehen, das bei den früheren Versuchen keine Rolle gespielt haben
28*
^32 Heubner, Ein weiterer Beiintg zar Kenntnis
kanD, and hier auf die Störung des Wachstams von £influ88
gewesen sein muss.
Nan ist in der Tat in nnserem Falle ein Faktor nea in die
Gesamtbilanz eingetreten, der bei keinem der drei früher von uns
untersachten Fälle auch nur annähernd ähnliche Intensität er-
langt hat, das ist die Leistung äusserer mechanischer Muskel-
arbeit.
Am ersten Tage, nachdem das an selir viele Beschäftigung
mit ihm gewöhnte Eind in den Respirationsraum eingelegt war,
fing es alsbald an, in lebhaftester Weise seine Unzufriedenheit mit
seiner neuenLage zu äussern, nicht nur zu schreien, sondern geradezu
zu toben, alle seine kräftigen Muskeln in angestrengter Weise zu regen,
um sich aus seiner Zwangslage zu befreien. Aber auch an den
nächsten Tagen, als es sich an seine neue Umgebung gewöhnt
hatte, schrie es zwar weniger, aber war doch, so lange er wach war,
in nnauf hörlicher Muskelaktion bald mit den Beinen, bald mit den
Armen. — Die beiden Herren Studierenden, denen die unauf-
hörliche Überwachung des kleinen Riesen oblag, hatten alles
mögliche zu tun, um ihn bei Laune zu erhalten, mussten vor
seinem Glaskorb tanzen, allerhand Spielzeug vorbeifuhren oder
an einem Stabe durch das Yentilationsrohr in den Kasten dirigieren
und dergl. mehr. Nur in den Stunden ruhigen und gewöhnlich
ganz gesunden Schlafes, der nachts andauernd stattfand, befanden
sich die Muskeln des Kleinen in Ruhe. Diese Bewegungen, so-
wohl der Atem- wie der übrigen willkürlichen Muskulatur, über-
stiegen bei weitem die auch von diesem sehr kräftigen Kinde in
sonstigen Zeiten geleistete mechanische Arbeit. Denn dann pflegte
es in wacher Zeit gewöhnlich im Bette aufzusitzen und vergnügt
am sich zu schauen und die Ärmchen spielend zu bewegen, aber
doch nicht entfernt in der geschilderten beinahe immer fort-
dauernden Agitation sich zu befinden.
Das Eingreifen dieses Momentes in die Energiebilanz und die
Möglichkeit seiner Messung durch einen Vergleich mit den früher
beobachteten Säuglingen dürfte das interessanteste Ergebnis des vor-
liegenden Versuches sein. Freilich ist dieses es auch gewesen, das
wohl hauptsächlich den ursprünglichen Zweck unseres Vorhabens,
vereitelt hat.*
Betrachten wir jetzt die flüchtigen Ausgaben unseres Kleinen,
80 wird uns der Einfluss dieses Momentes auf den Verbrauch an
Energie sofort klar.
der Energiebilans beim S&agling.
Tabelle U.
433
Tag
Anfangs-
End-
Ausgabe
Ansgabe
gewicht
gewicfat
von COs
von H,0
1.
9760
9510
279,8 g
640 g
2.
9510
9740
219,9 ,
519,6 ,
3.
9740
9730
228,1 ,
478,6 ,
4.
9730
9760
231,1 ,
382,1 .
5.
9760
9500
218,2 „
322,5 ,
Die Prodaktion von Kohlensäure ist in allen Tagen (die Re-
sultate des ersten Tages sind zum besseren Vergleiche auf 24Stunden
umgerechnet) eine sehr hohe, besonders aber am ersten. Im Mittel
kommt während des ganzen Versuches (erste 4 Tage) pro Eälo und
Stunde rund 1,01 g« während das viel kleinere Brustkind unseres
ersten Versuches nur 0,94 g produzierte.
Noch deutlicher wird aber die erhebliche Mehrleistung, die
auch diejenige eines künstlich genährten Kindes beträchtlich über-
ragt, wenn man die Kohlensäureproduktion auf den Quadratmeter
Oberfläche berechnet — die nach Rubner allein zutreffende
Methode einer vergleichenden Messung. Dann ergibt sich folgende
Tabelle:
Tabelle III.
Es produziert: Gewicht
Brastkind J.') • • 11 5 Kilo
Kahmilcbkinds) . . 8
Atrophisches Kind') 3
Brastkiod C. . . . || 10
(dieser Versuch)
Pro
Quadratmeter
und Tag
1006
1143
1090
1219
Pro
Quadratmeter
und Stunde
13,5
15,9
17,1
17,4
In Spalte 3 der Tabelle III ist nur der reine Kraftwechsel
berechnet (mit Ausschluss der im Ansatz von Stoffen gebundenen
Energie).
Hier zeigt sich in sehr eindringlicher Weise die erhebliche
Steigerung der Energiebilanz in unserem letzten Versuche, die
allein auf Rechnung der erhöhten äusseren Arbeit kommen kann.
Gegenüber dem erstbeobachteten Brustkinde, das meist ruhig in
>) Zeitschr. f. Biologie. Bd. 36.
^ Zeitschr. f. Biologie. Bd. 38.
434
Henbner, Ein weiterer Beitrag zar KenntDis
seinem Eastenbettchen lag, sehen wir eine Steigerung der Wärme-
prodaktlon am 21 pCt., obwohl die Ealorienzofahr pro Kilo be-
rechnet hier eher etwas niedriger war (67,6 Kai. gegen 70 Kai.
dort). Dabei ist nnn freilich das verschiedene Alter in Betracht
za ziehen, dessen yerschiedene Anspräche im allgemeinen eben
durch die Redaktion auf die Obei^äche ausgeglichen werden.
Selbst mit dem elenden atrophischen Kinde, yerglichen mit seiner
relativ viel grösseren Oberfläche, ist aber der Energiewechsel bei
unserem letzten Versuche noch auf ein etwas höheres Niveau
eingestellt.
Nun erklärt sich auch, warum das Kind trotz der reichlichen
Ernährung nicht an Masse zugenommen hat.
Vergleichen wir die Kohlenstoffbilanz, so ergibt sich:
Tabelle IV.
Tag
C-Einoabme
C- Aasgabe
Diff.
1.
2.
3.
4.
5.
68,8
63,3
61,4
66,5
80,36
64,39
66,39
66,81
(60,79)
- 11,56
- 1,09
- 5.0
- 0,31
Sa. der ersten
4 Tage . .
260,0
277,95
— 18
Aus dieser Tabelle ist zu ersehen, dass das Kind trotz der
reichlichen Zufuhr seinen Energieverbrauch während des Ver-
suches nicht hat decken können, sondern vom eigenen Körper
(Fett oder Glykogen) Stoff hat hergeben müssen, um ihn zu be-
streiten. Sehr übereinstimmend mit den früheren Versuchen
zeigt sich aber auch hier (vergl. Tabelle I), dass es trotzdem
von dem Stickstoffe der Zufuhr einen Ansatz zu bewirken ver-
mocht hat.
Ganz die gleiche hochgradige Steigerung sehen wir bei
unserem Kinde in der Wasserbilanz sich vollziehen. Ausser der
Messung des vergasten "Wassers wurde beim diesmaligen Ver-
suche auch eine sorgfaltige Wägung der Wäsche, Bekleidung,
Bettstücke und Matratzen vor und nach jeder Unterbrechung
des Versuches vorgenommen. Auf diese Weise gelang es auch,
die Wassereinnahme und Ausgabe genauer als bei den früheren
Versuchen festzustellen. Es zeigte sich, dass — wenigstens in
der Energiebilanz beim S&ngling.
4S5
ansMrem Falle — auch die Ausscheidang des Wassers durch die
Haut in tropfbarflüssiger Form eine nicht zu vemachl&ssigende
Grösse darstellt.
Tabelle V.
Tägliche Wasserbildung (Mittel des 2.-4. Tages.)
Wasser
der
Milch
Ozydations'
Wasser
derXrocken-
sabstanz
Summe
der
Einnahme
Harn
Kot
Transpir.
nnd
Respir.
S«ne
der
Aasgabe
Differ.
1125
89
1214
616
40
460
1116
+ 9a
Dieser Wasseransatz stimmt mit dem vom zweiten Tage an
beobachteten Wiederansteigen des Körpergewichtes um etwa
250 g leidlich überein, wenn man besonders die mancherlei
Fehlerquellen, die sich bei dem^ Wägen grösserer Stücke in
feuchtem und trockenem Zustande u. s. w. kaum vermeiden
lassen, in Rechnung zieht. Dieses hier in den Organismus auf-
genommene Wasser kann nicht etwa als beim Ansätze fester
Stoffe gebunden angesehen werden. Denn aus Tabelle I ist er-
sichtlich, dass täglich höchstens 0,45 g N. als £!iweiss an den
Körper angesetzt worden ist, was nach Rubner kaum mehr als
15 g Wasser in Anspruch nimmt. Wir haben also hier einen
Wasseransatz direkt bewiesen, wie er schon lange als Postulat
für sonst unerklärliche Schwankungen im Gange des Wachstums
vieler Säuglinge aufgestellt worden ist und wie ihn neuerdings
Freund durch seine Untersuchungen über den Ohiorstoffwechsel
indirekt zu erweisen gesucht hat. In unserem Falle hat dieser
Wasseransatz nichts Pathologisches, sondern stellte offenbar nichts
anderes, als den raschen Ersatz eines raschen Verlustes dar.
Denn gerade unter Berücksichtigung der Wasserbilanz ge-
langen wir leicht zu dem Verständnis des enormen Gewichts-
absturzes des ersten Tages, der sich binnen 15 Stunden vollzog.
Er bestand gewiss zu einem kleinen Teile aus verbrannter Körper-
substanz (Glykogen oder Fett), denn die negative Schwankung
des Kohlenstoff-Stoffwechsels überwiegt je am ersten Tage weit-
aus alle übrigen Tage und verschlingt ganze zwei Dritteile des
Gesamtdefizites der 4 Tage. Trotzdem vermag sie aber den
Gewichtssturz allein nicht entfernt zu erklären.
436
Heabner, Ein weiterer Beitrag xnr Kenntniv
In dem Protokolle über den ersten Beobachtangstag hetsst
es (am Nachmittage, wiederholt, stundenlang) : Das Kind schreit
fast unaufhörlich, hat gerötetes Gesicht, dicke Schweissperlen
auf Gesicht und Armen. Der Glaskasten beschlägt sich bis zur
Tropfenbildung (so dass die Ventilation mehrfach gesteigert werden
muss). Dieses Yerhalten zeigte das Kind am Abend etwa drei
Stunden lang, schlief dann in der Nacht ruhig, aber am anderen
Morgen wieder etwa 2 Stunden. Durch diese anhaltende Lungen-
gymnastik musste ganz offenbar eine sehr gesteigerte Wasser-
abgabe aus den Lungen erfolgen, die sich dann schon makro-
skopisch — trotz einer Temperatur von 23® im Respirationsraume
— durch fortwährendes Beschlagen seiner Wände zu erkennen
gab. Dazu kam aber noch die tropfbar flüssige Absonderung
aus der Haut.
In den Protokollen findet sich die Messung des vergasten
Wassers und diejenige der an Kleider und Betten abgegebenen
Flüssigkeit gesondert verzeichnet, wie folgt:
Tabelle VL
Tag
Wosserabgabe pro Stande
Tergast
fl&88ig
1.
2.
3.
4.
5.
15,215
15,655
17,94
11,72
7,54
12,5
6,0
2,0
4,2
5,S
Man sieht, wie die Wasserabgabe durch Schweiss am ersten
Tage alle anderen weit überragt und zusammen mit der durch
das Schi*eien bedingten vermehrten Wasserdampfausscheidung
jene hohe Wasserausgabe bedingt, wie sie (nach 24 Stunden be-
rechnet) in Tabelle II verzeichnet ist. Sie übertrifft diejenige
des 6. Tages gerade um das Doppelte.
Die Neigung zum Schweisse lässt schon am 2. Tage, wo das
Kind sich an die Umgebung gewöhnt hat, erheblich nach, um
am 3. Tage am tiefsten zu sinken (bei gleicher T. des Binnen-
raumes).
Dass auch am Fasttage noch eine, wenn auch relativ ver-
ringerte, so doch absolut noch reichliche Kohlensäure- und Wasser-
ausscheidung statt hatte, beruht teils, wie oben schon berichtet,
auf der Nachwirkung der vorhergegangenen reichlichen Ernährung,
teils auf der fortdauernden lebhaften Muskelaktion des Kindes.
der Energiebilanz beim S&agling. 437
Schliesslich liefert unser Versuch auch noch den Schlüssel
zum Yerstandnisse des abnorm intensiven Wachstumes des Kindes
bei einer im Verhältnisse zu seiner Grösse in keiner Periode
seines Lebens überreichlichen Ernährung (energetisch betrachtet).
Während das früher von uns untersuchte Brustkind die zugeführte
mütterliche Nahrung mit einem Verluste von 8,4 pCt. der dar-
gebotenen Kalorien verarbeitete, geschah dieses bei unserem
jetzigen Versuche mit einem Verluste von nur 6 pCt. Dieser
Vorzug beruht aber lediglich in einer besseren Leistung des
Verdauungskanales. Durch den Harn verloren beide Kinder die
gleiche Menge an Energie (2,5 pCt.), dagegen durch den Kot
das frühere Brustkind 6,8 pCt., das jetzige nur 3,6 pCt. Also
dem leistungsfähigeren Darme hat dieses seine körperliche Blüte
zu verdanken.
Der experimentelle Nachweis der Bedeutung übermässiger
äusserer Arbeit für das Wachstum des Säuglings ist nicht ohne
praktischen Wert. Man wird in Zukunft bei der Beurteilung des
Ernährungseffektes die Berücksichtigung der täglichen Arbeit an
Geschrei, Unruhe u. dergl. noch mehr in Rechnung ziehen dürfen,
als man es bisher vielfach gewohnt war.
2.
Aus der KöDiglieheo KiDderklinik und dem chemischen Laboratoriam des
Pathologischen Instituts der Universität Berlin.
Zur Kenntnis der Acetonurle bei den Infektions-
Krankheiten der Kinder.
Von
Dr. LUDWIG F. MEYER,
Volont&r der KlnderkUoik.
Die Arbeiten, die sich mit der Acetonarie bei Kindern be-
schäftigen, stammen meist aas einer Zeit, in der man noch über
die Acetonarie weit andere Anschaaangen als hente hatte, in der
man noch der Acetonarie die Bedeutung eines selbständigen
Krankheitsbildes einräumte und verschiedene Krankheitsgruppen
auf Grund der vorhandenen Acetonurie konstruierte. In der im
Jahre 1886 erschienenen Monographie über Acetonurie und
Diaceturie stellte von Jaksch noch eine Reihe selbständiger
pathologischer Acetonurien auf, die diabetische, die febrile, die
Inanitionsacetonurie, die Acetonurie bei Carcinom, Psychosen und
die Acetonurie als Ausdruck der Autointoxikation.
A. Baginski^) hat im Jahre 1888 die Acetonurie bei Kindern
eingehend studiert. Er hofiFte zu Beginn seiner Untersuchungen
in der Ausscheidung des Acetons die Ursache für die Entstehung
eklamptischer Anfölle und der Rachitis zu finden. Indes ver-
wirklichten sich seine Hoffnungen nicht. Baginsky wies Aceton
in vermehrter Menge (systematische quantitative Untersuchungen
hatte er mangels einer geeigneten Methode nicht angestellt) bei
mannigfachen fieberhaften Erkrankungen, wie Pneumonie, Masern,
Diphtherie, Scharlach etc., sowie bei Kindern mit eklamptischen
Anfällen nach. Der Acetongehalt des Urins, so nahm er, der
Auffassung seiner Zeit folgend an, steigt, entsprechend der Fieber-
höhe und verschwindet mit dem Fieberabfall.
i) Archiv f. Kinderheilkunde. Bd. 9. S. l.
Mejer, Zar Kenntnis der Acetonurie etc. 489
Kurze Zeit daraaf beschäftigte sich Schrack^) aus der
von Jakschschen Klinik mit der Acetonurie bei Kindern.
Schrack fand, dass eine Acetonausscheidung bei Kindern häufig,
und zwar besonders bei fieberhaften Erkrankungen, sowie akut
verlaufenden Verdauungsstörungen, vorkommt. Er musste jedoch
zugeben, dass die Acetonurie nicht immer eine Erscheinung oder
Folge hohen Fiebers sein konnte (wie von Jaks ch sie aufiPasste),
da er bei gewissen Erkrankungen (Tuberkulose), die mit hohem
Fieber einhergehen, keine Vermehrung des Acetons fand, während
bisweilen bei Erkrankungen mit niedriger Temperatur (Diphtherie)
eine starke Vermehrung des Acetons im Urin auftrat.
Dass die Diät einen Einfluss auf die Acetonurie hatte,
erkannte schon Schrack. Bei 7 Kindern, die mehrere Tage
Fleischdiät hielten, trat dreimal vermehrte Acetonausscheidung
auf. Sie ging bei Amylaceenkost wieder auf die Norm zurück.
Hier ist also schon die Rolle, die die Ernährung spielt, in
durchaus richtiger Weise angedeutet, aber Schrack unterliess es,
daraus weitere Schlüsse zu ziehen.
In neuerer Zeit hat nun die Lehre von der Acetonaus-
scheidung, besonders durch die eingehenden Untersuchungen von
Hirschfeld, Ephraim, Rosenfeld und Gelmuyden, einen
gewaltigen Umschwung erfahren. Hirschfeld^) und Rosenfeld')
ist es gelungen, exakt zu beweisen, dass der Ausfall der Kohle-
hydrate in der Nahrung bei Erwachsenen die Acetonurie ver-
anlasst. Ist die Ausscheidung des Aceton nach längerem Fortfall
der Kohlehydrate aus der Nahrung beträchtlich (200 — 700 mg)
gestiegen, so genügt täglich ein Zusatz von 50 — 100 g Kohle-
hydraten (nach Gelmuyden 150 g Kohlehydraten), um die
Acetonurie in zwei bis vier Tagen zum Normalen, d. i. für den
Erwachsenen ca. 20 mg, zu bringen. Aber nicht nur bei völliger
Inanition, auch bei einseitiger Fleischfettemährung, die den
Kalorienbedarf des Körpers völlig deckte, resultierte eine erhöhte
Acetonausscheidung. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet,
verlor die Acetonurie beim Diabetes das Rätselhafte, das man
bis dahin in ihr sah. Das Verdienst, das zum erstenmale klar
erkannt zu haben, gebührt Hirschfeld. Beim Diabetes werden
die Kohlehydrate nicht genügend verwertet. Es entsteht im
0 Über die Acetonarie und die Acetarie bei Kindern. Jahrbuch für
Kinderheilkunde. Bd. 29. 1889.
*) Zeitschrift f. klin. Med. Bd. 28 n. 81.
>) Dentoche Med. Wochenschrift, 1885.
440 Meyer, Zar Kenntnis der Aceton arie
Organismus Kohlehydratmangel, der zur Acetonarie fQhrt. Bei
leichtem Diabetes sah Hirschfeld das im Urin bei kohlehydrat-
freier Kost vorhandene Aceton nach Kohlehydratdarreichnng
rasch absinken, bei erheblicher Zackerausscheidung erfolgt das
Absinken nicht so rasch, und bei ganz schweren Fällen oft erst
nach einigen Monaten. — Die Richtigkeit dieser Befunde ist
später von Seiten aller Autoren anerkannt worden. Heute ist
der Satz allgemein zur G<igkeit erhoben, dass Kohlehydrat-
mangel bei Diabetes, Inanition und den meisten der
noch von Jaksch als selbständige Krankheitsbilder auf-
gefassten Acetonurien zur Erhöhung der Acetonans-
scheidung f&hrt.
Als Quelle des Acetons wurden früher die Kohlehydrate
bezeichnet. Diese Annahme ist ohne weiteres durch die eben-
genannten Forschungen hinfallig geworden. Dann wurde lange
Zeit das Eiweiss als alleinige Muttersubstanz der Acetonkorper
angesehen. Als solche kann das Eiweiss indes nach den Unter-
suchungen von Weintraud, Gelmuyden, Magnus-Levy u.a.
nicht in Betracht kommen.
Die starke Erhöhung des Acetons nach Zufuhrung von Fett
oder Fettsäuren bei Kohlehydratmangel — die zuerst von Gel-
muyden^) und Schwartz^) erkannt wurde — hat die Entstehung
des Acetons aus Fett sehr wahrscheinlich gemacht. Die bedeutenden
Mengen ausgeschiedener Acetonkorper können aber beim normalen
hungernden und beim diabetischen Organismus sicher nicht aus
den niederen Fettsäuren allein entstehen. Auch die höheren
Fettsäuren mit 16 — 18 Molekülen müssen zu der Bildung der
Acetonkorper herangezogen werden, indem sie zu niederen Ver-
bindungen abgebaut werden.
Vielleicht entstehen auch (worauf Magnus-Levy hinweist)
die Acetonkorper durch Synthese kohlenstofParmer Verbindungen,
mit 2 — 3 KohlenstofiPatomen; genauer auf die Entstehung der
Acetonkorper einzugehen, liegt ausserhalb des Rahmens meiner
Arbeit. Ausfuhrliches darüber findet man in den Monographien
von Magnus-Levy, Mohr, Waldvogel.
Fast allgemein betrachtet man heute das Fett als Mutter-
substanz der Acetonkorper.
Der Kohlehydratmangel bewirkt demnach eine Ände-
0 Zekschr. f. phjs. Chemie. Bd. 23 and 27.
») Arch. f. exper. Patholog. Bd. 40.
bei den InfektioDS-Krankheiten der Kinder. 441
rang des normalen Fettabbaus, die sich in erhöhter Aus-
scheidung der Acetonkörper äussert.
Die Pädiatrie hat sich seit der Zeit, dass diese Lehren
allgemeine Geltung erlangt haben, wenig mit der Acetonurie be-
schäftigt. Es liegt eine Untersuchung Blumenthals^) vor, die
in einem gewissen Widerspruch zu diesen Lehren zu stehen scheint.
Blumenthal glaubt, dass die Ausscheidung des Acetons difiPe-
rentialdiagnostisch gegen Diphtherie und für Angina spräche; er
sah unter 67 Fällen von Angina 41 mal Acetonurie (nachgewiesen
mittelst der Legal sehen Probe) und unter 36 Fällen von Diph-
therie diese kein einziges Mal: Blumenthal hält also eine
spezifische Infektion für die Ursache der Acetonurie. (Angaben
über die Nahrangsaufiiahme der Kranken hat Blumenthal nicht
gemacht.)
Dem entgegen hat Freund*) in der Breslauer Kinderklinik
festgestellt, dass den Beobachtungen Blumenthals „praktisch-
klinische Bedeutung" nicht zukommt; denn Freund fand unter
15 Diphtheriefällen 8 mal Aceton.
Auch zwei italienische Autoren Bottacci und Orefici')
haben in drei Fällen von akuter Diphtherie Aceton gefunden und
quantitativ bestimmt. Die von ihnen gefundenen Werte liegen
sehr hoch; in einemFalle betrug dieAcetonausscheidung 0,535 g.p.d.
Auch sie halten daran fest, dass die Ursache der Diphtherie-
acetonurie in einer spezifischen Tozinwirkung zu suchen sei;
mehrmalige Darreichung von Zucker hatte die Acetonurie ab-
geschwächt, indes nicht zum Verschwinden gebracht.
Gelten nun die Lehren, zu denen man in neuerer Zeit be-
treffs der Acetonurie, bei Diabetes, der Inanition etc. gekommen
ist, auch fQr die Ausscheidung der Acetonkörper, wie sie bei den
Infektionskrankheiten der Kinder in die Erscheinung tritt? Ist
auch hier der Kohlehydratmangel oder sind Fieber, Infekt und
Toxine die Ursachen dieser Acetonurie? Zur Beantwortung dieser
Fragen musste ich zunächst die Blumenthalschen Angaben nach-
prüfen.
Ich untersuchte daher in 37 Fällen von Diphtherie, 26 von
Scharlach, 15 von Masern den Urin qualitativ mittelst der LegaU
schen Probe auf Aceton. -
^) Gharite-ADDaleD. 26. Jahrg. Seite 17.
S) Monatsschrift für Kinderheilkuode. Bd. 2,6.
*) Lo Sperimentale. 1901. Heft 5—6. S. 888.
442 Meyer, Zor Kenntnis der Acetonarie
Ich mass vorausschicken, dass im physiologischen Urin die
Legalsche Acetonprobe stets negativ war. Können wir nun
Werte, die sich nur wenig über die Norm erheben, mittelst unserer
gewohnlichen Proben erkennen? Spuren einer jodoformbildenden
Substanz waren stets bei Kindern, die ia der Rekonvalescenz
verschiedener Krankheiten sich befanden (ganz gesunde Kinder
standen mir nicht zur Yerffigung), vorhanden. Die Werte, die
ich, auf Aceton berechnet, fand, warea beim normalen Kinde
immer unter 1 cg, sodass man bei Kindern Werte, die sich über
1 cg erheben, als pathologisch bezeichnen muss. Werte, die sich
nur wenig über 1 cg erheben, habe ich in einer grossen Harn-
tagsmenge im nichtdestillierten Urin qualitativ nicht nachweisen
können. Im allgemeinen aber muss man zugeben, dass die ge-
bräuchlichen qualitativen Methoden genügen, um eine einiger-
massen beträchtliche Acetonmenge im Urin nachzuweisen. (Eine
Verwechslung mit Kreatinin war unmöglich, da stets Essigsäure
zugefügt wurde, auf deren Zusatz die durch Kreatinin bedingte
Rotfarbung sich aufhellt, während die durch Aceton bedingte
intensiver wird.)
Bei den drei Infektionskrankheiten fand ich die Legalsche
Acetonprobe positiv in:
37 Fällen von Diphtherie . . 26 Mal
26 Fällen von Scharlach . . 18 „
16 Fällen von Masern . . 8 »
Das ist für Diphtherie in 70,3 pCt. für Scharlach in
69,2 pCt. für Masern inöOpCt. Die Acetonurie kommt also
bei allen drei Infektionskrankheiten sehr häufig und in
fast gleichem Prozentsatz vor; Differentialdiagnostisch
ist sie nicht zu verwerten. Die Anschauungen Blumenthals,
Botaccis und Oreficis, dass ein spezifischer Infekt die Aceton-
urie verursacht, bestehen demnach nicht zu Recht.
Zur Prüfung der weiteren Fragen, der Abhängigkeit der
Acetonurie von der Intensität des Infektes, der Höhe des Fiebers
und endlich von der Nahrungsaufnahme, sind zahlreiche quanti-
tative Untersuchungen notwendig. Ich habe daher in 8 Fällen
von Diphtherie, 3 Fällen von Angina, 2 von Masern, 5 vod
Scharlach und 1 Fall von Angina Yincenti quantitative Aceton-
untersuchungen des Urins angestellt. Dabei war ich mir bewusst,
dass eine beträchtliche Quantität Aceton, die mit der Atemlaft
den Körper verlässt, vernachlässigt wurde und vernachlässigt
werden musste; denn exakte Bestimmungen des Acetons in der
bei den Infektions-Krankheiten der Kinder. 443
Atemluft sind bei den meist schwer erkrankten Kindern mit den
üblichen Methoden nur selten möglich. Es gelang mir jedoch in
3 Fällen (Diphtherie, Scharlach, Angina Vincenti), den Aceton-
gehalt der Atemluft xu bestimmen. Da ein gewisser Parallelismus
zwischen der Ausscheidung des Acetons im Urin und in der Atem-
luft stets vorhanden ist, konnte ich die Acetonausscheidung durch
die Atemluft des weiteren ausser Acht lassen, ohne dadurch der
Beweiskraft meiner Ausfuhrungen Abbruch zu tun.
Bei den quantitativen Acetonuntersuchungen im Harn be-
diente ich mich des Verfahrens der Überführung des überdestil-
lierten Acetons in Jodoform und der Wägung des so gebildeten
Jodoforms^). Das Gewicht des Jodoforms wurde auf Aceton
berechnet. Acetessigsäure wird dabei in Aceton übergeführt und
80 mitbestimmt. Fast stets wurde der Harn, der innerhalb
24 Stunden mit Toluol konserviert, gesammelt war, untersucht;
bei Ausnahmen ist dies besonders vermerkt.
Das Aceton der Atemluft wurde mittels des von Wald-
vogel ^) konstruierten Exspirationsapparates aufgefangen und
bestimmt.
Ich lasse nun zunächst eine Gen eraltab eile über alle von
mir untersuchten Fälle folgen. Darin ist die höchste Tages-
temperatur am Einliefer ungstage, die Kost am 1. Spitalstage und
die Acetonmengen, die der Patient täglich von der Aufnahme ins
Krankenhaus an ausschied, vermerkt. Alles Nähere illustriert die
Tabelle selbst.
(Siehe die Tabelle auf S. 444 u. 445.)
Die höchsten Acetonwerte betrugen bei Masern (Fall 14)
136 mg, Scharlach 142,4 mg, Diphtherie 162,4 mg, Werte, die
nicht wesentlich von einander verschieden sind. Die Quantität
des im Urin ausgeschiedenen Acetons hängt also ebenfalls nicht
von der Art des Infektes ab.
Auch auf die Quantität des durch die Atemluft aus-
geschiedenen Acetons scheint die Erkrankung als solche keinen
Einfluss auszuüben. Freilich habe ich nur in 3 Krankheitsfallen
bei ungefähr gleichaltrigen Kindern (Scharlach, Diphtherie, Angina
Vincenti) die Atemluft quantitativ auf Aceton untersucht. Ich
>) Spaeth, Chemische and mikroskopische UotersuchuDgen des
Harns. S. 68.
S) Waldvogel, Die Acetonkörper, Stuttgart 1903.
444
Mejer, Zur Kenntnis der Aeetonurie
Tabelle I.
Art der
Er-
krankung
d
'S
Name
Alter
1*
S
aal.8|iltalatM
2.
l^cetoni
3.
mengen
4.
1
F. Seh.
9J.
2.
38,7
97,8 1)
88,8
10,7
5,6
2
a 0.
6 J.
2.
89,5
109,4 »)
67,1
87,8»
2,4
«
3
Ch. G.
9V. J.
2.
38,9
ie2,4 »)
88,2*
2,7
3,8
Q
4
5
MM.
E. M.
5 J.
3 J.
3.
2.
38,8
37,9
28,8*
84,8
26,6
41.2
6,7
6,»
1,2
8,6
6
7
E. H.
E. S.
11 J.
11 J.
4.
3.
38,5
39,1
3,9
2,0
Unwi
Spn
Unw&
Spn
gbare
ren
gbare
ren
—
et
8
T. S.
cfr.No.16
7 J.
1.
40,4
5,2
9,9
Sporen
—
'So
P
9
10
L. A.
F.
7 J.
4 J.
1.
3.
39,1
18,8
22,4
2,6
14,8
8,5
""'
Angina
Vineenti
Diphther.
11
12
G. St.
H.
4 J.
9 J.
3.
3.
39,8
37,4
88,2
20,1
50,4
54,7
74,7 •
grayisB.
Masern
18
L. A.
7 J.
2.
89,1
—
80,6
4,6
u
14
G. T.
4 J.
2.
39,2
136,8
«0,7
12,8
88,2*
\
15
E. V.
4 J.
2.
39,0
21,4
44,8
29,4
11,9
M
2
16
T. S.
7 J-
2.
38,2
142,4
44,2
S,S
9,8
17
S. L.
2 J.
2.
38,9
75,2
«1,7
M
SpORII
<»
18
19
H. B.
F. G.
4'/iJ.
2 J.
2.
2.
38,4
38,2
72,0
94,0
2».9»
U,7
Spoitn
28,1
') In 22 Standen gesammelt, anf 24
') » 12 » , ,24
•) . 12 , , . 24
= Entfieberung.
Stunden berechnet.
bei den Infektions-Krankheiten der Kinder.
445
in Milligramm
5. I 6.
Kost am
1. Tag
Bemerkungen
Unwägb.
Sparen
3,8
45,4
19,7
13,5*
Sparen
15,2
12,6 —
>8,8
23,0
13,2
Unwägb.
Spuren
Milch, Eier,
2 Schrippen
1500 Milch,
1 Stulle
500 Milch,
2 Stullen,
500 Reis am
2. Spitalstag
250 Milch
80 Milch,
1 Zwieback
250 Milch,
4 Zwiebäcke
450 Milch,
Zackerwasser
400 Milch,
200 Zucker
2000 Milch
Milch,
100 g Zucker
1250 Milch
Milch, Zucker,
Nährkljstier
600 Milch,
400 Bouillon
600 Milch,
200 Bouillon
1100 Milch
1000 Milch
650 Milch
1250 Milch
1000 Milch
Am 3. Krankheitstag 50 g Zucker
Am 3. Spitalstag 60 g Zucker
Vor der Aufnahme genügende
Nahrungsaufnahme
Ausserordentlich schwerer Fall.
Pat. hat zu Hause täglich Zucker-
wasser getrunken
Bei weiterer Temperatur über 4P
keine erhöhte Acetonausschoidung
Qualitative Acetonprobe vor der
Aufnahme sehr intensiv
Am 2. Spitalstag 30 g Zucker,
„ 4—6. „ 250 „ Sahne
Bis zum nach 8 Tagen eintretenden
Tode mit Zuckerwasser genährt,
keine höhere Acetonurie
Am 3. Spitalstag 2 Stullen,
1 Schrippe
Am 2. Spitalstag 30 g Zucker,
„3. „ 50 „
Am 2. u. 3. Spitalstag statt Milch
Sahne
Vom 2. Spitalstage ab Zugabe von
150—200 g Zucker
Am 2. Spitalstag 200 g Sahne,
„3. „ 100 „ Zucker
Vom 2. Spitalstag ab 100 g Zucker
Am 2. u. 3. Spitalstag 100 g Zucker,
„ 3. u. 4. „ Diarrhoen
Jahrbuch f. Kiuderheilkaude. N. F. LXI. Heft 3
29
•446 Mey«r, Zur Kenntnis der Acetonurie
will daher aus diesen Zahlen keinerlei Schlüsse ziehen, immerhin
konnte ich keine wesentlichen Unterschiede in der Aceton-
ausscheidung durch die Atmung bei diesen 3 Krankheiten fest-
stellen.
Ich fand am Tag der Aufnahme eine tägliche Aceton-
ausscheidung
bei einem Fall
Ton Scharlach von 0,149 g durch d. Atemluft und 0,048 g im ürii>
„ Diphtherie , 0,18 » , » „ „ 0,04 „ „ ,
„ Angina Vincenti „ 0,128 „ „ » » , 0,036 „ . „
Das Abklingen der Acetonausscheidung durch die Lungen
erfolgte analog dem im Urin.
Die Tatsache, dass man bei Scharlach öfter den Aceton-
geruch aus dem Mund des Patienten wahrnimmt, als bei den
anderen Infektionskrankheiten, beruht vielleicht darauf, dass der
Eigengeruch des diphtherischen Belags den Acetongeruch verdeckt.
Ist nun die Acetonurie abhängig von der Intensität des
Infektes? Auch diese Frage ist zu verneinen. Denn sehr
schwer toxische Fälle zeigten keine oder nur sehr geringe Aceton-
urie. Ein 9jähriger Junge, der an Diphtheria gravissima zugrunde
ging (Fall 12), hatte nur 20 mg Aceton p. d., ein 11 jähriges
Mädchen mit ausserordentlich intensivem diphtherischem Belag
(Fall 7) nur 2 mg Aceton p. d. im Urin ausgeschieden. Ähnliche
Fälle habe ich noch häufiger beobachtet.
Ebenso sicher ergibt sich aus meinen Untersuchungen, dass
die alte Anschauung, nach der das Fieber die Acetonurie ver-
ursacht, unrichtig ist.
Ich will hier auch nur einige Beispiele herausgreifen.
(Siehe nebenstehende Tabelle.)
Fall 8, der während seines Erankenhausaufenthaltes eine
starke Angina bekam, hatte bei einer Temperatur über 40*
eine Acetonausscheidung von nur 5,2 mg. (Ahnlich Fall 7.)
Derselbe Knabe hatte andererseits während einer Scharlach-
erkrankung einige Wochen vorher (Fall 16, Tabelle II) trotz
geringer (38,2) Temperatur die sehr hohe Acetonausscheidung
von 142 mg im Tage. —
bei den In fektions- Krankheiten der Kinder.
Tabelle IL
447
No.d.
Datam
Tem-
Kost
Aceton-
Krankheit
Tab. I.
peratur
mengen
8
1.-2.IV.
1904
40,4
400 com Milch, 100 Rotwein,
200 g Zucker
5,2
Angina
2.-3.
39,7
300 , . 300 . .
9,9
16
15.-16.III.
38,2
1000 ccm Milch,
142,4
Scarlmiitia
16.-17.
38,6
1830 „ ,, 150 g Zucker
44,2
17.-18.
88,0
2630 , , 200 „ .
8,8
18.-19.
38,3
1550 „ , 100 , ,
9,8
19.-20.
37,5
1600 ,
Spuren
11
2.-3. III.
39,8
1250 Milch
83,2
Angina
3.-4.
39,3
850 , 2Heyden8cheNähr-
kljstiere, 30 g Zucker
50,4
ViDcenti
4.-5.
39,6
850 Milch, 2 N&hrkljstiere
54,7
5.-6.
37,8
750 Milch, 250 Sahne, 50
Fleischsaft, zwei Eier, 250
Bouillon, Vt Schrippe
75,7
6.-7.
37,0
750 Milch, 250 Sahne, 500
Bouillon, 1 £i
45,4
7.-8.
350 Milch, 250 Sahne, 1 Ei,
1 Stulle, 1 Schrippe, 500
Bouillon
12,6
17
16.-17.1II.
38,9
650 Milch
75,2
ScarlmtlDm
17.-18.
38,5
650 „ 200 Sahne
61,7
18.-19.
38,1
880 „ 100 g Zucker
5,6
19-20.
1140 , 100 „ ,
Spuren
Die AcetonausscheiduDg war bei diesem Knaben und im
Fall 17 am 3. Spitalstage schon zur Normalen abgesunken, während
erhöhte Temperatur noch fortbestand. — Im Fall 11, Tab. II
findet man am 4. Spitalstage, an dem das Fieber abgefallen
ist, sogar noch eine Steigerung der Acetonausscheidung von
54,7 auf 75,7 mg statt; die Acetonurie dauert nach Abfall des
Fiebers fort im Fall: 3, 4, 15, 18, 19. Aus diesen wenigen
Zahlen (ich könnte noch viele ähnliche Beispiele anführen) er-
hellt, dass das Fieber an sich ohne jeglichen Einfluss auf
die Acetonausscheidung ist.
Fieber, Infekt, Intensität der Erkrankung sind also
nicht die Ursachen der Acetonurie.
Wie steht es aber mit der Nahrungsaufnahme der von
infektiösen Erkrankungen befallenen Kinder? In allen von mir
beobachteten Fällen (ausser Fall 15, bei dem am 2. Spitalstag
29»
448 Mejer, Zar KenDteis der Äcetooane
Fett dargereicht wurde) war die Acetonausscheidong am Auf-
nahmetag am intensivsten.
In der Tat war nach meinen Erkundigungen in allen Fällen
die Ernährung der Kinder zu Hause eine sehr mangelhafte und
unvollständige; ich konnte mich stets davon aberzeugen, dass
die betreflfenden Kinder schon einige Tage vor dem Ausbruch
der Erkrankung nach der Aussage der Mutter nichts oder nur
sehr wenig gegessen und getrunken hatten^). So ist die
stärkste Acetonausseheidung am ersten Tage des Kranken-
aufenthalts völlig erklärt. Es handelt sich um einen Inanitions-
zustand, um das Fehlen der Kohlehydrate der Nahrung,
das die Acetonuric hervorgerufen hat. Die Acetonurie schwindet
demnach, wenn wir die fehlenden Kohlehydrate zuführen. Nun
besteht die Nahrung in der Klinik zum grössten Teil aus Alilch.
In 1 1 Milch führen wir ca. 50 g Kohlehydrate ein; die ge-
mischte Kost, bei der 2 — 3 Schrippen im Tage gereicht werden
enthält noch mehr Kohlehydrate. Unter dieser Nahrung schwindet
die Acetonausseheidung allmählich (cf. Fall 1, 2); in 4 Tagen
ist die Acetonausseheidung wieder normal geworden. Ver-
minderte ich die Kohlehydratzufuhr und ersetzte sie durch
Mehr ein fuhr von Fett in Gestalt von Sahne, so verzögerte
sich das Absinken des Acetons. In den Fällen 11 und 15, in
denen dies geschah, ist die Acetonausseheidung erst am 7. Tage
wieder normal zu nennen. (Fall 11 ist in der Tabelle II mit
ausführlicher Kostangabe angeführt.)
Dem entgegen beschleunigt eine grosse Kohlehydrat-
gabe von 100 — 200 g Zucker unzweifelhaft den Ablauf der
Acetonausseheidung. (Geringe Mengen Zucker [50 g] wirken
nicht so deutlich, als grosse. [Fall 14.]) Fall 16 (Tab. II) zeigt
am ersten Tage eine Acetonurie von 142,4 mg, nach 150 g Zucker
fällt dieselbe auf 44,2 mg und nach abermaliger Darreichung von
200 g Zucker auf 8,8 mg. Am 8. Tage ist die Acetonausseheidung
wieder eine normale.
Ahnlich verhält es sich in dem Fall 17.
Am ersten Spitalstage ist im Urin 76,2 mg Aceton nach-
0 Untersuchungen, die inzwischen von Langstein und mir am
gesunden Kinde angestellt worden sind, haben gezeigt, dass die Inanition tod
Kohlehydraten während 2 Tagen beim jungen Kinde den Urin -Aceton wert
bis auf 165 mg steigen lassen kann, ein Wert, der in keinem meiner Fälle
erreicht wurde.
bei den Infektious-Krankheiten der Kinder. 449
vreisbar, am zweiten Spitalstage bei Sahnezuführung 61,7 mg
Aceton, und am 3. nach einer Gabe von 100 mg Zucker 5^6 mg
Aceton nachweisbar.
Ebenso verlaufen die Fälle 3 und 18. Im Fall 19 trat
nach 100 g Zucker keine so deutliche Verminderung des Acetons
auf, da Diarrhoen die Resorption des Zuckers verhinderten.
Durch reichliche Kohlehydratdarreichung gleich bei und yor
Ausbruch der Erkrankung kann die Entstehung einer Acetonurie
überhaupt hintan gehalten werden. Der 7jährige Knabe, der
während eines in der Klinik durchgemachten Scharlachs sehr
starke Acetonurie (cf. Fall 16) hatte, bekam im Krankenhaus,
wie ich bereits gesagt habe, eine Angina. GUeich bei seiner Er-
krankung wurden ihm 200 g Zucker gegeben, die Aceton-
bestimmungen ergaben keine Erhöhung des Acetonwertes (Fall 8,
Tabelle II). Ein 11 jähriges, an Diphtherie erkranktes Mädchen
hatte zu Hause schon täglich grosse Mengen Zuckerwasser
bekommen, das Aceton im Urin war nicht vermehrt, ebenso
zeigte das 11jährige Kind G. H. (Fall 6) keine erhöhte Aeeton-
ausscheidung, es hatte zu Hause, wie ich feststellen konnte,
genügend Nahrung zu sich genommen.
Die Acetonurie bei den Infektionskrankheiten der Kinder
wird demnach ebenso, wie fast alle anderen Aceton urien durch
Kohlehydratinanition hervorgerufen.
Es fragt sich indes noch, ob eine gewisse Disposition zur
Acetonurie notwendig ist, d. h. ob der eine Patient nicht eher
imstande ist, Kohlehydrate bis zu einer gewissen Grenze zu ent-
behren als der andere, ohne dass vermehrte Acetonausscheidung
daraus resultiert, ob der Kohlehydratvorrat im Körper eines
Kindes grösser ist, als der in dem Körper eines anderen.
Es fragt sich weiterhin, ob das Lebensalter einen Einfluss
auf die Acetonausscheidung hat, der Art, dass jugendliche In-
dividuen eher zur Acetonurie disponiert sind, als Erwachsene.
Über diese Punkte können uns erst zahlreichere Unter-
suchungen am normalen Kinde Aufschluss geben. Solche Unter-
suchungen sind inzwischen von Langstein und mir*) angestellt
worden.
i) Vortrag in der Sektion für KiDderheilkande des Breslaaer Natur-
forichertages, 1904 n. dieses Heft.
"450 Meyer, Zar Keantnis der Acetonarie
Es kann aber ausserdem noch möglich sein, dass bei Infektions-
krankheiten eine schlechtere Verwertung der Kohlehydrate im
Körper zu der ungenügenden Ernährung hinzutritt, in der Weise,
wie es Poll*)j ein Schüler von Nordens, annimmt. Poll fand,
dass bei Infektionskrankheiten fast stets eine alimentäre Glykosurie
nach einer Gabe von 100 — 150 g Zucker, nüchtern gegeben, eintrat,
während man bei Gesunden wenigsten 200 g Zucker, meist noch
viel mehr, geben muss, um Glykosurie zu erzeugen. Ich selbst
sah schon nach 50 g Zucker bei Kindern (Fall 4) Sacharum im
Harn auftreten, und zwar 0,2 pCt. Dies weist darauf hin, dass
bei Infektionskrankheiten der KohlehydratstofiFwechsel eine gewisse
Störung erleiden kann.
Insofern könnte vielleicht ein spezifischer Einfluss der
Krankheit und der Toxine, jedoch auf indirektem Wege durch
Beeinflussung des Kohlehydratstoffwechsels, neben dem vor-
wiegenden Einfluss der Kost anerkannt werden.
Die bei den Infektionskrankheiten der Kinder vorhandene
Kohle h y!d ratin an ition gibt uns eine hinreichende Erklärung
der Acetonurie. Es ist auch hier nicht notwendig, mit
Waldvogel*) einen toxogenen Fettzerfall bei der Entstehung
der Acetonkörper anzunehmen und die Acetonurie sich aus zwei
Komponenten, der Kohlehydratinanition und dem toxogenen Fett-
zerfall, entstanden zu denken.
Man hat sich eine lange Keihe von Jahren ausschliesslich
mit der Untersuchung der Acetonausscheidung begnügt, wohl aus
dem Grunde, weil sie der Untersuchung leichter zugänglich war.
Da namentlich in schweren Fällen jedoch das Aceton nur einen
Bruchteil der Acetonkörperausscheidung angibt, so hatMagnus-
Levy gefordert, dass bei allen derartigen Untersuchungen auch
die Oxy buttersäure mehr wie bisher, berücksichtigt wird. Auf
seine Anregung hin habe ich die Oxy buttersäure in den Kreis
meiner Untersuchungen gezogen. Bekanntlich finden wir beim
Diabetes eine Ausscheidung von Aceton, Acetessigsäure und
Oxybuttersäure. Diese drei Substanzen stehen chemisch in engem
Zusammenhang zu einander. Die Oxybuttersäure geht bei
Oxydation leicht in Acetessigsäure über und diese bildet unter
Abspaltung von Kohlensäure Aceton. Die Verwandtschaft der
0 Arbeiten ans dem Stadt. Krankenbaus in Frankfurt a./M. 1896.
') Monograpbie: Die Acetonkörper. Stuttgart 1903.
bei den Infektions-Krankheiten der Kinder. 451
^rei Substanzen wird durch die chemische Formel klar aus-
gesprochen:
p Oxybuttersäure OH3CHOH CHj COOK
Acetessigsäure CHgCOCHa COOH
Aceton CHsCOCH».
Acetessigsäure fand ich in allen Fällen, in denen die
Acetonurie eine gewisse Intensität angenommen hatte, wie in
•den Fällen 2, 3, 14, 17, 18. Masern, Scharlach und Diphtherie
zeigten in gleicherweise die Gerhardtsche Eisenchloridreaktion
(nach Zusatz von Eisenchlorid filtriert und nochmaliger Eisen-
chloridzusatz) bei hoher Acetonausscheidung. Erreichte die
Acetonausfuhr nur geringe Höhe, so blieb die Eisenchloridprobe
negativ. Der Verminderung der Acetonausscheidung entsprechend,
-war die Acetessigsäurereaktion schon nach 1 — 2 Tagen negativ.
Die Oxybuttersäure ist bis jetzt erst einmal bei Infektions-
krankheiten gefunden worden, freilich scheint auch nicht öfter
nach ihr geforscht worden zu sein. Külz^) wies die Säure
einmal bei Scharlach und Masern durch Überführung in Croton-
säure nach. Ich habe in einigen Fällen, die hohe Acetonurie
zeigten, Oxybuttersäure mit Sicherheit nachgewiesen
Indirekte Beweise für die Oxybuttersäureausscheidung, wie NH3
Bestimmung, Drehung, genügten mir nicht. Ich ging von vorn-
herein auf eine Reindarstellung der Säure aus. Dazu waren
grössere Mengen Urins notwendig. Ich verarbeitete daher den
Urin von den Fällen 11 und 14 (Masern, Angina Vincenti) am
3. in. gemeinsam. Der Mischurin (830 ccm) wurde mit Ammon-
sulfat versetzt, bis auf ^i\q seines früheren Volumens eingedampft,
die so erhaltene syrupöse Flüssigkeit mit der Nutsche abgesaugt,
•das Filtrat mit Schwefelsäure versetzt und wieder abgesaugt.
Die abgesaugte Flüssigkeit wurde in dem Perkolator (Apparat
zur Atherextraktion) zwei Tage lang mit Äther extrahiert; der
nunmehr bleibende Rückstand in Wasser gelöst und polarisiert;
die Lösung ergab eine Linksdrehung von 5,8** im Zuckerrohr,
das entspricht 1,824 g Oxybuttersäure. Auf dieselbe Weise
gewann ich aus dem Urin in den Fällen 16 und 18 (Scharlach)
(aus 1300 ccm Urin) einen Extrakt, der zusammen eine Links-
•drehung von 1,5** 6rgab, entsprechend 0,495 g Oxybuttersäure.
Beide Lösungen wurden vereinigt und zur Entfernung flüchtiger
0 Zeitschrift für Biologie. Bd. 23, S. 329.
452 Meyer, Zar Kenntnis der Acetonnrie
Säuren, nach Versetzen mit Tierkohle, mittelst Wasserdampfes
eine halbe Stande lang im Kochen gehalten; dann heiss filtriert,
gut nachgewaschen und wieder bis zum Syrup eingedampft. Die
syrupöse Flüssigkeit wurde mit Äther aufgenommen, vom Un-
löslichen abfiltriert und der Äther verjagt. Der leicht gelblich
gefärbte Rückstand v/urde zwei Tage lang im Vakuumezsikkator
über Kalicausticum stehen gelassen und dann mit einem ganz
kleinen Krystall Oxybuttersäure, den mir Herr Dr. Magnus-Levy
freundlichst zur Verfugung stellte, geimpft. Der Syrup erstarrte
nach geringem Umrühren krystallinisch. Nach abermaligem
längeren Stehen über Kali wurde die erhaltene Substanz einmal
mit eiskaltem Äther und einmal mit einem Gemisch von Äther
und Ligroin gewaschen. Die Krystalle sahen jetzt hell und klar
aus; zum Trocknen wurden sie einige Tage lang in den Vakuum-
exikkator gestellt. Der Schmelzpunkt der kaum noch gefärbten
krystallinischen Substanz betrug 49^ der Schmelzpunkt der Oxy-
buttersäure liegt zwischen 49 und 50*^. Die spezifische Drehung
der erhaltenen Substanz betrag 22,5*^, die spezifische Drehung der
Oxybuttersäure beträgt 24,P (nach Magnus-Levy), die Identität
der gewonnenen Krystalle mit der Oxybuttersäure war also sicher-
gestellt.
Der Nachweis der Oxybuttersäure ist somit von mir in
mehreren Fallen mit Sicherheit gebracht. Die Oxybuttersäure
ist nicht als ein bei den Infektionskrankheiten seltenes Aus-
scheidungsprodukt zu betrachten; sie wird immer da nach-
gewiesen werden können, wo hohe Acetonausscheidung vorhanden
ist. Die Mengen der Oxybuttersäure sind freilich, mit denen
beim Coma diabeticum verglichen, gering; es ist indes von
systematischer Bedeutung, dass auch in diesem Punkte die Aus-
scheidung der Acetonkörper bei Infektionskrankheiten mit der
allgemeinen Lehre übereinstimmt. Es kommt bei den Infektions-
krankheiten der Kinder also auch zu einer Acidosis, wenn auch
eine letale Säurevergiftung bei der geringen Quantität der Säure
wohl kaum zu befürchten ist.
Zum Schluss fasse ich das Ergebnis meiner Untersuchungen
kurz dahin zusammen:
Aceton, Acetessigsäure und Oxybuttersäure kommen
bei Infektionskrankheiten der Kinder häufig vor.
Die Acetonkörper verdanken einer Kohlehydrat-
inanition ihre Entstehung; sie verschwinden bald nach
bei den Infektionskrankheiten der Kinder. 453
EiDfuhrung von grösseren Mengen von Kohlehydraten
per OS.
Fettzufuhr scheint die Acetonurie zu erhöhen.
Die Oxybuttersäureausscheidung ist ein Zeichen
intensiverer Oxydationsstörung als die Acetessigsäure
und Acetonausscheidung.
Die Beobachtungen betreffs der Acetonurie bei den
Infektionskrankheiten stehen im völligen Einklang mit
den allgemeinen Lehren über die Ausscheidung der
Aceton-Körper; die Acetonurie bei den Infektions-
krankheiten ist als nicht spezifisch aufzufassen.
Differentialdiagnostisch ist die Acetonausscheidung
nicht zu verwerten.
3.
Die Addose im Kindesalter.
I. Mitteilung.
Die Aeldose des älteren Kindes
von
Dr. LEO LANGSTEIN und Dr. LUDWIG F. MEYER.
Eine Yermehrung des Ammoniaks im Harn bei Zucker-
kranken fand Hallervorden ^) im Jahre 1880. Hallervorden
schloss daraus, dass beim Diabetes eine Mehrproduktion von
Säuren stattfände, die zu ihrer Neutralisation Ammoniak an
sich reissen und aus dem Körper ausführen. Er war zu diesem
Schluss dadurch berechtigt, dass Walter^) eine Vermehrung
der Ammoniakausscheidung nach Einfuhr anorganischer Säuren
festgestellt hatte. Hallervorden glaubte, dass auch die
supponierte Säure, die als Ammoniumsalz ausgeschieden wurde,
anorganischer Natur sei. Später glückte es Stadelmann')
eine Säure aus dem Harn des Diabetikers zu isolieren; es
handelte sich aber nicht um eine anorganische, sondern um eine
organischeSäure, und zwar, wieS tadelmann nachgewiesenzuhaben
glaubte, um Crotonsäure. Erst die Untersuchungen vonMinkowski*)
und Külz*) brachten über die Natur dieser Säure völlige Gewissheit;
denn sie wiesen nach, dass die fragliche Säure mit der p Oxy-
buttersäure identisch, die Crotonsäure demnach nicht im Harn
präformiert, sondern ein sekundär entstandenes Zersetzungs-
produkt ist. Diese wichtige Entdeckung hat das Geheimnis des
Ooma diabeticum bis zu einem gewissen Grade aufgeklärt, und
0 Archiv für experimeot. Pathologe u. Pharm. 1880, S. 237.
') Archiv für experimeot. Patholog. u. Pharm. 1877, S. 148.
') Archiv für experiment. Patholog. u. Pharm. 1888, S. 419.
*) Archiv für experiment. Patholog. u. Pharm. 1884, S. 35.
*) Zeitschrift für Biologie. 1884, S. 165.
Langstein -Meyer, Die Acidose im Kindesalter. 455
heute hat die Lehre von dem Coma als einer Säurevergiftung
<lank den Arbeiten von Stadelmann, Minkowski und Magnus-
Levy allgemeine Anerkennung gefunden.
In der Pathologie des Säuglingsstoffwechsels wurde das
Phänomen einer vermehrten Ammoniakausscheidung durch Keller^)
im Jahre 1896 beim magendarmkranken Säugling gefunden; —
die Werte der ausgeschiedenen Ammoniakmengen erreichten eine
Höhe bis zu 50 pCt. des Gesamtstickstoffs. Analog der Aus-
legung, die man der Ammoniaksteigerung beim Diabetes gegeben
tat, nahmen Czerny und Keller an, dass diese im Harn des
magendarmkranken Säuglings als ein Zeichen dafür aufzufassen ist,
dass der Organismus grosse Säuremengen bildet und aus-
zuscheiden hat. Czerny und Keller führten demnach die
Ammoniakvermehrung auf eine Acidose zurück, id est nach
Naunyn eine Mehrproduktion von im Körper unverbrennlichen
organischen Säuren. Wurde auch diese gesteigerte Ammoniak-
ausscheidung beim magendarmkranken Säugling zuerst von mancher
Seite bezweifelt, so besonders von Bendix*), so musste doch
später dieser selbst bei peinlichster Versuchstechnik zugeben,
dass eine Vermehrung des Harnammoniaks, wenn auch nicht bis
»u der von Keller angegebenen Höhe, in der Tat beim magen-
darmkranken Säugling häufig gefunden wird.
Dass die erhöhte Ammoniakbilduug auf eine intensivere
Säureproduktion zurückgeführt werden muss, glaubte van den
Bergh^) mittelst des Schröder-Münzerschen Kriteriums nach-
gewiesen zu haben; denn er konnte durch Alkalizufuhr die
Ammoniakausscheidung bis auf Null herabdrücken. Pfaundler^)
hat später in einer Arbeit, auf die wir noch näher zu sprechen
kommen werden, die Verwertbarkeit dieses Kriteriums an-
gezweifelt.
Einen klinischen Beweis dafür, dass es sich beim chronisch
magendarmkranken Kinde um eine Acidose handelt, sah Czerny^)
darin, dass die Respirationskurve der Säuglinge, die an chronischen
Ernährungsstörungen starben, eine auffallende Ähnlichkeit mit
der durch Säure vergifteter Tiere hatten. Auch gegen diese Art
der Beweisführung hat Pfaundler Widerspruch erhoben.
1) MitteiluDgen aus der Breslauer Kinderklinik. Dieses Jahrbuch, Bd. 44.
9) Dieses Jahrbuch, Bd. 46, S. 106 u. Bd. 48, S. 165.
») Dieses Jahrbuch, Bd. 45, S. 265.
*) Dieses Jahrbuch, Bd. 54, S. 248.
>) Dieses Jahrbuch, Bd. 45, S. 271.
456 Langsteiu-Meyer, Die Acidose im Kindesalter.
Als gesichertes Ergebnis der Untersuchungen der Breslauer
Schule über die Ursache der AmmoniakTermehrung beim Säug-
ling kann angesehen werden, dass diese dem alimentären Einfluss
unterworfen ist, indem sie nachwies, dass gerade proportionale
Beziehungen zwischen der Menge des mit der Nahrung zu-
gefuhrten Fettes und der des im Harn zur Ausscheidung ge-
langenden Ammoniaks bestehen.
Czerny und Keller nahmen an, dass das Fett die Quelle
organischer Säuren ist: sei es, dass der intermediäre Fettabbaa
des kindlichen Organismus zur Entstehung abnormer, bisher un-
bekannter Säuren fuhrt, sei es, dass die oxydative Energie des-
selben unter gewissen Verhältnissen nicht genügt, normalerweise
aus dem Fett entstehende Säuren zu verbrennen.
Die Forschung nach diesen Säuren blieb ergebnislos; dieser
Umstand führte Pfaundler^) zu einer völlig anderen Erklärung der
gesteigerten Ammoniakausscheidung .Pfaundler, der zwar eine
Vermehrung der Ammoniakausfuhr nach gesteigerter Fettzufuhr be-
stätigte, führte die unabhängig von der Ernährung auftretende
Ammoniakvermehrung beim kranken Säugling einerseits auf den
schweren Allgemeinzustand desselben, der ein Darniederliegen
jeglicher Oxydationskraft verursacht, andrerseits auf Erkrankung
des Leberparenchyms zurück. Auf Grund von Untersuchungen, die
ergaben, dass Lebern verstorbener magendarmkranker Säuglinge
eine geringere Oxydationskraft (gemessen an der Fähigkeit,
Salicylaldehyd in Salicylsäure umzuwandeln) als normale Lebern
hatten, schloss Pfaundler, dass beim magend armkranken Säug-
ling die verminderte Oxydationskraft der Leber eine Störung
der Harnstoffsynthese verursacht, dass es so zu einer primären
Ammoniakstauung und vielleicht sekundärer Acidose kommt.
Diese Deutung Pfaundlers wurde von anderen Autoren
nicht acceptiert. Zunächst hatte ja schon Keller*) in einer seiner
ersten Mitteilungen eine Störung in der Harnstoffsynthese beim
magen darmkranken Säugling, an die auch er bei den hohen
Ammoniakwerten zuerst gedacht hatte, ausgeschlossen; denn nach
Darreichung von Ammoniakverbindungen per os wurde die Harn-
stoffausscheidung erhöht befunden.
Brüningä) wies normale Oxydationsfähigkeit der Leber von
J) I. c.
>) Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 47. S. 187.
») MoDatsschr. f. Kinderheilk. 1903. No. 3.
Langsteio -Meyer, Die Acidose im Kindesaltor. 457
Säuglingen,, die an chronischen Ernährungsstörungen zugrunde
gegangen waren, nach, und Steinitz^) betonte, dass primäre
Ammoniakstauung bei Erkrankungen der Leber in der allgemeinen
Pathologie völlig unbekannt ist. Er betrachtete den Versuch
Pfaundlers, „die erhöhte Ammoniakausscheidung auch nur eines
Teils der chronisch magendarmkranken Kinder durch Ammoniak-
stauung infolge gestörter Leberfunktionen oder relativer In-
suffizienz der Leber zu erklären", als gescheitert.
Die Tatsache, dass Pfaundler bei Untersuchungen der
Harnstoffausscheidung von Säuglingen auffallend niedere Werte
gefunden hat, kann vorerst nicht im Sinne seiner Theorie ver-
wertet werden. Denn er selbst meinte, dass seine Resultate vor-
läufig mit Rücksicht auf die angewandte Methodik noch nicht
zu bindenden Schlüssen berechtigen — auch haben Langstein
und Stein itz bei einer allerdings nur geringen Anzahl unter-
suchter Säuglinge die Harnstoffausscheidung nicht vermindert ge-
funden. Aus dem Verhalten eines toten Organs bei der Autolyse
Rückschlüsse auf seine vitalen Funktionen einzuziehen, erscheint
uns vorläufig noch nicht angängig. Pfaundler selbst scheint,
wenn es erlaubt ist, nach seinem jüngsten Vortrag auf der Breslauer
Naturforscher -Versammlung zu urteilen, seine Anschauung über
die Ursache der Ammoniakvermehrung we^^entlich modifiziert
zu haben, so dass er heute, wie er sich selbst ausdrückt, nicht all-
zuweit von der Auffassung der Breslauer Schule ertfernt ist.
Auch die Anschauungen der Breslauer Schule selbst über
das Wesen der Acidose unterlagen einer allmählichen Wandlung.
Da die Forschung nach den aus dem Fett entstehenden Säuren
auch weiterhin ergebnislos geblieben war, suchte sie nach anderen
Ursachen der vermehrten Ammoniakansscheidung. Es glückte
Steinitz'-*) nachzuweisen, dass das Ammoniak nicht nur Indikator
der Säuren, sondern auch Vertreter und durch seine im Urin aus-
geschiedene Menge teilweise der Massstab für die durch die Faeces
dem Körper verloren gehenden fixen Alkalien ist. Alkali geht
dadurch verloren, dass das Fett der Nahrung einerseits Säuren
im Darm entstehen lässt, die das Alkali an sich reissen und mit
dem Faeces ausführen, und dass fettreiche Nahrung andrerseits
die Sekretion des Pankreassaftes und der Galle, erhöht und so eine
Ausfuhr fixer Alkalien begünstigt. „Um einen grösseren Verlust
1) Jahrb. f. Kinderboilk. Bd. 57. S. 689.
•) Monatdsclir. f. K inderheil k. 1. S. 22.3.
458 LangsteiD-Meyer, Die Acidoso im RiDdesulter.
seines Alkalibestandes zu vermeiden, wird der Organismus, ent-
sprechend der Deutung von Steinitz, gezwungen, Ammoniak als
Neutralisationskörper vorzuschieben."
Danach wäre die Ammoniakvermehrung beim magendarm-
kranken Säugling nicht mehr auf eine intermediäre Acidose^
sondern auf eine enterogene, relative Acidose, oder besser
gesagt, eine Alkalopenie (wie Pfaundler diesen Vorgang jüngst
treffend bezeichnete), zurückzuführen. Die Ursache für die Ent-
stehung dieser niederen Säuren aus dem Fett — freilich nur in einer
beschränkten Anzahl von Fällen — ausfindig zu machen, ist Salge^)
gelungen. Er fandinFällen vonEnterokatarrh,demdieHe ubnersche
Schule unter den Magen-Darmkrankheiten der Säuglinge wegen seine»
abgegrenzten Symptomenkomplexes einen selbständigen Platz zu-
weist, eine starke Übersäuerung des Darms, hervorgerufen durch
die Tätigkeit des blauen Bazillus, der nach Salges Unter-
suchungen unter anderem die Fähigkeit besitzt, hohe Fettsäuren
in niedere zu spalten. Auch Salge nahm eine enterogene Ent-
ziehung des Alkalis als wahrscheinlich an.
Die Frage nach der intermediären Entstehung von Säuren
wurde damit als erledigt betrachtet, und der durch Pfaundler')
gegebene Hinweis, dass die auf diesem Gebiete so erfolgreiche
Forschung der allgemeinen Pathologie uns vielleicht einen Weg
anzeigt, den zu gehen sich wohl der Mühe lohnen würde^
wurde nicht weiter beachtet. Und doch erscheint dieser Hin-
weis Pfaundlers umso berechtigter, als die Untersuchungen
von Hirschfeld^) und Rosenfeld*) gezeigt haben, dass beim
schweren Diabetiker ebenso wie beim Gesunden der Ausfall der
Kohlehydrate in der Nahrung die Entstehung von gewissen Fett-
säuren und deren Derivaten verursacht. Diese sind Aceton,.
Acetessigsäure, Oxybuttersäure, deren chemische Verwandschaft
aus ihrer Strukturformel ohne weiteres hervorgeht.
CHs — CO — CHs Aceton
CHs — CO — CHaCOOH Acetessigsäure
CHg — CH(OH) — CH2 — COOH Oxybuttersäure,
Man nimmt heute ziemlich allgemein an, dass beim Abbau de»
Fettes im Organismus zuerst Oxybuttersäure entsteht, aus ihr durch
i) Jahrb. f. Kioderheilk. Bd. 59.
>) 1. c.
>) Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 28 u. 31.
*) Deutsche med. Wochenschr. 1895.
Langstein-Meyer, Die Acidose im Kindesalter. 459
Oxydation die Acetessigsäure und aus dieser durch Kohlensäure-
Abspaltung das Aceton. Im Urin tritt bei Eohlehydratkarenz
zuerst das Aceton, dann die Acetessigsäure und erst nach längerer Zeit
die Oxybuttersäure auf. Dass die Acetonkörper im Fett ihre Mutter-
substanz haben, geht aus den neueren Arbeiten von Geelmuyden,
Schwarz und Magnus-Levy hervor. Als Ort ihrer Entstehung
wurde eine Zeitlang der Darm betrachtet. Heute glaubt man
indes,dass die oft sehr grossen Oxybuttersäuremengen(beimDiabetes
wurden von Magnus-Levy über 200 g p. d. beobachtet) unmöglich
im Darm entstehen können, besonders da man nur selten geringe
Mengen der Acetonkörper im Magen- Darminhalt fand. Nach der
heutigen Anschauung entstehen die Acetonkörper in den Geweben der
Organe. Wie man sich die Beziehung der Kohlehydrat-Karenz zur
Bildung der Acetonkörper vorzustellen hat, ist noch keineswegs klar-
gestellt. Möglicherweise erleichtert eine im intermediären StoflP-
wechsel eintretende Kuppelung von Kohlehydrat und Fett die Ver«
brennung dieses (F. Müller). Das Fehlen des Kohlehydrates wurde
danach eine Störung im Fettabbau verursachen, die sich in der Aus-
scheidung der Acetonkörper äussert. Einige Autoren glauben an
eine anders geartete Wirkung der Kohlehydrate im intermediären
Stoffwechsel. Es würde aber zu weit führen, darauf des näheren
einzugehen; wir verweisen auf die Monographien von Mohr,
Waldvogel, Magnus-Levy.
Die Ausscheidung der Acetonkörper ist also tatsächlich der
Ausdruck einer Mehrproduktion organischer Säuren im Organismus,
einer Acidose im Naunynschen Sinne. Und diese Acidose haben
wir Kinderärzte sehr häufig zu beobachten Gelegenheit. Darauf
macht auch Friedrich Müller in dem Handbuch der Er-
nährungstherapie mit folgenden Worten aufmerksam: „Bei Kindern
tritt febrile Acetonurie offenbar viel stärker hervor, wie bei den
Erwachsenen. Schon bei kurz dauernden fieberhaften Affek-
tionen kann man bei Kindern den charakteristischen Acetongeruch
der Ausatmungsluft erkennen", und etwas später: „Diese Neigung
zur Acidose muss eine besondere Eigentümlichkeit des Kindes
sein".
Der eine von uns [Meyer^)] hat schon vor einiger Zeit
bei Gelegenheit von Untersuchungen über die Acetonurie bei
Infektionskrankheiten der Kinder tatsächlich das ausserordentlich
häufige Vorkommen der Ausscheidung von Acetonkörpem kon-
>) Dieses Jahrbach, dieses Heft.
4(K) LaDgstein-Meyer, Die Acidose im Kindesaiter.
statieren können; er fand, dass bei Scharlach und Diphtherie
70 pCt, bei Masern 60 pCt. aller Kinder Acetonurie hatten.
Zar Entscheidung der Frage nach der intermediären Acidose
beim Säugling war es daher von Wichtigkeit, experimentell zu
prüfen, ob eine solche Neigung zur Acidose, wie sie Friedrich
Müller für wahrscheinlich hält, bei Kindern besteht, und wie
sie sich äussert. Da wir vorerst nicht wagten, Säuglinge zu
solchen Untersuchungen zu verwenden, orientierten wir uns über
den Fettstoffwechsel bei Kindern im Alter von 6 — 14 Jahren.
Diese bekamen einige Tage hindurch ausschliesslich Eiweiss-
Fettdiät mit vollständiger Ausschliessung der Kohlehydrate. Sie
reagierten ohne Ausnahme darauf mit erhöhter Ausscheidung von
Acetonkörpern.
Um ein genaues Mass der im Körper bestehenden Acidose
zu erhalten, bestimmten wir quantitativ:
1. das Aceton im Urin (inklusive Acetessigsäure, die stets
mitbestimmt wurde);
2. das Aceton der Ausatmungsluft (nach Geelmuyden
und Schwarz verlässt ein wesentlicher Teil des Acetons durch
die Atemluft den Organismus);
3. die Oxy buttersäure im Urin.
Gleichzeitig untersuchten wir die Gesamtstickstoff- und
Ammoniakausscheidung durch den Urin, um so auf die von
Bendix^) aufgeworfene Frage eine Antwort geben zu können,
„ob organische Säuren, indem sie zum Teil un verbrannt mit
Ammoniak verbunden durch den Harn austreten, eine Ammoniak-
steigerung bedingen".
Die dabei zur Anwendung gelangenden Methoden waren
folgende: Das Aceton wurde zuerst nach der in der oben
zitierten Arbeit von Meyer beschriebenen Jodoformwägemethode
bestimmt. Da sich herausstellte, dass diese Methode zur Be-
stimmung kleinster Mengen Acetons, wie sie in der Atemluft
vorkommen, nicht brauchbar ist, kam fortan allgemein für die
quantitative Bestimmung des Acetons in Atemluft und Urin die
Messinger Huppertsche Titriermethode zur Anwendung, wie sie
bei Waldvogel^) beschrieben ist. Fast regelmässig wurden
zwei Kontrollbestimmungen gemacht, die gut übereinstimmten.
Das Aceton der Atemluft wurde meist zweimal am Tage je
») L. c.
3) Monographie der Acetonkorper.
Langstein-Mejer, Dio Acidose im Kiodesalter.
461
20 Minuten in dem ebenfalls von Waldvogel beschriebenen
Exhalationsapparat aufgefangen und bestimmt. Oxy buttersäure
wurde nach der Vorschrift von Magnus-Levy aus dem Harn
isoliert, durch Überführung in Crotonsäure identifiziert und ihre
Menge polarimetrisch berechnet. Die Analyse des Stickstoffs
geschah nach Kjehldahl, die des Ammoniaks im Yacuum nach
Reich. Zum Zwecke der Arbeitsteilung bestimmte der eine von
«ns (Meyer) die Menge der Acetonkörper, der andere (L ang-
stein) die der stickstofPhaltigeu Bestandteile.
Zu den Versuchen dienten teils Kinder mit Erkrankungen,
<lie den Allgemeinzustand nicht beeinträchtigten^ teils Patienten,
<lie schon geraume Zeit nach dem Überstehen einer akuten
Krankheit waren.
Es ist bekannt, class schon normalerweise geringe Mengen
Acetons durch Urin und Atemluft ausgeschieden werden. Bei
Erwachsenen reicht dieser Normalwert im Urin bis zu 3 und 4 cg.
p. d. Der von Meyer für die Menge des vom Kinde im Urin
ausgeschiedenen Acetons angegebene Noimalwert bis zu 1 cg wurde
■auch in unsern neuen Untersuchungen nicht wesentlich überschritten.
In derExpirationsluft gesunderErwachsenerfandenJ. Müller*)
bis 79 mg, Schwarz^) 102,8 mg Aceton p. d.; beim Kinde er-
hielten wir Werte bis 69 mg in 24 Stunden. Acetessigsäure und
Oxybuttersäure konnten unter normalen Verhältnissen bei ge-
mischter Kost niemals nachgewiesen werden.
Wir lassen zunächst zwei Tabellen folgen, die die Aceton-
körpervermehrung bei der Kohlehydrat-Karenz des Erwachsenen
illustrieren.
Tabelle I. Erwachsener,
zitiert nach Hirschfeld"). Tabelle II. Erwachsener,
Aceton im Urin. zitiert nach J. Müller*).
Fall I
Fall II
1.
Tag
18 mg
52 mg
II.
n
21 ,
98 „
III.
n
121 ,
191 ,
IV.
»
165 ,
219 .
V.
n
183 ,
245 ,
VI.
9
213 ,
364 „
Harn-
Atemluft-
Gesamt-
Acoton
Aceton
Aceton
I. Tag
20 mg
58 mg
78 mg
TT. ,
46 .
77 «
123 „
III. ,
115 „
122 „
237 „
IV. „
206 „
146 ,
352 ^
1) Arch. f. experimentelle Pathologie u. Pharmakologie. Bd. 40. S. Sö2
and Kongress f. inn. Medizin. 1892.
») Kongress f. inn. Medizin. 1900. Arch. f. experimentelle Pathologio
u. Pharmakologie. Bd. 40. S. 168.
•) Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 28.
*) Kongress f. inn. Medizin. 1898. S. 454.
JAhrbnch f. Kinderhellkiiude. N. F. LXI. Heft 3. 30
462
Langstein-Meyer, Die Acidose im Kindesalter.
Die Menge des Acetons im Urin steigt, wie aus den an-
geführten Tabellen ersichtlich ist, sofort bei Kohlehydratentziehung-
Der Anstieg erfolgt allmählich, in Tabelle I von 13 mg am ersten
Tage auf 21 mg am zweiten und 121 mg am dritten Tage u. s. w.
Die Acetonmenge nimmt auch dann noch stetig zu, doch konnten die
Versuche aus Rücksicht auf das Wohlbefinden der Patienten nur
eine beschränkte Reihe von Tagen ausgeführt werden. Die Menge
des Acetons der Atemluft vermehrt sich beim Erwachsenen in
nicht so intensiver Weise wie das des Urins. W^ährend der Gehalt
des Harns an Aceton bei Kohlehydrathunger schon nach wenigen
Tagen um das Zehnfache gesteigert ist, beträgt die Menge des
Atemluftacetons dann nur er. das Dreifache des Normalwertes
(siehe Tabelle II). Zur besseren Übersicht lassen wir noch eine
Tabelle folgen, die Mittelwerte angibt, gewonnen aus den Arbeiten
von Johannes Müller'), Schwarz^), Waldvogel') und
Schumann-Leclercq*).
Tabelle III.
Mittelwerte bei Erwachsenen in Reihen mit der Dauer bis
zu fünf Tagen:
Aceton
Aceton
Gesamt-
(Urin)
(Atemluft)
Aceton
I. Tag
44 mg
70 mg
148 mg
Durchschnitt
der höchst erreichten
Werte
237 ,
246 ^
398 ,
Überhaupt höchste
Werte
430 ,
672 „
824 „
Danach erreicht die Menge des Atemluftacetons ungefähr
den Wert wie die des Urinacetons, während normalerweise bei
gemischter Kost in der Atemluft bedeutend mehr (ungefähr
10 — 20mal soviel) Aceton durch die Lungen ausgeschieden wird
wie durch den Urin. Auch Oxybuttersäure wird bei Kohlehydrat-
Karenz des Erwachsenen häufig gefunden. Leider sind die Werte,
die in dieser Hinsicht in der Literatur der allgemeinen Pathologie
angegeben sind, nur spärlich und die vorhandenen schwankend.
Man hat sich meist mit der Bestimmung des Acetons begnügt^
0 L. c.
2) L. c.
3) L. c.
*) Wiener klin. Woclienschr. .1901. No. 10.
Langstein-Mc^er, Die Acidose im Kioilcsalter. 463
obwohl durch Veruachliissigung der Oxybuttersäureausscheidung
fast der Hauptteil der Aceton körper, wie auch unsere Unter-
suchungen zeigen werden, der Bestimmung entgeht. Bei Nebel-
tliau*) finden wir 0,08 bis 0,18 Oxybuttersaure nach viertägiger
Abstinenz und bei Gerhardt und Schlesinger'*) einmal sogar
einen Wert von 7 g nach fünftägiger Kohlehydrat-Karenz an-
gegeben.
Acetessigsäure ist stets vorhanden und wird mit dem Aceton
bestimmt. —
Ammoniakbestimmungen bei gesunden Erwachsenen, denen
das Kohlehydrat der Nahrung entzogen war, sind einmal von
Gerhardtund Schlesinger') ausgeführt worden; sie beobachteten
dabei eine Steigerung der Ammoniakausfuhr. Zum ersten Male
wird durch unsere Versuche festgestellt, wie der kindliche Organismus
auf die gebildeten Säuren reagiert. Die Bedeutung der Ammoniak-
vermehrung, die Sc bitten hei m*)beimErwachsenen undSteinitz**)
beim Säugling nach überreichlicher Fettnahrung festgestellt haben,
liegt in andrer Richtung; jedenfalls verursachen dabei nicht die
\cetonkörper, die nui bei Kohlehydrat-Karenz auftreten, die
Amnioniakvermehrung.
Es ist viel darüber gestritten worden, ob der absolute
Ammoniakwert oder der Ammoniakkoeffizient (Verhältnis des
GesamtstickstofFs zum Ammoniakstickstoff) Indikator der ver-
mehrten Säureausscheidung . ist. Während Friedrich Müller
nur eine Erhöhung des absoluten Ammoniakwertes als beweisend
anerkennt, betonen Camerer jun.*) und Schittenhelm^) die
Abhängigkeit des absoluten Ammoniakwertes von der Eiweiss-
zersetzung und führen stets als Jndikator der Säure Vermehrung
den Ammoniakkoeffizienten an. Ohne uns vorläufig für die eine
oder für die andre Auffassung zu entscheiden, haben wir in
unseren Versuchen stets beide Werte berechnet und angegeben.
Wir lassen nun unsere eignen Versuche folgen:
Versueh I.
£iii I4jähriger Knabe, der an Alopecia areata leidet, ohne sonstige
Störangeo des Allgemeinbefindens, wird 6 Tage lang anf fiiweissfetcdiät
0 Centralbl. f. inn. Medizin. 1897. S. 977.
*) Arch. f. experimentelle Pharmakologie u. Pathologie. 1899. Bd. 42,
•) Arch. f. klin. Medizin. 1903. Bd. 77. S. 518.
*) L. c.
») Centralbl. f. inn. Medizin. 1904. Bd. 3.
«) Zeitschr. f. Biologie. 1902. S. 37.
0 L. c.
30*
464
Langstein-Meyer, Die Acidose im Kindesalter.
gesetzt. (Das Gewicht des Knaben ist 32 kg). Die Eroähriing während
dieser Zeit ist folgende:
1. Tag. Gemischte Kost.
2. Tag. 1450 Bonillon, 500 Fleisch, 5 £ier, 800 Tee, 40 Butter.
8. Tag. 1650 Bouillon, 250 Fleisch, 80 Wurst, 800 Tee, 5 Eier, 150 Butter.
4. Tag. 2000 Bouillon, 300 Fleisch, 30 Wurst, 800 Tee, 6 Eier, 200 Butter
5. Tag. 2000 Bouillon, 300 Fleisch, 800 Tee, 6 Eier, 200 Butter.
6. Tag. 1300 Bouillon, 250 Fleisch, 1100 Tee, 6 Eier, 250 Butter.
7. Tag und 8. Tag gemischte Kost, 100 Zucker.
Die folgende Tabelle bringt die Menge der in diesen Tagen
ausgeschiedenen Acetonkörper und des ausgeschiedenen Ammoniaks.
Tabelle IV.
F. K. 14 Jahre (Alopecia).
Tag
UriD-
menge
Aceton
(Urin)
mg
Aceton
(Atem-
luft)
mg
Aceton
(gesamt)
mg
N
NH,
in mg
NH,
Koeff.
Oxy-
batter-
säore
mg
I.
(ge-
mlachte
Kostj
2000
3,9
—
—
11,14
493
4,4
—
II.
1800
7,8
—
—
14,11
473
8,3
—
III.
1720
4,2
13,9
18,1
13,70
559
4
—
V.
2150
84,2
28,8
113,0
17,09
830
4,8
—
V.
2200
156,4
39,5
195,9
12,38
616
4,9
0,3
VI.
1150
109,5
146,2
155,7
11,30
599
5,3
—
VII.
1575
188,8
92,9
281,7
12,55
802
6,8
0,3
VIII.
1175
44,5
44,0
88,5
8,817
651
7,4
—
IX.
(g«-
mischte
KOBl)
1150
14,5
14,0
28,5
7,99
741
9,3
—
Aus den angeführten Zahlen lässt sich für das Verhalten
des 14jährigen Knaben bei Kohlehydratkarenz folgendes schliessen:
Der Normalwert für das in Atemluft und Urin enthaltene
Aceton liegt unter dem für Erwachsene angebenen Wert, eine
Tatsache, die beim geringeren Körpergewicht des 14jährigen
Jungen leicht verständlich ist. Langsam vollzieht sich die Er-
höhung der ausgeschiedenen Acetonmenge, die am 6. Tage in
einer Gesamtquantität von 281,7 mg ihre höchste Höhe erreicht,
ein. Wert, der ebenfalls unter dem für Erwachsene ermittelten
Mittelwert (398 mg) liegt. Das Verhältnis des in Atemluft und
Urin ausgeschiedenen Acetons beträgt 1,3:1 und 1:2, ähnlich
wie beim Erwachsenen, bei dem Waldvogel' für diesen Quotienten
den Wert 1 : 2 angegeben hat; das heisst: während bei normaler
Langstein-Meyer, Die Acidose im Kindesalter.
465
Ernährung die Menge des ausgeatmeten Acetons die des Urin-
acetons überragt, tritt bei Kohlehydratkarenz mehr Aceton
durch den Urin aus, als durch die Lungen. Sofort nach Dar-
reichung der Kohlehydrate sinkt die Acetonausscheidung im
Verlauf von 2 Tagen fast zu normalen Werten.
Acetessigsäure ist am 4. Tage der Kohlehydratkarenz nach-
weisbar. Oxybuttersäure wird am 4. und 6. Tage bestimmt;
ihre Menge beträgt ca. 0,3 g p. d.
Die Reaktion, die der Organismus des 14jährigen auf
Kohlehydratentziehung zeigt, entspricht also vollkommen den
bei Erwachsenen konstatierten Gesetzen.
Die Ammoniakvermehrung im Urin ist erst deutlich, nach-
dem die Acetonausscheidung schon eine beträchtliche Höhe er-
reicht hat. Der Koeffizient beträgt am 1. Tage 4«4 (normal),
am 8. Tage 698; nachdem die Acetonausscheidung schon wieder
normale Verhältnisse zeigt, hält sich der Ammoniakkoeffizient
auf der Höhe von 9,8. Aceton- und Ammoniakvermehrung gehen
also nicht völlig Hand in Hand. Die letztere tritt später auf
und bleibt länger bestehen als die erstere.
Versuch IL
Ein 8 jähriges Mädchen (mit einem Gewicht von 21200), das an
Gonorrhoe leidet, erhält 6 Tage lang Eiweissfettdiät. Die Ernährung während
dieser Zeit ist folgende:
1. Taff. 500 Bouillon, 900 Tee, 150 Fleisch, 4 Eier, 40 Butter.
2. Tag. 800 Eouillon, 900 Tee, 5 Eier, 150 Fleisch, 70 Butter.
8. Tag. 900 Bouillon, 600 Tee, 150 Fleisch, 6 Eier, 100 Butter.
4. Tag. 1050 Bouillon, 750 Tee, 260 Fleisch, 5 Eier, 180 Butter.
5. Tag. 700 Bouillon, 500 Tee, 50 Schinken, 130 Wurst, 5 Eier, 200 Butter.
6. Tag. 550 Bouillon, 500 Tee, 130 Fleisch, 50 Wurst, 4 Eier, 200 Butter.
7. Tag. Gemischte Kost.
Tabelle V.
E. S. 8 Jahre (Gronorrhoe).
Aceton
Oxy.
butter-
Tag
Urin-
Aceton-
(Atem-
Aceton
N NH,
NH,
menge
(Urin)
luft)
(gesamt)
1
Koef.
säure
I
1500
15,7
14,4
30,1
11,3
370
' 3,3
II
1750
65,3
118,4
183,7
10,29
461
4,4
III
1200
165,8
165,8
331,6
10,55
463
4,3
1
IV
1425
171,2
194,4
365,6
9,157
718
7,8
[8,8
V
1200
159,2
—
—
8,77
806
9,1
1
VI
1200
130,0
86,4
216,4
9,744
1100
8,8
VIT
1100
17,0
21,6
38,6
10,56
1150
9,1
460 Langstein-Mcjcr, Die Acido^e im Kiodesaller.
Das Ansteigen der Acetonausscheidung im Urin vollzieht
sich rascher wie bei dem 14jährigen Jangen, erreicht aber keinen
ebenso hohen Wert. Die höchste Ausscheidung beträgt am
4. Tage 171,2 gegen 188,8 beim 14jährigen Jangen; in der Atem-
Infi äussert sich die Acetonausscheidung in intensiverer Weise.
Hier beträgt die höchste Ausscheidung 194,4 mg am 4. Tage der
Eohlhydrat-Earenz, während sie bei dem 14jährigen nur 146 mg
am 5. Tage des Versuches beträgt; dementsprechend ist die
Gesamtacetonausscheidung bei dem 8jährigen Mädchen grösser als
in Versuch I. Doch schon hier wollen wir bemerken, dass indi-
viduelle Untersclüede eine Rolle spielen, dass man also auf der-
artige kleine Differenzen kein besonderes Gewicht legen darf.
Das Verhältnis von Atemaceton zu Urinaceton ist am 3. Tage
1:1, am 4. Tage 0,9: 1, am 6. Tage 1:1,5. Der Quotient ver-
hält sich also ähnlich wie bei Erwachsenen und dem 14jrihrigen
Jungen.
Acetessigsäure ist am 3. Tage des Versuches nachweisbar.
Oxy buttersäure ist am 3., 4. und 5. Tage zusammen be-
stimmt und beträgt für die 3 Tage zusammen 3,8 g, das ist eine
tägliche Ausscheidung von 1,27 g. Die Ausscheidung der Aceton-
körper verschwindet auch hier prompt nach Kohlehydratzufuhr.
Weiter zeigt auch dieser Versuch, dass die Menge ausgeschiedenen
Ammoniaks erst dann eine Steigerung erfährt, wenn die Aceton-
körperausscheidung schon eine Zeitlang besteht; am 4. Tage erst
tritt diese Erhöhung ein. Der absolute Ammoniakwert steigt
von 870 auf 718, der Koeffizient von 8,8 auf 7,8. Beide Werte
bleiben nicht nur auf dieser Höhe, sondern steigen noch an, so
dass nach der Rückkehr der Acetonausscheidung zum normalen
am 7. Tage die absolute Menge Ammoniaks noch 1150 mg, der
Koeffizient noch 9,1 betragen. (Genau wie Versuch L) Klinisch
ist zu bemerken, dass an den letzten beiden Tagen der Kohle-
hydratentziehung das Kind sich sehr matt fühlte und absolut keine
Lust zum Spielen zeigte.
Versueh III.
Ganz ähnlich wie bei dem 8jährigen Mädchen verhält sich die Acidose
bei einem 9jährigen Mädchen, das an Psoriasis leidet. (Körpergewicht:
25,750.) Die Ernährung ist folgende:
1. Tag. Gemischte Kost.
2. Tag. Ein Stuck Brot, 250 Milcbsuppe, 3 Eier, 60 Butter, 550 BouilloD,
650 Tee, 250 Fleisch.
8. Tag. 800 Bouillon, 500 Tee, 3 Eier, 160 Fleisch, 40 Wurst, 100 Butter.
Langstein-Mejer, Die Acidose im Kindesalter.
467
800 Bonillon, 500 Tee, 4 Sier, 40 Schinken, 190 Fleisch, 180 Battep.
500 ßouillon, 500 Tee, 270 Fleisch, 2 Eier, 200 Battep.
750 Boaillon, 500 Tee, 3 Eier, 250 Fleisch, 200 Batter.
550 Bouillon, 450 Kaffee mit 20 Mileh, 1 Sehrippe, 3 Eier,
180 Fleisch, 150 Batter.
Tasr. Gemischte Kost.
4. Tag.
5. Tag.
6. Tag.
7. Tag.
S.
Tabelle VI.
E. F., 9 Jahre, 6 Monate (Psoriasis).
Tag
Urin-
menge
Aceton
(Urin)
Aceton
(Atem-
luft)
Aceton
(gesamt)
N
NH,
NH,
Koeff.
Oxy-
butter
säure
I.
1635
7,9
79,3
87,2
11,125
412
3,7
IL
1330
12,8
61,4
74,2
6,74
260
3,8
111..
1240
73,1
115,3
188,4
12,95
493
3,8
IV.
V.
1135
1300
95,0
121,3
322,8
444,1
11,06
9,15
521
735
4,7
8,0
2,36
VI.
1530
181,9
208,9
390,8
10,73
1113
10,3
VII.
2100
123,7
100,9
224,6
10,407
953
9,1
VIII.
1480
83,8
10,8
94,6
9,759
748
7,6
IX.
1475
5,7
6,938
438
6,3
Die in der Tabelle angeführten Zahlen zeigen zunächst,
dass bei einem ganz geringen Gehalt von Kohlehydraten
in der Nahrung, wie er am 2. Tage des Versuches vor-
handen war (1 Stulle, 250 Milchsuppe) noch keine Aceton-
vermehrung auftritt, dass andererseits bei bestehender Acetonurie
die Zufuhr geringer Quantitäten von Kohlehydrat (7. Tage:
1 Schrippe, 10 Milch) die Ausscheidung der Acetonkörper lang-
samer zur Norm zurückführt, als bei den früheren Versuchen
eine grössere Menge von Kohlehydraten dies bewirkt hat. Der
Abfall erfolgt in dem Urin von 181,9 auf 123,7, 88,8, 5,7,
während in Tabelle V die Acetonausscheidung von 180 auf 17
und in Tabelle IV von 188,8 auf 44,5 fällt.
In der Atemluft wird das Abklingen der Acetonausscheidung
analog verzögert.
Die höchste Acetonausscheidung im Urin beträgt bei diesem
Versuche 181,9 mg, fast genau so viel, wie bei dem 8jährigen
Mädchen (171,2) und bei dem 14jährigen Jungen (188,8). Auch
in der Ausscheidung des Acetons durch die Atemluft sind keine
468
Lungstein-Meyer, Die Acidose im Kindesalter.
wesentlichen Differenzen gegenüber den vorhergehenden YersucheD
zu konstatieren, ebensowenig in der Gesamtaceton menge.
Acetessigsäure ist am 2. Tage der völligen Kohlehydrat-
entziehung nachweisbar, Oxybuttersäure wird am 4. und 5. Tage
bestimmt und beträgt zusammen 2,36 g, das ist p. d. 1,18 g.
Auch die Ammoniakausscheidung verhält sich genau so wie
in den vorhergehenden Versuchen; der Koeffizient steigt bis 10,8»
der absolute Wert bis 1180 mg.
Das Allgemeinbefinden des Kindes ist ebenfalls in den
letzten Tagen des Versuches auffallend gestört.
Abweichungen von dem bis jetzt festgestellten Verhalten
der Acetonkörperausscheidung zeigen sich erst bei den unter-
suchten 6jährigen Kindern. Am geringsten treten sie bei einem
6jährigen Mädchen auf, das 4 Wochen nach einer leichten akuten
Diphtherie sich befindet und das 3 Tage lang auf Eiweissiettdiat
gesetzt wird. Die Ernährung ist folgende:
Versueh IV.
1. Tag. Gemischte Kost.
2. Tag. 1050 Bouillon, 300 Tee, 60 Fleisch, 2 Eier, 40 Butter.
8. Tag. 1150 BouilloD, 250 Tee, 2 Eier, 65 Fleisch, 70 Butter.
4. Tag. 700 Bouillon, 250 Tee, 3 Eier, 50 Fleisch, 100 Butter.
5. Tag. Gemischte Kost.
6. Tag. Gemischte Kost, 100 Zucker.
7. Tag. Gemischte Kost, 100 Zucker.
Tabelle VII.
P. S. 6 Jahre (3 Wochen p. Diphtherie).
Urin-
Aceton
Aceton
Aceton
NH,
0,y-
Tag
menge
(Urin)
(Atem-
lüft)
(gesamt)
N
NHa
Koefi.
butter-
säare
I.
1050
4,63
55,032
59,66*2
7,144
259
3,6
IL
1340
13,183
166,5
179,683
7,954
276
3,5
III.
760
20,683
249,84
270,523
8,533
438
5,1
IV.
600
37,1
663,72
700,82
5,334
369
6,9
V.
600
23,208
326,4
349,608
Verunreinig,
des Harns
6,9
VI.
1060
9,123
236,7
245,823
6,515
314
4,8
VII.
1280
10,59
69,6
80,49
7,92
354
4,4
Langstein-Meyer, Die Acidose im Kindesalter. 469
Die Werte, welche hier die Acetonmenge im Urin S&eigt,
erreichen nicht die früher angeführten. Am 3. Tage werden erst
S7»l mg ausgeschieden (höchster Wert), während z. B. bei dem
einen 9jährigen Kinde 121,3 mg an diesem Tage verzeichnet
sind. Es liegen hier wohl individuelle Unterschiede vor. Auf
die geringere Quantität des zugeführten Fettes ist dieser
Unterschied sicher nicht zu beziehen, da 2 andere 6jährige Kinder
auf dieselbe Menge Fett, resp. auf noch viel weniger (Versuch VI
30 g) mit einer viel intensiveren Acetonurie reagierten. Um so
merkwürdiger ist es, dass die Menge des Atemluftacetons alle
vorher festgestellten Werte beträchtlich überragt. Es steigt von
55 mg des normalen am 3. Tage der Karenz auf 668,7 mg,
während in Tabelle VI nur 822,8, in Tabelle V 194,4, in Tabelle IV
146,2 mg erreicht wurden. Es wird also 12 mal soviel Aceton
in der Atemluft ausgeschieden als unter normalen Verhältnissen,
während im Urin der Normalwert nur 8 mal übertroflFen ist. Das
Verhältnis des Atemacetons zum Urinaceton ist 14 : 1, während
beim Erwachsenen und in dem 1. Versuch dieser Quotient 1:2
beträgt. Es wird demnach bei dem 6jährigen Kinde bedeutend
mehr Aceton durch die Lungen ausgeschieden als durch den
Urin, eine Tatsache, die noch viel deutlicher durch die weiteren
V^ersuchen bestätigt ist. Natürlich ist entsprechend dieser hohen
Acetonausscheidung in der Atemluft die Gesamtacetonausscheidung
grösser als in den vorangegangenen Versuchen. Der Oxybutter-
säurenachweis wurde leider nicht versucht.
Die geringe Acetonmenge im Urin Hess nur eine geringe
Vermehrung des Ammoniaks erwarten; in der Tat erhöht sich
der Ammoniakkoeffizient nur von 3,6 auf .6,9, die absolute Am-
moniakmenge von 259 auf 438 mg, das ist beträchtlich weniger
als in den früheren Versuchen.
Versueh V.
£iu Gjähriger Knabe mit einem Gewicht von 22,400, der an Psoriasis
leidet, wird auf folgende Diät gesetzt:
1. Tag. Gemischte Kost.
2. Tag. 250 Tee, 150 Wasser, 400 Bouillon, 2 Eier, 300 Fleisch, 30 Butter.
8. Tag. 750 Bouillon, 1050 Tee, 3 Eier, ca. 475 Fleisch, 60 Butter.
4. Tag. 1200 Tee, 2 Eier, ca. 700 Bouillon, 100 Butter.
5. Tag. Gemischte Kost, 100 g Zucker.
6. Tag. Gemischte Kost.
7. Tag. Gemischte Kost.
470 Langsteio- Meyer, Die Acidose im Kindesalter.
Tabelle VIII.
H. S., 6 Jahre, 9 Monate (Psoriasis).
Tag
ürin-
menge
Aceton
(ürin)
Aceton
(Atem-
luft)
Aceton
(Gesamt)
N NH,
Koeff.
OXT-
butter-
säure
I.
1020
18,6
69,0
87,6
8,99
308
3,4
IL
1290
62,9
460,0
522,9
10,62
376
3,5
!«
IIL
1430
135,3
888,7
1024,0
16,18
707
M
IV.
510
in 12 h
55
in 12h
1369,5
1479,5
(6,85)
(609)
8,9
—
V.
1265
88,3
127,2
215,5
12,89
484
11,51
—
VI.
985
16,0
69,6
85,6
7,61
794
10,4
—
VII.
1000
9,0
55,7
64,7
7,59
470
6,2
—
Die im Urin bei Kohlehydratkarenz ausgeschiedenen Aceton-
mengen bleiben in diesem Versuche in der Quantität kaum gegen
die vorher angeführten zurück: das Ansteigen der Acetonaus-
Scheidung im Urin vollzieht sich aber rascher als in irgend einem
Versuche vorher; dazu sei bemerkt, dass der untersuchte Knabe
schon normalerweise eine ziemlich hohe Urinacetonausscheidung
von 18 mg zeigt. Am ersten Tage der Karenz steigt der Aceton-
wert im Urin schon auf 62»9 mg, am 2. Tage auf 185 mg, bei
dem 14jährigen Jungen in Tabelle IV wurde ein ähnlich hoher
Wert erst am 4. Tage, bei dem 8jährigen Kinde am 8. Tage
erreicht.
Sehr ausgespiocl^en zeigen sich hier die schon im letzten
Versuche erwähnten Abweichungen in dem Verhalten der Atemluft
des jungen Kindes gegenüber dem älterer Kinder und Erwachsener.
Bereits am 1. Tage der Karenz werden 460 mg Aceton durch
die Lungen ausgeschieden, ein Wert, der die Ausscheidung im
Urin ca. 7 mal übertriflFt. Die Zahlen steigen am 2. und 3. Tage
und zeigen da einen Wert von 1860 mg p. d. Diese Zahl über-
steigt sowohl die von uns bisher ermittelten, als auch die in
Tabelle III zusammengestellten bei Erwachsenen von den früher
genannten Autoren gefundenen Werte um ein sehr beträchtliches.
Bei Erwachsenen beträgt der höchste Wert, der bei Eiweissfett-
diät konstatiert wurde, 672 mg. Diese Zahl wird in unserem
Versuche um mehr als das Doppelte übertroffen. Das Verhältnis
des Atemaceton zum Urinaceton ist am 2. Tage der Karenz 6:1,
am 3. Tage leider nicht exakt festzustellen, da nur der Urin von
Laugstein-Meyer, Die Acidose im Kindesalter. 471
12 Stunden gesammelt war. Das Atemaceton ist um das 19fache
^es normalen vermehrt, während es sich nach Schwarz bei dem
Erwachsenen nur am das 2- bis Sfache zu vermehren pflegt.
Dementsprechend überragt die gesamte Aceton ausscheidung bei
dem 6jährigen Kinde die allgemein beim Erwachsenen festgestellte.
Der Mittelwert aus den höchsten Zahlen der Gesamtacetonmenge
{Tabelle III) wurde mit 893 mg berechnet^ die höchste überhaupt
verzeichnete Quantität beträgt 824 mg. Dem gegenüber beläuft
isich die höchste Gesamtacetonmenge beim 6jährigen Knaben auf
1479»5 mg — eine Differenz, die man wohl kaum mehr auf
individuelle Verschiedenheiten zurückführen kann.
Acetessigsäure ist am 2. Tage der Karenz schon vorhanden.
Ozy buttersäure wird für den 2. und 3. Tag zusammen
untersucht und beträgt 4,3 g, das ist p. d. 2,15 g, ein Wert, der
<lie von uns bei älteren Kindern nachgewiesenen Mengen über-
trifft. Bemerkenswert ist, dass diese Menge bereits am 2. und
3. Tag der Karenz vorhanden ist.
Auch die Ammoniakwerte sind sehr beträchtlich gestiegen.
Trotzdem, dass der Versuch nur 3 Tage dauerte, steigt der
Ammoniakkoeffizient am 3. Tag des Versuches von 8,4 auf 8,9,
am 4. Tage auf 11,6, obwohl an diesem Tage die Acetonaus-
Scheidung im Urin durch die Kohlehydratzufuhrung schon be-
deutend herabgedruckt ist; er zeigt auch weiterhin am 2. und
3. Tage danach noch eine Erhöhung, nämlich 10,4 und 6,2,
während die Acetonausscheidung wieder normal geworden ist.
Ganz analog verhält sich der absolute Amraoniakwert. Näheres
ist aus der Tabelle selbst ersichtlich.
Auch diesen Versuch mussten wir leider nach 3 Tagen der
Kohlehydratentziehung abbrechen, da auch dieser Knabe wieder
grosse Müdigkeit und Unlust zeigte.
Versaeh VI.
Fast ganz, so wie der fünfte Versuch verläuft Versuch VI, der ebenfalls
an einem 6 jährigen Jungen, der sich in der Rekonvaleszenz nach einer
exsudativen Pleuritis befindet, angestellt wird. Sein Gewicht beträgt 20,700
Die Ernährung ist folgende:
1. Tag. 900 Bouillon, 20 Wurst, 30 Fleisch, 400 Tee, 6 Eier, 80 Butter.
2. Tag. 500 Bouillon, 470 Tee, 8 Eier, 30 Fleisch, 80 Butter.
8. Tag. 800 Bouillon, 50 Tee, 30 Fleisch, 2 Eier, 30 Butter.
4. Tag. 400 Bouillon, 100 Tee, 30 Fleisch, 8 Eier, 80 Butter, 3 Stallen.
5. Tag. Gemischte Ko&t.
472
Langstein-Meyer, Die Acidose im Kiodesalter.
Tabelle IX.
H. B., 6»/« Jahre (3 Wochen nach Pleuritis).
A*g 1
menge
Aceton
(ürio)
Aceton
(Atem-
laft)
Aceton
(Oesamt)
Oxy.
bntter-
sänre
I.
IL
III.
IV.
V.
VI.
1100 •
1400
700
600
850
45,2
165,8
118,5
26,2
12,33
260,0
278,4
988,0
148,45
13,9
305,2
444,2
1051,5
174,65
1,75
Auch in diesem Versuche steigt, wie die Tabelle lehrt, die
Acetouausscheidung im Urin rasch und zu beträchtlicher Höhe,
sie beträgt am 1. Tage 45,2 mg, am 2. Tage schon löS^S mg,
übertrifft also an Intensität diejenige der älteren Kinder, ebenso
wie die des Erwachsenen (siehe Tabelle I und II), von denen
am 2. Tage 21, 46 und 98 mg ausgeschieden wurden.
Die Ausscheidung durch die Lungen ist ebenfalls be-
trächtlich, gegenüber der der Erwachsenen, erhöht. Am 3. Tage
der Karenz werden 988 mg durch die Atemluft aus dem Körper
eliminiert, das ist ca. 8 mal soviel, als an diesem Tage im Urin
ausgeschieden wurde, während, wie erwähnt, bei Kohlehydrat-
Karenz der Erwachsenen das Atemaceton gegen das Urinaceton
zurückzutreten pflegt. Hier wird über 60 mal soviel Aceton
exhaliert als bei gemischter Kost, und dies, obwohl nur 80 g
Fett in der Nahrung verabreicht wurden.
Auch die Gesamtacetonausscheidung überragt den bei Er-
wachsenen festgestellten höchsten Wert.
Acetessigsäure ist am 2. Tage der Karenz nachweisbar.
Die Oxybuttersäure wird ebenfalls an diesem Tage bestimmt.
Aus der vorhandenen Linksdrehung berechnete sich eine Aus-
scheidung von 1,76 g in 24 Stunden.
Wir wollen diesen Wert nur unter Vorbehalt geben, da der Knabe
Kreosotal per Os bekommen hat. Bekanntlich verursacht Zufuhr Ton Kreosot
und dessen Abkömmlingen eine vermehrte Ausscheidung von GlyouronsäurCy
die als Kreosotglycuronsäure (Doppel Verbindung) im Harn erscheint und die
Ebene des polarisierten Lichtes nach links dreht (ebenso wie die Oxybutter-
säure). Es gehen aber von der Kreosotalglycuronsäure nur Spuren in den
fitherischen Extrakt über; es war daber auch nach Spaltung mit Salzsänre
in dem Extrakt, in dem die Oxybuttersäure bestimmt wurde, keine Glyouron-
Laugstein-Meyer,« Die Acidose im Kindesuiter. 473
«äure durch die Reduktionsprobe nachzuweisen. Trotzdem könnten geringe
Mengen durch das Kochen mit Salzsäure zerstört worden sein, so dass diese
hohe Oxjbattersänreansscheidnng am 2. Tage des Versuches nicht ganz
sichergestellt ist.
Am 3. Tage der Kohlehydrat-Karenz musste auch dieser
Versuch abgebrochen werden, da sich der Knabe nun matt und
unwohl fühlte, auch eine Temperatursteigerung auf 38^ bekam,
die durch keinen objektiven Befund begründet werden konnte,
-die wir aber auch andererseits nicht auf die im Körper des Kindes
vorhandene Acidose zurückfuhren wollen.
Ammoniakbestimmungen wurden nicht gemacht, da alle bis-
lierigen Ammoniakbestimmungen bestimmten Verlauf zeigten.
Zusammenfassung.
Die Resultate vorstehender Untersuchung lehren in Bezug
Auf die Acidose des Kindes folgendes:
1. Die Menge des Acetons im Urin erreichte zwar
^ibsolut genommen nicht die bei Erwachsenen festgestellten Werte.
Relativ, d. h. im Verhältnis zum Körpergewicht, übertriflFt das
ürinaceton des Kindes das des Erwachsenen an Quantität. Auch
scheint die Acetonurie um so schneller und intensiver einzusetzen,
je jünger das Kind ist.
2. Die Ausscheidung des Acetons in der Atemluft
-verhielt sich bei Kohlehydratkarenz vollkommen anders als bei
Erwachsenen und diesen im Alter nahestehenden Kindern. Das er-
schliessen wir aus dem Umstände, dass der Hauptteil des im
•Organismus gebildeten Acetons bei den untersuchten 6jährigen
Kindern durch die Lungen ausgeschieden wurde. Die Quantität
des exhalierten Acetons überstieg die bei gemischter Kost ge-
fundenen Werte einmal um das 19 fache (Versuch V), ein ander-
mal sogar um das 60 fache. Im Gegensatz hierzu pflegt bei Er-
wachsenen das Atemaceton sich nur um das 8 fache zu vermehren
^Schwarz); bei den von uns untersuchten mehr als 6 Jahre
alten Kindern betrug die Vermehrung gegen das Normale zwar
auch stets mehr, als das von Schwarz für Erwachsene angegeben
ist, das Verhältnis von Atemaceton zu Ürinaceton verhielt sich
aber immerhin ähnlich, wie Waldvogel es angegeben hat, und
zwar wie 1:2; vollkommen verändert wurde dieser Quotient
nur bei den 6 jährigen Kindern. Hier war das Verhältnis von
Atemaceton zu ürinaceton wie 14:1. In Versuch V betrug es
schon am 2. Tage der Karenz 6:1, in Versuch VI 8:1. Über-
474 Langstein-Meyer, Die Aoidosc im Kindesalter.
einstimmend wurde also bei allen 6jälirigen Kindern bedeutend
mehr Aceton durch die Atemluft ausgeschieden als bei Er-
wachsenen. 8- und 9jährige boten insofern einen Übergang, als
auch bei ihnen mehr Aceton (Versuch II Atemluftaceton zum
Urinaceton wie 1,2 : I, Versuch III wie 1,1 : 1 und 2,6 : 1) durch
die Atemluft ausgeschieden wurde, als bei Erwachsenen und bei
dem von uns untersuchten 14jährigen Jungen.
Der Hauptanteil des Acetons wird also bei jungeu
Kindern durch die Atemluft eliminiert. Dieser Anteil
überragt die bei Erwachsenen gefundenen Werte be-
trächtlich.
3. Die Gesamtacetonmenge, die das jüngere Kind
bei Kohlehydratkarenz ausscheidet, ist höher als bei
Erwachsenen und älteren Kindern.
4. Acetessigsäure ist stets nachweisbar — bei den
6jährigen Kindern bereits am 2. Tage des Kohlehydrat-
mangeis.
Oxy buttersäure kann nach den Angaben Naunyns
bei Kohlehydratkarenz im Urin erscheinen — sie erscheint nach
Magnus-Levy stets bei intensiver Acetonausscheidung — ; in
allen 5 Fällen, in denen wir nach Oxy buttersäure suchten,
konnten wir sie mit Bestimmtheit nachweisen. Und zwar
schieden die 6jährigen Kinder grössere Mengen aus als ältere
und auch mehr wie die meisten daraufhin untersuchten Er-
wachsenen. Leider sind, wie im Anfang bereits erwähnt ist, die
bei Erwachsenen gefundenen Werte spärlich und schwankend^
also schwer zum Vergleich heranzuziehen.
Bemerkenswert ist die frühzeitige Ausscheidung der
Oxy buttersäure bei 6jährigen Kindern (in Versuch V und VI
bereits am 2. Tage der Karenz), wilhrend sie bei Erwachseneu
meist erst später in die Erscheinung tritt.
5. Ammoniaksteigerungen (sowohl an der absoluten
Ammoniakzahl, als auch am Koeffizienten gemessen) fanden bei
allen Kindern statt. Diese Vermehrung ist in unseren
Versuchen lediglich auf die im Körper kreisenden
Säuren, die Acidose, zurückzuführen. Dadurch ist für die
Kinderklinik zum erstenmale bewiesen, dass die infolge der
Änderungen der Diät im sonst normalen Organismus entstehenden
organischen, nicht verbrennenden Säuren Ammoniak an sich
relssen und so harnfähig gemacht werden. Nicht sofort reagiert
der Körper auf die erhöhte Säarebildung mit vermehrter Ammoniak«
Längste in -Meyer, Die Acidose im Kindesalter. 475
aiisscheidung, wie dies aus allen Versuchen übereinstimmend
hervorgeht; denn erst nach längerem Bestand der vermehrten
Acetonkörperausscheidung tritt eine Vermehrung des Ammoniaks
ein. Es scheint also, dass zuerst von dem verfügbaren Alkali-
vorrat ein kleiner Teil abgegeben wird und dann als Neutrali-
sationskörper 2. Ordnung das Ammoniak eintritt. Entsprechend
dem langsamen Ansteigen vollzieht sich auch das Abklingen der
Ammoniakausscheidung zum Normalen allmählich^).
6. Das Allgemeinbefinden der Kinder war bei unseren
Versuchen fast stets in Mitleidenschaft gezogen. Die Kinder
waren schlaflF, müde, unlustig: Symptome, die wir aber nicht
ohne weiteres auf die im Körper des Kindes vorhandene Acidose
zurückführen wollen, da die einseitige Diät als solche auch wohl
Unlustgefühle hervorzubringen imstande ist. Die in Versuch VI
beobachtete Temperatursteigerung steht mit der Acidose eben-
falls kaum im direkten Zusammenhang.
Unsere Untersuchungen haben also gezeigt, dass in der Tat
junge Kinder eine Neigung zur Acidose haben, d. h. dass
sie frühzeitiger und intensiver mit einer Ausscheidung von
Aceton körpern auf Kohlehydratkarenz reagieren als Erwachsene^
soweit die bis jetzt bei Erwachsenen vorliegenden Untersuchungen
ein Urteil gestatten. Wie können wir uns nun diese Tatsache
erklären? Wir müssen wohl annehmen, dass das Kohlehydrat-
reservelager, das in der Leber und in den Muskeln der Kinder
in Form von Glykogen aufgespeichert ist, nicht ebenso gross ist,
uls das Erwachsener, und so der Mangel an Kohlehydraten
leichter und intensiver in die Erscheinung tritt. Wissen wir
doch aus den Untersuchungen Pfiügers, dass das wachsende
Tier nur über geringe Mengen von Reserveglykogen verfügt.
Und dass die Glykogenverarmung eines Organismus den Eintritt
einer Acidose ungemein begünstigt, geht aus den neuen Versuchen
von Mohr hervor, der gezeigt hat, dass die Übersäuerung des
Organismus bei der Phosphor Vergiftung nicht in letzter Linie
darin ihren Grund hat, dass die toxische Wirkung des Phosphors
zunächst den Glykogenstoffwechsel betriflFt.
Gerade bei der Phosphorvergiftung hat man daran gedacht,
^) Die AmmoDiakkoeifizienteD erreichen Dicht die hohen Werte, wie
sie 7. ß. Keller bei magcndarmkranken Säuglingen oder der eine von uns
(Langstein, Beiträge zur Kenntnis des Diabetes melitus im Kindesalter.
Vortrag, gehalten im Berliner Verein für innere Medizin am 6. II. 1905) bei
diabetischen Kindern gefunden hat. Diese Tatsache spricht wohl mit dafür,
dass die AmmoniakvermehFung beim ernährungskranken Säuirling eine
Resultierende mehrerer Komponenten ist.
476 Langstein-Meyer, Die Acidose im Kindesalter.
dass die Acidose eine Folge der Ammoniakvermehrang ist, dass
im Überschuss gebildetes — im Sinne Pfaundlers gestautes
Ammoniak — die Säuren gleichsam abfange — das würde be-
deuten, dass die Acidose ein sekundärer Prozess sei, Wir glauben
gerade mit Rucksicht auf die Ergebnisse der Untersuchungen von
Mohr, dass der Begriff der sekundären Acidose einzuschränkeo
ist und dass für den Stoffwechsel des Erwachsenen, ebenso wie
für den des Kindes, Ammoniakvermehrung die Folge vermehrter
Säurebiidung ist — wobei wir ohne weiteres zugeben wollen, dass
als gewaltige Komponente Alkali Verarmung im Sinne von Steinitz
an der Steigerung des Ammoniak koef6zienten beteiligt ist.
Die wichtigste Frage, die Beantwortung verlangt, ist die, oh
wir berechtigt sind, die Resultate, die wir bei den Versuchen an
älteren Kindern erhielten, ohne weiteres auf die Acidose des
Säuglings zu übertragen. Dass Acetonkörper bei der Acidose
der Säuglinge noch nicht nachgewiesen wurden, spricht mangels
systematischer Untersuchungen nicht gegen eine Analogie. Aber
«s konnte auch der Abbau des Fettes im Säugliugsorganismus
zur Bildung anders gearteter Säuren fuhren. Hält doch auch
Naunyn das Vorkommen anderer, noch unbekannter, Säuren beim
Diabetes für möglich. Für die Annahme einer der des älteren
Kindes analogen Acidosis im Säuglingsalter spricht der Umstand,
dass unter verschiedenen Umständen die Ammouiakausscheidung
des Säuglings sehr wesentlich erhöht ist, eine Tatsache, die audi
wir in Betästigung der Untersuchungen der Breslauer Schule fanden,
dass diese Ammoniakvermehrung zurückgeht und der gesamte Zu-
stand des Kindes sich bessert nach Reichung einer kohlehydrat-
reichen Nahrung, die nur sehr geringe Mengen Fettes enthält: der
sauren Buttermilch und der alkalischen Malzsuppe. Und da bereits
nachgewiesen ist — leider nur in einer einzigen grösseren Unter-
suchungsreihe — , dass Magendarmstörungen die Assimilations-
grenze für Kohlehydrate im kindlichen Organismus herabsetzen —
ist die Möglichkeit, dass — wenigstens in einer Reihe von
Fällen — die vermehrte Ammoniakausscheidung Ausdruck einer
intermediären Acidose ist, nicht von der Hand zu weisen.
Dass eine fettreiche Nahrung bei der geringsten Störung
im Kohlehydratstoffwechsel zu Änderungen im Stoff-
wechsel führt, deren schädigende Wirkung auf den
Organismus heute noch nicht übersehen werden kann,
geht aus den vorstehenden Resultaten unserer Unter-
suchung mit absoluter Sicherheit hervor; die von uns
LaDgstein- Meyer, Die Acidose im Kiodesalter. 477
«xperimeDtell bewiesene Neigung der Kinder zur Acidose trägt
aber vielleicht auch zu Erklärung des schweren Verlaufes der
Diabetesfalle im Kindesalter bei.
Die hier befolgte Methodik wird auch für die Unter-
suchung der Acidose der Säuglinge — allerdings in etwas modi-
fizierter Weise — zur Anwendung gelangen. Insolange die Resultate
derselben, die wir in der nächsten Mitteilung bringen werden,
nicht vorliegen, ist keine Berechtigung gegeben, denjenigen
Zustand, den die Pathologie des Säuglingstoffwechsels als Acidose
bezeichnet, mit dem von uns am älteren Kinde durch Kohlehydrat-
karenz experimentell erzeugten zu identifizieren.
Die Erforschung des Säuglingstoffwechsels im Hungerzustand
und bei Kohlehydratkarenz verspricht einen weiteren Beitrag zur
Klärung des Phänomens der Ammoniakvermehrung bei Magendarm-
störungen zu geben — für unbedingt erforderlich halten wir aller-
dings eine scharfe Trennung akuter und chronischer Zustände.
Indem wir noch hinzufügen, dass wir auch die Erforschung der
Lipämie in Angriff genommen haben, ist der Gang der folgenden
von uns in Aussicht genommenen Untersuchungen in grossen
^ugen skizziert — wohl noch ein weiter Weg bis zu jenem Ziele,
das in der Erkenntnis des Wesens der Atrophie des Säuglings
gelegen ist.
I. Versueh.
Acoiontabelle.
1. Tag in 200 Urin 0,4 Jodlösung =0,000887
•2. Tag in 200 Urin 0.9 J ^ =0.0008708
8. Tag in 200 Urin O^J ^ =0,0004885
Atmang nachm. 20' = JS j _ ^ ^^^^,^3
4. Tag in 200 Urin J'«} Jodlösung = 0.007888
Atmung vorm. 20= JS | _ ^ ^^^^3^,
5. Tag in 200 Urin JJ-J } Jodlö.ung = 0.014215
Atmung vorm. 20' = 0,6 = 0,00058
nachm. 15' = 0,4 = 0,00039
6. Tag in 200 Urin 19,7 Jodlösung = 0,01905
Atmung vorm. 20 = 1,0 1 _ ^^^^^^
nachm. 20' = 0,2 = 0,003094
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 3. 3]
478
LangsteiD-Mejer, Dto Acidose im Kindesalter.
7. Tag in 200 Urin
Atmung Torni.
24,8 JodlösuDg — 0,023982
^^Z ^'2} = 0,000967
8. Tag in 200 Urin 8,0 Jodlosung = 0,00774
Atmung vorm. 20' = 1,0 = 0,000767
nachm. 15' = 0,2 = 0,0001934
9. Tag in 200 Urin 2,6 Jodlosung = 0,0025142
Atmung vorm. 20' = 0,2 = 0,000193
Oxybutters&ure: Linksdrehung 0,8 in 20 com des Extrakts von 28(
d. i. in 4 und 6 Tage für 3775 Urin = 0,G g.
11. Versueh.
Acetontabelle.
1. Tag in 200 Urin 2,3 Jodlösung = 0,002224
« 0,0001984
= 0,01244
= 0.000774
= 0,002771
= 0,018953
= 0,00277
= 0,001934
= 0,0285265
= 0,0027076
Atmung Torm. 20' = 0,21
nachm. 20' = 0,2 /
2. Tag in 200 Urin 12,9
Atmung vorm. 20' = 0,81
= 0,8/
nachm. 20' = 2,61
= 2,6 J
3. Tag in 200 Urin 19,71
19,5 J
Atmung vorm. 20' = 2,6
nachm. 15' = 2,01
= 2,0/
4. Tag in 200 Urin
Atmung vorm.
5. Tag in 200 Urin
6. Tag in 200 Urin
Atmung vorm.
29,5
20' = 2,8 J
= 2,8(
23,1
22,7
30' = 2,81
= 2,8/
nachm. 20' = 1,01
= 1,0/
7. Tag in 200 Urin 3,2
Atmung vorm. 20' = 0,4 ^
= 0,4(
nachm. 20' = 0,2 \
= 0,2l
Oxybuttersäure 3., 4. und 5. Tag:
in 3850 Linksdrehung des 40 ccm Extraktes 3,2..
Ffir 4375 ccm Gesamturin 3,8 g Oxjbutters&ure^
= 0,0223377
= 0,021651
= 0,0021736
= 0,000967
= 0,0030944
= 0,0003868
= 0,0001934
III. Versueh.
Acetontabelle.
1. Tag in 200 Urin
Yq \ Jodlösung = 0,000967
Atmung vorm. 20' = 0,8 (
= 1.2/
nachm. 25' = 1,6
= 0,000967
= 0,001547
Langstein-Mey
er, :
Die Acidose
im Kindesalter.
2.
Tag in 200 Urin
2 01
2J0/ "^«"^'ö*""«
: = 0,001934
Atmang vorm.
20'
=
0,6/
?i
= 0,000766
nachm.
20'
__
1,2»
1,2 f
=
»1
= 0,00116
3.
Tag in 200 Urin
11,81
13,1/
»
= 0,001797
Atmung Yorm.
20'
=
1,61
3,0/
»»
= 0,001547
nachm.
20'
=
»»
= 0,001934
4.
Tag in 200 Urin
17,51
17,5 1
9»
= 0,016923
Atmung vorm.
—
—
5.
Tag in 200 Urin
19,01
19,4/
»♦
= 0,018566
Atmung vorm.
20'
sssr
4.81
4,4/
»»
= 0,002224
6.
Tag in 200 Urin
24,61
24,6/
?»
= 0,023788
Atmung Yorm.
10'
=
1,4
?»
= 0,001354
nachm.
20'
. —
8,01
3,4!
=
H
— 0,003094
7.
Tag in 200 Urin
12,41
11,4/
»1
= 0,01151
Atmung Yorm.
20'
=
2,1
V
= 0,0208
nachm.
20'
=
0,81
0,8)
JJ
= 0,0007786
8.
Tag in 200 Urin
11,7
f»
= 0,01182
Atmung vorm.
20'
0,81
0,8/
»»
= 0,00029
9.
Tag in 200 Urin
0,91
n7 1
»*
- 0,0007786
479
Oxybuttersäure in 40 cm in 2800 Urin des 3. und 4. Tages.
Linksdrehung von 1,8,
also in 3680 Oxybutters&ure = 2,36 g.
IV. Versneh.
Acetantabelle.
1. Tag in 200 Urin (gewogen) 0,0006 Jod 0 form:
0,00088
Atmung (gewogen) vorm.
30' =
0,01
j,
= 0,00147
nachm.
30' -
0,056
,»
= 0,00082
2. Tag in 200 Urin
0,0176
„
= 0,002587
Atmung (titriert) vorm.
20' ^
2,21
2,2/
,>
= 0,00282
nachm.
30' =
1,M
Ml
?»
= 0,0027076
8. Tag in 200 Urin
0,021
,1
= 0,003087
Atmung vorm. (titriert)
30' =-
3,41
3,4/
»1
= 0,0065756
nachm. (gewogen)
20' --=
0,2
?»
= 0,0294
31*
480
Langatei D-Meyer, Die Acidose im Kindesalter.
4.
Tag in 200 Urin (titriert)
1
]
^•j 1 Jodlösung = 0,009767
AtmnDg vorm.
30' =
7,5 r
= 0,014505
n
aohm
. 30' =
80' =
6,81
6,81
= 0,01315
5.
Tag in 200 UriD
7,81
8,2/
= 0,007736
Atmang vorm.
20' =
2,6 1
= 0,0075426
nt
ichm
. 20' =
2,1 1
= 0,006032
6.
Tag in 200 Urin
2,8
== 0,0027076
Atmang vorm.
20' =
1,6}
1,8 1
= 0,00327
7.
Tag in 200 Urin
2,1
= 0,002031
Atmung
20' =
0,5 1
0,5 1
= 0,00967
8.
Tag in 200 Urin
1,81
Ifif
= 0,001257
V. Veraaeh.
Acet
dntabell
e.
1. Tag in 200 Urin
3,7
Jodlösuug = 0,00358
Atmang vorm.
20'
= 1.01
1,0/
n
= 0,000967
2. Tag in 200 Urin
10,0
n
= 0,00967
Atmung vorm.
20'
= 7,01
= 6,2/
>?
= 0,006883
3. Tag in 200 üfin
19,6
»>
= 0,018532
Atmang vorm.
30'
= 16,01
= 15,8/
»>
= 0,01548
nachm
20'
= 14,8
= 14,6 )
„
= 0,0143117
4. Tag in 200 Urin
22,2
«
= 0,0214674
Atmang vorm.
20'
= 18,0
= 18,2
n
= 0,017406
nachm
20'
= 21,0
»>
= 0,0304605
5. Tag in 200 Urin
14,41
14,6/
>,
= 0,01402
Atmang vorm.
20'
= 1,8 \
1,8/
1»
= 0,00176
6. Tag in 200 Urin
8,3
»1
= 0,00819
Atmung vorm.
20'
= 1,01
= 1,0/
if
= 0,000967
7. Tag in 200 Urin
1,7
>i
= 0,0016439
Atmung vorm.
20'
= 0,8 1
_ Oft
'>
= 0,00077
Oxybutter säure: 20 com Extrakt von 1600 ccm (2. and 3. VersachsUg)-
Drehen 5,2 nach links.
Die H&lfte des 3. Tages ging verloren. Nehmen wir die Ausscheidaog
LaDgstein-Meyer, Die Acidose im Kin desalter.
481
12b zu Oft. 600 com, so macht das eine Gesamtausscheidung Ton ca. 2600 ccm;
darin sind dann
4,3 g Oxybuttersfture = 2,15 p. d.
VI. Versueh.
Acetontabelle.
1. Tag in 200 Urin 8,5 Jodlösung = 0,0082195
Atmong vorm. 15' = 8,0| ^ 00027
= 2,6 J
2. Tag in 200 Urin 24,5
Atmung Yorm. 15' = 8,01
= 3,51
8. Tag in 200 Urin 85,0
Atmung vorm. 20' = 11,0 l
= 10,2 1
nachm. 20* = 16,21
= 16,2/
4. Tag in 200 Urin 9,0
Atmung vorm. 15' = 2,81
= 2,4/
nachm. 15' = 1,21
= 1,2/
5. Tag in 200 Urin —
Atmung vorm. 20' == 0,2 1
= 0,2/
6. Tag in 200 Urin 8,0
#xybntt6r8fture am 2. Tage in 11 ccm Extrakt von 800 ccm
Linksdrehung von 8,6.
also in 1400 = 1,75 g Oxybntters&ure.
= 0,0236915
= 0,0029
= 0,088845
= 0,01025
= 0,0158
= 0,008708
= 0,002514
= 0,000565
= 0,00193
= 0,002901
1. Tag.
2. Tag.
3. Tag.
Versuchs-Protokolle
der Stickstoff- und Ammoniak-Ausscheidung.
I. Versaeh.
N in 5 ccm l^^'^l— S == 34,02 mg
\ 24,4/ 10 ' ^
NH, in 25 ccm I '' l— S = 6,16 mg
\4,3/l0 *
N in 5 ccm i ' l — S = 29,68 mg
121,1/ 10 ^
NHs in 25 ccm T ' 1 — S = 5,11 mg
1 3,6 J 10 *
N in 5 ccm | ^^'^ l — S = 56,14 mg
(40,0/ 10 ' ^
NH, io 25 ccm | J^'J J ^^ = 14,42 mg
482 LaDgttein-Mejer, Die Acidose im Kindetalter.
/ Ol Q \
4. Tag. N in ö ccm < ^ ' > — = 44,45 mg
* 131,7/ 10 ' ^
NH, in 25 ccm I j — = 15,4 mg
5. Tag.
6. Tag. N in 5 ccm { ^JJj^ } ^ = 30.73 mg
NH, in 25 ccm { ^'g j ^ = 7,42 mg
(22 01 n
22]2)ä = 30.94 mg
NH. in 25 com ( ^' 1 — = 6,93 mg
1 4,9 j 10 ' ^
IL Versueti.
Stiokatoff-Tubelle.
l.Tag. N-^--{8M}ä = ^*'^'"«
NH, in 25 ccm | ^'M ~ = 7,56 mg
[ 5,3 J 10
2. Tag. N in 5 ccm | ' 1 - --= 41,16 mg
1 29,8 J 10 ' *
NH, in 25 ccm j J'^ j i = 7,28 mg
f 40,81 n
3. Tag. N in 5 ccm
NH, in 25 ccm
( 10,0 ) D
4. Tag. N in 5 ccm j *® j i = 67,2 mg
NH, iu 25 ccm 1 '^ | i = 30,45 mg
( 22 ) 10
5. Tag. N in 5 ccm j g^'* j ^ = 50,96 mg
NH, in 25 ccm | ^^'® j ^ = 29,38 mg
6. Tag. N in 5 ccm { ^'^J j ^ = 38,64 mg
NH, in 25 ccm I ' 1 — = 20,16 mg
1 14,3 j 10 ' '
{27 1 ^
27'l I fo ^ '''^^ """^
NH, in 25 ccm 8,4 j^ = 1 1,76 mg
Langstein-llejer, Die Acidose im Kindesalter.
483
IIL Venneh.
Stiekitoff-Tabelle.
1. Tag.
2. Tag.
3. Tag.
4. Tag.
5. Tag.
6. Tag.
7. Tag.
8. Tag.
9. Tag.
1. Tag.
{3,51 n
3,5)15 = ^'"""«
37;2}ä = ''•*""«
r35 1 n
'^^™ {34,61 10 = ''''^-^"^^
NH. in 25 ccm{;^;^jf^= 14,14mg
N
NH,
N
NH,
N
NH,
N
NH,
N
N in 5 ccm
r 25,01 _n^^
1 25,1 j 10
35,07 rag
NH, in 25 ccm 13^ = 18,2 mg
NH, in 25 ccm \ ^ } — = 11,34 mg
i 8,2 j 10 '6
NH, in 25 ccm r l ^ = 12,67 mg
l °>1 J 10
' \— = 23,52 mg
16,8 J 10 ^
NH, in 25 ccm | ^^ \ °^ = 7,42 mg
lY. Versueh.
Stickstoff-Tabelle.
(^^'^|iL = 27,86mg
\ 20,0] 10 ' ^
6,16 mg
N in 5 ccm
NH, m 25 ccm { > —
14,4 j 10
484
2. Tag.
3. Tag.
4. Tag.
5. Tag.
6. Tag.
7. Tag.
8. Tag.
9. Tag.
1. Tag.
2. Tag.
LaDgstein-Mejer, Die Acidose im Kindesalter.
r 28,01 n
N in 5 ccm { ^^' \ -- = 39,2 mg
1 28,0] 10 ' ^
NH,
N
NHt
N
NH,
N
NH,
N
NH,
N
NH.
N
n 25 ccm
l6,9jlO •
,66 mg
{20,21 n
' l _ = 28,14 mg
20,0 J 10 *
25 ccm i ' l — = 7,0 mg
\5,lJlO ' ^
'^ '^»■" (Kl ä ='*''""''
r 28.51 n
"^''"""1 28,4)15 = *''«»'"'^
{26,81 n
26,8)lö"-=^''^^"'«
NH, in 25 ccm | ^' | ^ = 18.8« mg
^'"'*''"'{24;8}^ =-'*•''*'"«
NH, in 25 ccm | 'l! 1 ^ = 16,10 mg
U 1,0 J 10
V. Versueh.
Stickstoff-Tabelle.
NH, in 25 ccm (^'^| — ^ 6,16 mg
I 4,0 J 10
f211 D
Nin 5 <^«"^ {21)^0 = ^^'^"^
NH, in 25 ccm I ' \ — = 6,3 mg
l4,6jlO ^
Längste in^Mejer, Die Acidose im Kindesalter. 485
{81,81 D
« r r — =' ^3,96 mg
81,5 J 10
{6,81 n
' r — = 9»66 mg
4. Tag. N iD 5 ccm { g/ 1 ^ = ^^' ^^ ""«
NH, io 25 ccm | l — = 12,6 mg
r26 1 D
5. Tag. N in 5 ccm I ^g 2 j -^ = 36,54 mg
NH, in 25 ccm {[^j^= 16,8 mg
6. Tag. N in ^ ^^"^ 1 29 | ;^ '^ ^^'^ ™^
NH, in 25 ccm { ]^'^} ^^ = 22,89 mg
N in 5 ccm ( ^'^ ] i = 48,02 mg
\ 34,4 J 10 ' ^
r 18,61 n
NH, in 25ccm|jg|g|jQ = 26,18mg
7. Tag
4.
Ans der Königiichen UniTenititskiiiderklinik and dem Königlichen lostitot
for Infektionskrankheiten xa Berlin.
Immunisiemiig dureh Mlleh.
Von
Dr. B. SALGE,
AifEistrat der Klloik.
Im Jahrbach für Kinderheilkande, 60. Band, Heft 1, habe
ich experimentelle Studien über den Durchtritt von Antitoxin
durch die Darm wand des menschlichen Säuglings veröffentlicht,
die mich zu dem Resultate führten, dass die stomachale Ein-
führung von heterogenem Diphtherieantitoxin (Pferdeserum) auch
beim sehr jungen Säugling — 5 Tage alt — keinen Übertritt
von spezifischen Antikörpern in das Blut des Säuglings er-
möglicht. Femer ging aus meinen Versuchen hervor, dass die
in der Frauenmilch enthaltenen Antikörper dem Säugling zagnt
kommen, ein Resultat, dass mit früheren Versuchen an Tieren
(Ehrlich, Römer) übereinstimmt.
Obwohl erst wenige Monate seit Veröffentlichung dieser
Arbeit verflossen sind, bin ich doch schon in der Lage, einige
kritische Bemerkungen zu meinen Experimenten hier zu er-
örtern, die auch für meine untenfolgenden Experimente von Be-
deutung sind.
Siegert hat in der Münchener medizinischen Wochenschrift,
1904, No. 31, S. 1400, in einem wenige Zeilen füllenden Referat,
aus dem Fragestellung und Anlage der Ebiperimente in meiner
Arbeit nicht klar zu erkennen sind, die Meinung geäussert, dass
„Bei der ungemein subtilen Art der bei dieser Methode —
Ehrlich-Marx — massgebenden Kriterien für die Entscheidung
dieser Fragen Methoden verlangt werden mussten, die mit viel
deutlicherem Ausschlag nach der einen oder anderen Seite ein
schärferes Urteil ermoorlichen, als die Marxsche Methode."
Salge, Immanisiernng durch Milch. 487
Es ist ja gar nicht zu bezweifelD, dass Siegert sich ein-
gehend mit dieser Methode beschäftigt, sie wohl ebenso wie ich
unter Leitung eines Fachmanns erlernt hat, wie es jeder Kliniker
tut, der sich mit solchen rein bakteriologischen Arbeiten be-
fassen will. Um so weniger verstandlich erscheint mir seine
Kritik.
Der Ausschlag der Marxschen Methode ist so deutlich,
wie der einer Titrierung; davon hat sich auch Herr Geheimrat
Heubner überzeugt, der mir sicher nicht die Veröffentlichung
einer Arbeit gestattet hätte, deren Methodik ihm nicht einwandsfrei
erschienen wäre. Stets ist es leicht zu sagen : hier hat eine
Absättigung des Diphtherietoxins stattgefunden, hier nicht
mehr. Das Prinzip der Methode sei hier nochmals kurz an-
gegeben.
Marx bestimmt diejenige Menge von Diphtherietoxin be-
kannter Wertigkeit, die eben noch ein deutliches — auf den
ersten Blick — erkennbares Ödem an der Injektionsstelle er-
kennen lässt, und ferner diejenige Antitoxin menge, die genügt, um
diese Toxinwirkung zu verhindern und die Injektionsstelle ohne
Veränderung erscheinen zu lassen. Wie scharf diese Grenze ist,
mag aus der Vorprüfung, die ich wiederholt vor meinen Ver-
suchen mit Normal-Antitoxin angestellt habe, hervorgehen.
^/lo der absolut tödlichen Toxindosis des mir zur Verfügung
stehenden Giftes ergibt mit Veoo? \'ioo«) \i2oo I.-E. Freisein der
Injektionsstelle von irgend einer Veränderung, bei Mischung mit
Vi5oo I.-E. ist ein durchaus deutliches Ödem zu erkennen. Das
trifft nicht nur in einer Versuchsreihe zu, sondern wiederholt
sich mit Sicherheit immer wieder, sofern nur die Methode wirklich
korrekt und richtig angewendet wird. Zwischen V1200 ^^^ V1500
ist kein grosser Sprung, nur der von */oooo auf */flooo» ^'^ Fehler-
grenze ist also denkbar eng.
Ich kann demnach nicht anerkennen, dass man einen „viel
deutlicheren Ausschlag*' von einer geeigneten Methode verlangen
muss. Noch deutlicher ist nicht wohl zu erwarten.
Wenn Siegert weiter von den ungemein subtilen Kriterien
dieser Methode spricht, so kann ich mich ihm darin auch nicht
anschliessen. Man hat nur darauf zu achten, dass man mit
Meerschweinchen arbeitet, die das Gewicht von 250 g haben.
Wer die Titerstellung mit Tieren von 200 g und die Versuche
mit Tieren von 300 g macht, bekommt ein verkehrtes Resultat;
«benso wenn innerhalb einer Versuchsreihe ein zu schweres oder
4b8 Salge, ImmanUieraDg darch 11 lieh.
zu leichtes Tier ist, wird die TitrieruBg — so kann man die
Methode wohl nennen — undeutlich. Das ist das einzig
schwierige der Methode, sich immer das passende Tiermaterial
zu beschaffen, und hat mir oft reichliche Mühe gemacht. Sonst
ist alles recht einfach für jeden, der mit derartigen Methoden
überhaupt zu arbeiten gelernt hat.
Ich muss mich entschieden dagegen verwahren, mit einer
Methode gearbeitet zu haben, deren Genauigkeit für die Ent-
scheidung der vorliegenden Fragen nicht ausreicht, vielmehr ist
sie recht gat fundiert und von dem berufensten Beurteiler der
Methoden zur Wertbemessung von Toxinen und Antitoxinen^
Herrn Geheimrat Ehrlich, für richtig und zuverlässig erklärt
worden.
Das Vorstehende mag auch als Antwort für Barten stein
dienen, der in der Monatsschrift für Kinderheilkunde die Methode
von Marx „ungemein subjektiv^ genannt hat. Die Nachprüfungen
der Methode, die Bartenstein zu diesem Urteil führten, werden
hoffentlich bald veröffentlicht.
Ganghofner und Lange, Münch. med. Wochenschr., 1904^
haben in einer recht interessanten Arbeit auch meiner Studien
Erwähnung getan und dabei die Ansicht geäussert, dass der Darm
bezw. Magen auch des jungen — 5 Tage alten — Säuglings im-
stande ist, die geringe Eiweissmenge, die ich mit den 3000 L-E.
eingeführt habe, vollständig zu verdauen und damit das Anti-
toxin zu vernichten.
Das glaube ich auch.
Für die Entscheidung der von mir aufgeworfenen Fragen
ist das aber ziemlich gleichgültig.
Es kam mir nicht darauf an, zu untersuchen, ob von art-
fremdem Eiweiss bei reichlicher Fütterung Spuren in das Blut
des Säuglings übergehen, was nach unserer jetzigen Kenntnis ja
vielleicht möglich ist, aber stets einen pathologischen Zustand
bedeutet. Ich bin vielmehr von den Anschauungen v. Behrings
ausgegangen, der physiologisch eine Resorption von antitoxischen
Stoffen behauptete. Ist eine solche Resorption wirklich möglich,
so muss doch angenommen werden, dass innerhalb gewisser
Grenzen stets äquivalente Teile resorbiert werden; wenn also
z. B. die Resorptionsfähigkeit Vio oder Vioo ^^^ eingeführten
Menge betrüge, so wird eben stets diese Menge resorbiert werden
gleichgültig, ob damit eine grössere oder geringere Menge Serum
eingeführt wird. Über die chemische Konstitution des Antitoxins
Salge/lmmunisiernDg darch Milch. 489
M'issen wir bisher so gut wie nichts, folgen wir aber der bisher
am meisten vertretenen Ansicht, dass das Antitoxin an das
Eiweissmolekül gebunden ist, so>kann man sich doch den Unter-
schied in der Wertigkeit eines Serums nur so vorstellen, dass
bei einem hochwertigen Serum sehr viele Moleküle in einem be-
stimmten Volumen Träger der antitoxischen Kraft sind, in einem
weniger hochwertigen Serum entsprechend weniger.
Wenn ich meinen Kindern 3000 I.-E. zugeführt habe, so
heisst das, dass eine bestimmte Zahl von Molekülen eingeführt
werden, die Träger der antitoxischen Kraft sind. Ob daneben
noch andere Eiweissmoleküle mit dem Pferdeserum eingeführt
werden, ist ganz gleichgültig, wenn man von der Voraussetzung
ausgeht, dass die Darmwand des jungen Säuglings physiologisch
für Eiweissmoleküle und damit für Antitoxin permeabel sei.
Die Anwesenheit von nicht spezifisch wirksamem Pferde-
serum, wie es bei minderwertigem Serum der Fall wäre, könnte
doch höchstens störend wirken, indem bei Anwesenheit grosser
Mengen des zu resorbierenden StofiPes die Resorption eine weniger
vollständige würde und unter dem nicht resorbierten Anteil sich
auch eine mehr oder weniger grosse Menge von antitoxischen
Serummolekülen befinden könnte.
Ich hatte also ganz recht, wenn ich möglichst konzentriertes
Heilserum verfütterte; denn wenn auch nur ein verschwindend
kleiner Teil des Serums resorbiert wurde, wie das nach den An-
gaben v. Behrings und Römers zu erwarten war, so musste
sich das im Blute des Kindes zeigen. Bei grösseren Mengen
weniger hochwertigen Serums wäre die Resorption einer grösseren
Menge notwendig, um den gleichen EfiPekt zu erzielen.
Ganz anders stellt sich allerdings die Frage, wenn man die
Resorption von artfremdem Eiweiss — in biologisch noch nach-
weisbarer Form — als einen pathologischen Vorgang auflFasst,
beruhend auf einer Insuffizienz der Verdauungssäfte. So ist ver-
mutlich die Resorption des fremden Eiweisses zu erklären, die
Oanghofner und Lange gesehen haben, und ich halte es durch-
aus für möglich, dass bei relativer Überfütterung mit Pferdeserum
«in kleiner Teil auch in noch biologisch nachweisbarer Form in
das Blut übergeht und damit eventuell auch in dem Serum ent-
haltene Schutzstoffe mit übergeführt werden können.
Für eine therapeuthische Verwertung hat ein solcher Vor-
gang aber gar keine Bedeutung, und auf die Prüfung der thera-
peutischen Verwertbarkeit der v. Behringschen Anschauungen
490 Salge, ImmuniBierang darch Milch.
kam es mir bei meinen Experimenten allein an. Einem Säugling
soviel fremdes Eiweiss zuzufahren, dass sein Darm insuffizient
wird und mit dem fremden Eiweiss auch eventuell einige Schutz-
stoffe hin durchtreten lässt, wird wohl auch der begeistertste
Serotherapeut nicht in Vorschlag bringen.
Ich darf demnach wohl behaupten, dass der Darm des
Säuglings, auch des sehr jungen — 5 Tage alten — , Antikörper,,
die in heterogenem Serum enthalten sind, nicht durchlässt.
Femer ging aus meinen Versuchen hervor, dass in der
Frauenmilch zugeführte Antikörper dem Säugling zu gute kommen^
eine Tatsache, die hier zum erstenmal für den Menschen experimentell
erhärtet wurde, nach den vorliegenden Untersuchungen an Tieren
(Ehrlich, Römer), aber nicht anders erwartet werden konnte.
Es blieb die Frage zu untersuchen, ob der negative Ausfall
der einen, der positive Ausfall der anderen Art der stomachalen
Zuführung der Antikörper darauf zurückzuführen sei, dass ein-
mal Blutserum, das andere Mal Milch der Träger der Immunkörper
war, oder ob es darauf ankommt, dass das eine Mal das Antitoxin
an heterologes, das andere Mal an homologes Eiweiss gebunden
zur Verfütterung kam.
Zur Entscheidung dieser Frage war es notwendig, mensch-
liche Säuglinge mit Milch zu ernähren, die von immunisierten
Tieren stammt und in der der Gebalt von spezifischen Antikörpern
direkt nachgewiesen wurde.
Nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten waren es, die sieb
der Ausführung der beabsichtigten Versuche entgegenstellten.
Zunächst war es für mich zur Zeit ganz unmöglich, geeignete
Milchtiere — Ziegen — unterzubringen, und nur durch da&
freundliche Entgegenkommen des stellvertretenden Direktors des
Koch sehen Instituts, Herrn Geheimrat Dönitz, und des Ab-
teilungsleiters dieses Institutes, Herrn Professor Wassermann^
war es mir möglich, geeignete Tiere einzustellen und in der ge-
wünschten Weise zu immunisieren. Die Immunisierung der Tiere
wurde unter Leitung von Herrn Professor Wassermann durch
Herrn Dr. Brück besorgt, der sich dieser Aufgabe mit der
grössten Sorgfalt unterzog, wofür ich ihm meinen herzlichsten
Dank ausspreche.
Des weiteren fehlte es an den nötigen Geldmitteln, die
zu bestreiten unser sehr kleiner wissenschaftlicher Fond nicht
ausreichte. Dem Kuratorium der Gräfin Böse- Stiftung, die es
mir s. Z. schon ermöglichte, die notwendigen Vorstudien in
Salge, ImmuDisieroDg darch Milch. 491
Frankfuii; a. M. zu machen, verdanke ich es, dass mir ausreichende
Mittel gewähi-t wurden, wofQr ich an dieser Stelle meinen besten
Dank sage. Zunächst will ich die Versuche besprechen, die sich
mit der Verfutterung von Milch gegen Diphtherie immunisierter
Ziegen beschäftigen.
Eine milchgebende Ziege wurde so immunisiert, dass in
1 ccm der Molke ^ao I.-E« enthalten war. Mit dieser — natürlich
rohen — Ziegenmilch wurden 3 Kinder genähi*t und untersucht
ob nach der Ernährung mit dieser Milch ein . Ansteigen des
Antitoxingehalts im Blut zu beobachten war.
Das Kind K. wird im Alter tod 4 Tagen wegen puerperaler Er-
krankung der Matter von der geburtshülflichen Station zur Säuglings-
abteilung verlegt. Es ist ein zartes, grazil gebautes Kind, vielleicht etwas
zu früh geboren, wiegt 2660 g. Irgendwelche krankhafte Veränderungen
sind an dem Kinde nicht nachzuweisen.
Die Untersuchung des Serums auf Diphtherieantitoxin ergibt:
^/lo der absolut tödlichen Dosis des Giftes gemischt mit
i/]5 ccm des Serums —
'ho n
r
n
—
'In o
n
y,
+
'/im n
1»
»
+
'/«• »
»
1«
+
'/»oo ,
n
»
+
Hierbei bezeichnet — Freisein der Injektionsstelle beim
Meerschweinchen von jeder Veränderung, -j" Auftreten eines
entzündlichen Ödems an der Injektionsstelle. Ersteres bedeutet
eine Neutralisierung des Giftes, letzteres das Ausbleiben
derselben.
Für Einzelheiten der Methodik muss ich auf meine oben
erwähnte Arbeit verweisen und auf eine Arbeit von Marx:
Die Bestimmung kleinster Mengen Diphtberieantitoxin, CentralbL
f. Bakteriol. etc., Bd, 36, 8. 141.
Da ^,200 diejenige Antitoxinmenge ist, die eine Absättigung
des Giftes ermöglicht, so enthält das Serum des Kindes in
Vso ccm ViÄoo I»-E. in 1 ccm, also \,24 I-E., d. h. es ist ^^4
Norm aiser um.
Bei einem Gewicht von 2600 g hat das Kind im ganzen
ungefähr 100 ccm Serum mit i — 5 I.-E.
Das Kind erhielt drei Wochen lang täglich 80—120 ccm Ziegenmilch,
enthalten in einer '/g Milch, nach der ersten Woche wurde nebenher noch
Vs Kuhmilch gegeben. Das Gewicht blieb in den ersten 10 Tagen stehen
und nahm dann in 11 Tagen um 120 g zu. Im ganzen erhielt das Kind
2000 g Ziegenmilch in 21 Tagen, pro Tag also etwa 95 ccm. In diesen
95 ccm sind 95 : 20, also etwa 5 I.-£. enthalten.
492 Salge, Immanisieraog durch Milch.
Überlegen wir uns nun einmal, wieviel Antitoxin von dieser
an einem Tage zugeführten Menge resorbiert werden musste,
damit das Serum bei dem nächsten Werte der Versuchsreihe,
^/75 ccm, eine schützende Kraft ausüben könnte. Wenn in
V76 ccm ^/isoo I-£. enthalten ist, dann sind in 100 ccm
.- = 6,25 I.-E. enthalten. Wenn also in das Serum, das, wie
12
oben die Untersuchung ergab, 4—5 I.-E. enthielt, noch höchstens
2,25 I.-E. übergingen, so musste das Serum bereits in ^^75 ccm
V1200 I*-E. enthalten, d. h. imstande sein, Vio der absolut töd-
lichen Giftmenge abzusättigen. Das entspräche einer Resorption
von 50pCt., was, die Möglichkeit der Resorption dieser Körper
vorausgesetzt, noch immer eine recht schlechte Ausnutzung wäre.
Dem Kinde wurde diese Antitoxinmenge 21 Tage lang zu-
geführt, und es ist anzunehmen, dass dadurch im Serum des
Kindes eine Ansammlung von Antitoxin bis zum gewissen Grrade
zustande käme. Denn wenn auch natürlich mit einer fort-
währenden Ausscheidung von Antitoxin zu rechnen ist, so ist
es doch kaum wahrscheinlich, dass die täglich zugeführten
Mengen auch täglich wieder vollständig ausgeschieden werden.
Wir wissen, dass bei der künstlichen subkutanen Immuni-
sierung das Antitoxin noch ca. 20 Tage nach der Injektion
nachweisbar ist, dass bei Zuführung sehr grosser Mengen zu-
nächst eine relativ starke Ausscheidung eintritt, die dann nur
langsam fortschreitet.
Es ist also anzunehmen, dass bei dem Kinde, dem täglich
5 I.-E. zugeführt wurden, nach 20 Tagen auch bei der oben
supponierten schlechten Resorption genügende Mengen von Anti-
toxin im Blutserum vorhanden sein mussten, die die stattgehabte
Resorption beweisen würden. Die Untersuchung des Blutserums
nach drei Wochen ergab:
^/io der absolut tödlichen Giftdosis gemischt mit
*/25 ccm
des Serums —
/6O n
r> »
—
^llb »
n n
+
VlOO r>
n »
+
Vl50 n
7i 7^
+
V200 »
J5 T)
+
d. h. der Antitoxingehalt
im Serum des Kindes hat sich nicht
verändert.
I^alge, ImmanisieruDg durch Milch. 493
Das Kind hat allerdings in dieser Zeit um 120 g zugenommen
und wiegt 2720 g, es hat jetzt also etwa 105 ccm Blutserum.
Diese Differenz ist indessen so gering, dass sie für eine un-
mittelbare Vergleichung beider Versuchsreihen keinen Fehler
bedeutet.
Bei diesem Kinde, das von seinem 4. bis zum 25. Lebens-
tage mit Immunmilch ernährt wurde, ist also kein Durchtritt
Ton Antitoxin nachzuweisen.
Das zweite Kind, das mit der Milch der gegen Diphtherie immuni-
sierten Ziege ernährt warde, wurde 9 Tage alt von der geburtshfilflichen
Station zur Kinderklinik verlegt, weil es dunoe Stühle hatte.
Es handelt sich um ein sehr zartes, wahrscheinlich zu früh geborenes
Kind, mit sehr mangelhaftem Fettpolster und einem Gewicht von 2300 g.
Das Kind erhielt 18 Tage lang '/g Ziegenmilch, wobei es im Ganzen
1400 reine Ziegenmilch, pro Tag also 78 ccm erhielt.
Damit wurden dem Kinde täglich 3,8 I.-E. stomachal zugeführt, im
ganzen 70 !.-£•
Die Prüfung seines Serums vor Beginn der Fütterung mit der
Jmmunmilch ergab:
Vio der absolut tödlichen Dosis gemischt mit
i/ts ccm des Serums 4~
V»0 9 n » +
Vioo » >» I» +
Vjoo » « » +
Demnach war also in dem Serum entweder kein Antitoxin
25
enthalten oder noch weniger als Yöfv\ ^^^ <^cmj d. h. das Serum
entsprach noch nicht einmal einem ^48 Normalserum.
Da es mir nicht möglich war, noch grössere Mengen
Serum des Kindes zu untersuchen, so fehlt mir die Begrenzung
des eventuell vorhandenen Antitoxingehalts, und ich bin für die
Berechnung gezwungen, anzunehmen, dass das Kind überhaupt
kein Antitoxin hatte.
Wieviel Antitoxin muss das Kind aufnehmen, um in Vas ccm,
der kleinsten zu prüfenden Menge, ^/i2oo I-£^* zu haben?
Das Kind wiegt 2300 g, es hat ungefähr an Serum 90 ccm,
in denen ungefähr 2 I.-E. enthalten sein mussten. Am Ende
^es Versuchs wiegt das Kind 2600 g, hat also etwa 100 ccm
Serum, in denen etwas über 2, höchstens 2,5 I.-E. enthalten
sein mussten, um das Serum zu einem ^/^g Normalserum zu
machen, d. h. um in ^/jj ccm Serum Viaoo I--E. aufzuweisen.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI, Heft S. $2
494 Sa Ige, Immunisierang darch Milche
Nach den bei Besprechung des ersten Falles angestellten
Erwägungen hätte dieser Gehalt an Antitoxin wohl erwartet
werden können, wenn eben die Möglichkeit der Resorption ge-
geben war.
Die Untersuchung am Ende des Versuches zeigte aber,
dass in dem Serum ebenso wenig Spuren von Antitoxin nach*
weisbar waren, als vor der Fütterung mit Immunmilch.
Gegen die Verwertung des Versuches für die hier auf-
geworfene Frage spricht aber manches.
Zunächst war das Kind bei Beginn des Versuches nicht
darm-gesund, wie sich aus den dünnen Stühlen ergab; diese
besserten sich allerdings nach 4 Tagen und wurden schliesslich
gut. Kurz vor Beendigung des Versuches stellte sich aber eine
unzweifelhafte Lues bei dem Kind heraus, unter deren Einfluss
der Ernährungszustand bald sehr zurückging, und an der das
Kind trotz der sofort eingeleiteten spezifischen Behandlung uod
der Ernährung mit Frauenmilch nach weiteren 7 Tagen verstarb.
Ich habe den Fall hier mit erwähnt, weil er zu meinen
Versuchen gehört, bin mir aber wohl bewusst, dass seine Be-
urteilung zu kompliziert ist, um ihn nach der einen oder andern
Seite zu verwerten.
Der dritte Fall betrifft ein Kind, bei dem mit der Er>
nährung mit Ziegen-Immunmilch im Alter von 34 Tagen be-
gonnen wurde.
Das Kind kam im Alter von 23 Tagen mit einer leichten Dyspepsie
auf die S&uglingsstation, die unter geeigneter Behandlung bald abheilte
Das Gewicht betrug zu Beginn des Versuches 3360 g, bei Beendigung 3510 g.
Die Untersuchung des Serums vor Beginn der Fütterung mit Immun »
milch ergab:
Vio <ier absolut tödlichen Giftdosis gemischt mit
^'ji ccm Serum —
'/so " 1. — gan« geringe Rötung
Vioo , » +
' liO '^ « +
Das Serum enthielt also in * 50 ccm ^/^oo I.-E. (offenbar
war hier gerade der Grenzwert), d. h. es entsprach '/j4 Normal-
serum.
Bei einem Gewicht von 3360 g hatte das Kind etwa
180 ccm Serum, im ganxen also 5,4 L-E. Am Ende des Ver-
suchs wog das Kind 3510 g, hatte also etwa 135 ccm Serum.
Salge, Immanisierniig durch Milch. 495
Um in ^/loo ccm, der nächsten zur Prüfung angestellten
Verdünnung, ^isoo I--E- zu enthalten, d. h. um einem Vn Normal-
serum zu entsprechen, mussten in der ganzen Serummenge ent-
1 ^K
halten sein =11,25 I.-E.
La
Da, wie oben ausgeführt, 5,4 I.-E. in dem Serum bereits
enthalten waren, so mussten nur 5,85 I.-E. hinzutreten, um den
Ausschlag deutlich zu machen, d. h. nach Beendigung des Ver-
suches musste ^/loo ccm Serum die Fähigkeit besitzen, Vio ^^r
absolut tödlichen Dosis des Diphtheriegiftes zu neutralisieren.
Das Kind erhielt 21 Tage lang in Form von ^/s Milch im
ganzen 3360 ccm Immunmilch und damit 168 I.-E., pro Tag
160 ccm und damit 8 I.-E. Es kann keinem Zweifel unter-
liegen, dass die geforderte Aufnahme von noch nicht 6 I.-E. in
der ganzen Zeit mindestens vorausgesetzt werden darf, wenn
man überhaupt von einer Resorption reden darf.
Die Untersuchung des Blutserums nach Beendigung des
Versuches ergab:
y^o d^^* absolut tödlichen Giftdosis gemischt mit
^/a6 ccm Serum —
^/so „ j> -f" etwas geringer als Kontrolle
/lOO n » "r
/l50 » » I
d. h. es war nicht nur kein Antitoxin gewonnen worden, sondern
das Kind hatte sogar etwas Antitoxin verloren, wie aus der
veränderten Reaktion mit ^/so ccm Serum hervorgeht.
In der ersten Bestimmung konnte noch angenommen
werden, dass ^/go ccm eben noch das Gift zu neutralisieren im
stände wäre, wobei es sich, wie oben betont, allerdings um einen
Grenzwert handelt. Bei der zweiten Untersuchung konnte eine
Schutzwirkung nicht mehr anerkannt werden, doch machte sich
die relative Ruhe des Grenzwertes immerhin dadurch bemerkbar,
dass die Reaktion geringer ausfiel, als bei dem Kontrolltier.
Aus den vorstehend mitgeteilten Versuchen ergibt sich, dass es
mir nicht gelungen ist, durch Verfutterung von Milch, die von
einer diphtherie-immunisierten Ziege stammt, eine Übertragung
von Antitoxin auf den menschlichen Säugling zu erzielen.
Das Alter der Kinder ist im ersten Versuch so niedrig wie
nur irgend möglich, im dritten Versuch war das Kind schon einen
32*
496 Salge, Immaoisierang darch Milch.
Monat alt. IfVill man das zu einem Einwand gegen die Versuche
benutzen, so sei dagegen gesagt, dass alle diese Untersuchungen
nur angestellt wurden, um die therapeutische Yerwertbarkeit der
V. Behringschen Anschauungen zu prüfen. In praxi dürfte es nach
Möglichkeit zu vermeiden sein, Kinder unter einem Monat künst-
lich zu ernähren und musste auch in unseren Fällen nur geschehen,
weil Frauenmilch leider nicht zur Verfügung stand, so dass eine
Methode, die jenseits dieser Altersgrenze nicht mehr anwendbar
ist, überhaupt kaum berechtigt erscheint.
Zur weiteren Klärung der Frage habe ich noch entsprechende
Versuche mit Milch von einer gegen Typhus immunisierten Ziege
gemacht.
Das betreffende Tier war so hoch gegen Typhus immunisiert,
dass 0,04 ccm der Milch ausreichten, um ein Meerschweinchen
von ca. 200—220 g gegen 2 mg (10 fach tötliche Dosis) Typhus-
bazillen zu schützen. Nach Beendigung der Versuche war der
Titer der Milch noch derselbe.
Ein Kind von 9 Wochen (der letzte Fall der mitgeteilten
Diphtherieversuche), mit einem Gewicht von 3510 g erhielt in
Form von ^/j Liter Milch 27 Tage lang Typhus-Immunmilch, im
ganzen 5415 g pro Tag, also etwa 200 ccm.
Das Serum des Kindes zeigte vor dem Versuche keinen
Schutz gegen Typhus, wenigstens waren 0,5 ccm des Serums
noch nicht imstande, den Tod der Tiere zu verhindern oder auf-
zuschieben.
Ganz genau so verhielt sich das Serum nach der 27 tägigen
Fütterung mit Immunmilch. Ich lasse die Versuchsprotokolle vor
und nach der Fütterung folgen.
A. Vor der Fütterung.
Je ein Meerschweinchen erhält 2 mg (einer Öse) eine 24 stünd-
lichen Typhuskultur (Typhus-Stamm W) gemischt mit:
0,01 ccm Serum tot nach 20 Stunden
0,05 , „ „ „ 18 „
0»1 n » » » 19 »
0,2 jf „ „ „ 20 „
Oi5 „ „ „ „ 20 „
Saige, Immanisierang durch Milch. 497
B. Nach der Fütterung.
Je ein Meerschweinchen erhält 2 mg einer 24 stündigen
Typhusagarkultur (Typhus-Stamm W) gemischt mit:
0,01 ccm Serum tot nach 20 Stunden
0,05 „ „ „ „ 20 „
0,1 « „ „ „ 20 „
0,2 „ „ 9 M 20 „
0,5 „ „ „ „ 20 „
Das Serum hat also keine Spur Typhusantikörper gewonnen,
obwohl recht beträchtliche Mengen mit der Milch zugeführt
wurden.
Das Kind wog am Ende des Versuchs 3560 g, war also im
wesentlichen auf seinem Gewicht stehen geblieben. Neben der
Ziegenmilch hatte das Kind noch täglich etwa 150 — 200 ccm
Ammenmilch erhalten, nachdem ich mich davon überzeugt hatte,
dass in dieser keine Typhus-Schutzkorper enthalten waren.
Eine genauere Berechnung nach Art der oben für die
Diphtherieversuche aufgestellten, glaube ich unterlassen zu dürfen.
Es ist unschwer, einzusehen, dass bei nur einigermassen wesent-
licher Resorption der vorhandenen Schutzkörper, die sich bei der
Torgenommenen Untersuchung des Serums hätten zeigen müssen.
Eine weitere Untersuchung wurde an dem Kinde M. angestellt,
das im Alter von 9 Wochen zur Aufnahme kam mit einer massigen
Dyspepsie, die sich bald besserte. Bei Beginn der Untersuchung
war die Darmtätigkeit des Kindes in Ordnung, es war 12 Wochen
alt und wog 2850 g, war also sehr zurückgeblieben. Ob es sich
um eine Frühgeburt handelt, ist nicht zu eruieren, aber wahr-
scheinlich, da das Kind zur Zeit der Aufnahme, also im Alter
von 9 Wochen, nur eine Körperlänge von 48 cm hatte.
Das Serum des Kindes ergab bei der Prüfung vor der
Fütterung mit der Typhus-Immunmilch folgende Werte:
Je ein Meerschweinchen intraperitoneal geimpft mit 2 mg
einer 24 stündigen Typhus- Agarkultur gemischt mit:
0,05 ccm Serum tot nach ca. 20 Stunden
0,1 5, „ n n 5j20 „
0,2 „ „ „ „ „ 20 «
0,5 „ „ „ „ „ 20 „
In dem Serum waren also keine Typhus - Antikörper nach-
weisbar.
498 Sa Ige, ImmuDisUruDg durch Milch.
Das Kind erhielt 27 Tage lang die Milch der gegen Typhus
immunisierten Ziege, in den ersten 8 Tagen in Form von ^/^ Milch,
später in Form von Va Milch. Daneben bekam es Frauenmilch,
in der keine Typhusschutzkörper vorhanden waren. Im ganzen
wurden 2200 ccm Ziegenmilch verfüttert, das Kind erhielt also
pro Tag etwa 80 ccm.
Die Untersuchung des Serums ergab genau dieselben Werte,
wie vor der Fütterung, d. h. es war nichts von Typhus - Anti-
körpern im Blutserum des Kindes nachweisbar.
Das Kind wog am Ende des Versuchs 3020 g.
Es darf wohl auch in diesem Falle ohne weitere Berechnung
angenommen werden, dass bei vorhandener Resorptionsmöglichkeit
genügende Mengen von Antikörpern hätten ins Blut übertreten
müssen, um den Nachweis zu ermöglichen. Es ist nach diesen
Resultaten der Schluss berechtigt, dass die Fütterung
mit artfremder Milch, in der antitoxische oder bak-
terizide Substanzen mit Sicherheit nachgewiesen sind,
nicht zu einer Übertragung dieser Körper auf den
menschlichen Säugling führt.
Ich will hier nochmals auf das Alter der Kinder zurück-
kommen, an denen die vorstehenden Beobachtungen angestellt
wurden.
Ich habe mich zunächst bemüht, den Anschauungen
Dr. V. Behrings und Römers folgend, möglichst ganz junge
Kinder zu diesen Beobachtungen zu wählen. Jedem, der mit der
Ernährung ganz junger Säuglinge vertraut ist, ist bekannt, wie
grosse Schwierigkeit die künstliche Ernährung dieser Kinder
macht und dass Störungen der Verdauungstätigkeit ausserordent-
lich leicht dabei eintreten. Nachdem durch die erste hier mit-
geteilte Beobachtung die Frage, auch unter Berücksichtigung
der V. Behringschen Anschauungen über den Einfluss des Alters
auf die Resorptionsfähigkeit von Antikörpern, im wesentlichen
bereits entschieden war, habe ich mich nicht entschliessen können,
auch die weiteren Beobachtungen an so jungen Säuglingen an-
zustellen.
Denn wenn auf der einen Seite die Frage nach der Möglich-
keit, einen Säugling durch die Nahrung (Milch) gegen Krank-
heiten zu schützen, von so enormer Wichtigkeit ist, dass meine
therapeutischen Versuche vollberechtigt sind, so muss man doch
andrerseits betonen, dass Kinder in den ersten Lebenstagen nur
mit Frauenmilch ernährt werden dürfen und die Ernährung mit
Salge, ImmunisieraDg darch Milch. 499
einer Immanmilch in praxi erst später eintreten könnte. Soll der
Gedanke v. Behrings für die Immunisierung des menschlichen
Säuglings überhaupt Erfolg versprechen, so muss unbedingt ge-
fordert werden, dass die Fähigkeit zur Resorption von Antikörpern
wenigstens bis zum Abschluss des ersten Vierteljahres besteht.
Denn erst dann dürfte es möglich sein, ohne die normale Er-
nährung und Entwicklung zu gefährden, genügende Mengen von
Immunmilch dem Säugling zuzuführen. Aus diesen Gründen
halte ich für die praktische Beurteilung auch meine Versuche an
den 9 und 12 Wochen alten Kindern für beweiskräftig.
Schliesslich sei mir noch eine Bemerkung in Bezug auf die
jetzt so vielfach betonten „lebenden" Eigenschaften der rohen
Milch gestattet.
Mir scheint es nach meinen Versuchen, dass diese „lebende"
Frauenmilch für den menschlichen Säugling, die „lebende" Kuh-
milch für das Kalb von Bedeutung ist, dass aber in keiner Weise
in dieser Beziehung eine Milch die andere vertreten kann.
o.
Ein Beitrag zur Bekämpfiing der grossen
Säuglingssterblichkeit
Von
Dr. MAX EBERT,
VolontännüiteDt an der UniTerBitäu-Klndei^Poliklinik der K^l. Ghtfitö.
Auf Grund von Berechnungen nach Angaben des statistischeo
Amtes starben in Berlin nach Dr. Georg Heimann ^) in den
Jahren 1897/1901 jährlich durchschnittlich 10993 Kinder im ersten
Lebensjahr, d. h. 22,2 pCt. der Lebendgeborenen.
Von den Todesursachen entfielen nach demselben Autor
mehr als ein Drittel auf Verdauungskrankheiten. Es starben von
lOO Lebendgeborenen an Magen darmkatarrh und Brechdurchfall
im Durchschnitt der Jahre 1897/1901 in Berlin 8,5.
Verglichen mit den Gefahren der Erkrankuugen des Ver-
dau ungskanales treten nach Dr. Heimann diejenigen anderer
Organe völlig in den Hintergrund. Es erlagen Krankheiten der
Atmungsorgane 2,7; Infektionskrankheiten 1,3; Gehimkrank-
heiten 0,4; anderen oder nicht angegebenen Erkrankungen 2,1 pCt.
der Lebendgeborenen.
Es sterben demnach allein in Berlin jährlich im Durchschnitt
3500 Kinder im ersten Lebensjahr an Krankheiten der Yerdauungs-
organe.
Die verhängnisvolle Bedeutung der Verdauungskrankheiten
liegt aber nicht nur darin, dass alljährlich eine so grosse Zahl
von Kindern an ihnen stirbt, sondern sie schwächen auch bei
längerer Dauer durch die damit verbundene Unterernährung des
Körpers den Gewebe- und Säftewiderstand desselben derart, dass
er anderen Erkrankungen — besonders Infektionskrankheiten —
gegenüber sehr empfänglich wird und dass er den Einflüssen der-
0 Dr. med. Georg Heimann, Die Säuglingssterblichkeit in Berlin.
Zeitschr. f. Sozialwissenschaft. VII. Jahrg. H. 4. S. 288 n. f.
Ebert, Ein Beitrag zur Bekämpfang etc. 501
selben viel leichter erliögt, als ein gat genährter, wohl durch-
bluteter Körper.
Mit Recht kann man daher eine grosse Zahl der jährlichen
Todesfälle aus anderen Ursachen im Grunde auf Verdauungs-
störungen zurückführen.
Trotz grosser sanitärer und hygienischer Fortschritte war
die Abnahme der Säuglingssterblichkeit in den letzten Jahren
gegen früher so wenig befriedigend, dass der Berliner Magistrat
der Stadtverordneten -Versammlung eine Vorlage über die Bildung
einer gemischten Deputation zur Beratung von Massnahmen zur
Herabsetzung der Säuglingssterblichkeit hat zugehen lassen.
Unter den Ursachen der Verdauungskrankheiten spielt be-
kanntlich ausser gelegentlichen Diätfehlern, schlechter Nahrung
oder Infektion die falsche Ernährung eine hervorragende Rolle.
Alle Bestrebungen, die , darauf gerichtet sind, die grosse
Säuglingssterblichkeit herabzusetzen durch Verbesserung in der
Gewinnung, der Reinigung, dem Transport und der Verarbeitung
der Milch (Abkühlen, Zentrifugieren, Sterilisieren und Pasteuri-
sieren), werden erst dann ein befriedigendes Resultat haben können,,
wenn damit eine allgemeine praktische Belehrung der Mütter in
den Grundsätzen einer vernünftigen Säuglingsernährung Hand in
Hand geht.
Schon vor 35 Jahren stellte die Pariser Akademie in einer
Beratung über die Ursachen der hohen Säuglingssterblichkeit^
nach eingehender Diskussion, die Behauptung auf:
„Die Unwissenheit in den elementarsten Regeln der Er-
nährung der Säuglinge ist eine der Hauptursachen der so zahl-
reichen tödlichen Verdauungskrankheiten in diesem Alter !^
Um zu beweisen, dass dieserSatz in vollem Umfange auch heute
noch gilt, habe ich in der Universitäts - Kinder - Poliklinik der
Kgl. Charitö in Berlin eine Statistik aufgenommen, welche die
Antworten von 270 Müttern auf Fragen nach der künstlichen Er-
nährung ihrer Kinder umfasst.
Jeder Mutter, welche mit einem Flaschenkiude unter einem
Jahr in die Poliklinik kam, legte ich folgende Fragen vor:
1. Kochen Sie Milch und Zusatz zugleich ab, und heben Sie
beides als fertige Tagesnahrung in einem Topf auf?
2. Kühlen Sie die Nahrung, nachdem sie gekocht hat, schnell
in kaltem Wasser ab?
3. Heben Sie die Nahrung verschlossen auf?
502
Bbert, Ein Beitrag zar Bek&mpfang
No.i
1 Alter
wicht ^ Diagnose
Frage
l
Frage
8
Frage ! Frage
8 4
, Frage
5
66 . 9 W.
R. E.
4400
5000
Angiom
nein
nein
ja
ja
600 1:1
850>-4l0 1 1:1
67
8 W. ; 5000
R. E. . 4600
Epiioptiforme
ADfäUe
nein > ja ja
ja 1 ia 1 ja
750 1:1
41O860 1 : 1
68
21 W.
R. E.
6300 1 Dyspepsie
6800 ,
nein
nein
ja 500 1 1:1
ja 630>-780|l,4:m5:I
69
39 W.
R. E.
5200
8500
Atrophie
nein
ja
nein
ja
nein
ja
500 I 1:1
410>-1180' 1:1>V.M.
1
70
43 W.
R. E.
6400
9000
Rachitis
nein
nein
ja
nein
ja
1000
6d0>^1220
4:1
1,4 : 1>V. M.
71
270
17 W.
R.E.'
4200
6800
Dyspepsie
nein
nein
ja
nein
ja
750
35(»630
1:1
1:1>M:1
4. Wieviel Milch verbrauchen Sie täglich für das Kind?
5. Wie stark verdünnen Sie die Milch?
6. Wieviel Nahrung erhält das Kind täglich?
7. Wieviel Zucker setzen Sie täglich der Nahrung zu?
8. Wie viele Mahlzeiten erhält das Rind in 24 Stunden?
9. Wie viele Mahlzeiten in der Nacht?
10. Wie lang sind die Pausen zwischen den Mahlzeiten?
11. Wie gross ist die einzelne Mahlzeit?
Ausserdem notierte ich bei jedem Kinde das Alter, das
Gewicht, die Diagnose, den Beruf des Vaters und die Angabe
über Appetit und Stuhlgang.
Die oben angegebenen 6 Fälle mögen die Anordnung and
die Verwertung der Angaben der Statistik zeigen.
Bezüglich einzelner Fragen ist zu bemerken:
Frage 4. Die täglich verbrauchte Milchmenge wurde in
den meisten Fällen direkt angegeben. Bei einigen musste ich
sie berechnen aus der Zahl und Grösse der Mahlzeiten und dem
Mischungsverhältnis.
Frage 5. Alle Mütter gaben das Mischungsverhältnis der
Einzelpoiidonen (Flaschen) an, und zwar nach Strich. Ein Strich
entspricht einer Menge von 17 — 20 g. Die Mischung der Einzel-
mahlzeit konnte ohne weiteres der Mischung der Tagesmenge
der grossen Sänglingssterblichkeit.
503
Frage
6
Frage
7
Frage
8
Frage
9
Frage
10
Frage
U
Appe-
tit
Stuhl-
gang
Beruf des
Vaters
1200
32
8
0
3
150
gut
hart
Schriftsetzer
700>830
35>42
7
0
3
100-115
1500
40
10
3
2
150
gut
gut
Arbeiter
830-^760
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3
115^105
1000
48
6
1
2-3
170
gut
gut
?
1070
35>27
6
0
3
175
1000
24-48
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1-2
85-150
gut
hart
Arbeiter
83(»1180
42>0
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0
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115^235
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28-42
7
0
2
175
gut
gut
Tischler
1070-^1220
35>0
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0
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17&>240
1500
18
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2-21/,
170
gut
dünn
Kaufmann
700>-1070
35
7^6
0
3
100>175
gleichgesetzt werden, da die Mütter im Lauf eines Tages die
Mischung der Einzelmahlzeiten nicht zu verändern pflegen.
Frage 6. Die tägliche Nahrungsmenge musste in den
meisten Fällen berechnet werden aus der Milchmenge, dem
Mischungsverhältnis und der Grösse und Zahl der Mahlzeiten.
Frage 7. Die täglich verbrauchte Zuckermenge wurde ge-
funden aus der jeder Flasche zugesetzten Menge mal der Zahl
der Flaschen.
Frage 8. Eine Pause von 2 Stunden entspricht in der
Regel 8 täglichen Mahlzeiten; eine von 3 Stunden sieben.
Frage 11. Die Grösse der Mahlzeiten wurde fast in allen
Fällen nach Strich angegeben.
Um die Zahl der von den Müttern gemachten Fehler finden
zu können, habe ich in der Statistik bei jeder Antwort angegeben,
wie sie nach einer vernünftigen Ernährung, welche das Gewicht
und das Alter des Kindes berücksichtigt, lauten müsste.
Folgende nach den Ernährungsgrundsätzen des Herrn
Geh.-Rats Professor Dr. Heubner bearbeitete Tabelle, welche
das Nahrungsbedürfhis des künstlich ernährten Säuglings für das
«rste Jahr nach Mischung und Tagesmenge wiedergibt, habe ich
diesem Vergleich als Durchschnitts- oder Normalnahrung za-
grunde gelegt.
504
Ebert, Ein Beitrag znr Bekämpfung
Normal-ErDährung eines Kindes im ersten Lebensjahre.
Milch
II eä
nt
11«
Zacker = ge-
stlich. Kaffee-
löffel
«1
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11
Zucker-
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140
280
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1:2
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Woche
200
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3500
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680
10
1:1,8
«
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8
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350
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1:1
10
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5.-6.
4200
360
400
760
10
1:1
10
8
7
105
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4600
410
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1:1
10
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7
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5000
450
450
900
11
1:1
10
3
7
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11.-12
5400
500
500
1000
10
1:1
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6
165
13.-14.
5700
540
500
1040
10
1:1
8
3
6
170
15.— 16.
6000
630
440
1070
9
1,4:1
8
3
6
175
17.— 18.
1 6300
700.
390
1090
8
1,8:1
8
8
6
180
19.-20.
6600
780
270
1050
7
2,5:1
10
3
6
175
21. —22.
6850
840
230
1070
6
3,6:1 -
10
3
6
175
28.-24.
1 7100
870
210
1080
6
4:1
12
3
6
180
25.-26.
7300
950
150
1100
4V.
6,3:1
12
3
6
180
27.-28.
7500
1100
—
1100
1
—
—
3
6
180
29.-30.
7700
1100
—
1100
2
—
—
3
6
180
31.— 32.
7900
1120
—
1120
2V,
—
—
3
6
185
83.-34.
8150
1140
—
1140
3
—
—
3
6
190
35.-36.
8400
1160
—
1160
Beikost
—
—
5
230
37.-38.
8450
1180
—
1180
»
—
—
5
235
39.-40.
8500
1200
—
1200
»
—
—
5
240
41.— 42.
8750
1220
—
1220
«
—
—
5
240
43.-44.
1 9000
1230
—
1230
n
—
5
245
45.-46.
1 9150
1240
—
1240
^
—
5
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47.-48.
, 9300
1250
—
1250
n
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5
250
49.— 50.
1 9550
1260
—
1260
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—
—
5
250
51.-52.
1 9800
1000 g Kuhmilch = 690 grosse Kalorien; 1000 g 3 pCt. Hafersuppe == 120 gr. K.; 1 gestrich.
Kaffeelöffel Zncker = 4 g=16 gr. E.
Zwei Kinder (Mädchen) aus meinem Verwandtenkreis sind
nach dieser Ernährungstabelle mit einer ihrem individuellen Be-
dürfnis und ihrem Anfangsgewicht entsprechend modifizierten
Tagesmenge mit gutem Erfolg ernährt worden und haben beide
der grossen Säaglingssterblichkeit.
505
keine- nennenswerte Verdauungsstörung durchzumachen gehabt.
Ihre Gewichtszunahme war folgende:
Elisabeth 0.
Senta 0.
Gewicht Zanahme
Gewicht
Zunahme
Oewicht bei der Gebnrt
3730
89
4700
(am 2. Tage
»
Ende der 1. Woche
3819
112
4415
starke
9
8931
41
4537
Nabel-
n
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1» » ^* »
3972
4005
33
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4472
4575
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. . 41. .
—
9255
1
109
506 Ebert, EiD Beitrag zar BokämpfaDg
An Fall 71 möchte ich die Anordnang and die Bedeatung
der Angaben der Statistik erläutern.
(Siehe nebenstehende Tabelle.)
Die erste Reihe jeder Horizontalspalte der Statistik gibt die
erhaltenen Antworten wieder, daneben das Alter, das Gewicht,
die Diagnose, Angabe über Appetit und Stuhlgang und den Be-
ruf des Vaters. Die zweite Reihe enthält die entsprechende Nomal-
ernährung. R. E. bedeutet „Richtige Ernährung". Darauf folgt
nach rechts, unter dem in der ersten Reihe verzeichneten ge-
fundenen Gewicht, das Normalge wicht des betreffenden Kindes,
wie es seinem Alter entspricht. Der zwischen beiden Gewichten
befindliche Pfeil hat folgende Bedeutung:
Wenn der Arzt findet, dass ein Rind wenuger wiegt, als
das seinem Alter entsprechende Normalgewicht, so besteht für
ihn die Aufgabe, dieses Normalge wicht zu erreichen oder wenigstens
die Differenz zwischen beiden Gewichten möglichst zu verringern,
indem er die Ursache für das zu geringe Gewicht, Krankheit,
Unter- oder Uebernährung, beseitigt.
lu Frage 4 nach der täglichen Milchmenge ist in der ersten
Reihe die Angabe der Mutter verzeichnet; darunter befinden sich
in allen Fällen, in denen die Differenz beider Gewichte mehr als
500 g beträgt, zwei Zahlen. Die erste Zahl bezeichnet diejenige
Milchmenge, welche das Kind braucht, um seinem Kalorienbedarf
und seiner Verdauungskraft, welche in dem vorhandenen Gewicht
zum Ausdruck kommen, zu genügen. Ich möchte dies den
Minimum-Bedarf des Kindes nennen (Mi.-B.).
Die zweite Zahl ist diejenige Milchmenge, welche das Kind
dem seinem Alter entsprechenden Normalgewicht nach erhalten
müsste. Ich möchte dies den Maxi mal- Bedarf des Kindes
nennen (Ma.-B.).
In Fall 71 erhält ein 17 Wochen altes Kind eine tägliche
Milchmenge von 750 g. Darunter stehen die beiden Zahlen
350-^630. 350 = Mi.-B., das Kind braucht und kann verarbeiten,
da es 4200 g wiegt, täglich 350 g Milch. 630 = Ma.-B., das
Kind sollte seinem Alter nach eine tägliche Milchmenge von 630 g
erhalten, wenn es das diesem Alter entsprechende Normalgewicht
hätte.
Der Abstand von Mi.-B. bis Ma.-B., welcher in Fall 71 als
Nahrungsdifferenz 280 g oder als Gewichtsdifferenz 2100 g beträgt,
möchte ich die Ernährungsbreite nennen (E.-B.)
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der grossen Säuglingssterblichkeit.
507
Der Pfeil zwischen den Zahlen bedeutet wieder, dass der
Arzt bei Regelung oder Feststellung der Ernährung die Eruähruugs-
breite verkleinern, wenn möglich bis auf 0 bringen soll, indem
er, vom Aü.-B. ausgehend, die Nahrungsmenge steigert, aber nichts
wie in der Ernähruugstabelle alle 14 Tage, sondern schon alle
8 Tage, dabei aber nur dann einen Schritt weitergehend, wenn
er sich durch regelmässige Wägungen überzeugt hat, dass das-
Gewicht des Kindes mit der Zunahme der Nahrung gleichen
Schritt hält, d. h., wenn die Yerdauungsmöglichkeit für die ver-
abreichte Nahrung vorhanden ist.
Aus diesen Begriffen: Mi.-B., Ma.-B. und E.-B. ergab sich
mir ein Massstab zur Beurteilung der Angaben der Mütter. Dabei
waren drei Möglichkeiten zu unterscheiden:
1. Möglichkeit. Das gefundene Gewicht des Kindes entsprach
dem Normalgewicht, d. h., Mi.-B. und Ma.-B. fielen zusammen^
E,-B. war = 0. In diesem Fall wurde das Kind richtig ernährt^
wenn es die Normalnahrung seines Alters erhielt. An diesem
Kalorienbedarf bei Normalgewicht hielt ich Schwankungen von
je 50 Kalorien nach oben und unten für zulässig, entsprechend
den wechselnden inneren und äusseren Verhältnissen des Kindes.
Als fehlerhaft bezeichnete ich die Nahrung erst dann, wenn sie
dem Kinde mehr als 50 Kalorien zu viel oder zu wenig zuführte
= Unter- oder Üeberernährung. Fig. 1.
^^^^^ ^^^^'' i^MÜI^
.^S^^S^aHEnBwSwBSSm '-Mi^i X 4 J0 jr«£. BaBSSBBpffiBBBMHfflHttBBHSK
• j^
Zulä88i|2[e Nahrung.
Fig. 1.
/"<, ^ >
Falsche Nahraog.
Falsche Nahrnng.
2. Möglichkeit. Das gefundene Gewicht des Kindes war
geringer als das Normalgewicht; die Differenz beider E.-B. betrug
aber höchstens 600 g. In diesem Falle nahm ich als Grenzen
der zulässigen Nahrung nach unten den Mi.-B. und nach oben
den Ma.-B. an Vom Mi.-B. ausgehend, durfte also hier die zu-
lässige Nahrung um 50 Kalorien differieren, aber nur nach oben^
da eine Gewichtsdifferenz eingeholt werden sollte. Das Zurück-
bleiben hinter dem Mi.-B. galt hier stets als Fehler. Ebenso
war eine Nahrungsmenge, die jenseits des Ma.-B. lag, ein Fehler,
508
Ebert, £in Beitrag zur Bekam pfung
da sie sich zu weit von dem augenblicklichen Bedürfnis des Rindes
(Mi.-B.) entfernte. Fig. 2.
Gefand. Zulässige Nahrung. Norm.-
Gew. Gew.
Falsche Nahrung. Mi.-
B.
E.-B. bis 600 g.
50 Ealor.
Fig. 2.
Falsche Nahrung.
3. Möglichkeit. Die Differenz des gefundenen und des Normal-
gewichts = E.-B. betrug mehr als 600 g.
In diesem Falle teilte ich die Emährungsbreite in 2 Teile,
Mi. V» E.-B. und Va E.-B. Ma. Der eine Teil, Mi. ^'j E.-B. betrag
600 g, der zweite umfasste die übrige Differenz der beiden Ge-
wichte des Kindes.
Als zulässig bezeichnete ich diejenige Nahrungsmenge, welche
in der ersten Hälfte der E.-B. lag; fehlerhaft, wenn sie unter
dem Mi.-B. und in der zweiten Hälfte der E.-B. lag, denn sie
entfernte sich hier schon um mehr als 50 Kalorien von dem Be-
dürfnis des Kindes. Grob falsch war die Ernährung, wenn sie
jenseits des Ma.-B. lag, d. h. ausserhalb der physiologischen
Möglichkeit des Kindes, sie zu verarbeiten. Fig. 3.
Gefund.
Gew.
E. B. grösser als 600 g.
^
tfgflj.
-y^
Fehler.
Mi.-
B.
Zulftss. Nähr.
Mi. Vj E.-B.
(600 g.)
Grobe Fehler.
Fig. 8.
Als Beispiel für diese dritte Möglichkeit, die in der Statist k
fast ausschliesslich in Betracht kommt, möge Fall 71 dienen.
Das betreffende Kind war 17 Wochen alt und wog 4200 g.
Das Normalgewicht dieses Alters beträgt 6300 g. Die Differenz
beider Gewichte betrug also 2100 g = E.-B.
der grossen Säaglingssterblichkeit.
509
Der Mi.-B. des Kindes (entsprechend seinem Gewicht)
betrug 350 g Milch; der Ma.-B. (entsprechend seinem Normal-
gewicht) 630 g Milch. Nun erhielt das Kind täglich eine Milch-
menge von 750 g, welche weit jenseits des Ma.-B. liegt, also
ein grober Fehler ist.
Da die Ernährungsbreite hier mehr wie 600 g beträgt,
wurde sie in der angegebenen Weise in 2 Teile geteilt. Fig. 4.
E.-B. grösser als 600 g.
Getund.
Gew.
4200
Mi. Vi E.-B.
Va E.-B. Ma.
Normal-
Gew»
6300
In Fall 71
750 g
Fehler Mi.- Zul&ss. Nähr.
B.
350 g
Fig. 4.
Fehler Ma.- Grobe Fehler
B.
630 g
In dieser Weise habe ich die Angaben der Mütter über
die tägliche Milch- und Nahrungsmenge, sowie die Grösse der
Mahlzeiten einer Kritik unterzogen.
Wer für ein Kind unter einem Jahre die Ernährung fest-
stellen oder regeln will, sollte sich vorher folgende Fragen be-
antworten :
1. Was wiegt das Kind?
2. Was sollte das Kind seinem Alter nach wiegen = Normal-
gewicht?
3. Welche Nahrung sollte das Kind seinem Gewicht nach
enthalten = Mi.-B.?
4. Welche Nahrung sollte das Kind seinem Normalgewicht
nach erhalten = Ma.B.?
5. Wie gross ist die E.-B.?
6. Wie wurde das Kind bisher ernährt (Milchmenge, Mischung,
Tagesmenge, Zuckerzusatz, Grösse und Zahl der Mahlzeiten und
Pausen) ?
Bei diesem Verfahren werden die gegebenen Diät- Vorschriften
den physiologischen Verhältnissen und Möglichkeiten des Kindes
entsprechen, und sie werden infolgedessen einen guten Erfolg
verbürgen; auch wird man jederzeit sich selbst und anderen genau
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. IJU, Heft 3. 33
510 Ebert, Ein Beitrag zur Bekämpfung
Rechenschaft über den Erfolg und das Ziel der Behandlung
geben können.
Ein am Schluss beigefügter Diätbogen dürfte sich für diesen
Zweck eignen.
Wenn alle Krankenhäuser und Polikliniken, in denen Kinder
behandelt werden, femer alle Ärzte von ihren kleinen Patienten
im ersten Lebensjahre derartige Diätbogen im Beginn der Be-
handlung ausfüllten und bis zum Schluss fortführten, um am Ende
des Jahres diese Bogen einer Zentralstelle zur Bearbeitung ein-
zuschicken, würden wir bald ein reiches und für den Kampf
gegen die grosse Säuglingssterblichkeit wertvolles Erfahrungs-
material besitzen.
Die Grundsätze einer vernünftigen Säuglingsernährung.
Die Fragen und ihre Beantwortung.
1. Grundsatz. Milch und Zusatz sollen zusammengekocht
und als fertige Mischung für den ganzen Tag im Kochtopf auf-
gehoben werden!
Bei diesem Verfahren spart sich die Mutter Arbeit. Es
ist viel einfacher, so oft das Kind trinken soll, nur die fertige
Mischung in der nötigen Menge abzugiessen, als jedesmal die
richtige Mischung erst herzustellen. Ferner ist die Möglichkeit
einer Verunreinigung der Milch und des Zusatzes doppelt so gross,
wenn beide getrennt in zwei Gefässen aufbewahrt und erst vor
dem Trinken zusammengegossen werden.
Wird als Zusatz nur Wasser genommen, so hat die Her-
stellung der Mischung erst kurz vor dem Trinken, besonders auf
dem Lande, den schwerwiegenden Nachteil, dass zu der schon
abgekochten Milch, wenn das Kind trinken soll, einfach die
nötige Menge Wasser hinzugefugt und beides auf Trink-
temperatur erwärmt wird. Da aber das Trinkwasser auf dem
Lande, besonders in der heissen Jahreszeit, in vielen Fällen nicht
von einwandsfreier Beschaffenheit ist, so wird es, vom Säugling
in unabgekochtem Zustande getrunken, oft die Ursache für Magen-
und Darmstörungen sein.
Frage 1. Kochen Sie Milch und Zusatz zugleich ab, und
heben Sie beides als fertige Mischung in einem Topf auf?
In Betracht kommen die Antworten von 169 Müttern,
deren Kinder Mischung erhielten.
Nur in 7,1 pCt. der Fälle wurde dieser erste Grundsatz
einer vernünftigen Ernährung befolgt, während 92,9 pCt. der
der grossen Säuglingssterblichkeit. 511
Kinder eine Nahrung erhielten, die erst kurz vor dem Trinken
gemischt wurde.
2. Grundsatz. Nach dem Abkochen soll die Nahrung
schnell abgekühlt und kühl (in kaltem Wasser) aufbewahrt werden.
3. Grundsatz. Die Nahrung soll gut verschlossen auf-
bewahrt werden!
Wenn die Nahrung nach dem Kochen einfach bei Seite ge-
stellt wird, so kühlt sie, besonders im Sommer, nur sehr lang-
sam ab. Das verhältnismässig lange Verweilen aber auf gewissen
Temperaturen (zwischen 30 und 40^ C.) begünstigt in hohem
Grade des Bakterienwachstum, sei es, dass sie infolge mangel*
haften Abkochens noch in der Milch vorhanden waren, sei es,
dass sie durch nachträgliche Verunreinigung hineingeraten sind.
Letzteres geschieht auf dem Lande sehr häufig durch die Fliegen,
da viele Mütter die Milch unverschlossen stehen lassen, in dem
Glanben, dass sie beim Zudecken dumpfig und schneller sauer
werde, ßasches Abkühlen lässt den gefahrlichen Wärmegrad
schnell überschreiten, so dass die Bakterien keine Zeit haben,
sich in einer für das Kind schädlichen Menge zu entwickeln.
Frage 2. Kühlen Sie die Nahrung, nachdem sie gekocht
hat, schnell in kaltem Wasser ab?
Von 220 Müttern, welche mir auf diese Frage Antwort
gaben, entsprachen 50 pCt. dieser Forderung; die andere Hälfte
stellte die Nahrung zum Abkühlen einfach bei Seite (meisst aufs
Blumenbrett vor dem Fenster). Gefahr: Verunreinigung aus der
Luft durch Fliegen oder beim Teppichklopfen in Höfen.
Frage 3. Heben Sie die Nahrung verschlossen auf?
Von 222 Müttern Hessen 6I98 pCt. die Nahrung nach dem
Kochen ofPen stehen.
4. Grundsatz. Das Kind soll eine seinem Alter und
seinem Gewicht entsprechende Milchmenge bekommen!
Es ist ein sehr verbreiteter, verhängnisvoller Irrtum der
Mütter aller Stände, wenn sie glauben, dass sie durch eine
rasche Steigerung der Milchmenge ihr Kind dicker machen und
schneller zunehmen lassen könnten. Die Folgen der Über-
ernährung machen sich nicht gleich bemerkbar. Monatelang ge-
deiht ein Kind bei einer viel zu grossen Milchmenge scheinbar
vorzüglich. Im Grunde aber befinden sich die Verdauungsorgane
in einem fortwährenden Zustand der Überarbeitung, in einem
sehr labilen Gleichgewicht.
33*
512 Gbert, Ein Beitrag zur Bekämpfung
Plötzlich erkrankt das Eind an einer schweren Yerdauungs-
störung. Viele Mütter wissen dafür keinen Grund anzugeben.
Manche geben einer Erkältung, einem Milchwechsel, sauer ge-
wordener Milch oder dem Zahnen die Schuld. In den aller-
meisten Fällen aber sind diese Ursachen nicht der letzte Grund
für die schwere Verdauungsstörung, sondern sie lösen dieselbe
nur aus. Nicht das Betroffenwerden von diesen, oft nicht za
vermeidenden Schädlichkeiten wird den Kindern verhängnisvoll,
sondern dass ihre durch die lange Überernährung geschwächten
Verdauungsorgane nicht mehr über die verdauende und bakterien-
tötende Mehrarbeit, wie sie diese Schädlichkeiten erfordern, ver-
fügen.
In den meisten Fällen sind die schweren Verdauungs-
störungen des Säuglingsalters nichts anderes als Erschöpfungs-
zustände des Magens und Darmes, ausgelöst durch Schädlich-
keiten, welche von einem vernünftig ernährten Kinde meist über-
v/undec werden.
Besonders reich an derartigen Schädlichkeiten ist die heisse
Jahreszeit, in welcher auch, wie die Erfahrung lehrt, am meisten
Kinder an schweren Darmstörungen erkranken.
In der Universitäts-Poliklinik für Kinder in der Kgl. Charit^
wurden an Verdauungskrankheiten behandelt:
im September 1903 54 Kinder
Oktober
j>
39
November
^t
19
Dezember
jy
16
Januar
1904
14
Februar
y>
15
März
n
19
April
»
18
Mai
»
31
Juni
»
34
Juli
55
63
August
)•
135
Wie ausserordentlich stark der Fehlei
•, die Kinder zu über-
füttern, unter den
Müttern verbreitet ist, zeigen deutlich die
Zahlen der Statistik.
Frage 4. Wi
eviel Milch
verbrauchen Sie für das Eind
täglich?
der grossen Säuglingssterblichkeit. 513
Die Antworten von 220 Müttern, nach den Begriffen
Minimum - Bedarf , Maximum - Bedarf und Ernährungsbreite
gruppiert, ergeben folgendes Resultat:
10 pCt. der Kinder erhielten eine Milchmenge, die den
Mi.-B. nicht erreichte = Fehler.
5 pCt« bekamen den Mi.-B.
8,2 pCt. erhielten eine Milchmenge, die im Bereich der
ersten Hälfte von E.-B., in Mi. ^a E.-B. lag = zulässige Menge.
27»2 pCt. wurden falsch ernährt, da die verabreichte Milch-
menge im zweiten Teil von E.-B. in Va E.-B. Ma. lag, sich also
schon zu weit vom Bedürfnis und der Verdauungs kraft der
betreffenden Kinder entfernte ^ Fehler.
49,6 pCt. wurden grob falsch ernährt. Hier lag die Milch-
menge jenseits vom Ma.-B. = grobe Fehler!
Bei diesen 49,6 pCt. oder 109 Kindern wurde der Ma.-B.
überschritten
in 59 Fällen um 50— 200 g
„ 34
>9
„ 200— 400 „
„ 10
5>
„ 400— 600 „
„ 2
55
„ 600— 800 „
„ 4 „ „ 800-1000 „
So wurden also von den 220 Kindern 86,8 pCt. falsch,
zum grössten Teil grob falsch ernährt!
5. Grundsatz. Das Kind soll eine seinem Alter und
seinem Gewicht entsprechend verdünnte Nahrung erhalten!
Auch in diesem wichtigen Punkte herrscht unter den
Müttern aller Stände eine grosse Unkenntnis und Willkür.
Eine grosse Zahl von Kindern erhalten eine für ihr Alter zu
dicke oder zu dünne Nahrung. Über die für eine richtige Er-
nährung unentbehrlichen Kenntnisse: was ist Kuhmilch? was
Muttermilch? wie unterscheiden sich beide von einander? durch
welche Mischung werden sie sich in Bekömmlichkeit und Nahr-
haftigkeit ähnlich gemacht? wie gross ist das Nahrungsbedürinis
des Kindes in verschiedenen Zeiten des ersten Lebensjahres?
wissen die wenigsten Mütter Bescheid. Welche Mutter gibt
sich Mühe, sich vor der Geburt des Kindes in diesen wichtigen
Punkten genau zu belehren? Nicht Bakterien, Erkältung oder
schlechte Milch bedingen die grosse Säuglingssterblichkeit,
sondern die sträfliche Unwissenheit der meisten Mütter in
Fragen, ohne deren Kenntnis die Ernährung ein willkürliches
planloses Herumprobieren ist.
514 Ebert, Ein Beitrag zar Bekftmpfang
Frage 5. Wie stark verdünnen Sie die Milch?
Von 200 Kindern- erhielten eine falsche, d. h. zu dicke
oder zu dünne Nahrang 6S pCt.
6. Grundsatz. Im Durchschnitt soll ein ICind im ersten
Lebensjahre als tägliche Nahrungsmenge einen Liter erhalten.
1300 g sollten als Maximalmenge nicht überschritten werden!
7. Grundsatz. Die Grösse der einzelnen Mahlzeit soll
dem Alter und dem Gewicht des Kindes angepasst sein!
Die Verabreichung zu grosser Tagesmengen und Einzel-
portionen ist ein weiterer, sehr verbreiteter Fehler in der künst-
lichen Säuglingsernährung. Die Mütter sind stolz darauf, wenn
ihre Kinder möglichst viel trinken. Sie glauben, es bald dahin
bringen zu müssen, dass das Kind die ganze Flasche austrinkt
(200 — 250 g). Es darf solange trinken, wie es mag und kann.
So kommt es, dass der kindliche Magen bei den meisten Mahl-
zeiten überfüllt wird. Damit dann überhaupt die Magenperi-
staltik einsetzen kann, wird ein Teil der Nahrung gleich nach
dem Trinken wieder entleert. Anstatt nun daraus zu schliesseD,
dass das Kind zuviel bekommen hat, freut sich die Mutter noch
darüber, denn „Speiklinder — Gedeihkinder". Aber nicht, weil
das Kind viel speit, gedeiht es, sondern weil es mit einer so
kräftigen Magenmuskulatur ausgestattet ist, dass es die über-
schüssige Nahrung sofort wieder entleeren kann.
Die Folge einer sich mehrmals täglich wiederholenden
Uberdehnung der Magenwände bei weniger kräftig veranlagten
Kindern ist eine Schwächung und Verdünnung der Magen-
muskulatur, sodass der Magen weit und schlaff wird und die
Fähigkeit verliert, sich bis zur nächsten Nahrungsaufnahme ganz
zu entleeren. Die in ihm verbleibenden Reste können dem
Kinde, besonders in der heissen Jahreszeit, dadurch gefährlich
werden, dass sie sehr zu Gährung und Zersetzung neigen. Aaf-
stossen, Blähungen, Appetitlosigkeit und saurer Geruch aus dem
Munde sind die nächsten Folgen. Wenn nicht ärztliche Hülfe
nachgesucht wird, was leider in diesem Stadium der Erkrankung
nur sehr selten geschieht, kann es zu einer schweren Reizung
des Magens und Darmes kommen.
Frage 6. Wieviel Nahrung (Flüssigkeit) erhält das Kind
täglich?
Die Antworten von 216 Müttern, wieder nach den Be-
griffen Mi.-B., Ma.-B. und E.-B. betrachtet, ergaben folgendes
Resultat:
der grossen Säaglingssterblichkeit. 515
10,6 pCt. der Kinder bekamen eine tägliche Nahrungs-
menge, die den Mi.-B. nicht erreichte, d. h. das Volumen der
zugefuhrten Nahrung lag unter dem Bedarf des Kindes = Fehler.
4,1 pCt. erhielten den Mi.-B.
1,4 pCt. bekamen ein Nahrungsvolumen, das im Bereich
von Mi. Va E.-B., der ersten Hälfte von E.-B., lag = zulässige
Nahrungsmenge.
14 pCt. wurden falsch ernährt, da das erhaltene Volumen
im Bereich von */a E.-B. Ma. lag, sich also schon zu weit vom
Bedürfnis des Kindes entfernte = Fehler.
69,9 pCt. wurden grob falsch ernährt. Die tägliche
Nahrungsmenge Jag hier jenseits vom Ma.-B. ^ grobe Fehler!
Bei diesen 69,9 pCt. oder 151 Kindern wurde der Ma.-B.
überschritten
in 26 Fällen um 50— 200 g
34
>5
„ 200— 400 „
40
99
„ 400— 600 „
27
99
„ 000— 800 „
21
99
„ 800—1000 „
3
19
„ 1000—1200 „
So wurden also von 216 Kindern 94,5 pCt. falsch, zum
grossten Teil grob falsch ernährt!
Frage 11. Wie gross ist die einzelne Mahlzeit?
Von 241 Kindern:
unter Mi.-B. = 17 pCt. = Fehler
Mi.-B. = 18,2 „
Mi. Va E.-B. = 7,6 „ = zulässig
Va E.-B. Ma. = 13,8 „ = Fehler
über Ma.-B. =:49 „ = grobe Fehler!
Also erhielten von 241 Kindern 79,3 pCt. eine der Menge
nach unrichtige, zum grossten Teil eine viel zu grosse Einzel-
mahlzeit!
8. Grundsatz. Die der Tagesnahrung zugesetzte Zucker-
menge soll sich nach der Milchmenge und dem Grade der Ver-
dünnung richten. Als Maximalmenge sollten 50 g nicht über-
schritten werden!
Von 270 Müttern gaben mehr als 50 g Zucker 16,5 pCt.
= 42. Davon gaben
16 . . 50—70 g
16 . . 70—90 g
10 . . 90—100 g
516 Ebert, Ein Beitrag zur Bekämpfang
9. Grundsatz. Bis zur 4. Woche soll das Kind täglich
8 Mahlzeiten erhalten mit 2^2 stundiger Pause.
Von der 5. — 12. Woche 7 Mahlzeiten mit 3 stündiger Pause;
V » 13. 36. „ 6 „ „ 3 „ „
„ , 37.-52. „ 5 „ „ 4 „
Ein weiterer sehr verhängnisvoller Fehler in der künstlichen
Säuglingsernährung ist das zu häufige Trinken. So oft das Kind
schreit, bekommt es die Flasche in den Mund gesteckt; es maas
Hunger haben. Infolgedessen hat der Magen nicht Zeit, eine
Portion vollständig zu verdauen, sich zu entleeren und neue Ver-
dauungssäfte zu bilden; zu der erst halbverdauten Nahrung kommt
die frische hinzu. Es entsteht eine Mischung beider, welche,
nur unvollkommen von verdauenden und bakteriziden Sekreten
durchsetzt, beim Übergang in den Darm leicht in Zersetzung
übergeht und die Darmwand reizt. Viele Kinder, die monatelang
an Durchfallen, zeitweisem Erbrechen und mangelhafter Zunahme
litten, gesundeten sofort, wenn sie anstatt alle 2 Stunden alle
3 Stunden Nahrung erhielten.
Einmal in 24 Stunden, am besten in der Nacht, soll dem
Kinde eine Ruhepause, 6 — 9 Stunden, je nach dem Alter, gewährt
werden.
Schon vom 2. Tage ab soll das Kind an Regelmässigkeit
und Ordnung in der Nahrungsaufnahme gewöhnt werden. Die
Kinder gedeihen dabei vorzüglich. Da sich der an Pünktlichkeit
gewöhnte Magen mit seinem Hungergefühl nur zur rechten Zeit
meldet und dann gleich befriedigt wird, und da ferner die Ver-
dauung bei dieser geordneten Nahrungszufuhr in bester Ordnung
zu sein pflegt, so fallen die Hauptgründe für Launenhaftigkeit
und unnötiges Geschrei weg; das Kind erfreut durch sein freund-
liches und bescheidenes Wesen seine Umgebung. Die Eltern
brauchen wochenlang ihre Nachtruhe nicht zu unterbrechen.
Frage 8. Wie viele Mahlzeiten erhält das Kind täglich?
Von 241 Kindern erhielten zu wenig Mahlzeiten 898 pCt;
die richtige Anzahl 18,8 pCt; zu viele Mahlzeiten 78,4 pCt.!
Von diesen 78,4 pCt. = 189 Kindern bekamen
1 Mahlzeit zu viel 59 Kinder,
2 Mahlzeiten zu viel 62 „
^7) n n 40 „
^ y» 7> J? ^^ »
O y» „ „ 4 „
der grossen Säuglingssterblichkeit. 517
Frage 9. Wie viele Mahlzeiten erhält das Kind in der Nacht?
Von 270 Kindern hatten 50 pCt. keine regelmässige
grössere Nachtpause.
Frage 10. Wie lang sind die Pausen zwischen den einzelnen
Mahlzeiten?
Von 270 Müttern hielten 185 zu kleine Pausen; davon
gaben 120 Mütter alle 2 Stunden, 15 alle Stunden Nahrung.
Ich möchte einige charakteristische Antworten auf die Frage:
vrie oft erhält das Kind in 24 Stunden zu trinken, anfuhren:
1. So oft er kommt.
2. Alle 3 Stunden; wenn sie weint, öfters.
3. Wenn sie schreit.
4. Alle ^/4 Stunden. Sie schreit dann eben so sehr, dass sie
haben muss.
5. So oft er Durst hat; er trinkt, bis er satt ist.
6. Regelmässig habe ich ihm nie gegeben.
7. Wenn sie kam.
8. Nachts: alle Stunden, wenn er sich meldet und Hunger hat;
er trinkt aber dann nur wenig.
9. Alle 1 — l^s Stunden; manchmal jede Stunde, wenn sie kam
und weinte.
10. Nachts: 2—4 mal; wenn sie viel weint, bekommt sie mehr.
11. W«nn sie Durst hat.
12. So oft er Durst hat und kommt; stundenweise gebe ich
ihm nicht.
13. Immer, wenn sie kommt.
14. Wenn er Hunger hat und schreit; ich gebe ihm nicht nach
Stunden.
15. Alle 1 — l*/j Stunden, wenn sie kommt; 2 Stunden werden
es selten; wenn sie nichts bekommt, bringt sie sich rein um»
16. Alle 2 Stunden; auch öfters, wenn sie kommt.
17. Ich gebe ihr nicht regelmässig; dazu liabe ich keine Zeit;
wenn sie eben schreit, gebe ich ihr.
18. So oft, wie er kommt; er kommt immerzu.
19. Je nachdem er kommt.
20. Er ist sehr unruhig, und da gebe ich ihm öfters, wenn er
kommt.
21. Ich gab ihm immer, wenn er geschrien hat; er war immer
hungrig und ist nicht satt geworden.
22. Wenn sie wach wird, gebe ich ihr, und wenn sie schreit.
518 Ebert, Ein Beitrag zar Bekam pfang
23. So oft, wie das Kind verlangt; wenn sie weint, gebe ich
ihr alle Stunde die Flasche.
24. Je nachdem er eben haben will.
25. Alle Stunden; mitunter auch öfter; wenn er wieder weint,
dann gebe ich ihm wieder.
Kinder mit chronischen Leiden (ausser Rachitis) habe ich
in die Statistik nicht aufgenommen. Ebenso habe ich Kinder,
die schon länger als 8 Tage verdauungskrank waren, ehe sie in
die Poliklinik kamen, nicht berücksichtigt.
Alle Angaben über die Ernährung beziehen sich auf die
Zeit, als das Kind noch vollständig gesund war.
Von den 270 Kindern litten an
Rachitis 25 pCt.,
Yerdauungskrankheiten 37 pCt.!
Krankheiten der Atmungsorgane 10 pCt.,
anderen Krankheiten 28 pCt.
Ein beredter Ausdruck dafür, wie schädlich eine unzweck-
mässige Ernährung auf den Stoffwechsel und damit auf eine
normale Zunahme des Kindes wirkt, sind die ermittelten Ge-
wichte von 220 Kindern der Statistik.
3,6 pCt. hatten das ihrem Alter entsprechende Normal-
gewicht. •
7,3 pCt. wogen mehr.
89,1 pCt. erreichten das Normalge wicht nicht.
Bei diesen 89,1 pCt. oder 196 Kindern fehlten am Normal-
gewicht bei
32 Kindern 100— 500 g,
45 „ 500-1000 „
34 „ 1000—1500 „
27 „ 1500—2000 „
24 „ 2000—2500 „
18 „ 2500—3000 „
10 „ 3000—3500 „
4 ;, 3500-4000 „
2 „ 4000—4200 „
Eine längere Zeit fortgesetzte Uberfütterung des Kindes
führt zu einer Unterernährung und Schwächung seiner Gewebe-
und Säftemasse, was eine gesteigerte Disposition zu Erkrankungen
zur Folge hat.
der grossen S&ugliDgssterblichkeit.
519
Im Kampf des Körpers gegen die eingedrungenen Schäd-
lichkeiten belebter und unbelebter Natur wird, wie schon er-
wähnt, ein gut genährter und gut durchbluteter Organismus mehr
Aussicht, zu siegen, haben, als ein durch unzweckmässige Er-
nährung geschwächter.
So ist die falsche Ernährung des Kindes im ersten Lebens-
jahr, direkt (an Verdauungskrankheiten sterben allein in Berlin
über 3000 Kinder jährlich) und indirekt durch Erhöhung der
Empfänglichkeit anderen Krankheiten gegenüber, eine der Haupt-
ursachen der hohen Säuglingssterblichkeit.
Übersicht über die Zahl der Antworten und den
Prozentsatz der Fehler.
Frage
1
2
■6
4
5
6
7
8
9
10
11
darauf Antworten 169, davon Fehler 157 = 92,9 pCt.,
»
n
220,
V
j»
110 = 50,0 „
n
n
222,
»
»
135 = 61,3 „
7i
n
220,
»
»
191 = 86,8 „
W
»
200,
»
n
126 = 63,0 „
»
»
216,
n
n
204 = 94,5 „
»
»
270,
»
»
42=15,5 „
1)
»
241,
»
fi
209 = 86,7 „
9)
»
270,
y»
n
185 = 50,0 „
9»
j>
270,
7»
»
136 = 50,0 „
»
fi
241,
fi
j>
191 = 79,3 „
Darauf Antworten 2539, davon Fehler 1685 = 64,3 pCt.
Vorschläge zur Bekämpfung der hohen
Säuglingssterblichkeit.
1. Natürliche Ernährung.
Ärzte, Vereine und Behörden sollten es sich noch mehr,
wie bisher, zur Aufgabe machen, durch fortgesetzte Belehrungen
und Ermahnungen, durch regelmässig wiederkehrende Vorträge
und Verteilung von gedruckten belehrenden Anleitungen (vom
Standesamt aus) dahin zu wirken, dass das Stillen der Kinder
wieder zur selbstverständlichen Regel wird.
Unkenntnis und Willkür, Vorurteil und Bequemlichkeit
führen weit öfter zum Nichtstillen, als Krankheit, Schwäche
oder Erwerb der Mutter ausser dem Hause.
520 Ebcrt, Ein Beitrag zur Bekämpfung
Nach den Ermittlungen bei den Volkszählungen wurden
nach Dr. Heimann von 100 Säuglingen in Berlin ernährt:
1890 1895 1900
1. nur mit Muttermilch 52,9 44,6 33,3
2. mit Tiermilch 43,9 47,1 55,0
3. anderweitig 3,2 8,3 11,8
Die Mütter sollten dazu angeleitet werden, in dieser für
sie selbst und ihre Kinder so wichtigen Frage, auf Grund von
Kenntnissen, selbst zu denken und selbst zu urteilen und sich
nicht kritiklos nach den Ratschlägen und Vorschriften der Heb-
ammen zu richten, sondern im Zweifel nur den Arzt zu fragen.
2. Künstliche Ernährung.
a) Normalnahrung.
Jede Mutter, welche ihr Kind künstlich ernährt, sollte die
dazu nötigen Kenntnisse besitzen.
Vor allem sollte sie genau wissen, welche Mischung und
welche Tagesmenge das Kind täglich braucht.
Dieses Zugrundelegen einer Durchschnitts- oder Normal-
nahrung wird die Ernährung zum Nutzen des Kindes unabhängig
machen von der Willkür, Unkenntnis und dem Vorurteil der
Mutter und ihrer Ratgeberinnen. Die bekannte Ratlosigkeit der
Mutter bei der Ernährung des ersten Kindes wird wegfallen;
sie wird mit Ruhe und Sicherheit die Ernährung beginnen.
In den meisten Fällen wird diese aus Wissenschaft und
Erfahrung gewonnene Normalnahrung dem Kinde ohne weitet es
gut bekommen. Sollten aber Appetit, Stuhlgang und die regel-
mässigen Wägungen des Kindes anzeigen, dass ihm diese Nahrung
nicht zusagt, so wird es dem Arzte ein Leichtes sein, sie seinem
Bedürfnis anzupassen; denn er weiss, wie das Kind bisher er-
nährt wurde; sein Vorgehen wird nicht erschwert durch die oft
unsicheren und unzuverlässigen Angaben der Mutter.
Dem Kinde bleibt in jedem Fall, mag ihm nun diese Normal-
nahrung gleich zusagen oder nicht, die schwere Schädigung seiner
Gesundheit, die das wochen- und monatelange Herumprobieren
nacli einer bekömmlichen Nahrung mit sich bringt, erspart.
b) Merkbogen.
Um die Mutter in den Stand zu setzen, ihr Kind nach
diesen Prinzipien zu ernähren und es ihr zu ermöglichen, sich
jederzeit in allen darauf bezüglichen Fragen eine erschöpfende
der grossen Säuglingssterblichkeit.
521
Belehrosg zu verschaffen, habe ich einen Merkbogen über die
Grundsätze einer vernünftigen Säuglingsernährung hergestellt,
<ler in leichtverständlicher, übersichtlicher Form alles Nötige
enthält.
Jedem Grundsatz habe ich eine kurze Erklärung beigefügt,
-da ich glaube, dass sich die einzelnen Vorschriften durch das
damit verbundene doppelte Lesen und längere Verweilen bei
ihnen der Mutter fester einprägen werden, und dass sie dieselben
«her und lieber befolgen wird, wenn sie sich über den Zweck
und die Begründung derselben Rechenschaft geben kann.
Der ^/g m im Quadrat grosse, an die Wand zu hängende
Merkbogen enthält in deutlicher Schrift folgendes:
Merkbogen für Mütter über
die Grundsätze einer vernünftigen ;Säuglingsernährung.
Warum ?
Diesen Störuagen liegt meist eine anzweck-
mässige Ernährang zugrunde. Durch
rechtzeitige Regelung derselben und rasche
ärztliche Hilfe wird dein Kind vor den
schweren, oft tödlichen Magen- and Darm
erkrankangen bewahrt bleiben.
Vorschrift!
<7ehe sofort zum Arzt, wenn
dein Kind erbricht, Durchfall
hat oder nicht zunimmt!
Natflrliehe Ernfthpang.
Stille dein Kind bis zum neunten
Monat!
Wenn deine Nahrung nicht aus-
reicht, gib noch nebenbei die
Flasche!
KOnstllehe Epnfthrang.
Entscheide nicht selbst darüber,
ob dein Kind künstlich er-
nährt werden soll, lass dir
auch von niemand raten,
sondern frage nur den Arzt!
Bei der Zubereitung und der
Verabreichung der Nahrung
verfahre mit der grösstcn
Sorgfalt!
Das Stillen ist für die Gesundheit der Mutter
und des Kindes das Beste. Das Kind ge-
deiht dabei, nimmt gleichmässig zu und
bleibt von Erkrankungen verschont.
Diese gemischte Ernährung ist für Mutter
und Kind immer noch viel wertvoller als
die rein kunstliche Ernährung. Wird das
Kind nicht wenigstens einige Monate teil-
weise gestillt, 80 erlischt diese Unfähigkeit
bei der Mutter, und diese Unfähigkeit, zu
stillen, vererbt sich auf die Töchter.
Die künstliche Ernährung kann die natür-
liche niemals voll ersetzen. Von der Wahl
der Ernährung hängt in vielen Fällen die
Gesundheit und das Leben des Kindes ab.
An falscher Ernährung sterben jedes Jahr
Tausende von Kindern. Sie ist die Haupt-
ursache für die meisten schweren Ver-
dauungsstörungen, denen alljährlich allein
in Berlin über 3000 Kinder erliegen.
522
Ebert, Ein Beitng zur BekampfaDg
Häoge dieses Bogeo in dem
Baam, wo da die Kahroog
xa recht machst, so die Wand.
Lies ihn oft durch aod be-
folge geoaa die Vorschriften!
Vermeide ganz besonders fol-
gende drei Fehler:
L zu starke, zq schwere
Kahmng (falsche Mischong),
2« za grosse Portionen,
3. za h&ofiges Trinken!
Eine allgemeine grandliche Belehomg der
Matter in der könstliehen Emihnug ist
das einzige sichere Mittel, die hohe
Siaglingssterblichkeit, sofort und danend
za beschränken«
Diese Fehler schwichen and aberaastrengen
die Verdaanngsorgane and führen za
schweren Krankheiten and Magen-
erweiterang.
Vemflnftige kOngtliehe
Ernfthmng.
1. Bezog der Milch.
Kaufe nar reine, gute and an-
rerdunnte Milch!
2. Zubereitang derNahran(<.
Mache sofort nach dem Empfang
die Nahrang gleich für den
ganzen 'Tag zu recht nach
Mischung und Tagesmenge;
koche sie ab und hebe sie in
dem gut rerschlossenen Koch-
topf auf!
8. Mischung und Beikost.
In den ersten 28 Wochen muss
die Milch yerdünnt werden,
im ersten Monat mit Wasser,
später mit einer dünnen Hafer-
suppe. — Von der 29. Woche
ab gib Vollmilch. — Von der
87. Woche ab soll das Kind B e i -
kost erhalten: zwei Stunden
nach der Flasche teelöffel-
weise: Brei von Haferflocken,
Gries, Reis, Kartoffeln; Apfel-
mus, Spinat, gelbe Rüben,
Blumenkohl; eingeweichten
Zwieback, Kakes, Weissbrot.
Die Mischung mache genau
nach Gramm mit der einen
zu diesem Bogen erhaltenen
Flasche; aus der anderen soll
das Kind trinken!
Dies ist eine Grandbedingong für eine er-
folgreiche künstliche Säaglingsemährung.
Wenn die Milch im Haoshalt längere Zeit
anabgekocht steht, wird sie leicht Ter-
unreinigt oder saner. Das Zarechtmacheo
der fertigen Mischung gleich für den
ganzen Tag erspart Arbeit. Die in einea
Topf aufbewahrte Nahrung ist besser vor
Verunreinigungen geschützt, als wenn Milch
und Zusatz getrennt aufgehoben und erst
vor dem Trinken zusammengegossen werden.
Nur bei einer Mischung, die der Verdanungs-
kraft des Kindes entspricht, wird es guten
Appetit und Stuhlgang haben and regel-
mässig zunehmen.
Herstellung der Hafersappe: Verrühre
2 gehäufte Kaffeelöffel Hafermehl in V» Liter
Wasser und lass* es >/i Stunde kochen.
Fülle dann bis zu ^/s Liter wieder auf und
verdünne damit die Milch. Beikost in
möglichster Abwechselang ist für die
Knochen- und Blutbildung des Kindes Ton
grossem Wert.
der grossen S&nglingssterblickkeit.
523
4. Abkoche o.
La88 die Nahrang drei Minaten
kochen !
5. Abkühlen.
Nachdem die Nahrang gekocht
hat, stelle sie, gut zagedeckt,
in ein Gefäss mit kaltem
Wasser. Die Milch soll in
dem Kochtopf bleiben. Das
Kühlwasser soll in der ersten
Stande mehrmals, sp&ter, so
oft das Kind trinkt, erneuert
werden!
6. Trinken.
Wenn das Kind trinken soll,
giesse die angegebene Menge
in die Trinkflasche, ernenere
das Kühlwasser and decke den
Topf sofort wieder gat za.
Gebraache nur Flaschen mit
Gram mein teil ong.
Daaer der Mahlzeit etwa zehn
Minaten.
Der Pfropfen soll vorn nur ein-
mal mit einer glühenden Nadel
durchbohrt werden, so das die
Flüssigkeit beim Umdrehen
der Flasche aastropft, nicht
ausfliesst!
7. Pausen.
Halte dich streng an die ror-
geschriebenen Pansen. Das
Kind darf nicht zwischen der
Zeit Nahrung erhalten. Auch
die Nachtpausen unterbreche
und verkürze nicht Wenn
das Kind nicht trinken will,
warte bis zur nächsten Trink-
zeit. Was es übrig lässt, biete
nicht wieder an!
8. Gib dem Kinde niemals einen
Zulp oder Schnuller zur
Beruhigung!
Längeres Kochen macht die Milch schwer
verdaulich, schlechtschmeckend und erzeagt
Krankheiten.
Das schnelle Abkühlen und das kühle Auf-
bewahren der Nahrung in dem gutver»
schlossenen Kochtopf verhütet eine Ver-
unreinigung und Sauerwerden der Milch.
Strichflaschen sind ganz ungenau eingeteilt.
Flaschen mit Glasröhren sind schwer zu
reinigen, deshalb unpraktisch und schädlich.
Bei zu schnellem Trinken aus einer zu grossen
Öffnung im Pfropfen macht das Kind zu
hastige und zu grosse Schlucke, so dass
die Nahrung im Magen grössere, schwerer
Gerinsel bildet.
Wenn das Kind vor der Zeit Nahrung er»
hält, ist der Magen noch nicht vollständig
entleert, so dass die neue Nahrung zu der
halbverdauten hinzukommt. Dadurch ent-
stehen leicht Gärungen im Magen mit
ihren Folgen: Aufstossen, Blähungen,
Appetitlosigkeit, Erbrechen und Durchfall.
Das Kind muss schon vom 2. Tage ab
an strenge Ordnung im Trinken gewöhnt
werden. Die zum Ausruhen des Magens
notwendige Nachtpause erspart dem Kinde
und den Eltern die unruhigen Nächte.
Diese Unsitte hat schon manchem Kinde das
Leben gekostet. Jeder Zulp ist eine Brut-
stätte von Bakterien, welche zusammen mit
dem fortwährend unnötig abgesonderten
Speichel massenhaft in den Magen gelangen
und leicht Gärungen hervorrufen.
524
Ebert, Ein Beitrag zar Bek&mpfung
9. Reinigen der Flasche.
Reinige die Flasche sofort nach
dem Trinken mit heissem
Seifenwasser und Sand, spüle
sie gut ab und stelle sie um-
gekehrt hin. Den Pfropfen
stülpe nach dem Trinken um,
spüle ihn ab aud hebe ihn
i n Salzwasser auf!
Wftgen.
Wäge das Kind öfters, wenu
möglich, in jeder Woche ein-
mal, am gleichen Tage, zu
gleicher Stunde, nackt, vor
dem Trinken.
Notiere das Gewicht!
Am Wägetage soll das Kind,
wenn du es ausser dem Hause
wiegen lässt, immer dieselben
Sachen anhaben, welche du
einmal genau abwiegen und
deren Gewicht du von dem-
jenigen, welches die Wage
zeigt, abziehen musst. ')
Nachlässigkeit im Reinigen der Flasche kann,
besonders im Sommer, zu Yerdaaungs-
störnngen führen.
Regelmässiges Wägen ist deshalb wichtig,
weil man aus dem Gewicht des Kindes er-
sehen kann, ob die gereichte Nahrung be-
kommt oder nicht. Auch für den Arzt ist
es wertvoll, die bisherige Zunahme des
Kindes zu kennen.
Ferner enthält der Merkbogen eine
Ernährungstabelle für das erste Lebensjahr.
ff
»-4
CO
S
1
2.-3.
Woche
4. Woche
. 0
1 s
0^
00^
1 §
7-^
2^
1 §
2^
2^
Mische Milch (Gramm) . .
40
120
140
200
240
850
360
410
450
500 540
Mit Zusatz (Gramm). . .
80
240
280
400
440
350
400
420
450
500 500
Dazu Zucker (gestrichenen
-«^
Kaffeelöffel)
M
IV2
4V,
51/2
9
10
9
10
IOV2
11
10
10
Grösse der Mahlzeit(Gramm)
'S
15
45
50
75
85
100
105
115
125
165
170
Zahl der Mahlzeiten . . .
'M
8
8
8
8 1 8
7
7
7
7
6
6
Erste Mahlzeit früh . . .
.2
5Vi
5Va
51/2
51/2
51/2
5
5
5
5
^ . ^
Letzte Mahlzeit abends. .
11
11
11
11
11
11
11
11
11
10
10
Pause zwischen den Mahl-
1
zeiten (Stunden) . . .
2'h
2^2
2Vi
2'/»
2'/»
8
3
3
3
3
3
») Siehe Seite 526, Anmerk.
•der^ grosbe^ SängliDgestecblichkeit.
525
Reehts ! uiid' liAks unten sind auf .dem Merkbogen zwei ab-
nehmbare Papptäfelchen tingebrachlT.
Das eine enthält eine Rubrik, in welche die Mutter das
Resultat der Wägungen eintragen soll.
Auf das andere sollen vom Arzte auszufüllende, vorgedruckte
Diätzettel aufgeklebt werden.
^ Beide Täfelchen soll die Mutter, wenn sie zum Ar;st geht,
stets bei sich haben.
(Siehe die beiden Tftfelcheo auf S. 526.)
Bei jeder Geburtsanzeige sollte dem Yater vom Standesamt
ein solcher Merkbogen zusammen mit zwei Flaschen mit Gramm-
einteilung (die eine zum Trinken^ die andere zum Abmessen)
übergeben werden, mit der AuJEfoi:derung, daraus seiner Frau in
den ersten acht Tagen fieissig vorzulesen und ihn in dem Raum,
in welchem die Nabrupg zurecht gemacht wird, aufzuhängen. .
I c) Mess- und Mischapparat.
t •'-•'■.
j Abgesehen von dieser durchaus notwendigen, aber mehr
'theoretischen Belehrung, halte ich es für notwendig, der Mutter
auch praktisch bei der Zubereitung der Nahrung an die Hand
zu gehen.
Alle bisher vorhandenen Milchkochapparate haben zwei
1 Fehler, welche ihren Wert sehr beeinträchtigen.
o6 9>
2^
1 o
5^
f:
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5^
5^
1 s
5^
CO 9
5^
od <D
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9^ O
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630
700
780
840
870
950
1100
1100
1120
1140
1160
1180
1200
1220
1230
1240
1250
1260
440
390
270
230
210
150
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
9
8
7
6
6
VI,
1
2
2V.
3
Bel-
kOBt
B.
B.
B.
B.
B.
B.
B.
175
180
175
175
180
180
180
180
185
190
230
235
240
240
245
245
250
250
6
6
6
6
6
6
6
6
6
6
5
5
5
5
5
5
5
5
7
7
7
7
7
7
7
7
7
7
7
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7
7
7
7
10
10
10
10
10
10
10
10
10
10
11
11
11
11
11
11
11
11
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
4
4
4
4
4
4
4
4
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXl. Heft S.
34
526 Ebert, Ein Bmtimg s«r Bdütepfug
GewichU-T&felcben. Di&t-Tlfelehen.
/ Name: \
' \
Gewicht in Gramm:
Ende der
Woehe
Snde der
Woebe
1
27
2
28
8
29
4
30
5
31
6
32
7
83
8
84
9
85
10
86
11
87
12
88
18
89
14
40
15
41
16
42
17
48
18
44
19
45
20
46
21
47
22
48
28
49
24
1 50
25
51
26
52
Gewicht bei
Gebart
Name:
Difttrerordnaog
Tom - bie
Gib als Nahrang
T&gliche Nahrnng.
Mische Milch (Gramm):
mit Zosatz (Gramm):
dazn
Zneker (gestr. Teelöff.):
Grösse d. Mahlzeit(Gr.):
Zahl der Mahlzeiten:
Pansen:
erste Mahlzeit frah:
letzte Mahlzeit abends:
Znbereitnng:
*) Um nnbemittelten Müttern, welche sich keine Kinderwage kaufen
können, ein regelmässiges Wiegen ihrer Kinder za ermöglichen, sollten in
Krankenhänsern and Polikliniken, Tielleicht aach in den Schalen, Wiege-
ziromer eingerichtet werden, in welchen zu bestimmten Tageszeiten den
Müttern Gelegenheit gegeben w&re, ihre Kinder wiegen za lassen.J
der grossen Säaglingssterblichkeit. 627
Erstens sind sie zu teuer. Einer armen Familie igt es z. B.
anmöglich, sich den Soxhlet-Apparat za kaufen. Unter den
270 Muttern der Statistik besassen nur zwei diesen Apparat;
die eine hatte ihn geliehen. Und doch gehört ein Apparat,
welcher es ermöglicht, die Nahrung zu sterilisieren und kühl und
verschlossen aufzubewahren, viel notwendiger in die oft heissen,
dumpfen und staubigen Räume der Armen, als in die hygienisch
gut eingerichteten Küchen der Reichen, welche obendrein in der
Lage sind, ihren Kindern die beste und reinste Milch zu kaufen.
Der zweite Fehler dieser Apparate liegt darin, dass sie die
Abmessung der Tagesmenge und die Mischung ganz in das meist
sehr unvernünftige Belieben der Mütter stellen.
Aus diesen Erwägungen heraus habe ich einen Apparat her-
gestellt, welcher folgendes leistet:
1. er ermöglicht ein Sterilisieren und ein kühles und ver-
schlossenes Aufbewahren der Nahrung;
2. er setzt die Mutter in den Stand, für jede Woche des
ersten Lebensjahres, ohne mühsame Berechnung, Über-
legung oder Abmessung, eine Nahrung herzustellen, die
nach Mischung und Tagesmenge den Grundsätzen der
Normalnahrung entspricht.
Das Verfahren dabei ist so einfach, dass selbst 12 — 14 jährige
Mädchen, die in armen Familien häufig in Abwesenheit der Mutter
neben anderen häuslichen Pflichten auch für die Nahrung des
Kleinsten zu sorgen haben, mit Hülfe des Apparates leicht und
fehlerlos jede beliebige, einer bestimmten Zeit des ersten Jahres
entsprechende Nahrung herstellen können.
Der Apparat besteht aus drei Teilen:
1. einem Kochgefäss, in welchem die Nahrung sterilisiert
und kühl und verschlossen aufgehoben wird;
2. einer Misch- und Kochfiasche, in welcher die Nahrung
(als Tagesmenge) gemischt und im Kochgefäss gekocht
wird;
3. als Hauptteil: einem Messzylinder, von der Form und
Weite der Mischflasche.
Diesen Messzylinder schiebt die Mutter, wenn sie die
Nahrung zurecht machen will, über die Mischflasche. In seinem
Mantel besitzt der Zylinder zwölf den Monaten entsprechende
34»
528
Ebert,.£io Beitrag zur Bekämpf an g
senkrechte Schlitze, durch welche man in di0 Fli^sche hineinsehen
kabn/: Zoj beiden Saiten eineß jeden Spaltes befinden sich Marken,.
^elcfaBt /finaeigen, wie weit in jedem Monat. Milch und Zusatz
eingefüllt werden müssen, um eine nach Mischung und Tages-
faoBnge rlcktige : Normalnahrung zu erhalten.
.' ^^ ^Miti diesem einfachen Einfüllen von Milch und Zusatz bis
au bestimmten Marken genügt die Mutter den beiden Haupt-
erfordernissen einer vernünftigen Ernährung: richtiger Mischung,,
richtiger Tagesmenge.
Zu beiden Seiten jedes Spaltes befinden sich ferner Angaben
über Zahl und Grösse der Mahl-
zeiten, über Zuckerzusatz und Länge
der Pausen und der Nachtpausen.
Der eine auf einem Längs-
schieber angebrachte Spalt kann
mit diesem herausgezogen werden.
Diesen Schieber nimmt die Mutter
mit zum Arzte, wenn das Kind
erkrankt ist, oder wenn ihm die
Normalnahrung nicht zusagt. Der
Arzt wird dann in geeigneter Höhe
neben dem Spalt Strichmarken an-
bringen, welche angeben, wie weit
die Mutter zu Hause, nachdem sie
den Schieber wieder hineingeschoben
„^ hat, in diesem Falle Milch und
Zusatz einfüllen muss, um für das
Kind die richtige Mischung und
Tagesmenge zu erhalten.
Unterhalb der Spalten des
Zylinders sind die entsprechenden
Normalgewichte angegeben, damit
die Mutter daraus ersehen kann,
ob ihr Kind richtig zunimmt, und
der Arzt durch Vergleich mit dem
vorhandenen Gewicht des Kindes
seine Schlüsse ziehen und Minimum- und Maximumbedarf fest-
legen kann.
Fig. 5 zeigt den Messzylinder b über die Mischflasche a
geschoben, c sind die Schlitze, durch welche man in die Flasche
hineinsehen kann.
der grossen S&ciglioigssterblichkeit.:
m
Fig. 6 zeigt den auseinander gerollten Zylinder; c B\ni
wieder die Spalten; d sind die Marken, bis zu welchen Milch,
e diejenigen, bis zu welchem Zusatz eingefüllt werden soll. Von
der 29. Woche ab hören die Marken für Zusatz auf: das Kind
erhält Vollmilch, h ist der ein wenig herausgezogene Längs-
Fig. 6.
Schieber mit dem Schlitz g für den Arzt; f ist ein grosserer
Ausschnitt der Zylinderwand hinter dem Schieber; i, i sind die
Führungen des Schiebers. . > J ::
Merkbogen und Apparat zusammen vom Standesan^t -bei
der Geburt des ersten Kindes der Mutter übergeben, würden ih^
die künstliche Ernährung ihrer Kinder, falls sie aus triftigen
Gründen nicht stillen kann, sehr erleichtern und dürften dazu
führen, die Säuglingsernährung vernünftig und einheitlich zu ge-
stalten und dadurch die hohe Säuglingssterblichkeit erheblich zu
vermindern.
Herrn Geheimrat Prof. Dr. Heubner bin ich für die Über-
lassung des Materials und für das bei der' Bearbeitung be-
kundete Interesse zu ergebenstem Dank yerpflichtet.
680
No.
Ebert, Ein. Beitrag zor BekAmpfung
Datam: .
Dlät-Bogen
fflr
Kind
1. Im Beginn der Behandlung.
Alter:
Gewicht:
Normalgewicht :
Differenz beider:
Tägliche Ernährung.
Wie warde
das Kind
ern&hrt?
Minimam-
Bedarf
Maxim am-
Bedarf
Brnfthrongs-
breite
Milch (g)
Zusatz (g) . • . • •
Was als Zusatz? . .
Mischling
Tagesmenge . . . .
Zacker(ge8tr. Teelöffel)
ZuckerlösuDg (pGt.)
Zahl der Mahlzeilen .
Grösse der Mahlzeiten
Pausen
2. Am Ende der Behandlang.
Alter:
Gewicht:
Normalgewicht:
Differenz beider:
der groataii SingÜDgMterblichkeit.
68t
I
60
Q
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^5
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Milch
(g)
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Gewicht
a
1
Tag der
Behand-
lung
O
Bemerkungen
60
a
60
2
o
•1
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s
'S
1 9
1
Grösse
der Mahl-
Zeiten
Zahl
der Mahl-
Zeiten
Zucker-
lösung
(pCt.)
Zucker
(gestrichn.
Teelöffel)
Tages-
menge
(g)
'
lil(.
Zur Kenntnis des periodischen Erbrechens
im Kindesalter.
" Von
^Dr. PETER MISCH.
. Beaondera vQiLlAjnerika*) und von Frankreich') ist uns in
den letzten Jahren über, das periodische Erbrechen im- Eindes-
alter berichtet worden. Die Kinder erkranken mitten aus - voller
Gesundheit, meist ohne dass irgend eine Veranlassung gefunden
werden kann, unter liöhem Fieber und schweren AUgemein^Er-
scheinungen an zuweilen scheinbar unstillbarem Erbrechen, das
aber nach einigen Tagen gewöhnlich ohne Störung vorübergeht,
um Jn verschiedenen kurzen Intervallen von neuem wieder zu
erscheinen.
In der Reget^ ist bei den Kindern Acetonausscheidung durch
Urin und Atmungswerkzeuge beobachtet worden, und man hat
vielfach das ganze Krankheitsbild als Folge der Auto-Intoxikation
des Organismus aufgefässt. (Acetonämie.)
Auch bei uns ' sind solche Fälle gar nicht selten^ wenn
auch die ^hweren und die beschriebenen tödlichen Fälle wohl
weniger bei uns beobachtet werden.
Nun kommen aber FäUe vor, — unter ca. 400 Fällen der
Poliklinik bei ca. 30 Kindern*) — , bei denen das Aceton neben
') Recarrent vomitiug inchildren. Bj Crozer Griffith. Amer. Joorn.
of the med. seien ees. . Nov. 1900.
') Comby, CoDgre8hitern.d6 med. Paris 1900. Comptes rendas. Pag.
611 ff. and Trait^ des mal. de Penfance; vomissement p^riodiqae.
*) Ich sage Herrn Geh, Rat He ab n er für das Interesse, das er
dieser Arbeit entgegengebracht hat, aach an dieser Stelle- meinen er-
gebensten Dank. ' r- . <
Misch, Zar Kenntiits des. peripdifcl^jOii Erbrechens etc.
633
dem hohen Fieber das einzig Greifbare bei der Erkranku«g. der,
Kinder zu sein scheint. : . i.'j
Es handelt sich gewöhnlich um blasse, schwächliche, nervöse
Kinder, die mitten aus voller Gesundheit unter Fieber, stark-
gestörtem Allgemeinbefinden, Verstopfung oder auch Durchfall,
und hin und wieder unter Erbrechen erkranken.
• ■ • . i .', 'i
Krankengeachichtep. , I •
1. * Max M., 3 Jahre; schwächliches Kind. 26. X. 1908. Seit öVTagen
Kopfschmerzen and Fieber. Temp. 39,5; apathisch. Die eingehende körper-
liche Untersuchung lässt nur eine geringe Bronchitis naehweisen. Zange
stark belegt. Urin; Reichlich Aceton »). Kein Erbrechen. Die vorangehenden
Tage schon Gerach fias dem Mande, nach Angabe der Matter: »wie nach
Elssig; als ob man mit reinem Essig Umschläge am den Hais gemacht. **
26. II. 1904. Kind hat wiederholt solche Anfälle, wie dem im Okteber
beobachteten, darchgemacht; vorher wie nachher; ' zületat vor 14' Tagen;
damals 41 o Temperatar. Zange war dick belegt, »da kann man direkt daraaC
kratzen**; dabei grosse Appetitlosigkeit and Verstop fang; kein Erbrechen.
3; IV. 1904. Hat gestern Nacht gebrochen und Fieber gehabt; Temp.
morgens 39,4. Hat schon seit einigen Tagen nicht gegeäeen; war weinerlich
und apathisch. Zunge dick belegt; stark saurer Gerach aas den Monde;
Vater teilt spontan mit: »So hat er damiilsauch gerochen, nach reinem Essig."
Innere Organe o. B. Urin: Reichlich Aceton.
'4. IV, Temp. 36,4. Urin: Noch sehr deutlich Aceton. Zunge noch
stark belegt; Tonsillen noch stark geschwollen; kein Belag.
Ans der Familien-Anamnese sei erwähnt, dass der Vater viel an Kopf^
schmerzen leidet, die Mutter an Krämpfen, »wenn sie sich aufregt und bei
jeder Entbindung". 5 Kinder; 1 Kind leidet an Gelenkrheumatismus, ein
anderes hat auch, wie der Bruder, Anfälle mit Fieber, Erbrechen etc. Aceton
auch bei diesem Kinde im Anfall nachgewiesen.
2« Erwin F., 2*/« Jahre, sehr nervöses, äusserst ängstliches Kind, ist
erst seit >/« Jahr bei der Grossmutter, von der über sein Vorleben nichts zn
erfahren ist.
10. III. 1904. Seit 2 Tagen Fieber; zeigt in den Mund.. Lunge, Herz,
Abdomen, Ohren o. B. Hals: Mandeln geschwollen, rot; links etwas Belag.
Kein Erbrechen; ist verstopft; riecht stark nach Aceton. Urin: Nicht zu er-
halten. Temp. 39,7.
11. III. Hals: Linke Tonsille lakunär belegt, sonst alles o. B. Temp. 38,5.
Urin: Reichlieh Aceton.
12. III. Temp. 36,8. Urin: Kein Aceton, kein Eiweiss. Hals: Linke
Tonsille zwei gelbe, stecknadelkopfgrosse Lakunen.
30. III. Gestern plötzlich Fieber; heute Morgen Erbrechen; Stuhl ver-
stopft; kein Appetit. Zunge stark belegt. Hals; Angina iacun. sin. Milz:
') Angewendet wurde fast ausschliesslich ^die Legalsche Probe und
der Ausfall als stark positiv bezeichnet, wenn bei ihr die Anwesenheit des
Acetons sich durch den Ausfall tiefrot-sehwarzer Wolken dokamentierte.
534 Misch, Zur Kenntnis des periodischen
palpabel, t?eich; sonst Abdomen o.fi. Lunge, Hers, Ohren o.B. Temp.4Q,2.
Urin: Reichlich Aceton.
81. III. Temp. 89,2. Linke Tonsille venig yer&ndert Urin: Reichlich
Aceton. Innere Organe o. B.
2. lY. Temp. 86,6. Urin: Kein Aceton. Tonsillen fast abgeheilt.
Zunge nicht mehr belegt.
Die quantitative Aceton-Untersnchang des Urins ergab am SO. III. bia
81. III. in 225 ccm (Gesamtmenge in P/s Tagen) 0,0167 g Aceton; yom 31. IIL
bis 1. lY. in 850 ccm 0,0148 g Aceton.
7. Y. Temp. 89,8. Urin: Kein Aceton. Hals: Lakunftre Angina. Ohren
o. B. Innere Organe o. B.
9. Y. Temp. 37,8. Angina gebessert Kein Aceton.
8. K&te Y., 7 Jahre; sehr lebhaftes, aufgewecktes Kind.
80. XL 1908. Klagt über Ohrenreissen. Temp. 88,0. Yor 8 Wochen
an Yaricellen erkrankt, die ohne Störung abheilten. Yor 8 Tagen morgens
krank aufgewacht; müde, wollte nicht zur Schule gehen, ist sonst sehr fleissig.
Abends Fieber und Erbrechen, das sich an den folgenden Tagen wiederholte.
Stuhlgang angehalten. Lunge, Herz, Ohren o. B. Hals: Tonsillen etwa»
gerötet Zunge belegt. Haut und Sklerae gelb gefärbt. Abdom.: Leber
fiberragt 1 Querfinger breit den Rippenbogen. Urin enth< Bilirabin und
reichlich Aceton.
4. XII. Urin: Rosinsche Probe schwach positiv, kein Aceton. Innere
Organe o. B.
9. I. 1904. Klagt über Halsschmerzen, kein Erbrechen. Temp. 88,3.
Hals: Tonsillen gerötet. Zunge belegt. Innere Organe o. B. Urin: Reich-
lich Aceton.
20. III. Soll Yor 5 Tagen wieder Anfall Ton Fieber, Kopf- und Hals-
schmerzen gehabt haben. Roch sehr ans dem Munde. Kein Erbrechen gehabt
4. Walter E., 6 Jahre. Blasses, schw&chliches Kind, stammt aas
neryöser Familie, leidet wiederholt an fieberhafter „Angina*' (29. IL— 8. III.,.
20. 111.-21. IIL. 15. IV.— 19. IV., 8. VIL— 14, VIL). Temperatur immer
swisehen 88,7 — 89,2 während der Halsentzündungen.
8. VII. 1908. Hohes Fieber, lakunäre Angina und scharlachähnliohes
Exanthem auf Brust und Bauche Kein Erbrechen. Keine auffällige Pols-
beschleunignng; keine zirkumskripte Röte im Hals. Innere Organe o. B.
Urin: Kein Albumin, auf Aceton nicht untersucht.
14. VIL Völlige Heilung.
6. IX. 1908. Mit Fieber und Erbrechen von neuem erkrankt. Tonsillen
gerötet und geschwollen. Zunge dick belegt Innere Organe o. B.
7. IX. Dreimaliges Erbrechen, zuletzt rein gallig; schwerer Allgemein-
zustand. Innere Organe o. B.
8. IX. Milz eben fühlbar; anf der Bauchhaut 8 roseolaTcrdächtige
Flecke. Verdacht auf Typhus, zumal in der nächsten Umgebung Tjphus
grassieren sollte. Urin: Kein Eiweiss; sehr reichlich Aceton.
9. IX. Völlige Heilung.
Die Mutter berichtet jetzt, dass ihr wiederholt der Geruch nach Obst
bei dem Kinde während der Fieberperioden aufgefallen sei; auch der Urin
£ri>reeheD8 im Kindesalter. 535
rieche dann nach Obst In der Folge wiederholte FieberanfftUe mit Übelkeit,
Halsentzandangy ohne Brbrechen. Aceton im Urin nnnmehr Yom Vater
(Apotheker) nachgewiesen; ftrztlicher Rat nicht mehr nachgesacht. Matter
erzählt, dass die Anfälle des Kindes bis in das früheste Lebensalter dea
Kindes zurückgehen, als ^Magenkatarrh* diagnostiziert und mit strenger Diät
erfolgreich behandelt wurden.
Was den mitgeteilten Krankengeschichten, deren Zahl sich
beliebig vermehren liesse, zunächst gemeinsam ist, ist das völlige
Fehlen einer nachweisbaren Organerkrankung. Was man in allen
Fällen gleichmässig findet, ist das Fieber, die stark belegte Zunge^
die Angina, der mehr oder weniger ausgesprochene Acetongeruch
aus dem Munde, der starke Acetongehalt des Harns und eine
auffällige Oligurie; zuweilen werden nur 20 ccm Urin innerhalb
24 Stunden abgesondert.
Die Zunge ist meist so stark belegt, dass die Eltern ihrer
von selbst Erwähnung tun. Sehr charakteristisch ist in dieser
Beziehung die in der I. Krankengeschichte mitgeteilte Beob-
achtung. Häufig erfahren wir, dass sie „furchtbar^ belegt ist^
und ein filziger, dickweisser, feuchter, stark gelber Belag konnte
in den verschiedensten Fällen gewöhnlich notiert werden.
Was die Angina betrifft, so handelt es sich in der Regel
um eine katarrhalische Entzündung, doch wurde nicht selten
auch eine exsudative Entzündung beobachtet
Fast konstant ist eine ausserordentliche Appetitlosigkeit^
die durch nichts zu überwinden ist.
In der Kegel ist Verstopfung vorhanden, häufig aber auch
Durchfall. Vielfach folgen auf eine 1 — 2tägige Obstipation
häufige, wässrige, auch schleimige Stühle. Zuweilen schliesst sich
ein Ikterus an das Ende des Anfalls an.
Der Acetongehalt des Urins ist beträchtlich. Bei den
Legalschen Proben senkt sich der Niederschlag in dicken, blau-^
schwarzen Wolken. Diese quantitative Vermehrung wird be-
sonders deutlich beim Nachlassen der Erscheinungen; in der
Regel, doch keineswegs immer fällt das Aceton proportional mit
dem Fieber ab. So ergaben die quantitativen Bestimmungen,
die Dr. L. Meyer liebenswürdigerweise vorgenommen hat, die
indessen den respiratorischen Stoffwechsel nicht berücksichtigen
und so nur Minimalzahlen darstellen — bis je 8 centigr Aceton
in 300 ccm Urin während 24 Stunden, die am zweitnächsten Tag be-
reits auf 0,027 gr gesunken waren, gegenüber einer normalen
Aceton-Ausscheidung von 3 — 5 milligr. Was des weiteren den
•^8. Misch^ Zar Kenntnis des peripdisclien
beobachtöten Krankheitserscheinungen eigentümlich ist, ist ihr
Rezidivieren. In dem mitgeteilten I. Krankheitsfall traten,
ganz abgesehen von den anamnestisch mitgeteilten Daten, die
beobachteten Anfälle Ende Oktober 1903, dann wieder April 1904
■auf. Im Fall II Mitte und dann wieder Ende März. Im
Fall III November 1903, dann wieder Januar und März 1904.
In den anderen Fällen wurden 4 wöchentliche Pausen zwischen den
Analen beobachtet. Doch scheinen länger, 4 bis 6 Monate aus-
bleibende Perioden häufiger zu sein.
Neben dem periodischen Auftreten der Anfalle bedarf ein
iSymptom indessen noch besonderer Betrachtung: Das Erbrechen.
Das Erbrechen kann in dem einen Anfall ganz fehlen und kann
bei einem Rezidiv im Vordergrund der Erscheinungen stehen.
So wurde bei Fall I zunächst kein Erbrechen beobachtet;
auch in der Anamnese über die 'früheren Anfalle nichts darüber
4Euigegeben; im bald folgenden Anfall heftiges, über zwei Tage
sich erstreckendes Erbrechen beobachtet. Genau iso ging es im
Fall IL •
Im Fall III wurde beim ersten Mal Erbrechen notiert, die
Rezidive verliefen ohne Erbrechen. Ganz besonders alarmierend
war das Erbrechen im Fall IV, das sehr häufig, sehr profus,
unter schweren Allgemein-Erscheinungen auftrat, nachdem weder
vorher noch nachher Vomitus von den gut beobachtenden Eltern
bemerkt war.
Diese Beobachtung war es auch, die zuerst den Gedanken
nahe legte, ob die hier mitgeteilten Krankheitsfalle nicht in
innigem Zusammenhang mit dem „rekurrierenden Erbrechen der
Kinder^ stehen mögen, ob sie vielleicht nicht nur rudimentäre
Anfalle, formes frustes des periodischen Erbrechens sind.
Vergleicht man daraufhin unsere Fälle mit den Kranken-
geschichten, wie sie Griffith^) als „Recurrent Vomiting in
Children^ seinerzeit mitgeteilt hat, so ist in . der Tat die Über-
einstimmung auffallend; auch hier die Intervalle zwischen den An-
fällen; das hohe Fieber ohne irgendwelchen Organbefund; die
^tark belegte Zunge, von Rotch') as a fact of diagnostic import-
ance bezeichnet, die Obstipation, die Mandelentzündung etc» Auch
rGriffith erwähnt in mehreren seiner Fälle neben der auch bei
uns beobachteten Vermehrung der Harnsäure die Acetonaus-
^cheidung im Urin*.:
1) Vgl. Griffith, l. c.
: r«) Citiert beiiGrlffith.. :... /-
Erbrechens im Kindesalter. o3T
Mit der Einregistrierung dieser Fälle in das periodische Er-
brechen ist nun allerdings nicht allzuviel gewonnen, da das Wesen
des rekurrierenden Erbrechens auch nicht im mindesten geklärt
ist Griffith, der aber in der Absonderung seiner Fälle wohl
zu weit geht und sie z. B. getrennt wissen will von denen durch
Seymes, Gee u. A. beschriebenen, „wo Diätfehler die deutliche-
Ursache" der Erkrankung sind, Griffith hält die Erkrankung
f&r eine „Nekrose toxischen Ursprungs "*. Die nervöse Konstitution
der Kinder war auch in unseren Fällen auffallend; zuweilen lies&
sich ein grober Diätfehler direkt nachweisen; Genuss fetten Käses,,
auch sehr fetter Wurst; einmal setzten die Erscheinungen ein
nach der reichlichen Aufnahme harter Pflaumen bei einem 3jährigen
Kinde.
So geht man wohl nicht fehl, wenn man das Ganze als eine-
tiefer gehende gastrische Störung bei den nervösen Kindern' und
den Acetongehalt als Zeichen des gestörten Stoffwechsels — Kohle-
hydrat Inanition — auffasst.
Zu dieser Auffassung von der Bedeutung der Aceton'-Aus-
Scheidung kommen auch die neuesten Arbeiten über das aus-
gesprochene periodische Erbrechen. „Yomissements et aceton^mie
sont deux symptdmes concomitants d'un ötat morbide^ sagt
C4ard^), und „die Acetonurie ist nur ein Symptom^ lesen wir
bei Colas*).
Es soll aber auch nicht die Acetonausscheidung als ein
Charakteristicum des beschriebenen Symptomenkomplexes auf-
gefasst werden. Acetonurie findet sich bei vielen fieberhaften
Krankheiten — als Folge der Inanition^) — sowie überhaupt ber
den leichtesten Störungen im Fett und Kohlehydrat- Stoffwechsel
der Kinder, wie das die neuesten Untersuchungen LangsteinS'
und Meyers durch die nachgewiesene erhöhte Neigung der Kinder
zur Acidose erklärlich gemacht haben^).
0 Ceard, Essai sar les yomissements avec acetonemie. Paris 1904.
') N. Co las, Apropos de qnelqaes cas d'ac^tonurie chez des enfants.
These de Paris 1903. Aroh. gener. de m^d. 1904. 8. Refer. im Jahrbach für
Kinderheilkunde, Juli 1904.
*) cf. L. Meyer, Acetonurie bei Infektionskrankheiten im Kindesalter.f
Jahrbuch für Kinderh.
^) cf. die Ausführungen der Autoren auf der Naiurfors^herTers. in Breslau^
und in diesem Hefte.
Literaturbericht
ZusammeD gestellt von Dr. B. SAL6E,
Assistent an der ünlTerslt&tt-KlnderkllnJk In Berlin.
V. Taberknlose and Syphilis.
RippenlmorpelanomeUien und Lungenittherkuiose, Von Mendels oh n. Erste
Mitteilung (Säaglingsalter). Archiv ffir Kinderheilkande, XXXYIII. Band,
1. und 2. Heft.
Yerf. hat zur Nachprüfung der bekannten Frenndschen Beobachtungen
60 Säuglingsleichen in Bezug auf die L&nge, Breite und Dicke der Rippen-
knorpel der ersten und zweiten Rippe untersucht. Leichen, bei denen
irgendwie erhebliche Zeichen von Rachitis vorhanden waren, wurden aas-
geschlossen.. Die F&lle wurden in 3 Gruppen geteilt: 1. weder erblich
tuberkulös belastete, noch tuberkulös erkrankte; 2. an Lungentuberkulose
erkrankte ohne erbliche Belastung; 3. erblich tuberkulös belastete F&lle, die
a) tuberkulosefrei und b) an Tuberkulose erkrankt waren. Die üntersuchnng
ergab :
K Die von Freund beobachtete abnorme Kurze des 1. Rippen-
knorpels kommt als angeborener Zustand im Säuglingsalter vor;
2. die Lungentuberkulose der Säuglinge ist in ihrer Lokalisation un-
abhängig von dieser Knorpelanomalie;
3. ein Zusammenhang zwischen abnormer Kürze des 1. Rippen-
knorpels und hereditär-tuberkulöser Belastung besteht nicht.
Ob nicht neben der angebornen abnormen Kürze derselbe Zustand
infolge eines Zurückbleibens im Wachstum vorkommt und ob diese Wachs-
tumsstörung nicht wahrscheinlicher eine Folge als eine Ursache der
Lokalisation der Tuberkulose in der Spitze ist, darüber sollen weitere
Untersuchungen an älteren Kindern entscheiden. Spanier- Hannover.
Zur Fragt der Füiierungsiuherkulose, Von Ganghofner. Archiv für
Kinderheilkunde, XXXVIL Band, 5. und 6. Heft.
Die Möglichkeit einer Übertragung der Rindertuberkulose auf den
Menschen muss nach dem Ergebnis von Tierversuchen wohl zugegeben
werden; denn wenn es gelingt, Rinder mit menschlichen Tuberkelbazillen
zu infizieren, liegt die Annahme nahe, dass die Infektion auch umgekehrt
vorkommen kann. Doch ist nach Verfassers Ansicht bisher kein Beweis
dafür beigebracht, dass eine solche Übertragung häufig stattfindet. Weder
Verfassers pathologisch-anatomischen Befunde von 972 an akuten Infektious-
krankheiten verstorbenen Kindern, noch die von ihm bearbeiteten statistischen
Erhebungen über das Verhältnis von Rinder- und Menschen tuberkulöse in
Y. Taberknlose and Syphilis. 539
Böhmen sprechen dafür, dass der Oenuss von perlsuchtbazillenhaltiger
Nahrung für die Entstehung der menschlichen Tuberkulose — insbesondere
auch im Kindesalter — eine erhebliche Bedeutung hat.
S p a n i e r -Hanno vor.
Zur Paikogenes€ der Mensckeniuherkulose nach v. Behring, Von Köhler.
Wiener klinische Rundschau, 1904, No. 37.
Verf. steht der Behringschen Theorie yon der intestinalen Infektion
sehr sympathisch gegenüber, sucht sie zu stützen und die gegen sie
erhobenen Einwände zu widerlegen. Bis heute müssen die intestinale In-
fektion, die Mandelinfektion und die Inhalationsinfektion sämtlich als möglich
anerkannt werden, es fragt sich nur, mit welcher Häufigkeit der eine oder
der andere Modus vorkommt, welche Art als der gewöhnliche und welche
als der Ausnahmetypus angesehen werden muss. Die endgültige Ent-
scheidung dieser Frage ist erst xuush Jahrzehnten zu erwarten und daher
ist das Handeln des Praktikers vorerst nicht abzuändern.
Span 1er- Hannover.
Tümtur caseeuse du lobegauche du cerveiet, Amaurose par atrophie papiUaire
et persisiance des reflexes lumineux, Paralyse faciale, Pied bot varus equiu.
Considerations sur ia ponction lombaire et la permeabilui meningee. Von
Rene Cruchet. (Revue Mens, des maladles de Penfance, XXII. August 1904.)
Der Titel enthält alles Wichtige, was aus der Arbeit hervorzuheben
wäre, und es bedarf nur einiger Bemerkungen über aie Lumbalpunktionen:
Bei Hirntumoren fiel bei einigen Autoren die Untersuchung der Spinal-
flüssigkeit auf Zellen negativ aus, andere fanden Lymphozyten. Diese ge-
hören nun nicht allein zum Bilde einer tuberkulösen Veränderung, sondern
sind auch bei anderen Tumoren gefunden, andererseits sind auch bei Tuber-
kulose polynukeläre Zellen gefunden. — Die Leukozytose ist eine Folge der
Beizung der Meningen. Es «ritt also keine Leukozytose auf, solange ein
Tumor nur zentral ist; sobald er aber an die Meningen reicht, kommt eine
reaktive Leukozytose zustande, die im akuten Stadium polynukleär ist;
handelt es sich um einen älteren Prozess, treten Lymphozyten auf.
L. Ballin.
Df'e Zähne als Eingangspforte der Tuberkulose. Von Parts eh. Deutsche
med. Wochenschr. No. 39. 1904.
Primäre Erkrankung bei einem 14jährigen Mädchen, bei dem das
tuberkulöse Gift durch einen kariösen unteren Molaren eingedrungen, eine
tuberkulöse Periodontitis erzeugt hat, die von dem Wurzelloch aus sich quer
durch den Kiefer fortgepflanzt und tuberkulöse Infektion der benachbarten
submaxillaren Lymphdrüsen erzeugt hat, von der aus dann selbständig die
Tuberkulose auf eine der oberen Halsdrüsen und die submentalen Drüsen
übergesprungen ist. Misch.
Ein Fall von angeborener Tuberkulose. Von D. Veszpremi. Budapesti
Orvosi Ujsaq. 1904.
Im Verhältnis zur grossen Zahl der zur Sektion kommenden Tuber-
kulose-Fälle werden solche äusserst selten mitgeteilt, bei denen die Tuber-
kulose als evident angeborene Krankheit erscheint. In dem vom Autor
beschriebenen Falle war die Mutter im vorgeschrittenen Stadium der
Schwindsucht. Sie starb 12 Tage nach der Geburt. Bei der Sektion ergaben
640' Literatotberieht.
sich i8:avernen, Laryngophthisis, Verk&snng der Mesenterial- und BroncUal-
drüsen, Darmgeschwüre, in der Leber und Milz /miliare Tuberkulose. Der
Uterus erwies sich nach sorgfältigster makro- und mikroskopischer Unter-
suchung frei ton Tuberkulose. Das frühgeborene Kind wurde vom ersten
Tage an mit sterilisierter Milch em&hrt, von der Mutter separiert Tempe-
raturkurve st&ndig unregelm&ssig; h&ufig Fieber von 88,5—39« C. Am
37. Tage starb der von ^250 auf 1625 g abgemagerte S&ugling. Sektions-
befund: Verk&sung der Drüsen der Leberpforte, Tuberculosis peritonei,
ein verkäster Herd in der Leber und miliare Tuberkulose der Leber, Milx
und Lungen. In den aus den erkrankten Organen gewonnenen Präparaten
konnten Koch sehe Bazillen in grosser Zahl nachgewiesen werden.
Autor erblickt in erster Reihe darin, dass Leberpforte und Leber in
vorgeschrittener Weise beteiligt waren, den Beweis, dass die Infektion der
Frucht im Wege der placentaren Zirkulation intrauterinal erfolgt sei.
Torday.
Tuberculose de la clavicuie. Von A. Conor. Gazette des hopitaux. 1904.
No. 105.
Bei einem ans gesunder Familie stammenden, bisher stets gesunden
18jährigen Knaben entwickelte sich ziemlich schnell ein Tumor in der
Sterno-Clavicular- Gegend. Bei Bewegungen bestanden massige Schmerzen,
sonst nicht. Die inneren Organe waren gesund, geringes kontinuierliches
Fieber. Bei der Eröffnung des Tumors fand sich kein Eiter, sondern trübe,
seröse Flüssigkeit, in welcher der Tierversuch Tuberkelbazillen ergab. Das
nun freiliegende Schlüsselbein war seines Periostes beraubt, rauh; es wird
das etwa 4 cm lange kranke Stück entfernt. Das Sterno-Clavicular-Gelenk
ist frei. Heilung.
Literaturzusammenstellung. Moltrecht.
Abscei froid de la langue. Von M. SalvaMercade. Gazette des h6pitauz.
1904. No. 102.
Diese sehr seltene Affektion fand Verf. bei einem 8jährigen Mädchen.
Die etwa erbsen grosse, von gesunder, unveränderter Schleimhaut umgebene
fluktuierende Geschwulst hatte sich langsam entwickelt und keinerlei Be-
schwerden gemacht. Sie sass auf dem hinteren Abschnitt der Zunge.
Drüsenschwellungen waren nicht vorhanden, ebenso keine Lungenerkrankung,
Die Behandlung bestand in Spaltung und Auskratzung des Abszesses. Im
Eiter wurden keine Tuberkelbazillen gefunden. Moltrecht.
La Htberculose du perUoine dans i*enfance. Von R. Göppert. Archives de
m^decin des enfants. Tome 7. No. 8. August 1904.
Die Ausführungen des Verf. bringen wenig Neues. In therapeutischer
Beziehung empfiehlt Verf., in Fällen von generalisierter Tuberkulose, in
welchen mehr oder weniger ausgesprochene sekundäre peritonitische Er-
scheinungen auftreten, gegen diese letzteren angesichts der durchaus un-
günstigen Prognose höchstens symptomatisch vorzugehen. Tritt die tuber-
kulöse Peritonitis hingegen als lokales Leiden selbständig auf, so ist sie
heilbar und im allgemeinen konservativ zu behandeln. Chirurgisches Vor-
gehen will G. auf jene ascitischen Formen beschränkt wissen, welche nach
einigen Monaten keine Tendenz zur Rückbildung zeigen, vielmehr zu Kachexie
YIII. KrankheiteD des Nervensystems. 541
fähren, femer auf Fälle von drohender Perforation peritonitischer Abszesse
durch die Bauchhaut und von Darmverschluss. Pfaundler.
Das Syphihsheilserum von Dr. Paulsen, Von L. Waelsch. Arch. f. Dermat.
und Syphilid. 1904. Bd. 70. p. 461.
Mit Hilfe des aus dem Blute aller untersuchten Fälle von sekundärer
Lues gezüchteten Pseudodiphtheriebazillns, welchen er für den Erreger der
Syphilis hält, stellte Paulsen zum Zwecke der Behandlung der Syphilis
zwei Heilsera her. Bei der Nachprüfung, die Waelsch zunächst im Tier-
experiment vornahm, erwies sich jedoch das Heilserum für Meerschweinchen
pathogen, indem es augenscheinlich toxische Substanzen enthielt, welche
auch in geringer Menge das Tier nach verhältnismässig kurzer Zeit eingehen
Hessen. Unter diesen Umständen nahm W. von therapeutischen Experimenten
bei Lnetikern Abstand und lehnt den Wunsch nach weiterer Prüfung des
Serums ab. Der Bazillus, mit dem es hergestellt ist, ist nicht der Erreger
der Syphilis; das mit ihm erzeugte Serum macht Versuchstiere krank und
tötet sie, und gegen die Krankheit, gegen die es verwendet werden soll,
erweist es sich nach eigenem Geständnis der Darsteller des Serums als
ziemlich unwirksam. Schleissner.
YIII. Krankheiten des Nervensystems.
Du nervöse Zelle bei den Meningiiiden. Von Luis a da. (Rivista di Clinica
pediatrica.) No. 7. 1908.
Verf.' hat seine Untersuchungen über sechs Fälle Meningitis und
1 Fall Meningismus ausgedehnt.
Der erste Fall betrifft eine akute tuberkulöse Meningitis. Die Unter-
suchung der Zellen der MeduUa oblongata zeigte sehr schwere Läsionen
bis zur Zerstörung des Protoplasma und der verschiedenen Teile der Zelle;
Zeilläsionen vom Typus der perinukleären und peripherischen Chromatolyse ;
Zelliäfiionen ähnlich der bei Achsenzylinderverletzung beschriebenen, der
Kern gegen die Wand neben dem Ursprung des Achsenzylinders gedrückt.
Seine Veränderungen waren in einigen Zellengruppen überwiegender als in
anderen.
Der zweite Fall betraf eine chronische tuberkulöse Meningitis. Es
wurde bemerkt: paracelluläres Durchdringen im Nervengewebe, Vermehrung
der Kerne der Neuroglien, Verdickung der fibrösen Bündel; ausserdem
celluläre Veränderungen vom Typus sekundärer Reaktion und zahlreiche
Formen primärer Entartung mit peripherischer Chromatolyse«
Verf. meint, dass die perinukleäre Chromatolyse ohne Kernverrückung
der Anfang einer Zellreaktion durch eine frische Läsion des Nerven-
zellenfortsatzes sei und dass die scharfen Reaktionsformen mit Kern-
verrückung und Zentralchromatolyse als eine Kompression des Nervenzellen-
fortsatzes zu betrachten sei.
Im 8. und 4. Fall betrachtet Verf. die Meningitis cerebro-spinalis,
durch Weichsel baumschenMeningococcus verursacht. Verfi bestätigt die
Vorliebe der Läsionen, welche die Toxininfektionen auf einige Zellen-
gruppen des Bulbus ausüben, und erklärt, dass es in diesen Gruppen der
Jalirbneb f. Kinderheilkunde. N. F. LXI, Heft 8. 35
542 Literaturbericht.
Zellen, deren Elemente weniger widerstandsfähig sind, zu schwerer Ent
artung kommt.
Der 5. Fall betriflft eine eitrige metapneumonische Meningitis. Verf.
hat ähnliche Charaktere wie bei Anämie des Nerrensjstems beobachtet; der
Mangel schwerer Zellen Veränderungen wird mit der Schnelligkeit der Zer-
störung des Centraineryensystems erklärt, die den verschiedenen Zellen-
entartungsformen keine Zeit Hess, sich auszubilden.
Im 6. Fall, Meningitis durch Diploccocus capsulatus nach Otitis, hat
Verf. späte Entartungen mit Achsenzylinderläsionen gesehen. Ausserdem
sollen beschädigt worden sein die Hirnrindenzellen durch interstielle Ver-
änderungen, durch den gestörten inneren Schädelkreislanf und durch die
toxische Wirkung der Bakterienprodukte.
Der 7. Fall betrifft ein Mädchen, welches im Typhusverlauf schwere
nervöse Erscheinungen darbot, weswegen man klinisch eine echte Meningitis
diagnostiziert hatte. In diesem Fall hat Verf. peripherische Chromatoljse
ohne Sekundärentartung, Mangel an Reaktionserscheinungen des Interstitial-
gewebes und dafür leichte Eestitutio ad integrum und schnelles Ver-
schwinden der klinischen Phänomene gefunden.
Verf. meint, dass ein scharfer Unterschied zwischen Meningismus und
Meningitis pathologisch-anatomisch nicht vorhanden ist und das es sich
gewöhnlich nur um verschiedene schwere Stufen der Lokalisation des krank-
machenden Agens handelt.
Die Nervenzelle ist also immer krank in den verschiedenen Formen
der Meningitis, wie auch in den Übergangsformen zwischen Meningitis und
Meningismus, die zum Tode führen. Dr. Crisafl.
Seröse Meningitis und LumbaipunkiUm. Von Blumenthal. Archiv für
Kinderheilkunde. XXXVIII. Bd. 1 und 2. Heft.
Ein Sjähriger, erbärmlich genährter Knabe, der erst mit S'/i Jahren
Laufen gelernt hatte und sehr schwere rachitische Knochenverkrümmungen
an W^irbelsäule und Extremitäten aufwies, erkrankte 3 Wochen nach einem
schweren Falle auf den Hinterkopf an überaus heftigem Kopfschmerz, der
seitdem (8 Tage lang) ununterbrochen und unvermindert anhält und am
1. und 2. Tage der Erkrankung mit unstillbarem Erbrechen verbunden war.
Der Kopf wird steif im Kacken gehalten, kann jedoch auch vornüber
gebracht werden. Augen hintergrund (nach den Lumbalpunktionen unter-
sucht) war normal. Eine zweimalige, mit einem Intervall von ca. 20 Tagen
ausgeführte Lumbalpunktion, die 40 resp. 100 g wenig getrübter Flüssigkeit
ergab, führte zu vollkommener Heilung (^/j Jahr lang beobachtet).
Bezüglich der Art der Erkrankung spricht vieles für die Exacerbation
eines durch die Rachitis bedingten chronischen Hydrocephalus nach dem
Trauma; doch kommt auch die Möglichkeit einer akuten, einfach serösen
Meningitis nach Trauma in Betracht. Die bakteriologische Untersuchung;
der Punktionsflüssigkeit ergab ein völlig negatives Resultat.
Spanier- Hannover.
Die Auf braue hkrankheiten des Nervensystems, Von L, Edinger. Deutsche
med. W^ochenschr. No. 45. 1904.
Die von Edinger bereits vor 10 Jahren veröffentlichte „Ersatz*'-
hypothese besagt im wesentlichen, dass es Nervenkrankheiten gibt, welche
VIII. Krankheiten des Nervensystems. 643
dadurch entstehen, dass unter bestimmten Umst&nden den normalen An-
forderungen, welche die Funktion stellt, nicht ein entsprechender Ersatz
innerhalb der Gewebe gegenüberstehe, dass also die Funktion selbst dann
eine Sch&digung ist, und zwar basiert diese neue Auffassung auf der yon
Weigert begründeten anatomischen Anschauung, dass alle Zellen des
Organismus im Gleichgewicht untereinander stehen, dass keine gesch&digt
werden kann, ohne dass die benachbarten entsprechend überwuchern oder
beim Verschwinden der Zelle deren Raum erfüllen. Mit dieser Hypothese
wird die frühere elektive Gifttheorie erschüttert und nur in soweit gelten
gelassen, als einige Nervenkrankheiten durch die Funktion auf dem durch
die Gifte geschädigten Boden entstehen. Auch die hereditären Nerven-
krankheiten macht die Ersatztheorie in ihrer Genese deutlicher. Misch.
DU Au/ArauckkrafM^Uen des Nervensystems, Von L. E ding er. Deutsche
med. Wochenschr. No. 49. 1904.
In diesem zweiten Artikel wird der Aufbrauch durch relative oder
absolute Überfunktion, die toxische Neuritis und der toxisch funktionelle
Aufbrauch behandelt. Da es sich beim Untergang von Nervenbahnen durch
Überarbeitung nur um eine Steigerung an sich normal vorkommender
Prozesse handelt, hat man die Frühspuren da zu suchen, wo gesunde
Menschen besondere Anforderungen an ihren Nervenapparat stellen, also
z. B. bei Sportsleuten, bei Militärs. Die Taubheitsempfindungen nach an-
strengenden Touren, die Unsicherheit in den Sohlen, Störungen in der
Hand des Alpinisten, die den Pickel führte, gehören hierher. Auf diese
abnormen Empfindungen hätten diesbezügliche Untersuchungen zu achten,
da grosse Fasermassen in peripheren Nerven erkranken können, ohne dass
spezielle Ausfallssymptome deutlich werden. Auch die meisten Lähmungen
nach schweren Krankheiten gehören hierher. Gerade diese Lähmungen
demonstrieren die Beziehungen zwischen toxischen und funktionellen Neuri-
tiden; die meisten entstehen, wenn die Patienten wieder beginnen, auf dem
geschädigten Boden zu arbeiten. Auch bei der Alkohollähmung und der
Bleilähmung erhalten wir geistvolle Darlegungen über die Elektion durch
die Funktion. Für elektive Giftwirkung bleiben ausser Schwefelkohlenstoff,
Kohlenoxyd und Dinitrobenyol nur wenige toxische Einflüsse übrig. Ein
dritter Aufsatz über den Aufbrauch des Zentralapparates soll die glänzenden
Ausführungen beschliessen. Misch.
Neuere Ansichten über StoUem, Stammeln, Poltern und Hörstummheit, Von
Barth. Wiener klin. Rundschau. 1904. No. 39 und 40.
Verf. schliesst sich im allgemeinen den Anschauungen über Einleitung
und Entstehung, Wesen und Behandlung der Sprachstörungen an, die Lieb -
mann in seinen verschiedenen Veröffentlichungen niedergelegt hat, und die
Arbeit des Verfassers ist eigentlich nur ein Auszug aus diesen.
S p an i e r - Hannover.
Eine typische Form der Hysterie des Kindesalters und ihre Besiehung su der
Anatomie der Unea alba. Von Josef K. Friedjung. Verlag : Wilhelm Brau-
müller. Wien und Leipzig.
Verf. geht von einem Krankheitsbild Bü ding ers aus, das jener unter
dem Titel: ^Über Diastase der Linea alba der Kinder mit Inkarzerations-
erscheinungen^ beschrieb, wobei vordem ganz gesunde Kinder an heftigen
85»
544 Literaturbericht.
charakteristischen Schmerzanf&llen in der Magengegend erkrankten. Büdinger
deutete es als Hernia der Linea alba. Ein Heftpflasterstreifen genügte,
um jedesmal prompt Heilung zu erzielen. An einem selbst erlebten Fall ist
Verf. besonders durch die so schnelle Wirkung des Heftpflasters auf den
Gedanken der suggestiven Therapie gekommen und hat daher das Krankheits-
bild n&her untersucht. Er kommt dabei zu folgenden Ergebnissen:
Die Diastase der Musculi recti abdominis bezeichnet im Kindesalter
ohne Unterschied des Geschlechts das normale Verhalten und macht keine
krankhaften Erscheinungen. In der Mehrzahl der Fälle (63pCt.), schon un-
mittelbar nach der Geburt nachweisbar, wird sie durch den Meteorismus
des Säuglings noch wesentlich yermehrt, geradezu eine charakteristischp^
Eigenschaft des Säuglingsabdomens.
Diese Eigentümlichkeit nimmt das Kind noch weit in die höheren
Altersstufen mit; je älter die Kinder werden, desto häufiger vermisst man
sie, bis sich die Bauchmuskulatur in der Zeit der Geschlechtsreife bei den
meisten schliesst.
Während das Verhalten des Comeal- und Rachenreflexes für die Diagnose
der Hysterie des Kindes nur yon untergeordneter Bedeutung ist, darf die
Druckempfindlichkeit der Processus spinosi ceryicales und die „Oyarie'^ al»
ein sehr bezeichnendes und regelmässiges Symptom derselben gelten.
Die Hysterie des Kindes erscheint häufig unter dem Bilde charakte-
ristischer Schmerz anfalle, die im Abdomen lokalisiert werden. Die richtige
Deutung dieser Anfälle ist leicht und sichert überraschende Heilerfolge.
Rietschel.
Über Kinderselbsimorde, Von Deutsch. Arch. f. Kinderheilk. XXXVIILBd.
L u. 2. H.
Verf. hat 200 Fälle von Kinderselbstmord au9 der Zeitungsliteratur
der letzten drei Jahre zusammengestellt. Die jugendlichen Selbstmörder
stehen im Alter von 7 bis 20 Jahren, auf 58 Mädchen kommen 147 Knaben;
die meisten Selbstmorde kommen zwischen dem 11. und 15. Lebensjahre Tor.
In der Ätiologie des Kinderselbstmordes ist der oft beschuldigte Mangel
an Religiosität kaum in Betracht zu ziehen. Von grosser Bedeutung dagegen
sind das mit der Kultur vergesellschaftete Gespenst der Schulfurcht, die
Studiennberbürdung, der krankhafte Ehrgeiz der Eltern und Kinder und die
Examina — unter den 200 Selbstmördern waren 103 Schüler von Mittel-
schulen. Weitere wichtige ätiologische Faktoren sind der grosse Pauperismuß.
neuropathische Belastung und psychische Infektion.
Am häufigsten geschah der Selbstmord durch Ertränken, Erschiessen
und Sprung aus der Etage. Zur Verhütung der lünderselbstmorde ist es-
notwendig, dass Eltern und Erzieher erzogen werden, um erziehen zu können.
Ferner kommt in Betracht Schutz der Kinder des Proletariats, sowie eine
auf Individualisieren in Unterricht und Erziehung abzielende Schulreform.
S p a n i e r - Hannover.
DU Gefährdung der Kinder durch hrankhafl veranlagte und sUtlich defekU
Aufsichtspersonen. Von Heller. Wiener klin. Rundsch. 1904. No. 37.
Verf., ein Pädagoge, bespricht die bekannten Gefahren, denen die
Kinder in somatischer und psychischer Hinsicht durch die Aufsichtspersonen
ausgesetzt sein können. Er verspricht sich Besserung der jetzigen Verhält-
VIII. Krankheiten des Nenrensystems. 545
nisse nur dadurch, dass die Mütter ihrer vornehmsten Pflicht, sich ihren
Kindern zu ividmen, mehr sich bewusst werden und dass schon die weibliche
Jugend so erzogen wird, dass aus ihr Mütter im Sinne Pestalozzis hervor-
gehen können; femer muss die soziale und pekuniäre Stellung der Familien-
pädagogen im allgemeinen gebessert werden, damit sich eine görssere Zahl
besserer Elemente diesem schwierigen und verantwortungsvollen Berufe
widmet. Spanier- Hannover.
Schule und Nervenkrankheilen, Von Wildermut h. Wiener klin. Rundsch.
1904. No. 40.
Verf. hat 3G0 jugendliche Patienten im Alter von 6 bis 18 Jahren an
Neurasthenie, Hysterie und anderen funktionellen Nervenkrankheiten sowie
an Psychosen behandelt. — Nur bei einer kleinen Anzahl neurasthenischer
Kranker war das Leiden bestimmt auf geistige Überanstrengung zurück-
zuführen. Jedenfalls kommt ihr, gegenüber der Tatsache, dass bei der Mehr-
zahl der Kinder die nervöse Schwächlichkeit bis in die früheste Jugend
zurückgeht und sich eben bei der ersten Kraftprobe im Leben, beim Schul-
besuch, geäussert hat, und bei dem Einflüsse des Alkohols, z. T. auch sexueller
Verirrungen, nur eine kleine Bedeutung zu. Auch bei der Neurasthenie Er-
wachsener wird der schädliche Einfluss der Arbeit weit überschätzt. — Auch
zur Entstehung der Hysterie und der sonstigen Neurosen tragen die
Schädlichkeiten der Schule, insbesondere geistige Überanstrengung, nur in
ganz geringem Umfange bei. — Bezüglich der Psychosen muss Verf. nach
«einen Erfahrungen gleichfalls einen Zusammenhang zwischen Schulüber-
bürdung und Geisteskrankheiten im kindlichen und jugendlichen Alter be-
streiten; auch nicht in einem einzigen Falle konnte er einen solchen Zu-
sammenhang finden.
Das Wesentliche bei sämtlichen infantilen und juvenilen Neurosen und
Psychosen ist die erbliche Belastung und die kongenitale Anlage; für die oft
behauptete Zunahme dieser Erkrankungen, namentlich auch im jugendlichen
Alter, fehlt jeder sichere Anhalt. Nervenkränkliche IQnder sollten nicht vor
•dem 7. oder 8. Lebensjahre zur Schule kommen, und in manchen Fällen is.t
den Eltern zu raten, auf eine Ausbildung der Kinder in höheren Schulen zu
verzichten. Innerhalb der Klasse einzelne Gruppen geistig gleichwertiger
Kinder zu bilden, ist nach Verfassers Ansicht ohne grosse Missgriffe einst-
weilen nicht möglich. Für einen Teil nervöser Kinder, solche, die gut lernen,
ist es geradezu heilsam, wenn sie in einen Schulverband kommen. In dem
nicht zu sehr individualisiert wird, .in dem ein gewisser militärischer Zug
herrscht, ein Moment psychischer Abhärtung, wodurch nicht jeder subjektiven
ii>chwankung des Befindens nachgegeben werden kann.
S p a n i e r - Hannover.
Übtr kereäiiäre injantile Tabes, Von Kaufmann. Wiener klin. Rundsch,
1904. No. 35.
Ein lOjähriger Knabe, der von einem Tabiker und einer gesunde^
Mutter abstammt, hat seit seinem sechsten Lebensjahr Erscheinungen von
Incontinentia urinae, seit seinem neunten Jahre gastrische Krisen. Objektiv
«ind an ihm reflektorische Pupillenstarre, Trägheit der Pupillen bei Kon-r
vergenz, Fehlen der Patellarreflexe und ein geringer Grad von Romberg- .
schem Phänomen zu konstatieren. Die Krankheit verläuft ohne auffallende
646 Literaturbericht.
Remissionen und — mit Ausnahme der Papillensjmptome — ohne cerebrale
Erscheinungen. Lancinierende Schmerzen, erheblichere Ataxie, Stomngen
der Hautreflexe, der Sensibilität, der Intelligenz, der Sprache fehlen.
Friedreich sehe Tabes ist im vorliegenden Falle ausgeschlossen,
ebenso die Pseudotabes syphilitica; es handelt sich yielmehr um echte
Tabes, bei der die hereditäre Lues in Verbindung mit der ererbten Dispo-
sition zwar wichtige, prädisponierende Momente abgeben, aber nicht die
direkte Ursache der Erkrankung sein können, denn sonst müsste die
infantile hereditäre Tabes bei den Kindern Ton Tabikern häufiger zu finden
sein. Spanier- Hannover.
IX. Krankheiten des Auges, des Ohres und der Nase.
Das sogenannte Empyem der HighmareshShien hei Säugüngen. B. Kelly.
Edinb. med. Joum. Oktober 1904.
K. reiht 16 Fällen, die er aus der Literatur auftreiben konnte, einen
selbstbeobachteten an. Mit 14 Tagen bekam das Kind beiderseits
Schwellungen der unteren Augenlider und Wangen, auf der linken Seite
Yortreibung des Bulbus, die nach wenigen Tagen in einer Eiterentleerung
endete aus Augenhöhle, Nase und Oberkiefer (nach der Mundhöhle). Diese
Absonderung dauerte im ganzen 1 — 2 Monate an; ihre Herkunft aus der
Highmorshöhle ward festgestellt* Nach des Verfassers Meinung handelt es
sich um eine infektiöse Periostitis, Osteomyelitis des Oberkiefers, yerur-
sacht durch Trauma in der Gegend der Alveolarsäckchen, besonders de»
I. Molaren. Spiegelberg.
X. Krankheiten der Respirationsorfirane.
Ober Bronckiekiasien bei IQndem, Von Lapin. Arch. f. Kinderheilk.
XXXVII. Bd. 5. u. 6. Heft.
Die Arbeit des Verfassers beruht auf 12 Fällen von Bronchiektasie
bei Kindern ron P/t bis 12 Jahren. Die Bronchiektasie ist nach Verfassers
Ansicht keine seltene Erkrankung im Kindesalter, sie entsteht durch eine
gleichzeitige Erkrankung der Lungen und Bronchien mit nach-
folgender Lungensklerose. Die Sklerose erweitert die vorher durch
einen Krankheitsprozess yeränderten Bronchien (Elastizitätsabnahme, Mnskel-
fasjdrdegeneration). Eine Pneumonie allein ohne Sklerose, eine Bronchitis
allein, selbst das Eindringen eines Fremdkörpers, der eine schwere
Bronchitis hervorruft, ein eitriges Exsudat oder alte pleuritische Ver-
wachsungen vermögen keine Bronchiektasie hervorzurufen. Akute Broncho*
Pneumonien werden von akuten Bronchiektasien begleitet, die nach der
Zurückbildung des Prozesses verschwinden. — Von den Infektionskrank-
heiten, die auf dem Wege einer Bronchopneumonie mit darauf folgender
Lungen sklerose eine Bronchiektasie nach sich ziehen können, kommen in
erster Linie die Masern, darnach Infiuenza, Keuchhusten, Syphilis, seltener
Malariafieber, Pocken in Betracht.
X. Krankheiten der Respirationsorgane. 547
Verf. bespricht dann, ohne neue Gesichtspunkte beizubringen, die
Symptome, Diagnose und Prognose der Bronchiektasien im Kindesalter.
Die Prognose ist sehr ungünstig; die Dauer der Bronchiektasie betr>
einige Jahre; der Tod erfolgt stets infolge von Komplikationen. Die beste
Prognose geben noch die Fremdkörperbronchiektasien, bei denen die Fremd-
körper noch nach einer langen Zeit bei einem Hustenanfali ausgehustet
werden können und Heilung eintreten kann, falls die Bronchienerweiterung
noch nicht zu weit vorgeschritten ist.
Die Behandlung ist vor allen Dingen symptomatisch, doch kommt in
neuerer Zeit auch die chirurgische Behandlung durch Pneumotomie in Be-
tracht. Sie ist angezeigt 1. bei scharf umgrenzten und genau durch
Perkussion und Auskultation bestimmten Herden, 2. bei schweren all-
gemeinen Symptomen, die mit dem Tode beim natürlichen Krankheitsyer-
laufe drohen, 3. bei der Unwirksamkeit der internen Behandlung. Absolut
notwendig für die Operation sind pleuritische Verwachsungen, die man da,,
wo sie fehlen, künstlich herbeizuführen suchen muss, um ein Eindringen
des Eiters in die Pleurahöhle zu vermeiden. Spanier- Hannover.
Obier seltene ErkranhmgsfürtHen der Bronckien nack Masern und Keuchküsten,
Von 6. Jochmann und Moltrecht. Zieglers Beitrüge zur pathol.
Anatomie etc. Bd. 36.
Abweichend von der nochmals gegebenen Schilderung des gewöhn-
lichen Bildes der Masernpneumonie fanden die Verfasser in 3 FftUen von
an Bronchopneumonie nach Masern nebst Keuchhusten verstorbenen Kindern
starke Bronchienerweiterungen, umgeben von dichten, grauen Infiltrtions-
herden, die epithelberaubten Bronchiallichtungen von einem dicken, der
Submucosa anhaftenden Fibrinmantel ausgekleidet, in den Alveolen der Um-
gebung meist zelliges, wenig fibrinöses Exsudat, w&hrend später fibrinöse
Entzündung den genannten grauen Wall erzeugt. Die F&lle unterscheiden
sich in vielem von den ähnlichen, auch vom Ref. berichteten Hart sehen.
Ursache der Fibrinbildung ist eine besonders giftige Noxe.
Spiegelberg.
Besprechungen.
Müller, Paul Tb.« Voritsungen über InfekHon und Immuniiät. Jena. 1904.
Gbstay Fischer.
Obwohl an zosammeDfasseDden DarsteUnnji^eii der modernen Immanit&ts-
lehren kein Mangel besteht, ist das Yorliegende Bach doch mit Freaden zu
begrässen« Verf. setzt wenig Vorkenntnisse yoraos; durch seine sorgfiUtig
disponierte, anschaaliche Darstellangsweise erleichtert er dem Leser das
Eindringen in das schwierige Gebiet ganz wesenUich und fahrt ihn nberall
bis aaf den neuesten Standpunkt So ist die Wanderang des Tetanusgiftes
in den peripherischen Nerven ausf&hrlich besprochen, ebenso die Bedeutung
der Bakterienauflösong im lebenden Organismus für die Entstehung der
Krankheitserscheinungen, die Vorteile der poljTalenten antitoxischen uod
baktericiden Sera und vieles andere, noch zur Diskussion Stehende. Be-
sonderes Lob Terdienen femer die objektiv kritischen Erörterungen über
die Phagocytose und die sehr klare Schilderung der Versuche, welche die
Möglichkeit der Unsch&dlichmachnng bereits an die Körperzellen gebundenen
Toxins durch naehtr&glichen Autitoxinznsatz beweisen.
Das Buch sei, namentlich zur ersten Einführung in das so nbenus
wichtige Gebiet der Immunitätslehre, lebhaft empfohlen. Stoeltzner.
Römer, P., Du Bkrlichsche SeUenketteniheorU und ihre Bedeutung für die
medütUOseken Wissenschaßen. Wien. 1904. Alfred Holder
Das Werk von R., zu dem Ehrlich selbst ein Vorwort geschriebei
hat, will nicht eine Einführung in die modernen Immunit&tslehren geben,
sondern eine umfassende Darstellung aller derjenigen biologischen Vorg&nge,
welche mit HnUe der Seitenkettentheorie erkl&rt werden können. Besonders
wichtige Arbeiten werden dementsprechend ausführlich referiert, vielfaeh
mit Wiedergabe von Versuchsprotokollen. Die Darstellung gewinnt dadurch
einen, Ref. möchte sagen, aktenm&ssigen Charakter.
Die gründliche Durcharbeitung des Werkes stellt erhebliche Ansprüche
an die Energie des Lesers; die Arbeit lohnt sich aber reichlich. Wer die
Materie nicht bereits in ziemlich ausgedehntem Umfange beherrscht, wird
freilich kaum bis zur letzten Seite hindurchzudringen vermögen. Dagegen
ist allen denjenigen, welche das wesentliche der Seitenkettentheorie bereits
assimiliert haben, die Anschaffung und das gründliche Studium des Werkes
lebhaft zu empfehlen; sie werden eine bedeutende Vertiefung ihrer Kenntnisse
davontragen.
R. steht, wie kaum betont zu werden braucht, durchaus auf dem
Standpunkt der Seitenkettentheorie; das ganze Werk ist ein Hymnus auf
Ehrlich. Es ist höchst erfreulich, zu sehen, wie die überragende wissen
schaftliche Beden tung dieses ausserordentlichen Mannes jetzt fast allgemein
in der verdienten Weise gewürdigt wird. Stoeltzner.
Jankan, L^ Taschenbuch für KinderärMU, Jahrgang 1905 und 1906.
München, Seitz und Schauer.
Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, „für die kinder&rztliche Praxis
alle jene Daten zusammenzutragen, die in Praxis und wissenschaftlicher
Tätigkeit benötigt werden können, öfter aber .lange Zeit des Suchens be-
Besprechungen. 649
ansprachen*. Beigefügt sind die Gebührenordnungen für Preussen, Bayern,
Sachsen und Württemberg, sowie ein Personalien -Verzeichnis, das nach
Möglichkeit alle zur Zeit in Deutschland lebendeu Kinderärzte umfasst.
Dass ein solches Taschenbuch bei der ersten Auflage nicht sogleich
vollkommen sein kann, ergibt sich yon selbst. Die sicher zu erwartenden
folgenden Auflagen werden die Aufgabe zu erfüllen haben, die Brauch-
barkeit dieses Taschenbuches mehr und mehr zu erhöhen; besonders er^
wünscht wäre es, wenn schon die zweite Auflage die in der ersten ent-
haltenen recht zahlreichen Druckfehler berichtigen wollte. Stoeltzner.
FrQhwald, F., Kompendium der Kinder kr ankheUen, Wien. 1904. Franz
Deuticke.
Verf. gibt in alphabetischer Anordnung eine kurze Beschreibung der
yerschiedenen Kinderkrankheiten, und auch über therapeutische und physio-
logische Fragen, z. B. Ammenwahl, Wachstum u. dergl. findet der Leser
gedrängte Auskunft.
Bei der Besprechung der Angina Vincenti fehlt die Erwähnung der
Spirillen.
Manche Krankheiten, so der Morbus Basedowii und die Malaria, hätte
Verf. wohl nur kurz zu erwähnen brauchen, andere, so die Barlowsche
Krankheit und die spastische Pylorusstenose der Säuglinge, hätten wohl
eine etwas breitere Darstellung yerdient. Rühmend hervorgehoben seien die
Artiker Spondylitis und Syphilis.
Die Abbildungen sind sehr einfach gehalten, lassen aber das, worauf
«8 dem Verf. ankommt, meist gut erkennen. Stoeltzner.
Handbuch der SckwMhsinnigenfürsorge, Herausgegeben von Hans BöSbaaer*
Leopold Mlkler, Hans Sehlner. Wien. Karl jGraeser & Co.
Das anregend geschriebene Buch kann als ein kleines Kompendium
in dieser Frage gelten. Ausgehend von den Ursachen des Schwachsinns
schildern Verff. die Symptomatologie des Schwachsinns, und daran an-
schliessend die bisherigen Erfahrungen in Erziehung and Unterricht. Ein
kurzer historischer und statistischer Überblick bildet den Schluss. Inter-
essant ist dabei die eine Tatsache, dass das Fürsorgewesen am meisten io
Deutschland und in der Schweiz sich entwickelt hat. So haben alle öster-
reichischen Kronländer zusammen nur die Hälfte der Schwachsinnigenklassen
der Stadt Hamburg.
Am Schluss ist ein sehr reichhaltiges Literaturverzeichnis angefügt.
Kietsehel.
Bottaseblld» Henri de, DyspepsUs et in/ectUms gasfroiniesünaUs des mm-
rissons, Paris 1904. 0. Doin.
Nach einem historischen Überblick, der bis zum Jahre^ 1821 zurück-
reicht und im wesentlichen die französische Literatur des Stoffes umfasst,
erörtert der Verfasser die Ätiologie der Verdauungskrankheiten der Kinder.
Sowohl der Einflnss der Umgebung (geograph. Lage^ Jahreszeit, Wohnung)
als die Bedeutung der Ernährung (Brust- oder künstliche Ernährung) werden
in ihren Beziehungen zur Morbidität und Mortalität berücksichtigt und durch
statistische Figuren verdeutlicht. Die Überfütterung wird als häufige Ur-
sache von Verdauungsstörungen gebührend hervorgehoben; interessante,
von Maure 1 angestellte. Versuche an über! ütterten Tieren dienen zur. Er-
läuterung.
560 BesprechttDgen.
Der Milehsteriltsation und Bakteriologie wird je ein Kapitel gewidmet.
AllzQ summarisch geht Verf. mit der pathologischen Anatomie zn Werke.
Er begnügt sich damit, die bekannten makroskopischen and mikroskopisches
Befunde der akuten und chronischen Oastroenteritiden zusammen sustellen
und mit zwei Abbildungen «nach Baginsky* zu belegen, ohne des wichtigen
Streites zwischen Heubner und Baginsky ftber die Dehnung nnd Atrophie
der Darmschleimhaut auch nur Brwfthnung za tun.
Ansführlich und geschickt ist seine Darstellung der Symptomatologie,
Diagnose und Behandlung.
Die yerschiedenen Arten der medikamentösen nnd Ernfthrungstherapie
werden hinsichtlich ihres theoretischen und praktischen Wertes in durchaus ^
modemer Weise besprochen.
Schliesslich gibt R. eine neue Art Ton Milch an, mit der er bei akuten
und chronischen Magendarmkatarrhen gute Resultate in seiner Poliklinik j
erreicht haben will. Diese Milch wird folgendermassen hergestellt: frische^ I
Milch wird durch Zentrifn gieren vom Rahm befreit and alsdann mit 5 pCt.
Zuckersirup und 2pCt. Milchzucker yersetzt. Hierzu fügt man eine
24 Stunden alte Kultur (bei 22*) eines dem B. lactis aerogenes fthnliehen
Bakteriums, bis die Milch, die Torher eine AcidiULt Ton 1,6 */m hatte, eine
AciditAt Ton 2,25 Voo (Phenolphthalein) besitzt. Durch Verdünnung mit
80- oder 50proz. physiol. Kochsalzlösung kann man auch noch den Kasein-
gehalt dieser Milch auf Vt ond '/s erniedrigen. Der Vorteil dieser Jlischung
gegenüber der rein-w&ssrigen und anderer Dl&t soll darin bestehen, dass sie
einen gewissen Nfthrwert hat und dass ihr Termöge ihres Gehaltes an un*
zerstörten Fermenten und neu gebildeter Milchsfture therapeutische Fähig-
keiten innewohnen. Boye.
Insntuie for infectUms diseases, Serum-lnsütuie and Lympk - ImsiUmU of ike
imperiai Govemmeni of Japa». 1904.
Von Interesse sind die Angaben Über gute prophylaktische und thera- j
peutische Erfolge mit einem antitozischen Serum gegen die durch den I
Bacillus Shiga hervorgerufene Dysenterie.
Mit der Person des ja gewiss sehr Terdiensttollen Direktors dos
Intftitiites Kitasato wird in dem Bericht ein arger Byzantinismus getrieben.
Stoeitzner.
Calot, Teckniqfie du iraUenunt de la coxalgie. Paris 1904, Massen et Gie.
2d4 S., 178 Abbild.
Unter den vielen Büchern, welche schon über den Gegenstand ge-
schrieben wurden, ist dasjenige des Verfassers unleugbar für den Praktiker
eines der brauchbarsten und streng im Sinne moderner Anschauungen und
moderner Technik geschrieben. Das l&sst der Name des Verf. auch erwarten,
und es ist ein grosser Vorzog, den wir ihm gerne damit zugestehen. Wer
aber das Ziel betrachtet, das Verf. verfolgt, n&mlich allen Ärzten den
Zauberstab für die Lösung aller technischen Schwierigkeiten in die Hand zu
drücken, der wird, wie ich glaube, füglich Zweifel in die Erreichbarkeit des-
selben setzen. Einem beschäftigten Arzte, der nicht Chirurgie oder Orthopidie
"oder beides als Spezialfach betreibt, dürfte es kaum möglich sein, soviel
Zeit zu erübrigen, als eben für diese zeitraubende Technik nötig ist. Ab-
gesehen davon, dass manches in dieser Technik eben doch Einmal genauer
BesprechuDgen. 551
gesehen and mit eigenster Hand geübt sein mass. Und dann verfügen die
grosseren St&dte — auch in Frankreich — alle über Polikliniken, in denen
auch der Arme die Hülfe finden kann, deren er bedarf. Aaf den Landarzt
angewendet, wird die Frage wesentlich diskutabler, und yielleicht wird dem
Talentierten das Buch Ton grossem Nutzen sein, das wünschen wir mit C.
Sehr zu loben sind die Abbildungen, in denen alles für das Verständnis
Notwendige berücksichtigt ist. Mit Recht sind die für den operativen Teil
berechneten schematisch gehalten, obwohl der Operateur hftufig genug
anatomische wie pathologische Abweichungen, auch komplizierter Art^
finden wird.
Der Text ist leicht verständlich, nimmt aber, wie ich in Hinsicht auf
den Zweck des Buches finde, einen zu breiten Raum im Buche ein. Gerade
jener Zweck verlangt eine möglichst kurze Fassung in einem mehr lapidaren
Stil, da es nicht selten nötig ist, sich rasch zu orientieren. Auf der anderen
Seite wird gewiss der AnHlnger in der Technik für viele der feinen Winke
dankbar sein, durch welche Verf. ihm die Behandlung der Goxitis tuber-
culosa leicht zu machen sucht.
Im übrigen muss ich das Buch f ar sich selbst sprechen lassen und
auf das Nähere darin verweisen. Eine Übertragung in fremde Sprachen
erscheint gewiss gerechtfertigt. Teuf fei.
Bab» H.» Die ColostrumJMdung als pkysioiogisckgs Analogon tu Enttundung^s-
Vorgängen. Berlin 1904, A. Hirsch wald. 98 Seiten.
Mehr als ein Drittel des Buches wird eingenommen durch eine
historische Übersicht über die Entwicklung der Milch-, speziell der Colostrum-
forschung; weitere 16 Seiten widmet Verf. einem Abschnitte über die Leuko-
zjteii und ihre Klassifikation. Hier sei nur besprochen, was B. aus eigenen
Mittein zur Kenntnis der Colostrumbiidung beisteuert.
Verf. hat gekochte Milch in Mengen von 1 bis 15 cm* Meerschweinchen
intraperitotieal injiziert und dann von Zeit zu Zeit, P/s Stunde bis 9 Tage nach
der Injektion, eine Probe von der in der Bauchhöhle angesammelten Flüssig-
keit entnommen und mikroskopisch untersucht. Es fanden sich kurze Zeit nach
den Injektionen polynnkleäre, erst später mononukleäre Zellen; beide Arten
von Zellen, besonders die polynukleären, hatten Fett in sich aufgenommen;
nach 8 Tagen war das mit der Milch injizierte Fett aus der Peritonealflüssig-
keit sohon fast verschwunden.
Femer fand Verf. viele Zellen, wiederum namentlich polynukleäre^
vollgestopft m\t Kügelchen, die sich nicht mit Fettfarben, wohl aber mit
Hämatbzylin und Eosin fUrben Hessen und die Verf. als durch Phagozytose
aufgenommenes Milcheiweiss ansieht; er nennt diese Zellen Albuminophofen.
Analoge Resultate erhielt V«rf. nach Injektion von Mileh in die Bauch-
höhlen zweier Salamander.
Im menschlichen Colostrum (5 Fälle) und im Colostrum von Meer-
schweinchen (4 Fälle) fand Verf. die gleichen Zellen wie in der Peritöneai-
flüssigkeit der mit Milch injizierten Tiere.
Erwähnt mag noch sein, dass Verf. im Knochenmark und in der Milz
gesunder Meerschweinchen Zellen gefunden hat mit einer bisher noch nicht
beschriebenen Art von Granulationen, die sich mit Triacid grauviolett färben.
Stoeltzner.
552 Besprechangen.
Siekinsrer« A.« Organisaüon grosser Volksscku/körper nach der naiürHcken
Leistungsjäfdgkeit der Kinder. Mannheim 1904, J. Bensheimer. 35 Seiteo.
Preis 0,80 Mk.
^' In den 8 klassigen Gemeindeschalen erreichen nor ca. 10 pCt. der
Schäler rechtzeitig die oberste Klasse, ungefähr die Hälfte der Kinder er-
reicht nicht einmal die zweitoberste Klasse.
Aach in den Schalen mit weniger als 8 Klassen gelangt mehr als
Vi aller Schüler nicht bis in die erste Klasse.
Über die H&lfte aller Menschen verlässt bei uns die Schale mit einer
nicht abgeschlossenen Bildung.
Verf. fordert die Differenzierung des Yolksschulanterrichts in
1. einen Bildungsgang für die Mittel- und Besserbefähigten,
2. einen solchen für die »normal Schwachen", die jetzt ein- oder mehr-
mals sitzen bleiben,
3. einen solchen für die abnorm Schwachen.
Stoeltzner.
Moses* J.» Das Sonderk/assensysiem der Mannheimer Volksschule. Mannheim
1904, J. Bensheimer. 70 Seiten. Preis 0,80 Mk.
Die Mannheimer Volksschulen besitzen zur Zeit 35 „ Förderklassen **
für »normal Schwache* und 4 Hilfsklassen für »abnorm Schwache'', mit zu-
sammen ca. 1100 Schülern.
Die Förderklassen haben eine beschränkte Schfilerzahi, die Schüler
machen den ganzen Bildungsgang mit einem Klassenlehrer darch. Auch
innerhalb einer Klasse werden die yerschieden befähigten Schüler znm Teil
zu Terschiedenen Tagesstunden unterrichtet. Je nach den Erfolgen taaschen
die Klassen die Schüler gegenseitig aus; insbesondere können gut befähigte
Kinder, die z. B. nach längerer Krankheit zum Zweck indiYiduallen Unter-
richts in eine Förderklasse eingereiht worden waren, bei guten Fortschritten
auch Tor Abschluss des Semesters wieder in die Normalklasse aufrücken.
Stoeltzner.
Bpaan« H«, Kokain und Adrenalin (Suprarenin). Berliner Klinik, Heft 187,
Januar 1904. 23 Seiten. Preis 0,60 Mk.
Eine vortrefflich geschriebene zusammenfassende Darstellung des
heutigen Standes der Lehre von der lokalen Anästhesierung, auf Grand
reicher eigener Erfahrung und mit Berücksichtigung der neuesten Fort-
schritte. Die Erfolge der Injektion von Kokain-Saprarenin-Mischnngen sind
nach den Ausführungen des Verfassers äusserst beachtenswert, so sehr, das«
jeder Arzt sich mit diesem neuen Verfahren vertraut machen sollte. Eis
geringer Suprarenin zusatz erhöht die Intensität und die Dauer der Kokain-
wirkung ganz wesentlich und ermöglicht eine Vereinfachung und Verbesserung
der Inflitrationstechnik in dem Sinne, dass man nicht das Operationsfeld
selbst, sondern nur diejenigen Gewebe seiner nächsten Umgebung zu infiltrieren
braucht, welche die zu ihm ziehenden Nervenbahuen enthalten. Diese
»zirkuläre Analgesierung*' hat anscheinend eine bedeutende Zukunft.
Das Heft sei zur Anschaffung lebhaft empfohlen.
Stoeltzner.
Jahrbuch
für Kinderheilkunde.
N. F.
Bd. 61.
1906. Heft 8.
Herr Dr. NOPClliellll» Spezialarzt f&r Kinder, Hamburg, schreibt:
„Das Kufek^sckt Kindermehl habe ich durch praktische Erfahrungen
in hnnderten von Füllen schätzen gelernt. Bei gesunden Kindern bewftbrt
e:» sich vortrefflich als Zugabe zur Kuhmilch, als Übergang von der reinen
Milchernährnng zu festeren Speisen. Ganz Hervorragendes leistet es bei
Störungen der normalen Magen -Darm fnnktionen künstlich gen&hrter Säuglinge.
Will man, wie es oft notwendig ist, die Kuhmilch zeitweise ganz vermeiden,
so hat es natürlich keinen Sinn, Präparate anzuwenden, die selbst wieder
Milch enthalten. Das Knfekemehl ist davon frei, in derartigen Fällen also
durchaus angezeigt. Es ersetzt bei den meisten Formen von Diarrhoe jegliche
Medikation, was ich als besonderen Vorteil snsehe. Überall dort, wo man
aus ,altehrwürdiger' Gewohnheit sonst Schleim — mit, oder bei Erkrankungen
ohne Milch — gibt, leistet das Knfekemehl mehr und Besseres. Die gärenden,
stinkenden und fettreichen Stühle hören bei seiner Darreichung gewöhnlich
buld auf. Endlich sah ich auch bei der follikulären Enteritis und besonders
noch bei den chronischen, sonst zur Atrophie führenden Darmkatarrhen mit
dem Mehle oftmals ganz ausgezeichnete Erfolge.**
Ware zu Versuchszwecken und Literatur stehen den Herren Ärzten gratis
und franko zur Verfügung.
R. Knfeke, Bergedorf-Hamkurg nnn Wien I.
Trüpers Erziehungsheim
und
Kindersanatorium
aaf der SophlenhOhe bei Jena in TbOn
Für Kinder beiderlei Geschlechts, welche einer individuali-
sierenden Behandlung in Pflege, Unterricht oder Erziehung
bedürfen. — Vorzügliche Lage. — Familiäre Erziehung. —
Rationelle Methoden in Unterricht wie in Heilpflege. —
6 auüsteigende Schulklassen.
Nervenlrstllch beraten durch: Qeh. Med. -Rat Prof*
Dr. BINSWANQBR
and seinen Aealatenten Dr. STROHMAYER«
Hauaarst: Privatdozent and Besirksarzt Dr. QlBSE.
Leiter: J. TROPBR.
Alles Nähere durch Prospekte.
Li
Medizinischer Verlag von S, KARGER in Berlin NW. 6,
Die
klinische Bedeutung der Eosinophilie.
Von
Dr. med. Karl Meyer.
Von der medizinischen Fakultät der Universität Rostock
preisgekrönte Schrift.
Lex. 8». Broch. M. 3,50.
Anatomie
and
physikalische Untersuchungsmethoden
(Perkussion, Auskultation ete.).
Eine anatomisch-klinische Studie
von
Priv.-Doz. Dr. R. Oestrelch, and Priv.-Doz. Dr. 0. de la Camp«
Proiektor d. kgL Augnitahoipltali,
Prlvatdotent an der UnlTeniULt
Obennt d. II. med. Klfnik d. kgL Charlte.
PrfTfttdosent an der UniTenlULi
so Berlin.
Lex. 80. Broch. M. 7,40, gebanden M. 8,40.
Medizinischer Verlag von S. KARGER in Berlin NW. 6.
g Dr. K. Szegö's Kinder-Sanatorium g
st und Wasserheilanstalt in Abbazia. fi
KHHFtigungs- und JtbhlrtungskttreM
das ganze Jahr hindurch.
f^ Kinder werden auch ohne Begleitung anf genommen. m^
M^ Eigener Park, gedeckte Spielplätze, Wintergarten, moderne Hj(^«ne, jC
^0 sorgfältigste rflege ond Behandlung. Tf
Contervative Behandlung ohronisoher Knoohen- u. Gelenktarkrtikaigei. K
PlltUSSJD
ExtraotThymi saccharat
TaeSOhner (in aUen Staaten
ges. gesch.). — Unschädliches,
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entbehrlich sein.
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XX.
Arbeiten aus der UniT.- Kinderklinik und -poliklinik zu Berlin.
7.
Beitrag zur Frage nach dem Nahrungs- und Energie-
bedürinis des natürlich ernährten Säuglings.
Von
Dr. PAUL REYHER,
AsBlitent der Poliklinik.
Untersuchungen, wie die folgenden, welche im wesentUcfaen
auf die Feststellung der einzelnen Nahrungsmengen eines ge*
Sunden Brustkindes über einen grösseren Zeitraum hin, auf die
Ermittelung der bei dieser Ernährung wöchentUch erzielten
Körpergewichtszunahme, auf gelegentlich ausgeführte chemische
Analysen und einzelne kalorimetrische Bestimmungen des Energie-
gehaltes der Muttermilch, schliesslich auf die genaue Beobachtung
der Entwicklung des Kindes im ganzen sich erstrecken, haben
freilich nur einen beschränkten Wert für die Erkenntnis der
genauen Emährungsvorgänge beim Säugling, da sie nur einige
Seiten der letzteren beleuchten und nur einen einzelnen Fall be-*
treffen. Aber es kann nicht geleugnet werden, dass ihnen immer-
hin eine gewisse Bedeutung für die Aufklärung einiger Fragen
der Ernährungsphysiologie zuerkannt werden muss schon im
Hinblick darauf, dass derartige Nachforschungen über die ganze
Säuglingsperiode oder doch wenigstens den grössten Teil des-
selben ausgedehnt werden können, während vollständige Stoff-
und Kraftwechseluntersuchungen nur einige Tage umfassen
können, in Anbetracht sowohl der Beschwerlichkeit ihrer Aus-
führung als auch der Gefahrdung des physiologischen Verhaltens
des Yersuchskindes. Wenn auch in geringerem Masse als diese,
so sind doch auch jene mit recht beträchtlicher Mühe verbunden.
Infolgedessen liegen auch heute noch nur spärliche, über einen
längeren Zeitraum angestellte Beobachtungen über die von Brust-
kindern aufgenommenen Nahrungsmengen vor trotz des in
jüngster Zeit diesem Gegenstande lebhafter zugewandten Interesses.
Jatarbnch f. Kinderheilknude. M. F. IJCI. Heft 4. 36
554 Key her, Beitrag zar Frage nach dem Nahrung«- und
Und als einzige Mitteilung, welche die ganze Zeit vom Tage der
Gebart bis zum Termin der völligen Entwöhnung berücksichtigt,
figuriert immer noch die bekannte Ernährungsgeschichte von Feer
(Beobachtung II). ^
Dieser bisher in seiner Art alleinstehenden Beobachtung
möchte ich eine ähnliche gegenüber stellen, die sich auf den
ersten Blick schon dadurch von jener unterscheidet, dass, ab-
gesehen von der ersten Lebenswoche, im vorliegenden Falle
durchweg weit geringere Tagesquantitäten aufgenommen worden
als von dem Kinde Feers. Auf diese Tatsache werde ich weiter
unten noch näher eingehen.
Wie ich schon oben bemerkt habe, bestehen die nach-
folgend mitgeteilten Beobachtungen der Hauptsache nach in der
Feststellung der durch Einzelwägungen vor und nach jedem An-
legen an die Brust gewonnenen Nahrungsmengen eines natürlich
ernährten Säuglings, umfassen analog der II. Beobachtung Feers
die ganze Stillperiode und zwar vom Tage der Geburt bis zum
Zeitpunkt der völligen Entwöhnung und beziehen ausserdem nach
dieser Zeit noch 2 Wochen ausschliesslicher Kuhmilchernährung
in die Betrachtung herein. Es handelt sich dabei um mein
eigenes, erstgeborenes Kind, ein Mädchen, welches mit einem
Anfangsgewicht von 3290 g und einer Körperlänge von 60 cm
am 26. III. 1904 vormittags 10^/« Uhr von einer vollkommen
gesunden Mutter geboren wurde und, was ich besonders hervor-
heben möchte, vom Tage der Geburt bis zum Abschluss der
vorliegenden Betrachtungen ohne auch nur die geringste Störung
seiner Gesundheit blieb und somit als ein völlig normales Brust-
kind angesehen werden darf. Der Säugling hat weder eine Ver-
dauungsstörung irgend welcher Art noch einen Katarrh der
oberen Luftwege durchgemacht, während bei den meisten, bis-
her nach dieser Richtung beobachteten Kindern die eine oder
andere Störung ihres Wohlbefindens eingetreten ist. Ebenso
war die Mutter des Kindes, welche zur Zeit der Geburt desselben
22 Jahre alt war, während der ganzen Dauer der Laktation
gesund, abgesehen von kleinen Rhagaden der Brust in der
2. Woche, welche unter Behandlung mit Arg. nitr.-Lösung und
Benutzung eines Brustwarzenhütchens rasch abheilten. Zum
Beweise für eine vollkommen normale Entwicklung des Versuchs-
kindes sei ausser den aus den Tabellen und Kurven ersichtlichen
0 Jahrbuch f. Kinderheiik. Bd. 43.
EoergiebedürfDU des natürlich ernährten Säuglings. 556
Anzeichen eines guten Gedeihens des Säuglings noch folgendes
angeführt: Das Kind war, was ja als Ausdruck subjektiven
Wohlbefindens betrachtet werden darf, während der ganzen Zeit
der Beobachtung unausgesetzt heiterster Laune und hatte stets
ungestörten Schlaf. Die Haut war immer frei von jeder Alteration,
das Fleisch war derb und kräftig, so dass die Aktionsfähigkeit
der Muskeln frühzeitig genug sich einstellte. Der Säugling konnte
Ende des ö. Lebensmonats selbständig sitzen, stellte sich Ende
des 7. Monats unter Benutzung dargebotener Unterstützung auf
die Füsse und machte im Alter von 9^/a Monaten die ersten
Gehversuche. Uervorgehoben sei noch, dass das Kind un-
gewöhnlich lebhaft ist, so dass hier mit einer relativ hohen Zahl
bei der Abschätzung der Grösse der äusseren mechanischen Arbeit
gerechnet werden muss.
Der Durchbruch der Zähne vollzog sich in folgender Weise:
am 202. Lebenstage, also etwa in der Mitte des 7. Lebensmonats
erschien als erster Zahn der rechte innere untere Schneidezahn,
dann folgte am 238. Lebenstage der entsprechende Zahn der
linken Seite, am 278. Tage brach der linke obere innere Schneide-
zahn durch, dem am 301. Lebenstage der rechte obere innere
Schneidezahn nachfolgte; am 818. Lebenstage kam dann der
rechte obere äussere Schneidezahn zum Durchbruch, so dass das
Kind im augenblicklichen Alter von 10 Monaten und 7 Tagen
5 Zähne besitzt.
Die Wägungen, im ganzen ungefähr 3500 Einzelwägungen,
. wurden in den ersten Wochen beinahe ausschliesslich von mir
selbst, später mit einigen Ausnahmen, in welchen ich sie vor-
nahm, nur von meiner Frau mit peinlichster Gewissenhaftigkeit
ausgeführt. Zum Wägen wurde eine gute Säuglingswage benutzt,
welche bis auf 5 Gramm genau angab. Durch Abschätzen wurde
noch eine grössere Genauigkeit der Zahlen bis auf einzelne
Gramme zu erreichen gesucht.
Als Grenze des einzelnen Lebenstages wurde, da das Kind
kurz vor Mittag geboren wurde, die Mittagszeit angesehen.
Ausser den Zahlen, welche die Wägungen der Nahrungsmengen
lieferten, wurde noch am Ende jeder Woche genau zur gleichen
Tageszeit das absolute Gewicht des Kindes notiert, mitunter auch
die Körperlänge, ferner öfters die Zeit, welche für die Einnahme
der Einzelmahlzeit gebraucht wurde. Alle diese Erhebungen
finden sich in der unten mitgeteilten Zusammenstellung der ge-
nossenen einzelnen Milchquantitäten. Weiterhin hatte ich noch
36»
566 Eejher, Beitrag zor Frage oaeh dem NahniDga- und
Anfzeichnangen über die Zahl, Menge and Beschaffenheit der
Stahle des Kindes gemacht. Da aas ihnen sich keine positiTen
Scblfisse ziehen liessen, so habe ich von einer detaillierten Mit-
teilang hierüber Abstand genommen; jedenfalls liess sich nicht,
wie Gregor^) es beobachtete, ein Einflnss des Fettgehaltes der
Nahrung an den Tagen, an welchen Fettbestimmangen aasgefahrt
worden, auf das Aassehen der Stuhle feststellen.
1. Zusammenstellung der Zahlen, welche die einzeloen
Nahrungsmengen angeben.
1. Tag.
Og
2. TBg.
27. III. 12 V. r. 8 g
4 N. 1. 15 ,
7 . r. 0 „
28. III. 10 V. L 10 .
29. III.
Ss. 83 g.
S.fg.
1
N. r. 30 K
4
.1.30,
7
, r. 25 .
10
.1.20»
3
V. r. 40 ,
5V»
, 1. 40 .
9'h
, r. 50 .
S». 235 g.
4. Tag.
1
N. 1. 48 g
4
, r. 55,
7
, 1. 65 ,
10
. r. 60,
3
V. 1. 80 ,
6'/s
, r. 92 ,
10
, 1. 60.
30. III.
6Vs « r. 92 , 10 _^
Sa. 562 g.
Sa. 460 g. £Dde der 1. Woche: Gewicht 3360 g
AomerkaDg. Der darch Perspiratio insensibilis beim Trioken ent-
steheode Gewichtsyerlust wurde aoberücksichtigt gelasseD. Da tod der
4. Woche an za jeder Mahlzeit kaum 15 Minuten gebraucht wurden, so ist
dieser Fehler unwesentlich.
5. Tag.
1
N. r. 75 g
4
• 1. 65 .
7
, r. 70,
10
• 1. 50,
81. III. 2
V. r. 65 ,
6»/.
^ 1. 85 ,
10
n r. 105 •
Sa. 515 g.
G. Tag.
1 N.
1. 95 g
4 n
r. 70,
7 .
1. 60,
10 ,
r. 90,
1. IV. 4»/» V.
1. 150 , (»/4 Std. getrunk.)
9'U^
r. 100 . (Vi Std. getronk.)
S
». 565 g.
7. Tag.
1
N. 1. 90 g
4V.
n r. 90 ,
7
, l. 80 ,
10
- r. 83 ,
2. IV. 3V3
V. 1. 100 ,
7
y, T. 35 ,
10
« I. 84 ,
I) Volkmanns Klin. Vorträge No 302.
EnergiebedurfDU des natürlich erofthrten Säuglings. 657
8. Tag. 12. Tag.
1 N. r. 85 g IN. L»)48 g
4^4 , l. 60 , 4'/. „ r. 95 «
7 „ r. 72 „ 7 „ l.*)40 „
10 „ 1. 55 . 10 , r. 65 ^
3. IV. 3 V. r. 95 „ 7. IV. 4 V. I. 50 «
77, « 1. 70 « 71/5 , r. 90 „
10 « r. 90 , 10 , l.*)50 ,
4. IV.
Sa. 527 g.
9. TtLg.
1
4
7
10
8'/4
7'/.
10'/,
N. 1. 60 g
. r. 80,
, 1. 35 ,
, l.') 56 ,
V. r. 105 .
. l.*) 78 ,
, r. 90 .
Sa. 503 g.
10. Tag.
1 N. l.*)60g
4 » r. 100 „
7 „ l.*)75„
10>/4 „ r. 55 „ (20 Min. getrunk.)
5. IV. 3 V. L«) 70 „ (40 Min. getrank.)
7V»» r. 100 „ (30 Min. getrank.)
10 , l.*)60.
Sa. 520 g.
11. Tag.
r. 75g
1.^)63 „(23Min.getrank.)
r.lOO,
l.*)a.r. 90 „
r. 70„
l. 70,
lO'/i. r. 90.
Sa. 558 g. Sa. 490 g.
1
N.
4
»
7
»
10
,1
6. IV. 4
V.
7
11
Sa. 438 g.
18. Taff.
1 N. r. 70 g
4 , l.')40 ,
7 , r. 105 ,
10 , l.»)n.r. 70 ,
8.
IV. 8'/, V. !.•) u. r. 100 .
7'/. , r. 80 ,
10"/»., l.')70.
S». 585 g.
14. Tag.
12 V. r. 85 g
4»/i N. 1. 60 ,
7 , r. 85 ,
IC/s , 1. 45 ,
9.
IV. 8>/s V. r. 115 ,
8 , L*)50 ,
10 . r. 95 .
S«. 585 g
Snd
ie der 2. Woche: Gewicht 8475 g.
15. T»r
!>/> N. 1. 75 g
8»/« , r. 90 ,
7'/, , 1. 55 ,
10 . r. 90 ,
10.
IV. 3 V. 1. 60 ,
7'/, , r. 80 ,
10'/, . 1. 40 .
*) Zu den mit diesem Stern bezeichneten Mahlzeiten wurde wegen
schmerzhafter Rhagaden ao der Brust die Nahrung mittelst eines aufgesetzten
firustwarzenhütchens abgesaugt. Daher sind in diesen F&Uen die getrunkenen
Quantitäten durchschnittlich geringer infolge der Erschwerung des Saugens.
658
Reyher, Beitrag zur Frage uach dem Nahraugs- und
16. Tag. 21. Tag.
^ ^- '•• »0 g 1 N. r. 100 e
4 n I. 70 . ^
7 „ r. 90
10 ^ l. 48
4 „ J. 80 „
7 „ r. 80 „
10 „ I. 50 „
11. IV. 3V, V. r. 110. „. r! 40 „
^ » 1- 6^ . 16. IV. 6 V. r. 105 ,"
IOV4 . r. 75
Sa. 548 g.
10 ,. I. 95 .,
Ende der
17. Tag.
i N. 1. 75 g
7 ^ r. 85 ,
10 « I. a. r. 80 .
12. IV. 2 V. 1. u. r. 100 „
6V2 « 1. u. r. 90 .
10 « l.*)60 , 17. IV.
u. r. 35 >
Sa. 525 g.
18. Tag.
2 N. r. 100 g
6 „ !•)«. r. 90 „
10 „ r. 90 „
13. IV. 2 V. l. 60 .
6V, „ r. 100 „
10 « 1. 86 .
18. IV.
Sa. 526 g.
19. Tag.
l N. r. 100 g
5 . 1. 70 ,
u. r. 50 „
9Vs . r. 50 „
14. IV. 6 V. 1. 100 , 19 ]v
9V, > r. 130 ,
Sa. 500 g.
20. Tag.
1 N. 1. 70 g
4 „ r. 90 „
7 „ I. 50 „
u. r. 30 „
9^'4 V r. 35 „
u. l. 85 „ 20. IV.
15. IV. 6 V. r. 90 „
10 „ 1. 85 ».
Sa. 550 g.
r 3.
Woch«: Gewicht 3680 g.
22. Ta«.
1
N. r. 100 g
4
„ 1. 50 „
7
„ r. 70 „
10
V »• 70 „
5
V.r. 90 „
9V=
„ 1. IOO„(25Min.(r«tr>
ija. 480 g.
28. Tag.
1
N. r. 1 . ^
1 "^ nicht gewogen
4
7
„ r. 90 g
10
„ 1. 70 „
5
V. r. 100 „
9V=
„ 1. 90..
Sa. ca. 500 g.
24. Tag.
I2V2
N. r. 100 g
4
„ 1. 55 „
7
„ r. 85 „
10
« i. 40 „
u. r. 95 „
6
V. r. 90 „
9«/4
„ 1. HO ,.
Sa. 575 g.
26. Tag.
1
N. r. 90 g
4"/4
„ 1. 70 „
7
„ r. 100 „
11
„ 1. 50 „
u. r. 60 „
5'/.
V. r. 100 „
10
„ 1. 65 „
u. r. 40 „
Sa. 485 g. Sa. 575 g.
Energiebedärrnis des natörlieh ern&hrten S&uglings. 569
26. Tag. SO. Tag-
,01/ V 1 «„ 2 N. r.l05g(25Min.getr.>
13'/s N. 1. 35 g , „_
ü r 70 '* " "
*'* " \ f." ll'/4 „l.u.r.llO„
• ''^'' 25. IV. 5 V. r. 60 „
8 „ 1. 75 „
7'/:
1
lOV. „ r. 90
n. 1. 40
21. IV. 51/4 V. r. 100
10 „ r. 80,
10 „ 1. 90 „(30Min.getrO Sa. 580 g.
Sa, 575 g. 81. Tag.
2 N. 1. 45 g
u. r. 60,.
6V, „ 1. 70 „
u. r. 50 „
1 N. r. 100 g 10 „ 1. 40.,
4^3 » 1- 75 „ u. r. 85 „
7 »^ r- 70 „ .26. IV. 4V4 V. r. 110,,
10 „ 1. 40 „ 9,/^ „ 1. il5„
u. r. 60 „
27. Tag.
22. IV. 6^4 V. r. 130
10 ,
Sa. 525 g.
1. 100 . 3^- Tag.
^ ^,^ 1 N. r. 125 g
^^•^^^e- 4 „ I. 80 „
u. r. 80 „
7 „ r. 110,,
101/4 „ 1. 70 „
u. r. 50 „
27. IV. 6 V. 1. 120 „
10 „ r. 140,,
28.
Tag.
iv.
N.
110 g
4V3
»»
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vh
»
100 „
10
1»
80 „
n.
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23.
IV.
b^h
V*
70 „
10
V
_l_
110 „
Sa.
570 g.
finde der 4.
Woche:
Gewicht 8765 g,
Körperlilnge 54 cm.
29
Tag.
1
N.
r.
105 g
4V3
1»
1.
80 „
7
»
r.
50 „
n
1.
25,.
10
a
r.
. 1.
36 „
80 „
24.
IV.
6
V.
r.
100,,
10
»
1.
115 „
Sa. 725 g.
88. Tag.
IN. 1. 85 g
u. r. 70 „
4Vs „ l- 60 „
7 „ r. 90 „
11 „r.u. l. 110,,
28. IV. 6 V. r. 105 „
10 „ 1. 110 „
Sa. 680 g.
84. Tag.
1 N. r. 110 g
4 „ 1. u.r. 105,,
7 „ r. 80 „
u. 1. 40 „
11 „ r. 90 „
29. IV. 5^3 V. r. 90 „
9 1. 125 „
Sa. 540 g. Sa. 590 g.
1 K. r. 100 g
a.L 43 ^
4=4 « r.«.L lOS «
I ^ r- 85 ^
11 ^ Lo-r. 97 ,
i V. 7 V. r. 120 ^
r, -, L 110 ^
».rag.
12
V. r. I0& g
3
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7
* r. »»^
». L 30,
II
. L »5,
«. r. 75.,
». IV. «
V. ,. »5„
9-,
. , L «0„
Sa. G6ä g.
S».«tög. 41. Tag.
Emde fitr 5. Woehe: Gevieht 3940 jj. 12* . N. r HO e
M-TV- S*'; „ l.«.r. 120 ^
l2r\,M. r. llOg SV. „ Lii.r. 100„
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7V, ^ r. 105 ^ 6. Y. 6 V. r. 105 „
10',. „ I. o, r. HO „ 9' 4 „ L 120 „
1. V. 5»;« V. r. 1 10 .,
10 „ L 100 .,(15 Mio. getr.)
Sa. 645 g.
87. Tftg.
1-,* X. r. 110 g
4»,. « i. 95„
7V4 ^r.u.l. 115 „
11 „ 1. do,>
u. r. 70 „
2. V. 6 V. 1. 50„
a. r. 110,.
10»/i „ L 110,, Sa. 665 g.
7. V.
Sa. STO g.
42. tag.
12'.. N.
r. 100 g
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1. 100 .,
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r. 40„
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1. u. r. 120 „
6 V.
r. 140 „
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1. 100 .,
Sa. 690 g. *°^® ^^^ ^' Woche: Gewicht 4190 g.
88. Tag. 43^ j„
4 „ 1. 85 „
9>/: „ 1. 100 „
Sa. 650 g.
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8.V." V. i:^:: «•^- «'''^- ^»«^
9V5 r 135 „
Sa. 545 g.
39. Tag: *4. Tag.
i N. l. u. r. 120 g . 12Vi N. r. 120 g
4^4 •„ l.a.r.llO,, 3»/4 >, 1. 100 „
8V4 „ I. u. r. 105 „ 6»/4 „ r. u. l. 120 „
II „ l.u.r. 100,, IP/5 „ Lu.r. 105 „
4.V. 6 V. r. 110„ 9. V. 6»/* V. r. 110 „
9Vi 1. 75„(l3Min.getrünk.) 10 „ L 105 .,
Sa. 620 g. Sa 660 g.
Energiebedarfnis des natürlich ernährten S&uglings. 661
46, Tag. 60. Tag.
10. V.
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N.
r.
125 g
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130,,
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105,,
Sa. 680 g.
46. Tag.
12»/4 N. r.
115 g
4 „ l.n.r.
95 „
VI, „ r.n.l.
90 „
10»/« „ 1. n. r.
100,,
5»/« V. r.
110,,
9'/j „ 1.
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13. V.
14. V.
Sa.
620 g.
48.
Tag.
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95 „
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130 „
Sa. 680 g.
48.
Tag.
1
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r.
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u. r.
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1 „ l.».r.
95 „
6 V. r.
130,,
9'/. » 1.
100 „
Sa. 680 g.
51. Tag.
12«/4N. r. 110 g
4 „ 1. u. r. 135 „
7 „ r. u. 1. 180 „
11. V. 5»/i V. " T. 110 l ^^'1' " ^' ^- '■• ^^^ '»
16. V. 6 V. r. 120 „
Sa. 680 g.
47. Tag.
l2»/4 N. r. 70 g
4V4 „ l.u.r. 115 „
7^2 „ r.n.l. 100 „
10»/4 „ 1. 30 „
u. r. 70 „
12. V. 5«/4 V. r. 95 „ j^ y
9Vj „ l.n.r. 140
9»/4 „ 1. 130
Sa.
735
g-
52.
Tag
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N.
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140
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V.
r.
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1.
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Sa. 715 g.
68. Tag.
18. V.
12«/s N.
r. 180 g
3'/. ,.
1.
u.r, 125 „
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r.
a. 1. 105 „
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1. 60 „
u. r. 55 ,.
6'h V.
r. 110 „
9'/. M
1. 110 „
Sa. 695 g.
64. Tag.
19. V.
12'/8
N.
r.
135 g
3'/«
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u.
r.
110 .,
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1»
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125 „
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110,,
5'/.
V.
r.
120,,
9'/«
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1.
100 „
Sa. 675 g.
Ende der 7. Woche: Gewicht 4830 g. Sa. 700 g.
Reyber, Beitrag zar Frage Dach dem Nahrungs- und
30. V.
SS.
Tag
.
12'/,
N.
r.
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115 „
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u. r.
115 „
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V.
r.
140,,
9'/.
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I.
95 „
25. V.
Sa. 685 g.
56. TAg.
60. Tag.
1 N.r.a. 1.165 g
4 „ l.a.r. 180 „
7 „ r.a.1.100,,
UV* „ In.r. 80.,
6V5V. r.l45„
10 „ J. 75 ^iod. erst 5 IL
45,,iDd.zweit51L
25„iod.dritt5.M.
15.. in d. letzt. 5M.
12Vi
N.
r.
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V.
r.
125,,
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l.u.
r.
155,,
21. V.
Sa. 750 g.
Ende der 8. Woche: Gewicht 4515
Körperl&Dge: 57*/i cm.
32. V.
33. V.
S7.
TM
12'/:
N. r.
0.1.
140 g
8Vs
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105 „
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185 „
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„ 1.
11. r.
110,.
5»/4
V.
1.
120,,
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r.
140,
Sa. 720 g.
68.
Tag.
12'/,
N.
1.
110 g
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0.1.
187 „
7
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V r.
a.l.
85 „
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V.
r.
135,,
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»»
1.
125,,
34. V.
Sft. 707 g.
59. Tag.
12^4 N. r. u. 1. 135 g
»Vs „ 1. u. r. 185 ,.
«V» „ r.u.l. 115 „
llVs „ 1. u.r. 150 „
«VsV., r. 160 „
^V» „ l. 80 „
u. r. 50 „
Sa. 825 g.
Sa. 770 g.
61. Tagr.
1 N. r. 110 g
3». „ 1. 60 „
Q. r. 45 „
6«/4 „ r.n.l. 70 „
11 ,, 1. 80 „
26.
V.
6 V. r. 170 „
9'/, „ l. 140 „
Sa. 675 g.
62. Tasr.
12'/, N. r. 155 g
«»/4 ,. l. 75 „
a. r. 65 „
7 „ r.u.1. 115,,
11>/« „ l.u.r. 105 „
27.
V.
7 V. r. 185 ,.
10 „ 1. 140 „
Sa. 790 g.
68. Tag.
1 N. r. Q. i. 140 g
4 „ l.u.r. »5„
7'/4 „ r.u.l. 120 „
11 „ l.n.r. 95 „
28. V.
6</» V. r. 140 „
9'/. „ l.u.r. 185 „
Sa. 725 g.
lud«
) der 9. Woche: Gewicht 4740 g.
64. Tag.
12';, N. r. u. 1. 185 g
3'/s „ l.u.r. 115 „
6»/« „ r. ». 1. 95 „
ll'/4 „ l.u.r; 60 „
29.
V.
6'/4 V. r. 160 „
9>/, „ 1. 120 „
n. r. 25 ,.
Sa. 710 g.
EoergiebedfirfDis des natfirlich orsahrten S&agling?. 668
66. Tag.
12»/4 N. r. u. 1. 140 „
SVs >, l.u.r. 110 „
61/, „ r. u. 1. 90 „
11 „ l.u.r. 120 „
30. V. 5»/, V. r. 140 „ , y,
10 „ I. 90„
11. r. 85 „
Sa. 690 g.
Ende der 10. Woche: Gewicht 4920 g.
71. Tag.
12Vj N. r. u. 1. 180 g
Sa. 775 g.
66. Tasr.
1
N. r.a.l. 110 g
3'/.
1. 76 „
n. r. 60 „
6»/.
„ r. u. 1, 105 „
11
„ l.n.r. 95 „
81.
V. 6
V. r. 150 „
9>/,
I. 105 „
Sa. 700 g.
67. Tg-
12«/
, N. r. 120 g
SV:
1 „ 1. 100 „
6Vi
: „ r. 115 „
11
„ 1. 86,.
u. r. 25 „
1.
VI. 6'/:
, V. r. 155 „
10
„1. 80 „
u. r. 80 „
Sa. 760 g.
68. Tag.
1
N. r. 80 g
4
„ 1. n. r. 170 „
6'/«
r. 50 „
a. 1. 35 „
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„ 1. u. r. 96 „
3.
VI. 7
V. r. 145 „
9'/s
1. 75,.
Sa. 650 g.
69. Tsff.
12V,N.
r.l05g
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1. 151 „
«•/. ., «
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1. 100 „(7 Min. {
u. r. 10 „
70. Tag
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Sa. 800 g.
72. Tag.
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1, u. r. 115 „
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r. 125 „
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1. 125 „
u. r. 40 „
Sa. 780 g.
78.
Tag.
1
N.
r. u.
1. 185 g
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1. a.
r. 100 ,
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1. 110 ,
11^4
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1. a.
r. 110 ,
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V.
r. 160 ,
10
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Sa. 780 g. Sa. 765 g.
564 Key her, Beitrag lar Frage nach dem Nahraoga- and
74. Tag.
l
N.
r. 125 g
u. 1. 40 „
4
»1
1. 40,
u. r. 60 „
7
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1. n. r. 70 „
8. VI. 6»/«
V.
r. 180 ,
9»/4
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1. 130 .
Sa. 670 g.
76. Tag.
12'/»
N.
r. 120 g
S'k
»
1. u. r. 155 „
6'/4
1»
r. a. 1. 135 „
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1. u. r. 125 „
9. VI. 6»/4
V.
r. 125 ,
9*U
1*
1. 110 ,
Sa. 810 g.
79. Tag.
12</4 N. r. 120 g
u. I. 35 ,
3»/4 . I. u. r. 125 .
6«/4 , r. u. 1. 106 ,
ll'/9 n 1. u. r. 100 ,
13. VI. 71/4 V. r. 150 ,
u. I. 30 ,
10 « l. 110 .
ü. r. 40 ,
Sa. 815 g.
80. Tag.
IV4 N. r. u. 1. 160 g
4 , 1. u. r. 95 „
7 , r. u. J. 115 ,
111/4 , 1. a. r. 95 .
14. VI. 6V9 V. r. 170 „
10 , I. a. r. 220 .
Sa. 770 g. Sa. 855 g.
76. Tag. «t- Tag.
1 N. r. 125 g 1 N. r. a. I. HO g
4 » 1. o. r. 140 „ 4 . 1. u. r. 100 ,
6Vi . r. u. 1. 120 , "7 n r. q. 1. 90 ,
llVi , 1. u. r. 130 „ ll'/i « 1- tt- r. 115 „
10. VI. 7 V. r. 160 , lö. VI. e^h V. r. 170 „
IOV4 . t. 90 . »Vt « ^» n» r. 180 ,
Sa, 765 g. Sa. 765 g.
77 Tag. ^^' Tag.
12»/4N. r/l20g 121/s N. r. u. 1. 135 ß
4 , 1. u. r.200: 3V. « 1. a.r. 90,
7 , r. u. 1. 100 „ «V. . r u. 1. 110 ,
ll«/4 „ I. u. r. 130, l^V» - *•"•'"• *2^"
1. VL Vk V. r. 155 1«' ^^^ ^V. V. r. 170 .
10 , L u. r. 105 »V' • '-l^Ö,
20
Ende der 11. Woche: Gewicht 5090 g. ^^' '^^ «*
88. Tag.
78. Tag.
121/4 N. r. u. 1. 135 g
1 N. r. n. 1. 170 g 3 , 1. a. r. 140
4 , i. n. r, 115 , 51/» , r. a. 1. 140 „
7 , r. u. 1. 100 , 111/, ^ 1. n, r. 105 ,
llVt • l. u. r. 105 „ 17. VI. 71/4 V. r. 185 ,
12. VI, 7 V. r. 140 , 101/4 , 1. 50 ,8ehrmft4e
deswegen nich t mehr.
10 , I. 120 ,
Sa. 750 g. Sa. 755 g.
Energiebedarf nis des oatfirlich erofthrten S&agliog8. 506
84 Tag. 89. Tag.
WU N. r. u. 1. 155 g IVs N. r. n. l. 160 g
3»/4 , 1. u. r. 165 , ^Vi » 1. ". >-. 100 „
eVs « r. a. i. 110 « 7Vs „ r. u. L 100 „
12 „ I. u. r. 130 « IIV« • 1- ». r. 100 „
18. VI. 7 V. r. 180 „ 28. VI. 7 V. r. 165 ,
10 , 1. 70 , SVs » l. 90 „
Sa. 810 g. »• ''' ^0 ,
Ende der 12. Woche: Gewicht 5305 g, ^*- '^^^ «'
Körperl&ngo: 60 cm. dO. Tag.
12Vs N. r. ü. 1. 145 g
86. Tag. 3Vj n l. u. r. 85 .
1 N. r. u. 1. 205 g ^'/» » ^- ^- '• ^^^ •
4 , 1. u. r. 115 , ^ , ^^'/« - ^- '»• '*• ^25 ,
7 . r. o. 1. U5 : 24. VI. 6»/. V. r. 155 .
IIV» n I. ". r. 120 , ^'/* " ^' ^^^ -
19. VI. 71/4 V. r. 150 , Sa. 780 g.
10 „ 1. 120 , 91. Tag.
Sa. 855 g. 12Vs N. r. 130 g !
u. l. 35 ,
3Vt n 1. u. r. 95 .
12./. N. r. u. 1. 205 g '''' " ^^ ^^ '% ' j
4 „ 1. u. r. 140 . ü I. 4ü .
86. Tag.
7 . r. u. 1. 140 . 25. VI. 6 V. r. 115 .
ll»/4 r. 1. u. r. 90 „ ^,, ,
20. VI. 7 V. r. 165 , '= " KJ60^
lOVs » I. n. r. 170 , « , ^*- '^^ «•
-- — -— Ende der 13. Woche: Gewicht 5440 g
i>H. 910 g. ®
^ 92. TAg.
101/ XT
87. Tag.
IV» N. r. u. 1. 115 g
4 « 1. u. r. 115 „
7 « r. o. I. 120 „
11V» n 1. n. r. 105 ,
21. VI. 6V, V. r. u. l. 155 «
9Vs n I. «. r. 140 .
Sa. 750 g.
88. Tag.
I2V4 N. r. a. I. 140 g
3V. r» 1. u. r. 155 ,
6V4 , r. a. 1. 135 „
ll«/4 r 1. u. r. 115 „
23. VI. 7Vs V. r. u. l. 190 «
lOV» n 1. 100 ,
tt» r. 40 „
S». 875 g. Sa. 840 g.
12«/.
N.
r. 170 g
3Vf
11
1. 90 «
u. r. b „
6'/.
n
r. 95,
11
m
1. 90 „
26. VI. 5
V.
r. 155 ,
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w
1. 25 „
u. r. 55 ,
11
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1. 135 «
Sa. 820 g.
98
.Tag.
2
N.
r. 155 g
5'/4
»»
1.
a. r. 135 ,
8V4
ff
r. 135 ,
11'/.
»
l. 60 ,
27. VI. 7'/«
V.
r. 145 .
10'/«
»
I. 140 .
D. r. 70 ,
^66 Key her, Beitrag zur Frage aach dem NabruDga- und
94. Tag. 99. Tag.
VU N. r. 100 g 11/^ N. r. u. 1. 165 g
4 „ l. a. r. 150 „ 41/^ ^^ j. ^^ r. 182 „
6»/4 „ r. a. 1. 125 „ 71/^ ^^ r. u. I. 123 „
llVi M l. u. r. 100 „ 111/ 1, u. r. jqS .,
28. VI. VU V. r. 180 „ 3. VlI. ö«/* V. r. 120 .,
10 „ l. n. r. 170 „ 9,/^ ^^ j ,45^^
S». 775 g.
96. Ta«.
1 N. r. u. 1. 145 g
4 „ 1. u. r. 140 „
7 „ r. Q. 1. 95 „
ll>/j „ 1. u. r. 115 „
29.
VI,
7 V. r. 150 „
10 „ l. u. r. 175 „
S». 820 g.
98. Tag.
l»/4 N. r. 105 g
ü. 1. 45 „
4 „ 1. a. r. 120 „
7 „ r. a. 1. 110 „
11»/« „ l. u. r. 120,,
80
. VI
. 6«/, V. r. 145 „
9»/« „ 1. u. r. 188 „
Sa. 883 g.
97. Ta«.
1>/« N. r. n. 1. 150 g
4»/« „ I. n. r. 105 „
7 „ r. n. I. 188 „
11'/. ,. 1. u. r. 100 „
1.
VII
7 V. r. 202 „
10 „ 1. 104 ,.
Sa. 799 g.
98. Tag.
1 N. r. n. 1. ICS g
4'/« „ 1. D. r. 120 „
6»/« „ r. u. 1. 100 „
11'/, „ 1. u. r. 110 „
2.
VII
7'/, V. r. 168 „
10'/« „ 1. 185 „
n. r. 15 .,
Sa.
788 g.
100
. Tag.
12«/«
N.
r.
156 g
4
n
i.
u. r.
90 „
7'/*
1»
r.
u. 1.
135,,
11'/,
n
r.
157,,
4.
VII
.7'/,
V.
1.
100,,
9'/.
»1
r.
135 ,,
Sa.
773 g.
101
. Tag.
12'/,
N.
1.
u. r.
175 g
8»/«
1»
r.
Q. 1.
162 „
6»/«
>»
r.
0. 1.
145,,
11'/«
II
1.
a. r.
105 „
5.
VII
•7'/«
V.
r.
a. 1.
106.,
50 „
10'/,
»'
1.
u. r.
180 „
Sa. 928 g
102. Tag.
IVs N. r. a. l. 162 g
4'/.
1»
l.
u.
r.
73 „
7
W
r.
a.
1.
153,,
H'/,
II
1.
a.
r.
139,,
6.
VII.
6»/«
V.
r.
115 „
9*1*
II
r.
0.
1.
167 „
Sa. 809 g.
108. Tag.
12»/4 N. 1. u. r. 170 g
Sa. 811 g.
Ende der U.Woche: Gewicht 5655 g. Sa. 751 g.
4
II
r.
u.
1.
101 „
7V4
11
l.
u.
r.
117 „
UV.
II
1.
u.
r.
76 „
7.
VII
. 7
V.
r.
161 ,.
10
II
1.
126,,
Energiebedürfnis des natürlich ern&hrten S&aglings.
667
104. Tng.
1
N. r. n. 1. 194 g
4
„ 1. u. r. 181 „
7
„ r. u. 1. 125 „
11«/«
„ 1. u. r. 122 „
8.
VII. 7Vs
V. r. 145 „
IC/s
1. 99,.
Sa. 816 g.
106. Tag.
i»A
N. r. a. L 165 g
♦•/«
„ I. u. r. 161 ,.
7'/.
„ r. a. 1. 120 „
ll»/4
„ 1. u. r. 95 „
9.
VII. 7'/,
V. r. 100 „
10'/.
1. 123 .,
S». 754 g.
Ende der 15. Woche: Gewicht 5720
106. Tag.
l'/4
N.
r.
u.
1.
195 g
5V4
n
l.
u.
r.
165 „
^*U
n
r.
a.
1.
128 „
11'/.
19
1.
n.
r.
55 „
10. VII. VI,
V.
r.
154 „
lO'/s
n
1.
183,,
Sa. 880 g.
107. Tag.
1»/«
N.
r.
96g
5V«
M
1.
u. r.
162,,
8
»>
r.
u. 1.
138 „
ll'/s
»»
1.
u. r.
93 „
11.
VII. 7'/,
V.
r.
191,,
10'/,
1»
1.
u. r.
Sa.
182,,
807 g.
108.
Tag.
(Sehr warm.)
l'/s
N.
r.
u. 1.
107 g
4'/5
?»
1.
u. r.
lOi,,
7
»»
r.
u. I.
118 „ .
11
»1
L
u. r.
100,,
12. VII. 7'/s
V.
r.
u. 1.
179,,
10'/,
»1
1.
u. r.
134 „
109. Tag (sehr warm).
IVt N. r. u. 1. 186 g
4'/* . l.n.r. 128 ,
71/, . r.Q.l. 122 ,
UVj . l.u.r. 93 ,
18.
VII. 7^4 V. r. 120 ,
lO'/i n lu.r. 157 .
Sa. 756 g.
110. Tag (sehr warm).
1 N. r.n.L 151 g
4 , l.a.r. 100 ,
7«/4 n r.u.l. 150 ,
llVs , 1 u.r. 97 „
14.
VII. Vit V. r. 100 ^
u.i. 110 „
101/4 . r.u.l. 102 ,
Sa. 810 g.
lll. Tag (sehr warm).
1 N. l.n.r. 117 g
4 » r. 80 ,
u. 1. 45 .
7 . l.a.r. 117 „
lli/a , r.n.l. 113 .
15. VII. VU V. r. u. 1. 183 „
101/4 , 1. u. r. 160 „
Sa. 815 g.
112. Tag (sehr warm).
11/4 N. r. u. 1. 127 g
41/4 , l.u.r. 104 ,
71/4 . r.Q.l. HO ,
ll»/4 „ l.a.r. 145 „
16.
VII. 6>/4 V. r. 147 „
9»/4 . Lo.r. 117 •
Sa. 738 g.
Sa. 750 g.
finde der 16. Woche: Gewicht 5930 g.
Körperlange 66 cm.
118. Tag
(sehr heiss; mittags: Schatten 30® R.,
Sonne 38o R., abends IOV3 Uhr 19« R.).
12»/4 N. r. n. 1. 151 g
l.n.r. 119 ,
r. n. 1. 140 ,
l.u.r. 127 ^
r. 134 ,
1. u. r. 200 „
Sa. 871 g.
3»/4
6»/4 .
llVs -
17. VII. 6»/4 V.
10 n
688
Reyher, Beitrag zur Frage nach dem Nahrung«- und
114. Tag. 119. Tag.
12«/4N. r.u.l. 136 g !•/, N.
4
ll»/4 „
18. VII. 7 V.
10V4 .
1. u. r. 86
r.u.l. 130
1. u.r. 146
r. 115
u.l. 27
1. u. r. 140 ..
Sa. 780 g.
71/4 ,
11 ,
(15 Min. 28. VII. 7 V.
. getrnnk.) 10 ^
r. 123 g
1. 131 .
r. u. 1. 170 „
l.u.r. 113 „
r. 99 ,
l. 130 ,
4V4 ,
7V4 .
IIV4 ,
19. VII. 7a/4 V.
11 .
116. Tag.
IV4N. r.u.l. 110 g
1. u. r. 95
r.u.l. 140
l. u.r. 108
r. 74
l.u.r. 180
Sa.
707 g.
11«. Taar.
2
N.
r. u. 1.
173 g
5«/.
ff
1. u. r.
166 ,
8'/»
II
r. u. 1.
168,
11 t/s
»
1. u. r.
105 ,
».VII
• Vh
V.
r.
180,
10'/:
n
1. 0. r.
125 .
Sa. 857 g.
117. Tag.
P/s N. r. u. 1. 155 g
4«/4 « 1. 70 ,
7>/4 » r. u. l. 167 ,
UVs » l.a.r. 105 ,
21. VII. 7^3 V. r. 74 «
IOV4 . I. 95 .
7V5 «
10»/4 n
22. VII. 8 V
10*/4 »
Sa. 666 g.
118. Tag.
P/4N. r. u.l. 187 g
41/4 n l.u.r. 123 .
„ r. u. 1. 152 ,
» l.u.r. 112 „
r. 90 ,
1. 137 ,
Sa. 766 g.
Snde der 17. Woche: Gewicht 6080 g.
120. Tag.
1 N. r.u.l. 115 g
3»/4 „ 1. 99 „
7 „ r. u. 1. 170 „
11 „ l.u.r. 94 „
24. VII. 7Vs V. r. u. l. 125 „
lOV» „ 1. u. r. 160 „
Sa.
763 g.
121.
Tag.
»•/4
N.
r.
n.l.
168«
4'A
•1
1.
u. r.
108,,
8'/4
«
r.
u.l.
120 „
ll'/l
11
1.
u. r.
68 „
35.
VII
•7V4
V.
r.
u.l.
125,,
11
M
L
u.r.
182«
Sa.
716 g.
122.
Tag.
2
N.
r.
n.l.
136 g
4»/«
yy
1.
tt. r.
128,,
8V4
n
r.
a.l.
117«
ll'/s
w
1.
u.r.
85.,
2«.
VII
. 8
V.
r.
n.l.
181 „
Wh
>»
L
u. r.
142 „
Sa. 739 g.
128. Tag.
2>/4 N. r. u. l. 120 g
Sa. 801 g.
6
>»
1.
u.
r.
138 „
IU/4
1»
r.
u.
1.
122,
»7.
VII. 7
V.
1.
u.
r.
113,,
10'/,
19
1.
151 „
Sa. 689 g.
£nergiebedürfDis des Datfirlioh ern&hrten S&ugliogs. 569
124. Tag.
l'/4
N.
r.
u.l.
121 g
4'/«
n
1.
u. r.
125 „
VU
»
r.
n.l.
122,,
11'/»
n
I.
u. r.
84 „
28. VII
[- vu
V.
r.
u.l.
150 „
lO'/s
n
L
u. r.
190,,
"sT"
792 g.
126.
Tag.
1'/»
N.
r.
u.l.
127 g
5
»>
1.
ü. r.
58 „
58 „
8
n
r.
u.l.
88 „
11'/«
>»
1.
u. r.
115,,
29. VII
• 7»/4
V.
r.
131 „
11
«
1.
u. r.
131 „
"sT
708 g.
126.
Tag.
.
2'/.
N.
r.
u.l.
154 g
{
5V4
n
1.
u.r.
107 „
8'/«
r>
r.
u.l.
105,,
ll'A
>9
l
u.r.
82 „
80. VII
•7'/,
9'/i
V.
r.
I.
88 „
108,,
ll'/4
1>
L
u. r.
100,,
"sT
744 g.
Ende der 18.
Woche:
Gewicht 6165 g.
127.
Tag.
2V«
N.
r.
u.l.
110 g
5»/4
n
1.
u. r.
11»,,
1
8'/.
19
r.
u.l.
90 „
11'/«
»»
1.
a. r.
104,,
81. VII
. 8 .
V.
r.
123,,
11'/«
»»
1.
u. r.
170 „ 1
C14'/, M.
Sa.
716 g.
getr)
128.
Tag (sehr heisa).
2'/,
N.
r.
95 g
5'/4
>»
1.
u.r.
83.,
25 „
1
8'/,
))
r.
u.l.
150,,
1. VIII.
12'/4 V.
1.
u.r.
80 g
8
<»
1.
100,,
11
«
r.
n.l.
169,,
129.
Tag (sehi
• warm).
2
N.
1. u. r.
107 g
5
»
r. u. 1.
93 „
8'/4
»
l. u. r.
185,,
11'/.
i>
r. u. 1.
80 „
2.
VIII. 7'/,
V.
r.
u.l.
75 „
112 „
11'/.
1»
1. u. r.
140,,
Sa.
792 g.
180. Taar («ehr schwal).
2'/.
N.
r. u. 1.
107 g
5'/.
>»
1. u. r.
112,,
8'/.
M
r.u.1.
122 „
ll'/4
»T
1. u. r.
87 „
8.
VIII. 8
V.
r.
88 „
11'/.
9»
1. u. r.
104 „
Sa. 620 g.
181. Tag
(sehr warm; 4 N. 38^ R. in der Sonne,
7 N. 190 R. im Schatten).
SVsN.r. u.l. 132 g
VU „l.u.r.l87„
12 „r.u. 1.115,,
4.VIIL7VjV. 1.100,,
11 „ rn.l. 182„[Z.-T.^)24VaC.]
Sa. 716 g.
182. Tag (sehr warm).
3 N. 1. u. r. 181 g
7 „ r. n.l. 132 „
11 „ 1. n. r. 130,, (HMin.getr.
5. VII r. 7'/2 V. r. 66 „ (3 V» M. getr.)
u. 1. 85 „ (5 Min. getr.)
ll»/4 „ l.u.r. 155,, (Z.-T. 260 C.)
Sa. 749 g.
188. Tag.
3»/4 N. r. u. 1. 140 g (Z.-T. 26o C.)
VI, „1. u.r. 153 „(Z.-T. 25V,«C.)
llVs „ r.u. 1.100,,
6. VIII. 8 V. r. 82 „
u.l. 48 „
12 „ L u.r.. 146 „(Z.-T. 26V8<>C.)
Sa. 669 g.
Ende der 19. Woche: Gewicht 6185 g.
Sa. 702 g. 1) Z.-T. = Zimmertemperatur.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 4. 37
57Q Keyher, Beitrag zur Pr»ge n»eh dem Nahrnngs- und
184, Tag. 189. Tag.
4 N.r.a.l.mg l'/f f"-'- "J«
7./« „ 1. «. r. U5 „ (7./, M. getr.) J ' - l'»-'« ^J - l8ch«..»'tf t)
11./. „r.u. 1.108,. ,J'"ir'! 1?"
7VTTT 71/ V r 75 ^^ '' » ^•"•'^- *^ "
7.VIIL7/,V. r. 75 „ 12.VIII. 8 V. r.llO,
.I.a:r:i70::(9 Mi», getr.; '''1^ , Lu.r. 198 , (Z.-T. 21« C.)
12
Sa. 683 g. Z..T.250C.) Sa. 702 g.
140. Tagr.
186. Tag.
4 N. r.o.l. 160g (Z.-T.20V3«C.)
f 1. 4 Min. getr.
8 . l.u.r. 140„{r.2»/4» -
l Z.-T. 230 c.
12 , r.u.l. 115« 18. VIII.
8.VIIL 8 V. 1. 140 « (Z..T. 22 Vs« C.)
lli/s , r.o.L160,(Z.-T.22V>oC.)
Sa. 715 g. Sa. 671 g.
2'/, N. r. n. 1.
133 g
5'/« , l.a.r.
125 ,
8'/s « r.n.l.
70,
11'/» „ 1.
40 ,
u. r.
20 ,
8 V. r.
100.
a.l.
88 ,
ll'/s . l-u-r.
145 .
186. Tasr.
finde der 20. Woche: Gewicht 6220 g.
141. Tag.
3V,N.I.u.r.l47g(Z..T.22V,»C.) N r n 1 100 .
7'/, „ r.n.l. 127„(Z.-T.22.MC.) J * N. r.u.l. 100g
IIV, „ l.u.r. 67„ J' - __ , ^,^
9.VIII. 8 V. r. 122
91/4 , r.a.l. 115
, '' 14. VIII. 71/1 V. Lu.r. 120
'''^' ^^" lOV. . r.u.l. 165
12 „ 1 n.r.205.,(Z.-T.21V,oC.)
Sa. 698 g. S-^«^«-
187. Tag
142. Tag.
IV' N. J. u. r. 140 ff
4 N.r.n.l.l40g(Z..T.21VsOC.) Jr ^ ,. ^. 1. gO .
• 8 , l.u.r. 187, (Z..T.21V,oC.) '; • ^^^ ^
llV..r.u.l. 98, 12 r.u. 1.125,
10.VIII. 7V.V.l.a.r.l50, j^^jji ^.^^ ^. , ^ ,., j^g ^
11 , r. 100,
a.l. 55, (Z.-T. 210 C.)
Sa. 680 g.
188. Tag
lOVs , 1. u. r. 150 ,
Sa. 691 g.
148. Tag.
P/4 N. r.u.l. 115g
3 N. Lu.r. 127 g (Z.-T. 21« C.) 4»/» . lu.r. 110 ,
7 , r.u.l. 130, 7*/, , r.u.l. 65 ,
llVs» Lu.r. 140, UVs « I.u.r. 118 ,
ll.VIII. 7V4V. r.lOO,(Z..T. 210 C.) 16. VIII. 71/3 V. r.u.l. 163 ,
10'/4 „ lur. 160 , (Z.-T.20V,oC.) lOVs , 1. u. r. 155 ,
Su. 657 g. Sa. 726 g
Energiebedürfnis des natarlioh ern&hrten S&ngliogs.
571
144. Tag.
IVs N. r. u. 1. 120 g
41/5 . 1. a. r. 180 ^
7Vj n r.u I. 117 „
llVs » l.u.r. 126 ,
17. VIII. 7Vs V. r.u.l. 180 ,
lOV. . l.u.r. 150 „
Sa. 823 R.
145. Tag.
1'/.
N. r. u. 1. 120 g
4'/.
. l.tt.r. 137 ,
7V»
» r.n.l. 88.
11
„ l.n.r. 111 „
i8.vin.
7»/4
V. r. u. 1. 140 „
loy«
„ l..u.r. 181 „
Sa. 717 g.
146. Tag.
i«/4
N. r. u. 1. 151 g
4'/«
1. 76.,
n. r. 48 „
7'/.
„ r.u.l. 120,,
18
„ 1. u. r. 151 „
19. VIII
7V.
V. r. 115 „
10>/.
„ l.u.r. 142 „
Sa. 798 g.
147. Tag.
l>i.
N. r. n. 1. 150 g
*•/.
„ 1.0. r. 118 „
7'/.
„ r. Q. 1. 105 „
IIV.
„ 1. u. r. 86 „
20.V1IL
7'/.
V. r. u. I, 150 „
iOV4
„ 1. n. r. 180 .,
149. Tag.
IV» N. r. Q. 1. 128 g
4V8 „ l.u.r. 120 „
7Vs „ r.u.l. 100 .,
UV. „ l.u.r. 112 „
22.VnL 7V4 V. r.u.l. 149 „
IOV4 „ 1. u. r. 160 ,,
Sa. 769 g.
4V.
6V,
28.VIII.12V4
7V4
10
160. Tag.
N. r.a.I. 110 g
„ l.u.r. 111 „
„ r.u.l. 75 „
V. 1. u. r. 148 „
„ r. u. 1. 138 „
„ 1. u. r. 107 ,.
Sa. 689 g.
151. Tag.
l»/4 N. r. u. 1. 143 g
24. VIII
4V4
7V4
11
7
IOV4
„ l.u.r. 140 „
„ r. a.1. 148 „
„ 1. u. r. 70 „
V. r. 85 „
u. 1. 25 „
„ 1. n. r. 148 „
Sa. 759 g.
Sa. 739 g.
Ende der 21. Woche: Gewicht 6265 g
152. Tag.
IV4 N. r. u. 1. 153 g
4Vs „ l.u.r. 134 „
7V4 „ r. u. 1. 100 „
IIV4 „ 1. u. r. 65 „
2Ö.VIIL 8 V. r. a.l. 175 „
11 „ 1. u.r. 158 ,,
Sa. 785 g.
148. Tag.
IV4 N. r.u.l. 167 g
4V, ,; l.u.r. 110 „
7V. „ r.u.l. 88 .,
10«/4 „ l.u.r. HO „
51. VIII. 7V4 V. r.u.l. 170 „
IOV4 ,y 1. u. r. 150 „
Sa. 795 g.
158. Tag.
2 N. r. u. 1. 105 g
5 „ l.u.r. 128 „
8V4 ,. r. u. l. 100 „
ß. VIII. 12V4 V. l. u. r. 125 „
7V4 „ r.u.l. 122,,
IOV4 „ J. n. r. 145 „
Sa. 725 g.
37»
164. Tag.
IV.
N. r. D. 1. 180 g
*v.
„ I.D.r. 130 „
7>/4
„ r. u. 1. 96 „
12
„ 1. 0. r. 100 ,.
7'/4
V. r. a. 1. 185 „
10>/4
1. 95 .,
572 Reyher, Beitrag zur Frage nach dem Nahrnngs- und
159. Tasr-
IV» N. r.u.l. 140 g
4V. „ l.u.r. 112,,
VU „ r.u.l. 90 „
12 „ 1. tt. r. 155 „
27.Vni. VU V. r.u.l. 185 „ ^' ^^-^'U V. r.u.l. 140 „
101/4 „ 1. n. r. 182 „
Sa. 686 g.
Ende der 22. Woche: Gewicht 6400 g.
155. Tag.
IV2 N. r.u.l. 130 g
41/5 „ Lu.r. 140 „
7V, „ r. u. 1. 138 „
111/, ^^ i.Q.r. 112 „
28. VIII. 71/, V. r. 140 „
lOV, „ l.u.r. 155
29. VIII.
Sa. 815 g.
156. Tag.
2
5
8
IIV»
101/2
N. r.u.l. 122 g
„ 1. u. r. 155 „
„ r.u.l. 121 .,
„ 1. u. r. VO „
V. r.u.l. 182 „
„ 1. n. r. 117 „
Sa. 787 g.
157. Tag.
11/, N. r. u. 1. 155 g
4»/4 „ 1. u. r. 100 „
73/4 „ r. u. 1. 125 „
12 ., l.u.r. 95 „
30. VIII. 71/, V. r.u.l. 150 „
101/2 „ 1. n. r. 155 .,
Sa. 780 g. Sa. 770 g.
158. Tag. ißg. xag.
Sa. 769 g.
160. Tag.
11/5 N. r.a.l. 125 g
41/5 ,, l.u.r. 120,,
VI, „ r.u.l. 105,,
111/, ,, i.a.r. 90 „
2.
IX.
7 V. r.u.l. 173 „
10 „ l.u.r. 60 „
Su. 673 g.
161. Tag.
l N. r.u.l. 110 g
4 „ Lu.r. 120,,
7 „ r.u.l. 115,,
111/, ,^ l.u.r. 105 „
3.
IX.
1
71/5 V. r. u. 1. 160 „
10»/4 n 1. n. r. 145 „
Sa. 755 g.
Ende der 23. Woche.
Gewicht: 6440 g.
162. Tag.
2 N. r.u.l. 160 g
5 „ 1. u. r. 100 „
81/, „ r. u. 1. 130 „
4.
IX
11/5 V. l. u. r. 95 .,
71/.,, r.u.l. 160 „
lOi/s „ 1. u. r. 125 „
l'/s N.
r. a. I.
150 g
2 N.
r. u. l.
82 g
5 „
1. a. r.
105 „
5 .,
1. n. r.
115,,
8'/. „
r. u. 1.
100,,
8 „
r. u. 1.
115 „
11 '/4 V
1.
84 „
ll'/s ..
I. u. r.
20 „
1. VIII. 7'/- V.
r. u. 1.
200,,
5.
IX.
7 V.
r.
146 „
lOVs „
1. u. r.
ito„
10'/4 „
1. u. r.
180 „
Sa. 749 g. Sa. 658 g.
Bnergiebedürfnis des nat&rlich ernährtoii Säugliugs.
573
2
5 ,
7»/4 ,.
6. IX. 12Vs \
7 ,.
10 „
7. IX.
164. Tafir.
N. r. u. I. 150 g
„ l.u.r. 120 „
„ r. u. 1. 126 „
1. u.r. 120 „
r. u. l. 140 „
1. u. r. 122 .,
Sa. 778 g
165. Tasr.
1 N. r u.l. 116 g
4»/4 „ l.u.r. 150.,
8 ,. r. u. l. 100 „
111/4 „ l.u.r. 75 „
7»/4 V. r. u. 1. 220 „
111/5 „ 1. u. r. 165 .,
Sa. 826 g.
169. Tag.
2
N. 1. u. r. 135 g
5V4
8
„ r.u.I. 112 „
., l.u.r. 118 „
11.
ll*/4
IX. 7
r. 75 „
V. 1. u. r. 140 „
lOVs
„ 1. ü. r. 150 „
Sa. 730 g.
170. Tag.
1V>N
7V» „
ll»/4 „
12. IX. 7 V
r.u. 1.189 g
l.u.r.l45.,(8Min.getr.)
r.u.I. 75 „
l.u.r.l08„( 5 Min. getr.)
r.u.I. 125,,
10^/4 „
1. u.r. 180,,
Sa. 77-J g.
166. Tag.
3Vs N. r. u. L 155 g
VU » li^r. 145 „
111/4 „ r.u.l. 115 „
8. IX 71/4 V. l.u.r. 168 „
11 „ r.u.I. 148 .,
9. IX.
10. IX.
Sa. 731 g.
167. Tag.
2
5
8
12
7
10
N. 1. u. r. 135 g
„ r. u. 1. 15?9 „
„ l. u. r. 100 „
„ r. u. l. 150 „
V. l.u.r. 158 „
„ r.u.l. 112 .,
Sa. 784 g.
168. Tag.
1
4
7^4
11V»
8
11
N. I. u. r. 135 g
„ r.u.l. 109 „
„ 1. u. r. 115 „
„ r.u.l. 110 „
V. 1. u. r. 180 „
V. 125 „
Sa. 774 g.
£nd
e der 24. Woche,
iwicht: 6580 g.
171. Tag.
11/4 N. r.u.l. 85 g
4 „ l.u.r. 100,,
7 „ r.u.l. 105 „ (10 Min. getr.)
Ui/j „ l.u.r. 60 „
18.IX. 7 V.r. u.l. 138,,
10 „ v.u. 1.126,.
14. IX.
15. IX.
Sa.614
g-
172. Tagr.
l'/i
N.
l.n.r.
159 K
*'lt
>•
r. u. 1.
113 „
7
»»
l.u.r.
127 „
ll»/4
«
r. u. 1.
90 „
7'/»
V.
1. u. r.
146 „
10>/,
>»
r. u. 1.
155.,
Sa.
790 g.
178. Tag.
IV.
N.
1. u. r.
130 g
4V.
n
r. 0. 1.
118,,
TU
i>
l.u.r.
105 „
iiV.
»»
r. n. I,
130,,
8
V.
1. u. r.
152,,
11
•?
r. u. 1.
157 ..
Su. 792 g.
674 Reyher, Beitrag zur Frage nach dem Nahrungs- und
174. Tag. 179. Tag.
2 N. l.n.r. 150 g j N. 1. u. r. 100 g
5 „ r. u. 1. 75 „
8 „ l.Q.r. 126
IP/4 „ r. Q.I. 61
4^4 „ r.u.l. 75
7V4 n l.a.r. 88
11 „ r.n.L 76
16. IX. 7 V.J.u.r. 160,, ^ 7^4 V. n u! L 180
10 „ r.u.l. 145
ll»/4 „ I u r. 182
^*- '^^'^ «• Sa. 696 g.
176. Tag.
180. Tag.
Sa.
626 g.
181. Tag.
1
N.
1. n. r.
100 g
4
»
r. u. 1,
128 ,
TU
»
1. u. r.
110,
ll'/i
y>
r. tt. 1.
120.
7'/«
V.
1. u. r.
166 .
10>/,
I>
r. u. 1.
91 ,
1 N. l.u.r. 92 g
4 „ r.a.l. 100 „ 3V4>^. r.u.l. 126 g
7 „ Lu.r. 130,, '^ - ^«-r- ^^ -
12 „ r.a.l. 130,, ^^'Z* » r« '^- *• ^^ -
17. IX. 71/4 V. 1. u. r. 160 ,, 22. IX. Vj, V. 1. u. r. 182 ,
10 „ r.u.l. 130 „ ^^V» n r. 85 , (4Mln.ttti.>
Sa. 742 g.
Ende der 25. Woche.
Gewicht: 6545 g.
176. Tag.
1 N. l.u.r. 110 g
4 „ r.u.l. 95 „
6»/4 „ l.u.r.100,, 23. IX
IIV2 „ r.u.l. 80 „
18. IX. VU V. 1. u.r. 168 „ Sa. 715 g
lOVs „ r.u.l. 165., ( 8Miii.getr.)
Sa. 718 g.
182. Tag.
177. Tag. IV2 N. 1. u. r. 129 g
2 N.Lu.r. 110g ^ » '"•^•^- ^3^ »
4»/4„r.u.l. 95„(7Min.getrunk.) 7'|* - [' "' ^- ^^ »
7V,„l.o.r.lüO„ ^^'Z* • l-^-r- 95 ,
llV,„r.u.l.l05„ 24.IX. 7V. V. r. a. 1. 14a .
19.IX.7 V.l.u.r.l66„ 1^''» - ^'^-^- ^^'^ -
10 ., r.u.l. 110,, Sa. 716 g.
gj^ ggg Ende der 26. Woche Gew. 6580 g.
178. Tag.
1 N.l.u.r. 115 g
4 „ r.u.l. 75.,
7 „l.u.r. 123,,
ll»/4„r.u.l. 84 „
20. IX. 7 V. 1. u. r. 198 „ 25. IX.
10 „ r.u.l. 110,, (4Va Min. getr.)
Sil. 705 g.
188. Tag.
li/.
N.
r. u. 1.
120
ß
4'/,
»
1. u. r.
106
»
Th
9
r. u. 1.
100
g
11-/4
»
l.u.r.
85
»
7
V.
r.u.l.
136
»
lOV»
n
1. u. r.
135
,(7V4M!n4««'-)
Sa.
682
g-
187.
Tag.
2V*
N.
r. ü
.1.
128 K
5
9
I.a.
. r.
82 „
u.
3 ,
K.
-M.
8
71
r. a
.1.
83 „
a.
17 „
K.
IL
n»/4
n
l.u.
. r.
82 ,
u.
5 »
K.
-M.
7'/.
V.
r. u
J.
152 .
10'/.
f»
Ija.
. r.
152 „
BnergiebedöriBis den Daturlieli ernährten Säaglings. 575
184. Tag.
l»/4 N. r. u.l. 115 g (7«/,M.getr.)
u. 10 „ K.M.*)an-
Terdnnnt)
4J/^ „ 1. a. r. 105 g
u. 7 » K.M.
7^4 ,, r. u. 1. 95 „
a. 0 . K.-M.
(Kind nahm keine Knhmilch mehr)^^* ^^*
26. IX. 12^4 V. l.u.r. 120 g
u. 5 , K.-M. Sa. 679 u. 25 K.-M. = 704 g.
7»/4 '„ r.u.l. 180 , .gg Tajr***>i
10»/4 n l.u.r. 119 , „ ^ ^
o. 9, K.M. IV. N. r.u.l. 120 g
[Mischung**): 200 M., 100 W., 12 M.-Z.] ^''» » ^' ^' ^' ^^ *•
S. 784 „. 31 K.-l4. = 765g. «''» " '' ^ j; '^ ^ ^.^
11 Vi „ I.u.r. 60 „
186. Tag. 80. IX. 7 V. r. u. l. 180 „
2 N. l.u.r. 109 g (r. 6Vi Min., 1. 4V» Min. getrunken)
u. 5 « K.-M. 10 V. 1. u. r. 105 g
5 , r. u. 1. 90 » Sa. 665 u. 28 K.-M. = 688 g.
u. 15 „ K.M. g-j _
^^'/* » l.o.r. 173. v i^n«
27. IX. 7V4 V. r.u.l. 150 „ * ^- "*•"*• ^"^ "
u. O.K.-M. ^V4 „ l.u.r. 108
10 , 1. u.r. 155
8 „ r.u.l. 140
u. 0 , K.M. ^'^ 7V4V.r.u. 1.202,,
Sa. 677u.20K..M. = 697 g. ^^ „ l.u.r. 180
186. Tag.
Sa. 73dn. 0K.-M. = 738 g.
Ende der 27. Woche.
Gewicht: 6620 g, Körperl&nge: 70 cm.
1 N. r.u.l. 111 g
5 , l.u.r. 125, 190. Tag.
u. 0 , K.-M. 2 N. r.u.l. 110 g
7»/4 n r. u. 1. 100 g 5 „ 1. u. r. 120 „
28.1X. 12V4 V. l.u.r. 120 » ^ „ r.u.l. 71 „
7V2 » r. u. 1. 155 « «• 12 », K.-M.
11 , l.u.r. 96 „ 2.x. 7 V. r. u. 1. 182 „
u. 9 , K.-M. 11 n l.u.r. 190 g
Sa. 707 n. 0 K.-M. = 707 g. Sa. 673 u. 12 K.-M. = 685 g.
*) K.-M = Kuhmilch aus der Milchkuranstalt am Viktoriapark.
**) M. = MiUfa, W. =r Wasser, M.-Z. = Milchzucker. Die Mischung
bleibt solange dieselbe, bis eine neue Notierung eine Änderung derselben
anzeigt. Die Indikation zur Veränderung der Milchmischung gab das Ver-
halten des Stuhles ab.
***) An diesem Tage wie an den folgenden wurde die Flasche noch
öfters gereicht, aber nicht angenommen.
576 K^yheri Beitrag zur Frage nach dem Nahrangs- und
191. Tag. 106. Tag.
2 N. r. u. 1. 110 g 41/5 N. r. a. 1. 180 g
5 „ l.u.r. 120 „
8V4 „ r.u.L 120 „
12 „ Lu.r. 34 „
2. X. 7Vi V. r. u. 1. 205 „
11 „ Lu.r. 152 „
7'/.
•
l.n.r.
115 ,
11V«
»
r. a. 1.
101 ,
a.
8 ,
K.
-H.
8.
X. vu
V.
r.Q.L
179 ,
ll'/s
n
l.u.r.
150 ,
Sa. 741 u. 0 K.M. = 741 g. Sa. 675 u. 8 K.-M. == 683 g.
Ende der 28. Woche. Gewicht: 6640 g.
192. Tag.
2V» N. r. u. 1. 185 g
5Vs „ l.u.r. 104 „ 197. Tag.
81/. „ r. u. 1. 70 „ 8V1 N. r. u. 1. 102 g
u. 10 „ K..M. 6»/4 n 1. u. r. 97 „
(Mischung: 200 M., 100 W., 16 M.-Z.) a. 14 „ K.-M.
4. X. 7 V. r. u. 1. 210 g u»/, ^ r. u. 1. 142 „
10 „ 1. u. r. 145 g 9. X. 7V4 V. 1. u. r. 177 ,
Sa. 664 a. 10 K.-M. = 674 g. UV* 1. r. a. 1. 155 ,
Sa. 678 u. 14 K.M. = 687 g.
198. Tag.
2 N. r. u. 1. 132 g
5»/4 „ l.u.r. 120,,
10»/4 „ r.a.l. 135 „
198. Tag.
5. X. VU V. r. u. 1. 186 „
2»/4N. l.a.r. 120 g
u. 19 „ K.
-M.
6 „ 40 „K.-M. (15 Min.
IIV» „ l.u.r. 129 „
r.u.l. 90« getr.)
Sa. 702 a. 19 K.-M. = 721 g.
8»/4» In.r. 90«
12 , r.u. 1.127,
10. X
VU V. 1. u. r. 162 „
194. Tag.
Sa. 72
11 , r.u. 1.133.
31/4 N. r. u. 1. 151 g
2u.40K.-M=762g.
VU « l.u.r. 100,,
11»/* „ r.a.l. 70 „
6. X. 7»/4 V. l.u.r. 213 „
ll»/4 „ r.u.l. 130,,
199. Tag.
Sa. 664 u 0 K.M. -^ 664 g.
21/s N. 61 g K.-M.
195. Tag.
(Mischung: 300 M., 100 W., 15 M.-Z.)
l. u. r. 85 g
3»/4 N. 1. u. r. 120 g
6 N. 39 „ K.-M.
7»/4 „ r.u.l. 114 „
r.u.l. 123 „
u. 4 „ K.
-M.
9 , 1. u. r. 104 ,
7. X. 12»/. V. I. u. r. 130 „
ll»/4 » r.u.l. 60 ,
78/4 „ r.u.l. 134 „
. 11.
X. VU V. 1. u. r. 193 ,
12V. . l.«.r. 197 „
IOV4 . r.u.l. 117 „
Sa. 695 u 4 K.-M. = 699 g. Sa. 682 g n. 100 K.M. = 782 g.
EnergiebedCirfiiis des nat&rlich ern&hrteo Sfiugliogs. 577
200. Tag. 204. Tag.
VIa N. 38 g K..M. Vh N. 86 g K.-IL
l.u.r. 117 , l.u.r. 85 „
4»/4 „ 26 « K.-M. 4»/4 „ r.u.l. 110 „
(Misohang: 300 M., 100 W., 20 ll-Z.) 8 „ 80 „ K.-M.
r. a. 1. 100 g (MischoDg: 400 reioe Milch a. 15 g M.Z.)
8 N. 28 , K.-M. ll'AN. r. o. 1. 18.^ g
l. u. r. 100 „ 16. X. 7Vj V. 1. q. r. 195 „
ll»/4 « r.tt.l. 114 ^ 10»/4 „ r.u.l. 132
12. X. 7V4 V. 1. u. r. 190 „ Sa. 657 u. 166 K.-M. = 822 g
101/, ^ r.u.l. 150 ,
Sa. 771a. 92K.-M = 86dg.
201. Tag.
206. Tag.
2 N. 50 g K.-M.
1. u. r. 81 „
5Vj „ r. u. 1. 55 „
2 N. 18gK..M. u. 15„K.-M.
r.n-1. i02 „ 9 ,, l.u.r. 120 „
5V> n 72 , K.-M. 17. X. 21/4 V. r. u. 1. 100 „
1- »• r. 75 „ 71/, ^ i u. r. 130 „
8>/, „ r. u. 1. 97 , 101/, „ 80 „ K.-M.
ll»/4 . l.u.r. 100 „ r. u. 1. 60 .,
13. X. 71/4 V. r. u. I. 198 , g^ ^g ^ j^^ j^ .^^ _ ggj
10»/4 , I. n. r. 100 „ ^
Sa. 672 u. 90 K.-M. = 762 g. ^^^' '^^
1-/4 IN. 30 g K.-M.
r. u. 1. 60 ,
l»/4 N. 47 g K..M. , ^ ^ 70 ^
^,; ^•"•!:-^;i" 71/= .l.a.r. 80.
4»/4 „ r.u.l. 94 „ ^^3^ j^,^
7»/4 „ 80 „ K.-M. (Mischung: 450 M., 150 W., 15 M.-Z.)
l.u.r. 40 „ ^gx. 12V, V.r.u.l. »0 g
1/ «V r. u. 1. 00 ,,
202. Tag.
14. X. 7 V. l. u. r. 200
10 „ r. u. 1. 125
7 , 1. u. r. 175
IOV4 » 100 , K.-M.
I. n. r. 58
Sa. 661 u. 127 K.-M. = 788 g. ga. 523 u. 227 K.-M. = 750 g.
208. Tag. 207. Tag.
IN. 55 g K..M. l»/4 N. 60 j; K.-M.
1. u. r. 90 „ 1. u. r. 70 „
41/4 „ r. u. 1. 90 „ 4»/4 , 90 „
Vj, „ 92 „ K.-M. VI, „ 125 , K.-M.
1. u. r. 58 ., r. 35 ,
11 „ r. u. 1. 75 „ 19. X. I2V4 V. 1. u. r. 150 „
17. X. 7 V. 1. u. r. 190 „ 7^, „ r. u. 1. 168 «
IOVj „ r.u.l. 132 „ IOV4 , 108 , K.-M.
u. 10 .. K.-M. (Mischung: 450 M., 150 W., iiO M.-Z.)
Sa. 635 u. 147 K.M. = 782 g. 1- "• r- 70 g
Ende der 29. Woche. Gewicht: 6800 g. Sa. 493 u. 383 K.M. = 876 g.
678 Key her, Beitrag Eiir Frage nach dem Nafamngs- und
208. Tag. 212. Tag.
1^4 N. 64gK..M. 2V4N. 9ögK..M.
4 ^ 68 , K.-M. (Mischung: 450 M., 150 W., 25 M. Z.>
r. u. l. 110 , r. 75 g
(r. 3 Min., I. 11/4 Min. getrunken) 51/^ ^ uq , K.M.
VI, N. 95 g K..M. 8V2 . r. u. I. 185 .
12 « 1. u. r. 170 ^ 12 ., 94 , K.-M.
20.x. 7V2 V. r. ü. 1. 172 „ 24. X. 71/4 V. 1. a. 1. 150 .
^1 » 125 , K.-M. 101/, , 107 , K..M.
>■ M' r. 58 , r. 88 ,
Sa. 505 u. 852 K.-M = 857 g. Sa. 448 u. 406 K.-M. ==849 g.
209. Tag.
2 N. 46 g K..M. 218. Tag.
IV4 N. 75 g K.-M.
8 120 K M ^- °- '• ^^ '
I S " ^ - ^^^ - K..M.
J. u. r. 80 , g • jg^ 1^ jj
(beiderseits je 2 Min. getrankeu) .0 " 110 "
IIV4 N. r. a. 1 107 g 5»; Y 7 v l „ r"i^ß '
21. A. 7 V. i. u. r. 181 -
r. tt. 1. 80
5 « 90 , K.-M.
10 , 90 „ K.-M.
r. n. 1. 56 ,
Sa. 504 u. 346 K.-M = 850 g.
10 » 115 « K.-M.
r. tt. 1. 85 .
Sa. 451 u. 430 K.-M. = 881 g.
210. Tag. 214. Tag.
IV4 N. 42 g K..M. , N 1 u r 75 L^
(Mischung: 600 reine Milch u. 20 M.-Z.) ^
l. u. r. 81 g
4V4 N. 94 , K.-M.
1 „ 55 « K..M.
r. u. 1. 98 „
12 , 1. u. r. 75 «
22. X. Vli V. r. u. 1. 176 ,
101/4 „ 107 „ K.-M.
1. u. r. 80 ,
Sa. 455 u. 298 K.-M. = 753 g.
Ende der 30. Woche Gewicht: 6905 g.
211. Tag.
l»/4 N. 117 g K.-M. IV4N. 80 g K.-M.
r. u. 1. 43 „ r.u.I. 29 „
5 „ 150 , K.-M. 4>/4 „ 120„K..M.
8 , 85, K.-M. 8'/.,, 150„K..M.
1. u.r. 44 „ 27.X. IV4V. I.u.r.l33„
12 „ r. u 1. 145 „ 71/4 „ r.u. 1.130,,
28. X. 8 V. 1. u. r. 180 , IOV4 „ 148 „ K.-M.
11 „ 125 . J'»''. 60 „
Sa. 412 u. 477 K.-M. = 880 g. Sa.852u.498K.-M.=850 g.
u.
55 „
K.
-M.
4
»
100 ,
K.
-M.
Vh
»
r. u. 1.
101 n
73 ,
K.
-M.
12
1»
1. u. r.
86 „
26.x.
7
V.
r. u. 1.
130 ,
IOV4
n
l. n. r.
96 ,
70 .
K.
-M.
Sa. 434
n. 352 K
..M.=
786 g
215
. Tag.
Energiebedürfnis des natArlich ero&lirten S&agliDgs. 679
216. Tag.
220. Tag.
p/s N. 50gK.-M.
IV2
N. 90 g K.-M.
r.u.l. 54 „
r.a.l. 70 „
4»/, „ 120„K..M.
4V.
189„K..M.
7»/4 „ 132 „ K.-M.
8
150 „ K.-M.
12 .„ I.u.r.l45„
12
„ 1. a. r, 140 „
71/4 V. r. u. 1. 125 „
1. XL
, 7
V. r. u. 1. 180 „
10 „ l.u.r. 90 „
10
70 „K.M.
u. 70 ., K.-M.
l.u.r. 45 „
28. X.
Sa. 414 n.372 K.-M.=:786 g. Sa. 435 u. 440K.-M.=875 g.
217. Tag.
221. Tag.
P/4 N. 79 g K.-M.
IN. 70 g K.-M.
r.u.l. 5U
r.u.l. 70 „
4»/4 „ 118 „ ICM.
4 „ 151 „ K.-M.
81/4 „ no„K..M.
71/4 „ 108 „ K.-M.
IIV3 „ l.u.r.l30„
ll»/4 „ l.u.r. 122,,
29. X. 7 V. r. 0. 1. 165 „
2. XI.
71/4 V. r. u. 1. 160 „
10 „ l. u. r. 75 „
IOV4 „ 165,, K.-M.
Sa. 421a. 807 K.-M.=: 728 g.
1. u.r. 50 „
Snde der 31. Woche: Gewicht 6960 g.
Sa. 402 u. 494 K.-M. =896 g.
218. Tag.
222. Tag.
12»i4 N. 50 g K..M.
2 N. 120 g K.-M.
(MiechuDg: 600 M., 200 W, 30 M.-Z.)
r.u.l. 50 „
r. n. 1. 65 g
5 „ 113,, K.-M.
3»/4 N. 100 „ K.-M.
8 „ 147 „ K.-M.
6V3 „ 131 „ K.-M.
111/4 „ 1. u.r. 140,,
12 „ 1. u. r. 152 „
3. XI.
71/4 V. r. u. 1. 189 „
30. X. 7V3 V. r. u. 1. 130 „
IOV4 „ 138 „ K.-M.
lOV/s „ 170 ., K.-M.
Sa.379Ti.518K..M.=897g.
Sa.847u.451K.-M.=798g.
228. Tag.
219. Tag.
IN. 100 g K.-M.
IV4 N.l. u.r. 110 g
l.u.r. 80 „
4Vs „ 144 „ K.-M.
8»/4 „ 100 „ K.-M.
8 „ 100 „ K..M.
7 „ 140„K..M.
12 „ l.a.r.l50„
11 „ r.u.l. 101,,
31. X. 71/2 V. r. u. 1. 154 „
4. XI.
7 V. 1. u. r. 166 „
W], „ 114,, K.-M.
10 „ 115,, K.-M.
1. u. r. 59 „
r. 50 „
Sa. 478 n. 358 K.-M. = 881 g. Sa. 397 u. 455 K.-M- =852 g.
680
Reyher, Beitrag zar Frage nach dem Nahrangs- und
224. Tag.
IN. 120 g K..M.
4V4 „ 110,, K.-l£.
1. u. r. 90 „
Vit „ 70 „ K.-M.
ö.XL 121/4 V. r.u. 1.120,.
7 „ I.a.r.l45«
10
104 „ K..IL
r.u.l. 43,
Sa. 398 u. 404K.-M.=802 g.
Ende der 32. Woche: Gewicht 7060 g.
226. Tag.
IV4N. 107 g K.-M.
l. n.r. 55.,
41/. n 141) . K..M.
VI, , 185 , K.-M.
ll»/4 , r.u.l. 75«
6. XI. 7»/4V. 1. a.r. 150»
11 . 123, K.M.
r.q.l. 47,
Sa. 327 a. 560 K.-K. = 887 g.
228. Tag.
IN. 76 g K.-Ii.
r. a.l. 54,
4 , 117 , K.M.
7»/4 , 145 , K.-M.
IP/4 , l.a.r.l35,
9. XL 7 V. r.u. 1.125,
IOV4 n 145 , K.-M.
Sa.314a.483K.-M.=797 g.
229. Tag.
IV4N. 90 g K.-M.
1. u. r. 40 ,
4V, » 166 , K.-M.
7»/4 , 105 , K.-M.
ll»/4 ., r. tt. 1. 120 ,
10. XL 7 V. l. n. r. 131 ,
IOV4 . 148 , K.-M.
Sa.291a.509K.-M.=:800 g.
230. Tag.
1*/« N. 156 g K.-M.
4»/4 , 223 , K.-M.
8V4 n 116 , K.-M.
ll»/4 « r.u.Ll38,
n.XL 7 V.l.u.r. 140,
10 , 180 ,
226. Tag.
2 N. 125 g K.-M.
* 51/4 » 142 . K.-M.
8 , 150 , K.-M.
12 . L u. r. 106 ,
7. XL 71/4 V. r. u. L 140 ,
IOV4 » 134 , K.-M.
Lu.r. 66 „
Sa.312u.551K.-M. = 868g.
Sa. 2780.675 K.-M.=953g.
281. Tag.
2 N. 200 g K.-M.
41/. „ 180 , K.-M.
6\', , 20 , K.-M.
10 , 10 , K.-M.
ll»/4 , La.r. 155.
12. XL 7 V.r. U.LI 10.
10^4 n 110 , K.-M.
Sa. 265 a. 520 K.-M. = 785 g.
Ende der 33. Woche.
227. Tag.
Gewicht 7135 g.
1 N. 114 g K.-M.
282. Tag.
r.u.L 37,
IN. 160 g K..M.
4^4 n n8,K.-M.
(Mischung: 750 M., 250 W., 35 M.-Z.)
6»/4 , 185 , K..M.
4 N. 240gK.-M.
111/4 , Lu.r. 124,
7»/4 , 175 , K.M.
8. XL 7 V. r. u. 1. 130 ,
111/, ^ i.u.r. 80,
10 , 152 , K.-M.
13. XL 7i/,V.r.u. 1. 90,
Lo.r. 10,
lOV, , 190 ,
Sa. 301a. 519 K.-M. =820 g.
Sa.l70a.765K.-M.=935g.
Energiebedürfnis des natürlich ernährten S&nglings. 581
288. Tag. 288. Tag.
2»/4N. 185gK.-M. 1 N. 160gK.-M.
6V> » 200 , K.-M. 4 „ 195 „ K.-M.
14. XL 1 Vj V. 1. u. r. 100 , VU „ 130 „ K.-M.
Vit , r.^.l. 118 , 111/^ ^^ l.u.r. 100 „
^^1* » 195 , K.-M. jg^j ^ V. r.u.l. 90 „
Sa.218u.580K.-M.=798g. u. 50„K.-M.
10 „ 105 „ K.-M.
284. Tag. Sa. 190 a.640 K.-M. = 830 g.
IV2N. 125 g K.-M. Ende der 34. Woche: Gewicht 7240 g.
4V2 „ 220 , K.-M.
8 „ 120 „ K..M. 289. Tag.
ll»/4 . l.u.r. 90 „
15. XI. 7 V. r. u. 1. 95 .
u 50 „ K.-M.
10 „ 1.S3 . K.-M.
Sa. 185 a. 668 K.-M. = 853 g.
285. Tag.
IV2N. 170g K.M.
4V2 » 180 „ K.M.
8 , 135 „ K.-M.
12 ^ l. u.r. 105 „
16. XI. 7VjV. r.u.l. 110,
IOV2 , 225 , K.-M.(6Mln.gfr.)
Sa.215u.710K.-M. = 925g.
286. Tag.
1^2 N. 210 g K.-M.
4"3„ 215 „K.-M.
7^'4 „ 195 „ K.-M.(5Mln.gtr.)
IP/4 „ l.u.r. 80 „
17. XI. 7 V.r.u. 1.115,,
u. 17„K.-M.
10 „ 219„K.-M.
Sa.l95
U856K.
-M.
,=
1051 g
287.
Tag.
1
N.
145 g
K.
-M.
4
?»
215 „
K.
-M.
7»/4
5'
182,,
K.
-M.
ll»/4
»»
1.
80 „
18. XI
. 7
V.
r.u.l.
.110,,
u.
. 30,.
K.
M.
10
»»
185.,
JC.
-M.
IV.
N.
130 gK.
M.
4V.
^»
220 „K.
-M.
8
«
190 „K.
-M.
ll»/4
»♦
l.u.r.
. 60„
20. XI
. 8
V.
r.u.l.
90 „
u.
20 „K.
-M.
10«/4
»»
240„K.
-M.(6BlIn.gtr.)
Sa.l50
U.800K.
-mT^
:950 g.
240.
Tag.
2V2
N.
124 gK.
-M.
5V.
»»
185 „K.
M.
)
8V.
»1
120 „K.
-M.
ll»/4
i<
105 „K.
-M.
21. XL
.7^4
V.
l.u.r.
135.,
10
M
215 „K.
-M.
Sa. 135
U.749K.
-M.=:
=884 g.
241.
Tag.
)
1
N.
125 g K.
-M.
4
»»
237 „K.
-M.
8V4
>»
225 „K.
-M.
iiV»
>i
r.u.l
. 70 „
22. XI
.71/4
V.
l.u.r,
. 100,,
10
»»
220 „K.
-M.
Sa. 170
U.807K.
^uZ
= 977 g.
242.
Tag.
1
N.
140 g K.
M.
4
»1
210 „K.
-M.
8
n
180 „K.
-M.
23. XI
. 7
V.
r.u.l
.in„
u,
. 55,.K.
-M.
10
>i
210 „K.
-M.
Sa.l90u.757K.-M. = 947 g. Sa.ll7u.795K.-M.=9r2 g.
682
Reyher, Beitrag zur Frage nach dem Nahrangs- and
248. Tag.
1 N. 174 g K.-M.
4V, „ 190„K.-M.
7V, „ 215 „K.-M.
24. XI. TViV. r.a.l. 85 „
a. 65„K..M.
101/4 „ 260,. K.-M.
Sa.85a.904K..M.»989g.
244. Tag.
21/4 N. 180 g K.-M.
5 „ 220 „K.-M.
8V4,, 187 „K.-M.
25. XI. 6V4V. r.u.L 90 „
a. 100„K.-M.
10 „ 243 ,, K,-M.
Sa.100a.880 K..M.=:::980 g.
246. Tag.
IVjN. 165gK..M.
4Vs „ 285„K.-M.(6»/4Min.
7»/4„ 226„K..M. [getr.)
26. XL 7 V.r.u. 1.116,,
IOV4 „
u. 109 „ K.-M.
197 „ K.-M.
Sa.ll6a.981K.-M.=:1047g.
Ende der 35. Woche: Gewicht 7415 g.
246. Tag.
IN. 160 g K.M.
4 , 179 „ K.-M.
6V1 „ 160 „ K.-M.
27. XI. 1 V. 1. u. r. 17 „
71/4 „r.tt.l. 70 „
a.l05„K.-M.
IOV2 „ 224„K.-M.
Sa.87a.828K.-M.=r9l5g.
247. Tag.
IVsN. 170gK.-M.
(Mischang = 1000 200 M., W., 25 M.-Z.)
4»/4N. 130 g K.-M.
7»/4 „ 250 „K.-M.
28. XI. VU V. r. u. 1. 93 „
a. 100 „ K.-M.
IOV4 „ 222„K.-M.
Sa.9da.872K.-M.==:965g.
248. Tag.
1^4 N. 86 g K.-M.
4V4„ 258„K..M.
(Mischang: 1000 M. 200 W., 30 M.-Z.)
8 N. 200 g K.-M.
29. XI. 7 V. r. u. l. 85 „
a. 180 „ K.-M.
10 „ 171 „K.M.
Sa. 85 0.840 K.-M. === 925 g.
249. Tag.
IV4N. 154gK.-M.
4V2„ 205„K.-M.
7»/4 „ 195,.K.-M.
30. XI. 7 V. r. a. l. 68 „
u. 150 „ K.-M.
IOV4 „ 195 „K.-M.
Sa.68a.899K.-M. = 967g.
260. Tag.
IV, N. 100 g K.-M.
4V> „ 240 „ K.-M.
7»/4 „ 200 „ K.-M.
(Mischung: 1000 M., 200 W., 25 M.-Z.)
ll»/4 N. 10 g
a. 205 „K.M.
1.XII.8 V.r.u.l. 50 „
u. 158 „ K.-M.
111/4 „ 200 „K.-M.
Sa.50a.ll03K.-M. = 1153 g.
261 Tag.
31/, N. 205 g K.-M.
71/, „ 175„K..M.
2. XII. 7 V.r.a.l. 60 „ K.-M.
u. 205 „K.-M.
101/4 n 170 „K.-M.
Sa.60a.755K.-M.= 8l5g.
262. Tag.
11/, N. 205 g K.-M.
41/, „ 200 „ K..M.
81/, „ 150 „K.-M.
3.X1I. 7 V. r.u.L 10 „
o.200„K.-M.
101/4 „ 195„K.-M.
Sa.l0a.935K.-M.=^945g.
Ende der 36. Woche.
Gewicht: 7480 g.
Eoergiebedürfnis des oatärlioh ernährten Säuglings. 588
258. Tag.
11/4 N. 160 g K.-M.
41/4 „ 245 „ K.-M.
7 „ 180„K.-M.
4.XII. 11/, V. 200„K.-M.
7»/4 „r.u.L 35 „
a.l65„K.-M.
IIV4 „ 180 „ K.-M.
Sa.35n.ll80K.-M.=1165 g.
264. Tag.
2^4 N. 85 g K.-M.
3Vi „ 147 „ K..M.
1 )9 loO I, K.-M»
5. XII. 12»/, V. 168,, K.-M.
7^4 „ r.u,l. 40 „
u. 105 „ K..M.
10»/4 „ 195 „ K.-M.
Sa. 40 n. 925 K.-M. ==: 965 g.
265. Tag.
2 N. 160 g K.-M.
(Mischung: 1000 M., 200 W., 80 M.-Z.) Sa. 1072 g K.-M.
4»/4 N. 220 g K..M. 261. Tag.
8»/4 „ 145 „ K..M. 2 N. 120 g K..M.
6.X1L 7 V. r. u. I. 24 „ 4V4 „ 123 „ K.-M.
u. 180 „ K.-M. 71/, „ 205 „ K.-M.
IOV4 „ 145 „ K.-M. 12. XII. 7 V. 200 „ K.-M.
Sa. 24 u. 860 K.-M. = 874 g. 10»/4 ,, 195 „ K.M.
Sa. 848 g K.-M.
256. Tag. 262. Tag.
IVj N. 175 g K.-M.
4 „ 205 „ K.-M.
6V3 „ 130 „ K.-M.
7. XII. 7 ' V. 215 ,. K.-M. ^^'/» » ^^^ » ^^•"^•
13. XII. 71/, V. 210 „ K.M.
10^/4 „ 160 „ K.-M.
Sa. 1073 g K.-M.
268. Tag.
1 N. 90 g K.-M.
4V2 „ 250 ., K,-M.
7Vs V 175 „ K.-M.
14. XII. 1 V. 230 „ K.M.
8. Xll. 7 V. 260 „ K.-M. 7»/4 ,. 205 „ K.M.
IOV2 « 200 ., K.-M.
268. Tagr.
2*U N. 218 g
K.-M.
&'/, „ 250 „
K.-M.
9 „ 230,,
K.-M.
9. XII.
TU V. 240 ,.
K.-M.
10>/4 „ 197 .,
K.-M.
Sa. 1135 g
K.M.
259. Tug.
l>/> N. 125 g
K.-M.
4'/. „ 255 „
K.-M.
6'/j „ 210 „
K.-M.
12 „ 190 „
K.-M.
10. XII.
VU V. 222 „
K.M.
10»/4 „ 206 „
K.-M.
Sa. 1207 g
K.-M.
End« der 87. Woche: Gewicht 757Ö g.
260 Tag.
iV4 N. 135 g
K.-M.
4'/, ., 240 „
K.-M.
8»/« „ 192 „
K.-M.
11. XII,
12'/« V. 65 „
K.-M.
7'/4 „ 245 „
K.-M.
10'/, „ 195 „
K.-M.
1'/. N.
100 g K.-M.
4'/4 «
150 „ K.-M,
T/. »
125 „ K.M.
7 V.
215 „ K.-M.
10'/ijj_
166 „ K.-M.
Sa.
7469 g K.-M.
267. TaflT-
1'/, N.
188 g K.M.
4V4 „
180 „ K.-M.
8 .,
216 „ K.-M.
7 V.
260 „ K.-M.
10'/« „
220 „ K.M.
Sa.
1013 g K.M.
Sa. 1150 g K.-M.
584 Key her, Beitrag zur Frage nach dem Nahrongs- and
264. Tag.
267. Taer.
2 N. 135 g
K.-M.
2 N. 155 g
K.-M.
4»/4 „ 210 „
K.-M.
5 „ 245 „
K-M.
8V4 » 195 „
K..M.
81/, „ 180 „
K.-M.
15.
XII.
7V4 V. 240 „
K.-M.
18. XII.
VI, V. 215 .,
K.-M.
10^4 „ 205 „
K.-M.
10«/4 „ 210 „
K.M.
Sa. 985 g
K.M.
Sa. 1005 g
K.-M.
265. Tag.
IV2 N. 90 g
3V2 „ 175 „
K.-M.
K.-M.
268. Tag.
l»/4 N. 110 g
4»/4 „ 125 „
8 „ 205 „
K.-M.
IIV2 „ 205 „
K-M.
K.-M.
K.-M.
K.-M.
16.
XII.
Vh\. 240 „
K.-M.
12 „ 210 „
K-M.
IOV2 „ 130 „
K.-M.
19. XII.
7 V. 170 „
K..M.
Sa. 1067 g
K.-M.
101/2 „ 200,,
K..M.
266. Tasr.
Sa. 1020 e
K.-M.
l»/4 N. 100 g
K.-M.
Gewicht am Ende der 39. Woche
4»/4 „ 240 ,.
K.M.
7675 g.
8V4 „ 170 „
K.-M.
17.
XII.
7^4 V. 220 „
K.-M.
Gewicht am Ende der 40. Woche
IOV4 „ 175 „
K.-M.
7815 g.
Sa. 905 g
K.-M.
Ende der 38. Woche: Gewicht 7630
g«
Körperlänge 72
cm.
Wenn wir diese Zahlen, welche uns ein Bild von der täg-
lichen Nahrungszufuhr geben, betrachten — am besten orientiert man
sich hierüber in der beigefügten Kurve 1 (S. 586) — und im grossen
mit den Zahlen der sich bisher mit dieser Frage beschäftigenden
Arbeiten vergleichen, so finden wir, dass die täglichen Nahrungs-
quantitäten, abgesehen von den ersten Wochen, an Höhe ziemlich
beträchtlich zurückstehen hinter denen der meisten Autoren.
Nur an der Breslauer Kinderklinik ist ein ähnlicher Fall von
Czerny und Keller') bei dem Kinde Machill beobachtet worden.
Würde man nun in unserem Falle aus den Zahlen der täglichen
Nahrungsmengen, wie es alle Autoren bisher getan haben, unter
Benutzung des bis jetzt angenommenen durchschnittlichen Kalorien-
wertes der Frauenmilch von 650 pro Liter den Energiequotienten
berechnet haben, so würde sich dieser bedenklich oft dem Werte
des Energiequotienten genähert haben, der nach Heubner*) mit
^) Des Kindes Ernährang, Ernährangsstorungen nnd Ernährangi-
therapie, III. u. IV. Abt. Leipzig u. Wien 1902.
*) Zeitschr. f. Diät, und physik. Therapie 1901.
Energiebedürfnis des natürlich ernährteD Säuglings. 585
einer Höhe von 70 Kalorien pro kg Körpergewicht gerade einer
Erhaltungsdiät entspricht.
Da aber auch bei diesen geringen Quantitäten der zu-
geführten Nahrung eine relativ gute Körpergewichtszunahme er-
zielt wurde — wie ich schon betont habe, ist hier bei der Be-
urteilung der Energiebilanz in Anbetracht der ausserordentlichen
Lebhaftigkeit des Kindes in der Gleichung n = e -f- 1 4~ ^ ^^^* ^
ein ziemlich hoher Wert einzusetzen, sodass naturgemäiss a etwas
niedriger ausfallen muss (im Durchschnitt pro Tag bis zum
26. Lebenstage gerechnet 16,3 g, und zwar im 1. Vierteljahr
pro Tag 23,6 g, im 2. Vierteljahr täglich 12,0 g und im 3. Viertel-
jahr 13,1 g pro Tag) — , so konnte man annehmen, dass viel-
leicht durch eine besonders konzentrierte Nahrung und als Folge
davon durch einen verhältnismässig hohen Kalorienwert der
Muttermilch dieses Verhalten sich erklären Hesse. Ich habe da-
her an verschiedenen Tagen der Stillperiode einige quantitative
Bestimmungen der Hauptbestandteile der Muttermilch und einige
direkte kalorimetrische Untersuchungen mittelst der Berthelot-
Mahlerschen Bombe vorgenommen. Die Mehrzahl der chemischen
Analysen und die Bestimmungen des Kalorienwertes der Milch
habe ich im hygienischen Institut der Universität zu Berlin aus-
geführt, nur wenige der ersteren im chemischen Laboratorium
der Kinderklinik der königl. Charit^. An dieser Stelle möchte
ich gleich Herrn Geheimrat Prof. Dr. Rubner, sowie den
Herren Dr. Kuhtz und Dr. Peters für die gütige Unterweisung
meinen verbindlichsten Dank aussprechen. Leider setzten diese
Untersuchungen erst am 115. Lebenstage des Säuglings ein, da
ich im Verlaufe der Nahrun gsmen gen bestimmungen erst durch
meinen hochverehrten Chef, Herrn Geheimrat Heubner, darauf
hingelenkt wurde. Ich will hier gleich bemerken, dass ich einer
Entgegenhaltung, die mir vielleicht gemacht werden könnte, dass
nämlich derartige, nur gelegentlich ausgeführte Untersuchungen
keinen Kückschluss auf andere dazwischen liegende Tage ge-
statten, erst nach der Mitteilung meiner diesbezüglichen Befunde
Rede stehen werde.
Was die Methodik der chemischen Analysen und der
kalorimetrischen Bestimmungen der Frauenmilch anbelangt, so sei
zunächst über die Art der Gewinnung des Untersuchungsmaterials
kurz folgendes gesagt:
Wie ich in einer Arbeit über den Fettgehalt der Frauen-
milch, welche wohl ungefähr zur gleichen Zeit wie die vor-
Jfthrbnch f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 4. 3g
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Reyher, Beitrag zur Frage nach dem Nahrungs- etc.
587
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habe, ist es unbedingtes Erfordernis für die Erlangung
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«inwandsfreier Resultate, bei Untersuchungen von
Fraiienmilch mit Rucksicht auf die Fettabsonderung
38*
588 Reyher, Beitrag zur Frage nach dem Nahrangs- und
innerhalb 24 Stunden bei jeder einzelnen Mahlzeit vor
und nach dem Anlegen des Kindes jedesmal genau die
gleiche Menge Milch aus der Brustdruse zu entnehmen,
die Einzelportionen zu mischen und diese Mischmilcb
als der wirklichen Zusammensetzung der getrunkenen
Tagesmenge entsprechend zu betrachten. Gemäss dieser
Forderung habe ich durch Mischung solcher Einzelproben während
24 Stunden eine der wirklichen Zusammensetzung der Milch des
betreffenden Tages entsprechende Tagesmischmilch, bei der ersten
Untersuchung eine solche durch Sammlung während 48 Stunden,
hergestellt und sowohl zur Untersuchung auf ihre chemische Zu-
sammensetzung wie auch auf ihren Brennwert verwendet. Die
Einzelproben wurden, bis die Mischmilch fertig war, auf Eis —
die Untersuchungen wurden im Hochsommer angestellt — aufbe-
wahrt und dann sofort verarbeitet. Es trat so niemals eine Ver-
derbnis der Milch ein.
Die Eiweissbestimmungen wurden durch Multiplikation der
nach Kjeldahl gefundenen N- Werte mit 6,25 und zwar zur
Kontrolle doppelt ausgeführt. Der pro^ntualische Fettgehalt
wurde durch Extraktion mittelst d^^s Soxhletschen Äther-
extraktionsapparates aus grösseren Mengen von* Trockensubstanz
(von 20 bezw. 25 ccm Milch) ermittelt. Den Zucker habe ich
durch Berechnung bestimmt, nämlich durch Subtraktion von £i-
weiss, Fett und 0,20 pCt. für Asche von der Menge der Trocken-
substanz.
Zwecks Ermittelung des Kaloriengehaltes der Milch habe
ich aus Trockensubstanz Tabletten gepresst, gewogen und in der
bekannten Weise in der Berthelot-Mahlerschen Bombe ver-
brannt.
Es mögen nun die Ergebnisse meiner Untersuchungen folgen:
(Siehe die Tabelle auf S. 589.)
Wie man sieht, ist zu verschiedenen Zeiten der Laktations-
periode, wenn man nur das Untersuchungsmaterial in einwands-
freier Weise gewinnt, die Zusammensetzung der Frauenmilch
innerhalb recht geringer Grenzen schwankend, und zumal in Bezug
auf den Fettgehalt im grossen und ganzen konstant.
Es hat also Heubner^) mit seiner früheren Behauptung, die
1) Berlinor Klin. Wochenschrift 1894, No. 37 u. 38.
EDergiebedärfnifl des natürlich ernährten Säuglings. 589
2. Resultate der chemischen Analysen der Frauenmilch.
Trockon
snbstanx
pCt.
Ei-
weiss
pCt.
Fett
pCt.
Zucker
pCt.
1. 115./116./117. Tag der Laktation . . . .
(Entnahme der Milch y. 19. VIL04, 11 V., bis
21.VII.04, 71/2 V., C2+62 ccni Milch- 124ccm
2. 127./128. Tag der Laktation ....
^Entnahme der Milch v. 31. VIT. 04, IIV4 V.
bis 1. VIII. 04, 8 V., 62 ccm Milch)
3. 128./ 129. Tag der Laktation
(Entnahme der Milch vom 1. VIII. 04, 11 V
bis 2. VIII. 04, 7'/i V., 65 ccm Milch)
4. I51./152. Tag der Laktation
(Entnahme der Milch vom 24. VIII. 04.
IOV4 V., bis 25. VIII. 04, 8 V., 70 ccm Milch
5. 170/171. Tag der Laktation
(Entnahme der Milch v. 12. IX. 04, 10^4 V
bis 18. IX. 04, 7 V., 85 ccm Milch)
6. 186./ld7. Tag der Laktation
(Entnahme der Milch vom 28. IX. 04, 10 V.,
bis 29. IX. 04, 7^2 V., 75 ccm Milch)
7. 208./209. Tag der Laktation i)
8. 209./210. „ „
9. 213./214. „ „
10. 214./215. „ „
11. 215./216. „ „
12. 221./222. „ „
13. 224. „ „
14. 225. „ „
18,19
13,12
12,96
13,04
12,28
12,51
14,48
0,82
1,06
0,96
0,81
0,90
4,59
4,69
4,46
4,28
4,76
4,98
5,98
5,60
5,63
5,00
5,31
5,58
4,90
5,60
7,58
7,17
7,60
6,51
6,43
sich auf eine grosse Zahl von Analysen von Prof. Hof mann in
Leipzig stützte, vollkommen recht, dass nämlich die Zusammensetzung
der Muttermilch Monate hindurch eine beständige sei. Freilich
scheint dies nach den vorliegenden Untersuchungen nur für die Zeit
der ausschliesslichen Muttermilchernährung des Kindes zuzutreffen.
Wenigstens ersieht man aus der Zusammenstellung von der
7. Untersuchung ab, welche bereits in die Zeit der Entwöhnung
(Muttermilch vom 208. — 209. Tage in 24 Stunden nur noch
0 Von diesem Tage an konnten nur noch wegen der rapiden Abnahme
der Milchsekretion kleine Mengen Milch zur Fettbestimmung entnommen
werden, die aber mit der gleichen Exaktheit abgesaugt und gemischt wurden
wie die vorh ergehen den.
690 Rejher, Beitrag lar Frage nach dem Nahronga- and
501 g) fallt, das8 in der Zeit des Yersiegens der Matterbrast
der Fettgehalt der in 24 Standen getrankenen Milchmenge durch-
schnittlich höher ist. Es scheint also die Natur das Bestreben
zu haben, die geringere Quantität der Milch durch relativ höheren
Fettgehalt auszugleichen.
Jedenfalls können wir wohl annehmen, dass, wenn in den
letzten 3 Monaten ausschliesslicher Muttermilch emährung die
Zusammensetzung der Frauenmilch eine ziemlich gleichmässige
ist, dies auch für die früheren Monate der Laktation zutreffen
wird, wahrscheinlich allerdings mit Ausnahme der allerersten
Zeit, welche für die Absonderung des Colostrums in Betracht
kommt.
3. Kalorimetrische Untersuchungen.
Entsprechend den chemischen Analysen der Muttermilch
ergeben auch die nur in der Zeit der alleinigen Brustnahrung
vorgenommenen Bestimmungen des Kalorienwertes der Milch
geringe Schwankungen um einen Mittelwert von 76,6 grossen
Kalorien für 100 g Milch bezw. 765 grossen Kalorien für einen
Liter Frauenmilch. Als kleinstef Wert wurden 75,4 grosse
Kalorien in 100 g Frauenmilch (= 5,747 grosse Kalorien für 1 g
Trockensubstanz), als grösster Wert wurden 77,4 grosse Kalorien
pro 100 g Milch (= 5,952 grosse Kalorien für 1 g Trocken-
substanz) gefunden.
Vergleichen wir diese Zahlen mit den von Rubner') ge-
fundenen durchschnittlichen Yerbrennungswerten für die einzelnen
organischen Bestandteile der Frauenmilch, so finden wir zwischen
beiden eine gute Übereinstimmung. Rubner fand nämlich durch-
schnittlich bei Verbrennung zweier Frauenmilchproben:
für 1 g Frauenmilchfett: 9,244 gr. Kai.
für 1 g N-haltige Restsubstanz: 5,832 „ „
Für 1 g Milchzucker beträgt bekanntlich der Verbrennungs-
wert 3,951 g Kalorien.
Berechnen wir nun von der zuerst (105. — 107. Tag der
Laktation) untersuchten Milch die Verbrennungswärme durch
Multiplikation der durch chemische Analyse gefunc|;enen Zahlen
mit den eben aufgezeichneten, so ergibt sich in 100 g Milch ein
Kaloriengehalt von 77,200 grossen Kalorien bezw. im Liter ein
solcher von 772 grossen Kalorien, während die direkte Bestimmung
für einen Liter Frauenmilch einen Gehalt von 769 grossen Ka-
0 Zeitschrift für Biologie, ßd. 36, 1898.
EnergiebeddrfDis des uatürlich ernährten S&nglings. 691
lorien (== 5,827 grossen Kalorien für 1 g Trockensubstanz) lieferte.
Man kann also daraas ersehen, dass die direkte Untersuchung
der Verbrennungswärme mit der durch Berechnung erhaltenen
ganz gut harmonierende Resultate gibt. Wenn Kubner für eine
fettreiche Frauenmilch nur 723,9 grosse Kalorien pro Liter fand^
so liegt dies eben daran, dass der Fettgehalt selbst der fettreichen
Milch hinter dem von mir gefundenen noch erheblich zurückbleibt.
Es scheint überhaupt der prozentuale Fettgehalt einer Tages-
mischmilch in den Fällen besonders hoch zu sein, in welchen die
Brustdrüsen nur geringe Quantitäten Frauenmilch pro Tag pro-
duzieren.
Wenn wir nun den Durchschnittswert von 765 grossen
Kalorien pro Liter Frauenmilch wenigstens für die Zeit, in
welcher wir eine gleichbleibende Zusammensetzung der Frauen-
milch voraussetzen dürfen, d. h. ungeföhr von der 3. Woche nach
der Entbindung an bis zum Beginn der Entwöhnung, den Be-
rechnungen des Energiequotienten zugrunde legen, so erhalten
wir folgende Zahlen, welche in den beiden hier angefügten Tabellen
enthalten sind.
Zur Erläuterung der Tabellen seien einige kurze Bemerkungen
gemacht. Da ich für die ersten zwei Wochen nach der Geburt
des Kindes eine andere durchschnittliche chemische Zusammen-
setzung und somit vielleicht einen anderen Brennwert zu erwarten
hatte, als für die Zeit der Dauermilch, so habe ich den Energie-
quotienten für die ersten 14 Tage nicht berechnet. Ebensowenig
konnte ich für die Zeit der Entwöhnung eine Berechnung des
Energiequotienten aufstellen, da in dieser Zeit, wie aus den Fett-
bestimmungen hervorgeht, ein nicht unbeträchtlich höherer pro-
zentualischer Fettgehalt der Frauenmilch zu verzeichnen und daher
wohl auch ein höherer Kalorienwert zu erwarten war. Für die
Zeit der ausschliesslichen Kuhmilchernährung habe ich nach dem
Durchschnitt einiger über die Yiktoriaparkmilch vorhandenen
chemischen Analysen eine Berechnung des Brennwertes der dem
Kinde verabreichten Nahrungsmischung vorgenommen. Danach
enthielten 100 g der reinen Milch durchschnittlich 73,1, 100 g
des Nahrungsgemisches 69,5 grosse Kalorien. Mit Hilfe dieser
Zahl liess sich auch für die 13 Tage ausschliesslicher Kuhmilch-
emährung der tagliche Energiequotient ableiten.
Eine übersichtliche Darstellung des durchschnittlichen
Energiequotienten pro Woche findet sich ausserdem auf Kurve 2
unter der die Wachstumskurve wiedergebenden Linie.
592 Reyher, Beitrag zur Frage nach dem Nahrangs- and
Tabelle L
Lebens-
tag
T&gliche Nahrangs-
menge
in Gramm
Mittleres
Körpergewicht
der betr. Woche
Anzahl der täg-
lich zugeführt.
Kalorien
_L
1.
1
^ 1
2.
33
3.
235
4.
460
5.
515
€.
565
7.
562
8.
527
9.
503
10.
520
11.
558
12.
438
13.
535
14.
585
15.
400
16.
548
17.
525
18.
526
19.
5'JO i
20.
485
21.
550
22.
480
23.
500
24.
575
25.
575
26.
575 1
27.
575
28.
570
29.
540
30.
580
81.
525
32.
725 '
33.
630
34.
.090
35.
605 '
36.
645
37.
690
38.
545
39.
620
40.
662 1
41.
670
42.
665 1
43.
650
3325
3420
3550
3700
3850
4065
AQsafal der tiffUch
pro kg KArper-Ge-
wicht sogeflUirton
Kaiorf «*B
(BoergieqooUeBt)
4260
374,9
105,6
419,2
118,1
401,6
118,1
402,4
ii8,4
382,5
107,7
371,0
104,5
420,8
118,5
867,2
99,2
382,5
103,4
439,9
119,0
439,9
119,0
439,9
119,0
439,9
119,0
436,0
118,0
413,1
107,2
443,7
115,2
401,6
104,3
554,6
144,0
482,0
125,2
451,4
117,2
462,8
120,2
493,4
121,3
527,9
129,8
416,9
102,5
474,3
116,6
506,4
124,5
512,6
126,1
508,7
125,1
497,3
116,7
EnergiebedQrfnis des natürlich ernährten Stuglings.
593
Ansahl der täffUoh
Lebens-
Tägliche Nahrungs-
Mittleres
Anzahl der täg-
pro kg KOrper-Qe-
tag
menge
Körpergewicht
lich zugeführt.
wicht Engefdhrcen
in Gramm
der betr. Wocüe
Kalorien
Kalorien
(Eneigieqnoblent)
44.
660
504,9
118,5
45.
630
482,0
113,1
46.
680
520,2
122,1
47.
620
474,3
111,1
48.
680
520,2
122,1
49.
675
516,4
121,2
50.
680
4415
520,2
120,1
51.
735
562,3
127,3
52.
715
547,0
123,9
58.
695
531,7
120,4
54.
700
535,5
121,3
55.
685
524,0
118,7
56.
750
573,8
129,9
57.
720
4630
550,8
118,9
58.
707
540,9
116.«
59.
825
631,1
136,3
60.
770
589,1
127,2
61.
675
516,4
111,5
62.
790
604,4
130,5
63.
725
554,6
119,8
64.
710
4830
54B,2
112,5
65.
775
592,9
122,8
66.
700
535,5
110,9
67.
760
581,4
120,4
68.
650 1
497,3
103,0
69.
730
558,5
115,6
70.
690
527,9
109,3
71.
800
5005
612,0
122,3
72.
780
596,7
111,2
73.
765
585,2
110,9
74.
670
512,6
102,4
75.
770
589,1
111,7
76.
765
585,2
110,9
77.
810
619,7
123,8
78.
750
5200
573,8
110,3
79.
815
623,5
119,9
80.
855
654,1
125,8
81.
• 765
585,2
112,5
82.
760
581,4
111,8
83.
755 1
577,6
111,1
84.
810 ,
619,7
119,8
85.
855 5375
654,1
121,7
86.
910
696,2
129,5
87.
750
573,8
106,7
88. 1
875
669,4
124,5
594
Reyher, Beitrfcg snr Fr»ge iweh dem Nahrangs- nnd
Antahl der tigUdi
La h Ana.
Tägliche Nahraogs-
Mittleres
ADzahl der täg-
pro kg Körpe^Ge'
tag
meDge
Körpergewicht
lich zngef&hrt.
wicht BaffefflbrtiB
in Gimmm
der betr. Woehe
Kalorien
Keloiien
(Enexfleqaotleiit)
89.
765
585,2
108,9
90.
780
596,7
111,1
91.
785
600,5
111,7
92.
820
5550
627,3
118,1
98.
840
642,6
115,8
94.
775
592,9
106,8
95.
820
627,8
118,1
96.
883
637,8
114,8
97.
799
611,2
110,1
98.
811
620,4
111,1
99.
788
5690
603,8
105,9
100.
773
591,4
103,9
101.
928
706,1
124,1
102.
809
618,9
108,8
108.
751
574,5
101,0
104.
816
624,2
109,7
105.
754
576,8
101,0
106.
880
5825
673,2
115,6
107.
807
617,4
106,0
108.
788
564,6
96,9
109.
756
578,3
99,3
110.
810
619,7
106,4
111.
815
628,5
107,0
112.
750
573,8
98,5
118.
871
5980
666,8
111,4
114.
780
596,7
99,7
115.
707
540,9
90,4
116.
857
655,6
109,6
117.
666
509,5
85,2
118.
801
612,8
102,4
119.
766
586,0
97,9
120.
768
6100
588,7
95,7
121.
716
547,7
89,8
122.
739
565,3
92,7
128.
639
488,8
80,1
124.
122
605,9
99,3
125.
708
541,6
88,8
126.
744
569,2
93,3
127.
716
6175
547,7
88,7
128.
702
537,0
86,9
129.
792
605,9
98,1
130.
620
474,8
76,8
131.
716
547,7
88,7
182.
749
573,0
92,8
133.
669
511,8
82,9
Energiebedarfnis des Datftrlieh emlhrton S&ngtiDgs.
595
Li6b6]18-
T&gliche NahruDgs-
Mittleres
Anzahl der täg-
Ansabl der taclleh
pro kg Körper Ge-
tag
meoge
Körpergewicht
lich zugeführt.
wloht ngeffthrten
in Gramm
der betr. Woche
Kalorien
Kalorien
(Energieqnotifnt)
134.
683
6200
522,5
84,3
135.
715
547,0
88,2
136.
698
534,0
86,1
137.
680
520,2
83,9
138.
657
502,6
81.1
139.
702
537,0
86,6
140.
671
513,3
82,8
141.
625
6245
478,1
76,6
14-2.
691
528,6
84,6
143.
726
555,4
88,9
144.
823
629,6
100,8
145.
717
548,5
87,8
146.
798
610,5
97,8
147.
739
565,3
90,5
148.
795
6835
608,2
96,0
149.
769
588,3
92,9
150.
689
527,1
83,2
151.
759
580.6
91,6
152.
785
600,5
94,8
153.
725
554,6
87,5
154.
686
524,8
82,8
155.
815
6420
623,5
97,1
156.
787
602,1
93,8
157.
780
596,7
92,9
158.
749
573,0
89,3
159.
769
588,3
91,7
160.
673
514,9
80,2
161.
755
577,6
90.0
162.
770 6510
589,1
90,5
163.
658
508,4
77,3
164.
778
595,2
91,4
165.
826 1
631,9
97,1
166.
731
559,2
85,9
167.
784
599,8
92,1
168.
774
592,1
90,9
169.
730
6560
558,5
85,1
170.
772
590,6
90,0
171.
614
469,7
71,6
172.
790
604,4
92,1
173.
792
605,9
92,4
174.
717
548,5
83,9
175.
742
567,6
86,5
176.
718
6540
549,3
84,0
177.
686
524,8
80,2
178.
705
539,3
82,5
596
Key her, Beitrag zar Frage nach dem NahruogB- and
Lebens-
Tägliche Nahrungs-
Mittleres
Anxahl dertäg-
Ansahl der tl«lieb
pro kgKOrper-Ge
tag
menge
Körpergewicht
lich zugeführt.
wicht sngtfiuirten
in Grnmoi
derbetr.Woche
Kalorien
KalorlflB
(EnergleqaoUeDt)
179.
696
532,4
81,4
180.
626
478,9
78,2
181.
715
547,0
83,7
182.
716
547,7
83,8
188.
682
6575
521,7
79.3
184.
734 + 31 K. M.
185.
677 + 20 . .
186.
707
187.
679 + 25 K. M.
188.
665 + 23 „ ,
189.
738
190.
673 +12 K.M.
6630
191.
741
192.
664+ 10 K.M.
198.
702 + 190 . ,
194.
664
195.
695+ 4 K.M.
196.
675+ 8 „ „
197.
673+ 14 , „
«7^0
198.
722-r 40 „ „
199.
682+100 . „
200.
771 + 92 . «
201.
672+ 90 „ „
202.
661 + 127 „ ,
203.
635 + 147 „ „
204.
657+165 „ „
6850
205.
546 + 145 , „
206.
523 + 227 „ „
207.
493 + 383 , ,
208.
505 + 352 , ,
209.
504 + 346 , ,
210.
455 + 298 „ „
211.
412 + 477 „ ,
6930
212.
443 + 406 „ „
213.
451+430 „ „
214.
434 + 352 , „
215.
352 + 498 , ,
216.
414 + 372 , ,
217.
421 + 307 „ „
218.
347 + 451 , „
7010
219.
473 + 358 „ „
220.
435 + 490 „ „
221.
402 + 494 , „
222.
379 + 518 „ ,
223.
397+4.15 , „
EnergiebedürfDis des natSrlich ernihrteo S&ugÜDg«.
597
Lebeos-
T&gliche Nahraogs-
Mittleres
An zahl der täg-
Aniatal der UgUoh
pro kg KörperGe-
tag
meoge
Körpergewicht
lich zugeführt.
wJcht sngeftthrteu
in Gramm
derbetr.Woche
Kalorien
Kalorien
(Eneigieqnoüent)
224.
398+ 404 K.M.
225.
827 + 560 « ^
7100
226.
312 -f. 551 , „
227.
301+ 519 . ,
228.
814+ 488 . ,
229.
291 + 509 , „
230.
278+ 675 « „
231.
265+ 520, «
232.
170+ 765 . „
7190
233.
218+ 580 , ,
234.
185 + 668 , ,
235.
215+ 710 „ „
236.
195+ 856 , .
237.
190+ 757 „ ,
238.
190+ 640 « ,
239.
150+ 800 , ,
7880
240.
135 + 749 , ,
241.
170+ 807 „ ,
242.
117+ 795 „ ,
243.
85+ 904 « „
244.
100+ 880 „ „
245.
116+ 931 , ,
246.
87+ 828 , „
7450
247.
93+ 872 „ .
248.
85+840. .
249.
68+ 899 „ ^
250.
50+1103 « ,
251.
60+ 755 . ,
552.
10+ 935 , ,
253.
35 + 1180 , ^
7580
254.
40+ 925 , „
255.
24 + 850 , ,
256.
746 K. M.
518,5
68,9
257.
1013 „ „
704,0
93,5
258.
1185 „ «
788,8
104,8
259.
1207 . „
838,9
111,4
260.
1072
7600
745,0
98,0
261.
848
585,9
77,1
262.
1078
745,7
93,0 .
263.
1150
799,8
105,2
264.
985
684,6
90,1
265.
1067
741,6
97,6
266.
905
629,0
82,8
267.
1005
7655
698,5
91,2
268.
1020
708,9
92,6
598
Reyher, Beitrag znr Frage nach dem Nahrangs- and
Tabelle ü.
■1
Körper
gewicht
2i
o
o
1
p
NahraD gsmenge
D urchschnittliche
112
•S c
^ 2
am
Mittleres
pro Woche
tägliche
a p 1
_5 s
-2
Ende der
Gewicht
in Gramm
Nahrungsmenge
fs&
2 "S
ja *^
2-i
2
Woche
d. Woche
Sä
»ii
S tC
Ö2
1.
8360
3825
2870
888,5
+ 70
+ 10,0
2.
8475
8420
8616
516,5
—
+ 115
+ IM
3.
3630
3550
8624
517,7
111,6
+ 155
+ 2i,l
4.
3765
8700
8850
550,0
113,8
+ 135
+ 1W
6.
8940
3850
4195
599,8
119,0
+ 175
+ 25,0
6.
4190
4065
4497
642,4
120,8
+ 250
+ 35,7
7.
4380
4260
4595
656,4
117,8
+ 140
+ 20,0
8.
4515
4415
4960
708,6
123,1
+ 185
+ 26,4
9.
4740
4630
5212
744,6
123,0
+ 225
+ 82,1
10.
4920
4830
5015
716,4
117,4
+ 180
+ 25,7
11.
5090
5005
5360
765,7
113,3
+ 170
+ 243
12.
5305
5200
5510
787,1
115,9
+ 215
+ 30.7
13.
5440
5375
5720
817,1
116,8
+ 135
+ 19,3
14.
5655
5550
5697
813,9
112,1
+ 215
+ 30,7
15.
5720
5690
5614
802
107,8
+ 65
+ 9.8
16.
5930
5825
5556
793,7
104,2
+ 210
+ 30.0
17.
6080
5980
5448
778,3
99,5
+ 100
+ 14,3
18.
6165
6100
5101
728,7
91.4
+ 135
+ 19,8
19.
6185
6175
4964
709,1
87,8
+ 20
+ 2,9
20.
6220
6200
4806
686,6
84,7
+ 35
+ 5,0
21.
6265
6245
5119
731,8
89,6
+ 45
+ 6,4
22.
6400
6335
5208
744
89,8
+ 185
+ 19,3
28.
6440
6420
5828
761,1
90,7
+ 40
+ 5,7
24.
6580
6510
.5321
760,1
89,3
+ 140
+ 20,0
25.
6545
6560
5157
736,7
86,0
- 85
- 5
26.
6530
6540
4862
694,6
81,8
— 15
- 2,1
27.
6620
6575
4882 + 99t K. M.
697,4 + 14,1 K. M.
—
+ 90
+ 12.9
28.
6640
6630
4814+ 224 . ,
687,6+ 82 « ,
—
+ 20
+ 2,9
29.
6800
6720
4816+ 610 „ .
688 + 87,1 . ,
—
+ 160
+ 22,9
80.
6905
6850
3679 + 1916 « .
97 + 278,7 , „
—
+ 105
+ 35.0
81.
6960
6930
2927 + 2842 . .
418,1+ 406 , ,
—
+ 55
4. 7,9
82.
7060
7010
2831+8120 „ ,
404,4+ 445,7 , «
—
+ 100
+ 14,3
83.
7135
7100
2088 + 8817 » ,
298,3+ 545,8 « ,
—
+ 75
+ 10,7
84.
7240
7190
1368 + 4976 „ „
194,7+ 710,9 „ ,
—
+ 105
+ 15,0
85.
7415
7880
867 + 5866 , «
123,9+ 888 „ ,
—
+ 175
+ 25,0
86.
7480
7450
453 + 6282 , ,
64,7+ 890,3, ,
—
+ 65
+ 9,3
87.
7575
7530
99 + 6006 , ,
14,1+ 858 . „
—
+ 95
+ 18.6
SS.
7630
7600
- + 7095« ,
- + 1013,6 „ .
92,7
+ 55
+ 7.9
Aus den Tabellen ergibt sich ferner:
für das 1. Vierteljahr (3. — 13. Woche) ein durchschnitt-
licher £nergiequotient von 114,6
EDergiebedärfnis des natürlich ernährten S&uglings. 599
für das 2. Vierteljahr (14. — 26. Woche) ein durchschnitt-
licher Energiequotient von 93,4
für die 13 Tage ausschliesslicher Kuhmilchemährung (37.
und 38. Woche) 93,2
Bemerkenswert ist, dass, während bei ausschliesslicher Brust-
nahrung der Energiequotient mit zunehmendem Alter des Kindes
allmählich abnimmt, er sich bei ausschliesslicher Euhmilch-
nahrung, also bei künstlicher Ernährung, in der 37. und 38. Lebens-
woche des Säuglings, d. h. am Ende des 3. Lebensvierteljahres,
noch auf derselben Höhe hält, wie im 2. Lebensvierteljahr. Es
würde dies die Angabe Heubners bestätigen, dass bei künst-
licher Ernährung für ein gutes Gedeihen des Kindes ein höherer
Energiequotient beansprucht wird als bei natürlicher Ernährung.
Es liegt nicht in meiner Absicht, eine zahlenmässige Ver-
^leichung der Ergebnisse der bisherigen hierhergehörigen Ver-
öffentlichungen mit den von mir gewonnenen Zahlen vorzunehmen,
einesteils, weil bis zum Jahre 1902 bereits Gzerny und Keller
in ihrem Handbuche über des Kindes Ernährung, Ernährungs-
störungen und Ernährungstherapie eine Zusammenstellung des
bis dahin vorhandenen Materials geben, andemteils, weil zu einer
völlig einwandsfreien Beurteilung der uns hier interessierenden
Fragen noch mehr derartige Nahrungsmengenbestimmungen mit
zahlreichen möglichst alle Perioden der Stillzeit umfassenden
chemischen und kalorimetrischen Untersuchungen nötig sind.
Nur auf einen Punkt möchte ich noch kurz hinweisen. Es zeigt
meines Erachtens auch die hier mitgeteilte Beobachtung, wie
wenig man lediglich nach der Quantität der pro Tag vom Kinde
aufgenommenen Nahrung beurteilen kann, ob die Nahrungs-
zufuhr ausreichend ist für eine gedeihliche Entwicklung des
Kindes, und wie allein die Berücksichtigung des Energiequotienten
nach Heubner einen zuverlässigen und brauchbaren Massstab
für die Beurteilung dieser Frage abgibt. So ist vielleicht auch
in dem Falle Machill, welchen Gzerny und Keller mitgeteilt
haben, die Körpergewichtszunahme von etwa 15 g pro Tag bei
einem angeblich in 6 aufeinander folgenden Wochen unter die
^ahl 70 sinkenden Energiequotienten so erklärbar, dass eben auch
hier ein die geringe Quantität kompensierender höheren Kalorien-
wert der Nahrung vorgelegen hat, so dass der Energiequotient
sich möglicherweise doch den He üb n ersehen Zahlen genähert
hat. Übrigens ist gemäss den ausserordentlich geringen täglichen
^Nahrungsmengen auch die durchschnittliche tägliche Zunahme
-Ton 15 g ziemlich niedrig. Es wäre durchaus nicht unwahr-
600 Kejher, Beitrag zar Frage nach dem NahroDgs- etc.
scheinlich, im Gegenteil sogar höchst wahrscheinlich, dass es
sich vielleicht als allgemeine Regel noch herausstellen wird, dass
in allen Fällen von geringerer Produktivität der Brustdrüsen in
quantitativer Beziehung zum Ausgleich ein entsprechend höherer
Brennwert der Muttermilch zu beobachten sein wird, da ja die
Natiir uns überall das Bestreben der Kompensation deutlich
genug zu erkennen gibt. Die Erforschung dieser Beziehungen
wäre ein durchaus würdiger Gegenstand iiveiterer eingehender
Untersuchungen.
Jedenfalls ergibt sich als hauptsächlichstes Resultat der
vorliegenden Arbeit, dass auch in einem solchen Falle, in welchem
infolge der geringen Nahrungsmengen der Energiequotient ein
sehr niedriger zu sein schien, dieser in allen Perioden des
Säuglingslebens durchaus den vonHeubner aufgestellten Zahlen
entspricht.
8.
Über den Fettgehalt der Frauenmilch.
Von
Dr. PAUL REYHER,
AiBiitent der PolikUnfk.
Wenn wir in den bisherigen Yeröffentlichangen über Analysen
der Fraaenmilch die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen
mit einander vergleichen, so finden wir bei den verschiedenen
Autoren mehr oder weniger grosse Abweichungen der Befunde
in Bezug auf das quantitative Mischungsverhältnis der einzelnen
Bestandteile der Milch. Am deutlichsten treten diese Differenzen
zu Tage bei den bisher vorliegenden Fettbestimmungen der
Frauenmilch. Während bei den übrigen Bestandteilen der
Frauenmilch eine gewisse Übereinstimmung der Untersuchungs-
resultate sich wohl erkennen lässt, kann man von den Unter-
suchungen über den Fettgehalt der Frauenmilch ein gleiches
nicht behaupten. Zwar ist seit den Untersuchungen von Mendes
de Leon allgemein bekannt — Reiset und Heynsius hatten
schon früher auf die später noch öfters bestätigte Tatsache auf-
merksam gemacht — , dass bei der Entleerung der Brustdrüse
die zu Beginn der Sekretion ausfliessende Milchportion bei
weitem fettärmer sei, als die am Ende abgesonderte Milchportion.
Aber im übrigen waren die Ergebnisse der Analysen in Bezug
auf den Fettgehalt doch innerhalb weiter Grenzen schwankend.
Nach einigen Autoren gilt es als ausgemachte Tatsache, dass die
Schwankungen im Fettgehalt der Milch derselben Stillenden zu
verschiedenen Zeiten der Laktation grösser seien, als die
Differenzen, die sich bei Feststellung des Durchschnittsfett-
gehaltes verschiedener Frauen ergäben.
Diesen Feststellungen gegenüber erhebt sich nun, wenn
man nicht a priori daran glauben will, dass die Natur sich hier
einer sonst nicht gewohnten Willkür schuldig machen sollte, die
Frage, ob die Yerschiedenartigkeit in den Resultaten der Fett-
Jfthrbueh f. Kinderbeil künde. N. F. IJCI. Heft 4. 89
602 Rejher, über den Fettgehalt der Fnaenmilch.
bestimmaDgen nicht andere ausserhalb der Natar liegende Ursachen
habe. Man hat da Unterschiede festgestellt zwischen der Milch
der einzelnen Individuen in Beziehung auf den Fettgehalt je
nach Rasse, Konstitution, Lebensalter, Art der £mährung der
Mutter, Anzahl der überstandeuen Geburten, Laktationsdauer,
Haarfarbe, Bestehen oder Nichtbestehen der Menstruation und
anderen Faktoren, man hat unbefriedigendes Gedeihen manches
Brustkindes auf fehlerhafte Zusammensetzung der Frauenmilch
bezogen, man hat auch den Versuch unternommen, für die hin
und wieder bei Brustkindern auftretenden leicht djrspeptischen
Stuhle eine Fettarmut der Milch in den betreffenden Zeit-
abschnitten verantwortlich zu machen, ohne indes meines £r-
achtens für die Richtigkeit der geäusserten Behauptungen den
ein wandsfreien Beweis zu erbringen. Denn einerseits haben sich
die verschiedenen Autoren verschiedener Methoden bedient,
andererseits kann man bei einer Anzahl der Untersucher die
Beschaffung des zur Untersuchung dienenden Materials nicht als
unanfechtbar bezeichnen. Und hier liegt doch höchst wahr-
scheinlich die Quelle der Verschiedenheit der Untersuchungs-
resultate: die Art der Milchentnahme ist entscheidend für das
Ergebnis. Diese Erkenntnis ist durchaus nicht neu. Söldner
sagt in seiner 1896 im 33. Bande der Zeitschrift für Biologie
erschienenen Arbeit „Analysen der Frauenmilch'': „Es ist die
Sammlung geeigneter Milchproben für die Gewinnung guter
Mittelwerte nicht minder wichtig, als die Analysen.^ Und doch
ist dieser Satz auch von späteren Untersuchem nicht genügend
beherzigt worden, wenigstens ist nicht auf alle Gesetzmässig-
keiten der Sekretionsphysiologie der Brustdrüse, soweit es das
Verhalten des Fettes angeht, hinreichend Rücksicht genommen
worden.
Von diesen bis jetzt feststehenden Daten im Sekretions-
ablauf der Brustdruse ist in erster Linie die schon vorhin er-
wähnte Tatsache zu nennen, dass mit fortschreitender Entleerung
der Drüse der Fettgehalt ansteigt, und zwar mitunter von dem
minimalen Anfangsgehalt von noch nicht 1 pCt. bis zu 10 pCt.
und darüber.
An dieser Stelle seien gleich einige hierher gehörige Zahlen
angeführt, welche ich selbst gelegentlich einer zu anderen Zwecken
Yorgenommenen Untersuchung der Milch meiner Frau gewonnen
habe. Danach verhält sich die vor dem Anlegen des Säuglings
mittelst einer unten noch zu beschreibenden Milchpumpe ab-
Key her, Über den Fettgehalt der Frauenmilch.
603
gesaagte Milchmenge zu der gleichen nach dem Anlegen er-
haltenen Milchportion, was den Fettgehalt anlaugt, folgender-
massen:
Tabelle L
Datum
Tages-
zeit
Getrunkene
Milchmenge
Ab-
gesaugte
Milch-
menge
Seite
der
Brust
Fettgehalt in pGt.
vor dem nachdem
Anlegen Anlegen
Zum
Trinken
gebrauchte
Zeit
22. IX. 04
< 180. Lebens
tag)
10»/3
Vorm.
85 g
(nnr
rechts)
5Vs ccm
5Vj ccm
5»/» ccm
I.
0,94
1,98
1
6,60
4 Mio.
30. IX. 04
< 188. Lebeos-
tag)
7
Vorm.
180 g
5Vf ccm
5Vt ccm
5'/« ccm
5Vj ccm
0,55
0,87
6,55
3,42
6V» Min.
4i/4 Min.
3. X. 04
<191. Lebens-
tag)
IIV»
Vorm.
152 g
5>/j CCUI
5Vi ccm
5Va ccm
5'/2 ccm
1'.
1,10
1 2,43
5,64
10,18
1
19. X. 04
<207. Lebens-
tag)
4
Nachm.
1
llOg
1
1
5»/a ccm
5'/t ccm
5Va ccm
S'/j ccui
3,81
1
3,86
9,50
6,68
3 Min.
IV4 Min.
Die Kenntnis dieser Kegel ist von entscheidender Be-
deutung für die Festsetzung der Methode der Milchgewinnung
zum Zwecke der Untersuchung auf den durchschnittlichen Fett-
gehalt der Frauenmilch. Es ist ohne weiteres einleuchtend —
«nd in den meisten neueren, einschlagigen Arbeiten ist dies auch
beracksicbtigt worden — dass man, wenn man von einer ein-
maligen Mahlzeit des Säuglings den durchschnittlichen Fettgehalt
kennen lernen will, füglich sowohl von der am Anfang als auch
von der am Ende der Mahlzeit abgesonderten Milch Proben ent-
nehmen muss. Selbstverständlich ist eigentlich hierbei, dass man
von der Anfangs- wie Endportion genau die gleiche Menge
nehmen muss. Aber diese notwendige Voraussetzung ist bisher
nicht genug betont worden und, wie in einigen Veröffentlichungen
aus der mitgeteilten Art der Milchgewinnung hervorgeht, nicht
überall gemacht worden. Auch muss es als unstatthaft bezeichnet
werden, wenn hei der Beschaffung des Untersuchungsmaterials,
39*
604 Key her, Über den Fettgehalt der Frauenmilch.
wie es auch gemacht worden ist, in der Weise vorgegangen wird,
dass beliebig grosse oder auch ,,möglichst gleiche^ Mengen Milch
vor und nach dem Anlegen entnommen und erst nachher „genau
gleiche^ Quantitäten abgemessen und gemischt werden. Ein Bei-
spiel möge das veranschaulichen.
Nehmen wir z. B. an — nach einigen vorliegenden Unter-
suchungen bei fraktionierter Entleerung der Brustdrüse sind wir
zu der Annahme einer regelmässigen Steigerung des Fettgehaltes
berechtigt — , dass der Fettgehalt der vor dem Anlegen entleerten
ersten 10 ccm 1 pCt., der der nächsten 10 ccm 2 pCt., der von
weiteren 10 ccm 3 pCt., und der nach dem Anlegen zuerst ab-
gesaugten 10 ccm 8 pCt. und der dann folgenden 10 ccm 9 pCt.,
der hieran sich anschliessenden 10 ccm 10 pCt. u. s. w. betrage,
so würden wir, wenn wir beispielsweise vor dem Anlegen etwa
20 ccm und nach dem Anlegen etwa 30 ccm entnehmen und von
beiden Portionen genau je 10 ccm abmessen und vermischen
würden, bei der Untersuchung einen durchschnittlichen Fettgehalt
von 5,25 pCt. erhalten.
Berechnung: 1+2=3; 3:2= 1,5; 8 + 9+10 = 27;
27:3 = 9; 9+1,5=10.5; 10,5:2 = 6,26 pCt.
Würden wir dagegen, wie es richtig ist, von vornherein
sofort genau gleiche Mengen entnehmen, z. B. je 20 ccm, und
mischen, so würden wir den der Wirklichkeit entsprechenden
Durchschnittsgehalt von 5 pCt. erhalten.
Berechnung: 1 + 2 = 3; 3:2 = 1,6; 8+9 = 17; 17:2 = 8,6;
1,5 + 8,5 = 10,0; 10,0:2 = 6,0 pCt.
Wir würden also einen höheren Fettgehalt annehmen, als
es in Wirklichkeit der Fall ist. Umgekehrt würde sich ein ge-
ringerer Fettgehalt ergeben, wenn wir von der Anfangsmilch die
grössere Quantität und von der letzten Milch die kleinere absaugen
würden. Wenn dieser Fehler nun bei den Einzelproben, aus
denen sich die Tagesmischmilch zusammensetzt, mehrmals be-
gangen wird, so ist klar, dass Unterschiede von 1 — 2 pCt. zwischen
der gewonnenen und der dem wahren Sachverhalt entsprechenden
Zahl immerhin entstehen können. Beträchtlich grösser noch aber
können diese DifiFerenzen sein, wenn überhaupt ungleiche Portionen
genommen und vermischt werden. Die eben zur Erklärung heran-
gezogenen Zahlen mögen auch dies dartun: die gefundene Zahl
würde 6 pCt., die wirkliche 5 pCt. Fettgehalt ergeben.
Berechnung: I. 1 + 2 + 8 + 9+10 = 30; 30:5= 6pCt.
II. 1 + 2 + 8 + 9 = 20; 20:4 = 5 pCt.
Key her, Über den Fettgehalt der FraaeDmilch. 605
Hier erhielten wir also bei weitem noch grössere Schwankungen
des Fettgehaltes, wenn sich die Fehler bei den Einzelpfoben an
dem einen Tage summieren wurden, am anderen Tage nicht.
Es ist naturlich bei der Beurteilung deir Berechnungen zu
berücksichtigen, däss die benutzten Zahlen willkürlich angenommen
sind und dass die Steigerung des Fettgehaltes wahrscheinlich in
natura nicht so rapid verläuft, Dass aber immerhin in Wirk-
lichkeit eine Vermehrung des Fettgehaltes um ca. 0,35 pCt. von
5Vi z<i 5^/2 ccm Milch vorkommen kann, lehrt die erste Unter«
suchung in Tabelle I, bei welcher eine Steigerung des Fettgehaltes
von 0,94--- 6,60 pCt. beobachtet wurde, bei einer Entnahme von
nur 85 g Milch durch das Kind und 11g Milch durch die Milch-
pumpe.
Eine zweitens bei Festsetzung der Methodik der Milchent-
nahme zu dem hier erörterten Zwecke zu beachtende Gesetz-
mässigkeit in der Sekretionsphysiologie der Brustdrüse ist die
Beobachtung, dass bei jeder innerhalb 24 Stunden gebotenen
Mahlzeit des Säuglings der Fettgehalt der anfangs ausfliessenden
Milch ein anderer ist, und dass ebenso die Zahlen untereinander
difiFerieren, die den Fettgehalt der zum Schluss jedes Saugaktes
abgesonderten Milch angeben. Dabei scheint es Regel zu sein,
dass, je geringer zu Beginn einer Mahlzeit die Füllung einer
Brustdruse ist, um so grösser der Fettgehalt der anfangs entleerten
Milch ist, während die Höhe des Fettgehaltes der Endportion
sich dann nach der aus der Brust vom Säugling konsumierten
Milchmenge richtet. Bei einer Drüse von massiger Produktivität
würde sich dann die Beobachtung machen lassen, dass, je mehr
der Tag vorrückt, vorausgesetzt, dass eine längere Nachtpause
gemacht wird, umsomehr der Fettgehalt der Anfangsportion be-
tragen wird. Es ist freilich möglich, dass dieses Verhalten, wie
gesagt, nur bei einer Brust von massiger Leistungsfähigkeit augen-
fällig ist, während es vielleicht bei reichlich Milch liefernden
Brüsten nicht auffällt. Jedenfalls in dem von mir untersuchten
Falle konnte diese Erscheinung nicht nur zahlenmässig, wie aus
der oben mitgeteilten Tabelle hervorgeht, an allerdings nur spär-
lichen Beispielen festgestellt werden, sondern sie konnte sogar
direkt mit dem Auge bei den Einzelproben beobachtet werden,
welche die Mischmilch verschiedener Tage der Laktationszeit
lieferten, deren Fettgehalt noch unten mitgeteilt werden soll.
Aus der eben angeführten Wahrnehmung geht deutlich genug
hervor, dass man, wenn man den wirklichen Durchschnittsfettgehalt
(i06 Key her, Ober deu Fettgehalt der Prauenmileh.
einer Frau gewinnen will, bei jeder einzelnen innerhalb
24 Stunden dem Säugling gereichten Brustmahlzeit
genau die gleiche Menge Milch vor und nach dem An-
legen entnehmen und zusammenmischen muss.
Drittens ist noch bei Bestimmung der Art der Beschaffung
von f&r unsere Zwecke geeignetem Untersuchungsmaterial zu be-
rücksichtigen, welche Milchmengen der Säugling in derselben Zeit-
einheit in verschiedenen Phasen der Entleerung der Brustdruse
aufnimmt. Eine grössere Reihe von exakten Beobachtungen liegt
hierüber leider noch nicht vor. Nur bei Feer konnte ich einige
hierher gehörige Mitteilungen finden. Danach trank der eine
Säugling (Mädchen I):
in den ersten 5 Minuten 112 g Milch,
„ „ zweiten 5 „ 64 „ „
„ „ letzten 5 „ 16 „ „
und an einem späteren Tage
in den ersten 6 Minuten 110 g Milch,
„ „ folgenden 3 „ 35 „ „
Ein anderer Säugling (Knabe) nahm auf am 95. Lebenstage:
in den ersten 7 Minuten 160 g Milch,
„ „ folgenden 3Vj r> 50 „ «
und am 137. Lebenstage:
in den ersten 5 Minuten 100 g Milch,
„ „ folgenden 5 „ 60 „ „
Ich selbst konnte bei meinem eigenen Kinde, einem Mädchen,
am 60. Lebenstage folgende Zahlenreihe aufstellen. Das Kind
trank:
in den ersten 5 Minuten 75 g Milch,
„ „ zweiten 5 „ 45 „ „
„ „ dritten 5 „ 25 „ „
„ „ letzten 5 „ 15 „ „
Hiernach hat also das Kind in der ersten Hälfte der Zeit-
dauer seiner Mahlzeit dreimal soviel getrunken als in der zweiten
Hälfte.
Wie schon Feer hervorhebt, muss diese Erkenntnis jeden
Untersucher davon abhalten, den durchschnittlichen Fettgehalt
der Frauenmilch in der Weise bestimmen zu wollen, dass man
während der Entleerung der Brustdruse in „möglichst gleichen
Intervallen Stichproben entnimmt**, mischt und so den Fettgehalt
der Einzelmahlzeit feststellt, wie dies Gregor getan hat. Es ist
ohne weiterem aus dem Vorhergegangenen ersichtlich, dass die so
Rejher, Über den Fettgehalt der Fraaeomüch. 607
gefundene Zahl darchaus nicht dem durchschnittlichen Fettgehalt
der getrunkenen Milchmenge entsprechen kann.
Abgesehen davon, dass diese Art der Milchgewinnung in-
folge der häufigen Alteration von Mutter und Kind ganz im-
physiologisch genannt werden muss, bedingt sie auch, da die
meisten Stichproben aus der zweiten Hälfte der Sekretionszeit
der Brustdruse stammen werden, wahrscheinlich meistens zu hohe
Fettwerte der Einzelportionen, auf jeden Fall aber ein unsicheres
Ergebnis der Fettbestimmung. Diese Unsicherheit der Unter-
suchungsresultate wurde noch grösser sein, wenn ungleiche Mengen
als Stichproben gemischt worden wären, was allerdings aus der
mitgeteilten Versuchsanordnung nicht zu ersehen ist
Man durfte hiernach während der Mahlzeit nur Proben zur
Herstellung der Mischmilch entnehmen, wenn man in der Lage
wäre, dies jedesmal nach dem Abtrinken einer genau gleichen
MUchmenge zu tun. Dies ist aber unmöglich. Die Zeit jeden-
falls interessiert hierbei absolut nicht.
Schliesslich verlangt bei Aufstellung der Yersuchsanordnung
auch noch die Tatsache Berücksichtigung, dass die vom Brust-
kinde genossenen Einzelmablzeiten hinsichtlich ihrer Quantität
erheblich differieren. Es ist aus diesem Grunde nicht angängig,
die bei Untersuchung einer Einzelmahlzeit erhaltenen Resultate
der Fettbestimmung auch auf andere Einzelmahlzeiten zu beziehen.
Aus diesen Auseinandersetzungen geht unzweideutig hervor,
dass die bisher gewöhnlich gewählten Wege, um ein ein wands-
freies Untersuchungsmaterial zu erlangen, durchaus nicht zu einem
brauchbaren Resultat zu führen brauchen.
Wenn auch diejenige Methode, die möglichst grosse Milch-
mengen zur Untersuchung liefert, oder diejenige, welche möglichst
zahlreiche Stichproben entnehmen lässt, der Wahrheit unter Um-
ständen sehr nahe kommende Ergebnisse natürlich zeitigen kann,
da selbstverständlich mit der Zunahme der Menge im ganzen
bezw. mit der Steigerung der Zahl der Einzelportionen die Fehler-
quellen immer spärlicher werden, so basieren immerhin solche mit
derartiger Yersuchsanordnung gewonnenen Resultate auf Zufall.
Es sind hauptsächlich drei Methoden angewandt worden.
Camerer und Söldner sammelten in den 12 Tagesstunden die
gesamte Milch, welche sie durch Saugen und Streichen erhalten
konnten, und benutzten sie zur Analyse. Der Fehler, der dieser
Methode anhaftet, besteht darin, dass eine Brustdrüse sich künstlich
nicht soweit entleeren lässt, als dies dem Säugling möglich ist.
608 Key her, Über den Fettgebalt der Frauenmilch.
Es werden daher die hohen Fettwerte am Schluss des Saugaktes
nicht zur Geltung kommen. Wahrscheinlich wird also das Er-
gebnis der Fettbestimmung zu niedrig ausfallen.
Die zweite Methode der Milchgewinnung wurde in der Weise
geübt, dass einige Stunden nach dem Trinken des Säuglings aus
der einen Brust, die andere Brust möglichst vollständig entleert
wurde. Schlossmann bediente sich z. B. ihrer bei seinen Unter-
suchungen.
Wie die rechnerischen Darlegungen zeigen, genügt auch
diese Art der Beschaffung von Untersuchungsmaterial nicht den
Anforderungen, die man an eine solche zu stellen hat. Die so
erhaltene Milchmenge entspricht durchaus nicht der vom Säugling
genossenen Quantität.
Schliesslich hat man die zur Analyse erforderliche Milch-
menge sich dadurch zu verschafiFen versucht, dass man möglichst
viele Stichproben während der einzelnen Mahlzeiten des Säuglings
abzog, wobei derselbe sein Sauggeschäft natürlich unterbrechen
musste, und zusammenmischte. Gregor, welcher in dieser Weise
vorging, glaubte so die Milch zu untersuchen, welche das Kind
in Wirklichkeit trank. Ich brauche hier zum Beweise dafür, dass
der von ihm für die Einzelmahlzeit gefundene Fettgehalt durch-
aus nicht der Wirklichkeit zu entsprechen braucht, nur auf die
frühere Erwähnung der Arbeit Gregors zu verweisen.
Wenn wir nun für viele den Pädiater interessierenden
Fragen der natürlichen und weiterhin der künstlichen Säuglings-
ernährung in den Analysen der Frauenmilch eine sichere Grund-
lage erblicken wollen, so muss dabei selbstverständlich voraus-
gesetzt werden, dass die zu Grunde zu legenden Analysen nach
gleicher ein wandsfreier Methode gewonnen sind, da sich ja nur
die so erhaltenen Untersuchungsergebnisse mit einander vergleichen
lassen.
Als eine solche ein wandsfreie, allerdings etwas mühevolle
Methode der Milchgewinnung ist die folgende zu betrachten, da
sie dem physiologischen Verhalten der Brustdrüsensekretion nach
jeder Richtung Rechnung trägt.
Man entnimmt durch Saugen innerhalb 24 Stunden vor und
nach jedem Anlegen des Kindes genau die gleiche Menge Milch
und giesst diese Einzelportionen zu einer Mischmilch zusammen,
deren Fettgehalt dem der pro Tag vom Säugling getrunkenen
Milchmenge wirklich entspricht. Der etwas niedrige Fettgehalt
der vor dem Anlegen gewonnenen Milchportion, die tatsächlich
Key her, Über den Fettgehalt der Franenmilch.
609
ja vom Kinde nicht genossen wird, wird ausgeglichen durch den
etwas höheren Fettgehalt der nach dem Anlegen abgesaugten
Endportion. In dieser Weise bin ich verfahren, um bei meiner
Fran, welche ihr erstes Kind stillte, an einer Reihe von Taged
den Fettgehalt der innerhalb 24 Stunden getrunkenen Milch zu
bestimmen. Ich bin mir wohl bewusst, dass die geringe Anzahl
von Analysen, welche ich mitteilen möchte, es noch nicht ge-
stattet, die Untersuchungsergebnisse zu verallgemeinern. Die
spärliche Zahl der Fettbestimmungen ist leider dadurch bedingt,
dass ich erst am 115. Tage der Laktation auf den Gedanken
kam, bei meiner Frau chemische
Analysen der Milch anzustellen,
dass fernerhin diese Analysen nur
in Zwischenräumen von mehreren
Tagen vorgenommen werden konnten,
da sie auch mit kalorimetrischen
Untersuchungen verbunden wurden,
und dass dann schliesslich bald die ^
Milchsekretion versiegte. Trotz der
geringen Menge von Prozentzahlen
des Fettgehalt<3s waren die Unter-
suchungen mit einiger Mühe ver-
knüpft, da zu der Zeit, als der
Säugling noch ausschliesslich die
Brust erhielt, die zu den Fett-
bestimmungen benutzte Mischmilch
aus 24 genau gleich grossen Eiuzel-
portionen sich zusammensetzte; es
wurde nämlich, da das Kind jedes-
mal aus beiden Brüsten trank, aus jeder Brust vor und
nach dem Anlegen je eine Probe entnommen, so dass die
täglich verabreichten 6 Einzelmahlzeiten zusammen 24 Einzel-
proben lieferten. Es ist also nicht zu verkennen, dass dieser
Weg der Milchentnahme gewisse Schwierigkeiten bietet. Der
Untersucher ist hier gezwungen, bei jeder einzelnen Mahlzeit des
Kindes selbst anwesend zu sein, um die Entnahme genau gleicher
Mengen vorzunehmen, oder die peinlichst auszuführende Milch-
gewinnung durch eine zuverlässige Person ausführen zu lassen.
Bei meinen Untersuchungen hat in der letzten Zeit meine Frau
sich dieser Aufgabe mit opferwilligster Gewissenhaftigkeit unter-
zogen.
BIO
Key her, Ober den Fettgehalt der Fraoenmilch.
In Anbetracht dieser Schwierigkeiten, die es mir vorerst
nicht wieder möglich machen werden, diesbezügliche Unter-
suchungen anzustellen, sei es mir gestattet, auch diese wenigen
Zahlen mitzuteilen, umsomehr als diese objektiven Untersuchungs-
resultate vollkommen mit den theoretischen Erwägungen
harmonieren.
Um diese nach den obigen Betrachtungen als richtig an-
erkannte Methodik der Milchgewinnung bequem ausfuhren zu
können, habe ich mir nach eigenen Angaben die unten ab-
gebildete Milchpumpe anfertigen lassen, welche es mir ermöglichte,
von vornherein gleich das genau festgesetzte Quantum abzusaugen.
Die Fettbestimmungen selbstwurden mittelst desA damsschen
Verfahrens im Soxhletschen Ätherextraktionsapparate ausgeführt.
Die Ergebnisse seien kurz in folgenden zwei Tabellen zu-
sammengestellt, von denen die erste die Fettbestimmungen aas
der Zeit der ausschliesslichen Brusternährung, die zweite die-
jenigen aus der Zeit des allmählichen Yersiegens der Brust enthält.
Tabelle II.
Durchschnittl.
Tag der
Laktation
Fettgehalt in
Tagesmenge
T&giiche
pCt der in
der Milch
Fettmenge
Bemerkungen
24 Stunden ge-
in Gramm
in Gramm
trunkenen Milch
115./ 116. Tag
4,59
804
36,89
116/117. „
4,59
804
36,89
127./ 128. „
4,69
703
32,97
128./129. ,
4,46
821
36,58
J51./152. .,
4,28
775
33,17
2. Tag der Menstr.
170./171. „
4,76
668
31,80
186./ 187. „
4,98
669.
33,32
2.Tagnachd. letzten
Tag der Menstr.
(Siehe Tabelle III auf S. 611.)
Wie aus den Tabellen zu ersehen ist, hält sich der
prozentualische Fettgehalt der innerhalb 24 Stunden getrunkenen
Milchmenge an den verschiedenen Tagen der Laktation auf an-
nähernd konstanter Höhe. Selbst in der Zeit des allmählichen
Yersiegens der Quelle der natürlichen Ernährung ist eine an-
nähernde Übereinstimmung der Fettwerte der täglichen Nahrungs-
menge zu beobachten. Ich glaube sogar, dass die Uberein-
Hey her, Über den Fettgehalt der Frauenmilch.
Tabelle UI.
611
Durch sehn ittl.
Tag der
Laktation
Fettgehalt in
Tagesmenge
Tägliche
pGt. der in
der Milch
Fettmeuge
Bemerkungen
24 Standen ge-
in Gramm
in Gramm
trunkenen Milch
208./209.Tag
5,98
501
29,96
2. Tag vor Beginn
der Menstruation
209./210. ,
5,60
481
26,94^
Tag vor Beginn der
Menstruation
213./214. „
5,68
449
25,28
Letzter Tag der
Menstruation
214./215. «
5,00
352
17,60
2I5./216. ,
5,31
414
21,98
221./222. „
5,58
429
23,94
224.
4,90
398
19,50
225.
5,60
327
18,31
stimmuDg eine noch vollkommenere sein würde, wenn es gelänge^
jeden auch noch so kleinen Yersuchsfehler aaszuschalten.
Wie es scheint, ist die Natur bestrebt, die Abnahme der
Quantität der Milch am Ende der Laktationszeit durch eine
relative Zunahme des Fettgehaltes zu kompensieren, denn die in
der Tabelle III verzeichneten Zahlen sind durchweg höhere als
die in Tabelle II. Diese Erscheinung würde in vollem Einklang
stehen zu der oben mitgeteilten Wahrnehmung, wonach der
Fettgehalt der zu Beginn einer Mahlzeit des Säuglings ab-
gesonderten Milch um so höher ist, je weniger die Brustdrüse
gefüllt ist. Danach würde sich die Steigerung des Fettgehaltes
in der Zeit der Ablaktation durch eine entsprechende Vermehrung
des Fettes in der Anfangsmilchportion jeder einzelnen Mahlzeit
erklären.
Weiterhin zeigen auch noch die mitgeteilten Untersuchungen,
dass die pro Tag mit der Nahrung dem Kinde zugeführte ab-
solute Fettmenge nur ganz geringen Schwankungen unterworfen
ist und nicht so ungeheuere Differenzen aufweist, wie sie Gregor
angegeben hat (im 1. Falle Schwankungen zwischen 26,9 und
56,5 g, im 2. Falle zwischen 25,2 und 61,0 g und im 3. Falle
zwischen 19,8 und 37,4 g), und dass es schon aus diesem Grunde
nicht angeht, die bei Brustkindern zuweilen auftretenden dys-
peptischen Stühle auf eine besondere Fettarmut der Nahrung in
dieser Zeit zu beziehen.
612 Key her, Über den Fettgehalt der Frauenmilch.
Übrigens hat bereits Heubner auf Grund einer grösseren
Zahl von Untersuchungen, welche Prof. Hof mann in Leipzig
seiner Zeit ausgeführt hat, die Tatsache festgestellt, dass die
Muttermilch etwa von der dritten Woche nach der Entbindung
an Monate lang eine sehr beständige Zusammensetzung hat,
welche in geringen Grenzen um folgende Werte schwankt:
Eiweiss Fett Zucker Asche
1,03 pCt. 4,07 pCt. 7,03 pCt. 0,21 pCt.
Auch die Fettbestimmungen von Johannessen und Wang
ergeben fast übereinstimmende Werte für den Fettgehalt der
Milch derselben Frau an verschiedenen Tagen.
Es wäre naturlich wünschenswert, dass mit der hier an-
gegebenen ein wandsfreien Methodik weitere Untersuchungen zur
völligen Klärung der behandelten Frage angestellt würden.
Die Frage selbst ist für den Pädiater wichtig genug, denn
gerade das Fett mit seinem hohen Ealorienwert macht bei der
gegenwärtig vertretenen Anschauung von dem regellosen
Schwanken seines Gehaltes in der Muttermilch alle Berechnungen
der mit der täglichen Nahrung zugeführten Kalorien illusorisch.
Sollte sich durch nachfolgende Analysen in der angegebeneD
Weise allgemein der Satz aufstellen lassen, dass der prozen-
tualische Fettgehalt der täglich vom Kinde genossenen Mutter-
milch annähernd gleich ist während des grössten Teiles der
Laktationsdauer, so würden bei künftigen Messungen der
Nahrungsmengen von Brustkindern gelegentlich angestellte
Analysen genügen, um auch für die übrige Zeit die Zusammen-
setzung der Nahrung und die Anzahl der mit dieser eingeführten
Kalorien zu bestimmen.
Um zu weiteren derartigen Untersuchungen den Anstoss
zu geben, ist der hauptsächlichste Zweck der vorliegenden Arbeit.
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Zur Kenntnis des Kreatininstoffwechsels
beim Säugling.
Von
Dr. HANS RIETSCHEL,
ÄMtotent der Pollkliolk.
Während wir durch die Arbeit der letzten Jahre in der
Erkenntnis des Stoffwechsels der Harnsäure und der Purinbasen
ein gut Stück yorwärts geschritten sind, sind wir leider nicht in
der Lage, das gleiche vom Kreatinin zu behaupten. Von der
Harnsäure und den Xantinbasen wissen wir, dass sie Stoffwechsel-
produkte spezifischer Substanzen im Organismus darstellen, die
wir mit dem gemeinsamen Namen der Nucleine umfassen, sodass
also die Bildung dieser Körper im wesentlichen vollkommen ge-
trennt yom eigentlichen Eiweisstoffwechsel, dessen hauptsächlichste
Schlacke wir im Harnstoff sehen, vor sich geht; vom Kreatinin,
das wir als konstanten, stickstoffhaltigen Bestandteil des Urins
kennen, steht es zunächst noch dahin, ob wir es ebenfalls mit einem
Stoffwechselendprodukt im obigen Sinne zu tun haben. In den Lehr-
büchern^) der Physiologie wird das Kreatinin als ein noch nicht
zu Harnstoff oxydiertes Zwischenprodukt aufgefasst. Was dieser
Anschauung soviel Anhang verschaffte, war das chemische Ver-
halten des Harnstoffes und Kreatinins zueinander. Schon
Liebig^) konnte zeigen, dass Kreatin und dessen Anhydrid
Kreatinin beim Kochen mit Alkalien unter Wasseraufnahme in
MethylglycocoU und Harnstoff zerfallen. Wenn dieser chemische
Vorgang so leicht extra corpus demonstriert werden konnte, war
es da nicht ebenso gut möglich, dass eine ähnliche Oxydation
im Körper statthatte? Die Möglichkeit einer solchen ist selbst-
redend ohne weiteres zuzugeben, nur wäre es wohl fehl gegangen,
') Neameister, Lehrbuch der pliys. Chemie. S. 430.
') Liebig, Annalen der Chemie. 62. 1847. S. 310.
616 Rietschel, Zar Kenntnis des
aus einem im Keagensglas relativ leicht sich abspielenden Prozess
sofort die Folgerung zu ziehen, dass diese Reaktion in gleicher
Weise im Organismus vor sich gehen müsste. Dazu kennen wir
zu wenig all die Zwischenprodukte des Eiweissstoffwechsels,
speziell diejenigen, welche die Brücke zwischen den Aminosäuren
und dem Harnstoff bilden. Auch andere Bedenken erheben sich.
Wenn wirklich das Kreatinin nur ein Zwischenprodukt im Harnstoff-
stoffwechsel ist, warum verbrennt dann der Körper nicht alles
intermediär gebildete Kreatinin zu Harnstoff, sondern lässt stets
eine ziemlich konstante Menge unverbrannt zur Ausscheidung ge-
langen? Mit derartigen Fragestellungen kommen wir jedoch über
Vermutungen nicht hinaus; wir müssen uns an das Tatsächliche
halten. Was wir über den Kreatininstoffwechsel wissen, das ist
vor allem, dass die Kreatininausscheidung von der Nahrung scharf
beinäusst wird, ganz ebenso wie die der Harnsäure, und ich
möchte in Analogie dazu diese Form des Kreatininstoffwechsels
als „exogen** bezeichnen. Per os eingenommenes Kreatin — und
wir nehmen solches besonders mit dem zugeführten Fleisch und
in geringerem Masse auch in anderen Nahrungsmitteln — er-
scheint fast quantitativ im Harn als Kreatinin wieder. Das ist durch
die Untersuchungen von Meissner^), Voit*), Rubner u. A.')
als gesichert zu betrachten. Aus dieser Tatsache allerdings den
Schluss zu ziehen, dass auch die im Organismus entstehenden
Fleischbasen das gleiche Verhalten zeigen, wie es z. B. Mallet^)
tut, ist entschieden nicht berechtigt und auch von autoritativer
Seite zurückgewiesen worden. Dass aber neben dem mit der
Nahrung eingeführten und quantitativ durch die Nieren aus-
geschiedenen Kreatinin ein sicher „endogen*^ entstandenes ein
regelmässig erscheinender Körper im Harn ist, erweisen zahl-
reiche Versuche. Der sicherste Beleg dafür scheint mir der am
Hungerkünstler Succi von Baldi*) beschriebene Versuch zu sein.
Hier war bis zum 17. Hungertag das Kreatinin noch in wägbaren
Mengen und von da an zwar nur in Spuren, aber regelmässig
>) Meissner, Zeitschr. f. rat. Med. 4 (65). S. 97. Bd. 26. S. 225.
Bd. 31. S. 283.
>) Voit, Zeitchr. f. BioL Bd. 4. S. 114.
8) Rubner, Zeitschr. f. Biol. Bd. 84. S. 265.
«) Malle t, U. S. Depart. of Agrieult. Balletin 60. Cit. nach Maijs
Jahresbericht. XXIX. S. 659.
») Baldi, Centralbl. f. klin. Med. Bd. 10. S. 651.
Kreatininstoffwechsels beim S&ngliog. 617
vorhanden. Das Verhältnis zam Gesamtstickstoff blieb dauernd
unverändert.
Die physiologische Chemie hat uns gezeigt, dass die beiden
Fleischbasen konstant im Muskelfleisch sich vorfinden und als
Zersetzungsprodukte gewisser Eiweissstofle des Muskels aufzu-
fassen sind. So entspann sich zunächst die Diskussion, ob etwa
vermehrte Muskeltätigkeit auch eine Vermehrung des Ereatinin-
gehalts im Harn zur Folge hat oder nicht. Es hat an Vei-tretern
beider Anschauungen nicht gefehlt, doch kann wohl heute nach
den Untersuchungen von Oddi und Tarnulli^), Grocco^),
Moitessier') u. A. und besonders Gregor*) als gesichert be-
trachtet werden, dass verstärkte Muskeltätigkeit den Kreatinin-
gehalt des Urins steigen lässt. Allerdings geht diese Steigerung,
wie Gregor besonders hervorhebt, im allgemeinen langsam vor
sich und erreicht erst am nächsten Tag, event. noch später ihr
Maximum. Damit sind wohl die meisten gegenteiligen Annahmen
zu erklären.
Eine zweite wichtige Frage, ob das Kreatinin des Muskels
mit dem des Harns identisch sei oder nicht, ist heute zugunsten
der ersteren Auffassung entschieden. Pommerehne und
Toppelius^) wiesen die vollkommene Identität dieser beiden
Stoffe nach und widerlegten zu gleicher Zeit die Angaben John-
sons"), der das Kreatinin des Muskels zwar als isomer, aber nicht
als identisch mit dem des Harns ansah. Mir scheint dieser letzte
Befund von ausschlaggebender Bedeutung für die Beurteilung des
Kreatininstoffwechsels zu sein; leider hat er nicht die genügende
Würdigung in der Literatur erfahren. Denn diese beiden Tat-
sachen (der Vermehrung des Harnkreatinins bei grosser Muskel-
tätigkeit und der chemischen Identität des Muskel- und Harn-
Kreatinins) mussten unbedingt dazu führen, im Kreatinin ein
spezifisches Stoffwechselendprodukt der Muskeltätigkeit .zu sehen.
Nach Tetanisierung des Muskels steigt der Kreatingehalt, wenn
auch unerheblich, an: in sehr erhöhtem Masse jedoch beim Hunger-
zustand. Demant') konnte bei Tauben im vorgerückten Hunger-
0 Oddi u. Tarnulli, Boll. deirAcademia med. di Roma. 1893.
Bd. XIX.
*) Grocco, AnDali di clinica e di farmocol. 1886. Bd. IV.
>) Moitessier, Compt. rendus de la Soc. de Biol. 1891. Bd. 43. 573.
*) Gregor, Zeitschr. f. phys. Chemie. Bd. 31.
*) Pommerehne u. Toppelius, Arcb. de pharmac. 284.
<) Johnson, Proceedings of tho London Roy. Soc. 1897. Bd. 42.
7) Demant, Zeitschr. f. phys. Chemie. 1881. Bd. 4. S. 419.
.tührbnch f. Kinderheilkuode. N. F. TJCI, Heft 4. 40
618 Rietsehely Zor Kenntou des
zustand zeigen, dass der prozentische Ereatingehalt der Moskeln
um das Dreifache desjenigen beim normalen Tiere gestiegen war.
Und endlich wissen wir, dass bei allen Zustanden, in denen ein
Termehrter Eiweisszerfall im Körper statthat, also speziell im
Fieber und bei kachektischen E^rankheiten, der Ereatiningehalt
im Harn erhöht ist, and zwar ungefähr im gleichen Verhältnis
zum ausgeschiedenen Harnstoff. Damit sind aber auch unsere
wesentlichsten Kenntnisse über das Kreatinin, soweit sie den
intermediären Stoffwechsel berühren, erschöpft.
Diesen gleichen Gedanken, dass das Kreatinin das Stoff-
wechselendprodukt eines spezifischen Muskelstoffwechsels darstellt,
fand ich in der schon oben erwähnten Arbeit von Gregor, die
ich aber erst im Laufe meiner Untersuchungen zu Gesicht bekam,
nachdem der Plan und zum Teil die Ergebnisse fertig standen.
Verfasser fuhrt dabei noch die eine interessante Notiz an, dass
nach von Noorden^) „in derlnanition die gleiche Menge ELreatinin
im Harn erscheint, als in der durch die Stickstoff berechnung er-
mittelten zersetzten Muskelsubstanz enthalten ist^.
Es lag daher nahe, einmal beim Säugling an die Unter-
suchung des Kreatininstoffwechsels zu gehen, speziell darüber, ob
diese Körper auch hier als regelmässiger Bestandteil des Harns
zu finden sei. Da die Milch als nahezu frei yon Fleischbasen zu
betrachten ist, konnte man yon dieser Untersuchung eine Vertiefung
unserer Kenntnisse des endogenen fiLreatininstoffwechsels erwarten.
In der Literatur sind nur ganz vereinzelte Angaben — zum Teil
sich widersprechende — zu finden. Czerny und Keller er-
wähnen die Kreatininausscheidung in ihrem Handbuch überhaupt
nicht. Auch bei Huppert*) vermisse ich eine Angabe über
Kreatininausscheidung beim Säugling. Die älteste Angabe datiert
von Hof mann'), der den Urin von Kindern, die mehrere Wochen
alt waren, auf Kreatinin untersuchte. Er benutzte Mengen von
150—600 ccm, konnte, aber, selbst bei wochenlangem Stehen
niemals die Ausscheidung von Kreatinin - Chlorzinkkristallen
nachweisen. £ine gleiche Beobachtung ist von Pouchet^ zu
berichten, der ebenfalls beim Säugling stets Kreatinin vermisste,
während Grocco in vereinzelten Fällen imstande war, Kreatinin-
i)v. Noorden, Pathol. des Stoffwechsels. Bd. 93. S. 169.
*) Neubaur-Yogel-Happert, Analyse des Harns.
>) Hofmann, Virchows Archiv 48. 1869.
^) Po ach et, Gontributions k la eonnaissance des matiäres extraociTSS
-de Tarine. Joarnal de therap. 7. (Zit. nach Malys Jahresbericht.)
Kroatin instoffwechseis beim Säagling.
619
'Chlorzinkkristalle mikroskopisch nachzuweisen (pure ossai scarsi e
non constantemente). Damit ist die Literatur erschöpft.
Es war gewiss geboten, diese so widersprechenden Angaben
einmal nachzuprüfen; Kollegen Langstein, der mich zu dieser
Arbeit veranlasste, spreche ich dafür meinen herzlichsten Dank aus.
Die Methode, deren ich mich bediente, war im wesentlichen
•die völlig gleiche der früheren Autoren (nach Neubauer-
Salkowski). In Bezug auf Einzelheiten verweise ich auf die
Abhandlung von Gregor, der ihre Yorzüge und Nachteile
kritisch beleuchtet hat. Speziell kann ich die Schwierigkeiten
nicht unerwähnt lassen. Mich störten besonders am Sauglings-
nrin die amorphen Niederschläge nach Chlorzinkzusatz, die ich
bei dem Harn erwachsener Menschen nicht in dem Maasse ein-
treten sah. In der Literatur habe ich betreffs dieses Unter-
schiedes zwischen dem Harn von Erwachsenen und Säuglingen
nichts gefunden, doch sind überhaupt die Angaben über den
Säuglingsurin meist mit einigen wenigen Zeilen abgetan.
Die Untersuchung geschah stets mikroskopisch, dann wurde,
gleichviel, ob Kristalle von Kreatininchlorzink gefunden wurden
oder nicht, der Niederschlag in wenig Wasser gelöst, und mit
ihm die Weylsche Reaktion angestellt. War bei beiden Unter-
suchungen die Probe negativ ausgefallen, so konnte man an-
nehmen, dass kein Kreatinin im Harn enthalten war^).
^
Name and Alter
Ern&hrang
Diagnose
Urin
Kreatinin-
chlorzink-
krist.
Weyl-
sche
Probe
1.
Kielinp, Willy,
5 Monate
Kellersche
Malzsappe
Atrophie
UO,alkal.
—
—
2.
Gimmel,
6 Wochen
t/, Buttermilch,
+ Vi Mutter-
milch
Dyspepsia
chron. (in
Reparation)
140, alkal.
~-~
■"""
d.
Franke, Paal,
6 Monate
Kellersche
Malzsnppe
Atrophie
240, sauer
—
—
^•
Henschke, Gerhard,
41/9 Monate
Buttermilch
Bnteiokatarrh
(abgelaufen)
80, sauer
—
' —
5.
Kieling,
6 Monate
Kuhmilch
Atrophie
90, saaer
—
—
6.
Kieling and
Henachke
Kahmilch
-|- Buttermilch
8. 0.
850, saaer
—
—
') Man erh< die Probe nach Wejl noch mit 5 ccm einer Lösang, dio
nicht mehr als 0,3 p. m. Kreatinin resp. Kreatinin chorzink enth< (Hnppert»
Analyse des Harns S. 894).
40»
620
Kietschel, Zar KeoDtnis des
»3 1 Name and Alter
1
Ern&hrang
Diagnose
Urin
CXM
Weyl-
sehe
Probe
7.
Urio zasam menge-
gössen von Aromen-
kiodem
—
650, sauer
-
8.
Makowski, Max,
4 Monate
Keilersche
Malzsnppe
Atrophie
600,9chwach
alkal.
—
9.
Ernst, Herbert,
6i/s Monate
Enteritis
(abgelaufen)
160, sauer
10. KieliDg,
! 7 Monate
Kahniileh
Atrophie
265, sauer
—
—
11.
Hanke,
15 Monate
Pegninmileh
Atroph., Lues
310, sauer
—
—
12.
Urin z Qsam menge-
gos8.v. atroph.,nicht-
fiebernd. S&ngling.
"^^
750, sauer
^~*
KBWIfeClB
+
13.
Urin zusammenge-
gossen T. Ammen-
kindem
520, sauer
"
"
14.
Honke,
15Vi Monate
Buttermilch,
Amme
Atrophie
180, sauer
—
15.
GleisBoer
3 Mooate
Battermilcb
+ Kuhmilch
Lues
170, sauer
—
Die im folgenden mitgeteilten Resultate sind insofern aber-
raschend, als sie in den Rahmen des vorhin Erörterten nicht
hineinzupassen scheinen. Bevor ich sie diskutiere, seien zwei
Versuche mitgeteilt, die ich zu gleicher Zeit am Säugling anstellte.
Der eine sollte die Frage beantworten, wie sich per os ein-
genommenes Kreatinin im Säuglingsorganismus verhält, der zweite
sollte über die Kreatininausscheidung im Fieber Aufschluss geben.
Die Beantwortung der ersten Frage ergibt sich aus den Resultaten
folgender zwei Versuche:
o
Name und
Alter
Franke, Paul,
6 Monate
Makowski, Maz,
2 Monate
Kellersche
-|- 5 g Liebigs Fleiscl
extrakt
>/s Kellersche Malzs.,
Vs Kuhmilch + 10 g
Liebigs Fleischextrakt
Stark +
Kreatiniostoffwechseis beim Sftagling.
621
Eine quantitatire BestimmuDg des ausgeschiedenen Kreatinins
wurde nicht vorgenommen, da in beiden Fällen amorphe Nieder-
schläge daran hinderten; ob sich per os eingeführtes Kreatinin
im Stoffwechsel des Erwachsenen und des Säuglings gleich ver-
hält, das mag einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben.
Die zweite Frage fand ihre Beantwortung durch die Resultate
folgender Versuche:
Name and Alter
Diagnose
Urin
Kreat.-
Krlst.
Weyl
Schwedler, Hellmuth,
4 Monate
Mann, There«e
Duoke, Srich
Otitis media,
39,5
Tracheobronch.,
39,2
Tracheobronch.
38,6
150,
sauer
110,
sauer
200,
sauer
vereinzelt
+
Schwach
+
Schwach
+
In dem einen dieser Versuche war die Kreatininausscheidung
sicher, in den beiden andern sehr wahrscheinlich. Nach diesen
Versuchen scheint es, dass die Menge des im Fieber aus-
geschiedenen Kreatinins nur äusserst gering ist.
Schwierigkeiten bereitet entschieden die Deutung des
Fehlens der Fleischbase im Harn nicht fiebernder Säuglinge. Die
nächstliegende Erklärung wurde die sein, die iMangelhaftigkeit der
Methode dafür haftbar zu machen, und dieser Vorwurf ist gewiss
nicht Yöllig zu entkräften; ich habe schon ausgeführt, dass auch
der Methode, die als die beste von allen gilt, geringe Fehler an-
haften, die aber natürlich bei sehr kleinen Mengen viel schwerer
ins Gewicht fallen. Zunächst ist darauf zu achten, dass der Urin
der Säuglinge nicht alkalisch reagieren darf, sondern stets mit
Essigsäure angesäuert zur Verwendung kommen muss. Im
alkalischen Harn geht das Kreatinin, wie es scheint, in Kroatin
über. Auch darüber, ob man den schwach durch Kalkmilch
alkalisch gemachten Urin vor dem Eindampfen ansäuern soll oder
nicht, sind die Meinungen geteilt. Während ich im Anfang die
Ansäuerung unterliess, tat ich es später stets (mit Essigsäure). In
beiden Fällen waren die Ergebnisse die gleichen.
Der amorphe Niederschlag, der bei Zusatz von Chlorzink
meist nach einiger Zeit auftritt wiikt entschieden auf die Be-
urteilung, ob eine Ausscheidung von Kristallen stattgefunden hat
oder nicht, recht störend. Wenn man schöne Kristalle von
622 Rietschel, Zar KenotDis des
Kreatinin-ChlorzJDk unter dem Mikroskop zu sehen Gelegenheit
hat, so ist die Diagnose nicht schwer, aber bei kleinen, nur mit
stärkerer Yergrösserang sichtbaren Ertstallchen ist die Unter-
scheidung von anderen nicht so einfach, zumal öfter noch andere
Salze auskristallisieren können. Ich möchte dies besonders im
Hinblick auf den positiven Befund Groccos hervorheben.
Ich muss also als Resumä meiner Untersuchungen zugeben,,
dass es mir nicht gelang, im Harn nichtfiebernder Säuglinge ein-'
wandsfrei Kreatinin nachzuweisen.
Daneben diene zum Verständnis dieses auCFalligen Verhaltens
noch folgende Erwägung :
Es war von vornherein zu erwarten, dass die Ausscheidung
von Kreatinin durch den Harn von Säuglingen nur äusserst gering
sein konnte, denn die Nahrung, die sie geniessen, ist als kreatin-
und kreatininfrei zu betrachten. ' Zwar geben Weyl für das
Kreatin, Commoille für das Kreatinin an, dass diese Stoffe
wahrscheinlich in ganz geringen Mengen in der Milch enthalten
seien; ein ein wandsfrei er, exakter Beweis konnte aber auch von
ihnen nicht erbracht werden, da eben die Mengen verschwindend
klein sind. Da wir oben gesehen haben, dass das exogen zu-
geführte Kreatin und Kreatinin auch vom Säugling als Kreatinin
ausgeschieden wird, so wird wohl auch mit den in der Milch zu-
geführten Stoffen dies der Fall sein, und entzieht sich eben der
Nachweis des Stoffes im Harn durch die geringe Menge desselben
und die Schwierigkeit der Methode.
Eine zweite Überlegung kommt hinzu. Ich war aus be-
greiflichen Gründen genötigt, besonders an schwächlichen Kindern
zu experimentieren, bei denen die Muskeltätigkeit sehr beschränkt
blieb. Da wir wissen, dass speziell vermehrte Muskeltätigkeit
das Auftreten von Kreatinin im Harn begünstigt, wird das
Fehlen des Stoffes im Harn der von mir untersuchten Säuglinge
deshalb verständlicher, da hier der eigentliche Muskelstoffwechsel
durch die geringe Bewegung und den mangelnden Gebrauch ihrer
Glieder sehr darniederliegt.
Vielleicht spielt noch eine dritte Konpouente eine Rolle, die
ich jedoch, da sie rein hypotetischer Natur ist, nur kurz andeuten
will. Beim Säugling fehlt das Stickstoffgleichgewicht, dies Grund-
gesetz für den Stoffwechsel des Erwachsenen. Ob der „Stickstoff-
Hunger'^, den der Sängling in so starkem Maasse besitzt, nicht
auch mit dazu beitragen kann, mit der Ausscheidung stickstoff-
haltiger Substanzen so sparsam wie möglich zu verfahren? Es
KreatiniDstoffwechseU beim S&ngling. 628
Terlohnt sich nicht, weitere Gedanken über diesen Punkt za
spinnen, so interessant sie wären, da sie, wie gesagt, rein hypo-
thetischer Natur sind.
Jedenfalls gibt es mannigfache Gründe, die uns das Fehlen
des Kreatinins im Harn nicht fiebernder Säuglinge verständlich
erscheinen lassen. Der Gedanke, daraus eine grundlegende Ver-
schiedenheit des Stoffwechsels des Säuglings von dem des Er-
wachsenen zu schliessen, ist gewiss nicht J>erechtigt, zumal auch
Schwierigkeiten der Methodik dazutreten.
Bei dieser Auffassung können wir beim Säugling im
Kreatinin ebenso das Produkt eines spezifischen Muskelstoff-
wechsels sehen, der, wie der der Harnsäure und der Purinbasen,
dem eigentlichen Eiweissstoffwechsel als koordiniert anzureihen ist,
aber von ihm unabhängig im Gesamtstoffwechsel einhergeht.
10.
Ein Beitrag zur Kenntnis
der hämorrhagischen Erytheme im Kindesalter.
Von
Dr. med. et phil. LEO LANGSTEIN,
Anittenten der Poliklinik.
(Hierau Taf. VIII.)
,yDie Klinik wird bemüht sein müssen, die klinische Scheidung
der idiopathischen und symptomatischen Formen des Erythems
mit immer grösserer Schärfe durchzufahren." So schliesst
Jadassohn^) seine zusammenfassenden Ausführungen über das
Erythema exsudativum multiforme und nodosum; in der Unter-
lassung genauer Differenzierung sieht er den wesentlichsten
Grund davon, dass unsere Kenntnisse von der Stellung des
Erythems im nosologischen System so wenig gesichert sind und
fortgesetzt Wandlungen erfahren. Die exakte Analyse der ver-
schiedenen Erythemformen erscheint jedoch nicht nur dadurch
erschwert, dass die ätiologische Forschung bisher grösstenteils
im Stich gelassen hat. Auch die unzweifelhaft vorhandenen Be-
ziehungen und Übergänge zu einer Reihe von Krankheitsbildern,
die in ihrer Pathogenese weder einheitlich, noch genügend er-
forscht sind, der Purpura simplex, dem Morbus maculosus, der
Purpura infectiosa, fulminans, der Poliosis rheumatica, ver-
schiedenen Urticariaformen erschweren uns die Beurteilung. Sehr
gering an Zahl sind die in der Literatur beschriebenen Fälle von
Erythem, die in ihrem klinischen Verlauf, in ihrer periodischen
Wiederkehr an jenes Krankheitsbild anklingen, das Henoch*)
') JadassoliD, Erythema exsudativam muitif. u. oodosiim. Ergebnisse
von Lnbarsch-Ostertag 1897.
') Henoch, Lehrbuch il. Kinder- Krankheiten 1899.
JahrbzLch rÄmderh^üJainde.NF.Bd.LXL
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Ve.rlaq von. S Kar q er ui Berlui NW ^6
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Langstein, Ein Beitrag zar KenDtnis etc. ^25
als eine besondere Form der Purpura bezeichnet hat. Sowohl
aus diesem Grunde, wie auch wegen bisher noch nicht beob-
achteter, resp. beschriebener Symptome verdient ein von mir
poliklinisch beobachteter Fall dieser Art ausfuhrlichere Mitteilung.
Die Krankengeschichte ist folgende:
Die Eltern des Kindes sind gesund, ebenso 5 Geschwister, keine Be-
lastung in der Familie; diese hat eine gesunde Wohnung und befindet sich
in guten äusseren Verhältnissen. Das Kind wurde '/« Jahre von der Mutter
gestillt und erhielt dann gemischte Kost. Es zahnte mit 6 Monaten, lief mit
einem Jahr und lernte zu gleicher Zeit sprechen. Mit drei Jahren überstand
es einen kurzdauerndeo Krampfanfaii mit nachfolgender Bewusstlosigkeit,
der sich nicht wiederholte. Im Jahre 1902 litt es an einer Halsentzündung,
die nicht ärztlich behandelt wurde. Die jetzige Krankheit begann am
38. Mai 1903. Die Mutter war mittags mit den Rindern spazieren gegangen,
nachdem ihr unsere Patientin einen roten Fleck am Fusse gezeigt hatte, den
sie auf den Druck des Strumpfes bezog. Als sie vom Spaziergang nach
Hause kam, waren Füsse und Unterschenkel angeschwollen, mit kleinen
roten Flecken bedeckt, die den andern Tag die Grösse einer Handfläche er-
reichten und die Haut des ganzen Körpers überzogen. An den Genitalien
waren sie am dunkelsten und grössten. Der Stuhlgang war angeblich mit
Blut durchzogen und yon penetrantem Geruch; der herbeigerufene Arzt
diagnostizierte Purpura. Er stopfte den Stuhlgang durch Pulver; die Flecke
verschwanden erst nach drei Wochen, nachdem sie alle Regenbogenfarben
gewechselt hatten.
Nach Utägiger Gesundheit des Kindes begann plötzlich sein Kopf
anzuschwellen. Ähnliche Flecke, wie das erste Mal, traten am ganzen Körper
auf, und während die alten verschwanden, bildeten sich an anderen Stellen
neue. Ausserdem bestanden Anfälle von Atemnot. Der herbeigeholte Arzt
verordnete Bäder und empfahl frisches Obst als Nahrungsmittel. Nichts-
destoweniger traten neue Nachschübe auf. Die Anfälle von Atemnot wieder-
holten sich, so dass das Kind am 17. IX. 1903 in das Krankenhaus Bethanien
gebracht werden musste. Dort blieb es 10 Wochen. In dieser Zeit setzten
drei weitere Rezidive ein. Ans äusseren Gründen musste nun das Kind aus
dem Krankenhause genommen werden, blieb zu Hause noch 14 Tage im Bett
und erholte sich leidlich. Ende Januar begann die Krankheit neuerlich.
Während derselben übersäten grosse Flecken die Haut des ganzen Körpers;
es stellte sich Atemnot und Herzklopfen ein, blutiger Durchfall trat wieder
auf, und das Kind hustete Blut. Vom herbeigeholten Arzte \vurdc in erster
Linie die Herzschwäche behandelt. Auf diätetische Massnahmen — das Kind
bekam reichlich Obst und frisches Gemüse — erfolgte Besserung. Nach
6 Wochen kam ein neuerlicher Anfall, auf den auch wieder Besserung folgte.
Am 13. VII. 1904 wurde mir das Kind in die Poliklinik gebracht. Zwei
Tage vorher war es mit Appetitlosigkeit und Durchfall erkrankt. Flecke in
grosser Zahl waren aufgetreten. Ich erhob folgenden Status:
Status praesens: Sehr blasses Mädchen, 6V3 Jahre ult, mit wachs-
bleicher Haut, geringem Fettpolster und schlaffer Muskulatur. Das rechte
obere Augenlid ist leicht ödematös, die Haut desselben blaurot verfärbt.
626
Langsteio, Ein Beitrag zar Kenntnis
Die Conjanctiya bulbi des rechten Auges ist ödematös, überragt wallartig
den äusseren Teil der Hornhaut, das linke Auge ist normal. Das rechte
Ohr ist so stark ödematös geschwellt, dass die Kontaren yerwischt sind, die
Haut desselben ist stellenweise blutig suffundiert, die Lippenschleimhant ist
bleich und trocken. Starker Fötor ex ore. Die Zunge zeigt dicken weissen
Belag, die Tonsillen sind geschwollen, der Rachen ist gerötet, das Zahnfleisch
ist überall stark gelockert und zeigt stellenweise kleinste Blutungen. Kben-
solche von Stecknadelkopf- bis Linsengrösse finden sich auf der Schleimhaut
der Wangen und des Zungengrundes und grössere Blutungen auf der Schleim-
haut des Mundbodens. Die Haut der oberen Extremitäten bis zum Ellbogen
ist frei. Auf der Haut der Unterarme, insbesondere auf der Streckseite der-
selben, sind zahlreiche Hämorrhagien yon rotTioletter Farbe, die w&hrend
der Untersuchung unter den Augen entstehen. Die Beugefi&chen der Finger,
ebenso wie die Nagelbetten sind blutig suffundiert. Auf der Beugefl&che
der Hände bemerkt man typische Urticaria -Effloreszenzen. Die Haut des
Rumpfes zeigt ebensolche Hämorrhagien, wie die der Arme. Am meisten
affiziert ist die Haut der Unter- und Oberschenkel, wie ans den beigegebenen
Photographien und der gemalten Abbildung, die die Farbennaancen recht
gut wiedergibt, heryorgeht. Die befallene Haut grenzt sich gegen die ge-
sunde in Bogenlinien ab. Kreisrunde Hämorrhagien, die in der Mitte eine
gelblich-braune Insel zeigen, werden yon einer blauroten Zone umgeben, auf
die eine hochrote folgt, die mit einem scharfrandig abschneidenden Wall in
die normale Haut übergeht.
Die Lungen sind ohne pathologischen Befund. Das Herz ist nach
rechts dilatiert, die Herztöne sind rein, die Herzaktion ist regelmässig,
der h&morrliagischeii Erytheme im Kindesalter. 627
182 Schläge in der MiDOte. Leber und Mils sind nicht TergröBsert. Die
Faaegelenke sind geschwollen, stark schmershaft, das Kind kann wegen der
Schmerzen nicht stehen.
Der Stuhl ist ziemlich stark blntig, stinkend, im Urin siud geringe
Mengen von Eiweiss, keine Zylinder. Die Indikanreaktion ist ansserordent-
lich stark positiv.
W&hrend das Erythem auf der Haut der Füsse die typische Farben-
ver&nderung der Hautblntnngen durchmacht, treten in den folgenden Tagen
auf der Haut des Rumpfes neue Blutungen auf. Das hervorstechendste
Symptom des Krankheitsbildes am folgenden Tage sind die hochgradigen
Ödeme des Hand- und Fussrnckeos wie auch der Gesichtshaut von der Stime
bis zum Munde, so dass der Gesichtsausdruck an den eines hochgradig
ödematösen Nierenkranken erinnert. Die Augen können infolge der starken
Schwellung der Lider nicht geöffnet werden, die ödematösen Stellen sind
auf Druck schmerzhaft. £tii ganz charakteristisches Aussehen erhält daa
Gesicht dadurch, dass die Haut der Augenlider bläulich rot verfärbt ist und
zwar in zwei ganz genau gleich ausgedehnten und geformten, dreieckigen,
in einer schmalen Brücke auf den Nasenr&cken konfluierenden Bezirken.
Die Rötung hat Schmetterlingsform. Autfallend ist ferner die symetrische
Anordnung der Hämorrhagien , von denen die Haut der beiden medianen
Hälften der Hände eingenommen ist.
Das subjektive Befinden der Patientin ist durch 5 mal am Tage auf-
tretende Kolikanfälle mit blutiger Diarrhoe sehr gestört. In der Nacht soll
starker Husten und Atemnot bestanden haben. Die Temperatur ist nicht
fieberhaft, die Pulszahl 132; kein Blut im Urin« Am 15. VIT. ist das ödem
im Gesicht geschwunden, dagegen die ganze Kopfhaut ödematös und schmerz-
haft; die Augen können wieder geöffnet werden. Der Augenspiegelbefund
ergibt im Augenhintergrund des linken Auges, 2 Papillenlängen nach links
von der Papille, eine kleine Hämorrhagie; der rechte Augeohintergrund ist
normal. Es besteht starker Fötor ex ore, kleinste Blutungen auf dem Zungen-
grund sind hinzugekommen. Am 18. VII. starkes Ödem links von der
Wirbelsäule; etwas Blut wird ausgehustet. Am 19. VII. ist die Geschwulst
am Rucken verschwunden, dagegen sind daselbst viele kleine Hämorrhagien
aufgetreten; abends gegen 6 Uhr starker Hustenanfall, typischer laryngealer
Stridor. Das Kind wird dyspnoisch. Noch bevor ein Arzt geholt werden
kann, ist der Anfall geschwunden. Am nächsten Tage hatte ich Gelegenheit,
einen solchen Anfall von Atemnot zu beobachten. Starker Stridor, inspira-
torische Einziehungen des Thorax. Nach 10 Minuten verschwand die Atem-
not nach Verabreichung von sehr heissen Handbädern. In den nächst-
folgenden Tagen traten neue Ödeme auf der Haut der Extremitäten auf,
während die alten ungefähr nach 12 stündigem Bestand wieder schwanden.
Starker Acetongernch aus dem Munde.
Die therapeutischen Massnahmen während der ganzen Zeit bestanden
in Verabreichung von Gelatine innerlich, gegen den Durst wurde Acidum
haleri verordnet. Da das Kind jedoch zu Hause nicht die nötige Wartung
hatte, wurde es am 23. VII. in die Klinik aufgenommen. An diesem Tage
fanden sich noch starke Ödeme auf den Unterschenkeln und Füssen, starke
Schmerzhaftigkeit und Schwellung der Fussgelenke, ebenso des rechten Knie-
gelenkes. Zahlreiche Hämorrhagien älteren und neueren Datums waren auf
628 Langstein, Ein Beitrag zur Kenntnis
der Üs4it des ganzen Körpers verstreut; das Herz war ohne pathologisches
Befund, die Pulszahl 140, im Urin war kein Blut und kein Eiweiss. Du
KHid erhielt Karlsbader Salz in der üblichen Weise, ausserdem wurden zwei-
mal t&glich 0,5 g Aspirin gegeben.
Am 25. VII. waren an der Herzspitze und der Vena jugularis Ge-
räusche hörbar.
Blutbefund: 8 800000 rote Blutkörperchen, 12000 weisse, Hämoglobin^
gehalt 65 pCt. In den nächstfolgenden Tagen verblassten die meisten Flecke,
während nur spärlich neue auftraten. Am 5. VIII. waren Haut und Schleim-
häute des Kindes normal. Blutbefund 3 083 829 rote Blutkörperchen, 15680
weisse. Von diesen waren 66 pCt. Ljmphozjten, 81 Gpt. Nentrophile polj-
nukleare, 2,8 pOt. Eosinophile. Am 9. VIII. verliess das Kind zum ersten
Mal das Bett und kurz darauf die Klinik. Am 24. VIII. berichtete mir
der Vater yon einem neuerlichen Rezidiv; er schrieb: Die Krankheit hat
ebenso begonnen, wie das letzte Mal, die Fasse sind geschwollen, mit zahl-
reichen Flecken bedeckt, ebenso der Kopf. Zahlreiche Blutflecke sind auf
der Mundschleimhaut zu sehen. Das Kind leidet an Atemnot und Koliken;
das Herz arbeitet schnell. Der Beginn erfolgte mit Appetitlosigkeit und
starkem Geruch aus dem Munde. Patientin erholte sich yon diesem Rezidi?
ziemlich schnell und blieb nun 8 Wochen ganz gesund. Am 26. IX. erkrankte
das Kind jedoch neuerlich, es traten Flecken derselben Form, wie zur Zeit
der ersten Beobachtung, auf der Haut der Hände und Füsse auf. Am 1. X.
schwollen Kopf und Gesicht unförmig an, Bluthusten und Kolik traten aber-
mals auf. Nach kurzer Zeit erfolgte ohne jegliche Behandlung der Rück-
gang sämtlicher Symptome. Am 1. XI. stellte mir der Vater das Kind in
der Poliklinik wieder vor. Das Kind war blass, die Haut war rein. Die
bereits drei Wochen bestehende Heilung führte der Vater auf die Verab-
reichung von Wachholderbeersaft zurück, der ihm von befreundeter Seite
angeraten war. Der Stuhlgang des Kindes erfolgte zweimal täglich regel-
mässig. Das subjektive Befinden war ausgezeichnet.
Klinisch imponierte der Fall als eine Kombination jener
beiden Formen von Purpura, die Henoch*) von der gewöhnlichen
Purpura rheumatica wegen ihres besonderen Symptomenkomplexes
abtrennen zu müssen glaubt. Denn wir finden bei unserer
Patientin, deren krankhafte Erscheinungen in Schüben mit mehr-
tägigen resp. mehrwochentlichen Intervallen eintraten, neben den
Purpuraflecken einerseits echte Urticariaeffloreszenzen und Ödeme
(Form 1 der Henoch sehen Purpura), andererseits abdominale
Erscheinungen (Kolik und Erbrechen), blutige Stühle (Form 2
der He n ochschen Purpura). Aber auch noch eine Reihe
anderer, nicht minder bemerkenswerter Symptome hat die Kranke
dargeboten, die weder Henoch in seinen Krankengeschichten
mitteilt, und deren auch Dusch und Ho che*) nicht in ihrer
>; Henoch, 1. c.
') Dusch und Hoch G, Hen 00 hsche Purpura. Festschrift für Henoch.
der hämorrhagischen Erytheme im Kindesalter. B29
gründlichen Bearbeitung der Henochschen Parpara Erwähnung
ton. Zu diesen Symptomen rechne ich das Glottisödem und
die Blutungen im Augenhintergrund. Ersteres war sicherlich die
Folge einer rasch sich entwickelnden und ebenso schnell schwinden*
den Urticaria interna. Die rheumatischen Erscheinungen,
Schwellung und Schmerzhaftigkeit der Gelenke, von denen
He noch sagt, dass sie ein minder konstantes Symptom der von
ihm beobachteten Fälle darstellten, standen bei unserer Patientin
mit im Vordergrund des klinischen Bildes. Diese Tatsache zeigte
die Verwandtschaft des mitgeteilten Falles zu jenen, von denen
Wagner^) eine grosse Reihe als Kombination von Purpura
rheumatica und Erythem in der ihm eigenen anschaulichen Weise
geschildert hat und die eine Ergänzung erfuhren durch einen von
Krämer^) mitgeteilten Fall vonErythema exsudativum multiforme
mit Übergang in Morbus maculosns. Die nahe Verwandtschaft
des geschilderten Krankheitsbildes zur Urticaria einerseits, zu den
rheumatischen Erkrankungen andererseits, erschwert eine be-
friedigende Deutung. Dies zeigen insbesondere zwei Fälle ans
der ungemein grossen Literatur der letzten Jahre, die zu dem
an unserer Klinik beobachteten Fall die nächsten Beziehungen
haben und darum im Nachfolgenden mitgeteilt werden mögen.
Einer dieser Fälle wurde auf der Abteilung von Kenvers be-
obachtet und von Lentz") beschrieben. Es handelte sich um
einen Mann, der unter Erscheinungen von Seiten des Magendarm-
kanals erkrankte, im Anschlnss daran von einer universellen Urticaria
befallen wurde, deren einzelne Effforeszenzen in der Mitte
hämorrhagisch wurden. Zu gleicher Zeit schwollen Knie- und
Schnltergelenk an und wurden stark schmerzhaft Die von
Lentz vorgenommene bakteriologische Untersuchung des Blutes
wie der Quaddeln blieb negativ, und dieser Autor kam durch
den Verlauf des Falles, die Fieberlosigkeit, die Abhängigkeit der
Hautsymptome von der Magendarmerkrankung zu der Auffassung,
dass es sich um eine durch Autointoxikation bedingte Urticaria
handelte; er sah keinen Grund, die Exsudation in die Gelenke
auf eine infektiöse Noxe zurückzufuhren und seinen Fall unter
die rheumatischen Infektionen zu rechnen.
0 Wagn er, Parpara and Erythem. Deutsches Arch. f. klin. Med. 39, 48.
>) Kram er, Erjthema ezsadaiivum multiforme mit Übergang etc.
Inaug.-Diss. Berlin 1896.
*) Lentz, Über einen Fall von Urticaria haemorrhagica. Berl. klin.
Wochenschr., 1898.
630 Langst ein, Ein Beitrag aar Keontnis
Ebenso interessant in seinem Yerlaaf ist ein Ton Laing
Gordon^) im vorigen Jahr beschriebener Fall, der mit unserem
eine grosse Reihe von Symptomen gemeinsam hat. Ich ent-
nehme den karzen Aaszug ans der Krankengeschichte wörtlich
einem von Stamm gegebenen Referat. ^14 Jahre alter Knabe
erkrankte mit Gelenkschmerzen ohne Schwellung und Fieber.
Dabei Pnrpura-Ernptionen auf den Streckseiten beider Beine und
Arme. Am nächsten Tag setzten Koliken und Darmblutung ein,
in 24 Stunden wurde ca. 1 Liter Blut verloren. In den nächsten .
Tagen zeigten sich neben den Purpuraflecken Urticaria-Eruptionen,
die Gelenkschmerzen zogen von einem Gelenk zu dem anderen,
die Fussrücken wurden ödematös. Wie die Urticaria schwand
und an anderen Stellen wieder auftrat, so wechselte auch das
Odem von Tag zu Tag den Ort; bald war es am Ellbogen, bald
im Gesicht oder am Handgelenk. Von Zeit zu Zeit traten
Koliken auf, Nausea und galliges Erbrechen. Die Darmblutung
wiederholte sich nicht. Das Krankheitsbild wurde noch ein
bunteres, indem neben der Purpura und Urticaria Erythema
exsudativum, steinharte Knoten auf der Hand, auftraten, die bald
verschwanden, bald in neuer Anordnung wieder sichtbar wurden.
Nach 8 wöchentlicher, zeitweise von Fieber begleiteter Krankheit
Hess sich in der Mitralgegend ein systolisches Geräusch nach-
weisen. Als der Kranke 8 Wochen später als Rekonvaleszent
zu betrachten war, setzte eine Chorea ein. Sie dauerte dann
noch etliche Monate, der Knabe erholte sich allmählich bis zur
völligen Gesundung. Im Urin waren niemals abnorme Bestandteile.
Versuchen wir nun unter Mitberücksichtigung dieser beiden
Fälle aus der Literatur eine genaue klinische Differenzierung des
von uns beobachteten Krankheitsbildes, so entfallt unter Berück-
sichtigung des klinischen Verlaufes, der Fieberlosigkeit, des
schliesslichen Ausganges in Heilung die Notwendigkeit, die
Differentialdiagnose der Sepsis gegenüber eingehend zu erörtern.
— Trotzdem sei bemerkt, dass in der Literatur eine Beobachtung
von Litten existiert (zit. nach Lenhartz, Die septischen Er>
krankungen), nach welcher im Verlaufe einer innerhalb weniger
Tage zum Tode fuhrenden septischen Endocarditis ein Hautbild
auftrat, das dem an dieser Stelle beschriebenen ziemlich genau
entspricht.
Es handelt sich in der vorliegenden Form sicherlich um ein
I) Laing Gordon, The Lancet. 1903.
der li&inorrhagischen Erytheme im Kindesalter. 631
in die g^rosse Gruppe der Urticaria gehöriges Erythem — eine
Auffassang, die auch mein Chef, Herr Geheimrat He ab n er,
wie auch Prof. Lesser vertreten haben — und es ist wohl mehr
oder weniger Geschmackssache, ob wir das Erythem als Erythema
urticatum (eine Bezeichnung, die ursprünglich für durch Yer-
Änderungen am Genitale bedingte Erythemformen eingeführt
wurde) Erythema Iris oder gyratum bezeichnen. Meiner Auf-
fassung nach war die Gefössschädigung, die sämtliche beobach-
teten Erscheinungen erklärt, bedingt durch ein im Organismus
kreisendes Gift, von dem ich offen lassen möchte, ob es chemischen
oder mikrobiotischen Ursprunges war.
Für die anmittelbare Umgebung des Kindes war am auf-
fallendsten, dass jeder Nachschub mit starkem Fötor ex ore und
Magendarmerscheinungen begann. Fötor ex ore ist ein Symptom,
das von vielen als dasSymytom eines verdorbenen Magens bezeichnet
wird; wie Czerny'O jedoch erst jüngst und für viele Fälle wohl mit
Recht hervorgehoben hat, ist es ein Zeichen dafür, dass sich ent-
zündliche Vorgänge im Nasenrachenraum abspielen und dass das
in vermehrter Menge abgesonderte Exsudat Zersetzungen erleidet,
deren Produkte den üblen Geruch bedingen. Gerade mit Rücksicht
darauf ist es lehrreich, aus der Zusammenstellung Ehrmanns')
über das Erythem zu erfahren, dass vom Nasenrachenraum aus-
gehende Urtikariaformen den Dermatologen schon bekannt sind.
Mit diesem Hinweis möchte ich aber die Möglichkeit nicht aus-
schliessen, dass im Darmkanal sich abspielende Prozesse in
unserem Falle für die Ätiologie verantwortlich zu machen sind —
die Beziehungen der Urticaria zu den vom Magendarmkanal aus-
gehenden Intoxicationen sind ja schon wiederholt diskutiert worden
— gerade auch von Lentz — , und Freund*) hat ja als Ursache
des Erythema exsudativum die Gefässschädigung durch im Magen-
darmkanal in abnormer Menge gebildete Fäulnisprodukte, Indol,
Skatol und Diamine, erwiesen zu haben geglaubt. Meines Wissens
ist diese Tatsache noch nicht genügend weiter erforscht. Von
meiner Patientin kann ich jedoch sagen, dass in ihrem Harn
Indikan in abnorm grossen Mengen vorhanden war.
Mir erscheint es plausibler, dass das beobachtete Erythem
eher ein autotoxisches im Sinne Ehrmanns gewesen ist, als ein
^) Czerny, Die eysadative Diathese. Festschrift 1904.
') Ehrinann, Handbuch der Hautkrankheiten von Mracek.
•) Frennd, Über Aatointoxikationserytheme. Wiener klin. Wochen-
«chrift 1896.
^>*^2 Längste in, Ein Beitrag zur Kenntnis etc.
infektiöses. In dieser Annahme kann mich auch die Tatsache
nicht beirren, dass bei der kleinen Patientin Symptome nach-
weisbar waren, die wir bei der Purpura resp. Peliosis rheumatica
zu beobachten gewohnt sind, also bei Krankheiten, die wir unter
die infektiös rheumatischen rechnen. Gerade in dem von Laing
Gordon beobachteten, mit unserem viel Ähnlichkeit zeigenden
Fall trat als Komplikation eine Chorea auf, die Heubner ja als
rheumatisches Äquivalent bezeichnet.
Man muss sich aber doch wohl vergegenwärtigen, dass die
Natur einer Reihe von Krankheitsprozessen, die wir schlechtweg
zu den rheumatisch infektiösen rechnen, keineswegs so klar
ist, wie manche Autoren es hinzustellen geneigt sind, und
dass die Annahme von Cesare Gattaneo^) class die ver-
schiedenen Erytheme und Purpuraformen (Purpura simplex,
rheumatica, fulminans, Henochsche Purpura, Erythema ui-ticatam)
nicht wesenverschieden, sondern die Folge einer gemeinsamen
noch völlig unbekannten Ursache sind, viel für sich hat. Inwie-
weit das nervöse Element für die Symptomatologie des von uns
beobachteten Falles eine Rolle spielt, möge bei der grossen Un-
sicherheit auf diesem Gebiete lieber nicht diskutiert werden; für
den Praktiker ist es vielleicht nicht unwichtig, zu wissen, dass
der Regelung der Darmfnnktionen und der geeigneten Ernährang
wohl die scbliessliche Genesung zuzuschreiben ist.
1) Cesare Cattaneo, Beitr. zur Ätiol. a. Pathol. d. prim. Parpura
im Kindeaalter. Nach einem Referat im »Archiv f. Kinderheilk.* 1904. fl. 3.
11.
stoffwechselversuch an einem Fall von infantilem
Myxödem.
Von
Dr. A. HOUGARDY und Dr. L. LANGSTEIN,
Jetst Atilitotiteii der Kinderklinik Anistenten der Poliklinik,
in Lfitttch.
I.
Der StofiPwechsel des Myxödems ist, wenn ¥^ir vom Studium
über das Verhalten der Ozydationsprozesse, des Gaswechsels, ab-
sehen, von der Forschung bisher recht stiefmütterlich behandelt
worden. Lässt sich auch aus dem somatischen und psychischen
Verhalten der Myxödematösen der Schluss ziehen, dass der Stoff-
umsatz bei ihnen herabgesetzt ist, so wird dies doch durch /lie
in der Literatur vorliegenden den Eiweissumsatz betreffenden
Angaben keineswegs bewiesen. Diese beziehen sich insbesondere
auf die Harnstoffausscheidung beim Myxödem.
Mendel spricht bei der von ihm untersuchten 58jährigen
myxödematösen Frau von einer Verminderung der Hammenge
und der Hamstoffausscheidung, die auf Schilddrüsentherapie eine
Vermehrung erfuhren. Ebenso äussert sich Vermehren. Napier
gibt an, dass die Schilddrüsentherapie beim Myxödem eine
Steigerung des darniederliegenden Eiweisstoffwechsels be*
wirke *).
1) Mendel sah die Harnmenge von 1100 auf 1450, 2000, 1600 steigen.
Die t&gliche HamstoffauBscheidang, die bei dem unbeeinflnssten Prozess
14^ g betrag, vermehrte sich auf 20, 25 bezw. 86,4 g pro die. Sie blieb
dann konstant in den Grenzen von 19 — 25 g.
Vermehren konnte an den von ihm nntersachten drei myxödematösen
Patienten konstatieren, dass weniger Stickstoff im Harn ausgeschieden wurde
als er mit der Nahrung einführte. Es bestand also eine Stickstoffretention.
Die Diärese stieg nach Verabfolgung ton Thyreoidin auf das Doppelte bezw.
Jahrbach f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 4. 41
634 Hoagardj-Langstein, StoffwechseUersucli
Eine Verwertang der eben mitgeteilten Angaben in dem
Sinne, dass beim Myxödem eine Herabsetzung des Stickstoff-
Stoffwechsels bezw. eine Insuffizienz der Harnstoffbildung bestehe,
ist nicht angängig; denn sie sind ohne Berücksichtigung der zu-
geführten Nahrangsmengen gemacht resp. ohne diese mitgeteilt.
Überdies spricht ein Teil der Autoren von verminderter Stickstoff-,
ein anderer von verminderter Harnstoff-Ausscheidung, ohne dass
klar wird, ob letztere Angaben mit Rucksicht auf die Ergebnisse aus-
geführter Harnstoff bestimmungen gemacht sind. Da wir Stickstoff-
und Harnstoffausscheidung nicht ohne weiteres mit einander identi-
fizieren dürfen, erwächst die weitere Schwierigkeit, sich auf Grund des
Mitgeteilten ein Bild von der Stickstoff bilanz der Myxödematösen
zu machen. Sind wir auch durch zahlreiche Arbeiten über die
Änderung des Stoffwechselchemismus, die eine Folge der Schild-
drüsenfütterung bei Tieren pder der Thyreoidintherapie beim
Menschen ist, wie auch über den Stoffwechsel beim Morbus
Basedowii verhältnismässig gut unterrichtet, so berechtigt dies
doch höchstens zu vorsichtigen Schlüssen über den Stoffwechsel
bei einer Krankheit, die wir auf den Mangel der Schilddrüsen-
funktion zurückführen. Zudem ist es möglich, dass der Stoff-
wechsel bei den verschiedenen Formen des Myxödems ein ver-
schiedener ist.
Wir haben daher um so lieber Gelegenheit genommen, eineu
Stoffwechsel versuch (vom respiratorischen Gas Wechsel abgesehen),
bei einem Falle von infantilem Myxödem, einem 2jährigen Knaben,
auszuführen, als eine derartige Untersuchung in der Literatur
bisher nicht vorliegt. Dieselbe wurde nicht nur auf die Stickstoff-
bilanz beschränkt, sondern auch auf den Phosphor- und Kalkstoff-
wechsel ausgedehnt.
Die Krankheitsgeschichte des Knaben' ist folgende:
Die Eltern des im Alter von 2 Jahren 2 Monaten stehenden Rindes
leben, der Vater ist gesund, die Matter hat nervöse Beschwerden. Zwei
Geschwister im Alter von 6 and 8 Jahren haben sich gut entwickelt, waren
Dreifache an. Bemerkenswert erscheint die Angabe Vermehrens, das2>
ungefähr 20 pGt. des eingeführten Nahrangsstickstoffs in den F&oes aas-
geschieden wurden, und dass diese Zahl während der Behandlung mit
Thyreoidin auf 14—11 pCt. sank.
Die Angaben Napiers bezüglich seiner Untersuchungen des Stoff-
wechsels an einem 45jährigen mjxödematösen Patienten lauten dahin, dass
die Harnstoffausscheidung unter gleichzeitiger Zunahme der Diärese von
19,8 g auf 31,9 resp. 36,7, 36,9 und an einem Tage sogar auf 49,14 g stieg.
an einem Fall von infantilem Myxödem. 635
immer gesund, gehen in die Schule und lernen gut. Die Mutter des Knaben
hat zweimal abortiert, einmal vor der Gebart desselben. Die Wohnnng der
Eltern ist hell, nicht feucht. Das Kind ist seit der Gebart aufiallend dick
und tett. 14 Tage lang wurde es an der Brust aufgezogen, dann erhielt es
zwei Drittel Milch, zuletzt Vollmilch. Der Appetit war immer schlecht.
Bei jeder Mahlzeit Hess es einen Teil der Milch ans dem Munde heraus-
laufen. Im Alter von einem Vierteljahr hatte es mehrere Tage Durchfall,
sonst stets harten Stuhl, jeden zweiten Tag von selbst oder auf Einlauf.
Das Kind war immer ausserordentlich ruhig. Seit der Geburt schlief es
sehr viel. Krämpfe bestanden nie. Der Kopf des Kindes soll bei der Ge-
burt von normaler Grösse gewesen sein. Die Gebart selbst war leicht.
Die Mutter meint, dass der Kopfumfang unyerh<nismässig schnell ge-
wachsen sei. Als das Kind 1 Jahr alt war, fiel den Eltern auf, dass es in
der Entwicklung sehr zurückgeblieben war; deshalb sachten sie einen Arzt
auf, der englische Krankheit feststellte. Trotz Behandlung derselben trat
keine Besserung ein. Das stumpfsinnige Wesen, die unverhältnisroässige
Dicke des Kopfes und Leibes blieben bestehen. Mit einem Jahr bekam das
Kind den ersten Zahn, den zweiten bald hinterher. Laufen und Sprechen
hat es nie gelernt. In der letzten Zeit hat es sich aufzustellen versucht.
Die Mutter glaubt, dass das Kind die Eltern erkennt; der Vater ist nicht
dieser Ansicht. Gespielt hat es noch nie, sich höchstens die Hände be-
sehen und sie etwas bewegt. Es lacht fast nie. Meist sieht es blöde vor
sich hin.
Bei der am 28. V. erfolgten Aufnahme wurde folgender Status er-
hoben; Der Knabe ist 69 cm lang, 9125 g schwer, hat einen plumpen
Knochenbau und massig entwickelte Muskulatur. Deutliche Zeichen von
Rachitis mit Ausnahme einer geringen Anschwellung der Epiphysen des
Unterarms und einer leichten Krümmung der Unterschenkel bestehen nicht.
Der Schädelumfang beträgt 46 Vi cm, die Haare stehen dünn, sind trocken,
aber gut entwickelt. Die grosse Fontanelle ist noch nicht geschlossen, in
der Pfeilnaht ist sie noch ^t, in der Kronennaht noch 3 cm offen. Craoio-
tabes besteht nicht. Das Gesicht sieht gedunsen aus, die Lidspalten sind
auffallend klein, die Nase ist sattelartig eingedrückt, der Nacken ist dick
gewulstet. Der Gesichtsausdruck ist blöde, der Augenhintergrund normal.
Die Nase ist für Luft gut durchgängig, Mund und Rachen sind
ohne pathologischen Befand. Der Oberkiefer enthält noch keine Zähne,
während im unteren die beiden mittleren Schneidezähne eben durch-
gebrochen sind. Der Hals ist kurz und dick. In der Gegend der Schild-
drüse fühlt man namentlich beim Schreien eine leichte Resistenz, die wohl
der Schilddrüse entsprechen könnte. Der Brustkorb hat einen Umfang von
50 cm, der Thorax ist wenig nachgiebig, Lungen- und Herzbefund zeigen
keine Abweichungen yon der Norm. Der Leib erinnert an einen Frosch-
bauch, es besteht ein kleiner Nabelbruch. Leber und Milz sind nicht
palpabel. Der Stuhlgang ist hart und fest, der Urin hat weder Zucker
noch Eiweiss.
Die Haut des ganzen Körpers ist eigentümlich gedunsen und fühlt
sich derbe infiltriert an. Am deutlichsten ist diese Beschaffenheit im Ge-
sicht, doch fällt sie auch an Händen und Füssen auf.
41*
636
Hoagardj-LaDgsteio, Stoffwechsel versach
Die Wirbelsäale zeigt eine bogenartige Rjphoskoiiose nach rechts,
die Extremitäten sind kurz. Die Oberarme messen vom Acromion bis zar
Spitze des Olecranon 12 cm, die Unterarme yon der Spitze des Olecranon
bis zum Processos styloideas nlnae 10 cm, die Oberschenkel vom Trochanter
major bis zar Kniegelenkspalte 10 cm, von der Kniegelenkspalte bis zur
Spitze des Malleolas eztemns 10 cm. Das Kind kann zwar sitzen, wenn es
angelehnt wird, fällt jedoch beim Versuche, frei za sitzen, am. Beim Ver-
suche, zu stehen, kann es sich für kurze Zeit auf den Beinen halten, macht
aber keine Versuche, zu klettern oder zu gehen. £s sieht und hört gut.
Bei der Geschmacksprüfung zeigt es sich, dass die Bepinselung der Zunge
mit Chinin keinen besonderen Eindruck auf das Kind machte Sjrup scheint
ihm ein gewisses Wohlbehagen zu verursachen, Salz lässt es yöUig gleich-
gültig, bei Vorhalten von Asa foetida wird das Kind unwillig; im allgemeinen
macht es den Eindruck eines Idioten geringen Grades. Es schreit viel
und lange, anscheinend ohne Grund, ebenso, wenn es gestört wird, als auch
Vor der Behandlung.
Nach der Behandlung.
ohne dass sich jemand mit ihm beschäftigt und ohne dass es Hunger hat.
Das Geschrei ist gedehnt. Das Kind beobachtet yorgehaltene Gegenstände,
fixiert sie und greift nach ihnen. Die Reflexerregbarkeit ist normal, für
die elektrische Erregbarkeit ergibt sich
K S Z bei 2,4 Mill. Amp.
AÖZ , - . ,
A S Z „ 3,7 „ M
KÖZ ,12,4 , ,
Die Ernährung des Kindes bestand anfänglich in 5 Mahlzeiten von
je 100 ccm Milch und 50 ccm 8proz, Oddalösung. Zur therapeutischen Ad-
an einem Fall von infantilem Myxödem. 637
Wendung gelangten Thjreoidintabletten yon Merk, ä 0,1 g, ans den Schild-
dräsen der Schafe (0,4 g des Pulvers entsprechen den wirksamen Bestand-
teilen einer ganzen frischen Schilddrüse mittlerer Grösse). Der erste Stoff-
wechseWersnch begann am 6. VI., um 10 Uhr vormittags, nnd dauerte bis
2um 11. VI., 10 Uhr vormittags. Die Temperatur war w&hrend dieser Zeit
vollkommen normal, das Kind hat in diesen 4 Tagen am 25 g ingenommen.
Vom 11. VI. an erhielt das Kind t&glich 0,01 g Thjreoidinpalver, vom 15. VI.
an täglich 0,025 g Thyreoidin, vom 24. VL au 0,04 und 0,025 g Thjreoidin
abwechselnd. Der zweite Stoffwechsel versuch begann am 11. VII. und
wurde am 15. VIL beendet. Das Kind nahm in diesen 4 Tagen um 100 g
zu. Vom 27. VI. bis 6. VII. war das Kind auffallend unruhig, wollte die
Nahrung nicht nehmen, zeigte Fiebersteigerungen bis zu 38,3^ ohne dass
objektiv etwas nachweisbar war. Anfangs Juli trat eine nicht fieberhafte
leichte Bronchitis ein, am 9. jedoch war das Kind wieder vollständig wohl,
viel lebhaiter geworden, spielte und lachte, hatte keinen blöden Gesichts-
Ausdruck mehr, nahm an allem Anteil, was auf die Eltern solchen Eindruck
machte, dass sie das ^ind im Spitale zu lassen baten. Das Gewicht des
Kindes ist vom 28. V. bis zum 15. VII. von 9125 g bis 8425 g gesunken.
Dass es sich im Torliegenden Falle um ein typisches
infantiles Myxödem handelt, das darch Thyreoidin - Therapie
eine aafiPallende Besserung erfahr, wird wohl aus den bei-
gegebenen Photographien, die wir der Liebenswürdigkeit des
Herrn Dr. Salge verdanken, am klarsten ersichtlich.
IL
Wie im Torstehenden mitgeteilt, wurde zur Untersuchung
des StofiPwechsels eine 4 tagige Periode ohne Behandlung und
eine 4tägige Periode gewählt, in der das Kind Schilddrüsen-
tabletten erhielt. Letztere konnte nicht unmittelbar an erstere
angeschlossen werden, da das Kind ausserordentlich unruhig,
appetitlos wurde und die Nahrung verweigerte. Erst nach un-
gefähr 3 Wochen war der Allgemeinzustand des Kindes ein der-
artiger geworden, dass Aussicht auf Erfolg vorhanden war, den
Stoffwechselversuch bis zum Ende durchzuführen. War in der ersten
Periode die Schwierigkeit vorhanden, dem Kinde taglich die
gleiche Menge Nahrung beizubringen, da es wenig Appetit zeigte,
so war bei dem gesteigerten Appetit in der zweiten Periode die
Unmöglichkeit vorhanden, mit derselben Nahrungsmenge für das
Kind das Auskommen zu finden. So wurde wenigstens Wert
darauf gelegt, qualitativ die gleiche Nahrung in beiden Perioden
zuzuführen. Ein exakter Vergleich der Stoffwechselbilanzen in
beiden Perioden ist dadurch erschwert, aber, wie wir sehen
werden, in gewissen Punkten mit Rücksicht auf eindeutige
638 Hougardj-Langstein, Stoffwechsel Teno cli
Yersuchsergebnisse an der Hand der vorliegenden Literatur
möglich.
Die Nahrang bestand aus Milch und Sproz. Oddalösong.
In der ersten Periode erhielt das Kind 500 ccm Milch und 250 ccm
einer Sproz. Oddalösang in 5 Mahlzeiten, in der zweiten Periode
900 ccm Milch und 450 ccm Oddalösang in 6 Mahlzeiten^). Die
Nahrung wurde dem Kinde von der Wärterin in Gegenwart
des Arztes genau zugemessen und verabfolgt. Überhaupt wurde
keine Prozedur vorgenommen, ohne dass der eine von uns resp.
eine äusserst zuverlässige Wärterin dieselbe überwachte. Die
Ausführung des Stoffwechselversuches, die Lage des Kindes im
Bette, gestaltete sich in der Weise, wie dies Freund s. Zt. an-
gegeben hatte. Bei dem relativ schweren Kinde war es notwendig,
die ruhige Lage desselben durch Anlegung d#r Finkelsteinschen
Hose zu gewährleisten. Der Harn wurde in einem Kezipienten
aufgefangen, ähnlich dem, wie ihn Freund beschreibt; nur hat
sich eine Abänderung, die wir mitteilen und empfehlen möchten,
als äusserst zweckmässig erwiesen. Dieselbe besteht darin, den
Hals des gläsernen Kezipienten mit dessen Körper durch einen
Schliff zu verbinden. Es ist auf diese Weise nicht nötig, bei
jedesmaligem Rezipientenwechsel denselben aus dem Gummirohr
zu ziehen, wobei l^cht Einklemmungen der Haut mit folgendem
ödem zustande kommen können, insbesondere, wenn nicht immer
eine sorgfältige Hand zur Stelle ist. Bei unserem Kezipienten
ist dies, da das gläserne Ansatzstück beständig mit dem Gummi-
rohr in Verbindung bleibt, nicht zu befürchten. Der Stuhl —
in unserem Falle von fester Konsistenz — wurde auf Guttapercha-
papier aufgefangen und sofort nach der Absetzung in Arbeit ge-
nommen. Jede in den mit Chloralhydrat beschickten Kezipienten
entleerte Urinmenge wurde samt dem genau gemessenen Spül-
wasser in noch körperwarmem Zustande in eine saubere, mit
Chloroform beschickte Flasche gefüllt, die auf Eis gehalten
wurde. Nach je 24 Stunden wurde der absolut unzersetzt stets
saure Urin verarbeitet.
Die Milch wurde jeden Tag in frischem Zustand analysiert,
von der für je vier Tage hergestellten Oddalösung wurde nur
eine vollständige Analyse ausgeführt. Stets wurden Kontroll-
1) Schon 8 Tage vor Beginn eines jeden StoffwecheelTersaches erhielt
das Kind dieselbe Nahrang wie in der Versachsperiode.
an eiaem Fall von infantilem Myxödem. 639
bestimmungen gemacht and aus den innerhalb der Fehlergrenzen
übereinstimmenden Werten das Mittel gezogen.
Methodisches.
Die StickstofFbestimmungen wurden nach Kjehldal, die
Titrationen wurden mit normal Zehntelsäure resp. normal Zehntel-
lauge ausgeführt. Zu den Ammoniakbestimmungen kam das von
Reich angegebene Verfahren zur Anwendung^ das sich sehr gut
bewährte. Der Harnstoff wurde nach dem von Pfaundler an-
gegebenen Verfahren bestimmt. Die Untersuchung der Stickstoff-
verteilung im Harn gestaltete sich demnach folgendermassen:
Je 20 ccm Harn wurden mit 40 ccm Phosphorwolframsäure-
lösung versetzt, der Niederschlag 48 Stunden absitzen gelassen^
filtriert und in je 15 ccm des Filtrates der Stickstoff bestimmt.
Der resultierende Wert ergibt den Gehalt an Harnstoff-Stickstoff
plus dem der durch Phosphorwolframsäure nicht fällbaren Sub-
stanzen. Andere 15 ccm wurden mit 10 g Metaphosphorsäure
18 Stunden bei einer Temperatur von 160 Graden gehalten, die
restierende Schmelze in Wasser gelöst und das in Freiheit ge-
setzte Ammoniak, nach dem Vorschlage Kamer ers, mit Lauge
destilliert. Der gefundene Wert wurde als Harnstoff-Stickstoff
angesprochen. Inwieweit wir dazu berechtigt sind, soll später
noch kurz ausgeführt werden.
Die Phosphorbestimmungen wurden nach dem Neumann-
schen neueren Verfahren gemacht, das wir sehr empfehlen
können. Milch, Oddalösung und Harn mussten zu diesem Zwecke
in schwerschmelzbaren Kolben zuerst unter Zusatz von Kalilauge
eingedampft werden (auf je 25 ccm Milch resp. Oddalösung wie
auf je 50 ccm Harn kamen 15 ccm einprozentiger Kalilauge).
Nach vollständigem Eindampfen der Flüssigkeit wird tropfenweise
solange die Neumann sehe Mischung zugefügt, bis die Ver-
aschung fertig ist, was sich dadurch kundgibt, dass die Flüssig-
keit beim Erhitzen farblos bleibt. Nach Erkalten derselben
setzt man 50 ccm einer 50proz. Ammonitratlösung zu und erhitzt
auf 60 — 80 Grade. Hierauf werden 40 ccm Ammon - Molybdat-
lösung zugefügt. Unter Umrühren lässt man den Niederschlag
sich bilden und schliesslich absetzen; hierauf wird er filtriert und
solange mit destilliertem Wasser gewaschen, bis die saure
Reaktion des Waschwassers geschwunden ist.
Hat man die neutrale Reaktion erreicht, wird das Filter
samt Niederschlag in 150 ccm Wasser suspendiert. Man setzt
640
Hougardj-LangsteiD, Stoff wecheeWerftach
nun ausser der zur Lösung erforderlichen lultaormal Kalilauge
noch 5,6 ccm derselben zu. Dann wird die Flüssigkeit solange
gekocht, bis die Dämpfe ammoniakfrei sind. Nach dem Erkalten
wird unter Zusatz von alkoholischem Phenolphtalein titriert^).
Zur Kalkbestimmung mussten Milch und Oddalösung, wie
vorher, verascht werden, während dies für den Harn unnötig
war. Der resultierenden Flüssigkeit wurde Ammoniak zugesetzt,
bis eine Trübung entstand, dieselbe in wenig Säure gelöst, hierauf
Ammoniumoxalat und Natriumacetat zugesetzt. Nach 24 Stunden
wurde der gebildete Niederschlag von Kalkozalat auf einem kleinen
Filter gesammelt, im Platintiegel geglüht und als Calciumoxyd
gewogen.
Auch zur Phosphor- und Kalkbestimmung des feingepulverten
Kotes kam die Neumanusche Methode zur Anwendung.
Die Yersuchsresultate, an die sich die Besprechung anreihen
wird, folgen in tabellarischer Übersicht.
1. Bilanz der Einnahmen und Ausgaben.
Nahrungs-, Harn- und Kotmenge der Vorperiode.
Datum')
Vers.-
Tag
Nahrnngem.
Harn
+ Spülw.
Haram.«)
Kotmenge
feucht trocken
7.- 8. VI.
8.- 9. VI.
9.-10. VI.
10.-11. VI.
I.
U.
III.
IV.
500 Milch +^M Oddal.
500 , +250 ,
500 . +250 „
500 , +250 .
390
508
515
481
866
427
402
830
28
17,973
21,6
25,7
5,6
3,3
4,3
6
Si
1
imme
fittel
—
—
1525
881
88,273
22,068
19,2
4,8
Nahrungs-
, Harn- und Kotmenge der
Thyreoidinperiode.
Datum
Vers.-
Tag
NahruDgsm.
Harn
+ Spaiw.
Harem.
Kots
feucht
aenge
trocken
11.-12. VII.
12.-13. VII.
18.-14. VII.
14.-15. VII.
I.
IL
IIL
IV.
900 Milch +450 Oddal.
900 „ +450 „
900 , +450 ,
900 „ +450 «
585
795
985
625
442
586
743
410
45,2
46,7
43,4
34,2
14,7002
13,0673
11,5096
10,5112
Si
1
imroe
ifittel
—
—
2181
545
169,5
42,3
49,7883
12,447
^} Zur Kontrolle wurde einigemale der Phosphor nach der Wäge-
methode bestimmt. Die Werte stimmten innerhalb der Fehlergrenzen Qberein.
3) Die Resultate vom 1. Versuchstag (6. — 7. VI.) konnten wegen des
Verlustes einer geringen Harnmenge nicht verwertet werden.
*) Sämtliche Harnmengen waren frei von Zucker und Eiweiss.
an einem Fall von infantilem Myxödem.
641
2. Stickstoff-Bilanz.
Allgemeine Stickstoffe Bilanz in der ersten Periode.
N in Milligramm.
Datum
Vers.-
Tag
Klnfithr in mg
(600 Milch
+ 96Ö Oddalöinng)
Harn
Kot
Ausfuhr
(Harn u. Kot)
Bilanz
7.- 8. VI.
8.- 9. VI.
9.-10. VI.
10— 11. VI.
I.
IL
III.
IV.
3451
4032
3199
8318
1531,53
1918,945
1910,65
1932,658
252
159
196,6
209
1783,53
2077,945
2107,25
2141,658
+ 1667,47
+ 1954,055
+ 1091,75
+ 1176 342
Si
1
imme
Mittel
14000
3500
7293,783
1823,445
816,6
204,15
8110,383
2027,595
+ 5889,617
+ 1472,404
Die Stickstoffretention betrug 42 pCt.
Allgemeine Stickstoff-Bilanz der Thyreoidinperiode.
N in Milligramm.
Datam
Vers.-
Tag
Einfnhr In mg yon
900 Mlloh
+ 4Sü Oddalöanng
Harn | Kot
Ausfuhr
(Harn n. Kot)
Bilanz
IL— i2.vn.
12.-13. VII.
18.— 14. VII.
14.— 15. VII.
I.
II.
III.
IV.
5707,8
5909,4
5833,8
6078,2
2686,32
3205,44
3695,72
3360
407,484
460
418
358
3098,804
3665,44
4113,72
3718
+ 2614
+ 2244
+ 1720,08
+ 2355,2
Summe 28524,2 12947,48 1643,484 14590,964 +8933,436
Mittel 5881,05 3236,87 410,871 3647,741 +2233,359
Die Stickstoffretention betrug 36,9 pCt.
Ausnutzung der Nahrung in der Yorperiode
Datum
Versuchs-
Tag
Eingef. N in
Verlust N
durch den
Kot
Verlust
durch den
Kot in Proz.
7 - 8. VI.
8.— 9. VI.
9.-10. VI.
10.-11. VI.
I.
II.
III.
IV.
3,451
4,032
3,199
3,318
0,252
0,159
0,1966
0,209
7,3
8,9
6,1
6,8
Summe
Mittel
14,000
3,5
0,8166
0,20415
6.»
Ausnutzung der Nahrung in der Thyreoidinperiode.
Datam
[
Versochs- Eingef. N. in
Tag g
1
Verlust N
durch den
Kot
Verlust
durch den
Kot in Proz.
11.-12. VII.
12.-13. VII.
13.— 14. VII.
14.-15. VII.
I.
II.
III.
IV.
5,707
5,909
5,833
6,073
0,407
0,460
0,418
0,358
7,1
7,8
7,1
5,8
Summe
Mittel
23,524
5,881
1,643
0,410
6,9
642
Hongardy-Langsteiii, StoffweehselTenaeh
StickstofpTerteQiuig im Harn der Yorperiode, aaf 100 mg N
berechnet, in Prozenten ausgedrückt.
Datam
' Versnchs-
Tag
N
Dtucb
wolfraauiai«
nicht flttbMor
N
7.— 8. VL
8.— 9. VI.
9.-10. VL
10.-11. VI.
IL
III.
IV.
Samme
Mittel
5,9
6,1
6
6,2
87,7
83,2
83,4
89,1
24,2
6,05
343,4
85,8
Harnstoff
N
84
79
80,7
83
326,7
81,67
StickstofF^erteilung im Harn der Thyreoidinperiode, aaf
100 mg N berechnet.
Datam
Versnchs-
I
Durch
Ammonisk I Phosphor-
wolftmmaftore
nicht lillbarer
N
N
IL— 12. VIL
12.-13. VIL
13.-14. VIL
14.-15. VIL
Harnstoff
N
I.
3.3
84
82
11.
3
91
86
IIL
2,9 .
94
89
IV.
3 1
85
81
Samme
12,2 1
354
838
Mittel
3,05 !
88,5
84.5
3. Phosphorbilanz.
Phosphorbilanz der I. Periode
PsOs in Gramm.
Datum
Vers-
Tag
1
Einfuhr i Harn
Kot
Ausfuhr
(Harn u. Kot)
Bilanz
7.- 8. VI.
8.- 9. VL
9.-10. VL
10.-11. VL
I.
IL
IIL
IV.
1,1835
1,1035
1,1155
1,2315
0,4648
0,5227
0,528
0,539
0,2156
0,1255
0,1705
0,2276
0,6804
0,6482
0,6985
0.7666
+ 0,5081
+ 0,4553
+ 0,417
+ 0,4649
S
amme
hiittel
4,6340
1,1585
2,0545
0,5136
0,7392
0,1848
2,7937
0,6984
+ 1,8403
+ 0,4600
Die Phosphorretention betrag 39,7 pCt.
an einem Fall von infantilem Mjxödem.
PhosphorbilaDz der Thyreoidin-Periode.
643
n ♦ Vers..
Datum _,
Tag
Einfuhr
Harn
Kot
Ausfuhr
(Harn u. Kot)
Bilanz
11.-12. VII.
12.-18. VII.
18.-14. VII.
14.-15. VII.
I.
II.
III.
IV.
2,3823
2,3568
2,2748
2,1803
0,702
0,7985
0,928
0,759
1,045
0,9248
0,8288
0,881
1,747
1,7233
1,7568
1,64
+ 0,6358
+ 0,658
+ 0,4175
+ 0,4908
S
amme
Kfittel
9,1432
2,2858
8,1875
0,7968
8,6796
0,9199
6,8671
1,7168
+ 2,1961
+ 0,5490
Die Phosphorretention betrug 24 pGt.
Das Verhältnis von Stickstoff zu Phosphor in der Nahrung,
im Kot und im Harn
NrP.Os.
I. Periode.
Datum
Vers.-
Tag
Nahrung
Harn
Kot
Retiniert
7.— 8. VI.
8.- 9. VI.
9.-10. VI.
10.-11. VI.
I.
IL
III.
IV.
2,91 : 1
3.6 :1
2,8 :1
2.7 :1
3,3:1
3,6:1
3,6:1
3,5:1
1,1 : 1
1,2:1
1,1:1
0,9 : 1
3,3:1
4,2:1
2,6:1
2,5:1
Mittel
3,0 :1
3,5:1
1,1:1
3,2:1
Das Verhältnis von N : PjOj in der Thyreoidinperiode.
n ♦ Vers..
Datum ^^^
Nahrung
Harn
Kot
Retiniert
11.— 12. VII.
12.-13. VII.
13.-14. VII.
14.-15. VII.
I.
11.
III.
IV.
2.4 :1
2.5 :1
2.6 :1
2,8 :1
3,8:1
4,0:1
4,2:1
4.4:1
0,38:1
0,49 : 1
0,5 :1
0,4 :l
4,1 : 1
3.4:1
3,4:1
4,8:1
Mittel
2,57:1
4,1:1
0,44 : 1
3.9:1
4. Kalkbilanz.
Die Kalkbilanz der ersten Periode
GaO in Gramm.
Datum
Vers.-
Tag
Einfuhr
Harn
Kot
Ausfuhr
(Harn u. Kot)
Bilanz
7.- 8. VI.
8.- 9. VI.
9.— 10. VI.
10.- 11. VI.
I.
II.
III.
IV.
1,268
1,193
1,234
1,217
0,4077
0,614
0,4544
0,3978
0,7721
0,5269
0,6315
0,7736
1,1798
1,1409
1,0859
1.0714
+ 0,0832
+ 0,0521
+ 0,1481
+ 0,1496
Si
]
imme
liittel
4,907
1,226
1,8759
0,4689
2,7081
0,6770
4,4780
1,1195
+ 0,4833
+ 0,1088
Die Kalkretention betrug 8,8 pGt.
644
Hoagardy-LaDgstein, Stoffwechselversach
Ealkbiiaaz der Thyreoidinperiode.
Datum
Vers.-
Tag
Einfuhr
Harn
Kot
Ausfuhr
(Harn u. Kot)
Bilanz
11.-12. VII.
12.-13. VII.
13.— 14. VII.
14.-15. VII.
I.
IL
III.
IV.
2,309
2,2855
2,228
2,351
0,6614
0,46
0,5663
0,346
1,461
1,3715
1,3157
1,477
2,1274
1,8315
1,8820
1,823
+ 0,182
+ 0,454
+ 0,346
+ 0,528
S
umme
Mittel
9,1735
2,2934
2,0337
0,5084
5,6252
1,4063
7,6689
1,9159
+ 1,510
+ 0,376
Die Kalkretention betrug 16,4 pCt.
Das Verhältnis von Kalk (CaO) zu Phosphor (PaOß)
in Nahrang, Harn und Kot.
1. Vorperiode,
Datum
Vers.-
Tag
Nahrung
Harn 1 Kot
1
Retioiert
7.- 8. VI.
8.- 9. VI.
9.-10. VI.
10.-11. VI.
I.
II.
III.
IV.
0,9 :1
0,92 : 1
0,9 :1
1,0 : 1
0,87 : 1
1,1 :l
0,86 : 1
0,73 : 1
3,5:1
4,2:1
3,7:1
3,4:1
0,16:1
0,11:1
0,35 : 1
0,32 : 1
Mittel
1,0 :1
0,9 :1
3,6:1
0,23 : 1
Das Verhältnis von Kalk zu Phosphor in Nahrung,
Harn und Kot in der Thyreoidinperiode.
Datum
Vers..
Tag
Nahrung
Harn
Kot
Retiniert
11.-12. VII.
12.-13. VII.
18.-14. VII.
14.-15. VII.
I.
II.
III.
IV.
0,97 : 1
0,9 :1
0,9 :1
1,0 :1
0,94 : 1
0,47 : 1
0,6 :1
0,45 : 1
1,3:1
1,4:1
1.5:1
1,7:1
0,28:1
0,69 : 1
0,82:1
1,0 :1
Mittel
1,0 :1
0,63 : l
1,5:1
0,68 : 1
Wenn auch, wie aus der kritischen Besprechung der er-
hobenen Befunde hervorgehen wird, die Möglichkeit besteht, in
Bezug auf einige Punkte bezüglich des Stoffwechsels beim infantilen
Myxödem feste Anschauungen zu gewinnen, so kann eine er-
schöpfende Deutung doch nicht gegeben werden. Die Schwierig-
keiten, die sich einer solchen entgegenstellen, sind nicht nur
spezieller, für den vorliegenden Fall geltender Natur, sondern
allgemeinerer Art. Sie erklären sich vor allem aus der Unmöglich-
an einem Fall von infantilem Myxödem. 645
keit, einen solchen Yersuch durch eine längere Zeitperiode, ^rie
dies für den Erwachsenen üblich, auszudehnen, und es hat etwas
Missliches, aus kurzen Perioden allgemeine Schlüsse zu ziehen.
Ausserdem ist der hier mitgeteilte Versuch der einzige bisher in
der Literatur vorliegende, so dass Parallelen nicht zu ziehen sind.
Es lag auch nicht die Möglichkeit vor, durch einen Stoffwechsel-
versuch an einem normalen Kinde zur Klärung beizutragen, da
sich der über zwei Jahre alte Knabe in seiner körperlichen Ent-
wicklung ebenso verhielt, wie ein ungefähr im 10. bis 12. Monate
befindlicher Säugling. Stoffwechseluntersuchungen aa diesen
Kindern liegen aber bisher in der pädiatrischen Literatur leider nicht
vor, und wir selbst haben darauf verzichtet, einen solchen an-
zustellen, da ein Vergleich im vorliegenden Fall doch Einwänden
Raum gegeben hätte. Dass die beiden Stoffwechselperioden nicht
unmittelbar einander folgten, hatte in der eingetretenen Störung
des guten Befindens des Kindes seinen Grund. Dies erschwert
einen Vergleich ebenso wie die notwendig gewordene Änderung
der Nahrungsquanten. Die Schwierigkeiten allgemeinerer
Natur, die sich der exakten Deutung der Resultate ent-
gegenstellen, sind dadurch begründet, dass von dem grossen
Yersuchs-Material, das speziell bezüglich des Phosphor- und
Kalkstoffwechsels in der Literatur niedergelegt ist, nur ausser-
ordentlich wenige Untersuchungen allen Anforderungen genügen,
und für die Pädiatrie speziell eigentlich das meiste zu schaffen ist.
Nach diesen einleitenden Worten wollen wir die Ergebnisse
der Untersuchung kurz und vorsichtig kritisieren.
Was zunächst die allgemeine Bilanz der Einnahmen und
Ausgaben anbelangt, so sehen wir, dass die Diurese in der
Thyreoidinperiode ungefähr in dem Umfange ansteigt, als dem
Plus an zugeführter Flüssigkeit entspricht; sie zu beurteilen, ist
deswegen schwierig, weil die zweite Stoffwechselperiode in eine
sehr heisse Zeit fiel, in der das Kind viel Schweiss verlor.
Aus der Berechnung der Stickstoff bilanz ergibt sich, dass die
Retention in der ersten Periode 42 pCt., in der zweiten Periode
36,9 pCt. beträgt — also kein wesentlicher Unterschied. Die
Retentionen stehen ungefähr in demselben Verhältnisse, wie die
zugeführten Mengen; in absoluten Zahlen ausgedrückt, beträgt sie
in der ersten Periode 1,472 g, in der zweiten 2,233 g. Die Aus-
nutzung der stickstoffhaltigen Nahrung ist in beiden Perioden
eine vorzügliche, sie beträgt 94,1 resp. 93,1 pCt. Diese Tatsache
ist bemerkenswert, da Vermehren in der zitierten Arbeit von
646 Hoagardy-Laogstein, StoffwechselTersuch
einer ausserordentlich schlechten AusnutzuDg der stickstoffhaltigen
Nahrangsbestandteile spricht, die sich erst auf Thyreoidin besserte.
Möglicherweise ist diese Tatsache in den Versuchen Yermehrens
unabhängig von dem myxödematösen Zustand. Ewald gibt au,
dass bei der Thyreoidintherapie des Myxödems die Ausnutzung
eine vorzügliche ist. Als wichtiges Ergebnis unserer Unter-
suchungen möchten wir den Befund bezeichnen, dass der grösste
Teil des Stickstoffs im Harn der unbeeinflussten Periode als Harn-
stoff ausgeschieden wird, dass also, wie aus den früheren Unter-
suchungen möglicherweise erschlossen werden konnte, eine In-
suffizienz der Harnstoffbildung nicht besteht. Während in der
ersten Stoff wechselperiode 81,67 pCt. des Stickstoffs als Harnstoff-
Stickstoff zur AusscheiduDg gelangen, beträgt dieselbe in der
Thyreoidinperiode 84,5 pCt. — ein Unterschied, der innerhalb der
Fehlergrenzen der angewandten Methodik gelegen ist^). Auf die
anderen durch Phosphor -Wolframsäure nicht fällbaren Körper
entfallen ungefähr 3 bis 4 pCt. des Gesamtstickstoffs').
Unter diesem leitenden Gesichtspunkte haben wir ebenfalls
untersucht, ob in den beiden Stoffwechselperioden Aminosäuren
ausgeschieden werden, und sind dabei vollständig dem von
Ignatowsky angegebenen Verfahren gefolgt. Die Harne jeder
einzelnen Periode wurden vereinigt und nach dem modifizierten
Verfahren von Emil Fischer und Bergell untersucht. Es ge-
1) Ord and Georg iewskj geben an, dass in den von ihnen an Myx-
ödematösen angestellten Stoffwechselyersuchen während der Thyreoidinperiode
der grösste Teil des Stickstoffes als Harnstoff zur Ausscheidung gelangte.
*) Speziell in letzter Zeit ist man gewöhnt, diesen Stickstoff als Amino-
säurenstickstoff zu bezeichnen. Da in der pädiatrischen Literatur bei den
Stoffwechseluntersnchungen auf die Stickstoff Verteilung des Harns grosser
Wert gelegt wird, ist es vielleicht am Platze, kurz die Kritik wiederzugeben,
die Ignatowsky, ein Schüler Friedrich Müllers, erst jüngst an den bei
solchen Bestimmungen in Anwendung gebrachten indirekten Methoden geübt
hat. Ignatowsky zeigt, dass höchstens ein geringer Anteil des durch
Phosphor -Wolframsäure nicht fällbaren Stickstoffs auf Aminosäuren, ein
grösserer Teil wohl auf den Stickstoff der Hippursäure entfällt. Er weist
ferner darauf hin, dass die Methodik auch in geübten Händen beträchtliche
Fehler birgt, so dass man auf die indirekt ermittelte Differenz des Harnstoff-
stickstoffs und des durch Phosphor -Wolframsäare nicht fällbaren Stickstoffs
nicht allzugrosses Gewicht legen darf, vielmehr verlangen muss, dass, im Falle
die Werte für den Harnstoffstickstoff abnorm ausfallen, erst der positive Nach-
weis des Vorhandenseins von Aminosäuren erbracht werde, bevor die Differenz
auf diese bezogen wird.
an einem Fall von infantilem Myxödem. 647
lang ans nicht^Naphtbalinsuifoverbindangen der Aminosäuren dar-
zustellen.
Bezüglich der Ammoniakwerte ist zu bemerken, dass der
Koeffizient in der ersten Periode 6, in der zweiten 3 beträgt, die
absoluten Mengen Ammoniaks jedoch ungefähr die gleichen sind.
Der Übersicht halber soll der PhosphorstofFwechsel gemein-
sam mit dem EalkstofFwechsel besprochen werden.
In der ersten Periode wurden von 1,1585 g Phosphor 0,46 g
retiniert, also 39,7 pCt., in der zweiten von 2,2858 g 0,549, also
24 pCt. Im Kote wurden in der ersten Periode ungefähr 18 pCt.,
in der zweiten 40 pCt. des eingeführten Phosphors aus-
geschieden; von 1,226 g Kalk wurden in der ersten Periode täg-
lich nur 0,1083 g, in der Thyreoidinperiode von 2,2934 g 0,376 g
retiniert, die Kalkretention betrug in der ersten Periode demnach
8,8, in der zweiten 16,6 pCt. Die Kalkausfuhr im Kote stieg in
der Thyreoidinperiode auf 61 pCt. Wir sehen demnach, dass
bei Mehrzufuhr von Sticksto£F, Phosphor und Kalk absolut mehr
retiniert wird; prozentisch sinkt jedoch in der Thyreoidinperiode
die Retention des N und P, während die des Kalkes nicht nur
prozentisch, sondern auch absolut ansteigt.
Sich eine richtige Vorstellung von dem Phosphorstoffwechsel
beim Myxödem zu machen, ist deswegen nicht leicht, weil erst
in alleijüngster Zeit sich unsere Anschauungen über die Physio-
logie des Phosphorstoffwechsels zu klären beginnen. Ins-
besondere durch die Arbeiten von Ehrström, Büchmann,
L. F. Meyer, wissen wir, dass Stickstoff- und Phosphorstoffwechsel
ziemlich unabhängig von einander sind, dass die aus dem Ver-
hältnis von Stickstoff zu Phosphor gezogenen Schlüsse fast
illusorisch werden. Soviel steht fest, dass einer erhöhten Phosphor-
einfuhr auch eine erhöhte Retention entspricht und dass im Kote
physiologischerweise Mengen bis zu 30 pCt. des eingeführten
Phosphors wieder erscheinen; die Retention des Phosphors in
unserer unbeeinfLussten Versuchsperiode muss als ausserordent-
lich hoch bezeichnet werden, ebenso wie die Ausfuhr durch den
Kot in der mit Thyreoidin behandelten. Da wir wissen, dass
für den Phosphorgehalt des Kotes 3 Quellen in Betracht kommen,
der unresorbierte Phosphor, der Phosphor des Darmsekrets als
solchen und der durch die Darmwand ausgeschiedene, besteht
die Unmöglichkeit, zu sagen, auf Kosten welcher Fraktion die
Mehrausscheidung des Phosphors in der Thyreoidinperiode zu
setzen ist; soviel können wir wohl sicher annehmen, dass ein
648 Hottgardy-LangstelD, Stoffwechsel versach
Teil der Mehraasscheidang in der zweiten Periode durch die er-
höhte Ealkausfahr bedingt ist, der ja, wie von Noorden gezeigt
hat, den Phosphor mitreisst. Bei den hohen Werten der Phosphor-
ausfahr in der Thyreoidinperiode, die wir erhalten haben, ist es
immerhin bemerkenswert, dass schon von anderer Seite auf die
Beeinflnssang des Phosphorstoffwechsels durch die innere Sekretion
der Schilddruse aufmerksam gemacht worden ist. Roos kommt
auf Grund seiner sorgfältigen Versuche über die Einwirkung der
Schilddrüse auf den Stoffwechsel des Hundes zu der Anschauung,
dass der Schilddrüse ein erheblicher Einfluss auf den Phosphor-
stoffwechsel zukommt, denn der Mehrausscheidung von P. bei
Einnahme von Schilddrüse entsprach in seinen Versuchen eine
Verminderung auf fast die Hälfte nach Entfernung des Organs.
Roos sagt: „Ob dieser Einfluss der Schilddrüse so zu denken ist,
dass die Ausscheidang des Phosphors ohne die Schilddrüse nicht
genügend stattfinden kann, so dass ohne dieselbe eine Art von
Phosphorretention zustande kommt, oder ob der Organismus nur
mit Hülfe einer von der Schilddruse gelieferten Substanz genügend
Phosphor assimilieren kann, dafür müssten erst weitere Anhalts-
punkte gewonnen werden."
Ein interessantes Relief zu den Versuchen von Roos bildeten
die an der Klinik von Kraus ausgeführten Stoffwechselversuche
von Scholz an Basedowkranken. Söholz konstatierte bei der
Thyreoidinbehandlung von Basedowkranken eine Erhöhung der
Phosphorausscheidung durch den Kot um den zehnfachen Betrag •
bei den Gesunden' trat eine Erhöhung um ungeföhr 24 pCt. ein.
Scholz bekennt sich auf Grund dieses Ergebnisses zu der An-
schauung, dass die Glandula thyreoidea einen gewichtigen Einfluss
auf den Phosphorstoffwechsel ausübt. „Dieser Einfluss der Schild-
drüse wird so zu denken sein, dass ohne dieselbe eine Phosphor-
retention und unzweckmässige Verwendung im Körper resultiert,
während krankhaft gesteigerte Tätigkeit der Drüse einen intesti-
nalen Phosphor- Diabetes und damit vielleicht allmählich empfind-
lichen Phosphormangel zur Folge hat. Der Tatsache, dass die
Phosphorausfuhr vorwiegend durch den Darm erfolgt, legt Scholz
mit Rücksicht auf die bisherigen Kenntnisse des Phosphor-
stoffwechsels kein grosses Gewicht bei. Zugunsten seiner Auf-
fassung führt er an, dass Kocher bei seinen Basedowkranken
durch Eingabe von Natriumphosphat Besserung erzielt, und er
weist auch hin auf die nicht allzu seltenen Knochenaffektionen
bei Basedowkranken.
ftn einem Fall yon infantilem Myxödem. 649
Da von anderen Forschern, so von Magnus-Levy, von
£. Yoit, eine Beeinflassang des Phosphorsto£Fweclisels durch das
Thyreoidin nicht gefunden wurde, möchten wir auch unsere
Resultate vorläufig nicht in dem Sinne verwerten, wie Roos und
Scholz; doch erscheint gerade unter dem Gesichtspunkte der
Arbeiten dieser beiden Forscher die Phosphorretention resp. die
durch das Thyreoidin bedingte Phosphormehrausscheidung in
unserem Falle bemerkenswert. Leider fehlt in den Versuchen
von Scholz die Ealkbilanz, die uns etwas Näheres über die Art
der von ihm konstatierten Phosphorausscheidung sagen wurde,
und in unseren Versuchen kommt als ein die Beurteilung ausser-
ordentlich komplizierender Faktor hinzu, dass wir es mit einem
wachsenden Organismus, mit einem Kinde, zu tun haben.
Noch ein paar Worte über den Kalkstoffwechel. Hier fällt
vor allem die ausserordentliche geringe Retention von Kalk in
der unbeeinflussten Stoffwechselperiode auf, obwohl genügend Kalk
in der Nahrung geboten wurde and auf Grund der Unter-
suchungen von Reidel die Verhältnisse für die Ealkresorption
in unserem Falle als ausserordentlich günstig bezeichnet werden
müssen. Die Zahl von 0,1083 g retinierten Kalkes pro die
ist mit Rü(^ksicht auf die Angaben von F. Voit, dass dieselbe
beim Kind normalerweise ungefähr 0,3 beträgt, ausserordentlich
gering, so dass man wohl auf Grund unserer Stoffwechselbilanz —
ohne sich in das Gebiet der Hypothese zu verlieren — von einem
Damiederliegen des Kalkstoffwechsels beim infantilen Myxödem
sprechen kann. Ungleich besser stellt sich die Kalkbilanz in der
Thyreoidinperiode, in der 0,376 pro die retiniert wurden, wenn
wir auch bei der Beurteilung dieser Tatsache nicht vergessen
dürfen, dass die Kalkausscheidung sich verzögern kann, so dass
eine Retention möglicherweise nur vorgetäuscht ist; immer-
hin erscheint es doch sehr bemerkenswert, dass in der Thyreoidin-
periode die Menge retinierten Kalkes im Gegensatz zu der des Stick-
stoffs und Phosphors nicht nur absolut, sondern auch prozentisch
anstieg, und wir dürfen wohl von einer Erhöhung des Kalkstoff-
wechsels durch Zufuhr von Thyreoidin sprechen — dies um so
eher, weil wir aus den klassischen Untersuchungen Eiseisbergs
den Einfluss der Schilddruse auf das Knochenwachstum kennen:
eine Tatsache, die ja zum Versuch einer Schilddrüsenbehandlung
der Rachitis geführt hat.
Wir beabsichtigen, den hier mitgeteilten Versuch dadurch
zu vervollständigen^ dass wir einen Stoffwechselversuch mit Be-
jAbrbuch f. KJDderhellknnde. N. F. LXT. Heft 4. 42
650
Hoagardy-Langstein, Stoffwflchselversaoh
rücksichtigung der Kalk- und Magnesiaausfuhr bei mit maximalen
Dosen von Thyreoidin gefütteHen Hunden anschliessen.
Yersuchs-Protokolle.
I. Tag.
Stiekstoff.
n
5 com Milch verbr.
10 com Odd&lösang yerbr.
Gesamt- N in 10 ccm Harn u, Spülwasser
18,6^8
18.6^8
38,1 ^sf
10'
Ammoniakstiekstoff in 80 ccm
Ko^
28 mg N.
6,04 mg N.
89,27 mg N.
7 mg N.
Stickstoff der durch Phosphorwolframs&are f 12,4 S
nicht f&llbaren Substanzen!)
I^fosl
i;^;*^} 17,23 mg N.
HaroBtoff-N in 5 ccm P*'' ^^?| 16,52 mg N.
llI,7 10S/ *
KotN in 0,3888=12,5^8
Phosphor und Kalk in P|()( und CaO.
25 ccm Milch ^^»^ g P.O, + 0,0482 g CaO
10,0478 g P,0, + 0,0488 g CaO
50 ccm Harn u. Spülwasser P^^f^ « o'^* t n'^^^ ^ ^'^
*^ 10,0685 gPfOj +0,056 g CaO
1,0042 g Kot enthalten 0,0829 g PfO|
0,8572 g Kot enthalten 0,1361 g CaO
n. Tag.
Stickstoff.
5 ccm Milch
10 ccm Harn u. Spülwasser
Ammoniak-N in
34.1^S|
24,2^8
|27,3^S|
5.0^8
n _
33,81 mg N.
88,15 mg N.
i.
mg N.
10'
>) Wir bezeichnen ihn künftig als Ng.
aa einem Fall von infantilem M jz5dem
n
IM
Nt in 5 ecm
661
Harnstoff-N in 5 ccm
15,89 mg N.
15,12 mg N.
Kot-N in 0,4783 r= 16,3 ^ö S »= 33,82 mg N.
Phosphor and Kalk.
ox ii-, u /^Ö44 g P.O, + 0,0432 g CaO.
25 cem Milch ^^^^^^ ^ P,0, +0,0448 g CaO.
^ „ . „ . (0,0615 gP,0,+ 0,078 gCaO.
50 cem Harn + Spfilwa«.er (^ ^g^g ^ p^^^ ^ ^^ ^^^^ ^ ^aO.
1,14 g Kot enthalten 0,2002 g CaO.
1,1281 g Kot enthalten 0,038 g PiO«.
III. Tag.
Stickstoff.
5 ccm Milch
10 ccm Harn -f* Spülwasser
18.3^S|
18,1^S
26,4
10*
±<
10*
Ammoniak-N in 30 ccm
Nj in 5 ccm <
Harnstoff- N in 5 ccm
|26,6^S
4,9 ^S
4,8j^3S
11 ^S
10,7^8
10,7 ^S
25,48 mg N.
37,1 mg N.
6,7» mg N.
15,47 mg N.
14,98 mg N.
0,3062 g Kot = 10 jQ S = 14 mg.
Phosphor und Kalk.
25 ccm Milch ^^^^^^ ^ P,0s + 0,0475 g CaO.
'^.. u ^ Q -1 l^'^^^2 g P,05 + 0,0572 g CaO.
dO ccm Harn + Spulwasser ^^^^ ^ p^^^^ _^_ ^ ^^^^ ^ (,^q
1,072 g Kot enthalten 0,0425 g P1O5.
1,2022 g Kot enthalten 0,1809 g CaO.
42*
662
Hoogardj-Laogsteio, Stoff weelueUenaeh
IV. Taff.
Stickstoff.
5 com Milch
10 ccm Harn -f* Spülwasser
19 is
19,1 ^S
26,6 ^&\
•28.8^ s(
26,67 mg N.
40,18 mg N.
Ammoni»k-N in 30 ccm '
7,49 mg N.
N, 10 5 ccm I *^ \ 17,92 mg N.
|l2.9äs|
Harnstoff-N in 5 ccm f ^^ \ 16,780 mg N.
P löS)
0,277 g Kot = 6,9 ^ S = 9,66 mg N.
25 ccm Milch
Phosphor und Kalk.
10,0459 g P,0» + 0,0483 g CaO.
10,0449 g P,0. + 0,0191 g GaO.
oO ccm Harn + Spülwaaser ^.^ p^^^^ ^„^ ^^^,^^^^ ^ ^^^^g ^ ^^^
1,0052 g Kot enthalten 0,038 g P|0|.
1,000 g Kot enthalten 0,1289 g CaO.
Y. Tag.
Stickstoff.
Jjg g I
5 ccm Milch l ^^ \ 25,2 mg N.
(is^sl
10 ccm Harn -|- Spulwasser
AmmoLiak-N in 25 ccm
2,8^S|
3-2,8 jö
32,8 ^s|
45,92 mg N.
s
^3,78 mg N.
«n eioem Fall Ton infaDtilem Myxödem.
663
N| in 5 ccm
{ IJ* } 19,46 mg N.
14,0 jöS
Harn Stoff- N in 5 cem
|1«,2^S
10'
|18,0^S
k 18,84 mg N.
0,703 g Kot = 19,8 j^ S == 27,72 mg N.
Phosphor und Kalk.
25 ccm Milch
(0,0479 g P,0, + 0,0500 g CaO.
)0,0488 g P,0» + 0,0508 g GaO.
inn TT • . Q -1 1^'^^^^ 8 P.O, +0,1186 g CaO.
100 ccm Unn + Spülwasser ^^^^^ ^ P.Os +0.1124 g CaO.
0,785 g Kot enthalten 0,0544 g PiO».
1,4662 g Kot enthalten 0,1487 g CaO.
VI. Tag.
Stickstoff.
5 ccm Milch <
10 com Harn + Spülwasser i
Ammoniak-N in 25 ccm ^
18,7 ^S|
n
lö
n
lö
n
lö
2,4-
18,9
29,0
28,6
10
26,82 mg N.
»'40,82 mg N.
mg N.
N2 in 5 ccm <
(»8-2 ä
(18,2iöS
Harnstoff-N in 5 ccm i
12,5^8
12,5^8
y 18,48 mg N.
}.17,5mgN.
0,4861 g Kot = 12,2 j^ 8 = 17,08 mg N.
Phosphor and Kalk.
« <..™ M.-I.l, '<^'^* K P,0. + 0,0490 g CaO.
2o ccm Milch ^oojjg ^ p,0, +0,0498 g CaO.
.^ „. ,c , (0,09998 gP,0, + 0,0575 g CaO.
100 ccm üriD + SpQlwaa.er ^^^^^ ^ p^^^ ^ g p^^^^ ^^^ ^^j^^^^
0,6856 g Kot enthalten 0,045 g PtO,.
0,958 g Kot enthalten 0,0855 g CaO.
654
Hoagardj-Langstein, Stoffwechselvenach
VII. Tag.
Stickstoff.
5 ccm Milche
18,5
n
10 ccm Harn 4- Spülwasser ^
[18,5 j^Sj
26,8 ^S
26,8 ^S
S,9 mg N.
^37,52 mg N.
Ammooiak-M in 25 ccm
Nj in 5 ccm
Jl2,(
|l2,(
,8 j-Q S
Harnsloff-N in 5 ccm •
.2,8 mgN.
17,78 mg N.
16,8 ^S.
0,7491 = 19,5 Yq S = 27,30 mg N.
/0,0
25 ccm Milch ^qq
Phosphor und Kalk.
/0,0512 g P,0, +0,0474 g CaO.
),0524 g P,0, + 0,8482 g CaO.
inn TT I G - 1 P'^^^1 « PfOs + 0,0576 g CaO.
100 ccm Harn + Spulwasser ^^^^ ^ P,0, +0,0572 g CaO.
0,505 g Kot = 0,032 g P,0,.
1,306 g Kot = 0,1315 g CaO.
Vm. Tag.
Stickstoff.
5 ccm Milch
10 ccm Harn + Spülwasser
Ammoniak-N in 25 ccm
19.4 j^S
19.5 ^S
n
38,4 jqS
38.4 ^ S
n _
10'
3,0
27,23 mg N.
53,76 mg N.
4,06 mg N.
an einem Fall von infantilem Myxödem.
666
Ns in 5 ccm
Harnstoff-N in 5 ccm
16,2 ^S
IM^S
15,6 ^S
15,8 ^S
2,82 mg N.
21,98 mg N.
0,8792 g Kot = 21,4 jq S == 29,96 mg N.
Phosphor and Kalk.
25 ccm Milch
rO,0475 g PjOs + 0,0514 g CaO.
10,049 g PaOs + 0,0509 g CaO.
,nn u . Q -1 P'^2^ K P2O5 +0,0557 g CaO.
100 ccm Harn + Spülwasser |q ^ggj ^ P.O* +0,0549 g CaO.
0,582 g Kot = 0,0488 g P.Os.
0,6 g Kot = 0,0884 g CaO.
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Zeitschr. f. Biologie. Bd. 95. 1897.
Vereinsberichte
Bericht Aber die 8. Versammlung der Verelnigungr
sttddeatseher Kinderärzte
am IL Dezember 1904 za Frankfurt a« M.
1. 6 e r n 8 h e i m -Worms, Fall TonHernla lambalis spUFla bei Sjftbrigem
Mädchen, die im 1. Lebensjahre sich im Anschlnss an Poliomyelitis ent-
wickelt hat.
2. PriTatdozent H. Koeppe-Giessen. Blutforsehung and Seram-
therapie. (Der Vortrag erscheint im Jahrbuch als Originalmitteilnng.)
8. Dr. A. de Bary- Frankfurt a. M. Fälle YOn angewöhnlieher
WaehstamsstOranff des Obersehenkels. 8 Fälle. Bei 2 Kindern ein-
seitige, bei einem doppelseitige, von der unteren Femurepiphjse ausgehende
Wachstumshemmung des Oberschenkels, welche zu Verkürzungen Ton 8 bis
10 cm geffihrt haben. Die Epiphyse dabei verdickt, plump, ron unregel-
mässiger Form, an Stelle der Knorpelepiphyse ist eine knöcherne Kante
durchzufühlen. Röntgenaufnahme ergab in allen Fällen einen dichten
(Knochen-) Schatten, welcher die Epiphysenlinie durchsetzte und strahlige
Verästelungen in den Bereich des epiphysären und diaphysären Knochens
anssandte. Von der Epiphysenknorpellinie wären nur noch Reste vorhanden,
welche unregelmässig gelagert waren und zur Erklärung der Deformierung
der Epiphyse heranzuziehen sind. Die Knorpelungen der übrigen Knochen
der Kinder, die im Alter von 11 — 13 Jahren standen, waren normal.
Ätiologisch waren die gewöhnlichen ursächlichen Momente der Epi-
physenlösung (schweres Trauma, Osteomyelitis, Tuberkulose) anszuschliessen,
auch die hereditäre Syphilis konnte in 2 Fällen bestimmt ausgeschlossen
werden und war nur in einem (einseitigen) Falle mit Rücksicht auf die
Anamnese nicht ganz abzulehnen, obwohl das Kind nie Erscheinungen florider
Lues gezeigt hat. Dagegen waren alle drei Kinder früher sehr rachitisch,
und lernten erst mit 4 — 5 Jahren laufen. Dieses Moment bei Rachitis wird
für die Ätiologie infofem verwertet, als angenommen wird, dass bei den
weichen hyperämischen, rachitischen Knochen geringfügige Traumata, ähnlich
wie zu Frakturen, auch zu Verletzung, also partieller Lösung der Epiphyse
führten, welche mit vorzeitiger Verknöcherung ausheilten. Dafür spricht
auch die Stelle der Erkrankung, indem gerade das untere Femur-Ende bei
dem häufigen Fallen der Kinder auf die Knie relativ oft traumatischen In-
sulten ausgesetzt ist.
4. Dr. Gaben -Brach-Frankfurta.M. a) Fall von multipler L&hmang
der Arme und Beine nach Poliomyelitis. Der lOjährige, mit hochgradigen
Pedes vari behaftete Knabe verfügt an den oberen Extremitäten fast nur
658 Vereiosberichte.
aber die Schultermuskulatnr, die ihn u. a. bef&higt, tod grossem Talent
zeugende farbige Zeichnungen zn entwerfen.
b) Fall von SklePOdermie bei 4j&hrigem Mädchen, seit etwa einem Jahr
bestehend. Indaratives Stadium mit beginnender Atrophie.
5. Dr. Grossmann-Frankfurt a. M. a) Ein Kind Ton Vs Jshre, bei
dem am 7. Tage post partum eine apfelsinengrosse, bereits eitrig belegte
und an einer Stelle perforierte Myelomeningoeele der Sakralgegend ezstirpiert
wurde. Glatte Heilung.
b) Ein 1 jähriges Kind, das im Oktober d. J. wegen einer Menln-
Sroeele saeralls anterior operiert wurde. Der Fall stellt ein Unikum dar,
insofern der hühnereigrosse Tumor nicht in das Becken hineingewachsen
war, sondern unter den Weichteilen der rechten Glntaealgegend zum Vor-
schein kam, so dass er von hier aus entfernt werden konnte« Glatte Heilung.
Das Röntgenbild zeigt deutlich einen Defekt der drei unteren Sakralwirbel-
körper auf der rechten Seite.
c) Ein Kind von Vs J^l^re mit einer reehtsseitigen angeborenen
Kntegelenksluxation nach vorn.
6. Professor M. Neiss er- Frankfurt a. M. Ober Agglutination. Das
Agglutinationsphänomen berührt zwei Forschungsgebiete. Einmal die
Immunitätslehre, welche zumal seit der Ehrlich sehen Seitenketten lehre,
plausible und fruchtbare Vorstellungen für das Zustandekommen des Agglotinins
geschaffen hat. Die Ehrlichsche Seitenkettenlehre hat auch die erste
plausible Erklärung für die rätselhafte Spezifität der Agglutinationsreaktion
und für die noch rätsei halte ren Ausnahmen von dieser Regel geliefert. Es
blieb noch zu erklären, welche Kräfte die mit dem Agglutinin beladenen
Bakterien zusammentübren, sodass sie nunmehr Haufen bilden. Das neuere
Studium der Golloide hat auch hier Erklärungen geschaffen. Danach sind
es in letzter Linie die Ionen der Salze, welche infolge ihrer elektrischen
Ladungen ausflockend zu wirkend imstande sind. Die Ausflockung der mit
Agglutinin beladenen Bakterien steht in Parallele zu der Ausflockung feinster
Ton partikelchen etc. durch Salze. Viel wunderbarer ist es, dass normale
Bakterien, die ja auch Suspensionen sind, durch Salze nicht ausgeflockt
werden. Es beruht das in dem Eiweisscharakter der Bakterien, da Eiweiss-
Substanzen gleichsam Schntzkörper gegen die Salzausflockung sind. Diese
Schutzkörper der Bakterien bilden im Tierkörper einen Antischutzkörper,
der die Bakterien ihres Schutzkörpers beraubt.
7. A. y. Mettenheim er- Frankfurt a. M.
a) Mlkromelie bei einem 7 jährigen Mädchen.
b) Fälle mit Missbildung der Mundhöhle.
a) omonatl. Kind mit Spaltung der Zunge.
ß) 4 Fälle von partiellem Mangel des knöchernen Gaumen-
gewölbes ohne gleichzeitigen Mangel der Gaumensehlelmhaat.
(Insuffiz. velo-palatina Lermojez.) ,
8. Dr. Blumenfeld -Kassel berichtet über die dortselbst seit Mai d. J.
bestehende und von ihm ins Leben gerufene MilehkQehe fdr S&llglinge.
Die Milcbküche stellt sich die Aufgabe, in erster Linie an Minderbemittelte
und Ud bemittelte eine einwandsfreie, dem jeweiligen Alter entsprechend
zusammengesetzte Säuglingsnahrung in trinkfertigen Einzelportionen zo
billigem Preise abzugeben. Während die Anstalt anfangs auf die Wohltätig-
Vereioigang niederrheinisch-westf&lischer Kinderärzte. 660
keit weitester Kreise angewiesen war, wird jetzt aus städtischen Mitteln ein
namhafter Zaschnss gewährt, so dass keine finanziellen Schwierigkeiten mehr
bestehen« Vortragender erläutert an der Hand von Abbildungen die muster-
giltigen Einrichtangen der Milchkfiche, und dürfte diese wohl die erste sein,
welche im grossen und ganzen den Grundsätzen entspricht, die Schlossmann
auf dem letzten Naturforschertag in Breslau anfgestellt hat. [Von dem mit-
geteilten Zahlenmaterial sei erwähnt, dass während der letzten 6 Monate
(Mai bis Oktober) ca. 110000 Flaschen Säuglingsnahrnng verabreicht wurden:
Die Zahl der Terpflegton Kinder betrug durchschnittlich 110. Der Verbrauch
an Milch beziffert sich auf mehr als 20000 Liter.]
Vereinigung niederpheiniseh-westfällsehep Kinderärzte.
19. Sitzung am 13. November 1904 zu Köln.
Herr Seiter - Solingen stellt einen 9 jährigen Knaben vor mit
progressiver Muskelatrophie (Pectoralis), Schulterblattmuskulatur, Biceps völlig
atrophierty die übrige Armmnskulatur bis auf kleine Funktionsreste. Räckeo-
muskulatur völlig atrophisch, Oberschenkel- und Unterschenkelmuskulatur
erheblich in der Funktionsfähigkeit herabgesetzt. Tibialis p. und Gastroknemius
erhalten. Gesichtsmuskiilatur wenig funktionsfähig — Muskelerregbarkeit
herabgesetzt, keine £ntartungsreaktion, keine Sensibilitätsstörungen, keine
SphinkterläbmuDgen. Dabei ist der Knabe leicht imbezill, trotz 3 jährigen
Unterrichts nicht in der Lage, leichte Exempel (4 -|- 3) zu lösen. 'S. ent-
wickelt dann die Änderungen in den Anschauungen über die Art der Er-
krankung und führt zum Schiasse die von Torgar in Nothnagels Lehr-
buch angegebene Einteilung in spinale, neurale und myogene Formen der
Muskelatrophie an, innerhalb deien es allerhand Übergänge und Misch-
formen gibt.
Herr Maas -Aachen Über Taubstummheit führt aus: Unter
Taubstummheit versteht man denjenigen krankhaften Zustand, welcher auf
einer angeborenen oder im frühen Kindesalter erworbenen Anomalie des
Gehörorganes beruht, infolge welcher eine dauernde und so bedeutende
Herabsetzung des Gehörs eingetreten ist, dass das Individuum durch Hülfe
des Gehörs allein die Sprache nicht erlernen konnte oder die Sprache, falls sie
schon beim Eintritt der Taubheit erlernt war, nicht auf diese Weise hat er-
halten können. Demgemäss unterscheidet man eine angeborene und eine er-
worbene Taubstummheit; diese ist etwas häufiger als jene. Das männliche
Geschlecht wird von der Taubstummheit häufiger betroffen als das weibliche.
Als Ursache der angeborenen Taubstummheit betrachtet man die Vererbung
und die Blutsverwandtschaft der Eltern. Die erworbene Taubstummheit ent-
steht am häufigsten im Anschluss an Himentzündung und epidemischer
Genickstarre, ferner durch Ohrenerkrankungen im Anschluss an Scharlach,
Diphtherie, Masern, Typhus, Mumps, Influenza, Keuchhusten und Lungen-
entzündung. Die meisten Erkrankungen, welche zur Taubstummheit führen.
660 Vereinsberiohte.
treten im 2. Lebensjahre aaf. Man nimmt im allgemeinen an, dass vor dem
8. Lebensjahre erworbene Taubheit regelmftssig zur Taabstammheit führt,
in einzelnen Fällen trat noch bei Erkrankung nach dem 18. Lebensjahre
Scummheit auf. Die Verhütung der Taubstummheit wäre in vielen Pälleo
möglich, wenn man den Ohrenleiden der Kinder grössere Beachtung schenkte.
Von grosser Wichtigkeit für die Ausbildung der Taubstummen ist der
systematische Taubstummenunterricht, welcher sich besonders in Deutschland
zu hoher Blüte entwickelt hat. Neuerdings versucht man die vorhandenen
Hörrestc der Taubstummen durch geeignete Uörübungen besser auszunutzen.
Genauere Untersuchungen an Taubstummen haben nämlich ergeben, dass viele
noch über einen ansehnlichen Hörrest verfügen ^).
Herr Brehmer- Solingen berichtet über einen Fall von Blennorrhoea
neonatorum mit Arthritis gonnorrhoica und demonstriert eines der eitrigen
Gelenke mit den mikroskopischen Präparaten des gonokokkenhaltigen Binde-
haut- und Gelenkeiters. Bericht über die Literatur das seltenen Falles
von Ophthalmoblennorrhoe mit Arthretis blennorrhoica erscheint an anderer
Stelle ausführlicher.
Herr Seiter demonstriert Präparate eines Falles von eitriger
Pericarditis. Dieselben stammen von einem ca. 3 Monate vorher von
Empyema pleurae operierten Falle, der angeblich gut ausgeheilt war. Bei
der klinischen Beobachtung fand sich eine Herzfigur, die oben an der
2. Rippe abwärts, aber sonst keine Vergrössernng zeigte. Spitzenstoas loco
typico, keine Geräusche. Die Leber war stark vergrössert, hart, druck-
empfindlich. Gesieht gedunsen, leicht livide. Keine Temperatursteigerung.
Punktion des Herzbeutels erfolglos. Bei der Autopsie fand sich der Herz-
beutel an der Herzspitze in ziemlich grosser Ausdehnung verwachsen, desgl.
an den Austrittstellen der grossen Gefässe, dazwischen zog sich ringförmig
um das Herz ein Wall von Eiter (ca. eine Tasse voll). Hierdurch wurde
der negative Erfolg der Punktion und der Mangel von physikalischen An-
zeichen für Pericarditis erklärt
Herr Rensburg-Elberfeld: Pädiatrische Arbeiten fiber Körpersäfte
(Blut, Serum) in diagnostischer und therapeutischer Beziehung (Sammelreferat,
zu kurzem Referate nicht geeignet.)
Zur Diskussion: Herr Siegert: Ich glaube, eine perniziöse Anämie
als klinische Einheit gibt es nicht. Perniziös nennen wir jede schwerste
Anämie — aus welchem Grund immer — die die bekannten Blutbilder zeigt
und zum Tode fuhrt. Perniziös kann unter ungünstigen Umständen jede
Anämie werden. Jedenfalls fehlt jede Veranlassung, das klinische Bild der
perniziösen Anämie als berechtigt anzunehmen.
Herr Seit er: Um das Verhalten der Leukozyten bei Appendicitis
festzustellen, gehört eine Reihe von Untersuchungen. Wir sind aber hier
bei der Appendicitis der Kinder zu kurzem Entschluss gezwungen — also
durfte eine solche Untersuchung aus praktischen Gründen, ganz abgesehen
von dem noch zweifelhaften Wert, nicht brauchbar sein. — Zwischen
1) Der Vortrag ist in den Würzburger Abhandlungen, IIL Jahrgang,
Heft II erschienen.
VereioigaDg niederrheinisch-westfftliBcher Kinderärzte. 661
AD&mie und perniziöser An&mie ist nur ein gradueller Unterschied, ebenso
wie im Blatbofund : ob wir berechtigt sind, den Begriff der perniziösen
An&mie als Krankheit sui generis festzuhalten, ist zweifelhaft.
Herr Koch -Wiesbaden fragt an, ob bereits Publikationen über eine
Einwirkung der gegen Scharlach injizierten Sera verschiedeuer Herkunft auf
die Blutbeschaffenheit, insonderheit die bei Scharlach gefundenen Hyper-
leukozjten Torliegen.
Herr Block -Köln möchte die Anaemia splenica als Krankheit sui
generis betrachten, da sie trotz der grossen Häufigkeit der Magendarm-
erkranknngen, aus denen sie nach Senator resultiere, nur selten beobachtet
wird. Die Fälle gehen, wie B. in 8 Fällen konstatierte, nicht selten an
interknrrierenden Krankheiten zu Grunde. Das Hauptsymptom an der Krank-
heit ist der Milztumor, die Anämie oft nicht einmal als sehr hochgradig zu
bezeichnen. Key.
Literaturbericht
Zusammengestellt von Dr. B. SALGE,
Aitiitent an der ünireniats-Kinderkllnlk In BerllD.
X. Krankheiten der ResplratlODSorgrane.
Zur direkUn Bronchoskopie Mwecks Extraktum queUbarer Fremdkörper, Von
Mefarlcorn. Deutsche med. Wochenschr. No. 40. 1904.
Die Aspiration quellbarer Körper (Bohnen), die stets bei jüngeren
Kindern beobachtet wird und in der H&ufigkeitsslcala der „verschlackten*
Fremdkörper an zweiter Stelle steht — auf 8 Knochenstücke 5 Bohnen —
zeigt ein geradezu typisches Verhalten dadurch, j,da68 auf den anfllnglich
starken Reiz, den der frisch aspirierte, noch mobile Fremdkörper setzt, eine
Pause der Ruhe folgt, in der die Bohne, ohne die Trachea oder einen
grösseren Bronchus zu obturieren, sich irgendwo festsetzt, ohne einen
nennenswerten Reiz auszuüben, die Beschwerden anscheinend behoben sind
und die Beobachter über den Ernst der Lage get&uscht werden können;
dass aber dann, je nach der Quellfähigkeit des aspirierten Körpers 12 bis
24 Stunden nach der Aspiration yon neuem schwere Erscheinungen ein-
setzen; die Atmung wird behindert, neuer heftiger Hustenreiz, bronchitisches
Rasseln^ tritt auf etc. etc. — Verf. pl&diert auf Grund seiner Erfahrungen
dafür, „bei Aspiration von Bohnen oder dergl. seitens jüngerer Kinder von
vornherein auf die direkte obere Bronchoskopie zu verzichten und dem
rascheren, leichteren und sichereren Vorgehen mit primärer Tracheotomie
den Vorzug zu geben". ' Misch.
Über Bronckoskopie, Von Neumayer. Münch. med. Wochenschr. No. 88
und 89. 1904.
Bei den mitgeteilten 10 F&llen wandte Verf. 8 mal die obere Broncho-
skopie an, darunter bei Kindern von 13 und 9 Monaten, wodurch die bis-
herige Altersgrenze von 2 Jahren für die obere Bronchoskopie beträchtlich
tiefer gerückt wird. Auch bei den Säuglingen ging die Einführung des
Instruments leicht und ohne Schädigung der Luftwege von statten. Bei
Kindern wurde stets Chloroform-Narkose angewendet, sonst kam Verf. mit
20proz. Kokain- Anästhesie aus. Misch.
Ein bronckoskopiscker Fremdkörper-FcUL Von M. Heydenreich. Deutsche
med. Wochenschr. No. 47. 1904.
Aspiration einer Glasperle bei einem 6jährigen Kinde. Infolge zu
engem Tubus gelang es nicht, den Fremdkörper zu entfernen, der aber im
Anschluss an die Bronchoskopie von dem Kind spontan ausgehustet wurde.
X. Krankheiten der Respirationsorgane. 663
Infolge Verletzungen kam es zu bronchopneumoniscben Herden. Nach
mehreren Wochen yöllige Heilung. Misch.
ConiriSutiom d Peiude de la p€Uhogenie de la crise dans la Pneumonie f^rineuse.
Von M. Tchisfovitch. Ann. de l'inst Fast. 1904. No. 5.
Verf. hat yerschledene Versuche über die Ursache der Krise bei der
Pneumonie angestellt. Schon in früheren Versuchen hatte Verf. festgestellt,
dass bei Tieren, welche sich in Heilung yon einer Pncumokokken-Infektion
befanden — Hunde und Hammel bekommen bei Einführung von Pneumo-
kokken in die Trachea eine typische Pneumonie — man eine starke Leuko-
zytose und mikroskopisch eine sehr starke Aufnahme der intraalyeol&ren
Diplokokken in Zellen beobachten kann, während in einer tödlichen Infektion
sich die Zahl der polynukleären Leukozyten im Blut vermindert und auch
die Phagozytose nicht auftritt. Dagegen kann nach seiner Meinung eine
Zerstörung oder Abschw&chung der Pneumokokken nicht die Ursache der
Krise sein, denn noch zur Zeit der Sjrise kann man den Lungen mit einer
Prayazspritze reichlich yirulente Pneumokokken entnehmen. Ausserdem
konnte T. keine bakterizide Wirkung des Blutes während der Krise auf die
Pneumokokken desselben Kranken, die während des Höhepunktes der
Krankheit entnommen waren, nachweisen. Antitozische Eigenschaften
meint er nach Untersuchungen von Isaeff dem Blute der Pneumonie-
Rekonvaleszenten nicht zusprechen zu können. Dagegen spielen yielleicht
^Agglutinine, welche durch Zusammenballung der Kokken die Phagozytose
erleichtem und Stimuline, welche die Phagozytose stimulieren^, eine, wenn
auch sekundäre Rolle. Mäuse, welche mit einer Mischung Ton Kultur
und von Blut nach der Krise Infiziert waren, starben später, als solche mit
einer Mischung von Kultur und normalem Blut infizierten. Die Phago-
zytose scheint ihnen jedenfalls die Hauptrolle zu spielen. Jap ha.
Bemerkungen Mur Perkussion der Lungenspitzen. Von L. Jundell. Centralbl.
f. innere Medizin. XXV. Jahrgang. 1904. No. 17.
Verf. macht bei der Perkussion der Lungenspitzen auf einige Unter-
suchungsmassregeln aufmerksam, die leicht vergessen werden, dass nämlich
erstens die Kraft des Perkussionsstosses stets senkrecht auf die Lungenober-
fiäche wirken muss, und dass zweitens Ton der Stellung des Fingers bezw.
des Plessimeters z. B. in der Supraklavikular grübe der Schall abhängig ist.
Das Wall ersehe Verfahren, das die alte symmetrisch -komparative
Methode verwirft und den Lungenschall an sich beurteilt und nur vergleicht
mit dem normalen Lungenschall an derselben Stelle, will Verf. nur als eine
wertTolle Ergänzung aufgefasst wissen, nicht aber als einen Ersatz der alten
vergleichenden Methode. Rietschel.
Über die Behandlung eines Tkoraxempyems mittels der Müllerscken Dauern
kanüle bei einem ^monatlichen Kinde. Von Barth. Münch. med. Wochen
Schrift. 1904. No. 39.
Metapneumonisches Empyem bei einem 5 monatigen Brustkind. Die
Behandlung mit der Dauerkanüle resp. dem ihr folgenden Gummidrain
dauerte 63 Tage. Zur Nachbehandlung ist kein so langer Drain nötig, wie
l^eim Bül auschen Verfahren. Einen weiteren Vorteil soll die sehr tief
hinten unten am Thorax liegende, nach aufwärts gerichtete Kanüle bieten
durch guten Abfluss des Eiters. Misch.
664 Literaturbericht.
Paikogetüe des irouhUs meninges au cours des infecHons aiguis de rappanU
respiratoire (Pneumonie et bronckopneumonie). Von P»Nobecourt und
K. Voisin. Gazette des hopitaux. 1904, No. 50.
Am Schlüsse einer längeren Literaturübersicht und nach eigenen Er-
fahrungen kommt Verfasser zu folgenden Schlüssen:
Im Verlaufe der Pneumonien und Bronchopneumonien kommt es, sowohl
durch direkte Einwirkung der durch den Blutstrom yerschleppten Mikro-
organismen (meist Pneumokokken oder Streptokokken), wie auch ihrer
Toxine zu einer Schädigung der Meningen, welche erst eine gewisse Inten-
sität erreicht haben muss, um klinisch in die Erscheinung zu treten. Dass
sie auch sonst vorhanden ist, ergibt die Untersuchung des Liquor cerebro-
spinalis, oder bisweilen die histologische Untersuchung an der Leiche.
Die Virulenz der Keime und die Dispohition des Individuums erklären
die Unterschiede in den einzelnen Fällen. Moltrecht«
XII. Krankheiten der Verdauangsorgane.
Un cos d'appendicite ches le chimpanze. Von M. Weinberg. Ann. de
l'inst. Pasteur. 1904. No. 5.
Bei einem plötzlich zugrunde gegangenen Schimpansen fand sich bei
der Obduktion eine Appendicitis, ausserdem allerdings Ulzerationen an des
P eye r sehen Plaques. Im Dünndarm und Coecum fanden sich zahlreiche
Askariden. Verf. hält nun diese Parasiten für die Ursache der Appendicitis,
ebenso wie das in einer früher hierorts referierten Arbeit Metschnikoff
getan hat, in diesem Falle handelte es sich allerdings um Trichocephalus.
Der Grund wäre der, dass die Parasiten die Darm-Mucosa verletzen und
nun Bakterien durch die Läsion eindringen. Nach den Angaben des ^^rl,
lässt auch Czerny in Heidelberg bei allen Patienten mit Appendicitis, bei
denen man Parasiten vermutet, eine anthelmintische Kur einleiten. Jeden-
falls rät der Verf., in jedem Falle nach Eiern im Stuhl zu suchen, bei Askariden
genügt meist ein einziges Präparat, bei Trichocephalen etwa 12 Präparate.
Dennoch soll man auch bei negativem Ausfall eine anthelmintische Kor
einleiten, da eventuell nur männliche Würmer im Darm sind. Jap ha.
Über Netaechinococcus, Von Gangele. Münch. med. Wochenschr. No.41. 1904.
Die mitgeteilte Beobachtung betrifft einen 10jährigen Knaben, bei
dem ohne vorhergehende Störungen ein kindskopf grosser Tumor in der
linken Bauchseite bemerkt wurde, der hinter den Bauchdecken freibeweglich
lag und dessen Dämpfung direkt in die der Milz überging. Verf. hält die
Möglichkeit der Primärinfektion des Netzes aufrecht. Misch.
Oxyuris vermicularis in der Darmwand* Von 0. Wagener. Deutsches
Archiv f. klin. Medizin. Bd. 81. H. 3/4.
Ein 5jähriges Mädchen war an Scharlachsepsis gestorben und wie6
parenchymatöse Entzündungsveränderungen am Darm auf. Parasiten wurden
daselbst nicht gefunden. In einigen Pey ersehen Platten dagegen bi»
stecknadelkopfgrosse kalkige Gebilde, Körnchen, die nach Entkalkong
sich im Schnitte als eingebettete Oxyuren erwiesen, entweder anter den
XlII. Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. (165
Follikeln oder oberflächlicher. Der Verf. nimmt an, dass die jungen Tiere
in die nicht mehr ganz normalen Wände eingedrungen sind und dort bei
der Ausheilung verkalkten. Spiegelberg.
Über thten FcUl van Carcinoma coli bei einem i^ jährigen Knaben. Von Bruno
Kuczjiiski. Prager med. Wochenschr. No. 41. 1904.
Klinisch bot der Sjranke das Bild der Darmob turation. Bei der vor-
genommenen Laparotomie wurde das Garcinom gefunden. Die Sektion
ergab die Diagnose: Carcinom der linken Kolonflexur, sekundäres Garcinom
der regionären Lymphdrüsen und der Leber« Obsolete Lymphdrüsentuber-
kulose. Histologisch erwies sich die Neubildung als Adenocarcinom. Die
Arbeit bringt wichtige statistische Untersuchungen über die Häufigkeit des
Garcinoms im Kindesalter. N curat h.
Über Purgen. Von Gundrum. Wiener klin. Rundschau. 1904. No. 36.
Verf. empfiehlt das Purgen unter anderm auch bei Kindern als ein
prompt wirkendes, gern genommenes Abführmittel, an das auch bei häufigerer
Darreichung keine Gewöhnung eintreten soll. Er gab die „Baby-Purgen-
tabletten*' in Wasser oder Milch aufgelöst sogar drei Monate alten Säug-
lingen. Die Entleerungen sind weich, reichlich und schmerzlos. Das wirk-
same Prinzip der Purgentabletten ist bekanntlich Phenolphtaleiu dem Verf.
das Epitheton eines idealen Mittels gibt. Spanier- Hannover.
Leukogytenaähiung nnd FrukoperaHon bei EpUyphHtis. Von Berndt. Münoh.
med. Wochenschr. No. 50. 1904.
Der Wert der Lenkozytenzählung ist sehr beschränkt; vielfach war
gerade bei den schweren Fällen des Verfassers die Leukozytenzahl wenig
erhöht. Ein ausschlaggebendes Moment für die Unterscheidung zwischen
schweren und leichten Fällen von Epityphlitis sieht Verf. dagegen in dem
Verhalten des Pulses. Eine Pulszahl von 100 und darüber, wobei der Puls
nicht besonders klein zu sein braucht, lässt den dringenden Verdacht einer
schweren Erkrankung entstehen. Bleibt die Pulszahl im Laufe der ersten
12 Stunden in derselben Höhe, so erscheint dem Verf. die sofortige Operation
dringend geboten.
Eine grosse Reihe von Krankengeschichten von Kindern und Er-
wachsenen illostriärt die sehr lesenswerten Ausführungen. Misch.
XUL Krankheiten der HarB- und Gesehleehtsorgane.
Über physiologische und pathologische Albuminurie. Von H. S e n a t o r. Deutsche
med. Wochenschr. No. 50. 1904.
Zusammenfassende Darstellung unserer Kenntnisse über die Albuminurien.
Der orthotischen Albuminurie werden Kreislaufstörungen zugrunde gelegt.
Misch.
Eine neue Methode der Hydrocele-Behandlung. Von Rupfle. Münch. med.
Wochenschr. No. 48. 1904.
Empfehlung von Adrenalin-Injektionen, die Verf. bei zwei Erwachsenen
mit bestem Erfolg angewendet hat, nachdem sie ca. 10 Jahre lang alle
2—3 Monate erfolglos punktiert waren. Misch.
Jabrbaeh f. Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 4. 43
666 Literaturbericht.
KasuisHsche MUteÜungen. Vod Stciohardt. Archiv f« KiDderheilkande.
XXXVIII. Bd. 1. u. 2. H.
Nierensarkom im Kindesalter. KraDkheitsgesehiohte, Sektionsberieht
und Epikrise eines Falles tod linksseitigem Nierensarkom bei einem SVsj&lur.
Knaben. Der Tumor wog fast 18 Pfand und hatte einige Metastasen in
Leber und Lunge veranlasst. Spanier- Hannover.
Bin Fali von TorsUm des Sameusiranges, Von Grunert. Manch, med.
Wochenschr. No. 43. 1904.
Die Fälle von Torsion d^s Samenstrangs, deren Kasuistik noch klein
ist, verlaufen unter dem Symptomen komplex einer inkarzerierten Hernie,
zunächst sehr stürmisch, dann unter plötzlichem völligen Verschwinden
der Erscheinungen. Die Folge ist immer zunächst eine starke Hyperämie
bis zur Infarktbildung und schliesslich Nekrose des Hodens. Abnormitäten
während des Descensus testiculi prädisponieren zur Torsion.
Beobachtung an einem 5jährigen Knaben. Misch.
Oher Theocin als Diureticum im Kindesalier, Von Gut mann. Archiv f.
Kinderheilk. XXXVIH. Bd. 8. u. 4, H.
Verf. hat das Theocin bei 8 Patienten im Alter von 2 bis 9 Jahren
in Dosen von mehrmals täglich 0,3 angewendet und durch das Mittel in der
Mehrzahl der Fälle eine sehr lebhafte Steigerung der Diurese erreicht, die
oft ganz gewaltige Urinmengen zutage förderte, selbst da, wo Digitalis*
Diuretin und beide kombiniert absolut nichts mehr ausrichten konnten. Die
UrinmengA ging gleich am 1. oder spätestens 2. Tage beträchtlich in die
Höhe, um dann meist noch während der Verabreichung des Mittels, und
zwar manchmal recht rapid wieder zu sinken. Ein direkter Einüuss auf
Herztätigkeit und Blutdruck liess sich niemals feststellen; eine schädliche
Einwirkung auf die Nieren war nicht im geringsten zu bemerken. Der
günstige Erfolg zeigte sich bei Hjdropsien kardialen Ursprungs, während
ein Fall von renalem Hydrops weniger eklatant beeinflusst wurde. Von un-
angenehmen Nebenwirkungen wurden ndr Störungen von Seiten des Magens,
Brechreiz oder auch Erbrechen beobachtet, die Verf. dem sehr schlechten
Geschmack des Mittels zuschreibt. Verf. empfiehlt das Theocin als das zurzeit
am besten wirkende Diureticum. Spanier- Hannover.
XIV. JKrankhelten der Haut
Über Urticaria^ Siropkulus infantum und Prurigo, Von Joseph. Areh. f.
Kinderheilk. XXXVIIL Bd. 1. u. 2. H.
Während die gewöhnliche Urticariaquaddcl nur ein ephemeres Dasein
fristet und keine besondere Bedeutung beansprucht^ erstreckt sich die in der
frühesten Kindheit beginnende Urticaria pigmentosa über Jahre, ja Jahr-
zehnte hinaus, bleibt ziemlich un beeinflusst durch die Therapie und ver-
schwindet meist spontan im Pubertätsalten — Den ungleich häufiger auf-
tretenden Strophulus infantum s. Liehen urticatus, der gleichfalls in
frühester Kindheit beginnt und meist gesunde, kräftige Kinder anfallsweise
befällt, bezeichnet Verf. im wesentlichen als eine alimentäre Urticaria; hier
erfolgt die Spontanheilung schon im Alter von 3 bis 4 Jahren, mitunter
XIV. Krankheiten der Haut 667
allerdings erst im 5. bis 6. Lebensjahre. Die Behandlang besteht in erster
Linie in Regeiang der Ern&hrnng — bei j&ngern Kindern Milch Wechsel, bei
altern Vermeiden von rohem and geräuchertem Fleisch, rohem Obst, gewöhn-
lieheln Leitungswasser. Daneben eTentuell innerlich Menthol, mehrmals
tgl. 0,1, oder Hefe, als gewöhnliche Bierhefe oder in Form des Cerolin.
Äusserlich gegen das Jacken Aufpinseln einer lOproz. Schüttelmixtur von
Liqu. carbon. detergens anglicus oder von BromoeoU. solab. oder von
Eaguform. solab. — Die Prurigo beginnt im 2. odei^ 3. Lebensjahre
mit Quaddelnbildung, die eine grosse Ähnlichkeit mit den Eruptions-
erscheinungen des Strophulus infantum haben, aber fast ausschliesslich an
den Streckseiten der obem und untern Extremitäten ausgebildet sind,
während der Strophulus ohne BoTorzugung bestimmter Regionen auftritt.
Ferner sind bei der Prurigo häufig schon im Beginn der Erkrankung die
Inguinaldrüsen geschwollen, und es stellt sich fast immer und sehr bald in-
folge der Kratzeffekte ein sekundäres Ekzem ein, das bei Strophulus stets
fehlt trotz des auch hier heftigen Juckreizes und trotz noch so rielen
Kratzens — ein wesentliches differential-diagnostisches Merkmal beider
Affektionen. Man unterscheidet eine Prurigo mitis und Prurigo ferox; die
erstere heilt immer, aber auch bei der Prurigo ferox kann man, wenn auch
erst nach Jahren, einen guten Erfolg erzielen. Die Behandlung braucht auf
die Ernährung kein besonderes Gewicht zu legen. Innerlich wird Jodleber-
tran oder Solut. acid. sulfur. verabreicht. Äusserlich kommt 1- bis 5proz.
Naphtholsalbe oder Euguform. solub. pur. oder in 10- bis 20proz. Salben in
Anwendung; 2mal wöchentlich ein Bad. Spanier-Hannover.
Über wUeUr auftretenden Herpes aoster, im besonderen über Zoster erythematosus
und Zoster vegetans. Von Vorn er. Mönch, med. Wochenschr. No. 39.
1904.
Mitteilung dreier Fälle von rezidivierendem Herpes zoster, darunter
einer im Gebiet des Nervus anricularis magnus auf der Haut des äusseren
Ohres bei einem 5 jähr. Knaben; einer im Ausbreitungsgebiet des Mervns
frontalis, bei dem aber die zweite Eruption vom Beginn bis zum Ablauf
der Erkrankung niemals auch nur eine Spur von Bläschenbildung zeigte,
sondern von Anfang an als diffuse Rötung und Schwellung der befallenen
Hantpartie verlief. Im dritten Fall wandelten sich die Bläschen des Rezidivs
in granulationsartige Geschwulstchen um, die an luetische Papeln, aber
auch an Pemphigus vegetans erinnerten. Hier war das Gebiet des Nervus
bnccinatorius betroffen. Misch.
Über Elephantiasis congenita. Von Norbert Swoboda. Mitteil. d. Ge seilsch.
f. innere Med. u. Kinderh. 1904. Beilage VIII.
Bericht über 4 Fälle, in denen zum Teil die unteren Extremitäten und
der Rumpf, zum Teil Zunge, Ohrläppchen und Mundhöhlenboden betroffen
waren. Besprechung der Fälle vom pathologisch-anatomischen und vom
ätiologischen Standpunkt. Neurath.
Über Ätiologie und Pathogenese des Erythema nodosum. Von E. Hoff mann.
Deutsche med. Wochenschr. No. 51. 1904.
Die Untersuchungen ergeben, dass dem Erythema nodosum eine akute
metastatisehe Entzündung einer tiefen subkutanen Vene zugrunde liegt.
Einmal gelang es, in einem frischen Knoten spärliche, in staphylokokken-
48*
668 Literaturbericht.
ähnlichen Gmppen gelagerte Kokken in Schnittpräparaten darzustellen und
bei einer Züchtung einen Staphjlococcus albus zu kultivieren. Misch.
Zur KasMisHk der kongenitalen Onychogryphosis, Von C. Müller. Mönch,
med. Wochenschr. No. 49. 1904.
Die Onjchogryphosis ist eine anormale Wachstumstendenz des Nagels,
die unter starker Homproduktion zu Veränderungen der ganzen Nagelplatte
in ihren Tersckiedenen Durchmesssem führt. Das 14jährige Mädchen litt
neben den beschriebenen und abgebildeten Nagelyeränderungen an kon-
genitaler Alopecie und an Psoriasis. Misch.
Über Keraminseire, Von P. 6. Unna. Monatsh. f. prakt. Dermatologie. 1904.
Bd. 39. p. 73.
Die Keraminseife ist eine neutrale Kali- und Natronseife, die als Medi-
kament Perubalsam, als Korrigens Nelkenöl und Zimmtöl enthält. Sie zeigt
offenbare Vorzüge in Betreff der Reinigung Ton Ternachlässigten, krustösen
Flächen, der raschen Desodorisierung, der nachhaltigen Stillung des Juckens,
der Eintrocknung und Sistierung rasch fortschreitender Eruptionen der
Ekzeme, doch empfiehlt Unna neben der Seifenanwendung noch den reich-
lichen Gebrauch von Öl als bestes Adjuvans, da sonst zuweilen die Haut so
trocken wird, dass dicke Krusten nicht einmal abfallen.
Als Hanptgebiet der Keraminseife anerkennt Unna das chronische,
stark juckende, krustöse Kinderekzem, nebenher zeigt sie auch bei Impetigo
vnlgaris, bei einfachen FoUiknlitiden auf fettreicher Haut, bei juveniler
Akne pustulosa und bei Liehen urticatus entschieden günstigen Einfluss.
Die Seife wird von Töpfer in Leipzig in den Handel gebracht.
Schleissner.
XV. Krankheiten der Bewegungsorg&ne. Verletzanflpen.
Chlrorglsehe Krankheiten.
Beitrag zur Frage der ehirurgiscke» Behandlung des Hydrocepkalus internus,
VonN. P. Trinkler. Arch. f. Kinderheilk. XXXVILBd., 3. und 4. Heft.
Verf. glaubt, man solle den Patienten mit Hydrocephalus internus,
trotz der geringen Errungenschaften auf diesem Gebiete, chirurgische Hilfe
angedeihen lassen und sich yorläufig auch mit dem Resultate einer geringen
Besserung zufrieden geben, besonders der sogen, erworbene Hydrocephalus,
der sich erst später, wenn die Fontanellen bereits verwachsen sind, ent-
wickelt, gestattet eine etwas günstige Prognose der Behandlung. Verf. be-
richtet über einen derartigen, von ihm selbst behandelten Fall. Bei dem
9jährigen Knaben waren erst im 7. Lebensjahre die ersten Erscheinungen des
Hydrocephalus aufgetreten: immer häufiger und heftiger werdende Kopf-
schmerzen, oft Yon Erbrechen begleitet, später eine schnell bis zur Blindheit
führende Herabsetzung des Sehvermögens und eine allmähliche gleichmässige
Vergrössernng des Kopfes. Die 3 mal ausgeführte Punktion eines Seiteo-
yentrikels hatte ein allerdings nur kurze Zeit währendes Aufhören der Kopf-
schmerzen und des Erbrechens, sowie eine geringe Aufbesserung des Sehver-
mögens zur Folge. Spanier- Hannover.
XY. Krankheiten der Bewegangsorgane. Verletzangen etc. 669
The operaüve ireaimeni of kertäa in infani and yonug cküdren, 360 cause'
euüoe eases. Von Harold, J. Stiles. Brit. med. Joam. 1. Oct. 1904.
Verf. spricht sich neuerdings wieder, nunmehr gestutzt auf eine recht
erhebliche Anzahl von Fällen, für eine operative Behandlung der Brüche
bei jungen Kindern aus. Über die Methodik möge das Original eingesehen
werden, nur sei erw&hnt, dass der Verf. die Wunde gar nicht verbindet, nur
das Kind mittels einer durch Abbildungen erläuterten, anscheinend ganz
zweckmässigen Bandage am Bett befestigt. Von den 360 Fällen hatten
30 schon Einklemmungserscheinungen, der Versuch der Taxis lässt oft üble
Folgeerscheinungen zurück. Manchmal ist die Differentialdiaguose gegenüber
der Hydrocele schwer, umsomehr, als beide Affektionen manchmal zugleich
vorkommen. Das Goecum fand sich 24 mal im Bruchsack, man kann dann
den Proc. vermiformis durch das Scrotum darchstossen, in 5 von den 36 Fällen
bei Mädchen fand sich Ovarium und Tube im Sack; in 7 Fällen war der
Sack tuberkulös, auch diese Fälle heilten bis auf einen per primam. Nur
4 Rückfalle wurden beobachtet, doch ist die seit der Operation verflossene
Zeit bei vielen Fällen noch zu kurz gewesen, als dass man etwas Sicheres
aussagen könnte. Unter 860 Fällen passierten 5 Todesfälle, einer wird aber
auf das Konto der vorangegangenen Taxis geschoben, einer passierte bei
einem frühgeborenen, 4 Monate alten, sehr zarten Kind mit doppeltem Bruch.
Im ganzen hält der Verf. die Operation für ebenso ungefährlich, wie beim
Erwachsenen, 26 pCt. der Operierten waren im 1. Lebensjahre. Fast macht
•es den Eindruck, als ob Brüche in England häufiger wäreu als hier.
Japha.
Die Behandlung der Hernien mit Alhoholinjeküonen. Von Brodnitz. Münch.
med. Woohenschr. No. 41. 1904.
Verf. hat über 70 Fälle von Leistenhernien, darunter fast die Hälfte
Kinder, ambulant mit den neuerdings wieder empfohlenen Alkoholinjektionen,
und zwar bei Kindern mit besonders befriedigendem Resultate behandelt.
Injiziert wurden je nach der lokalen Reaktion der Umgebung jeden 2. bis
3. Tag 0,5 — 1 g absol. Akohol. Bei Kindern tritt häufig schon nach 8 bis
4 Injektionen eine gleichmässige Schwellang und Verdickung des den Bruch-
kanal umgebenden Gewebes ein; die Injektionen müssen aber auch noch
nach diesem Verschluss der Bruchpforte fortgesetzt werden. Bei den be-
handelten Kindern konnte noch nach 6 Monaten ein voller Erfolg konstatiert
werden.
Die Injektionen sind aber sehr schmerzhaft; ein länger andauerndes
Spannungsgefühl sehr lästig; als Komplikationen können Ödem des Scrotum
und Verdickung des Samenstrangs, auch Hjdrocelen auftreten. Zuweilen
ist die lokale Reaktion sehr heftig, und manchmal tritt ziemlich hohes Fieber
ein. Bei schwächlichen Kindern und bei Verwendung von mehr als 1 g
Alkohol wurden erbsengrosse Hautnekrosen in der Nähe der Injekt^onsstelle
beobachtet. Misch.
RadUtale Heilung des rachiHschen und statischen Plattjnsses mittels Sehnen-
plasHh, Von Jucre Hevesi. Deutsch, med. Wochenschr. No. 45. 1904.
Ausführliche Beschreibung des vom Verf. geübten Verfahrens, den
Plattfnss durch Sehnentransplantationen zu korrigieren.
670 Literatarbericht.
Osüomalaeie infanüie, Gemt vaigttm» Osieopsaikyrasis, Von M. Broca.
(Revae meosueile des maladies de Penfance. XZII. Okt. 1904.)
Verf. bespricht zunächst Ätiologie and Therapie des Genn valgum der
Rachitiker and des Pabertätsalters, um im Anechlass das Krankheitsbild einer
kindlichen Osteomalacie — Osteopsathyrosis — an der Hand eines Falles
za besprechen. Die Krankheit ist selten, betrifft Kinder, die keine Spar von
Rachitis haben oder gehabt haben. Die Ätiologie ist unbekannt, doch
scheint sie hereditär zu sein und familiär aufzutreten (es betraf 2 mal zwei
Geschwister). Der Verlauf ist schubweise mit eingeschobenen Besserungen,
um aber schliesslich doch letal zu enden. Zunächst Mattigkeit und Gelenk-
schmerzen, dann Genu valgum, später Knochenbrüchigkeit und schliesslich
unter allgemeinen nekrotischen Erscheinungen Exitus. Alle therapeutischen
Maasnahmen waren erfolglos. L. Ball in.
TraUement du pied bot congenital vatus equin par U redressement manuel.
Von MUe. C. Djlion. Archives de mÄdecine des enfants. Tome 7.
No. 10. Oktober 04.
Der angeborene Pes equinovarus ist bei rechtzeitig eingreifender Be-
handlung durch manuelles Redressement yollkommen heilbar.
Pfaundler.
Die Therapie der Klumpfüsse Neugeborener in den ersten Wochen nach der
Geburt, Von J. Fick. Zeitschr. f. orthopädische Chirurgie. XIII. Bd.
2. und 3. Heft.
Verf., empfiehlt die Behandlung möglichst bald nach der Geburt ein-
zusetzen. Nach Redressement, das leicht zu bewerkstelligen ist, kommt
der Fnss auf eine Aluminiumsohle, und es wird dann ein Zweiz 5 gel verband
angelegt. Der hintere Zügel hat die Aufgabe, die Ferse zu pronieren, der
vordere die, den vorderen Fussteil zu abdnzieren, zu pronieren und dorsal-
wärts zu flettieren. Durch allmähliches, tägliches Anziehen der Zügel kann
die Stellung des Fusses nachkorrigiert werden. Zur Beseitigung des zuletzt
übrig bleibenden Spitzfusses wird der Dreizügelverband angelegt. Die Be-
handlung dauert so nur einen Monat. Zur Nachbehandlung ist nur das
Tragen eines Gummizügelapparates und Massage nötig. Geissler.
Streckbett für Säuglinge mit Obersckenkelbruch. Von M. Landau. Deutsche
med. Wochenschr. No. 50. 1904.
Der durch Zeichnungen illustrierte Apparat ermöglicht es, die Säug-
linge bei der Extension jederzeit aufzunehmen, zu reinigen, oder an die
Brust zu legen, ohne dass das gebrochene Bein seine richtige Stellung unter
dem Zuge auch nur einen Augenblick verlässt. Misch.
Zur Behandlung des SchUßuüses. Von Höh mann. Aus dem orthopädischen
Ambalatorium (Prof. Lange). Zeitschrift für orthopädische Chirurgie.
XIIL Bd. 1. Heft.
Verf. bespricht kurz die verschiedenen Operationsmethoden bei dieser
Krankheit und weist auf die häufigen Rezidive und ihre Ursache hin. Die
neue Methode besteht darin, dass der M. sternocieidomastoideus nicht unten
am stemoklavikularen Ansatz, sondern oben am Ansatz am Warzenfortsatz
durchschnitten wird. Die Vorzüge sind einmal ein kosmetischer, weil die
Narbe in die Haar- und Ohrgrenze verlegt, und die Halsmodellierung dabei
XV. Krankheiten der Be^egungsorgane. Verletzungen etc. 671
erhalten wird, nnd daon ein funktioneller, weil das Redressement des Kopfes
vollständiger ist. Der Muskel ist meist an seinem unteren Ende mit der
Umgebang, mit der Unterlage, mit andern Muskeln und der Halsfassie fest
verwachsen, und dies macht ein voUständiges lledressement oft unmöglich.
Geissler.
Oder Hnen Fall von Gemu varum parcUyHcum, Von Vüllers. Zeitschrift für
orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 1. Heft.
Es handelte sich in dem Falle um eine statische Belastungsdeformität,
welche sich auf Grund einer Lähmung entwickelte. Die Seltenheit dieser
Deformität ist dadurch zu erklären, dass die seitlichen Bandmassen des
Kniegelenkes, die bei den Lähmungen nicht betroffen werden, der seitlichen
Verbiegung einen Widerstand entgegensetzen. In diesem Falle fiel er weg.
Das Kind pflegte meistens mit antergeschlagem Bein zu sitzen uod hatte
dadurch die Bänder gedehnt. Geissler.
Über die sogenannte Coxa valga. Von Turner. Zeitschrift für orthopädische
Chirurgie. XIIL Bd. 1. Heft.
Die Coxa vara stellt das unvorteilhafte Resultat des Kampfes zwischen
den natürlichen Massnahmen zur Festigung des Gebietes des Schenkelhalses,
die sich im zweckmässigen Bau desselben äussern, und der auf demselben
ruhenden Last dar. Die Coxa valga resultiert aus dem Fehlen der Belastung
des Caput femoris. Alle Momente, die in ihrer Wirkung nicht nur die Last
vom Caput femoris entfernen, sondern noch einen Zug auf die Extremität in
der Richtung nach unten ausüben, können Coxa valga erzeugen. Sie ist
charakterisiert durch Geraderichtung des zwischen den Schenkelhals und der
Diaphjse liegenden Winkels. Bei Röntgenaufnahme eines durch einen
solchen Schenkelhals geführten Sägeschnittes fällt das Fehlen irgend eines
Systems von Knochenbalken auf, wie wir es beim normalen Knochen sehen.
Vom therapeutischen Standpunkt hat diese Deformität wenig Interesse.
Geissler.
Zur Therapie der Skoliosen, Von Gerson. Zeitschrift für orthopädische
Chirurgie. XIII. Bd. 1. Heft.
Verf. betont den geringen Wort der selbsttätigen, nur den hinteren
Rippenbnckel berücksichtigenden Redressions^ersuche und betont die hohe
Wichtigkeit der Eiobeziehong des vorderen Rippenbuckels in die Behand-
lung. Druck auf den hinteren Rippenbuckel allein verursacht keine wirk-
liche Redression, sondern nur eine Verlagerung, wobei sich der vordere
gleichzeitig mehr vorwölbt. Es muss daher gleichzeitig auch auf den vordern
Rippenbuckel ein Druck ausgeübt werden. Zu diesem Zweck hat Verf. eine
Vorderplatte in dem Hof faschen Sitzrahmen eingefügt.
Geissler.
Klinische Studien über die Dorsalskoliose. Von J. Hoff mann. (Aus dem
orthopädischen Institut von Lfining und Schulthess.) Zeitschrift für
orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. I. Heft.
Die klinischen Studien erstrecken sich über 166 Fälle (52 einfache,
105 komplizierte Dorsalskoliosen und 9 Cervikaldorsalskoliosen), die von
1 — 13 Jahren beobachtet wurden. Es zeigte sich, dass die komplizierten
Dorsalskoliosen mehr als die einfachen die Tendenz haben, die Richtung
ihrer Krümmungsscheitel zu ändern, noch mehr die Cervikaldorsalskoliosen.
672 Literaturbericht.
Die rechtskoDTexen behalten dieselbe Richtung öfters bei als die links
konvexen. Bei den beiden ersten Formen zeigt sich ein Vorwiegen der
rechts überhängenden, bei den Cervikaldorsalskoliosen der links überhängenden
Formen. Der Krümmnngsscheitel hat bei den einfachen und Cervikaldorsal-
skoliosen mehr Tendenz zur Besserung als bei den komplizierten, die links-
konvezen mehr als die rechtskonvexen. Das Wandern des Krümmongs-
scheitels nach unten ist bei den linkskonvexen deutlicher als bei den
rechtskonvexen. Bei den Gegenkrümmungen wurde eine Verminderung der
rechtskonvexen und eine Vermehrung der linkskonvexen Krümmungen ge-
funden. Betreffs der Torsion zeigte sich, dass in der Brustwirbelsäule die
Rechts torsion, in der Lendenwirbelsäule die Linkstorsion die grössten Zahlen
aufweist, und dass in der Lendenwirbelsäule die Torsion um 10 pCt der
Fälle öfters persistiert als in der Brustwirbelsäule. Im einzelnen sei auf das
Original verwiesen. Gei ssler.
ÜBer Gelenkentzündungen im SäuglifigscUter und ihre äHologiscken Beziehungen
8u späteren Deformitäten. Von Drehmann. Zeitschrift für ortho-
pädische Chirurgie. XIII. Bd. 2. u. 8. Heft.
Verf. bespricht die Ätiologie der Gelenkentzündungen im Kindesalter
und weist darauf hin, dass diese später verschiedene Deformitäten verursachen
können. So sah er Hüftgelenksluxationen danach entstehen, die in ihrer
äusseren Gestalt von angeborenen Verrenkuogen nicht zu unterscheiden
waren, ferner beobachtete er das Auftreten von Coxa vara im Anschluss an
solche Gelenkentzündungen. Gei ssler.
XVI. Hygiene. Statistik.
Versorgung der Städte mit Kifidermilch. Von Tr u m pp. Münch. med. Wochen-
schrift. No. 38. 1904.
Zusammenfassung der Vorschläge und Forderungen, die Verf. auf der
Delegierten -Versammlung der Vaterländischen Frauen -Vereine vom Roten
Kreuz im Mai 1904 zu Berlin aufgestellt hat. Danach sollten grosse Gnts-
verwaltungen in der Nähe der Städte dafür gewonnen werden, dass sie
Stallung und Milchbetrieb nach hygienischen Anforderungen und unter
ärztlicher Aufsicht einrichten. Trockenfütterung der Kühe ist nicht unbedingt
notwendig. Schleunige Ablieferung der Milch an städtische Zentralen, die
von den Kommunen unterhalten werden. Sterilisierung und Abfüllung der
Milch in Einzelportionen; Abgabe zum Selbstkostenpreis oder umsonst.
Misch.
Discussion on the control oj the milk supply. Brit. med. Journ. 27. August 1904.
Das Referat von J. S. Haidane bespricht zunächst die Gefahren,
welche von einer unsauberen Milch drohen, dann die nötigen Mittel zur
Abwehr bei der Milchproduktion, dem Transport, dem Verkauf und schliess-
lich in Bezug auf die besonders zubereitete Kindermilch. Zu einem kurzen
Referat ist die Arbeit nicht geeignet. Jap ha.
CondUUms de production du lait au Danemark. Von H. de Rothschild.
Rev. d'Hygiene et de Med. Infant. 1904.
Jedem, der sich für die Art der Milchgewinnung interessiert^ kann
die vorliegende Arbeit zur Lektüre recht empfohlen werden. Nach der
XVl^ Hygiene. Statistik. 673
Sehilderaog des Vert. müssen in D&Demark wirklich ideale Zustände in dieser
Beziehung herrsehen. Verf. führt das darauf zurück, dass Dänemark ausser-
ordentlich viel Butter exportiert und die Molkereibesitzer die Fettprodnktion
der einzelnen Kuh aufs äusserste zu steigern suchen. Wie minntiöse Vor-
schriften da beobachtet werden, die im übrigen besondere Verbände noch
kontrollieren, ist wirklich interessant. Z. B. wird das Verhältnis der Fett-
produktion zur dargereichten Nahrung genau berechnet, die Nahrung ist
genau vorgeschrieben, und der Nährwert der einzelnen Futtersorten ist
genau bestimmt worden. Andererseits ist yon Interesse die Fürsorge bei
Krankheiten, namentlich bei Tuberkulose. Hiermit soll der Inhalt der
lesenswerten Arbeit nur kurz angedeutet werden. Jap ha.
Zur Frage des Enikeimens der Kindermilch im Hause. Von Fürst. Arch.
f. Kinderheilk. XXXVIII. Bd. 1. u. 2. H.
Eine warme Empfehlung des Kobrak sehen Pasteurisierangsapparates.
Spanier- Hannover.
Versuche mit dem. Lakiovishosimeter von Micault, Von A. Czapek. Monats-
schrift f. Kinderheilk. Bd. III. November 1904. p. 289.
Der angegebene Apparat hatte im Jahre 1902 in einem Preisausschreiben
für ein Verfahren, das jedermann die Beurteilung der Güte von Milch er-
möglichen sollte, den Preis erhalten. Der Apparat besteht aus einem kleinen
verzinnten Kupferreservoir, aus dem die Milch durch eine Glaskapillare ab-
fliessen kann, wenn der beide abschliessende Hahn geöffnet wird. Indem
man die Temperatur der abfliessenden Milch und die Zeit, welche zwischen
dem Beginn und dem Ende des Abfallens vergeht, abmisst, hat man die beiden
Werte gefunden, aus denen man mit Hilfe der Tabellen die Güte der Milch
beurteilen und, wenn man noch das spezifische Gewicht der Milch festgestellt
hat, sogar den Fettgehalt der Milch bestimmen können soll. Die Be-
stimmung beruht auf der mit der Konzentration der Milch wechselnden Vis-
kosität; indessen ist diese Erscheinung so kompliziert, dass eine Fett-
bestimmung hieraus zu machen, von vornherein unwahrscheinlich erscheint.
Die erhaltenen Resultate wurden kontrolliert durch die Gerb ersehe
Acidobutyrometrie, welches Verfahren besonders zuverlässige Resultate ergibt
und leicht ausführbar ist. Die Versuche fielen für das neue Instrument sehr
ungünstig aus. Das Verhältnis des nach Gerber bestimmten und des nach
Micault berechneten Fettgehaltes schwankte zwischen 0,82—3,70. Auch ist
die Kalibrierung des Instrumentes nicht ganz zuverlässig, wodurch der Wert
der beigegebenen Tabellen ganz illusorisch wird.
Damit hatte sich das Instrument als unbrauchbar erwiesen, denn
1. wäre die viskosimetrische Milchprüf nng höchstens bei Vollmilch anzu-
wenden, die in keiner Weise verändert worden ist; bei den gebräuchlichen
Milchmisch nngen gibt sie Zahlen, welche dem Fettgehalt nicht parallel gehen;
2. macht die Veränderlichkeit des Wasserwertes das Instrument an und für
sich unbrauchbar. Schleissner.
Die Prophylaxe der Kinderkrankheiten in der Stadt New York. Von L. Wa c h e n -
heim. Monatsschr. f. Kinderheilk. Sept. 1904. p. 241.
Die Gesundheitsbehörde von New York ist durch ausreichende Geld
mittel und ein genügendes Personal in die Lage versetzt, die hygienischen
Verhältnisse der Stadt und ihrer Bevölkerung fortschreitend zu verbessern;
674 , Literaturbericht,
onterftatzt wird sie hierin von zahlreichen privaten WohlUttigkeitsimter-
nehmnngen.
Die Milchkontroile wird sehr streng gehandhabt, die Milch kontiniuer-
lieh autersacht und ihre Verfälschangen strengstens bestraft; die Qualität der
Mileh hat sich dadarch sehr gehoben. Sehr Erspriessliebes leisten auch die
Polikliniken and die Strauss- Stiftung, die den Armen gute Milch, bereits in
Flaschen sterilisiert, zu niedrigem Preise liefern. Mit der Nahrnngt-
färsorge geht die Belehrung Hand in Hand. Im Sommer werden die Ärzte,
die w&hrend des Schuljahres als Schul&rzte funktionieren, als „Summer corps*
formiert, mit der Aufgabe, die ärmere Bevölkerung zu visitieren, dabei
speziell nach magend armkranken Kindern zu forschen und den Muttern mfind-
lich and schriftlich entsprechenden Rat zu erteilen; gleichzeitig wird ein in
der Umgangssprache der Familie abgefasster „Vorschriftszettel" mit den ein-
fachsten Yerhaltungsmassregeln übergeben.
Um den Kindern auch reinere Luft zu verschaffen, veranstalten einige
Wohltätigkeitsgesellschaften während der heissen Monate täglich Wasser-
fahrten auf den sogenannten schwimmenden Hospitälern, wobei auch gesunde
Kinder bis zu sechs Jahren zugelassen werden; schwerkranke Fälle kommen
in die Seesanatorien derselben Gesellschaften, wo sich die Kinder wochenlang
an der kühlen Seeluft erholen können. Auch die Wohnungsfrage geht durch
neue strengere Bauvorschriften und durch die Fürsorge der Stadtverwaltung
einer Besserung entgegen. Infektionskrankheiten müssen binnen 24 Stunden
augezeigt werden; nach einigen Stunden findet sich ein Inspektor ein, der
für Isolierung Sorge trägt und irgendwelche vom Hausarzte begehrte Leistungen
ausfuhrt. In Diphtherie- und Scharlachfällen wird ein Plakat mit dem Namen
der Krankheit in zoligrossen Buchstaben nebst Warnung an die Wohnnngstür
geheftet. Pockenfälle werden stets in das Pockenspital entfernt. Nach jeder
Infektionskrankheit erfolgt nach Entfernung des Patienten oder nach einem
entsprechenden Zeitraum die Desinfektion der Wohnung; Bettwäsche u. dgL
sterilisiert das Amt mittels Dampf unentgeltlich. Die bakteriologische Diagnose
der Diphtherie wird seit ungefähr 12 Jahren von der Behörde unentgeltlich
ausgeführt und das Resultat dem Hausarzte durch Telephon und Post unver-
züglich mitgeteilt. Das Gesundheitsamt bereitet auch ein Heilserum, das den
Armen umsonst, den anderen zu massigen Preisen verabfolgt wird.
Gesetzlicher Impfzwang besteht zwar nicht, doch müssen alle Schal-
kinder — und der Schulzwang ist sehr streng — geimpft werden ; tatsächlich
sind also alle Schulkinder vakziniert. Pockenepidemien sind demgemäss in der
Stadt nicht endemisch, sondern werden nur gelegentlich eingeschleppt, wobei
die Schuljugend so gut wie ganz verschont bleibt. Die Prophylaxe der Tbk.
umfasst ein Spackgesetz, ein Hospital für leichte und namentlich eins für
unheilbare Fälle; die Entfernung widerspenstiger Lungenkranker, die durch
unhygienisches Verhalten Anstoss erregen, erfolgt jetzt ebenfalls gewaltsam,
und zwar in ein vom Gesundheitsamt selbst verwaltetes Spital. Ein Komitee
sucht durch Vorlesungen, Flugschriften etc. zur Belehrung beizutragen.
Durch alle diese Vorkehrungen gelang es innerhalb der letzten 30 Jahre
die Mortalität von 30 auf 18 pro Mille herabzudrücken; die Ersparnis an
Menschenleben betrifft zum allergrössten Teile die Kinder unter 5 Jahren.
Schleissner.
1. Allgemeines. Anatomie und Physiologie etc. 67&
I. Allgemeines. Anatomie und Physiologie. Allgemeine Pathologie'
und Therapie.
MüeUung über den EiseMgehali der FroMenmUek, Von C am er er. Zeitschr»
f. Biologie. XL VI.
Frfihmilch vom 3. — 12. Tag der Laktation enthält auf Grund der
Analysen Söldners in 100 ccm 0,13 mg Fe^Ot, also in 100 g Asche
50,2 mg FesOs. L. Langstein.
Zur Frage der ZuckerÜidung aus Biweiss. Von H.Lüthje. Arch. f. d.
ges. Phjsiol. 106, 106.
Exakter Stoffwechselversaeh an einem Hände mit experimentellem
Pankreasdiabetes. Selbst anter Zagrandelegang der Pflügerschen Zahl
f&r prfiexistierendes Glykogen beweist dieser Versuch schlagend, dass 919 g
Zucker ans anderem Material entstanden sind als Zucker. Dieses Material
ist im vorliegenden Fall wohl sicher Eiweiss. L. Langstein.
Der Harnstoff im menschlichen Urin. Von W. Camerer. Zeitschr. f.
Biologie. XLVI, 822.
Camerer gibt in dieser lesenswerten Abhandlung zun&chst eine
•kritische Übersicht über die Dignit&t der seit Lieb ig in Anwendung
kommenden Harnstoffbestimmungen. Er bespricht dann insbesondere die
Untersuchungen Moors bezüglich des Ureins und sieht in der Abhandlung
Erbe US, der das Urein leugnet, eher eine Bestätigung, als eine Wider-
legung der Angaben Moors. Camerer selbst nimmt in vorliegender
Abhandlung, die ausserordentlich viele methodische Fortschritte anregt,
bezüglich deren auf das Original verwiesen werden muss, noch keinen
abschliessenden Standpunkt bezüglich der Praexistenz des Ureins ein. Nicht
einverstanden kann sich Referent damit erklären, dass Camerer es ala
wahrscheinlich bezeichnet, dass beim Diabetes und bei Magen- und Darm-
krankheiten der S&uglinge schwere Störungen der Leberfunktion vorliegen, die
sekund&r zur gesteigerten Ammoniakbildung resp. Ausscheidung fuhren. . In
den Schlussbemerkungen interessiert besonders die Mitteilung Camerers,
wie oft vom Praktiker fälschlich die Diagnose des Diabetes auf Grund
reduzierender Wirkung des Urins gemacht werde. Der Vorschlag Camerers,
hier durch eine Verfeinerung der Zuckerproben Wandlung zu schaffen, ist
sicherlich beherzigenswert. L. Langstein.
Beiträge sur Kenntnis des Labensyms. Von E. Moro. CentralbL f. Bakteriol.,
Parasitenkunde u. Infektionskrankh. I. Abt. XXXVII, 4.
Die Magenschleimhaut des Neugeborenen enthält wirksames Labenzym
und zwar ist dasselbe, unabhängig von der ersten Nahrungsaufnahme, im
nüchternen Magen nachweisbar. Damit büsst die Annahme Fulds, dass wir
im Lab den Antikörper des Kaseins zu sehen haben, an Wahrscheinlichkeit
ein. Rinderlab und Menschenlab sind spezifischer Natur — allerdinga
scheint eine nicht geringe Universalität tierischer Labenzyme vorhanden zu
sein. Die von Szydlowski berichtete Tatsache, dass Frauenmilch Antilab-
enthält, konnte Moro bestätigen. Die autilabende Wirkung der Frauenmilch
ist interessanterweise nur für Kuhlab spezifisch. L. Langstein.
Neuere Forschungen auf dem GeUete der Eiweisschemie, Von £. Abderhalden..
Medizinische Klinik. 1905. 1 u. 2.
In gedrängter Übersicht werden die Resultate der neuesten
676 Literatarb cri cht.
fTorscbuDgen aut dem Gebiete der Eiweisscbemie mitgeteilt — mit besonderer
BerücksichtiguDg der Yerdienste Emil Fischers um das Eiweissproblem.
Auf Grand neuer, noch nicht publizierter Versuche kommt Abderhaden
zur Auffassung, dass im Magen-Darmkanal nur eine partielle Hydrolyse der
Eiweisskörper stattfinde, nicht eine totale, wie dies Kutscher, Seemann
und Gohnheim annehmen. In ähnlicher Weise soll sich die Spaltung der
Proteinstoffe bei der Antolyse yollziehen. Von besonderem Interesse erscheint
dem Referenten die mitgeteilte Beobachtung, dass Koma- Harn Tyrosin ent-
halte. Die Tatsache steht in guter Übereinstimmung mit dem zuerst vom
Referenten erhobenen Befand, dass der schwere Diabetiker Homogentisin-
s&ure im intermedi&ren Stoffwechsel nicht vollständig zu verbrennen imstande
sei. Es besteht demnach beim Diabetiker eine Störung im Abbau der
«romatischen Gruppe des Eiweissmolekuls. L. Langstein.
Dis Bedeutung- der Verdauung der Eiweisskörper für deren AssimiiaiUm.
Von E. Abderhalden. Centralblatt für Stoffwechsel und Verdauungs-
krankheiten. V. 24, 647.
Enthält zumeist theoretische Auseinandersetzungen über Verdaaiing
und Assimilation — unter der Voraussetzung, dass im Magen-Darmkanal nur
•eine partielle Hydrolyse der Proteiustoffe stattfinde. Die hier zum Ausdruck
gebrachte Auffassung vom Wesen des Verdauungsprozesses lehnt sich eng an
<iie von Hamburger vertretene an. L. Langstein.
Über das Verkaiien van Monaminosäuren im hungernden Organismus, Von
Rahel Hirsch. Zeitschr. f. exp. Pathologie u. Therapie. I.
10 g per es zugefuhrtes i Alanin (Aminopropionsäure) werden voll-
ständig zu Harnstoff verbrannt. Subkutan injiziertes i Alanin wird vom
Hungerhund nicht vollständig oxydiert. Das unverändert ausgeschiedene
Alan in ist optisch aktiv — ein gewissen Substanzen aus der Kohlehydrat-
reihe analoges Verhalten. Ebenso wie das Hangertier verhält sich das
Phlorhidzinhungertier, ebenso wie der gefütterte Hund das reichlich gefütterte
Tier, dem das Pancreas exstirpiert wird.
Das wichtige Versuchsergebnis der Arbeit ist die Klarstellung^ dass
Unterschiede im Aminosäurenstoffwechsel des gefütterten und des hungernden
Organismus bestehen. L. Langstein..
Über cUls Verkaiien der Aikaiie» auf das Knockenwacksium, Von Hans
Aron. (Vorläufige Mitteilung.) Arch. f. d. ges. Physiol. 106. S. 91.
Untersuchungen, welche der Erforschung der Lecksacht der Rinder
dienten, führten Verfasser zu bemerkenswerten Ergebnissen bezüglich des
Einflusses von Natrium- und Kaliumgehalt der Nahrung auf Kalkansatz und
Knochenbildung.
Bei stark vermindertem Natrium- und hohem Kaliumgehalt der Nahrung
bleiben trotz ausreichender Calcium- und Phosphorzufuhr Kalkansatz und
Knochen wachst nm hinter der Norm zurück. Die chemische Analyse solcher
Knochen ergab, dass die absolute Menge des gebildeten Knochens vermindert,
dagegen die Zusammensetzung der Knochen die gleiche wie die normaler
Knochen ist. Die Alkalien sind an die Knochenphosphate so fest gebunden,
^aas sie weder darch Aas waschen noch durch anhaltendes Kochen der Asche
mit Wasser gelöst werden können. Auch im Reagenzglas spielen sich
zwischen Calciumphosphaten und Alkalichloriden chemische Vorgänge ab, die
I. Allgemeines. Anfttomie aud Physiologie etc. 677
geeignet sind, auf den biologischen Einflass des Alkaligehaltes der Nahrong^
auf das Knochenwachstum einiges Licht zu werfen. Bezüglich dieser ver-
weist der Autor auf die ausführlich folgende Mitteilung.
L. Langstein.
/. Theorie der Osmose und Narkose, a. Der Oberfläckendruck und seine Be-
deutungr im Organismus. Von J.Traube. Pflügers Archiv. Bd. 105. 1904.
Ausgehend von einem Ergebnis früherer Untersuchungen, dass «je
grösser die Geschwindigkeit der Osmose eines wasserlöslichen Stoffes ist,
derselbe umsomehr die Eapillaritätskonstante {y) des Wassers erniedrigt*',,
stellt Verf. die Theorie auf, dass die Differenz der Oberflächenspannungen
zweier Flüssigkeiten — der Oberflächendruck — die treibende Kraft der
Osmose sei. Dieser Druck ist natürlich Töllig verschieden vom osmotischen
Druck. Im Anschlnss daran entwickelt er auch eine neue Theorie der
Narkose, wonach die narkotische Wirkung von Stoffen von ihrer Kapillar-
aktivität, d. h. den Oberflächendruck in Flüssigkeiten zu erniedrigen, abhängt.
In der zweiten Abhandlung zieht Verf. von seiner Theorie einige
Folgerungen für das Gebiet der Biologie und teilt einzelne Versuche mit,,
die sehr beachtenswert sind (Galle, Harn). Näheres muss in der Original-
abhandlung nachgelesen werden. Rietschel.
Beitrag stur Kasuistik der Halsrippen, Von Hugo Levi. Neurol. CentralbL
1904. No. 21.
Das sonderbare Zusammentreffen von Halsrippen mit organischen Er-
krankungen des Zentralnervensystems (Syringomyelie) wurde bereits von
Borchardt hervorgehoben. Auch Verf. weiss über einen Fall zu berichten,
bei dem beiderseitige Halsrippen mit multipler Sklerose kombiniert gewesen.
Dieser Zusammenhang ist vielleicht kein zufälliger. Die vorhandenen Hals-
rippen könnten die Bedeutung von Degenerationszeichen besitzen, wie man
sie bei angeborenen Krankheiten des Zentralnervensystems häufig findet. Die
Syringomyelie und multiple Sklerose hierher einzureihen, ist wohl denkbar,,
da man zum mindesten eine kongenitale Disposition zu diesen Krankheiten
voraussetzen muss. Zapper t.
Über Sckwangersckaftsreaküonen fötaler Organe und ihre puerperale Involution,
Von J. Halban. Vortr. i. d. k. k. Gesellsch. der Ärzte in Wien.
11. Nov. 1904. Nach Wiener klin. Wochenschr.
Die Untersuchungen führten zur Annahme, dass die chemischen Stoffe,,
welche während der Schwangerschaft im Blute der Mutter zirkulieren, auch
in den Kreislauf der Frucht übergehen und im Organismus der Frucht analoge
Veränderungen hervorrufen, wie im Körper der Mutter. So wären die
Graviditätsreaktionen der Mamma durch die Schwangerschaftssubstanzen
(bei Mutter und Kind) bedingt, die Milchsekretion aber wäre das erste
Stadium der puerperalen Involution. Hierher gehören weiter die an
Menstruation erinnernden Veränderungen am fötalen Uterus, die fötale Hyper-
trophie und die Genitalblutungen neugeborener Mädchen, weiter toxische
Nebenwirkungen der Schwangerschaftssubstanzen (Hyperleukozytose, Fibrin-
vermehrung des Blutes bei Mutter und Kind). Auch die Prostata der Frucht
macht eine fötale Hypertrophie durch. Die wirksamen Substanzen sind von
der Placenta sezernierte Produkte. Auch die Eklampsie ist ein Effekt dieser
Stoffe, die von der Placenta an den mütterlichen und dem fötalen Organismus^
abgegeben werden. Neurath.
^78 Literatarbericht.
Vroaeny defekt prsnick svalu lere sirany, (Angeborener Defekt der Brost-
muskulatur der linken Seite.) Von Kopfstein. Casopis lekarn ceskjeh.
1904. No. 48 u. 44.
Bei einem 9jährigen, sonst gesunden Knaben zeigte sich angeborener
Defekt des linken M. pectoralis maior und minor, anch der Deltoides war
links wesentlich schwächer als rechts. Der Hnmerns zeigte eine Verkürzung
▼on 3 cm gegen den der rechten Seite; die Brustwarze stand links 2 cm
•höher als rechts^
Bei der Geburt hatte der Pat., entsprechend dem hinteren inneren
Winkel der linken Parietale einen linsengrossen Hautdefekt gezeigt, der bald
yerheilte; Tielleicht waren amniotische Verwachsungen, die diesen Hautdefekt
herbeigeführt hatten, auch Ursache des Muskeldefektes. Schleissner.
£in FaU von beiderseitigem Lipotna fHomfptae, Von Königsberger. Müneh.
med. VITochenschr. No. 5. 1905.
Beobachtung bei einem 12jährigen Kafirmädchen. Entwicklung der
Geschwülste zu einem Gewicht von 35 Pfund innerhalb 2 Jahre.
Misch.
Xiber extreme Körpergemichtsabmakmen bei Kindern der ersten swei Lebens-
fahre. Von Robert Qu est Monatsschr. f. Kinderheilkunde. Bd. IH.
Jan. 1905. p. 453.
Die Torliegende Arbeit sucht auf Grund von Krankengeschichten die
Frage zu beantworten, welche Grösse der Gewichtsabsturz bei einem Säug-
linge überhaupt erreichen kann und bei welcher äussersten Grenze die Er-
haltung des Lebens noch möglich ist; die grösste von Q. beobachtete Körper-
gewichtsabnahme betrug 39,9 pCt. bei letalem Ausgange; die grösste, bei
der noch Reparation möglich war, 34,8 pCt.
Bei den an Ernährungsstörungen erkrankten Kindern ist vor allem
auffallend, dass die extremen Körpergewichtsabstürze sich nie rapid, sondern
io Wochen und Monaten Tollziehen; die akuten Fälle erreichen trotz an-
dauernden Erbrechens und profuser Diarrhöen nie eine Abnahme Ton über
25 pCt., u. zw. weil sie schon vorher sterben; bei chronischen Fällen zieht
sich aber das Leben lange genug hin, um eine solche Abnahme zu er-
möglichen. Der Hauptunterschied in den Körpergewichtsabnahmen bei akuten
und chronischen Fällen liegt in der Grösse der täglichen Körpergewichts-
verluste. Bei akuten Fällen betragen dieselben 100 bis 200 g und darüberi
und die Gewichtskurve zeigt schroffen, fast vertikalen Abfall; bei chronischen
Fällen, wo die täglichen Abnahmen geringer sind, sieht man ein langsameres,
aber stetes Absinken der Körpergewichtskurve; dieselbe verläuft in einer
Linie, welche mit der vertikalen einen Winkel von etwa 45 <> bildet, und zeigt
nur bei akuten Exacerbationen und plötzlichem Nah rungs Wechsel grössere
Schwankungen.
Die Schlusssätze lauten: Extreme Körpergewichtsabnahmen bei
Kindern der ersten zwei Lebensjahre kommen am häufigsten bei chronischen
Ernährungsstörungen und Tuberkulose vor. Die änsserste Abnahme, die mit
der Erhaltung des Lebens noch vereinbar ist, beträgt 84 pCt. des Körper-
gewichtes. Die Heilung solcher Fälle kann zumeist nur durch Anlegen sn
-die Brust noch erreicht werden, jedenfalls ist dieser Weg sicherer als jede
•künstliche Ernährung. Schleissner.
I. Allgemeines. Anatomie und Physiologie etc. 679
Üher Trockenmilch und ihre Verwendung cUs NakrungsmUtei, Von A. Jaquet.
Korrespondenzblatt f. Schweizer Ärzte. 1904. No. 23.
Unter der Bezeichnaag ^pondre de lait complet Klaus** bringt die
Schokoladenfabrik J. Klaus in Locle und Mortean ein Präparat in den
Handel, das aus reiner Milch hergestellt wird, und zwar im wesentlichen
nach folgendem Verfahren: die Milch fällt in feinem Regen auf zwei
parallel, in entgegengesetzter Richtung rotierende Zylinder, welche von
innen erhitzt werden bis zu einer 100 <^ Celsius übersteigenden Temperatur;
im Augenblick, wo die Milch die Zylinderfläche in dünnem Strahl erreicht,
tritt sofortige Verdampfung ein, eine Überhitzung des Produktes wird dadurch
verhindert, dass sich zwischen Milch und Zylinderfläche eine Wasserdampf-
schicht bildet. Die verdampfte Milch gelangt durch die Rotation der Walzen
in den zwischen ihnen gelassenen Spalt von 1—2 Millimetern, wo sie kom-
primiert wird; aus dem Spalt fällt sie in einen Rezipienten, wo weitere
Trocknung und Abkühlung stattfindet. Die Masse wird dann noch gebrochen
und gesiebt, und das so gewonnene pulverförmige Produkt ist die sogenannte
Trockenmilch.
Prof. Jaquet hat nun dieses Präparat einer näheren Untersuchung unter-
zogen. Dasselbe gibt mit warmem Wasser eine vollständig homogene
Emulsion, die sich von der natürlichen Milch in Aussehen und Geschmack
nicht unterscheidet. Wenn man 186 Gramm Trockenmilch zur Herstellung
von 1 Liter Milch verwendet, so erhält man eine Milch, deren Zusammen-
aetzung ungefähr der mittleren Zusammensetzung der Kuhmilch entspricht,
wie ans den ausführlich mitgeteilten chemischen Untersuchungen der Trocken-
milch seitens des Verfassers hervorgeht. Das Präparat erwies sich ferner
als steril; die daraus hergestellte Milch veränderte bei Zimmertemperatur
2 — 3 Tage lang nicht ihre Acidität, die von vornherein sehr gering ist. Das
Verhalten des Milchpulvers gegen die Einwirkung von Lab ist insofern von
dem Verhalten der normalen Milch verschieden, als die mit dem Pulver
hergestellte Milch nicht in zusammenhängenden Klumpen gerinnt wie die
normale Milch, sondern in eine körnige Creme, wie dies bei der Labwirkung
auf Frauenmilch der Fall ist.
In einem Stoffwechselversuch an sich selbst, sowie an seinem 7 Monate
alten Knaben konnte Verfasser gute Verdaulichkeit und Assimilierbarkeit der
Trockenmilch erweisen. Die Haltbarkeit der Trockenmilch ist eine vorzüg-
liche, 6 Monate alte Präparate waren so tadellos wie frische.
Die Vorzüge eines solchen Präparates, besonders für die Ernährung
der Säuglinge in grossen Städten, sind handgreiflich, und weitere grössere
Versuchsreihen damit dürften nicht ausbleiben. R. Rosen- Berlin.
Brustsaugen und Flasckensaugen. Von A. Schmidt. Münch. med* Wochen-
schrift No. 48. 1904.
Empfehlung eines auf Anregung des Verfassers hergestellten Sang-
«topfenmodells „Vulkansauger**, bei dem das Mitschlucken von Luft ver-
mieden nnd der Saugakt dem Brustsaugen konform gemacht wird.
Misch.
Welche praktischen Resultate liefern uns die neuesten Forschungen auf dem
Gehlete der Biologie der Frauenmilch und der verschiedenen Tiere. Von
Korybut-Daszkiewicz. Czasopismo lekarskie. 1904. No. 7. (Polnisch.)
1. Die Milch enthält gewisse Fermente, welche bei der Sänglings-
•emährung eine bedeutende Rolle spielen. Wir müssen daher Mittel suchen,
680 Liter aturbericht.
um die Benutzung roher Milch bei künstlicher Ernährung zu ermöglichen
ohne Besorgnis der Infektion mit Tuberkulose oder anderen Krankheiten.
2. Es sollen daher Musterstallungen angelegt werden unter Kontrolle von
Ärzten und Veterinären, um womöglich auch die Yiehtuberkulose einza-
schränken. 3. Bis dahin ist das Kochen der Milch als kleineres Übel weiter
anzuwenden, da die Vorbeugung der Tuberkulose wichtiger ist, als der Ver-
lust der biologischen Eigenschaften der Milch durch Vernichten der Fermente.
4. Es kann keine Nahrung die Muttermilch ersetzen; es soll demnach Pflicht
der Arzte sein, die Mutter auf diesen Umstand aufmerksam zu machen.
Jan Landan-Krakau.
Über den therapeuHschen Wert der Glycero- PkospheUverbinduugen bei Kindern,
Von J. Smoleüski. Medjcyna 1904. No. 35—37. (Polnisch.)
Verfasser wendete diese Verbindungen in 34 Fällen an und zwar bei
19 Säuglingen im Alter von 1 — 11 Va Monaten und bei 15 Kindern von
1 — 5 Jahren. Die Kinder wurden durchnittlich 24 Tage beobachtet. Es
waren meistens Kinder mit Konstitutionskrankheiten und damiederliegender
Ernährung. Intern wurde Calcaria et Natr. glycerino-phosphoricnm gereicht
in Form des Gljcero-Phosphate granulc Robin und die Mischung: Calcariae
glycerino-phosphoric. 2,0 — 2,50 -|- Natr. gljcerin.-phosphorici 0,50 -{~ Aqu.
destill. 160,0 + Syr. simplic 20,2 Da.: 2—3 Esslöffel täglich, je nach dem
Alter. Subkutan wurde das fertige Präparat Natr. gljcerino-phosphorieum
Robin verwendet.
Verfasser bemerkt: 1. In keinem Falle waren schädliche Neben-£r-
scheinungen zu beobachten. 2. In vielen beobachteten Fällen war Besserung
in Form von Gewichtszunahme, Besserung des Appetits und der Stimmung des
Kindes zu bemerken. 3. Obwohl bei der Rachitis kein besonderer Erfolg
zu sehen war, glaubt Verfasser, dass ein abschliessendes urteil erst nach
längerer Beobachtung abgegeben werden könnte. 4. Betreffs der Wirkung
der Präparate geht Verfassers Ansicht dahin, dass dieselben als Derivate
des Lecithins den Mangel an Lecithin in verschiedenen Körperteilen ersetzejk»
Jan Landau -Krakau.
Gefahren der Sckultzescken Schwingungen. Von Hengge. Mnnch. med.
Wochenschr. No. 48. 1904.
Subseröse und intraparenchymatöse Blutungen bei 3 Kindern, zu deren
Wiederbelebung Schultzesche Schwingungen angewandt wurden. Verfasser
rät die Anwendung der Schwingungen möglichst einzuschränken, und bei
Obduktionen Neugeborener für Befunde von Biotungen und Läsionen erst
bei Ausschluss der Schultz eschen Schwingungen Erstickung, Geburtstrauma,
Eklampsie etc. verantwortlich zu machen. Misch.
Die angeblichen Gefahren und die sicheren Vorteile der künstlichen Atmuttg
durch Schwingen des tief- scheintoten Kindes, Von B. S. Schnitze.
Beobachtungen über die Gefahren Schultz escher Schwingungen. Von
G. Burckhard- Würzburg. Münch. med. Wochenschr. No. 6. 1905.
Die subkapsularen Blutungen in Leber und Nebenniere etc., die jüngst
aU Folgen des Schwingens gedeutet wurden, sind, lange ehe Kinder ge-
schwungen wurden, den pathologischen Anatomen des vorigen Jahrhunderts
als typisch für in der Geburt gestorbene Kinder bekannt gewesen. Auch B.
I. Allgemeines. Anatomie und Physiologie etc. 681
tritt an der Hand grossen Materials ffir die Schwingungen ein, deren Teehni)L
man allerdings beherrschen müsse, und die bei Frahgebnrten in der Tat
Vorsicht erfordern. Misch.
BgsHmmung der Fieberhöhe durch Dauermesswig, Von Oertmann. Mfinch.
med. Wochenschr. No. 48. 1904.
Die Schwierigkeit, daaernd an geeigneter Stelle ein Maximaltherroometer
liegen za lassen, hat bisher die Einführung der Dauermessung verhindert;
ohne diese kennt man nor die Temperatarverh<nisse su den Messungs-
Zeiten, die der Zwischenzeit bleiben anbekannt. Mit dem vom Verfasser
konstruierten Pessarthermometer ist die Dauermessung ohne Belästigung des
Exploranden ausführbar und eine brauchbare Methode gegeben. Misch.
Über die AnwenduHg^ abgetöteter Typhusbojrillen Mur Ausführung der Gruber-
WUialscheu ReahHon. Von Georg Klien. Therapeutische Monatshefte
1905. Heft 1.
Wenn auch die Gr über- W idaische Reaktion nicht ganz eindeutig
für die Tjphnsdiagnose rerwertet werden kann, so bedeutet sie doch immer-
hin ein wichtiges Hülfsmittel, das im Verein mit anderen Symptomen zur
Diagnose des Typhus führt. Für den Praktiker war aber die Ausführung
der Reaktion bisher schwierig, es fehlte ihm meistens neben den technischen
Hfilfsmitteln vor allem der geeignete Typhusbazillen- Stamm. Schon Widal
fand, dass auch abgetötete Typhusbazillen die Agglutinationsfthigkeit be-
wahren. Der Verfasser verwandte für seine Untersuchungen das Fickersche
Diagnostikum, das von der chemischen Fabrik Merck- Darmstadt in den
Handel gebracht wird und das abgetötete Typhusbazillen und die spezifisch
agglatinablen Stoffe enth<. Mit diesem Diagnostikum kann man den Ausfall
der Reaktion mit blossem Auge feststellen. Die Ausführung der Reaktion
(Bereitung der verschiedenen Serum-Verdünnungen) entspricht dem üblichen
Widal sehen Verfahren. Es wird nun eine ganze Reihe von Fällen von
Typhus mitgeteilt, bei denen die Reaktion ausgeführt wurde, und zwar mit
positivem Erfolge; zur Kontrolle wurde das Serum anderer Kranker mit dem
Fickerschen Diagnostikum geprüft; es'erfolgte keine Reaktion.
Auf Grund seiner sorgfältigen Untersuchungen glaubt demnach Ver-
fasser, das Fickersche Diagnostikum zur Ausführung der Agglotinations-
probe dem praktischen Arzt empfehlen zu können als bequemes und gutes
Hilfsmittel für die oft schwierige Typhusdiagnose. R. Rosen -Berlin.
Über ein neues Verfcihren sur Gewinnung von Antikörpern. Von F. Loeffler.
Deutsch, med. Wochenschr. No. 52. 1904.
Die von Koch geübte Methode der Zerreibnng der Bazillen zu feinstem
Pulver, bis keine intakten Bazillen mehr in der Verreibung nachweisbar
sind, Iftsst die Gefahr bestehen, dass vereinzelte infektionstüchtige Gebilde
intakt bleiben. L. erhitzt deshalb die getrockneten Infektionserreger bis
auf die zu ihrer sicheren Abtötung notwendigen Temperaturen. Seine Ver-
suche ergaben, dass dabei die Fähigkeit der Infektionserreger, spezifische
Antikörper zu bilden, erhalten bleibt. Diese Methode gewährleistet eine
ganz gefahrlose Antikörpergewinnung und gestattet, alle möglichen Substanzen,
Mikroosganismen, Organteile von gesunden und kranken Individuen, Ge-
schwülste aller Art zur Antikörperbirdung in bequemer Weise zu verwenden.
Misch.
Jahrbuch f. Kinderheilkunde. N. F. I.XI. 4. 44
682 Literatnrbericht.
KasuisHscher BgUrag »ur Kenntnis der GynäkomasHe. Von Sommer. Mäneh.
med. Wocheoschr. No. 40. 1904.
Kräftig entwickelte Mammae mit deutlich palpierbaren D rasen l&ppehen
bei einem 15 jährigen Knaben. Ob ein Zusammenhang mit Masturbation be-
steht, der in derartigen Fällen schon ätiologisch nachgewiesen wurde, wird
nicht erörtert. Misch.
Beitrag zur Wirkung subkutaner Arseneinspritsungen bei Kindern. Von
M. Biehler. Kronika lekarska 20, 21. 1904. (Polnisch.)
Es wurden behandelt mit Natrium cacodylicum neun Rinder, mit
Arrhenal 9 Kinder, mit Ferrokodjl fünf Fälle.
Verfasserin gelangt auf Grund ihrer Beobachtungen zu folgenden
Schlüssen :
1. £s wurden in keinem der Fälle üble Nacherscheinnngen beobachtet
2. Es wurden auch keine lokalen Erscheinungen bemerkt, wie z. B.
Abszesse an der Injektionsstelle, Schmerzhaftigkeit u. dergl.
8. Die Kinder vertragen gut das Steigern der Dosis.
4. Es wurde Gewichtszunahme bemerkt, wie auch Besserung des Appetits
und des allgemeinen Aussehens.
5. Diese Kakodylpräparate solten besonders in der pädiatrischen Praxis
Anwendung finden, da sie weniger giftig sind, als Arsenik in der jetzt ge-
bräuchlichen Form. Jan Landau-Krakan.
Hundertjahrfeier des Edinburgh Medical Journal, Januarheft tpos* Abschnitt
„Kinderkrankheiten** von M. Dunlop.
Unter allen behandelten Fächern kommt dieser Abschnitt, wie zu er-
warten, seht zu kurz. Der Aufsatz bringt eine Darstellung der Entwicklung
der Kinderheilkunde in England in 100 Jahren, bezw. eigentlicli in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts im Zusammenhang mit der internationalen
Entwicklung des Faches. Die Auswahl, die der Verfasser bei der Aufuhrung
von Lehrbüchern und Literatur macht, ist entschieden verunglückt; so nennt
er für Frankreich überhaupt nur Rilliet und Barthez und in grossem
Sprunge Grancher und C o m b y , für Deutschland aber ausschliesslich Vogel,
Henoch, Gerhardt; besser geht er bei den Zeitschriften vor. Die grösste
Förderung des Fortschrittes in der Kinderheilkunde schreibt er Amerika zu.
(Wenigstens hat dieses einen weiten Vorsprnng vor der englischen Pädiatrie.
Ref.) Spiegelberg.
II. ErkrankuDgen der Neageborenen.
/feierte Kiemengangfistel, Exitus am vierten Tage. Von H. Gramer. Monats-
schrift f. Kinderheilk. Sept. 1904. p. 252.
Es handelt sich in der vorliegenden Beobachtung um einen links neben
dem Ösophagus gelegenen Fistelgang; eine innere Öffnung desselben war in der
Ösophagusschleimhaut auf der linken Seite in der Höhe des Sinus piriformis
nachweisbar. Die Erkrankung entwickelte sich in kürzester Zeit nnd führte
noch vor Ablauf des 4. Lebenstages zum Tode. Der Grund hierfür liegt in
erster Linie wohl in der Streptokokkeninfektion, die durch die Kommuni-
kation mit dem Ösophagus entstand. Das Kind zeigte intra vitam neben den
Erscheinungen der Sepsis aashaft stinkende Mekoniumentleerungen ; bei der
III. Säaglingsernähraog. Magendarmkrankheiten etc. ggg
Sektioo fanden sich in der Dunndarmwand massenbaft stecknadeikopfgrosse
Knötehen, in denen Streptokokken nachweisbar waren. Vielleicht w&re es
möglieh gewesen, bei rechtzeitiger Eröffnung des Herdes, bevor noch die
rapide Eiterung eintrat, den tödlichen Ausgang za rerhindern.
Schleissner.
Kongenitales Cystadenom der rechten Parotis, Von G. Frhr. v. Saar. Prager
med. Wochenschr. No. 52. 1904.
Es handelte sich am eine enorm grosse Geschwolst, die klinisch als
Sarkom angesprochen, anatomisch und histologisch als Cjstadenom erkannt
wurde. Neurath.
Beitrag zur Melaena neonatorum. Von IsidorFischer. Wiener med . Presse.
No. 52. 1904.
Nach einer gründlichen Darleg aug der Ansichten über Anatomie und
Ätiologie der Melaena berichtet F. über das Auftreten der Krankheit bei den
ersten zwei, in einem Intervall von 14 Monaten geborenen Kindern toU-
st&ndig gesund erscheinender Eltern. Beide Kinder starben. Mehr des
Trostes halber, als aus LuesTordacht wurde nun eine Behandlung der Mutter
mit Quecksilbervaginalkugeln eingeleitet. Das 3. Kind blieb gesund. In der
Literatur finden sich 5 Beobachtungen von famiü&rer Melaena.
Fischer denkt nicht daran; in seinem Falle eine syphilitische Ätiologie
anzunehmen, sondern ist nur geneigt, eine konstitutionelle Basis der Melaena
neonatorum zu yermuten. Neurath.
Ü6er Gonokokkensepsis der Neugeborenen, Von Brehmer. Manch, med.
Wochenschr. No. 2. 1905.
Kasuistische Mitteilung. Im Anschluss an Ophthalmoblennorrhoe traten
eitnge Erkrankungen der Gelenke auf, die bei der Sektion neben Gonokokken
andere Kokken erwiesen. Misch.
III. SftaglingMm&hniDg. Magendarmkrankheiten der S&uglinge.
Zur Frage der epUMeiiaien Veränderungen bei den Magendarmkrankheiten des
Säuglings. Von Tugendreich. Deutsche med. Wochenschr. No. 6. 1905.
Neben der Vermeidung kadayeröser Veränderungen etc. ist für die
intestinalen Erscheinungen auch der Verdauungszustand zu berücksichtigen.
Die durch Resorption (des Fettes) bedingten Veränderungen des Epithels
sind Gegenstand der vorliegenden experimentellen Untersuchungen. So werden
die nach Baginsky pathologischerweise vorkommenden Epitheldefekte in
ähnlicher Weise durch die Verdauung hervorgerufen; und auch an den Kernen
werden als Folge der Verdauung Bilder gefunden, die grosse Ähnlichkeit mit
von anderer Seite als pathologisch beschriebenen karyolytischen Vorgängen
haben. Misch.
Beitrag stur Sänglingsernäkmng* Von J. Wislocki. Czasopismo lekarskie.
1904. No. 7. (Polnisch.)
Verf. gelangt zu folgenden Schlüssen: 1. Die Muttermilch, eventuell die
Ammenmilch, bt die geeignetste Säuglingsnahrung; 2. bei Unmöglichkeit der
Darreichung derselben soll frische, gate Kuhmilch gereicht werden, indem
44»
684 BesprechuDgen.
die Kinder aufs Land geschickt werden oder daroh Errichtung von Master-
milchhallen in der Stadt. Zn wenig wird Ziegenmilch angewendet, obwohl
dieselbe leichter za beschaffen ist als andere Miichgattungen ; 8. wenn frische
(rohe. Anm. d. Ref.) Milch nicht verwendet werden kann, soll dieselbe kon
gekocht and nicht lange aufbewahrt werden; 4. sterilisierte, pasteorisierte
u. dergl. Milch ist die ungeeignetste Nahrung für einen S&ugling und wirkt
immer nach einiger Zeit schlecht ein auf die Gesandheit des Kindes.
Jan Landau-Krakaa.
Die Pylorusstenose der Säugiimge, Von Job. Schmidt Manch, med. Wochen-
schrift. No. 7. 1905.
Enth< eine zusammenfassende Darstellung des Standes der Frage mit
einem Bericht über zwei eigene Beobachtungen. Beide Kinder wurden operativ
behandelt und starben; angeblich weil sie zu sp&t operiert wurden.
Misch.
Verdauungsstörungen bei Säugli$igen infolge der Verabreichung koker Fett-
mengen. Von L. Emmet Holt. Medicai Nows. 1905. No. 2.
Mehrere Erkrank ungsf&Ue nach l&ngerer Verwendung zu fettreicher
Nahrung. Im ersten gedieh das Kind bei regelmässigem Gebrauche 6proz.
Mischung 8 Monate lang unter starker Zunahme äusserlich vorzfiglich (Stuhl?),
bekam dann schwere nervöse Anf&Ue, Lebervergrösserong, Fettdiarrhoe,
brauchte auf Diat&nderung 8^/3 Monate bis zur Heilung; das vierte (zwei und
drei ähnliche Fälle) Kind bekam habituelles Erbrechen, ernsten Darmmagen-
katarrh, der durch Waschungen geheilt wurde. In einem fünften endlich
traten neben Obstipation (!), habituellem Erbrechen und Ekzemen besonders
wieder die nervösen Erscheinungen hervor. Holt knüpft daran für seine
Landsleute die Mahnung, bei einzelnen Nahrnngsmischnngen die Fettprozente
genau zu beachten. Spiegelberg.
Säuglingsemäkrung und Milckmodifikation. Von R, E. van Gieson. Medicai
News. 1904. No. 20.
G. will noicht Formeln konstruieren, sondern die Grundsätze erörtern,
auf welche solche aufgebaut werden können^. Zu diesem Zwecke verbreitet
er sich ziemlich weitschweifend über die ganze langjährige einschlägige
Literatur. Spiegelberg.
Besprechungen.
Graneher und Comby, TraUe des maladUs de ren/ance. II. Edition.
Tome IV. Paris 1905. Massen et Cie.
Der nunmehr in 2. Auflage vorliegende vierte Band des rühmlichst
bekannten fünf bändigen Handbaches enthält die Krankheiten des Nerven-
systems, der Muskeln und der Haut und umfasst in der neuen Auflage nicht
weniger als 1076 Seiten.
Hervorgehoben sei die Vollständigkeit des Inhalts; die Psychosen des
kindlichen Alters und die Sprachstörungen findet der Belehrangsuchende
Bespreohangen. 685
ebeD80 sachkaodig abgehandelt wie diejenigen Erkrankungen, die in allen
Lehrbüchern beschrieben sind. Besonderer Wert ist offenbar aaf diejenigen
pathologischen Zust&nde gelegt worden, die zur Zeit lebhaft diskutiert werden.
So hat z. B. der Meningismus eine ausführliche Darstellung erfahren. Auch
der «paraljsie doulourease'^ ist ein besonderes Kapitel gewidmet.
Von Einzelheiten sei nur erw&hnt, dass der Bearbeiter der epidemischen
Cerebrospinalmeningitis, Baginsky, die ätiologische Bedeutung desMeningo-
coccus intracellularis voll anerkennt. Stoeltzner.
▼• Imerwol» Les infectUms iniramuscuiaires de sublime ä dose massive conire
ia syphüis infanüle, Extrait de la Semaine M4dicale du 22. juin 1904.
In kurzer Form der Inhalt der vorstehend referierten Abhandlung.
Ref. kann ans eigener Erfahrung gerade der letzten yon ihm klinisch
behandelten F&lle die Empfehlung der Sablimatinjektionen für die Therapie
der Syphilis hereditaria unterstützen. Nur muss bemerkt werden, dass die
Methode der Sublimatinjektionen denn doch von keinem anderen als Lew in
herrührt und nur nach ihm benannt werden kann. Sa Ige.
Praasnitz, W.» Grundsüge der Hygiene, München, 1905, J. F. Lehmann.
7. erweiterte und vermehrte Auflage.
Über das Prausnitzsche Lehrbuch der Hygiene braucht kaum mehr
eine Kritik geschrieben zu werden. Es gilt wohl allgemein wegen seiner
objektiven und knappen Schreibart als eines der besten Bücher, die den
Studenten und den jungen Arzt in das Studium der Hygiene einführen.
Auch die neue 7, Auflage zeigt wieder einige Erweiterungen, besonders in
dem Kapitel „Infektionskran kheiten'S
Ludwig F. Meyer.
Moorad« S., Päediairiske ForelaestUnger og Siudies an den Raekke, (Pädia-
trische Vorlesungen und Studien. 2. Reihe.) Kopenhagen 1903.
Diese Arbeit ist eine Fortsetzung der früher im Jahrbuch für Kinder-
heilkunde besprochenen ersten Vorlesungsreihe des Verfassers, die sich
wesentlich mit der objektiven Untersuchung bei dem Kinde, mit Gewichts-
verhältnissen und der körperlichen Entwicklung, mit der allgemeinen Hygiene
und mit der Ernährungs frage beschäftigte.
In der vorliegenden zweiten Vorlesungsreihe, die wie die erste für
Arzte und Studierende in Kopenhagen abgehalten ist, werden die in der
Kinderheilkunde so wichtigen Kapitel der akuten und chronischen Ver-
dauungsstörungen bei Säuglingen behandelt.
In der ersten Vorlesung gibt Verf. eine Darstellung der Pathologie
und Behandlung der „Dyspepsie und Obstipation bei Brustkindern'', in der
zweiten spricht er über „akute toxiinfektiöse Gastro-Enteritis bei künstlich
ernährten Säuglingen^, in der dritten und vierten über ^Chronische Dyspepsie
(Catarrhus gastro-intestinalis chronicus)^ und in der fünften über „Atrophia
infantilis*.
Aus dem Texte sieht man, dass die Vorlesungen von Krankenvor-
stellungen begleitet waren.
Wie die dargestellten Anschauungen über die Entwicklung der
Symptome und über die Behandlung aus den praktischen und selbständigen
Erfahrungen des Verfassers hervorgegangen sind, so sind auch die Vor-
lesungen dem Bedarf des praktischen Lebens angepasst. Sie geben in einer
686 Internationaler Kongress etc. — Berichtigung.
wirklich knappen und klaren Form und in einer angenehmen Sprache die
wichtigsten Stützpnnkte zum Verständnis der oft so verwickelten Symptomen-
komplexe bei den erw&hnten Krankheiten und yerteilen gewöhnlieh Licht
und Schatten gleichmässig unter den streitenden Hypothesen und Theorien
über die Ätiologie und Pathogenese.
Ab und zu nimmt Verf. auch offen seinen persönlichen Standpunkt,
und ob man selbst nicht immer mit seiner Auffassung ganz und gar einig
sein kann, merkt man doch bald, dass, wie gesagt, selbständige Beobachtungen
und selbständige Erfahrungen zugrunde liegen.
Es ist der erfahrene Kliniker, der spricht, deshalb ist auch die
Behandlung der verschiedenen Affektionen klar und übersichtlich dargestellt.
Bemerkenswert sind die Ausführnngen über die hübschen Resultate, die
Verf. bei vielen Fällen von Atrophia infantilis und Kronescher Dyspepsie
mit roher (ungekochter) Milch erreicht hat und die dazu auffordern, das
Mittel bei diesen so verhängnisvollen Leiden zu versuchen. Vielleicht kann
man sagen, dass die ausgezeichnete Art und Weise, in der die Milch-
versorgung Kopenhagens geordnet ist, die Anwendung nur solcher Milch
erleichtert hat. Es ist deshalb gewiss richtig, dass Verf. vor einer kritik-
losen Anwendung roher Milch warnt.
Auch die zweite Reihe pädiatrischer Vorlesungen hat im Norden
viele Leser gefunden, und man wird mit grosser Freude noch weiteren
Fortsetzungen entgegensehen. Axel Johanne sen.
Erster Internationaler Konsrress für Kindererzlelmng
und Jngendsehatz In der Familie.
Der Kongress wird im September 1905, während der Welt-
ansstellung, in Lüttich stattfinden. Der Vorstand des Kongresses, die inter-
nationale Schutz-Kommission, die Fremden-Kommission setzen sich ans den
bekanntesten Philantropen, Gelehrten, Philosophen, Ärzten, Pädagogen u. s. w.
zusammen.
Die wichtigsten Fragen, welche sozusagen jeden Menschen interessieren,
bilden das Programm des Kongresses.
Der Prospekt wird frei zugesandt. Anfragen sind zu richten nach
44, rue Rubens, Brüssel.
Berichtigung.
In der Arbeit: »Die Acidose im Kindesalter*, Heft 3 dieses Jahr-
buches, tragen die N.-Tabellen im Protokolle irrtümlich falsche Versnchszahlen.
Es muss heissen statt 1. — 4., statt 2. — 5.» 4.— !•, 5. — 2. Versuch.
Der NHs-Coefficient beträgt in Tabelle 5 am 6. Tag 11,3 statt 8,8, am
7. Tag 10,8 statt 9,1.
In Tabelle 8 ist der absolute NHa-Wert des 5. Tages irrtumlich mit
484 statt mit 1484 angegeben.
L. Langstein. L. F. Meyer.
Jahrbuch für Kinderheilkunde.
N. F. Bd. 61.
1905.
Heft 4.
^•^^^^^^^99 Anzeigen. €€€€€€€€€(«•»
Von Autoritäten der Kinderheilkunde und
Taueenden von Anten empfohlen, im Ge-
brauche der grössten Kinderbospiläier
Deutechlands, Österreich-Ungarne «tc.
Beste Nahrung für gesunde und
darmicranice Kinder.
Eufeke's Eindermehl als Zusatz zur Milch ereetzt am
liefen .die üuttermilch. Die Kinder gedeihen vorzQg-
■ich dabei und leiden nicht an VerdauungeetOrungen.
KufttkeiiMhl ist
monat^n unentbehriioh
durchfalli Dannkatpppk, Dia
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stillend, nicht reizend, kein Ekzem erzeugend. Kräftiges Desodorans,
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wege. Rapide Heilung von Pneumonie (auch Broncho-, Masern-,
Influenza-, Diphtherie-Pneumonie) durch grosse Dosen Creosotal
10 bis 15 g pro die in 4 Portionen, bei Kindern Tagesdosis bis 6 g
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enthält neben chemisch reinem Hacmo-
globin und Zuclcer noch besten Malaga
als Qeschmackscorrigenz und anregendes
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elobin-Prä parates wird von keinem anderen
Priparat auch nur annihemd erreicht und
erklärt sich aus diesem .Qemgenommen-
werden* seine vorzflgliche Bekömmlichkeit.
Perdynamin ist absolut frei von Qlycerin.
Orii^nalflmache 2J50 Mark.
besteht lediglich aus chemisch rciacfli
Haemoglobln und reinem Kakao. Der-
selbe empfiehlt sich überall dort, wo man
eine längere Haemoc lobin- Kur beabsichtigt,
und zwar als tägliches Prflhstflcksgetränk.
DieNachmittan- bezw.Abenddosen werden
zweckmässig durch Darreichung von reinem
Perdynamin verabfolgt.
Originaldof e 2.50 Mark.
Lecithin-Perdynamin
Lecitogen "*"*'
Leeithin-Kakao)
enthält neben den Bestandteilen des Per-
dynamin noch in der Flasche 2,5 Gramm
Lecithin e vitello in denkbarster Reinheit
und Güte. Der Geschmack des Präparates
ist hervorragend und wird dieser und die
vollendetste Wirkung stets und allseitig
gelobt.
Orlglnalflasche 4«— Mark.
besteht lediglich aus chemisch reinem
LeeitiiiB e vitello und reiBem Kakao.
Eine Orig inaldose enthält 3.0 gr. Lecithin.
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Fi4f.7.
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Fi(f. tl.
Moro,
pinx.lirvll Mfiit>.
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I~. .AriM '■ Th J?.-^mi«»v,irih \\'tT.
Vej'latf von S.Kartfer in Brrlin .Vir 0.
XX(.
An« der K. K. pädiatrisohen Klinik ia Wien. (Vorstand Prof. Eseberich).
Morphologische und biologische Untersuchungen
über die Darmbakterien des Säuglings.
Von
Dr. ERNST MORO,
gew. Assiitenten der Klinik.
(Hierzu Taf. IX u. X.)
I.
Die Bakterlenflora des normalen Fraaenmllehstuhles.
Das Stadium der Darmbakterien des Säuglings war seit
Escherichs grundlegenden Arbeiten auf diesem schwer zugäng-
lichen Gebiete vielfach der Gegenstand eingehender Unter-
suchungen. Insbesondere begegneten jene Bakterienarten, welche
mit der Entstehung von Darmerkrankungen in ätiologische Be-
ziehung gebracht werden konnten, stets einem ungeschwächten
Interesse. Das Feld der normalen Bakterienflora des Säuglings-
darmes lag hingegen lange Zeit hindurch völlig brach da, bis
erst in der jüngsten Zeit die Anwendung besonderer Kultur-
methoden, vor allem des anueroben Züchtungsverfahrens, eine Fülle
wertvoller Entdeckungen zeitigte, die für die Erkenntnis der
Vegetation im Säuglingsdarm von hervorragender Bedeutung sind.
Die vorliegenden Untersuchungen beschäftigen sich lediglich
mit den normalen Darmbakterien des gesunden Brustkindes und
wurden ursprünglich nur in der Absicht unternommen, in der
vielumstrittenen Frage der gramisch färbbaren Bazillen des Brust-
milchstuhles, deren Deutung bereits auffällige Wandlungen durch-
machte, eine endgiitige Klärung herbeizuführen. In wie weit
dieses Ziel erreicht wurde, entgeht meiner Beurteilung, denn ich
habe die Erfahrung gemacht, dass die genauere Erforschung
selbst der scheinbar einfachsten Verhältnisse, wie solche beim
Brustkind vorherrschen, zur Zeit noch mit einer ungeahnten
Fülle von Schwierigkeiten verbunden ist.
Andererseits drängten sich mir durch die gemachten Beob-
achtungen weitere biologische Fragen auf, deren Beantwortung
ich zum Teil auf experimentellem Wege zu lösen bestrebt war.
Jahrbuch lür Kinderheilkunde. N. F. LXI. 5. 45
688 Moro, Morphologische and biologische Untersach od gen
Das bakterioskopische Stahlbild and seine Deutung.
Die erste ausfubrliche Beschreibung des Stahlbildes bei
natürlich ernährten Säuglingen stammt von Es che rieh. Die
früheren zerstreuten und ungenauen Bemerkungen über das Vor-
kommen und das mikroskopische Aassehen der Stufalbakterien
bei Säuglingen können unberücksichtigt bleiben, zamal dieselben
zumeist ohne Angabe der Ernährungsweise erfolgten. Im übrigen
entsprangen diese Untersuchungen der vorbakteriologischen Zeit
und wurden mit völlig unzureichenden Hilfsmitteln ausgeführt;
daraus erklären sich auch die zahlreichen, zumeist nicht unwesent-
lichen Widersprüche.
Nachdem Esche rieh seiner Verwunderung darüber Aus-
druck verleiht, dass die so auffällige und leicht zu konstatierende
Tatsache der nahezu schematischen Einfachheit des mikro-
skopischen Brustmilchstuhlbildes allen früheren Untersachem völlig
entgangen ist, gibt er eine genaue Charakteristik der obwaltenden
Verhältnisse, welche an Schärfe und Präzision nichts zu wünschen
übrig lässt. Von den dabei erhobenen Befanden seien folgende
massgebenden Punkte hervorgehoben:
Der grösste Teil der Fukalsubstanz beim Brustkind besteht
aus Bakterien, und zwar scheint ihre Zahl hier noch grösser zu
sein als im Kot der Erwachsenen; auch gegenüber dem Mekonium
ist dieselbe hier erheblich vermehrt.
Noch überraschender als diese Erscheinung ist jedoch die
Beobachtung, dass diese zahllose Masse von Bakterien unter sich
so ähnliche Verhältnisse und Formen aufweist, dass sie auf den
ersten Blick als Beinkultur einer Art von schlanken Bazillen
imponiert. Dieselben sind bald regellos angeordnet, bald in
kleinen Gruppen oder Schwärmen anzutreffen, wobei die Stäbchen
mit der Längsachse meist parallel gestellt erscheinen, bald ohne
erkennbare Gruppierung wie ein Netzwerk das ganze Gesichts-
feld erfüllen.
An den meisten Exemplaren ist ihre Stäbchenuatur gat
ausgesprochen; die Ecken sind, wenn auch etwas abgeschrägt,
doch deutlich vorhanden. Der Längsdurchmesser übertrifft um
ein Bedeutendes die Breite. Ihre Länge schwankt zwischen
1—5 jj., ihre Breite beträgt 0,2 — 0,4 jj. und darüber. Jedoch
können sowohl Längen- als auch Breitendurchmesser dieser
Stäbchen in beträchtlichen Grenzen schwanken, so dass zuweilen
ein wechselndes Bild zustande kommt. Besonders auffallig ist
ubar die Darmbakterieo dea S&aglings. 689
•dies bei Stuhluntersuchungen an verschiedenen Kindern, während
^ie Bakterienvegetation desselben Kindes und noch mehr der-
selben Entleerung ein mehr übereinstimmendes, gleichartiges Aus-
sehen darbietet.
Manchmal findet man auffällig kurze Formen, meist einzeln
oder mit Einschnürung versehen und mit stärker abgerundeten
Ecken, am häufigsten jedoch sind die mittelgrossen Bazillen,
meist deutlich abgesetzte gerade oder seltener winkelig gebogene
Kurzstäbchen. In anderen Stühlen endlich sieht man gestreckte,
um fast das Doppelte längere Formen, an denen eine Ein-
schnürung nicht zu bemerken ist. Dieselben zeigen nicht selten
eine leichte Krümmung und ungefärbte Stellen in ihrem Verlaufe.
Den eigentümlichsten Anblick gewähren jedoch die gleichsam
„punktierten^ Bazillen, bei denen der kleine farbbare Rest des
Zellprotoplasmas sich in eine einzige, in der Mitte gelegene Kugel
zusammengezogen hält, während die distalen Enden wie leere
Hüllen nur mehr den Kontur erkennen lassen. Bei Doppel-
stäbchen liegt der gefärbte Punkt an den sich berührenden
Enden. Seltener begegnet man Formen, wobei die gefärbten und
ungefärbten Stellen im Verlaufe des Stäbchens abwechseln.
Am Rande der dichteren Haufen gewahrt man schon bei
400facher Vergrösserung einzelne geringe Eigenbewegung
zeigende schlanke Kurzstäbchen.
Während in vielen Fällen die Anwesenheit einzelner Kokken
zu konstatieren ist, konnten Kettenbildungen, Scheinfäden, endo-
gene und freie Sporen, mit Jod sich färbende Bazillen, Spiralen
oder kommaförmig gekrümmte Formen unter normalen Ver-
hältnissen niemals beobachtet werden.
Die oben beschriebenen Stäbchen finden sich in solcher
Überzahl, dass man im Gesichtsfeld kaum einige Mikroorganismen
auffinden kann, die sich schon durch ihr mikroskopisches Aus-
sehen von ihnen scharf unterscheiden. Doch gelingt es meist,
jedoch nicht immer, noch eine zweite Art von Bazillen zu
differenzieren, die sich durch ihre kürzeren, dickeren, plumperen
Formen auszeichnet. Sie finden sich meist vereinzelt oder als
eingeschnürte Stäbchen, seltener in Gruppen oder kürzeren Ketten
in den Präparaten. Ihre Zahl ist wechselnd, oft so gering, dass
sie nur nach langem Suchen entdeckt werden, manchmal
reichlicher in kleinen Haufen, aber stets unter normalen Ver-
hältnissen weit hinter den schlanken Kurzstäbchen zurückstehend.
45»
690 Moro, Morphologische und biologische ÜDtersachungon
Ihre Grössenmaasse wechseln weit weniger — Länge 0,8 — 1,5 fi.
Breite 0,6—1,0 ji.
Mit diesen beiden Stabchenarten ist die Zahl der normal
und konstant im Milchkote vorkommenden Mikroorganismen er-
schöpft.
Die Präparate wurden mit Gentianaviolett-Lösung in der ge-
wöhnlichen Weise gefäi*bt.
Die in der Überzahl vorhandene schlanke Stäbchenart
wurde von Escherich bekanntlich als Bacterium coli
commune angesprochen, während das ovale Kurzstäbcheu,
welches im mikroskopischen Stuhlbild nicht konstant anzutreffen
ist, von Escherich mit seinem aus dem Darminhalt und der
Milch isolierten Bacterium lactis aörogenes identifiziert
wurde.
Einen wichtigen und sehr wertvollen Aufschluss in dieser
Frage gab später die von Escherich an den Stuhlpräparaten zu-
erst in Anwendung gebrachte, modifizierte Weigertsche Fibrin-
färbemethode, welche die grampositiven von den gramnegativen
Bakterien scharf differenzierte. Dabei stellte sich nämlich her-
aus, dass die das einheitliche Bild des Frauenmilchstuhlpräparates
ausmachende Stäbchen Vegetation grampositiv ist, während in
den mikroskopischen Bildern normaler Kuhmilchstuhle die gram-
negativen Arten vorherrschen und die verschiedenen grampositiven
Formen stark in den Hintergrund treten. Diese eigentümliche
Erscheinung erregte anfangs insbesondere deshalb grosses Inter-
esse, da die Bakterien der Coligruppe, sowohl das Bacterium
coli commune als auch das Bacterium lactis aerogenes,
stets und unter allen Umständen gramnegativ gefunden wurden.
Es musste folgerichtig daraus geschlossen werden, dass im Brust-
milchstuhl besondere Verhältnisse obwalten dürften, die beim
Bacterium coli commune diese mikrochemische Reaktion,
nämlich die Widerstandsfähigkeit gegenüber der entfärbenden
Jodjodkaliumlösung, hervorrufen.
In der Tat gelang es Alexander Schmidt, eine Erklärung
für dieses eigenartige Verhalten des Bacterium coli com-
mune zu geben, indem er den Grund dafür vermeintlich in dem
grossen Fettgehalt der Frauenmilchstühle fand. Zu diesem
Schlüsse drängte ihn sowohl die Beobachtung, dass die gram-
positiven Formen auch in den von Flaschenkindern stammenden
Fettstühlen in überwiegender Zahl angetroffen werden, als auch
der positive Ausfall seiner Züchtungsversuche auf Buttergelatine,
über die Darmbakterien des S&agÜDgs. 691
wobei das B. coli commune allmählich die Farbbarkeit nach
Gram angenommen hatte.
Diese Ergebnisse stiessen späterhin auf Widerspruch
{Jakobsthal, Lehmann und Neumann). Auch Escherich,
der die Schmidtschen Versuche in der Folge mehrmals wieder-
holte, erhielt kein positives Resultat.
Im Jahre 1900 nahm ich auf Anregung des Herrn Professors
Escherich mit besonderer Berücksichtigung eventueller fermen-
tativer Einflüsse des Stuhles resp. der rohen Menschenmilch diese
Versuche wieder in Angriff. Es ergab sich jedoch auch hier
•ebensowenig wie mit Zuhülfenahme der Serumreaktion ein Resultat,
•das irgendwie verwertbar gewesen wäre.
Bald darauf schien mir ein besonderes Eulturverfahren,
nämlich die Züchtung auf sauren Nährböden, insbesondere auf
saurer Bierwürzebouillon, die ganze Frage mit einem Male auf-
zuklären, indem auf diesen Nährböden grampositive Bazillen, die
morphologisch mit jenen des Frauenmiichstuhles identisch zu sein
schienen, fast in Reinkultur gewachsen waren. Die nähere Unter-
suchung dieser Bazillen ergab, dass es sich um eine neue, von
den Bakterien der Coligruppe wohl zu differenzierende Art
handelte, die ich wegen ihrer Vorliebe für saure Nährböden mit
dem Namen Bacillus acidophilus belegte.
Mit Rücksicht darauf, dass das Ausstrichpräparat des
Frauenmilchstuhles den Eindruck einer Reinkultur erweckt, dass
die isolierten Bazillen mit den bakterioskopisch dargestellten
Formen gut übereinstimmten, und dass ihre typischen Kolonien
auf den Platten in sehr grosser Zahl angingen, zweifelte ich
nicht daran, dass der B. acidophilus, resp. die Gruppe der
acidophilen Bakterien es seien, welche dem Stuhle des aus-
schliesslich an der Brust genährten Säuglings sein charakte-
ristisches mikroskopisches Aussehen verleihen.
Mit dem einzigen Unterschiede, dass ich die Stäbchen als
„an ihren Enden meist etwas zugespitzt^ bezeichnete, deckte sich
meine damalige kurze Beschreibung des bakterioskopischen Bildes
des Frauenmilchstuhles mit jener ursprünglich von Escherich
gelieferten vollkommen.
Fast zu gleicher Zeit erschien eine Mitteilung von Tissier,
worin er ebenfalls behauptet, dass die von Escherich zuerst
beschriebene „chromophile Reaktion" des Frauenmilchstuhles nicht
durch das B. coli commune, sondern durch eine neue, streng
anaerobe Bakterienart bedingt sei, die er wegen ihrer Vorliebe
692 Moro, Morphologische und biologische ÜDiersuchuDgen
sich an den Enden einfach zu verzweigen, Bacillus bifidas^
communis nannte, ^
Nach Jahresfrist folgte sodann seine ausführliche Arbeit:
,,Recherches sur la flore intestinale des nourrissons**, worin
Tissier u. a. das bakterioskopische Bild des Brustmilchstuhles
etwa folgen dermassen beschreibt: Das Präparat ruft, oberflächlich
betrachtet, den Eindruck einer Reinkultur hervor, da es nur von
ein und derselben Bakterienart gebildet wird. Die Bazillen sind
klein, dünn, von mittelmässiger Länge (1—5 fi) und 2— 4 [i breit.
Ihre Enden sind dünn auslaufend und endigen in feinen Spitzen.
Ihrer Gestalt nach sind sie meistens geradlinig, selten eingebogen.
Zumeist sind sie in Diplobazillenform angeordnet, wobei sich die
Stäbchen in einer verengten Partie treffen, der der dickere Körper
folgt Die Farbe fixiert sich hauptsächlich nur an diesen dickeren
Partien, während die peripheren Ausläufer weniger gefärbt er-
scheinen. Es kann sogar vorkommen, dass die sich ver-
schmälernden Enden leeren Hüllen entsprechen und der Farbstoff
sich nur im Mittelpunkte des Stäbchens konzentriert, wie diea
Escherich beschrieben und gezeichnet hat.
Färben wir die Präparate nach der Gram sehen Methode,,
so sehen wir vor allem, dass das Bild sehr von der Intensität
der Färbung abhängt. Manchmal erscheinen dabei die Stäbchen
plumper und ihre Ausläufer abgerundeter, aber trotzdem sind
alle diese Formen nicht gleich gefärbt, sondern weisen den Anblick
partienweiser Entfärbung auf, einige davon sind ganz blau, andere
ganz rot, wieder andere teils blau, teils rot.
Diese Bazillen und Diplobazillen, die ein und derselben Art
anzugehören scheinen, sind oft parallel angeordnet, oft wirr
durcheinander gekreuzt, ihre Masse ist eine so grosse, dass bei
etwas dickerem Ausstrich die Präparate das Bild eines dichten
Filzwerkes hervorrufen.
Bei genauerer Durchmusterung des Präparates finden wir
manchmal Diplobazillen, wobei das eine Glied kürzer ist als ge*
wohnlich und das andere sich in der Form eines Y verästelt.
Nur äusserst spärlich kann man im Präparate kleine Diplo-
kokken und hie und da einige ovale gramnegative Formen sehen,,
welche nur mit Mühe aufzufinden sind.
Jenes Bakterium, welches dem Brustmilchstuhl sein charak-
teristisches Aussehen verleiht, ist der Bacillus bifidu&
communis.
über die Darmbakterien des S&nglingg. 69?
Einer späteren Arbeit Rodellas entnehmen wir folgende
Bemerkungen, die auf das mikroskopische Aussehen des Frauen-
milchstuhles Bezug nehmen:
„Trotzdem nun Moro unbestreitbar das Verdienst zukommt,
in eine Sache Einheit und System gebracht zu haben, welche
man sich bis dahin vielförmiger und mannigfaltiger vorstellte, als
sie tatsächlich ist, muss ich dennoch, gestutzt auf mehr als ein-
jährige Beobachtungen, sagen, dass die Angaben Moros nicht
völlig den Tatsachen entsprechen, wenigstens nicht mit der
Sicherheit, womit er sich ausdruckt. Erstens erhält man, wie
ich früher schon bemerkte, dasselbe Resultat bei vielen direkten
Stuhlpräparaten von Flaschenkindern wie bei solchen von Brust-
kindern, d. h. es finden sich auch in diesen die sogenannten
säureliebenden Bazillen vorherrschend vor. Letztere kommen
etwa wie Diphtheriebazillen lange Stäbchen vor, welche gerade
oder gebogen sind und manchmal zugespitzte Enden aufweisen.
„Andererseits geschieht es nicht selten, dass auch in mikro-
skopischen Stuhlpräparaten von durchaus gesunden Brustkindern
neben den sogenannten säureliebenden spezielle Formen zum
Vorschein kommen, wie z. B. jene, die Escherich „punktierte
Bazillen^ nannte, und noch verschiedene andere Mikroorganismen.
Eine wesentlich beständigere Beziehung als in der Art der Milch-
ernährung habe ich zwischen den makroskopischen und mikro-
skopischen Eigenschaften der Fäces gefunden.
„Die Fäces von eidottergelber Farbe, weicher Konsistenz
und leichtsaurer Reaktion, solche also, welche als Normaltyp des
Säuglingsstuhles beschrieben werden, seien sie nun von Brust-
kindern oder von Flaschenkindern, weisen in den direkten mikro-r
skopischen Präparaten immer die als säureliebend bezeichneten
Bazillen in grosser Anzahl oder fast allein auf. Die anderen
Stühle, ebenfalls von gesunden Kindern, zeigen fast immer, ob
von Brust- oder Flaschenkindern stammend, eine grössere oder
geringere Mannigfaltigkeit. Die sogenannten säureliebenden Bazillen
wurden bei Brustkindern häufiger als bei Flaschenkindern ge-
funden, aus dem einfachen Grunde, weil die Fäces von soge-
nanntem idealem Typus bei den ersteren in grösserer Häufigkeit
beobachtet werden als bei den zweiten. — ^
"Wir werden auf diese Yorstellun gen Rodellas im folgenden
noch zurückkommen. Es sei jedoch schon hier erwähnt, dass
sich dieselben als unrichtig erwiesen.
694 Moro, Morphologische uDd biologische Uotersuchangen
Ferner fiel es Rodella auf, dass in den nach der Tuberkel-
bazillenfärbung angefertigten Stuhlpräparaten darmkranker Säug-
linge sich rundliche, säurefeste Gebilde mikroskopisch nachweisen
Hessen, die sich nach kultureller Feststellung als Sporen anaärober
Bazillen erwiesen. Im Anschlüsse daran sagt Rodella: „Dass
auch in normalen Stuhlgängen sich regelmässig sporentragende
Bazillen befinden, haben wir schon mitgeteilt. Doch zeigten bei
unseren damaligen Untersuchungen die direkten mikroskopischen
Stuhlpräparate nie so reichliche freie Sporen von anaeroben
Bazillen.'^ Rodella gibt zwar nicht näher an, ob die hier ge-
meinten Stuhlgänge von Brust- oder Flaschenkindern stammen,
jedoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass darunter auch erstere
zu verstehen sind, da die von ihm isolierten sporenbildenden
Anaäroben zumeist lediglich aus Brustmilchstühlen gezüchtet
wurden.
Adolf Schmidt lehnt sich in der Charakteristik des bak-
terioskopischen Bildes normaler Frauenmilchstühle an die von
Escherich und mir gegebeneu Beschreibungen an, mit der Ein-
schränkung, dass nach seinen Präparaten die Stäbchen plumper
und an den Ecken abgerundet seien.
Aus diesen Literaturangaben ist ersichtlich, dass sich die
Beschreibung des mikroskopischen Stuhlbildes von Brustkindern
nicht nur nicht deckt, sondern sogar in ziemlich weiten Grenzen
divergiert. Dies muss umsomehr wundernehmen, als es sich da-
bei immer um ein und dasselbe Material . und allem Anscheine
nach sogar um ein und dieselbe Bakterienart handelt. Die Ur-
sache dieser Differenzen liegt darin, dass die in Rede stehende
Bakterienart sich durch eine sehr grosse Polymorphie auszeichnet;
dass ihre Gestalt und die Darstellung ihres feineren Baues von
der jeweils angewendeten Färbemethode in hohem Grade abhängig
ist; dass der morphologische Charakter der Bazillen in den Stuhl-
gängen verschiedener Kinder auch unter normalen Verhältnissen
zuweilen auffallende Verschiedenheiten aufweist und dass sich
begreiflicherweise die einzelnen Autoren dem subjektiven Einflüsse
der erhaltenen Kulturergebnisse nicht völlig entziehen konnten.
In Anbetracht der vorliegenden Widersprüche sei es mir
gestattet, im folgenden mit besonderer Berücksichtigung aller
Momente noch einmal eine genaue Beschreibung des bakterio-
skopischen Stuhlbildes von Brutskindern zu geben, da dessen
Kenntnis für die Beurteilung des morphologischen Verhaltens
dieser Bakterien unerlusslich ist.
über die Darmbakterien des S&uglings. 695
i
Von allen in Anwendung gebrachten Färbemethoden be-
währte sich weitaus am allerbesten die von Escherich für die
Stuhlfärbung empfohlene Weigertsche Fibrinfarbemethode: die
Färbung nach Weigert-Escherich^). Sie ist meiner Ansicht
nach überhaupt die einzige Methode, welche für die Stuhlfärbung
im allgemeinen in Betracht kommt, da sie, abgesehen von der
sofortigen Differenzierung der grampositiven von den gramnegativen
Arten, die ja auch der ursprunglichen Gram sehen Methode eigen
ist, den feineren Bau zartgeformter Bazillen viel schärfer und
deutlicher hervortreten lässt als letztere, bei welcher störende
Farbstoffniederschläge unvermeidlich sind. Die schönsten und
reinsten Präparate erhält man, wenn man auf die Nachfärbung
mit einer Kontrastfarbe (Fuchsinrot) ganz verzichtet, was in
unserem Falle ohne weiteres gestattet ist, da es sich ja hier im
wesentlichen um das Studium grampositiver Arten handelt; die
bei der Nachfarbung mit verdünnter wässeriger Fuchsinlösung
rotgefarbten Partien des Bazillenkörpers werden dabei viel distinkter
dargestellt.
Die Färbung mit den übrigen üblichen Farblösungen gibt
zumeist ganz undeutliche und unbrauchbare Präparate.
Die das^ charakteristische Bild des normalen Frauenmilch-
stuhles zusammensetzenden Bazillen erwecken den Eindruck, dass
es sich hier um ein und dieselbe Bakterienart handelt. Bei ge-
nauerer Durchmusterung zahlreicher Präparate sehen wir jedoch,
dass die darin vorhandenen Formen drei Haupttypen angehören,
die ich als einfache Form, verzweigte Form und köpfchen-
tragende Form bezeichne.
Die einfache Form (Tai. IX, Fig. 1) ist am allerhäufigsten
vertreten. In vielen Präparaten ist sie ausschliesslich vorhanden,
und es beziehen sich darauf alle bisher gelieferten Beschreibungen,
ausgenommen jener von Tissier, welcher zum ersten Male ver-
7.weigte Bakterienformen im Brustmilchstuhl gesehen, beschrieben
und abgebildet hatte. Die Einzelindividuen sind Langstäbchen
von wechselnden Dimensionen. Ihr Längen- und Breitendurch-
messer schwankt in nicht allzugrossen Grenzen. Länge: 3 — 5 ji,
Breite: 0,2—0,4 [i. Sie sind gestreckt oder leicht gebogen. An
1) Vergl. darüber A. Schmidt: Zur Kenntnis der Bakterien des
Säaglingsfäces. Wr. klin. Wschft. 1892, No. 45 und Escherich: Über
Streptokokkeneoteritis im SäugHugsalter. Dieses Jahrbuch, Bd. 49, 1899,
woselbst sich eine genaue Beschreibung des Verfahreus vorfindet.
696 Moro, Morphologische and biologische UntersuchnngeD
ihren Enden sind sie entweder m&ssig verschmälert, etwas zu*
gespitzt oder abgerundet. Zylindrische Formen fehlen voll-
kommen. Manchmal ist nur das eine Ende verschmälert, während
das andere kolbig angeschwellt erscheint; dabei resultieren plumpe
Eommaformen. Die Bazillen liegen einzeln oder als Doppel-
stäbchen (Diplobazillen) da, wobei der sie verbindende Teil
schmäler ist. An einigen Doppelstäbchen sehen wir, dass der
eine Teil kurz dick und plump, der andere hingegen fein und
schlank erscheint, was die Form köpfchentragender Bakterien
vortäuschen kann. Bei einzelnen Exemplaren sieht man in der
Mitte des Körpers eine leichte Auftreibung, die den Farbstoff
gieriger aufnimmt. Zuweilen gewahrt man zwei gebogene Stäb-
chen sich gegenübergestellt anreihen, was den Eindruck einer
einfachen kleinen Spirale hervorruft.
Ihre Gesamtanordnung hängt in hohem Grade von der
Dicke und Richtung des Ausstriches ab. In feinen, zum Studium
der Einzelexemplare angefertigten Präparaten bietet die Gruppierung
nichts Charakteristisches dar. Man findet Gruppen und Schwärme
mit parallel gestellten oder sich kreuzenden Individuen, oft in
fischzugartiger Anordnung.
Die Bazillen sind exquisit grampositiv. Man beobachtet
jedoch nicht unbeträchtliche Unterschiede in der Intensität der
Färbung bei verschiedenen Kindern und selbst bei verschiedenen
Stuhlgängen ein und desselben Säuglings. Dabei ist hervor-
zuheben, dass die schwächer tingierten Partien auch bei Über-
färbung gar nicht oder nur wenig verändert werden. Dies führt
uns zur Beschreibung jener Formen des gleichen Bazülus, die
sowohl die Weigert-Escherichsche Färbung als auch die
Färbung mit anderen Anilinfarbstoffen nur schlecht annehmen
und die zuerst Escherich als „punktierte^ Bazillen beschrieben
hat. (Taf. IX, Fig. 2.)
Diese Formen kommen dadurch zustande, dass der Farbstoff
nur von der zentralen Partie aufgenommen wird, während die
beiden peripheren Enden sich kaum färben. Die Darstellung
dieser Formen macht es sehr wahrscheinlich, dass es sich dabei
um das Vorhandensein echter Hüllen handelt, während sich das
Bakterienprotoplasma im Zentrum zusammengezogen hatte. Das
gefärbte Zentrum ist oft rundlich geformt und die beiden Enden
spitz zulaufend, wodurch diese Formen das Aussehen eines Auges
erhalten. An den meisten Exemplaren sehen ^r jedoch auch
an den äussersten Enden winzige Ansammlungen der chromatischen
über die Darmbakterien des S&ogliogs. 697
Substanz, die sich in der Form je eines kleinen Punktes an der
äussersten Peripherie darstellen lassen. Oft gliedern sich mehrere
dieser Formen aneinander, wodurch grössere, vielfach gekörnte
Stäbchen gebildet werden. (Gescheckte Bazillen.) In seltenen
Fallen liegt die chromophile Partie ganz gegen die Peripherie
verschoben, wobei dann die eine Hälfte des Stäbchens gefärbt,
die andere ungefärbt erscheint. Bei einzelnen dieser letzteren
Formen bildet der gefärbte Teil an dem einen Ende des Stäbchens
eine kugelförmige Anschwellung, wobei Köpfchenformen mit
schwach gefärbten Schwänzen zustande kommen. In jedem der*
artigen Präparate sieht man auch ganz leere Hüllen, welche von
der Jodjodkaliumlösung fast vollständig entfärbt werden und nur
mehr einen zarten Kontur erkennen lassen. Diese Formen nehmen
aber die Kontrastfarbe (Fuchsinrot) noch gierig auf und können
im Gram sehen Präparate das Vorhandensein gramnegativer
Arten vortäuschen^).
Bei sehr genauer Durchmusterung können wir in den meisten
Präparaten auch verzweigte Formen wahrnehmen.
Die verzweigte Form kann, wie schon erwähnt, in manchen
Präparaten vollständig fehlen, in anderen hinwiederum ist sie
reichlich vorhanden, jedoch niemals in dominierender Menge.
Auch hierin finden wir bei verschiedenen Säuglingen verschiedene
Verhältnisse. Der häufigste Typus der verzweigten Form ist der,
dass sich das eine oder beide äussersten Enden des Stäbchens
in der Längsachse teilen. Dadurch kommen Gebilde zustande,
wie wir sie in Taf. IX, Fig. 3 r. H. abgebildet sehen.
Der morphologische Charakter dieser Gebilde ist von grossem
Interesse, da der Mechanismus der Verzweigung bei diesen Bazillen
ein ganz eigentumlicher und bisher noch nicht beobachteter ist.
Die Verzweigung erfolgt nämlich nicht in der bekannten Weise
einer Astbildung, so zwar, dass der Bakterienleib neue seitliche
Auswüchse hervorspriessen lässt, wie wir dies z. B. bei dem viel-
fach verzweigten Aktinomyces, Taf. X^ Fig. 11, in schöner
1) Ein besonders schönes Bild erhielt ich unlängst bei der Färbung
eines Franenmilchstuhlpräparates, welches lediglich aus punktierten Bazillen
xusaminengesetzt war, mit konzentrierter, wässeriger Methjlenblaulösung.
Während die gramisch färbbare zentrale Partie sich blau färbte, erschienen
die beiden Enden der Bazillenkörper dunkelrot tingiert, und zwar konzentrierte
sich der rote Farbstofi der Methylenblanlösung in der Form je eines ruoden
Kerns an den Polen der Bakterien, deren Hülle besonders deutlich zur Dar-
stellung gebracht werden konnte.
698 Moro, Morphologisoho und biologiache Untersach ud gen
Weise zu sehen Gelegenheit haben, sondern vielmehr so, dass
sich das Ende des Stäbchens nur spaltet, ohne neue Substanz
anzusetzen.
Die verzweigten Enden sind entsprechend der Natur ihres
Zustandekommens zumeist schwächer gefärbt als der übrige
Bakterienkörper. Dies ist um so ausgesprochener bei jenen
Formen, wobei sich die einfache Endverzweigung noch einmal
spaltet. Solche Bazillen erwecken den Eindruck, als wären sie
an ihrem äussersten Ende zart aufgefasert, und erinnern mit
ihren zumeist plumpen Körpern an das Bild eines Eorallentieres.
Zuweilen sind die aufgefaserten Enden so zart, dass sie sich
schneckenartig zusammenrollen. Ist die Zahl der peripheren
Fasern eine grosse, so erwecken diese Bazillen den Eindruck,
als wären sie mit einem zarten Bürstenbesatz versehen.
Die Spaltung bleibt nicht immer auf die äussersten Enden
beschränkt, sondern kann zuweilen bis zur Mitte des Bakterien-
körpers erfolgen, wobei die von Tissier beschriebenen Y-Formen
zustande kommen.
Manchmal ist das gespaltene Ende noch von einer mehr
oder minder gespannten und gut färbbaren Hülle umgeben.
Derartige Gebilde sind herzförmig, und erinnern die damit be-
hafteten Bazillen lebhaft an die Gestalt langer Röhrenknochen.
Besonders deutlich tritt das bei jenen Formen zutage, die nur
an einem Ende die eben beschriebene Gestaltung aufweisen und
an dem anderen Ende eine kolbige Auftreibung zeigen.
In den meisten Fällen geht dem Akte der Spaltung die An-
sammlung der chromatischen Substanz an den peripheren Enden
voraus. Wir finden dieselbe auch häufig an den Spitzen der
bereits erfolgten Verzweigung in der Form eines kleinsten
kugeligen Gebildes konzentriert. Diese Formen erinnern natur-
gemäss in ausgesprochener Weise an die Gestalt der Wald- oder
Weinbergsschnecke. Der Körper der sich verzweigenden Formen
ist zumeist massig aufgetrieben. Seitliche Sprossen wurden in
keinem Nativpriiparate vorgefunden.
Die kopfch entragende Form (Taf. IX, Fig. 3 1. H.) ist
in den Präparaten ebenso selten und vereinzelt vorhanden wie
die verzweigte, doch dürfte sie niemals vollständig vermisst
werden. Es gilt auch hier die Beobachtung, dass ihr gehäuftes
Auftreten von individuellen Verhältnissen abhängig ist. Bei der
genaueren Durchsicht derartige Präparate kann man konstatieren,
über die Darmbakterien des S&ugÜDgs. 699
dass darin kleine schlanke Stäbchen vorherrschen, die un-
verkennbar dem Typus der einfachen Form entsprechen. Wir
sehen auch hier zahlreiche Exemplare mit peripherer Ansammlung
der chromatischen Substanz, welche Erscheinung der späteren
Eöpfchenbildung vorangeht. Hie und da sind kleine kugel-
förmige Anschwellungen nur an einem oder an den beiden
Enden angedeutet, die durch ihre weitere Vergrösserung sich in
der Folge zu typisqhen Köpfchen entwickeln. Ist das Köpfchen
nur an einem Ende vorhanden, so resultieren die mit einem
längeren oder kürzeren Schwanz versehenen Köpfchenbakterien,
sind an beiden Enden Köpfchen nachzuweisen, so entstehen
Hantelformen. Der Schwanz der Köpfchenbakterien kann dabei
kurz oder lang, geradegestreckt oder gebogen sein. Bei manchen
Exemplaren ist derselbe ganz blass gefärbt und weist in seinem
Verlaufe nur mehr disseminierte, punktförmige Farbstoffansamm-
lungen auf. Dies ist das Vorzeichen seines bevorstehenden Zer-
falles, und man sieht dann in der Tat nicht selten einzelstehende
Köpfchen im Präparate, die bei ungenügender Kenntnis der
morphologischen Verhältnisse das Vorhandensein von Kokken vor-
täuschen können. Die eben beschriebenen Erscheinungen gelten
auch für die Hantelformen; manchmal ist dabei das Mittelstück
so zart, dass daran Windungen und Schlingenbildungen be-
obachtet werden können.
Sehr interessant und merkwürdig ist die Beobachtung, dass
es auch Kombinationen der verzweigten und köpfchen-
tragenden Form gibt (Taf. IX, Fig. 3 1. H.). Sie kommen so
zustande, dass sich das gebildete Köpfchen an einem oder an
beiden Enden einfach spaltet.
In derartigen Präparaten ist die eigentliche verzweigte Form
garnicht oder nur ganz vereinzelt vorhanden.
In Anbetracht dessen, dass die in Rede stehenden Bazillen
Verzweigungen zu bilden imstande sind, erscheint die Ziehl-
Neelsonsche Färbung im Nativpräparate gerechtfertigt und ge-
boten. Die Ergebnisse mit dieser Methode waren jedoch durch-
wegs negativ, sämtliche Bakterien nur mit der Kontrastfarbe
(Methylenblau) tingiert. Es geht daraus hervor, dass diese
Bakterien im Nativpräparat nicht säurefest sind.
Die Behandlung der Stuhlpräparate mit Lugol scher Lösung
ergab mir anfänglich nur negative Resultate. Später hingegen
erhielt ich, nach einer mir von Herrn Dr. Passini mitgeteilten
700 Moro, Morphologische und biologische Untersachangeo
Methode^), fast in jedem Braststiihlpräparate in Bestätigung der
Passinischen Befunde positive Jodreaktion. Die in den Bakterien-
leibern eingeschlossene Granulöse erschien nicht blauschwarz,
sondern dunkelbraunrot, war zumeist in geringer Menge vor-
handen und ganz unregelmassig oft nur streckenweise verteilt.
Dabei sei erwähnt, dass die Granulöse fast immer nur auf die
peripheren Enden der Bakterien beschränkt blieb, während das
Zentrum frei war.
Betrachten wir ein im Wasser verriebenes Stuhlpartikelchen
oder den flussigen Anteil eines eben entleerten Stuhles im
frischen und ungefärbten Zustande unter dem Mikroskope (im
hängenden Tropfen), so erblicken wir ein wirres Durcheinander
sich massig lebhaft bewegender schlanker Stäbchen, während an
anderen Stellen starre, unbewegliche, dicht zusammengesetzte
Bakterienhaufen zu sehen sind. Die Beobachtung, dass die mit
geringer Eigenbewegung ausgestatteten Formen in ganz frisch ent-
nommenen Stühlen vorherrschen, während die starren, unbeweg-
lichen Massen die Flora älterer, von der Windel entnommener
oder anderweitig der atmosphärischer Luft ausgesetzten Stuhl-
teile ausmachen, legt die Vermutung nahe, dass es sich im
letzteren Falle um ein totes Bakterienmaterial handelt. Bei ge-
nauerer Durchsicht der Einzelexemplare kann man konstatieren,
dass die beweglichen Individuen lange schlanke Stäbchen sind,
in deren Leibessubstanz man nicht selten schwächer lichtbrechende,
dunkle Körnchen findet.
Aus der ganzen Beschreibung geht hervor, dass es sich
hier entweder um verschiedene, jedenfalls aber einander sehr
nahestehende Arten oder aber, was wahrscheinlicher ist, um den
ganz ungeahnten Polymorphismus ein und derselben Spezies
handelt. Darüber wird uns die Kultur Aufschluss geben.
Was die übrigen, sich schon im mikroskopischen Präparate
als verschiedenartig dokumentierenden Mikroorganismen betrifft, so
kann ich mich darin ganz kurz fassen, denn sie finden sich,
wenn überhaupt im bakterioskopischen Bilde des normalen
Frauenmilchstuhles, so selten und spärlich vor, dass sie nach
Übereinstimmung sämtlicher Autoren oft nur mit Mühe auf-
findbar sind, und deshalb — unter normalen Verhältnissen —
^) W&hrend ich die ursprunglicheu Präparate vital färbte, fixierte
ich späterhin die zart beschickten Deckgläser über der Flamme and
schloss das gefärbte Präparat ein.
über die Darmbakterien des Säuglings. 701
dos einheitliche Gesamtbild niemals störend zu beeinflussen ver-
mögen. Davon sind in erster Linie zu erwähnen ovale gram-
negative, einzelne oder in kleinen Gruppen gelagerte Eurz-
stubchen der üoligruppe oder zumeist in Diplokokkenform an-
wesende vereinzelte Kokken, die nach Tissier mit dem Strepto-
coccus Hirsch-Libmann identisch sein sollen. Das Auftreten
wie immer gearteter Sporen konnte ich im normalen Frauenmilch-
stuhle niemals sehen.
Ich musste bei der Beschreibung des Nativpräparates
längere Zeit verweilen, weil nur die exakte Kenntnis dieser Ver-
hältnisse eine richtige Verwertung der Kulturergebnisse er-
möglicht und weil ieh mich späterhin auf die bereits ge-
schilderten Details des öfteren berufen muss.
Über ein eigenartiges und gesetzmässiges Verhalten
der normalen Bakterienflora.
Während schon die absolute Einheitlichkeit der Stuhlflora
bei Brustkindern allein genug Anregung zu ihrer genaueren Er-
forschung gibt, geschieht dies in um so höherem Grade erst
dann, wenn wir die Umstände kennen, welche eine Änderung im
Florenbilde hervorrufen. Je eingehender man sich mit dem
Studium der obwaltenden Verhältnisse befasst, desto näher und
greifbarer rückt an uns die Vorstellung heran, dass es sich hier
nicht um gleichgültige, sondern um physiologisch wichtige Fragen
handeln dürfte, die allerdings zu ihrer Beantwortung noch einen
grossen Aufwand von Mühe und Arbeit erheischen.
Die Bakterienflora des Frauenmilchstuhles ist eine einheit-
liche, aller Wahrscheinlichkeit nach nur von ein und derselben
Bakterienart gebildete. Daran ändert sich, solange das Kind an
der Brust trinkt und darmgesund ist, so gut wie garnichts. Die
Flora ist demnach konstant und im wesentlichen nur von der
Art der Ernährung und von jeweiligen Krankheitszuständen des
Darmes abhängig.
Über die Art und Weise ihres Zustandekommens werden
wir später sprechen, wenn wir uns mit der Einwanderung von
Mikroorganismen in den Darm des Neugeborenen beschäftigen
werden. Vorläufig sei nur mit Nachdruck hervorgehoben, dass
die beschriebene Flora mit den ersten Frauenmilchstühlen er-
scheint, um erst mit den letzten Frauenmilchstühlen, also nach
Einleitung der künstlichen Ernährung mit Kuhmilch, zu schwinden.
702 Moro, Morphologische nod biologische ÜDlersnchaDgeii
Sie ist demnach etwas dem Darme resp. Stahle des normalen
Brustkindes Eigentumliches und Spezifisches, und wir haben schon
im Hinblick darauf das Kecht, von einer „physiologischen
Stuhlflora" — im engeren Sinne des Wortes — zu sprechen.
Diese Behauptung wird späterhin gelegentlich noch vielfach
erhärtet werden.
Das Erscheinen dieser Flora koinzidiert somit mit der
natürlichen Ernährung ihres Wirtes.
Wird der Neugeborene von Beginn an mit Kuhmilch oder
anderweitig künstlich ernährt, so kommt in seinem .Darme nie-
mals die physiologische Flora zustande. Wir sehen in den Stuhl-
präparaten das bekannte Bild der gemischten Euhmilchstuhlflora,
das sich im Gegensatz zu dem eingangs geschilderten durch eine
Vielgestaltigkeit der Flora und das Überwiegen gramnegativer
Arten auszeichnet.
Wird jedoch einem künstlich ernährten Säugling — obgleich
in vorgerückterer Altersperiode — aus irgend einem Grunde
Frauenmilch, sei es an der Brust oder aus der Flasche gereicht,
so erscheint in seinem Stuhle schon am zweiten oder dritten
Tage mit absoluter Sicherheit die physiologische Flora.
Ebenso rasch und prompt wie ihr Auftreten erfolgt auch
ihr endgültiges Schwinden aus dem Stuhlbilde bald nachdem die
künstliche Ernährung eingeleitet wurde.
Diese Verhältnisse scheinen nicht nur für den Säugling,
sondern auch in beschränkterem Maasse für den Erwachsenen
Geltung zu haben. In dem von Schlossmann und mir an-
gestellten Versuche über die Ernährung des Erwachsenen mit
Frauenmilch fiel es uns nämlich, ohne darauf ein besonderes
Augenmerk zu richten, auf, dass in den normalen Menschen-
milchstühlen der Versuchsperson die gramisch farbbaren Arten
in auffallender Weise überwogen und dass laut Notiz auch das
Auftreten grampositiver geschwungener Fäden und vieler „ge-
fleckter" Bazillen konstatiert werden konnte.
Das Bild beim „Allaitement mixte" hängt in erster Linie
von den Mengenverhältnissen der bei gefütterten Nahrung ab.
Allein wir beobachten schon bei Zufütterung geringer Kuhmilch-
mengen, dass die physiologische Flora an ihrer ursprünglichen
Einheitlichkeit Einbusse erleidet und viele Individuen zur
Bildung von Involutionsformen hinneigen.
Von der Stichhaltigkeit der Behauptung Rodellas, dass
die Stuhlflora der Säuglinge von der Beschaffenheit des Stuhles
aber die Darmbakterien des Sänglings. 703
im höheren Grade abhängig sei, als von der Art der Ernährung
(vgl. S. 9), konnte ich mich niemals überzeugen. Das Floren-
bild bleibt ein gleiches, ob wir es nun mit einem normalen oder
aber dyspeptischen Stuhl zu tun haben, ob wir die gutverdauten
homogenen Partien, die knolligen Fettsäurereste oder die flüssigen
Anteile der Stühle zum Ausstrich verwenden. Eine Ausnahme
hiervon bildet nur die Bakterioskopie der Schleimpartikel, falls
dieselben im Stuhle wesentlich vermehrt sind. Es ergibt sich
dabei das gehäufte Auftreten von Golibakterien und intestinaler
Kokken. Das Zustandekommen dieser Vegetation gehört bereits
in das Gebiet pathologischer Erscheinungen und ist eben dadurch
zu erklären, dass sich diese normalen Bewohner höherer Darm-
partien bei lebhafter Schleimsekretion vermehren und mit der
gesteigerten Peristaltik im Stuhle erscheinen. Die Richtigkeit
dieser Annahme wird dadurch bekräftigt, dass es auch auf
experimentellem Wege nach Verabreichung grösserer Galomeldosen
gelingt, ein derartiges Verhalten hervorzurufen (Verfasser, Tissier).
Das Verhalten der Stuhlflora in pathologischen Fällen ge-
hört nicht mehr in den Bereich unserer jetzigen Betrachtungen.
Ich will nur erwähnen, dass auch dabei gewisse Gesetzmässig-
keiten stattfinden, indem bei bakteriellen Darminfekten noch vor
dem Abklingen der intestinalen Symptome sich die physiologische
Flora in ihrer ursprünglichen Form wiederum einstellt.
Von besonderem biologischen Interesse ist das vorläufige
Ergebnis einiger Vorversuche an Tieren (Hund und Eatze), deren
Weiterfuhrung in der geeigneten Jahreszeit ich mir vorbehalte.
Die bakteriologische Untersuchung der Stühle der jungen Tiere
während ihrer Säugungsperiode zeigte nämlich ein von dem Ver-
halten der normalen menschlichen Stuhlflora vielfach verschiedenes
und abweichendes Bild. Es liegt demnach der Schluss nahe,
dass es sich beim menschlichen Säugling um spezifische Ver-
hältnisse handelt.
Die Ergebnisse der Kultur
hängen ganz von der angewandten Methode ab. Sie sind so viel-
fältig und divergent, dass sie anfänglich leicht eine Verwirrung
hervorrufen können, und das ist wohl der Hauptgrund, warum
das so einheitliche mikroskopische Bild bereits einer so ver-
schiedenartigen Deutung begegnete.
Uberimpft man von einem normalen Brustmilchstuhle in
der gewöhnlichen Weise auf Agar, Gelatine oder Bouillon, so
Jahrbach Ittr Kinderheilkunde. N. F. LXI. 5. 46
704 Moro, Morphologische and biologische Untersach an gen
«rhält man ^ohl immer ein und dasselbe Resultat: Bacterium
<;oii commune in Reinkultur oder aber häufiger in Gesellschaft
intestinaler Diplokokken, welche jedoch leicht bei Fortführung
der Impfung eliminiert werden können.
Überimpfen wir vom Brustmilchstuhle auf Milch in ver-
schiedenen Verdünnungen, so gelingt es uns daraus in den
meisten Fällen leicht, nebst dem B. coli noch einen zweiten ihm
morphologisch sehr nahestehenden Bazillus zu isolieren : das
Bacterium lactis u^rogenes.
Uberimpft man von einem normalen Brustmilchstuhl auf
saure Nährböden (saure Bierwurzebouillon, essigsaure Bouillon),
so ist uns dadurch ein Mittel in die Hand gegeben, das
Wachstum der obligaten Colibakterien wesentlich einzu-
schränken oder aber in stärkerer Konzentration (5 pCt.) TöUig
hintanzuhalten, und wir gewinnen eine neue Bakteriengruppe, die
säureliebenden Bazillen, als deren Repräsentanten ich den
B. acidophilus des Frauenmilchstuhles hingestellt habe. Sehr
häufig findet sich auf diesen Nährböden in Gesellschaft des
Acidophilus der Soorpilz oder andere Hefen.
Dies sind, oberflächlich betrachtet, die wichtigsten Ergebnisse
-der aeroben Züchtung, da dieselben konstante Befunde darstellen.
Ganz anders verhalten sich die Ergebnisse der an aeroben
'Zuchtungsmethoden, die eine ausserordentlich reiche und un-
gewöhnlich reiche Ausbeute gestatten. Die Notwendigkeit der
anaSroben Kultur in der bakteriologischen Untersuchung der
ääuglingsstuhie wurde insbesondere von Tissier und Rodella
nachdrucklich betont, und es war deren Anwendung auf diesem
Gebiete sowohl bei diesen beiden Forschem, als auch bei Passini
von grossem Erfolg begleitet. Auf diesem Wege gelang es
Tissier und Rodella, neue und interessante Arten aufzudecken,
während Passini das konstante Vorkommen der Buttersäure-
bazillen im normalen Säuglingsstuhle konstatieren konnte.
Man bediente sich dabei allgemein der Züchtung in „hoher
Schicht'', die auch bei diesen Untersuchungen fast ausschliesslich
angewendet wurde. Die Methode ist sehr verlässlich und im
Prinzip ausserordentlich leicht auszuführen.
Trotzdem muss ich gestehen, dass ich damit anfanglich
zahlreiche Misserfolge zu verzeichnen hatte. Eine der Haupt-
schwierigkeiten liegt darin, dass oft die Anwesenheit von Coli-
bakterien oder Diplokokken eine Weiterentwicklung der ver-
impften Anaeroben vollständig verhindert. Im besonderen gilt
über die Oarmbakterien des Sftaglings. 705
HÜes fGr die Kultur auf Zackeragar, ein sowohl den Colibakterien,
als auch den Diplokokken besonders zusagender Nährboden,
welcher vom B. coli energisch vergoren und zerrissen wird.
Und gerade die Anwesenheit von Zucker ist em für das Wachs-
tum gewisser Ana€robien unumgänglicher Faktor. Meine Er-
fahrung geht dahin, dass jene Kulturen, wobei es, obgleich nur
zur stellenweisen Entwicklung von Colikolonien kommt, nicht
mehr verwei-tbar sind, da durch die infolge der Gasbildung ein-
tretende Zerreissung der Agarsäule die Colibakterien auf weite
Strecken hin versprengt werden, was sich auch in einer leichten
Trübung und im charakteristischen Geruch solcher Kulturen
kundgibt. Derartige störende Verunreinigungen können sich
auch auf den letzten Verdünnungen einstellen.
Ein weiterer Übelstand ist in dem ausserordentlich häufigen
Auftreten von Mischkolonien zu suchen, wobei insbesondere streng
anaörobe mit fakultativ anaöroben Arten vereint sind. Dieser
Umstand bringt es mit sich, dass bei der weiteren Überimpfung
einer derartigen Kolonie der fakultative Ana€robier infolge seiner
grösseren Lebensfähigkeit auf künstlichen Nährböden weiterhin
allein zur Entwickelung gelangt, während die streng anaerobe
Art vollständig verloren geht. Auf diese Schwierigkeit hat
bereits Cahn aufmerksam gemacht, der sich sogar zu der Be-
hauptung hinreissen Hess, dass die anscheinend reinen Kolonien
immer Mischkolonien seien. Diese Neigung zur Bildung von
Mischkolonien fasst Cahn als Symbiose auf. Obgleich diese
Auffassung keineswegs von der Hand zu weisen ist, sO' scheint
es sich doch in erster Linie um Mängel der Technik zu handeln,
da man bei einer besseren Verteilung der Originalsubstanz diese
Schwierigkeit grösstenteils umgehen kann.
Es ist demnach geboten, für vorliegenden Zweck bei der
Anlegung von Schüttelkulturen in „hoher Schicht** und bei der
weiteren Überimpfung der gewachsenen Kolonien folgende Momente
zu berücksichtigen :
1. ist es unbedingt notwendig, nur ganz frisch entleerte
Stühle zur Züchtung anaörober Arten zu verwenden. Mit dem
von der Windel entnommenen Material hat man sehr oft Miss-
erfolge, da die sauerstoffempfindlichen ana€roben Keime durch
den Zutritt von Luft so alteriert werden können, dass sie nicht
mehr entwickelungsfähig sind. Betrachtet man einen derartigen
Stuhl im hängenden Tropfen, so kann man sich angesichts der
absoluten Immobilität der Bakterien davon überzeugen, dass es
46*
706 Moro, Morphologische und biologische UntersachoDgen
sich hier um ein grösstenteils abgestorbenes Material handelt.
Eine besondere Methode der Kotentnahme ist überflüssig.
2. ist es zu empfehlen, die Züchtung nur in grossen
Eprouvetten vorzunehmen (Kubikinhalt 100 g). Dadurch erzielt
man eine gute Verteilung des verimpften Materials und vermeidet
die Bildung von Mischkolonien.
3. Die Verteilung soll nicht in der Weise erfolgen, dass
man den verflüssigten Nährboden schüttelt, sondern soll vielmehr
durch das rasche Schwenken einer dicken, zirka 20 cm langen
Platinöse bewerkstelligt werden, deren Ende sich vorzugsweise
in den tiefsten Partien der Agarschicht zu bewegen hat.
4. Zur Vermeidung oberflächlicher Rasenbildungen, obligater
Aerobier, ist es angezeigt, den erstarrten Nährboden überdies
noch mit flüssigem Agar oder sterilem Olivenöl zu überschichten.
5. Die beschickten Nährböden haben mehrere Tage (4 bis
6 Tage) im Thermostaten zu verweilen, weil eine grössere Anzahl
der AnaSroben zuweilen erst nach Ablauf dieser Frist zu wachsen
beginnend)
Als Nährboden wurde entweder gewöhnliches Agar oder
Zuckeragar (2 pCt. mit einem Zusatz von 0,6 pCt. ameisensauren
Natrons) verwendet.
Verfahren wir in der geschilderten Weise, so sehen wir
das Zuckeragar oft tagelang ganz unverändert. In typischen
Fällen gewahren wir erst am dritten Tage oder später eine auf-
fallend zahlreiche Entwicklung winziger, weisslicher Kolonien
zumeist in der Tiefe des Zuckeragar, wobei, wie bereits Ti ssier
hervorgehoben hat, die oberste Agarschicht frei bleibt, sodass
eine fingerbreite, oberflächliche freie Zone zustande kommt. Die
Kolonien sind immer glattrandig, linsenförmig und bieten sonst
nicht Charakteristisches dar, als dass sie nach einigen Tagen
scheibenförmig durcheinanderwachsen und sich am Objektträger
nicht leicht verschmieren lassen.
') Die EDtnahme der za untersnch enden Kolonien geschieht am besten
in der Weise, dass man mit einer gebogenen, festen Plattenschanfel anter
drehenden Bewegungen sich immer wieder ein neues Stück der Agars&ure
herausholt, das man weiterhin in der Petrischale in kleinere Plättchen
zerteilen kann. Die Kolonien können dann einzeln herausgehoben und
behufs orientierender Untersuchung auf dem Objektträger unter dem Mikro-
skope betrachtet und weiter verarbeitet werden.
Die isolierten Kolonien wurden entweder auf gleiche Weise weiter-
behandelt, oder aber behufs Beobachtung ihres Wachstums in Stich und
Strich sowie auf anderen Nährböden im Bnchnerrohre fortgezüchtet.
über die Darmbakterien des Säuglings. 707
Betrachten vfir das Aasstrichpräparat unter dem Mikro-
skope, so erhalten wir bei der Durchsicht verschiedener Kolonien
verschiedene Bilder. Manchmal sind die Bazillen, welche durch-
wegs grampositiv sind, gut, manchmal nur stellenweise gefärbt,
and entsprechen in ihrer Gestaltung vollkommen dem von uns bei
der Beschreibung der einfachen Form (S. 695) gegebenen Bilde.
Andere Kolonien hinwiederum sehen wir aus grossen gigantischen
Formen zusammengesetzt, die an ihren Enden keulenförmige Auf-
treibungen tragen und hie und da einfach verzweigt erscheinen
(Taf. IX, Fig. 6). Endlich finden wir in anderen Kolonien durch-
wegs vielfach verzweigte und mit mächtigen Gabelungen ver-
sehene Formen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass es sich
dabei um ein und dieselbe Bakterienart handelt, da wir durch
Uberimpfung wenn auch nicht immer die einfache Form in
<lie verzweigte Form überzuführen imstande sind.
Wir haben einen äusserst polymorphen, streng anaSroben
Bazillus vor uns, der sich unschwer mit dem von Ti ssier be-
schriebenen B. bifidus communis identifizieren lässt.
Ausserdem finden wir in den Kulturen stets noch andere
Kolonien vor. Einige davon haben auf den ersten Anblick eine
grosse Ähnlichkeit mit den soeben geschilderten, nur besitzen
sie anstatt des völlig glatten einen gezahnten Rand, der sich mit
dem Alter der Kultur dendritisch verästeln kann. Diese Kolonien
bekunden sich im Ausstrichpräparate als Mischkolonien des B.
bifidus communis mit dem B. acidophilus. Beider Weiterver-
impfung derartiger Kolonien wächst regelmässig der Acidophilus
allein (Gähn). Reine Acidophilus- Kolonien traf ich auf
anagrobem Zuckeragar nur selten an.
Andere winzige glattrandige Kolonien bildet der B. exilis
Tissier, der auch oft mit dem Acidophilus vergesellschaftet ist.
Kolonien, die sich ebenfalls fast konstant vorfinden, jedoch
schon durch das blosse Ansehen sich von den Erstgenannten
unterscheiden, sind die grossen, üppig wachsenden Kolonien des
weissen Staphylococcus. Manchmal überziehen sie die Agar-
obeifiäche mit einem saftigen Rasen. Allein auch andere, den
Streptokokken zuzurechnende kleinere Kolonien, die zumeist
n den tieferen Schichten des Zuckeragar gedeihen, sind nicht
selten. Hie und da fanden wir sie vermischt mit dem Bifidus.
Häufig finden wir die Agaroberfiäche auf den ersten Ver-
dünnungen von einer weisslich matten dichtgefalteten Haut über-
708 Moro, Morphologische and biologische Untersachnngen
zogen, die sich bei der näheren Untersuchung als dem B.
mesentericus vulgatus Flügge zugehörig erweist.
Alle diese Bakterienarten erscheinen, falls sie im Einzelfalle
vorhanden sind, schon weit vor dem Wachstum der ersten anae-
loben Bifiduskolonien, die uns hier am meisten interessieren.
Eine weitere, sehr zweckmässige Modifikation in der An-
legung anaerober Kulturen der Darmbakterien besteht darin,
dass man das zu untersuchende Material vorher auf 80^ C. durch
20 Minuten erhitzt] und in heisses Agar überimpit. Diese
Methode durfte besonders bei der Untersuchung der sporenreicfaen
Stuhle Erwachsener angezeigt sein, jedoch leistete sie auch in
unserem Falle grosse Dienste und wurde schon vorher von
Spiegelberg und Rodella bei der Züchtung sporentragender
Bakterien und der Ana^roben des Säuglingsstuhles mit Erfolg
angewendet. Dieses Verfahren ist ein elektives, indem auf diese
Weise nur sporenbildende und hitzebeständige Keime am Leben
bleiben und sich weiter entwickeln können. Es erschliesst uns
somit wiederum ein neues Gebiet anaSrober Arten, und ihr reich-
haltiges Ergebnis beweist, dass eine grosse Anzahl der Kot-
bakterien gegen Hitze sehr widerstandsfähig ist.
Dabei kam stets gewöhnliches zuckerfreies Agar zur An-
wendung.
Besonders auffallend ist das Erscheinen kleiner, gegen die
Umgebung schlecht abgegrenzter, in der Folge wattebauschartiger
Kolonien, die in ihrer Umgebung massige Gasbildung verursachen.
Zuweilen erscheint der Nährboden infolgedessen stellenweise auf-
gelockert und zerrissen und das ausgepresste Kondenswasser
stark getrübt. Das Ausstrichpräparat einer derartigen Kolonie
zeigt das Vorhandensein grampositiver Stäbchen, die zumeist nxxt
stellenweise gefärbt sind und an dem einen Ende zuweilen ein
Köpfchen tragen (Taf. X, Fig. 8). In älteren Kulturen sehen
wir, dass sich der Inhalt dieses Köpfchens nicht mehr färben
lässt, sondern nur mehr zartkonturiert erscheint (Taf. X, Fig. 7).
Wir haben es also mit einer echte Sporen bildenden Bakterien-
art zu tun, die mit den zuerst von Escherich als für das
Mekonium charakteristisch beschriebenen und in jüngster Zeit
von Rodella aus dem Milchstuhl gezüchteten Köpfchen-
bakterien identisch ist.
Ein weiterer, nahezu konstanter Befund in derartigen Kulturen
sind diffuse, flockige Kolonien von unregelmässigem und rund-
lichem Bau und verdichtetem Zentrum, welche besonders in
aber die DarmbakterieD des SAaglinga. 709
älteren Ealturen intensiTe Gasbildung verursachen. EröiSnet man
eine derartige Kolonie, deren Ausbreitung zuweilen den ganzen
Querschnitt der Agarsäale einnimmt, so bemerkt man einen
sehr penetranten Geruch, welcher lebhaft an Skatol erinnert.
Das Ausstrichpräparat davon zeigt das Vorhandensein langer,
meist geradegestreckter, häufig verfilzter, grampositiver Fäden,
die zumeist in lebhafter endogener Yersporung begriffen sind.
Einen derartigen Bazillus hat auch Bodella aus dem Milchstuhl
gezüchtet, jedoch war es ihm nicht möglich, diese Species mit
schon bekannten zu identifizieren. Wahrscheinlich handelt es
sich um einen fäulniserregenden Buttersäurebazillus.
Sehr häufig trifft man in diesen Kulturen den Mesentericus
und den unbeweglichen Buttersäurebazillus (Grassberger
und Schattenfroh) an, und in den oberflächlichsten Schichten,
zuweilen an der Oberfläche selbst, üppige Kolonien des Acti-
nomyces chromogenes Gasperini. Letztere Bakterienart
wurde bereits von Gähn einmal aus dem Bruststuhl gezüchtet,
genauer beschrieben, irrtümlicherweise für eine neue Art gehalten
und mit dem Namen B. aärobius ramificatus belegt.
Auch Rodella hat den Aktinomyces der normalen Säug-
lingsstühle unrichtig gedeutet, indem er auf der seiner Abhandlung
über die sogen, säureliebenden Bazillen des Säuglingsstuhles
(Gentralbl.f.Bakt.,Bd.29, 1901) beigeschlossenen Tafel einen typischen
vielfach verzweigten und in Fragmentationsversporung begriffenen
Aktinomyces abbildet und für echte Verzweigungen des Aci-
dophilus ausgibt.
Ein besonderes Ergebniss fördert die anaSrobe Züchtung
auf dem Wege gewisser Anreicherungs-Methoden zutage.
Die erste Methode (Botkinsche Anreicherungs-Methode)
besteht darin, dass man in grossen, mit Patentverschluss ver-
sehenen, somit luftdicht verschli essbaren Flaschen Milch sterilisiert
und vor der Beschickung dieselben nochmals durch 20 Minuten
auf 80® C. erwärmt. Hiernach wird rasch geöffnet und nach
Durchbohrung der dicken Rahmschichte in die Tiefe der Milch
eine grössere Menge frischen oder pasteurisierten Brustmilch-
stuhles eingetragen. Die feste Fettschichte und der luftdichte
Yerschluss garantieren eine strenge Anaerobiose. In jedem Falle
entsteht in der Milch nach 24 Stunden im Brutschrank eine
ungewöhnlich stürmische Gärung. Das geronnene Kasein hat
sich am Boden des Gefasses angesammelt, und das klare Serum
ist von zahllosen Gasbläschen durchsetzt. Eröffnet man am
710 Moro, Morphologische and biologische Untersuchangen
nächsten Tage die Milchflasche, so spritzt der Fettpfropfen zu-
meist im Bogen heraus und die geronnene Milch verbreitet einen
angenehmen aromatischen Buttersäuregeruch.
Untersuchen wir den Inhalt im Ausstriche, so ergibt sich
ein sehr einheitliches Bild in der Form zahlreicher plumper,
zumeist zylindrisch geformter grampositiver Stäbchen, die im
Nativpräparate unbeweglich sind. Die Bestimmung lässt die
Identität mit dem unbeweglichen Buttersäurebazillus zu.
Die zweite Methode geht dahin, anaSrobe Fäulniserreger,
die auf zuckerhaltigen Nährböden nicht zur Entwicklung gelangen,
auf Eiweisnährböden zu züchten. Zu diesem Zwecke wird in
grösseren Eprouvetten Eiklar (im gespannten Dampf bei 150^ C.)
sterilisiert, und diese bräunliche Masse in zuckerfreier Bouillon
aufgeweicht. Die Eiweissnährböden weiden wie oben vor dem
Yerimpfen nochmals erhitzt, reichlich mit pasteurisiertem Brust-
milchstuhl beschickt und im Buchnerrohr gehalten. Auf diese
Weise gelingt es oft, aus dem Brustmilchstuhl den B. putrificus
coli Bienstock zu gewinnen. (Passini.)
Überblicken wir nochmals rasch die Ergebnisse der Kultur,
so fällt es vor allem auf, dass die Züchtung auf künstlichen
Nährböden eine grössere Anzahl von Bazillenarten aufdeckt, als
dies mit Kucksicht auf die Einheitlichkeit des bakterioskopischen
Stuhlbildes zu erwarten gewesen wäre. Dies ist nur ein Beweis
für die grössere Empfindlichkeit der Kultur, und ich bin mir
auch dessen wohl bewusst, dass trotzdem damit noch nicht die Ge-
samtheit jener Bakterienarten erschöpft ist, die unter normalen
Verbältnissen den Darm des gesunden Brustkindes bewohnen.
Allein uns interessiert nunmehr vor allem die eingangs
gestellte Frage, welche von den gefundenen Bakterienarten das
charakteristische Bild der „physiologischen Stuhlflora'' ausmacht?
Diese Frage können wir jetzt mit Bestimmtheit in Über-
einstimmung mit Tissier dahin beantworten, dass ohne
Zweifel die Masse der Bazillen des normalen Brust-
milchstuhles mit dem B. bifidus communis Tissier
identisch ist.
Gestützt wird diese Behauptung von der Tatsache, dass
der B. bifidus communis morphologisch mit den gramisch
färbbaren Bazillen des Brustmilchstuhles in allen Einzelheiten
vollkommen übereinstimmt und dass die Kolonien des B. bifidus
in anaörobem Zuckeragar in überaus reichlicher Zahl wachsen.
über die Darmbakterien des Säaglings. 711
in einer Menge, die allen andersartigen Kolonien weit überlegen
ist. Wir finden in den Bifiduskulturen die einfache Form, ge-
fleckte Individuen, köpfchen tragen de Formen und typische Ver-
zweigungen, alles Erscheinungen, die wir bereits bei der Besprechung
des bakterioskopischen Stuhlbildes hervorgehoben haben. Aller-
dings sind diese Formen in den Kulturen zuweilen so vielgestaltig
und verzerrt, dass ihre Zusammengehörigkeit und Einheitlichkeit
nur mehr mit Mühe zu erkennen ist.
Einen hinreichenden Beweis dafür, wie schwierig eine Voll-
ständigkeit in der Kultivierung der normalen Darmbakterien zu
erreichen ist, liefern gerade die jüngsten Arbeiten von Tissier
und Rodella. Tissier, der bestrebt war, ein erschöpfendes
Bild der normalen Stuhlflora bei Säuglingen zu geben, der eine
grössere Anzahl neuer Arten beschreibt und sich mit Vorliebe
der anaSroben Züchtungsmethode bediente, erwähnt mit keiner
Silbe der Buttersäurebazillen, die als eminente Gährungs-
erreger im Säuglingsdarme sicherlich eine grosse Rolle spielen.
Auch fällt es auf, dass Tissier das Vorhandensein des Acido-
philus in den Stuhlgängen von Brustkindern leugnet, während
Oahn, Rodella und ich denselben aus jedem Brustmilchstuhl
in reichlicher Menge zu isolieren imstande waren. Rodella
hinwiederum, der sich lediglich mit dem Studium der Anaäroben
des Säuglingsstuhles beschäftigt hat, beschreibt eine grosse Menge
streng anaerober Bakterienarten aus normalen und pathologischen
Fällen, ohne auch nur ein einziges Mal den häufigsten und auf-
fallendsten Vertreter derselben, den B. bifidus communis, in
Händen gehabt zn haben.
Aus diesen Kulturergebnissen geht hervor, dass als konstante
Bakterien des normalen Brustmilchstuhles angesehen werden
müssen: der B. bifidus communis und die Köpfchenb akter ien,
das B. coli commune und das B. lactis uero genes, der
B. acidophilus, der unbewegliche Buttersäurebazillus
{Gasphlegmonebazillus) und der intestinale Streptococcus.
Von jenen Bakterien, welche zwar häufig, aber nur in-
konstant aus normalen Brustmilchstühlen isoliert werden, seien
genannt: der weisse Staphylococcus, intestinale Diplo-
kokken, der B. putrificus coli, der bewegliche Butter-
säurebazillus (Amylobakter Gruber), der B. mesentericus
vulgatus, der B. exilis, der Aktinomyces chromogenes,
Sarcinen, der Soorpilz und andere Hefen.
712 Moro, Morphologische and biologische UntersuchuDgen
Bacillus bifidas communis.
Nachdem wir in voller Bestätigung der Befunde Tissiers
den obigen Bazillus als jene an der Zusammensetzung der physio-
logischen Stnhlflora hauptsächlich beteiligte Bakterienart kennen
gelernt hatten, erübrigt es nur noch, sein morphologisches Ver-
halten in der Kultur zu besprechen.
Das Wachstum in der anagroben Kultur auf Zuckeragar
(hohe Schicht) wurde bereits geschildert. Betrachten wir eine
jener winzigen Kolonien unter dem Mikroskope, so sehen wir
daran nichts besonders Charakteristisches. Ihr Rand ist glatt oder
leicht eingekerbt, das Zentrum etwas dunkler^). Die Kolonie
hat die Form eines zarten Schüppchens, lässt sich zumeist in
toto leicht herausheben und nur schwer auf dem Objektträger
verreiben. Diese Härte der Kolonie ist für ältere Kulturen
geradezu typisch. Mit dem Alter der Kultur wachsen die
Kolonien ziemlich rasch, und man beobachtet auch solche von
0,5—2 mm d. Während sie anfangs gegen die Umgebung stets
scharf abgegrenzt erscheinen, können sie sich in seltenen Fällen
späterhin auch dijBTus verbreiten. Zuweilen wachsen, besonders in
der Tiefe, mehrere linsenförmige Kolonien scheibenförmig durch-
einander, wodurch solide sternförmige Gebilde zustande kommen.
Die Bazillen, welche diese Kolonien zusammensetzen, weisen
sehr verschiedene Formen auf. In jungen, Stägigen Kulturen
sehen wir sehr häufig Formen, welche mit der von mir als ein-
fache Form (s. Taf. IX, Fig. 1) beschriebenen vollkommen über-
einstimmen. Bald aber nehmen die Bakterien sehr abenteuerliche
Gestalten an, von denen grosse Formen mit kolbigen und kugeligen
Auftreibungen und Endanschwellungen, grosse, einfach und viel-
fach (hirschgeweihartig) verzweigte Formen, sowie Kombinationen
der letzteren am häufigsten vertreten sind.
Es ist nicht vollkommen richtig, wenn Tissier sagt, dass
die Verzweigungen immer erst in älteren Kulturen auftreten; wir
sahen Verzweigungen bereits am 3. Tag, während andere Kolonien
in der gleichen Kulturröhre noch das Aussehen der einfachen
1) Hie und da sehen wir unter dem Mikroskope schappchenförmige
Kolonien, an deren Peripherie sich hüschelförmige, aus einem zarten Gewirr
von Fäden zusammengesetzte Auswüchse hefinden. Diese Kolonien sind
zumeist Mischkolonien mit dem Acidophilus. Es können aber auch ähn-
liche Formen künstlich durch Quetschung einer glattrandigen Kolonie hervor-
gerufen werden.
über die Darmbakterien d«6 Säagiings. 7.13
Form darboten. Auch gelingt es bei mehrfacher Überimpfung
nicht in jedem Falle, die einfachen und Keulenformen in ver-
zweigte überzufahren. Es ist vielmehr anzunehmen, dass sich
verschiedene Stämme und Rassen derselben Art in diesen Punkten
verschieden verhalten. Das eine steht fest, dass die Züchtung
auf Zuckeragar (besonders mit einem geringen Zusatz von
ameisensaurem Natron) die Bildung von Verzweigungen einiger-
massen begünstigt. Wahrscheinlich handelt es sich hier um ganz
besondere Wachstumsenergien auf dem Höhepunkte der Vegetation,
um abortive Wuchsformen; vielleicht sind die kolbigen End-
anschwellungen und die Verzweigungen als Hemmangsmissbildungen
infolge von mangelndem Raum aufzufassen (Lubarsch, Friedrich),
keinesfalls aber als Zeichen der eintretenden Involution.
Taf. IX, Fig. 6 zeigt uns eine Menge charakteristischer Formen
ans dem Ausstriche einer jungen, 3 tägigen Kolonie. Es ist leicht,
im Bilde alle 3 Formen, die einfache, die köpfchentragende und
die verzweigte Form, wiederzuerkennen. Wir sehen auf dem Bilde
auch einen Vertreter jener Bazillenform, die Escherich als
„punktierte Bazillen^ des Brustmilchstuhles beschrieben hat. Im
besonderen sei auf die zahlreich vorhandenen köpfchentragenden
Formen hingewiesen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich
in Gesellschaft dieser riesigen Wuchsformen oft rundliche, intensiv
gefärbte Gebilde vorfinden, die auf den ersten Blick wie eine
Verunreinigung mit grossen Kokken erscheinen. Betrachtet man
jedoch diese kugeligen Gebilde näher, so erkennt man leicht, dass
sie fast durchwegs nicht regelmässig geformt, oft bimförmig sind.
Die weitere Untersuchung eines derartigen Materials ergibt mit
Sicherheit, dass auch diese kokkenförmigen Gebilde in den poly-
morphen Formenbereich des Bifidus einzubeziehen sind.
Desgleichen ist zu beobachten, dass manche Rassen ganz
klein bleiben und eine Länge von 2 — 3 (ii nicht überschreiten,
während andere schon am 3. Tage zu Riesenformen auswachsen
und diese ihre Grösse auch nach mehrfacher Überimpfung bei-
behalten. Tissier beobachtete diese kleinen Formen, die er
„formes naines^ nannte, besonders in Mischkulturen mit anderen
Bakterienai*ten (z. B. mit B. coli commune).
In Taf. IX, Fig. 5 sind verzweigte, in Taf. IX, Fig. 6 köpfchen-
tragende Zwergformen abgebildet. Zwischen den verzweigten
sehen wir auch Köpfchenformen, während in Fig. 5 nur köpfchen-
tragende Formen, einige davon mit fragmentierten Schwänzen,
aber keine Verzweigungen vorhanden sind.
714 Moro, Morphologische mid biologische üntersochoogen
Uberimpft man da^on, so vermisseD wir in der nächsten
Generation regelmässig die Köpfchen nnd nehmen narmehr ge-
krümmte and gewundene „krümelige^ Gebilde wahr, die zu-
weilen einfach verzweigt sind. Diese krümeligen Formen sind in
älteren Eultaren ausserordentlich häufig. Auch die Kolonien der
mir von Herrn Dr. K. Tissier aus Paris freundlichst über-
sandten 12 Tage alten Kulturen wiesen ausschliesslich derartige
Gebilde auf.
Sehr erwähnenswert ist unsere Beobachtung, dass diese
krümeligen Formen (Originalkultur Tissier) mit der Ziehl-
Neelsonschen Färbemethode behandelt, die rote Farbe zum Teil
gut beibehielten. Es handelt sich demnach um säurefeste Gebilde,
die auch einer 10 Minuten langen Einwirkung einer ISproz.
Salpetersäure Widerstand leisteten. Wir sahen diese Formen teils
ganz, teils stellenweise rot gefärbt. Die säurefesten Partien im
Inneren des Bakterienleibes erinnern ihrem Aussehen nach an
Sporen, jedoch fehlt ihnen das eigentliche Attribut derselben,
nämlich die Hitzebeständigkeit. Trotzdem glauben wir diese
Gebilde als eine Art von Dauerformen ansprechen zu dürfen,
wie solche auch bei anderen Bakterien, insbesondere beim Tuberkel-
bazillus (Coppen Jones U.A.), in dieser Weise beschrieben worden
sind. Die Beobachtung der Säurefestigkeit älterer Bifidus-
exemplare ist auch für die Einreihung dieser Bakterienart in das
botanische System verwertbar.
Eine andere Form, die wir in älteren Bifiduskulturen des
öfteren zu Gesicht bekommen, wurde von Tissier als „formes
vesiculeuses' beschrieben und als Degenerationserscheinung ge-
deutet. Sie sind jedoch nach unseren Erfahrungen vollkommen
lebensföhig und können mit Leichtigkeit fortgezüchtet werden.
Besonders deutlich zeigen sie sich dann, wenn man das
Ausstrichpräparat von einer älteren derartigen Kolonie fixiert
und mit wässeriger Methylenblaulösung behandelt. Die färb bare
Substanz schwindet fast vollkommen, und es sind allenthalben
nur Aufblähungen der Bakterienhülle zu beobachten. Fast an
allen Exemplaren sehen wir das Plasma polwärts in Form einer
dem Bazillus anliegenden Kugel austreten, die sich durch Quellung
mächtig vergrössern kann. (Taf. X, Fig. 12.) Dieses Phänomen
wurde von A. Fischer bei verschiedenen Bakterienarten, ins-
besondere schön beim Diphtheriebazillus und beim Yibrio der
Cholera beobachtet und mit dem trefiPenden Namen „Plasmopty se*'
belegt. Diese Erscheinung, deren Zustandekommen durch osmo-
über die Darmbakterien des SäugÜDge. 715
tische Wechselbeziehungen zwischen Bakteriensubstanz und um-
gebendem Medium bedingt ist, tritt nur unter besonderen Umständen
auf; zumeist dann, wenn die in einem salzreicheren Medium
gewachsenen Bakterien plötzlich in eine salzarme Flüssigkeit
übergehen. Die unter hohem osmotischen Innendruck stehenden
Zellen, die plötzlich in ein Medium von geringerem Aussendruck
gebracht werden, platzen unter Ausspeiung der Protoplasten.
Die „formes vesiculeuses^ sind demnach streng genommen nur
Artefakte und haben mit Degenerationserscheinungen nichts zutun.
Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass gerade diese
Formen in 2 proz. Kochsalzlösung, unter dem Mikroskope be-
trachtet, lebhafte Eigenbewegung zeigten.
Tissier spricht dem Bifidus die Eigenbewegung ab. Wir
haben jedoch schon gelegentlich der Besprechung des bakterio-
skopischen Stuhlbildes, in Ubereinstinoimung mit Escherich
(vgl. S. 692), darauf hingewiesen, dass diese Bazillen im frischen
Nativpräparate deutliche, wenn auch geringe Eigenbewegung
zeigen. (Hängender Tropfen.) Die Bewegungen der Bakterien
sind langsam, wälzend oder wackelnd; und auch in der Kultur
finden wir, solange es sich um unverzweigte Formen handelt,
stets nur eigenbewegliche Individuen, bei denen Ortsveränderungen
zu konstatieren sind.
Allerdings ergab mir bisher der sicherste Beweis der Eigen-
bewegung, d. i. der Nachweis von Geissein*), nur negative
Resultate. Eine Verwechslung mit Brownscher Molekular-
bewegung erscheint aber dadurch ausgeschlossen, dass neben
beweglichen Exemplaren im Gesichtsfelde auch starre, unbeweg-
liche Formen zu sehen sind und dass die Bewegungen bei
Zusatz eines Tropfens von 1 ^/oo Sublimatlösung sofort zum Still-
stand kommen.
Der Bifidus gehört zu den granulosebildenden Bakterien-
arten. Diese Eigenschaft beobachteten wir bereits im Nativ-
1) Zar Anwendung gelangten sowohl die Löfflersche als auch die
Hinterbergersche Methode mit van Ermengems Beize. Während aus
dem Nachweise der Begeisselung mit Bestimmtheit auf vorhandene Eigen-
bewegnng geschlossen werden kann, darf man umgekehrt aus dem negativen
Ergebnis keineswegs den Mangel der Eigenbeweglichkeit folgern. Denn
erstens können sicherlich bewegliche Arten, wie z. B. Micrococcns agilis,
mit und ohne Geissein auftreten, und zweitens wurde Eigenbewegnng wahr-
genommen bei Bakterienarten, bei welchen ein Geisseinachweis bisher noch
niemals gelang: z. B. beim Diphtherie- and Tuberkelbazillas, beim Aktino-
myces asteroides etc. etc.
716 Moro, Morphologische and biologische UDtersachangeo
präparat; aber auch aas älteren Zuckeragarkulturen erhalten
wir gelegentlich Präparate, wobei die Bakterien, nach ent-
sprechender Behandlang mit Jodjodkaliamlösang (vgl. Anm. S. 700),
dunkelbraanrot erscheinen. Aach hier ist die Yerteilang der
Granalose nar aaf bestimmte Partien des Bakterienleibes
beschränkt.
Ein besonderes Verhalten zeigt der Bifidas auf der anae-
roben Platte. Es war uns nämlich bisher nicht gelungen,
den Bifidus auf der Zuckeragarplatte unter streng anagroben
Verhältnissen zum Wachstum zu bringen. Der Vorwurf einer
ungenügenden Ana€robiose ist in diesem Falle ungerechtfertigt
und überflüssig (Gohnsche Methode), da es seinerzeit Passini
gelungen war, den Bifidas unter vermindertem Luftdruck (Stand
der Quecksilbersäale: 100 mm) sowohl auf der Zuckeragarplatte,
als auch am Zirckeragarstrich zur Entwicklung üppiger Kolonien
zu veranlassen. Es ist sehr wohl möglich, dass der Bazillus die
Wasserstoffatmosphäre nicht verträgt oder aber, dass er zu
seinem Oberflächenwachstum eine ganz bestimmte Sauerstoff-
spannung beansprucht.
Dass gewisse Bakterienarten in dieser Richtung sehr empfind-
lich sein können, beweist das Verhalten des Erregers des senchen-
haften Abortes der Haustiere auf künstlichen Nährböden. Bang
erreichte eine Kultur dieser Bakterien nur in einem Medium,
das eine geringere Sauerstoffspannung als die atmosphärische
Luft aufwies, oder aber dann, wenn den Bakterien eine sehr hohe
Sauerstoffspannung geboten wurde — niemals jedoch in atmo-
sphärischer Luft.
Desgleichen konnte ich auf der schrägen Oberfläche des
Ausstriches auf Zuckeragar (im Buchnerrohre) niemals eine
Kolonie erhalten.
Im Zuckeragarstich wächst er immer sehr üppig. Sein
Wachstum lässt, wie dies bei allen Anaerobiern der Fall ist, die
oberflächlichste Strecke des Stichkanals frei und ist an den
tiefsten Partien am intensivsten. Die Kultur im Stichkanal ist
unregelmässig und gegen die Umgebung zuweilen unscharf
abgegrenzt.
Auf Zuckerbouillon (anaerob) gedeiht der Bifidus sehr gut.
Sein Wachstum bleibt auf den Boden des Gefässes beschränkt,
während die darüberstehende Bouillon zumeist eine deutliche
Trübung aufweist. Der gebildete Bodensatz besteht aus weissen,
lockeren, schmierigen Fetzen. Unter dem Mikroskop sehen wir
aber die Darmbakterien des S&oglings. 717
zumeist lange, wurmförmig gewundene F&den, die zuweilen schöne
Verzweigungen tragen.
Die Milch wird vom Bifidus, trotzdem dieser Nährboden
sein Wachstum zu begünstigen scheint, ausserlich gar nicht
verändert.
Im Gegensatze zu Tissier konnte ich stets auch auf
zuckerfreiem Nährboden, so auf gewöhnlichem Agar und in ge-
meiner zuckerloser Bouillon, den Bifidus zum Wachstum bringen,
ohne dass damit eine auffällige Einschränkung seiner Entwicklung
herbeigeführt wurde. Die Bouillon blieb- klar.
Auf der Gelatine gelang es mir ebensowenig wie Tissier,
eine Kultur zu erhalten. Dieses Verhalten führe ich auf eine
grosse Empfindlichkeit dieses Darmbazillus gegen niederere
Temperaturgrade zurück^ da mir auch bei Verimpfung auf das
ihm zusagende Agar, bei einer Temperatur von 17 — 20® sein
Wachstum ausblieb. Durch diese Kälteempfindlichkeit erklärt
sich auch die Erscheinung, dass eine mir im Winter vorigen
Jahres von Herrn Dr. Tissier aus dem Institut Pasteur zu-
gekommene, wohlverpackte Sendung frischer Bifiduskulturen voll-
kommen abgestorben war, obgleich der Bazillus unter normalen
Verhältnissen sich noch nach Ablauf eines Monats als vollständig
lebensfähig erweist und leicht fortgezüchtet werden kann.
Nach Tissier ist der Bifidus nicht tierpathogen. Über
die biochemischen Leistungen dieses Bazillus habe ich bislang
noch keine Untersuchungen angestellt.
Die Einreihung des Bifidus in das System stösst vorläufig,
mit Rücksicht auf die mangelhafte Kenntnis der anaöroben
Bakterien überhaupt, auf so grosse Schwierigkeiten, dass ich
mich, um wertlosen Vermutungen aus dem Wege zu gehen, nicht
berufen fühlen kann, in dieser Richtung eine Entscheidung zu
tre£Fen.
Die Köpfchenbakterien.
Diese Bakterienart wurde bereits im Jahre 1886 von
Escherich in den Ausstrichpräparaten des Mekoniums gesehen
und beschrieben.
„Die eine der sporentragenden Arten gehört den sogen.
Kopfchenbakterien an, wobei ich dieselben mit diesem Namen
lediglich ihrer Form wegen benenne. Sie bestehen aus einem
4—7 |i langen, sehr schlanken Stiele, auf dem eine glänzende
Spore aufsitzt; dieselbe ist in der Richtung des Fadens längs-
718 Moro, Morphologische usd biologische Untersuchungeo
oval, erreicht in diesem Durchmesser bis zu 1,5 fi. Bei einzelnen
sporentragenden Formen ist der Faden nicht mehr gerade, sondern
schlängelt sich unter Verjüngung seines peripheren Endes. Dass
das helle, glänzende Köpfchen als Spore zu deuten ist, ergibt
sich aus dem Verhalten gegen Anilinfarben, indem es nach Be-
handlung mit konzentrierter Schwefelsäure, sowie in heisser
konzentrierter Farbstofflösung die Anilinfarben aufnimmt, während
es bei der gewöhnlichen Färbemethode ungefärbt bleibt. Ausser
den eben beschriebenen Formen finden sich auch noch Fäden
mit kleineren, intensiv färbbaren Köpfchen (Stadium der Sporen-
bildung) und endlich solche, an denen das letztere fehlt.*'
(Escherich, Darmbakterien des Säuglings. S. 19.) Escherieb
vergleicht sehr zutreffend die Form dieser Köpfchenbakterien mit
Spermatozoen.
Escherich hielt diese Bakterienart als besonders charakte-
ristisch für die Flora des Mekoniums, jedoch gelang es ihm trotz
sorgfaltigster Züchtungsversuche niemals, die Köpfchenbakterien
in Kultur zu erhalten.
Es ist in der Tat sehr auffallend, dass diese Bakterien-
formen, wie wir sehen werden, in besonders reichlicher Menge
fast in jedem Mekoniumstuhl anzutreffen sind, während ihre
Anwesenheit im Ausstrichpräparate des normalen Frauenmilch-
stuhles nicht mit Sicherheit konstatiert werden kann. Die un-
sichere Bestimmung der Köpfchenbakterien im mikroskopischeo
Bilde des Frauenmilchstuhles ist wohl darauf zurückzuführen,
dass die meisten köpfchentragenden Bazillen darin zweifelsohne
in den polymorphen Formenkreis des B. bifidus communis ein-
zubeziehen sind.
Allein der empfindlichere kulturelle Nachweis lässt fast
niemals im Stiche. Auf der anaöroben Kultur erhalten wir
Bakterienformen, die mit der von Escherich gegebenen Be-
schreibung vollkommen übereinstimmen und die sich von der
Bifidusgruppe streng unterscheiden lassen.
Das erstemal erhielt ich die Köpfchenbakterien als zufällige
Befunde im Sommer v. J. in Kultur, und zwar auf gewöhnlichem
Agar (anagrob, hohe Schicht), als ich erfolglos damit beschäftigt war,
auf diese Weise den Bifid us aus den Stühlen von Brustkindern zu
isolieren*). Diesem Ergebnis schenkte ich anfänglich keine Beachtung,
') Die direkte Züchtung des Bifidus aus Brnstmilchstuhlen gelingt,
wie erwähnt, am besten mit Zuckeragar.
über die Darmbakterien des Säugling». 719
bis mir später eine Arbeit von Rodella zeigte, dass es diesem
Forscher bereits im Jahre 1902 gelungen war, eine den Escherich-
schen Eöpfchenbakterien nahestehende Art (Bazillus No. 3) aus
Milchstfihlen regelmässig zu isolieren. Darin empfiehlt Rodella
die bereits geschilderte Methode zur Kultivierung sporentragender
Bakterien aus Säugliogsstühlen, welche darauf beruht, das Stnhl-
muterial vorher zu erhitzen und in heisses Agar zu verimpfen.
Auf diese Weise erzielte ich späterhin fast regelmässig positive
Resultate, sowohl aus den normalen Frauenmilchfäces, als auch
AUS Mekoniumstühlen.
Die von Rodella gegebene kurze Beschreibung seines
Bazillus 3 deckt sich bis auf einige Punkte gut mit den unten
mitgeteilten; als wesentlichster Unterschied sei nur hervorgehoben,
•dass ich bei den Eöpfchenbakterien in a^en ihren Entwicklungs-
Stadien sehr lebhafte Eigenbewegung beobachtete, während Rod ella
seinem Bazillus 3 die Eigenbewegung abspricht. Vielleicht ent-
springt diese Behauptung Rodellas auf einem Beobachtungs-
fehler seinerseits, da es ja von vornherein zu erwarten war, dass
^in echter Sporenträger, wie es die Regel ist, Eigenbewegung
besitzt und die vielfach gewundenen Schwänze dieser Bakterien
«chon im fixierten Präparate auf das Vorhandensein von Eigen-
bewegung hinweisen.
Über die Morphologie dieses Bazillus geben die bei-
geschlossenen Abbildungen den besten Aufschi uss (Taf. X, Fig. 7
und 8). In jüngeren Agarkultnren sehen wir fast ausschliesslich
verschieden lange, schlanke, meist etwas gekr&mmte Stäbchen,
von denen einige an ihrem Ende ein intensiv farbbares Köpfchen
tragen. Selten sehen wir auch beide Enden des Bakterienkörpers
mit Köpfchen behaftet. Die Köpfchen sind niemals rund, sondern
immer in der Ebene des Stäbchenverlaufes längsoval und sitzen
dem Bazillus mit ihrer verjüngten distalen Partie auf. Sie sind
^rampositiv, jedoch ist ihre Färbbarkeit nach Gram, wie die Ab-
bildungen zeigen, stets nur partiell und wenig intensiv.
In älteren Kulturen nehmen die ' Köpfchen den Farbstoff
gar nicht mehr an; nur ihre Kontur und das Halsstück bleiben
gefärbt, während das Köpfchen selbst einen eigentümlichen Glanz
aufweist. In derartigen Präparaten sind immer auch mehrere
freie, ungefärbte Köpfchen und Bakterienfragmente zu sehen, und
es hat den Anschein, als würden die Schwänze dieser Bakterien
«inem Auflösungsprozesse anheimfallen (Taf. X, Fig. 7). Färben
wir ein solches Präparat nach der modifizierten Möllerschen
Jahrbuch lür Kinderheilkunde. N. F. LXI. 5. 47
720 Moro, Morphologische und -biologische Uotefsachangen
Methode, so bleiben die Köpfchen rot gefärbt, und die Erhitzung
der Kultur lässt bei folgender Uberimpfung in der nächsten
Generation wiederum eine Menge junger Wuchsfonnen erscheinen.
Wir haben es also hier mit echtem Sporenmaterial zu tun.
So gelang es mir, 2 bis höchstens 3 Generationen lort-
zuzüchten, allein die Lebensfähigkeit dieser Bakterienart auf dem
üblichen künstlichen Nährboden scheint eine so geringe zu sein,
dass es mir bisher nicht gelungen ist, dieselbe längere Zeit
hindurch in Kultur zu erhalten. Falls keine neue Yersporung
eintritt, so bleiben die Bazillen in der Kultur winzige, zarte,
kurze Fadenstäbchen, die sehr lebhafte Eigenbewegung zeigen,
nach Gram zumeist nicht mehr färbbar sind und bald zu längeren,
nur mehr fragmentiert färbbaren Scheinfaden auswachsen. In
diesen Stadien lassen sich die Bazillen in der Regel nicht mehr
weiterzüchten. Oft zeigen auch diese kleinen Formen die Neigung
zur Köpfchenbildung. Bemerkenswert ist auch ihr Verhalten zur
Jodjodkaliumlösung, indejQ diese zarten, kleinen Stäbchenfast regel-
mässig eine deutliche Polförbung aufweisen, die sich in der Dar-
stellung eines winzigen schwärzlichen Kernchens an einer oder
an beiden Spitzen des Bakterienkörpers zu erkennen gibt. Viel-
leicht sind diese Gebilde als Vorstadien der nunmehr ausbleibenden
Versporung anzusehen.
Interessant ist die Beobachtung, dass mir einmal eine der-
artige, mit B. coli zufällig verunreinigte Kultur in kürzester Zeit
wiederum vollkommen versport hat.
In der tiefen Agarkultur bieten die Kolonien anfanglich
kein von den beschriebenen Bifiduskolonien abweichendes Ver-
halten dar. Nach einigen Tagen jedoch — selten schon von
Beginn an — zeigen sie eine charakteristische Form, die Rodella
(im Gelatinestich) zutreffend mit einem zerzupften Wattebäuschchen
vergleicht. In der Reinkultur tritt regelmässig s^uch auf zucker-
losem, gewöhnlichem Agar, anfänglich nur in der Umgebung der
Kolonie, massige Gasbildung auf, die jedoch nach einigen Tagen
so intensiv werden kann, dass die Agarsäule stellenweise zer-
rissen wird. Im ausgepressten, trüben Kondenswasser sind die
Bazillen stets reichlich vorhanden.
Im Agarstich sehen wir nach einigen Tagen geringe Ent-
wicklung in der Tiefe des Stichkanals. Als besonders charakte-
ristisch für die Stichkultur wird von Rodella ein feinverästeltes
Wachstum angegeben, das er mit dem umgekehrten Bilde eines
über die Darmbakterien des Säaglings. 721
Tannenbaumes vergleicht. Ich konnte, wohl zufällig, ein derartig
verästeltes Auswachsen meiner Stichkultaren nicht beobachten.
In der Gelatine (hohe Schicht) gewahrt man nach einigen
Tagen in der Tiefe das Auftreten vereinzelter wattebausch-r
artiger Kolonien und in ihrer Umgebung ziemlich starke Gas-
bildung. Eine Verflüssigung der Gelatine wurde auch nicht im
beschränkten Maasse wahrgenommen.
Die Bouillon wird massig getrübt. Das Wachstum des
Bazillus bleibt jedoch in der Regel nur auf den Boden des Ge-
fasses beschränkt.
Die Milch wird nicht sichtlich verändert. —
Es tritt nun die Frage an uns heran, ob wir das Recht
haben, den beschriebenen Bazillus als eine selbständige Spezies
aufzufassen, oder ob er sich mit bereits beschriebenen Arten
identifizieren lässt. Diese Frage wurde bereits von Es eher ich,,
gelegentlich seiner Beschreibung der Köpfchenbakterien des Meko-
niums aufgeworfen. Escherich wies dabei auf die äusserliche Ähn-
lichkeit' dieser Bakterien mit dem von Bienstock beschriebenen
und abgebildeten B. putrificus hin, ohne sich hierin irgendwie
bestimmt zu äussern. Diese Andeutung verschaffte sich jedoch
späterhin in der einschlägigen Literatur als eine mehr oder minder
feststehende Tatsache Eingang und wird auch im Tissierschen
Werke als solche angeführt. Ich habe den B. putrificus Bien-
stock nach der bereits angegebenen Methode (S. 710) aus dem
Brustmilchstuhle gezüchtet und seine Bestimmung mit einer mir
von Herrn Dr. F. Passini liebenswürdigerweise zugesandten
Originalkultur sichergestellt. Obgleich die sporulierende Form
des Putrificius unter Umständen vielleicht auch eine ähnliche Ge-
staltung aufweisen kann, wie wir sie bei den abgebildeten Köpfchen-
bakterien sehen, lässt , sich doch schon rein morphologisch eine
Unterscheidung der beiden Arten insofern durchfuhren, als sich
die Putrificusbakterien gerade durch eine auffallende Starrheit
und durch einen plumpen Bau auszeichnen und der Breitendurch-
messer ihrer Köpfchensporen, wie Bienstock selbst sagt, jenen
der Stäbchen nur wenig oder gar nicht überragt. Übrigens gehen
diese Angaben am besten im Vergleiche aus der Bienstockschen
Abbildung hervor. Da wir jedoch mit Rücksicht auf den viel-
fach erwähnten Polymorphismus der Anaeroben auf das morpho-
logische Verhalten dieser Bakterien kein grosses Gewicht legen
dürfen, so stütze ich mich in der Differenzierung hauptsächlich
auf die kulturellen Merkmale, die sofort die Entscheidung herbei-
47*
722 Moro, Morphologische and biologische ÜntenochoDgeo
f&hren, insofern als u. a. der B. patrificas die Oelatine anter
Bildung übelriechender Fäuhiisprodakte in toto Terflössigt, während
wir bei den Eöpfchenbakterien nicht einmal die Andeatung einer
Gelatinererflüssigung beobachtet nnd in keiner Kultur einen Üblen
Geruch wahrgenommen haben. Die Köpfchen bakterien haben
demnach mit dem B. putrificus bis auf eine rein äusserliche
Ähnlichkeit, nämlich die Bildung von Kopfchensporen, nichts
gemein.
Viel eher noch könnte es sich darum handeln, dass die
Köpfchenbakterien in den Formenkreis des Bifidus einzubeziehen
sind und dass die Köpfchen bakterien die sporulierende Form des
Bifidus darstellen. Diese Vermutung erscheint um so berechtigter,
wenn wir uns ein ähnliches Verhalten der anaöroben Buttersäure-
bazillen (vergl. dieses Kap.) vor Augen halten. Als gemeinschaft-
liche Punkte wären zu erwähnen: Die Ana^robiose, die Färbbarkeit
nach Gram und die Bildung köpf chen förmiger Endanschwellungen.
Besonders wenn wir den zweiten Punkt ins Auge fassen, finden
wir in der Färbbarkeit beider Bakterienarten insofern ein auf-
fallend ähnliches Verhalten, als auch die Köpfchenbakterien
typischerweise die Gramsche Färbung nur partiell annehmen,
wodurch Formen entstehen, die sich vom Bifidus nicht unter-
scheiden lassen. Ich erinnere nur an die „punktierten^ und „ge-
fleckten" Formen der Köpfchenbakterien. Auch in der Köpfchen-
bildung weisen beide Bakterienarten grosse morphologische Ähn-
lichkeiten auf. Allein auch diese Frage wird, abgesehen von allen
anderen Momenten, schon damit irrelevant, dass es mir niemals
gelungen ist, die Köpfchenbakterien in die dem Bifidus eigentüm-
liche Vegetationsform überzufuhren. Niemals ist in den Kulturen
der Köpfchenbakterien auch nur eine Andeutung echter Ver-
zweigungen zu sehen gewesen.
Meine Untersuchungen über diese interessante Bakterienart
sind noch nicht abgeschlossen, insbesondere steht die Prüfung der
biochemischen Leistungen bisher noch aus. Die vorhandenen
Lücken sind darauf zurückzuführen, dass die Köpfchenbakterien
nur äusserst schwer auf unseren Nährböden lebensfähig erhalten
bleiben.
Die anaäroben Buttersäurebazillen.
Die regelmässige Anwesenheit von Buttersfinrebazillen im
Säuglingsstuhle wurde bereits im Jahre 1894 von Flügge nach-
aber die Darrobakterien des SäagÜDge. 723
gewiesen, und zwar für den Botkinschen Bacillus butyricuß^)^
der nach Flügge stets in den Fäces auch von wenigen Tage alten^
nur mit Frauenmilch genährten Säuglingen vorhanden sein soll.
Diesem Befund wurde jedoch in der Folge wenig Beachtung
geschenkt, bis Passin i auf der Naturforscher Versammlung in Karls*
bad (1902) über eigene Versuche berichtete, aus denen hervorginge
dass aus den normalen Stühlen von Brustkindern stets der un-
bewegliche ButtersäurebazillusGrassberger undSchatten-
froh, und in vielen Fällen auch der bewegliche Buttersäure-
bazillus (Amylobakter Gruber) und der fäulniserregende
Buttersäurebazillus (B. putrificus Bienstock) auf dem
Wege besonderer Kultur verfahren isoliert werden konnten.
Über die Methoden zur Gewinnung des unbeweglir.hen
Buttersäurebazillus und zur Isolierung des B. putrificus
habe ich bereits berichtet. Für die Kultivierung des beweg-
lichen Buttersäurebazillus empfiehlt sich das Beyerinksche
Anreicherungs verfahren ^).
Was die Morphologie und Biologie dieser noch ungenügend
erforschten Bakteriengruppe betrifiFt, so verweise ich auf die aus*
führlichen Arbeiten von Grassberger und Schattenfroh.
Jedenfalls ist der konstante Befund von Buttersäurebazillen im
normalen Brustmilchstuhle von grossem physiologischem Interesse
und für die Erkenntnis der bakteriellen Gährungs- und Fäulnis-
vorgänge im Darmkanale des Säuglings sehr belangreich.
Neuere Beobachtungen haben ergeben« dass der un-
bewegliche Buttersäurebazillus, dessen Name insofern nicht
ganx richtig ist, als er auf geeigneten Nährböden in seiner sporen-
tragenden Form Eigenbewegung gewinnt, mit dem Gasphleg-
monebazillus (B. emphysematosus E. Fraenkel) identisch ist
(Passini). Im Säuglingsdarm findet er sich konstant in seiner
sporogenen, vielleicht auch in seiner asporogenen Form vor. Das
Vorhandensein der ersteren Form beweist der positive Ausfall
der Botkinschen Anreicherungsmethode und sein Wachstum auf
den von erhitztem Material angelegten ana€roben Agarkulturen.
In der anaeroben Milchkultur finden wir ihn regelmässig in Form
kurzer, plumper, grampositiver Stäbchen, die niemals Sporulation
^) Nach den UntersiichangeD von Grassberger und Schattenfrob
ist der B. batyricus BotkiD keine einheitliche Bakterienart.
'^) Glakose und Pepton ää 5 g werden auf 100 g Wasser in einer eng-
halsigen Flaeche faeiss aaf das za nntersuchende Matertal gegossen and luft-
dicht verschlossen in den Thermostaten gestellt.
724 Moro, Morphologische und biologische Unters ach an gen
zeigen. Uberimpft mao davon auf den Passini sehen Eiweiss-
nährböden, so gelingt es zumeist leicht, ihn in seine sporogene
Form überzuführen. Mit der Änderung seines Morph ismus hält
eine merkwürdige Änderung seines Chemismus gleichen Schritt.
Während die Bazillen in ihrer üsporogenen Form eine stürmische
Kohlehydrat - Gährung unter Bildung von Buttersäure, Milch-
säure, Kohlensäure, Wasser und geringen Mengen von Alkoholen
I eingehen, rufen sie in ihren sporogenen Formen auf Eiweiss-
nährböden typische Fäulniserscheinungen hervor und sind im-
I Stande, fibrinlösende Fähigkeiten zu entfalten (6 rassberge r,
Passini).
Der bewegliche Buttersäurebazillus (Amylobakter
Gruber) peptonisiert im Gegensatze zum Bazillus der Gasphleg-
mone niemals Eiweiss und kann auf allen Nährböden, auch auf
Milch und Zuckeragar, zur Versporung gebracht werden. Seine
Spaltungsprodukte bei der Vergährung von Kohlehydraten sind
jenen des Gasphlegmonebazillus annähernd gleich.
Der Bacillus putrificusBienstock, dessen morphologische
Eigenschaften wir bereits bei der Besprechung der Köpfchen-
bakterien Escherichs teilweise kennen gelernt haben, be-
ansprucht ein besonderes Interesse, da er nach Bienstocks Unter-
suchungen über die Ätiologie der Eiweissfäulnis das Prototyp der
faulniserregenden Mikroben ist. Er vermag, wie nur wenige seiner
Verwandten, Fibrin unter Bildung stinkender Fäulnisprodukte
zum vollständigen Zerfall zu bringen. Diese Eigenschaft ent-
faltet der B. putrificus nach Bienstock nur unter streng
anagroben Verhältnissen oder aber im Zusammenleben mit anderen
aäroben Bakterienarten, welche den vorhandenen Sauerstoff für
sich in Anspruch nehmen und aufbrauchen. Von besonderem Inter-
esse ist Bienstocks Beobachtung, dass von dieser Mithilfe das
B. coli und das B. lactis a€rogenes eine besondere Aus-
nahme machen, indem sie trotz ihres Sauerstoffbedürfnisses den
B. putrificus in seiner fäulniserregenden Wirkung hemmen. Diese
beiden Arten wären demnach als echte Antagonisten der Fäulnis
anzusehen. Darnach zieht Bienstock den Schluss: „dass die
Anwesenheit dieser Bakterien im Darm einen Schutz für den
Organismus vorstellt, deren toxische Wirkung auf jenen bei un-
begrenzter Entwicklung der Fäulnisprodukte nicht zweifelhaft
sein kann."
Ein weiteres interessantes Versuchsergebnis Bienstocks
geht dahin, dass bei der Fibrinföulnis ana^rober Spaltpilze niemals
aber die. Darmbakterien des Säuglings. 725
Indol auftritt^), währeod in Gesellschaft mit anderen Bakterien-
arten, insbesondere mit dem B. coli, die Spaltung sehr bald bis
zur Indolstufe fortschreiten kann. Desgleichen führt Bien-
stock die antiputride Fähigkeit der rohen Milch auf daa stetige
Vorhandensein der Colibakterien in der Milch zurück.
Als eine weitere Stütze seiner Vermutungen zieht Bien-
stock die Ergebnisse seiner neueren Untersuchungen ins Feld, wo-
nach es ihm nicht mehr gelang, seinen Putrificus aus den mensch-
lichen Stuhlgängen zu züchten. Nach seiner Ansicht müsste eine
Abtötung der mit der Nahrung eingeführten Putrificuskeime durch
die spezifische Lebenstätigkeit der obligaten Darmbakterien, ins-
besondere der Coli- und Lactisbakterien erfolgt sein. Auch seine
Selbstversuche, die darin bestanden, dass er längere Zeit hindurch
Putrificussporen enthaltende Gartenerde zu sich nahm, fielen im
negativen Sinne aus.
Den Bienstockschen Befunden wurde nun in allerjüngster
Zeit von Passini mehrfach widersprochen. Passini gelang es,
den Bienstockschen Bazillus auf dem Wege seiner Anreiche-
rungsmethode (S. 710) aus den Stühlen von Erwachsenen regel-
mässig zu isolieren; wiederholt gelang ihm auch die Kultur aus
normalen Stühlen von Brust- und Flaschenkindern und aus dem
Mekonium. Allerdings mussten von normalen Frauenmilchstühlen
stets grössere Mengen (mehrere Ösen) der pasteurisierten Fäces
in den Nährboden eingetragen werden, um den Fäulniserreger
zum Wachstum zu bringen. Auch blieb bei ein und demselben
Ausgangsmaterial 1 eine grössere Anzahl der angestellten Proben
frei, woraus der Schluss zu ziehen war, dass im normalen Brust-
milchstuhle nur eine geringe Sporenanzahl vorhanden sein kann.
In Stühlen von Flaschenkindern ist er zumeist reichlicher zu
finden, und es genügt eine geringere Aussaat des pasteurisierten
Stuhlmaterials um eine Kultur zu erreichen.
Auch Passini führt die beschränkte Vegetation der ein-
geführten ubiquitären Putrificussporen auf ungünstige Wachs-
tumsbedingungen im Säuglingsdarm zurück, da darin die säure-
bildenden Bakterien bis zum Ende des Darmtraktus günstigen
Nährboden zum Gedeihen vorfinden und gegenüber den eiweiss-
spaltenden die Vorherrschaft behalten. Diese antiputride Wirkung
darf jedoch nicht allein dem B. coli und dem B. lactis aerogenes
>) Wird von Passini auf Grund eigener Versuche bestritten (Zeitschr.
Hyg. u. Inf. 49. Bd. 1905. Nachtrag).
726 Moro, Morphologische aod biologische üntenachangeD
als der Ausdruck einer ihnen eigentümlichen spezifischen Funktion
zugeschrieben werden; daran sollen sich nach Tissier in ähn-
licher Weise der B. bifidus communis und der intestinale
Streptococcus, nach Passini insbesondere der unbewegliche
Buttersäurebazillus (die asporogene Yegetationsform des Gras-
phlegmonebazillus) beteiligen, wie überhaupt alle jene
Bakterienarten, die die Eigenschaft haben, Kohlehydrate zu ver-
gären, hingegen keine oder nur sehr schwache eiweitshaltende
Fähigkeiten besitzen. Die Behinderung der Fäulnis erfolgt dabei
lediglich durch die Wirkung der gebildeten Säure, weshalb auf
kohlehydratfreien Eiweissnährböden der Putrificus seine Fäolnis-
wirkung auch in Gesellschaft der genannten antagonistisch
wirkenden Bakterienarten in ungestörter Weise zu entfalten im-
stande ist.
Der sichere Nachweis und die Reinkultur des B. putrificus
aus normalen Brustmilchstühlen gelang mir in mehreren daraufhin
untersuchten Fällen erst kürzlich, und zwar ein einziges Mal; ich
konnte daher über diesen interessanten Darmbazillus vorläufig
nur referierend auf Grund der Bienstockscben Originalarbeiten
und der jüngsten Passini sehen Versuche berichten.
Jene Bakterienart, deren häufigen Befund in den aus pasteuri-
sierten Brustmilchstühlen angelegten anaSroben Agarkulturen ich
bereits gelegentlich der Besprechung der Eulturergebnisse mit-
geteilt habe (vergl. S. 708), ist ebenfalls sehr wahrscheinlich in
die Gruppe der faulniserregenden Buttersäurebazillen einzureihen.
Der Bazillus wurde zuerst von Rodella aus Stühlen von Flaschen-
kindern isoliert; ich kann die häufige Anwesenheit dieser oder
einer ihm sehr nahestehenden Spezies für die Fäces gesunder
Brustkinder bestätigen. Seine hervorstechendste Eigenschaft, die
ihn von den übrigen Bazillen dieser Gruppe unterscheidet, ist
sein Yermögen, auf künstlichem Nährboden (Agar, Gelatine,
Milch) Skatol zu bilden. Der Bazillus ist im hohen Grade
tierpathogen.
In der anaäroben Agarkultur sehen wir zumeist in der Tiefe
Kolonien erscheinen, die sich von den übrigen vor allem durch
ihr rasches Wachstum und durch ihre Ausbreitung auszeichnen.
Die Kolonien weisen anfangs einen rundlichen Bau auf und sind
niemals gegen die Umgebung scharf abgrenzt. Sie nehmen bald
die charakteristische Gestalt eines zusammenhängenden Watte-
bausches an und können in dieser Form einen Durchmesser von
8—10 mm erreichen. Eröffnen wir eine derartige Kolonie, so finden
über die Darmbakterien des S&ogliDge. 727
wir das Innere derselben in eine lockere, schmierige Masse um*
gewandelt, die einen penetranten Skatolgeruch verbreitet. In der
Umgebung der Kolonie tritt massige Gasbildung auf, die ins*
besondere auf zuckerfreiem, aber auch auf zuckerhaltigem Agar
zu beobachten ist.
Das Ausstrichpräparat einer derartigen Kolonie (Taf. X^
Fig. 9) zeigt langgestreckte, manchmal gebogene Stäbchen, die
zumeist in lebhafter Sporulation begriffen sind. Die rundlichen
Sporen sind entweder zentral oder peripher, zuweilen an beiden
Enden der Stabchen eingelagert. Daneben finden sich auch
kürzere Formen ohne Sporen. Der Bazillus ist grampositiv. Im
Jodpräparat keine Farbenreaktion. Träge Eigenbewegung vor*
banden. Bei mehrfacher Uberimpfung neigen die Bazillen zur
Bildung langer Scheioföden, die nurmehr zart und fragmentiert
farbbar sind.
In der anaeroben Gelatinekaltur (hohe Schicht) konnte ich
das von Rodella beschriebene Wachstum, wonach die Kolonien
rund, scharfbegrenzt und mit geschlängelten Ausläufern versehen
sein sollen, nicht beobachten. Die Gelatinekolonien wiesen viel-
mehr einen ähnlichen Bau auf, wie die oben beschriebenen.
Der Geruch nach Skatol ist in ebenso intensiver Weise auch
auf diesem Nährboden zu konstatieren, und war die Gelatine
eine Zeitlang in ihrer ganzen Säule von zahlreichen grösseren
und kleineren Gasbläschen durchsetzt, die aber späterhin ver*
schwanden. Eine typische Verflüssigung der Gelatine kam nicht
zu Stande. Nur im Bereiche der Kolonien war der Nährboden
etwas zerfallen und aufgeweicht.
Die Bouillon wird anfangs getrübt, später klärt sich diese
Trübung zum grössten Teil wieder auf und die Bazillen (lange
Fäden) sammeln sich am Boden des Gefässes in Form einer
lockeren, schmierigen Masse an.
Die Milch wird selbst nach mehreren Tagen äusserlich nicht
merklich verändert; daran ist nur eine etwas dunklere, bräun-
liche Verfärbung und auch hier, besonders ausgesprochen, der
intensive Geruch nach Skatol zu beobachten.
Sehr beachtenswert ist die hohe Tierpathogenität dieser
Bakterienart. 2 Kaninchen (Körpergewicht 1500 g und 1 100 g)
gingen, das eine nach subkutaner, das andere nach intraperitonealer
Einverleibung junger Bouillonkulturen, das erstere im Verlaufe
von 6 Tagen, das andere am 4. Tage zugrunde. Das auffallende
Sektionsergebnis ist die Entstehung eines sehr ausgebreiteten,,
728 Moro, Morphologische und biologische Unters ach angen
salzigen Ödems an der Injektionsstelle und eine starke Yermehrong
der blutig tingierten Peritonealflüssigkeit, worin die Bazillen ziemlich
reichlich nachweisbar waren. Die tierpathogenen Eigenschaften
dieses Bazillus erinnern lebhaft an das Bild, welches der B. des
malignen Ödems im Tierkörper zu erzeugen pflegt. Dieser
Bazillus unterscheidet sich aber vom Ödembazillus u. a. durch
seine regelmässige Färbbarkeit nach Gram und insbesondere
durch seine konstante Skatolbildung auf kunstlichen Nährböden.
Da mir, ebensowenig wie Rodella, eine Einreibung dieser
Bakterienart in das mangelhafte System der Anaerobier unmöglich
ist, so möge die gegebene Beschreibung, welche sich mit der
Rodellaschen fast in allen wesentlichen Punkten deckt, vorläufig
hinreichen.
Aber auch der Bazillus des malignen Ödems wurde
bereits vielfach im normalen menschlichen Stuhle nachgewiesen.
Er wurde von französischen Autoren (Mac^) als regelmässiger
Darmbewohner bezeichnet, eine Angabe, die jedoch Passini
nicht bestätigen konnte. Dass dieser Anaärobier im normalen
Stuhle vorhanden sein kann, ergibt sich aber daraus, dass es
Rode IIa gelang, einen in seinem morphologischen und biologischen
Verhalten mit Sicherheit als typischen B. des malignen Ödems
«.nzusprechenden Mikroorganismus aus den Fäces eines ge-
sunden Brustkindes zu kultivieren (Passini).
Die Kenntnis dieser Bakterienarten ist schon deshalb von
grossem Interesse, weil ihr Vorhandensein im normalen Stahl
mit Nachdruck darauf hinweist, dass beim Studium pathogener
Darmbakterien, das anaörobe Kulturverfahren besonders berück-
sichtigt werden müsse.
Die obligaten Milchkotbakterien Escherichs.
B. coli commune und B. lactis aSrogenes sind in jedem
Brustmilchstuhle vorhanden. Wir haben bereits hervorgehoben,
dass die Bakterien dieser Gruppe im Ausstrichpräparate des
normalen Brustmilchstuhles zwar zuweilen fehlen können, allein
die aßrobe Kultur ergibt in jedem Falle reichlich ein positives
Resultat. Nur die anaSrobe Zuckeragarkultur bleibt zuweilen auch
in der Originalverdünnung von B. coli verschont, was wohl darauf
zurückzuführen ist, dass die in grosser Anzahl gewachsenen
Bifiduskolonien die Entfaltung vereinzelter Keime des Colibazillus
verhindern. Immerhin ist diese Tatsache ein Hinweis darauf.
über die Darmbakterien des Säuglings. 729
dass die Menge der Colibakterien im normalen Brustmilchstuhle
keine übermässig grosse sein kann, da das ß. coli im allgemeinen
auch auf sauerstofffreien Nährboden gut und üppig gedeiht.
Die Vegetation der Coligruppe scheint sich beim Brustkinde
vorzugsweise auf die höher gelegenen Darmabschnitte zu be-
schränken. Ein Beweis dafür ist u. a. die Beobachtung, dass mit
dem Einsetzen katarrhalischer Darmzustände in jedem Falle das
zahlreiche Auftreten von Colibakterien im Stuhle der Brustkinder
zusammenfallt.
Wir werden auf diese wichtige Bakteriengruppe gelegentlich
der Untersuchungen über die Verteilung der obligaten Bakterien
im Säuglingsdarm zurückkommen.
Die acidophilen Bakterien.
Im Januar 1900 veröffentlichte ich eine kurze Notiz über
die gramisch färbbaren Bazillen des Brustmilchstuhles und suchte
diese Bakterien mit jener Art zu identifizieren, die sich auf
sauren Nährböden aus jedem Brustmilchstuhl in beträchtlicher
Menge elektiv züchten lässt, ohne dabei die Färbbarkeit nach
Oram einzubüssen. Diese neue Bakterienart nannten wir wegen
ihrer Vorliebe für saure Nährböden B. acidophilus. (Taf. X,
Fig. 10.)
Bald darauf berichtete Finkeiste in über Versuche, die an
der Berliner Klinik schon seit Jahresfrist im Gange waren,
wonach es ihm gelungen war, säureliebende Bazillen nach
der Heymannschen Methode auch aus den Stühlen darmkranker
Säuglinge zu isolieren.
Zu gleicher Zeit konnte Escherich zeigen, dass epidemisch
auftretende Brechdurchfalle im Grazer Kinderspital auf die
Infektion mit gleichgearteten oder sehr nahe verwandten Bakterien-
arten zurückzuführen seien, und beschrieb auf Grund dieser Be-
funde ein sowohl klinisch wie auch bakteriologisch wohlcharak-
terisiertes Krankheitsbild, die blaue Bazillose. Im Anschlüsse
daran liess ich eine genaue Beschreibung der neuen Bakterienart
des normalen Brustmilchstuhles folgen. Ich kann mich daher,
um Wiederholungen zu vermeiden, mit dem Hinweis auf die darin
gegebenen morphologischen und biologischen Details begnügen.
Es erscheint nur notwendig, auf Grund der neu erhobenen Befunde
eine Korrektur anzubringen, die sich übrigens aus dem Vorher-
gehenden von selbst ergibt.
730 Moro, Morpboiogisehe and biologriache Untersachangen
Id meiner Abhandlung über den B. aeidophilas sah ich mich
nämlich zur Aafstellang der Behauptung veranlasst, dass diese
Bakterienart die einheitliche Flora des normalen Frauenmilch-
stuhles darstellt. Diese Annahme beruht auf einer Täuschung, die
auf die Vernachlässigung der ana^robeu Züchtungsmethoden zurück-
zuführen ist. Der B. acidophilus ist zwar in jedem Brustmilch-
stuhl in grosser Menge vorhanden, worauf die zahlreichen
Kolonien auf der Agarplatte (bes. saures Bierwürzeagar) hin-
deutete, allein die dominierende Stellung ist unbedingt dem B.
bifidus communis einzuräumen.
Eine sichere DifiFerenzierung der beiden Arten im bakterio-
skopische Präparaten ist nicht gut möglich, da dieselben in ihren
einfachen Formen einander sehr ähnlich sehen können; es sei
denn, dass auf die morphologische Eigentümlichkeit des Acidophilus
zu langen Coccohazillenketten auszuwachsen ein besonderes Ge-
wicht gelegt wird, eine Erscheinung, die Tissier und Cahn.als
besonders charakteristisch für den Acidophilus hingestellt wissen
wollen. Nichtsdestoweniger beansprucht diese Gruppe von
Bakterien auch bei ausschliesslicher Berücksichtigung der nor-
malen Yerhältnisse unser volles Interesse, da sie konstante Darm-
bewohner sind.
Seitdem wurde der B. acidophilus aus den Stühlen von
Säuglingen vielfach gezüchtet, und es liegen bereits mehrere
Beschreibungen dieser Bakterienart vor, welche untereinander
gut übereinstimmen. (Tissier, Rodella, Cippolina, Weiss.)
Nur bezüglich der Verzweigungen herrschen prinzipielle Differenzen^
indem einige Forscher (Tissier, Cahn) dem B. acidophilus die
Fähigkeit absprechen, sich zu verzweigen, während andere Autoren
(Finkelstein, Rodella, Verf.) behaupten, solche gesehen zu
haben. In der einer Abhandlung Rodellas beigegebenen Tafel
sind deutliche Verzweigungen eines typischen Acidophiluaknäuels
abgebildet.
Ganz vereinzelt steht der negative Befund Tissiers da,
wonach der Acidophilus nur in .den Stuhlgängen künstlich er*
nährter Säuglinge anzutreffen sei. Diese Behauptung steht in
einem ungeklärten Widerspruche mit dem Resultate von Rodella
und Cahn, die den Acidophilus in Übereinstimmung mit meinen
Befunden regelmässig, u. zw. in erheblicher Menge aus normalen
Brustmilchstühlen gewinnen konnten. Wie wir bereits bei der
Besprechung der Eulturergebnisse hervorgehoben haben, beeinflusst
er sogar in vielen Fällen störend die Isolierung des Bifidus,
fiber die D^rmbakterien des Sftagliogs, 731
indem er mit Vorliebe mit letzterem vergesellschaftet ist und
zur Bildung ronMischkolcnien Anläse gibt (Cahn).
Für den fi. acidophilus und seine Verwandten ist und bleibt
das charakteristischste Merkmal die grosse WiderstandsfUiigkeit
gegenüber hohen Säuregraden. Ich konnte ein üppiges Wachstum
des Acidophilus auf Nährböden erzielen, deren Säuregrad ^/loKOH
entsprach. Dabei war die Wahl der Säare, ob Mineralsäure oder
organische Säure, ziemlich gleichgültig. Cahn erreichte noch
ein gutes Wachstum durch Umzüchtung bis zu 30 pCt. Normal-
Essigsäure.
Weiss schreibt über den B. acidophilus: „Auffallend ist,
•dass der Bazillus innerhalb gewisser Sänregrade ein um so reich-
licheres Sediment bildet, in je stärkerer Säurelösung er geimpft
wird, d. h. dass er sich nicht allein der Säure akkommodiert,
sondern dass sich sogar sein Wachstum entsprechend dem Säure-
grade proportional zu verbessern scheint.^
Diesen Erhebungen zufolge ist der Rodellasche Vorwurf,
<lass man einen Bazillus, der auch auf alkalischen Nährböden gut
wächst — was ohne weiteres zugegeben werden muss — , mit dem
Prädikat „säureliebend ^ versieht, und sein Vorschlag, diese Ba-
zillen besser „säureertragend^ zu nennen, nicht genügend begründet.
Eine weitere konstante Eigenschaft des Acidophilus ist
«eine Fähigkeit, Kuhmilch zur labartigen Gerinnung zu bringen,
während er die Frauenmilch unter gleichen Versuchsverhältnissen
nicht zur Gerinnung zu bringen vermag. Diesem Verhalten
wurde von mehreren Seiten eine ungebührende Bedeutung bei-
gemessen. (Fischl, Biedert.) Die labartige Wirkung teilt der
B. acidophilus auch mit vielen anderen Bakterienarteut und es
spricht das Ausbleiben der Gerinnung in der Frauenmilch nur
für die allgemeine Schwierigkeit, Frauenmilch zur Koagulation
zu bringen, ohne für den Acidophilus selbst etwas Spezifisches
zu sein.
Auch beim Acidophilus beobachten wir, ebenso wie beim
Bifidus, ein Ausbleiben seines Wachstums auf Gelatine. Dieses
Verhalten wurde von mir auf sein Unvermögen, niederere
Temperaturgrade schadlos zu ertragen (20 — 22® C), zurückgeführt
und von Weiss bestätigt.
Sehr interessant ist die Mitteilung Cahns, wonach er den
Acidophilus immer post mortem in den Organen darmkranker
Säuglinge, zuweilen auch in dem sofort steril entnommenen
Herzblut fand.
732 Moro, Morphologische und biologische Untersuch od gen
Meine seinerzeitige Vermutung, dass wir unter dem Spezies-
begriffe B. acidophilus nicht eine einzige Art, sondern vielmehr —
ähnlich wie beim B. coli commune — eine Gruppe morphologisch
und biologisch nahe verwandter Bakterienarten zu verstehen haben,
hat sich in der Folge vielfach bestätigt. (Rode IIa, Cahu,
Kohlbrugge, Cipollina, Weiss.) Es wurden insbesondere
aus den Stuhlen und aus dem Darminhalt erwachsener Menschen
mehrere Bakterienarten und Varietäten gezüchtet und beschrieben,
die von den Autoren sämtlich der Gruppe der acidophilen
Bakterien untergeordnet wurden.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. IX und X.
Färbung nach Weigert-Escherich, ohne Kontrastfarbe. VergrösseruDg:
ca. 800 fach, homog. Immers. Win ekel, Göttingen.
Taf. IX.
Ansstrichpräparat eines normalen Frauenmilchstuhles. B. bifidns
einfache Form, nur ganz yereinzelt Verzweigte.
Ausstrichpräparat eines normalen Frauenmilchstuhles. B. bifidus
sogen, „punktierte Bazillen** (B. bifidus).
Zwei Ausstrichpräparate normaler Frauen milchstähle.
Linke Hälfte: köpfchentragende Form des B. bifidus.
Rechte Hälfte: verzweigte (gespaltene) Form des B. bifidus.
Ausstrichpräparat einer älteren Kultur auf gemeinem Agar. B.
bifidus köpfch entragende Zwergformen.
Ausstrich präparat einer 2 Wochen alten Kultur auf Zuckeragar.
B. bifidus verzweigte und iüvolvierte Formen. (Zwergformen.)
Ausstrichpräparat einer 4tägigen Kultur auf Zuckeragar. B. bifidns
einfache, punktierte, köpfchentragende und verzweigte Formen.
(Riesenformen.)
Taf. X.
Ausstrichpräparat einer älteren Kultur auf gemeinem Agar der
Köpfchenbakterien.
Ausstrichpräparat einer jüngeren Kultur auf gemeinem Agar der
Köpfe henbakterien.
Ausstrichpräparat des in Yersporuug begriffenen skatolbiidenden,
anaeroben Buttersäurebazillus; ältere Kultur auf gemeinem Agar.
Ausstrich präparat einer Bouillonkultnr des B. acidophilus.
Ausstrichpräparat einer Agarstrichknltur des Actinomyces
chromogenes.
Fig. 12: Ausstrich präparat einer 5 Tage alten Znckeragarkultur von 6.
bifidus. In Plasmoptyse begrifiene Formen.
Literatur.
1. Biedert, Ernährungstherapie bei Krankheiten der Kinder. Sonderabdr.
a. d. Handb. der Ernährungstherapie und Diätetik v. E. v. Leyden»
II. Aufl. 1904.
Fig.
1
Fig.
2
Fig.
3
Fig.
4
Fig.
5
Fig.
6
Fig.
7
Fig.
8
Fig.
9
Fig.
Fig.
10
11
über die DarmbakterieD des Säuglings. 733
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52. 8. F. Bd. 2. 1900.
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39. Derselbe, Über die Bedeutung der im Sftuglingsstuhle vorkommenden
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(Schluss im n&chsten Heft.)
XXIL
Ober „paradoxes Schwitzen'* beim Kinde/)
Von
Dozent Dr. JüLIüS ZAPPERT
In Wien.
Wenn ich mir erlaube, in dieser Yersammlung, in welcher
sonst nur die Resultate längerer Untersuchungen und eingehender
Studien zur Besprechung kommen, Ihre Geduld für kurze Zeit
mit der Darlegung eines Einzelfalles in Anspruch zu nehmen, so
bedarf dies einiger entschuldigender Bemerkungen. Es schien
mir nämlich einerseits nicht überflüssig, Sie mit einer Beobachtung
bekannt zu machen, die, soweit meine Literaturstudien reichen,
«in nicht nur im Kindesalter, sondern auch in späteren Lebens-
perioden bisher unbeschriebenes Symptomenbild darstellt, und ich
glaubte andererseits Ihre Aufmerksamkeit auf die Pathologie des
Schwitzens überhaupt lenken zu dürfen, welcher gerade von
kinderärztlicher Seite noch wenig Interesse entgegengebracht
wurde. So fand ich als Illustration dieser letzten Behauptung
in den Registern des Jahrbuchs für Kinderheilkunde nicht einen
einzigen Fall von Störung der Schweisssekretion yerzeichnet.
Das Kind, über welches ich Ihnen berichten will, ist ein derzeit nahezu
6j ähriges Mädchen. Dasselbe stammt von blats verwandten jüdischen
Eltern ab (Cousin und Cousine), doch möchte ich in parenthesi bemerken,
dass ich nicht geneigt bin, darin überhaupt ein allzu schwer belastendes
Moment zu erblicken. Die Familie, aus welcher die Eltern stammen, ist
übrigens gesund, nervös nicht belastet, die Eltern selbst, welche verschiedenen
Familientjpen entsprechen, völlig gesund. Ein zweites Kind ist bisher nicht
vorhanden. Das Kind selbst war mit einem Gewicht von nahezu 8 kgr ge-
boren, wurde an der nicht sehr reichen Mutterbrust gestillt, gedieh körperlich
ziemlich langsam, hatte aber weder Rachitis noch irgend eine andere belang*
reichere Krankheit. Geistig entwickelte es sich ziemlich rasch, konnte bereits
mit IVf Jahren sprechen, mit ca. 1 Jahr laufen und bietet derzeit das Bild
1) Vortrag, gehalten in der Sektion für Kinderheilkunde der Natar-
forscherversammlnng zu Breslau.
Jahrbuch fflr Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 5. 48
736 Zftppert, Über «pftradozes Schwitien*' beim Kinde.
eines etwas aufgeregten, lebhaften, normalen Kindes TOn zartem Knochen-
bau dar.
Die ersten Erscheinungen des abnormen Schwitzens bot da« Kind im
Alter von 2 Jahren. Bei Eintritt der kalten Witterang fiel es anf, dass
das Mädchen, wenn es anf die Strasse gebracht wurde, am Handröcken sehr
rasch auftretende starke Schweisssekretion zeigte. Diese Schwitzanf&lie, die
sich mehrmals täglich einstellten, nahmen allmählich an In- und Extensität
zu. Der Verlauf einer solchen Attacke war stets folgender: Zuerst
schwitzten die Handrücken, dann die Streckseiten des Vorder-
armes, dann jene des Oberarmes, dann der Nacken nnd schliess-
lich die Brust. Auf dem Höhepunkt der Seh weisser uption sind die ge-
nannten Teile mit grossen Schweissperlen bedeckt, sie ffihlen sich sehr kalt
an, die Haut ist blass, nur die Handrficken, die der Luft ausgesetzt sind,,
erscheinen auffallend rot. Subjektive Beschwerden sind recht gering und
bestehen höchstens in einem unangenehmen Kältegefühl. Lästiger wird von
Matter und Kind der Umstand empfunden, dass bei einem solchen Seh weiss-
ausbruch das Hemdchen des Kindes yöllig durchnässt wird nnd mehrmals-
täglich gewechselt werden mnsste.
Diese Schwitz an fälle treten während der Krankheitsperiode mit der
Sicherheit eines Experimentes auf, wenn das Kind bei kühlerer Temperatur
anf die Strasse geschickt wird, ohne dass die Art der Bekleidung hierbei einei»
Einflass ausübt. Ebenso stellt sich der Seh weiss ein, wenn das Kind kühl ge-
waschen oder im kühleren Zimmer ausgekleidet wird. Hervorzuheben ist die
Angabe der gut beobachtenden Mutter, dass während der Periode des
Schwitzens auch geistige Anstrengung dasselbe hervorrufen soll. Die
Schweisssekretion hört sofort auf, wenn das Kind zu Bett gebracht oder
wenn durch Laufen, Springen eine Erhöhung der Körperwärme erzielt wird. Die
Seh Weissproduktion ist an den genannten Körperteilen scharf begrenzt nnd
läset sich an Nacken und Brust durch eine Linie abgrenzen, die etwa der
Taille entspricht. Die Mutter hat dies anschaulich in der Weise angegeben,
dass bei sehr schweren Schwitzanfällen der obere Besatz des Höschens,,
nicht aber die andern Teile desselben nass werden. Niemals sind die
Handflächen, Stirne und andere Teile der Körperoberfläche an
dem Schwitzakte beteiligt. Diese Schwitz periode dauerte das erste
Mal mit kleinen Unterbrechungen nahezu den ganzen Winter hindurch und
stellte sich auch während des Sommers bei raschem Eintritt kühler Witterung
vorübergehend ein. Das Schwitzen begann an den Händen, nahm rasch
seine Ausbreitung über die genannten Teile, blieb in diesem Stadium durch
eiuige Wochen und nahm dann allmählich ab. Während des Höhestadiums
traten mehrmals täglich Schweisseruptionen auf, darunter auch solche, die
abrupt verliefen und sich nur auf die Handrücken beschränkten.
In den folgenden Wintern wiederholte sich die Krankheit, sie ver-
lief aber kürzer, weniger heftig, vielleicht beeinflasst durch eine Arsenikkar,
die ich jetzt jedesmal za Beginn des Schwitzzustandes einleite. Die Pansen
zwischen den Anfällen vergrössem sich immer mehr and mehr, die Dauer
desselben wird immer kürzer; die vorletzte Attacke dauerte ungefähr 5 bis
6 Wochen und verlief sehr schwach. Man hat den Eindruck, als ob der
Zustand allmählich in Besserung übergehe.
Zappers, Über «paradoxes Schwitzen'' beim Kinde. 737
Ausserhalb dieser Sehwitzanfälle neigt das Kind — ebenso
wie sein Vater — überhaupt sehr wenig zum Schwitzen. Bei starker
Erhitzung und im heissen Sommer findet man manchmal die Haut feucht,
Schweisstropfen stellen sich nie ein. Aber auch bei diesem natürlichen
Schwitzen bleiben die Handflächen, die Fasssohlen, die Achselhöhle frei, und
man kann auch hierbei konstatieren, dass die Nässung der Dorsalfläcben
der Vorderarme unverhältnismässig stark ist. Pilocarpininjektion habe ich
nicht vorgenommen, da ich bloss zu experimentellen Zwecken das Mittel
doch nicht bei einem so kleinen Kinde anwenden wollte.
Gegenüber diesen bemerkenswerten Störungen der Schweisssekretion
ist der objektiye Untersuchungsbefund bei dem Kinde ein negativer.
Dasselbe ist zart gebaut, fettarm, aber gut ge^bt; es ist sehr lebhaft, spricht
viel, hatte früher oft recht unruhige Nächte^ aber keine PayoranAllle. Es
ist körperlich recht widerstandsfähig, geschickt, hat im heurigen Sommer
ohne eigentlichen Unterricht Schwimmen gelernt und wagte sich allein in
den See hinaus, «an welchem es Sommeraufenthalt hatte. Der Nerrenstatus
ist ein yoUkommen normaler, insbesondere bestanden auch während einer
Sohwitzperiode weder Störungen der motorischen Funktionen, noch solche
der taktilen oder thermischen Sensibilität Sympathikussymptome von seiten
der Pupillen waren während des Schwitzanfalles nicht zu beobachten; der
Harn ist eiweiss- und zuckerfrei.
Ich habe den Fall als paradoxes Schwitzen bezeichnet,
indem ich mich hierbei an einen anlangst gebrauchten Terminus
von Schlesinger anschloss. Dieser benennt mit diesem Aus-
druck solche Fälle, bei denen Schweisssekretion nicht bei Wärme-,
sondern bei Eälteeinwirkung auftrat.
Unser Fall ist aber noch paradoxer als die beschriebenen,
da das Schwitzen nicht nur lediglich bei Kälteeinwirkung auf-
trat, sondern sich ausschliesslich auf Hautpartien be-
schränkte, die sonst weniger schwitzen, während die
gewöhnlichen Prädilektionsstellen des Schweisses voll-
kommen frei blieben. Auffallend ist endlich das anfallsweise
Auftreten der Seh weisse in Form mehrwöchentlicher, vor über-
gehender Erankheitszustände und die anscheinende Tendenz
zum Verschwinden des ganzen Zustandes.
In der recht grossen Literatur über Schweissanomalien ist
mir ein Fall mit ähnlichem Symptomenkomplex nicht begegnet,
namentlich glaube ich in dem ausschliesslichen Schwitzen so-
zusagen schweissstummer Hautpartien, sowie in dem
periodenweisen Abiauf der Krankheit ganz ungewöhnliche Merk-
male erblicken zu dürfen.
Die Fälle von Anomalien der Schweisssekretion,
welche recht zahlreich in der Literatur niedergelegt sind, be-
ziehen sich teils auf Hyperhidrosis des ganzen Körpers, teils
48*
738 'Zapp ort, Über „paradoxes Schwitzen** beim Kinde.
— und dies ist sehr häufig — auf übermässiges Schwitzen
einzelner Körperteile, so namentlich einer Körperhälfte,
einzelner Extremitäten, bestimmter Gesichtsanteile, der
Hände, der Füsse etc. Manchmal besteht dabei, wie in
unserem Falle, Anidrosis der anderen Körperpartien. Meist
handelt es sich hierbei um einen Dauerzustand, der spontan
oder in Begleitung organischer Störungen eingesetzt hat und
wenig Neigung zur Besserung aufweist.
Die Hyperhidrosis kann nach experimentellen und klinischen
Studien von verschiedenen Stellen des Nervensystem es ausgelöst
werden und daher als Begleitsymptom eine Reihe von Erkrankungen
desselben vorkommen. So gibt es Anomalien der Schweisssekretion
bei cerebralen Affektion en(Paralyse,Epilepsie,Hemiplegieetc.),
bei spinalen Erkrankungen (Syringomyelie, Tabes, Myelitis,
Poliomyelitis etc.), bei Schädigungen des Sympathicus, sowie
des peripheren Nervensystems (Nerven Verletzungen, Poly-
neuritis). Ferner begleiten sudorale Anomalien eine Reihe so-
genannter Neurosen, wie Hysterie, Neurasthenie, Migräne.
Alle diese ursächlichen Momente können für unseren Fall
keine Gültigkeit haben, da sowohl eine jede organische Läsion
als auch jede ausgesprochene Neurose fehlt. Teuscher (Neurol.
Centralbl., 1897) stellt eine eigene Gruppe von halbseitiger Hyper-
hidrosis als Folge nervöser Degeneration auf, die sich zum Teil
mit den angeführten Neurosen deckt, zum Teil die Schwitzanomalie
als einziges Degenerationszeichen aufweist. Logischerweise müsste
man unseren Fall in diese letzte Gruppe einreihen, ohne aber
damit viel mehr gewonnen zu haben, als eine landläufige Be-
zeichnung, die den Fall nicht weiter erklärt.
Ich wäre geneigt, diese Bezeichnung zur nervösen Degeneration
lieber fallen zu lassen und in teilweisem Anscliluss an Raymond
und Kaiser (s. Teuscher) diesen und ähnliche Fälle in eine eigene
als selbständige Krankheit sich repräsentierende Gruppe, jene der
sudoralen Reflexneurosen einzureihen. Das Charakteristische
dieser Zustände bestände darin, dass — bei Fehlen anderer
Krankheiten — entweder der das Schwitzen auslösende
Reiz oder die Lokalisation der Schweisseruption oder
die Intensität derselben oder — was meistens der Fall
ist — alle diese Momente von der Norm abweichen.
In diese Gruppe würden jene Fälle gehören, bei denen auf
Grund von Affekten, Hitze, Bettwärme, halbseitiges
Schwitzen auftritt. Hier ist der den Schweiss auslösende Rei2
Zappert, Über nparadoxos Schwitzen** beim Kinde. ' 739
annähernd normal, die Verteilung des Schwitzens hingegen un^
gewöhnlich. Aus dem Eindesalter sind mir solche Fälle nicht
bekannt.
Hierher wären ferner die Fälle von Akrohyherhidrosis ein-
zureichen, bei denen unter psychischen Eindrücken oft sehr gering-
fugiger Natur — z. B. Gefühl fixiert zu werden — eine starke
Schweisseruption an Nasenspitze, Stirne, Händen, Fassen etc. auf-
tritt. Man könnte hei dieser Erscheinung sowohl in dem ungewöhn-
lichen Reiz als auch wieder in der Intensität der Reaktion da^
Krankhafte erblicken.
Eine nicht gar seltene Gruppe von Schweissanomalien stellen
jene Fälle dar, die durch das Auftreten von halbseitigem
oder auch von fleckenweisem Schwitzen des Gesichtes beim
Kauen meist saurer oder gewürzter Speisen gekennzeichnet wird.
Diese sonderbare Erscheinung trifft man auch bei Kindern, sowie
überhaupt bei mehreren Mitgliedern einer Familie an.
Eine' eigene, interessante Unterabteilung dieser sudoralen
Reflexneurosen wird durch die Fälle paradoxen Schwitzens
gebildet. Es ist dies eine Schweisseruption unter Umständen,
welche sonst die Sekretion verhindern, namentlich auf Kälte-
einwirkung, sowie das Ausbleiben des Schweisses bei Wärme.
Einen sehr interessanten Fall dieses paradoxen Schwitzens, der
einige Ähnlichkeit mit dem unserigen darbietet, beschreibt Kaposi
(Arch. f. Dermatol. u.Syph., 49) und unabhängig davon Marischier
(Wien. klin. Wochenschr., 1899). Es handelte sich hier um einen
14 jährigen kyphoskoliotischen polnischen Juden, der seit seinem
6. Lebensjahre bei Kälteeinwirkung eine starke Schweissabsonderung
zuerst an den Wangen, dann am Halse, den Schultern, den Armen
und schliesslich der Brust darbot. In der Wärme und nach körper-
lichen Anstrengungen verschwindet die Schweisssekretion. Im
Sommer schwitzen die genannten Teile weniger, dagegen die Beine
'Stärker. Diese abnorme Schweissbildung kann jederzeit durch
Kälteeinwirkung ausgelöst werden. Kaposi ist geneigt, eine spinale
Affektion dem Leiden zugrunde zu legen, welches die Schweiss-
' Zentren im unteren Halsmarke und oberen Brustmark in Mit-
leidenschaft gezogen hat. Er bezeichnet die Krankheit als „Hyper-
idrpsis spinalis superior^ und denkt an das Vorhandensein einer
•Hydromyelie. Dagegen fasst Marischier denselben Fall lediglich
als Neurose auf.
, Bei unserem Falle von ^paradoxem Schvritzen^ liegt keinerlei
Anhaltspunkt für ein. spinales Leiden vor und wir haben bei
740 Zappert, Über „paradoxes Schwitzen* beim Kinde.
dem ganzen Verlaufe desselben wohl das Recht, von einer RefJex-
neurose zu sprechen. Von dem Kaposi sehen Patienten unter-
scheidet sich unsere Patientin dadurch, dass hierbei jene Haut-
steilen, die sonst Prädilektionssitz des Schwitzens sind, frei bleiben,
sich die Schweisseruption an ungewöhnlichen Hautpartien lokali-
siert. Der Fall stellt ferner durch das periodenweise Auftreten
der Schwitzkrankheit, durch den Beginn in frühester Kindheit,
sowie durch die anscheinende Tendenz zur Heilung einen von der
erwähnten Beobachtung des Wiener Klinikers abweichenden Be-
fund dar. Wir können also unseren Fall als eine periodisch
wiederkehrende, prognostisch günstige reflektorische
Schwitzneurose von dem Charakter der paradoxen
Schwitzens bezeichnen.
Damit sind wir allerdings der Aufgabe nicht enthoben, nach
einem zentralen Angriffspunkt bezw. einer Auslösungs-
stelle für den abnormen Schwitzreflex zu suchen. Auf
Grund mehrfacher Untersuchungen, die Schlesinger (Festschrift
für Kaposi, Arch. f. Dermatol. u. Syphil., 1900) letzthin kritisch
geordnet und erweitert hat, müssen wir im Rückenmarke Zentren
für die Schweisssekretion annehmen. Als derartige paarige,
„spinale Schweissterritorien erster Ordnung*' sind zu betrachten:
„Je eine Gesichtshälfte, je eine obere Extremität, die obere
Rumpf-, Hals-, Nacken- und Kopfhälfte, je eine untere
Extremität". Es ist auch der Versuch gemacht worden, diese
Schweisszentren innerhalb des Rückenmarkes zu lokalisieren.
Klinische Erfahrungen lehren, dass nicht nur die einzelnen
Schweisszentren ineinander übergehen, indem eine Schweiss-
eruption zuerst in einem Schweissterritorium beginnt, dann ein
anderes anfasst (z. B. Kaposis Fall mit Beginn des Schwitzens
im Gesicht und Fortschreitens desselben auf den Arm und die
Brust), sondern dass auch spinale Zentren zweiten Ranges
existieren, welche eine Schweisseruption an beschränktere
Hautpartien beeinflussen, als es dem Ausbreitungsgebiet
der Zentren erster Ordnung entsprechen würde.
Unser Fall könnte als Bestätigung für diese letztere Annahme
herangezogen werden, da wir ja die Seh Weissabsonderung nur an
einem ganz beschränkten Teil der oberen Extremität
auftreten sehen und daher annehmen müssen, dass die Dorsalfläche
der Hand, und des Armes eigene spinale Schweisszentren besitzen,
die von jener der Beugefläche räumlich getrennt sind. Es ist auch
nicht uninteressant, dass die Verteilung der suderalen Anomalie
Zappert, Über «paradoxes Schwitzen'' beim Kinde. 741
an den Armen sich annähernd an die sensible Ausbreitung
der Radialnerven halt, gleichfalls eine Bestätigung einer Be-
hauptung Schlesingers, nach welcher die Schweissfasem „in
Bezug auf die periphere Ausbreitung der segmentalen Verbreitung
der sensiblen Nerven näher stehen, als der motorischen^.
Welches freilich die Ursachen sind, die in unserem Falle
eine derartige paradoxe Reaktion und Labilität einzelner spinalen
Schweisszentren bewirkt haben, bleibt unklar, und es steht frei,
darin das einzige Zeichen einer nervösen Degeneration — viel-
leicht als Folge der Eonsanguinität der Eltern — zu erblicken.
Jedenfalls hielt ich mich für berechtigt, auf Grund dieses
Falles Ihre Aufmerksamkeit auf die Anomalien des Schwitzens
bei Eandem lenken zu dürfen und glaube, dass ein näheres Ein-
gehen auf diese bisher wenig beachteten Störungen einige Aus-
beute erwarten Hesse.
XXIIL
Ans der Nervenabteilnng des ersten öffentlichen Kinder- Kran keninstitate»
in Wien.
Klinische Studien über Poliomyelitis.
n.
Klinische Untersuehnngren an 240 F&llen von spinaler
Kinderlähmangr.
Von
Dr. RUDOLF NEÜRATH.
Die durch eine Reihe von Jahren an der Nervenabteilong
des ersten öffentlichen Kinderkrankeninstitates zur Untersachung
gekommenen Fälle von Poliomyelitis wurden von Zappert vor
4 Jahren zu Studien über das gehäufte Auftreten der spinalen
Kinderlähmung und über ihre Ätiologie verwertet (Jahrbuch für
Einderheilkunde N. F. Bd. LIII). Die damals in Aussicht ge-
stellte Ordnung des Materiales vom klinischen Gesichtspunkte
wurde durch äussere Gründe verzögert. Indem wir nun die
seither neu beobachteten Fälle mit berücksichtigen, ergänzt sich
das vorliegende Material auf 240 Fälle, die vom Jahre 1886 bis
1903 zur Beobachtung gekommen sind.^) In- dieser Zeit kamen
an allen Abteilungen des Institutes, allen den inneren Erkrankungen,
wie den spezialistischen Ordinationen bestimmten, 250000 Kinder
zur Untersuchung, es entspräche daher der Häufigkeit der Polio-
myelitis unter allen Erkrankungsfällen des Kindesalters einem
Verhältnis von ca. 1 : 1000.
Die relativ grosse Zahl der FäUe, manche Abweichungen
im Verlaufe und in der Verteilung der Lähmungsgebiete lassen
1) Die Terzeichneten Befände stammen Ton den jeweilig leitenden
Ärzten der Nervenabteilnng, doch habe ich selbst sicher mehr als die Hftlfte
der Fälle teils als interimistischer J^eiter, teils als Gast der mir befreundeten
Vorstände zu beobachten Gelegenheit gehabt.
Nearath, Klioische Stadien über Poliomyelitis. 743
eine klinische Bearbeitung unseres Materiales dankbar erscheinen;
Wiewohl eine Berücksichtigung der uferlosen Literatur unseres
Gegenstandes alle auffallenden Details als bereits beobachtet und
bekannt erscheinen liesse, dürfte die Analyse eines grösseren
Materiales doch symptomatisch wie statistisch Interesse bieten.
Die Nachteile für die klinische Beurteilung, die sonst ein
ambulatorisches Erankenmaterial gegenüber dem liegenden Spitals-
material empfinden lässt, möchte ich gerade für die Poliomyelitis
nicht gar hoch anschlagen. Allerdings entgingen uns in der Regel
die ersten, oft stürmisch verlaufenden Tage des Initialstadiums, das
ja so sehr dem Ausbruch akuter Infektionskrankheiten zu ähneln
pflegt, dass Fehldiagnosen die Regel sind. Aber wir haben immerhin
unter unseren Fällen eine Anzahl relativ frischer Fälle, die bereits
wenige Tage nach Beginn ins Ambulatorium gekommen waren
und nach mehrtägigen Pausen wieder erschienen, einigermassen
die Verfolgung des Krankheitsverlaufes gestatteten. Der Mangel
der Obduktionen kann gerade bei der quoad vitam günstigen
Prognose der Poliomyelitis nicht empfunden werden. So scheint
uns denn ein ambulatorisches Material für eine klinische Studie
der spinalen Kinderlähmung geeignet. Selten ist wohl ein Autor
in der glücklichen Lage Medins, der gelegentlich einer Epidemie
eine grössere Anzahl von Poliomyelitis vom Ausbruch der Krank-
heit an genau beobachten konnte.
Das Alter unserer Patienten schwankte vom ersten Lebens-
tage bis zu 16 Jahren. Fünfmal war angeblich die Krankheit
angeboren.
Es standen zur Zeit des Krankheitsbeginnes im Alter von
Va— ^'a bis 1—1 bis 2—2 bis 3 — 3 bis 4 Jahren
81 60 73 35 18 Fälle
4 bis 5— 5 bis 6—7—12—15 Jahren
7 12 11 Fälle
19 mal Hess sich die Zeit des Beginnes der Krankheit nicht
eruieren. Wir finden also die grösste Häufigkeit der Erkrankungen
im Alter von 6 Monaten bis zum Ende des dritten Jahres, und
am stärksten disponiert das 2. Lebensjahr. Auch Sinkler fand
von 86 Fällen 53 bis zur oberen Altersgrenze von 2 Jahren.
Allen Starr (nach Williamson) bezeichnet ebenfalls das
2. Lebensjahr als vorwiegend betroffen (472 von 595 gesammelten
Fällen). Seeligmüller fand den Krankheitsbeginn am häufigsten
im 1. und 2., seltener im 3. und noch seltener im 4. Jahre; als
jüngste Fälle bezeichnet er drei im Alter von ca. 10 Wochen.
744 Neurath, Klioisohe Stadien über Poliomyelitis.
Duchenne hebt unter seinen Fällen einen am 12. Tage und
einen mit 4 Wochen hervor. Er und Sin kl er finden als obere
Orenze das Alter von 6 Jahren.
Von einigen Autoren wird eine ungleiche Häufigkeit je nach
dem Geschlechte der Erkrankten hervorgehoben. Wir haben
«ine derartige, statistische Trennung för überflüssig gehalten.
Wenn wir unser Krankenmaterial vom symptomatischen
Gesichtspunkte durchgehen, so sind wir, was das Initialstadium
anbelangt, auf anamnestische Angaben angewiesen, da Fälle in
den ersten Stunden der Krankheit der ambulatorischen Unter-
suchung nicht zukommen. Im allgemeinen gestatten die Er-
hebungen die Annahme, dass mitunter dem mehr oder weniger
brüsken Einsetzen der Krankheit vage prämonitorische Er-
scheinungen, wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit,
unterbrochener Schlaf vorangegangen sind; wie in einem Falle
Seeligmüllers, in welchem Weigerung zu laufen, vier Wochen
vor Krankheitsbeginn bestanden haben soll, gab auch in. einem
unserer Fälle (hemiplegische Lähmung) die Mutter an, dass das
Kind schon lange vorher zeitweilig gehinkt hätte.
Dass sich das Initialstadium langsam aus prämonitorischen
Symptomen entwickeln und diese in eigenaptiger Weise die
dauernden Ausfallerscheinungen andeuten können, zeigt folgender
Fall:
Ein 7 Jahre altes Mädchen, das früher an Wadenkrämpfen
litt, fühlte sich einige Tage vor Pfingsten unwohl, hatte Kopf-
schmerzen, vielleicht auch Fieber. Pfingstsamstag Besserung,
das Kind ging in die Schule. Heimgekommen, erzählte es, dass
die rechte Hand beim Schreiben gezittert hätte, der Lehrer habe .
es für Ungeschicklichkeit gehalten und ihr einen Schlag auf die
Wange gegeben. Am Arm war nichts zu bemerken, sie hatte
keine Schmerzen und konnte Arm und Hand gut bewegen. Auch
die Nacht darauf verlief gut. Doch Pfingstsonntag früh klagte
sie über Nackenschmerzen, es bestand Fieber. Beim Frühstück
hatte sie das Gefühl, als ob der Arm herunterfiele. Sie konnte
nicht essen. Schmerzen im Arm. — Schlaffe Lähmung des
rechten Armes, Bewegungen in Schulter und Ellbogen fehlend,
Händedruck sehr schwach, Atrophie, am ausgeprägtesten im
Oberarm.
Hier möchte ich eines anderen, von mir auch anato^lisch
untersuchten Falles (der in den „Arbeiten aus dem neurologischen
Institut der Wiener Universität", Bd. XII, publiziert werden soll)
Neurath, Klinische Stadien aber Poliomyelitis. 746
gedenken, in welchem die Poliomyelitis in drei durch Symptomen-
lose Intervalle getrennten Attacken verlief.
Das fieberhafte Initialstadium dauerte gewöhnlich kaum
länger als zwei bis drei Tage. Als längste Dauer finden wir
unter unseren Fällen zwei Wochen (in zwei Fällen) und drei
Wochen (in zwei Fällen). Einmal schloss sich die Lähmung
direkt an eine mit lange dauernden Fiebertemperaturen einher-
gehende Scarlatina an. Eine Beziehung zwischen Intensität und
Dauer des Fiebers zur Ausdehnung der Lähmung konnten wir
nicht konstatieren. Soweit anamnestische Daten zu gewinnen
waren, liessen 93 Fälle einen fieberhaften Beginn, 40 ein Ein-
setzen unter Konvulsionen, tiefem Koma oder sonstigen nervösen
Symptomen, und 24 eine brüsk einsetzende oder ohne vorher-
gehende Erscheinungen sich inszenierende Lähmung erkennen.
Lungenkatarrh oder Lungenentzündung, Darmkatarrh, Rheuma-
tismus, Influenza, schweres Zahnen waren oft von Ärzten oder
Eltern gestellte Verlegenheitsdiagnosen, nach den verkannten,
vieldeutigen Anfangssymptomen der Krankheit gestellt.
Unter den Einzelsymptomen der fieberhaft einsetzenden Er-
krankungen möchte ich die Schmerzhaftigkeit der gelähmten
Partien auf Berührung und die spontanen Schmerzen im Nacken
and im Rücken hervorheben. Wir finden in 19 Fällen derartige
Angaben. In einem Falle, der einen Tag nach Beginn der
Krankheit mit einer rechtsseitigen Schulterlähmung, und in einem
andern, der 10 Tage nach Beginn mit einer Lähmung der linken
unteren Extremität zur Beobachtung kam, konnten wir selbst noch
eine Schmerzhaftigkeit bei passiver Bewegung der betrefiFenden
Extremität konstatieren. In den übrigen lauteten die Angaben
der Eltern so präzise, dass sie vertrauenswürdig schienen.
Die Schmerzen im Beginn der Poliomyelitis, ein weniger be-
kanntes Detail für solche Beobachter, welche ältere Fälle zu be-
obachten Gelegenheit haben, sind vielfach Gegenstand klinischer
Studien gewesen. Gowers, Laborde, Laurent, Kalev,
Kirschbaum, Marie, Leyden und Goldscheider, Baudron,
Duquennoy, Medin betonen einerseits spontane Schmerzen im
Genick, im Rücken, und in die Extremitäten ausstrahlend,
andererseits Hyperästhesie der Haut und der betroffenen
Muskulatur. Bei ganz kleinen Kindern wird durch heftiges
Schreien den Schmerzen ein unbestimmter Ausdruck gegeben,
grössere können deutliche Angaben machen. Duquennoy widmet
der Kinderlähmung mit schmerzhaftem Beginn eine These; diese
746 Neurath, Klinische Stadien über Poliomyelitis.
Form der Poliomyelitis wäre charakterisiert durch heftige
Schmerzen im Initialstadium and durch Kontrakturen in den
Muskeln, welche sich später als von der Lähmung betroffen er-
weisen. Die Schmerzen wären entweder durch Ausbreitung der
Myelitis auf sensible Fasern fuhrende Rückenmarkspartien oder
auf eine konkomitierende Meningitis zu beziehen. Die Schmerzen
verschwinden immer im Laufe weniger Wochen.
Eine andere, seltenere Erscheinung des Liitialstadiums sind
Störungen der Harnentleerung. Gowers will Sensibilitäts-
störungen immer mit Inkontinenz gleichzeitig bei Poliomyelitis
beobachtet haben. Nach Charcot tritt Blasenlähmung öfters bei
der Poliomyelitis der Erwachsenen auf, gehört aber nicht zum
typischen Bilde der spinalen Kinderlähmung. Wir fanden bei
7 Fällen Angaben Ober Störungen der Urinentleerung. In einem
Falle (Lähmung beider unteren Extremitäten) bestanden
Schmerzen beim Urinieren, in zwei Fällen (ebenfalls beide Beine
betroffen) bestand während des Initialstadiums Harnverhaltung,
in 4 Fällen trat Inkontinenz ein; von diesen war in zwei Fällen
eine Paraplegie (der unteren Extremitäten), in einem eine Lähmung
des linken Beines, in einem eine gekreuzte Lähmung (rechte
untere und linke obere Extremität) vorhanden; hier bestand
auch Inkontinenz des Rektums. Immer war die Störung der
Harnsekretion ein ganz passageres Symptom des Initialstadiums,
nie war sie im eigentlichen Lähmungsstadium zu finden. Nur in
einem Falle, den wir 8 Tage nach Einsetzen der Krankheit zu
sehen Gelegenheit hatten, bestand sie noch zur Zeit der Unter-
suchung.
Durch die eventuelle tiefe Benommenheit während der fieber-
haften 'Initialperiode der Poliomyelitis ist die Harnretention resp.
-Inkontinenz sicher nicht zu erklären. Dagegen scheint die auf-
fallende Tatsache zu sprechen, dass sie nach unseren Er-
fahrungen sich immer zu Lähmungen der unteren Extremitäten
oder zu Affektionen des Lumbaisegmentes gesellt; in dem einen
der erwähnten Fälle bestand ausserdem auch ein Herd im
Zervikalsegment.
Die im Initialstadium öfters verzeichneten Konvulsionen
treten in der grossen Mehrzahl der Fälle als Detail des fieber-
haften Allgemeinzustandes in Erscheinung; dass dieselben nicht
als Herdsymptome eines etwa vom Rückenmark auf das Gehirn
und seine Häute, sondern als Attribut des Infektes au&nfassen
sind, dafür spricht ihr Auftreten auch bei den räumlich ferne
Nearath, Klinische StndieD über Poliomjelitis.. 747
liegenden Lombalherden, bei den Lähmungen der unteren
Extremitäten. Einiges Interesse bietet das Vorkommen prämo-
nitorischer motorischer Reizphänomene gerade in den später ge-
lähmten Partien (in zwei unserer Fälle).
Das charakteristische Symptom der Poliomyelitis sind die
motorischen Ausfallserscheinungen. Die Lähmung tritt meistens
noch während der Fieberperiode, seltener erst sofort nach Ablauf
derselben in Erscheinung. Das Höhestadium, die grösste
Intensität und Extensität der Lähmung wird gewöhnlich rasch
erreicht und eine Zunahme des betroflFenen Gebietes wird ent-
weder nicht oder nur in den , ersten Tagen beobachtet. In
sieben unserer Fälle soll — nach Angabe der Eltern — die Ent-
wicklung der Lähmung successive in den ersten 24 bis 48 Stunden
bis zur Höhe erfolgt sein. Doch sind solche Angaben wenig
verlässlich.
Das rasch erreichte Maximum der Lähmung ist von
wechselnder Dauer. Selten entspricht es von Anfang an der
Ausdehnung der Dauerlähmung. Meist betrifft es mehrere
Extremitäten, z. B. beide Beine, aber in ungleicher Intensität, so
dass schon relativ früh die dauernde Lähmung der einen, die
passagere der anderen Extremität auseinandergehalten werden
kann. Öfters restringiert sich eine initiale hemiplegische
Lähmungsform später auf Funktionsausfall des Beines, während
der Arm sich erholt. Aber wenn beim ersten Choc nur eine
Extremität betroffen ist, kann sich bald zeigen, dass nur ein oder
der andere Muskel oder eine Muskelgruppe dauernd geschädigt
bleibt. Die von manchen Autoren erwähnte vollständige Wieder-
herstellung nach Schwinden der initialen Lähmijingsattacke konnten
wir leider in keinem unserer Fälle konstatieren. In einem Falle
wurde Zunahme des Lähmungsgebietes nach sechs Tagen an-
gegeben; es soll ursprünglich nur das linke Bein, nach sechs Tagen
auch das rechte von der Parese betroffen worden sein, und beide
Extremitäten blieben dann dauernd gelähmt. In einem zweiten
Falle änderte sich ein hemiplegischer Lähmungstypus erst nach
längerer Zeit in einen paraplegischen.
Als Grenzen der Besserungsmöglichkeit gibt Seeligmüller
6 — 9 Monate, Williamson 9 Monate, Kirschbaum 2 Monate
an. Nach unseren Erfahrungen ist vor Ablauf von 9 Monaten und
vielleicht gar einem Jahre die Hoffnung auf Verkleinerung des
Lähmungsgebietes nicht aufzugeben.
748
Nearfcth, Klinische Studien über Poliomyelitis.
Eine statistische Ordnung unseres Materials vom Gesichts-
punkte der Verbreitung der Lähmung, also der funktionellen
Projektion der Ruckenmarksläsionen auf das Muskelsystem ver-
langt naturgemäss ein gleiches Krankheitsstadium der zu ver-
wertenden Beobachtungen. Die grosse Mehrzahl unserer Fälle
kam im Dauerstadium, in der Epoche der Lähmung zur Unter-
suchung. Die wenigen nur im Initialstadium untersuchten frischen
Fälle geben eine kaum zu beachtende Fehlerquelle.
Tabelle.
Eigene
Fälle
Seelig.
müller
A. Starr
Kirsch-
baum
Wenden-
burg
Allgemeine Lfthmnng
Hemiplegie
Gekreuzte Lfthmang . .
Beide Arme
Rechte obere Extrem it&t
Linke obere Extremität .
Beide nnt. Extremitäten
Rechte untere Extremität
Linke untere Extremität
Stamm
8 Extremitäten ....
1
19
2
2
13
16
52
61
74
2
2
1
1
9
4
14
15
27
47
83
8
6
26
21
170
123
128
26
12
3
2
6
6
14
14
5
10
3
3
25
12
21
48
45
240
75
595
45
172
Wir finden (siehe Tabelle!) unter unseren Fällen 187 mal
oder in 78 pCt. der Beobachtungen ein Betroffensein der unteren
Extremitäten, während in 31 Fällen oder 12,6 pGt. eine Lähmung
der oberen Extremitäten und in 22 Fällen (mehr als 9 pCt.)
sowohl der oberen, als auch der unteren Extremitäten vorliegt
Aehnlich findet Seeligmüller, Allen Starr, der seine eigenen,
Seeligmüllers, Duchennes und Sinklers Fälle zusammen-
stellt, Kirschbaum und Wendenburg eine perzentuell hervor-
ragende Beteiligung der Beine i. e. des Lumbaisegmentes. Ent-
sprechend den Erfahrungen Gowers finden auch wir die an-
dauernde Lähmung linksseitiger Extremitäten häufiger als rechts-
seitiger, und den Unterschied an den Beinen grösser als an den
Armen. Relativ selten war vom Anbeginne an nur ein Bein
betroffen, gewöhnlich setzte die Lähmung als Paraplegie ein,
wobei schon im Initialstadium ein stärkerer Funktionsausfall der
einen, dauernd betroffenen Seite zu konstatieren war. Wenn wir
beide Extremitäten daher 52 mal betroffen finden, so sind dieser
Nenrath, KliniBöhe Stndieo über Poliomyelitis. 749
Zahl, sicher einige Fälle sabsumiert, die später noch einen Rückgang
der Lähmung und vielleicht eine tadellose Funktion einer Ex-
tremität ergeben hätten. Die Frequenzzahl der Lähmung einer
oder beider oberen Extremitäten, 31, ist im Vergleich zur grossen
Statistik A. Starr hoch, während sie hinter den Zahlen anderer
Statistiken (Kirschbaum, Wendenburg) relativ klein erscheint.
Für das Vorkommen spinaler hemiplegischer Lähmung hingegen
ergibt unsere Zusammenstellung relativ viel höhere Zahlen als
die anderer Statistiken.
Nur ein Teil der uns zur Verfugung stehenden Kranken-
geschichten ist von genügender Ausführlichkeit, um Zahl und Art
der gelähmten Extremitätenmuskeln bestimmen zu können. An
den oberen Extremitäten fanden wir oft den bekannten Oberarm-
typus, Lähmung des Deltoideus, Biceps, Brachialis internus und
Supinator longus; manchmal waren Deltoideus, Biceps, Triceps,
Supra- und Infrascapularis gleichzeitig betroffen. Unter den Oberarm-
muskeln ist das häufigste Opfer der Poliomyelitis wohl der
Deltoideus, der als Ganzes oder in einer seiner Portionen gelähmt
sein kann. Wenn Marie zugleich mit der Schlüsselbeinportion
den Serratus anticus major, zugleich mit der hinteren und mittleren
Portion der Subscapularis gelähmt fand — leider versagte unser
Material die Prüfung solcher Gruppierungen, — so ist das eine
neue Tatsache, die eine regionäre Anordnung der Zentren funktionell
nahestehender Muskeln im Rückenmark erweist. An den Vorder-
armen fanden wir meistens die Dorsalseite gelähmt, so dass die
aktive Extension im Handgelenk behindert oder unmöglich war.
Von den Muskeln der Hand waren in zwei Fällen die Lumbricales
betroffen. Im grossen und ganzen waren die proximal gelegenen
Muskeln der oberen Extremität viel häufiger gelähmt, als die
distalen.
In einem Falle, ein Sjähriges Kind betreffend, das im Alter
von 1^/9 Jahren erkrankt war, blieb von einer initialen Total-
lähmung des linken Armes als perennierender Ausfall das typische
Bild einer peripheren Kadialislähmung mit der charakteristischen
Handstellung.
Ein genau beobachteter Fall mit Lähmung der Handmuskeln
sei ausführlicher wiedergegeben; er zeigt eine auffallend grosse
Zahl der betroffenen Extremitätsmuskeln.
Ein drei Jahre altes Kind war Yor einigen Monaten unter Fieber er-
krankt. Damals zeigte sich eine Lähmnng der linken oberen Extremität und
eine leichte Schwäche der rechten oberen Extremit&t. Bei unserer Unter-
750 Neurath, Klinisclie Stadien über Poliomyelitis.
Buchung fanden wir: Die rechte obere Extremit&t mager, schwach; die linke
obere Extremit&t: Mm. supra und infrapinatus, Deltoidee, Bicepa sehr ab-
gemagert, Triceps gut, Atrophien der kleinen Handmnskeln.
Rechter Oberarm 12^/« cm, linker Oberarm 11 Vt cm im Umfang.
Rechter Vorderarm 14 cm, linker Vorderarm IS'/s cm im Umfang.
Hjperextension des linken Daumens, Beugestellung der übrigen Finger.
Leichte Krallenhand. Starke Herabsetzung der motorischen Kraft. Leichtes
Schlottergelenk der linken Schulter, Bicepsreflez links fehlend. Die ganze
Konfiguration der oberen Extremitäten yer&ndert, die Konturen mehr gerad-
linig, die Abmagerung deutlich ins Auge springend. Stemokleidomastoideus
wesentlich abgemagert, ebenso Pectoralis major, Mm. axillaris. Biceps stark.
Triceps weniger stark betroffen. Die Beugemuskeln des Vorderarmes beim
Zufühlen sehr schwach. Aktive Beweglichkeit im schlotternden Schulter-
gelenk fast aufgehoben, ebenso im Eübogengelenk. Passiv kein Widerstand.
Im Handgelenk die Bewegungen frei. Die Finger in der Ruhe: der Daumen
gestreckt und stark abduziert, die übrigen Finger im Metakarpo-phalangeal-
Gelenk leicht dorsal überstreckt, in den Phalangealgelenken gebengt, und
zwar Zeige- und Mittelfinger stärker als die anderen. Den Daumen zu beugen
gelingt nur mit Überwindung von Widerstand, ebenso die passive Gerade-
richtung der anderen Finger. Aktiv sind nur Beugungen der Fingergelenke
gut ausführbar, Streckung nur in massigem Grade. Der Daumen wird im
Phalangealgelenke gut, im Metakarpophalangealgelenke schlecht gebeugt.
Die linke Vola manus flacher als die rechte, infolge Atrophie des Thenar.
Der Handrücken links ebenfalls weniger gewölbt, die Furchen zwischen den
Metakarpalknochen sehr deutlich.
An den unteren Extremitäten waren von den Muskeln des
Unterschenkels besonders häufig die der peronealen Gruppe an-
gehörigen betroffen, und zwar in manchen Fällen ganz isoliert,
so dass der Ausfall der Pronation und Abduktion die alleinige
funktionelle Schädigung bildete. In vielen Fällen gesellte sich
aber hierzu eine Lähmung der vom Tibialis versorgten, an der
Vorderfläche des Unterschenkels gelegenen Muskel. Von dem
motorischen Apparat der Oberschenkel war die Streckmuskulatur,
in erster Linie der Quadriceps am häufigsten das Opfer der
Krankheit. Nie war der Ileopsoas, einmal — in einem Falle von
Hemiplegie — die Glutaealmuskulatur betroflFen.
In 19 Fällen war die Lähmungsform eine hemiplegische.
Von der cerebralen Hemiplegie unterschieden sich die Beobach-
tungen durch die bekannten Charaktere der schlaffen spinalen
Paresen. Zehnmal betraf die Lähmung die linke, neunmal die
rechte Seite. In zehn Fällen war der Funktionsausfall Von An-
beginn halbseitig und blieb dauernd hemiplegisch; dabei war nie.
die ganze Muskulatur der betroffenen Extremitäten in Mitleiden-
schaft gezogen, sondern jeweilig funktionell nahestehende Muskel-
gruppen. An den oberen Extremitäten mit Vorliebe der Deltoi-
Neurath, Klinische Stadien über Poliomjelitis. 751
deus, der Biceps, seltener Vorderarm- und Handmuskulatur, an
•den unteren Gliedmassen häafig die Peroneal- oder Tibialisgroppe,
manchmal der Quadriceps. Gerade unter den hemiplegischen
Lähmungsformen haben wir ausgesprochen frische Fälle, die mit-
unter interessante Variationen des Krankheitsbildes in kurzem
Verlaufe zu beobachten Gelegenheit gaben. So entwickelte sich
in einigen Fällen aus einer anfanglich alle Extremitäten betrefiFenden
Lähmung allmählich durch Rückkehr der Funktionsfähigkeit auf
«iner Seite eine dauernde hemiplegische Lähmungsform. Wie
weit eine initiale komplette Hemiplegie im weiteren Verlaufe sich
bis zur Dauerlähmung einiger weniger Muskeln zuriickbilden kä,nn,
zeigt folgender genau beobachteter Fall:
Ein 11 Monate altes, früher gesnndes Kiud war vor 12 Tagen unter
Erbrechen, Diarrhoe und Fieber erkrankt; am 3. Tage der Erkrankung stellten
sieh leichte klonische Zuckungen im Gesiebte ein. Seither wird die linke
Seite, Arm und Bein, nicht bewegt. Die Geburt des Kindes war m&ssig
leicht. Asphjxie durch 5 Minuten. Bei der ersten Untersuchung am 7. VII.
wurde konstatiert: gut entwickeltes Kind, die Fontanelle für eine Fingerkuppe
cffen, Pupillen gleich, gut reagierend. Im Faoialisgebiet keine deutliche
Differenz. Der rechte Arm agiert lebhaft, der linke hängt wie leblos, fällt
erhoben schlaff herab. Passive Bewegungen in Schulter und Ellbogengelenk
£nden keinen Widerstand, aktive Bewegungeu unmöglich. Bewegungen der
Hand und def Finger im ungef&hr normalen Ausmass möglich. Reflexe rechts
auslösbar, links fehlend. Das rechte Bein wird lebhaft bewegt, das linke
liegt bewegungslos und schlaff; nur im Fuss und den Zehengelenken aktive
Bewegungen möglich; das linke Bein etwas kühler. Patellarsehnenreflex
rechts auslösbar, links nicht Ebenso Achilless'ehnenreflex, Sensibilität und
Sphinkteren intakt. Mitte September: Der linke Arm hat sich erholt, wird
Anscheinend ebenso gut bewegt wie der rechte. Das linke Bein abgemagert.
Linker Unterschenkel IG^si rechter 18 cm Zirkumferenz. Patellarsehnenreflex
ohne Ausschlag, aber mit fühlbarem Zucken des Quadriceps. Linker Fuss
in schlaffer Spitzfussstellung. Die linke Schulter hängend. Mitte Oktober:
Das Kind sieht gut aus, fühlt sich ganz wohl, Bewegungen der linken oberen
Extremität ganz gut, nur bleibt die Schulter noch um ein geringes zurück
gegenüber der rechten Seite. Keine Atrophie, kein Temperaturunterschied.
Triceps- und Yorderarmreflex beiderseits gleich. Die linke untere Extremität
deutlich atrophisch, namentlich der Unterschenkel. Wadenumfang rechts
18>/9i links 17 cm. Gjanose und kühlere Temperatur links. Aktive Be-
wegungen im Hüft- und Kniegelenk möglich, hingegen im Sprunggelenk nur
im Sinne der Plantarflexion. Sensibilität nicht verändert. Patellarsehnen-
reflex links nicht auslösbar.
Der Rückgang der Lähmung kann aber auch eine anfangs
hemiplegische Lähmungsform im späteren Verlauf als Monoplegie
erscheinen lassen. Wir finden im ganzen 7 solche Fälle ver-
zeichnet, die insofern Interesse verdienen, als es in 4 Fällen die
Jahrbuch für Kiuderheilkande. N. F. LXI. Heft 6. 49
752 Neurath, Klinische Studien über Poliomyelitis.
obere Extremität, in 3 Fällen die untere war, die sich erholte.
Die Rückkehr zar Funktionstachtigkeit war fast komplet, nur
ein schwächerer Ausschlag bei Prüfung des Patellarsehnenreflexes,
ein gerade noch merkliches Hängen des äusseren Fussrandes an
der unteren Extremität, eine leichte Abflachung des Schülter-
konturs mag als Rest der Schädigung geblieben sein.
Einen merkwürdigen Verlauf nahm die Krankheit bei einem yor einem
halben Jahre erkrankten 2^/4 Jahre alten Kinde, bei dem die Poliomyelitis
unter Fieber und Konvulsionen einsetzte und zu einer schlaffen, typisch
spinalen rechtsseitigen Hemiplegie führte. Parallel mit der allmählichen
Erholung und wiederkehrenden Funktionstüchtigkeit des rechten Armes nahm
aber die Beweglichkeit des rechten Beines in den nftohsten Wochen ab. Bei
der Untersuchung des Knaben fanden wir an den oberen Extremitäten keine
Atrophie, keine Verkürzung, gute Ausführung der aktiven Bewegungen,
gleiche motorische Kraft beider Seiten, keine Ataxie. Die nnteren Extremi-
täten kühler als die oberen, keine auffallende Atrophie, jedoch grosse Schlaff-
heit s&mtlicher Muskeln. Patellarsehnenreflex beiderseits fehlend ; der Plantar-
reflex links auslösbar, rechts fehlend. Aufgefordert die Füsse zu heben,
vollführt Patient dies mit Hilfe der H&nde. Bewegungen in den Hüftgelenken
möglich, solche in den Kniegelenken nicht ausführbar. Zehenbewegnngen
möglich. Sensibilität intakt, ebenso die Funktion der Hirnnerven. Die
elektrische Erregbarkeit der rechten Unterschenkelmuskulatnr stärker herab-
gesetzt als der linken.
Es wäre verlockend, die klinischen Ausfallserscheinungen
und das wechselnde Bild solcher Beobachtungen zur genaueren '
Lokalisation des Entzündungsprozesses zu verwerten. Anatomische
Erfahrungen lassen einen solchen Versuch nicht erfolgreich er-
scheinen. Sicher ist wohl nur eine Alteration des Gervikal- und
des Lumbaisegmentes bei der poUomyelitischen Hemiplegie. Die
Anatomie der Poliomyelitis zeigt, dass selbst bei monoplegischen
Formen sich insofern ein Kontrast gegen die klinischen Er-
scheinungen erweisen kann, als neben den klinische Symptome
hervorrufenden poliomyelitischen Herden sich auch in solchen
Rückenmarkshöhen Herde finden lassen, von denen wir hätten
Ausfallserscheinungen erwarten müssen.
Von den in der Statistik erwähnten 2 Fällen gekreuzter
Lähmung betraf der eine die rechte obere und die linke untere
Extremität. Genauer beobachten Hess sich der folgende, die
linke obere und die rechte untere Extremität betreffende Fall:
Das 2^4 Jahre alte, vorher bis auf Diarrhoe gesunde Kind ist Tor
8 Tagen unter starkem Fieber und Erbrechen erkrankt Tags darauf war
das Allgemeinbefinden schon leidlich gut. Früher war das Kind schon gut
gelaufen. Seit dieser fieberhaften Erkrankung nun besteht eine Lfthmnng
des linken Armes und des rechten Beines. Das Kind ist dem Alter eo^
Nearath, Klinische Studien über Poliomyelitis. 753
sprechend gross, blass. Die Papillen gleich, reagieren. Facialisinnervation
intakt. Der Kopf wird gut bewegt Der linke Arm h&ngt im Ellenbogen-
gelenk schlaff, auf Nadelstiche keine Bewegung im Ellenbogengelenk, nur
leichte Retraktion in der Schulter. Die linke Deltoidensgegend undeatlich
abgeflacht. Fingerbe wegnn gen, Beugung und Streckung im Handgelenk sind
möglich. Das rechte Bein ziemlich unbeweglich, nur die Zehen werden
etwas bewegt. Patellarsehnenreflex rechts fehlend, links yorhanden. Herab-
gesetzte faradische Erregbarkeit der gelähmten Muskeln.
In vier Fällen ergab die Anamnese, resp. der klinische
Befand eine Mitbateiligung der Nackenmuskalatar. Interessant
ist, dass in drei dieser Fälle sich die Nackenlähmung als passa-
geres Initialsymptom, aber als solches die Fieberperiode wochen-
lang überdauernd, zu einer Lähmung der unteren Extremitäten
(in zwei Fällen beider, in einem der linken Extremität) gesellte.
In einem Falle, der genau beobachtet werden konnte, handelte es
sich um eine ausgesprocheneCucuUarislähmung bei poliomyelitischer
Lähmung beider oberen Extremitäten.
In zwei Fällen bestand eine deutliche Lähmung der Bauch-
muskulatur; der eine betraf ein acht Monate altes Kind mit
Paraplegie der unteren Extremitäten; die Krankheit hatte vor vier
Monaten eingesetzt. Das Abdomen erschien linkerseits wie auf-
geschwollen, deutlich voller als rechts, besonders in der Unterbauch-
gegend. Bei jeder inspiratorischen Zwerchfellbewegung wölbte sich
das linke Hypochondrinm noch stärker vor. Der andere Fall
betraf eine frische allgemeine Lähmung und war weniger deutlich.
Von Hirnnerven war der Facialis in sechs Fällen betroffen.
Eine solche auf Lokalisation des Prozesses in der Oblongata zu
beziehende Facialisparese fand sich dreimal bei Lähmungen der
unteren Extremitäten, zweimal bei Lähmung der linken oberen
Extremität, einmal bei gekreuzter Lähmung (rechte obere und
linke untere Extremität). — Ob die in einem Falle von hemi-
plegischem Lähmungstypus konstatierte Ungleichheit der Pupillen
bei intakter Reaktion der Poliomyelitis zur Last zu legen ist,
bleibt fraglich. Hingegen wurde in einem anderen Falle, in
welchem die Krankheit mit linksseitigen Konvulsionen (ein-
schliesslich der Augenmuskeln) begonnen hatte, und in welchem
Strabismus convergens sin. bei linksseitiger Beinlähmung dauernd
bestehen blieb, von den Eltern das Schielen mit Sicherheit auf
das Einsetzen der Kinderlähmung zurückdatiert.
Charakteristisch für die spinale Lähmung gegenüber zentralen
Paresen ist die rasch eintretende Muskelatrophie, die bald neben
49*
754 Nearath, Klinische Studien über Poliomyelitis.
der veränderten elektrischen Erregbarkeit durch Volumenver-
minderung der betroffenen Muskulatur kenntlich wird. Wir
konnten in zwei Fällen schon am Ende der zweiten Woche eine
Abnahme der Zirkumferenz (der unteren Extremität) um 1 cm
konstatieren. Bei länger bestehenden Lähmungen nahm die
Differenz gegenüber dem gesunden Bein grosse Dimensionen an.
Die elektrische Erregbarkeit wurde in einer relativ geringen
Anzahl der Fälle untersucht. Die faradische Erregbarkeit zeigte
sich in einem Falle nach 14 Tagen stark herabgesetzt. Oft
konnte Entartungsreaktion nachgewiesen werden. Eine frühzeitige
Beurteilung der dauernd gelähmt bleibenden Muskeln schon im
Stadium der initialen, weitverbreiteten Lähmungen haben wir
mittels elektrischer Untersuchung nur in einem Falle (Paraplegie
— vollständige Erholung eines Beines) mit Erfolg versucht.
Als letztes Stadium der Krankheit bezeichnet man gewöhn-
lich das der Deformitäten; diese sind zum Teile die Folgen
der Wirkung antagonistisch arbeitender Muskeln, die weiter
funktionieren, während die Gegenwirkung der gelähmten Muskel-
apparate ausföllt; so kommt es zu Kontrakturstellungen, die eine
weitere Funktionshemmung der betroffenen Extremitäten invol-
vieren. In diese Kategorie gehören die spastischen Spitzfuss-
und Hackenfussstellungen, die selteneren mehr oder weniger spitz-
winkeligen Kniegelenkskontrakturen. Solche Kontrakturen kamen
uns weit seltener zur Beobachtung, als die einem späteren Stadium
entsprechenden Entspannungsdeformitäten, wie Subluxationen im
Schultergelenk infolge schlaff hängender und der Schwere unter-
worfener Oberextremitäten.
Eine häufige Deformität bilden die Entwicklungsstörungen
der gelähmten Extremitäten, die sich in der überwiegenden Mehr-
zahl der Fälle als Zurückbleiben im Längenwachstum, in einer
sehr kleinen Zahl von Ausnahmsfallen in einer Längendifferenz
zu Gunsten der gelähmten Seite äussern. Dass es sich bei der
Hemmung des Längenwachstums der Knochen der gelähmten
Seite nicht nur um ein Stehenbleiben der Entwicklung auf der
Altersstufe, die dem Einsetzen der Krankheit entspricht, handelt,
dafür spricht das fortgesetzte, wenn auch verlangsamte Wachstum,
radiologische Befunde, die auf trophische Störungen hinweisen,
und endlich eine, schon von Seeligmüller hervorgehobene
Inkongruenz zwischen Muskel- und Knochenatrophie. Die
Statistik der überaus seltenen Fälle von Längendifferenzen der
symmetrischen Extremitäteilknochen zu Gunsten der gelähmten
Nearath, Klinische Stadien über Poliomyelitis. 755
Seite konnte ich (1901) am einen Fall vermehren, in welchem
diese Differenz dadurch zustande kam, dass die Rachitis in dem
funktionstüchtigen Bein stärker lokalisiert erschien und hier eine
Entwicklungshemmung der Knochen herbeiführte, während das
fnnktionsarme gelähmte Bein schwächer von der Rachitis affiziert
war und hier die Entwicklungshemmung nicht oder in geringerem
Ausmaasse ausgesprochen war.
Die radiologische Untersuchung einschlägiger Fälle, die in
unserer fortgesetzten Beobachtung stehen, ist noch nicht ab-
geschlossen, und behalte ich mir vor, über die Frage der Ent-
wicklungsstörung der Knochen poliomyelitisch gelähmter Ex-
tremitäten späterhin meine Untersuchungsresultate bekannt zu
geben.
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XXIV.
Tuberkulose im ersten Lebensgahre.
Nach den Beobachtangen im Kinderspital Zürich.
Von
Dr. FRITZ STIRNIMANN.
Die grundlegende Arbeit von Herrn Dr. O. Naegeli, Privat-
dozenten in Zürich, über Häufigkeit, Lokalisation und Ausheilung der
Tuberkulose (Virchows Archiv für pathologische Anatomie und
Physiologie und für klinische Medizin, 160. Bd.) enthält keine
Fälle aus dem ersten Lebensjahre; die Arbeit selbst weist darauf
liin, dass das Eantonsspital Zürich, dessen Sektionsmaterial sie
verwertet, im ganzen relativ wenig ' Kinder aufnimmt, da ein
besonderes Kinderspital existiert: „dann sind unter den unserm
Institute (pathol.-anat. Institut der Universität Zürich) vom
Kantonsspital zugehenden Leichen relativ sehr viele Diphtherie-
f&lle, und andererseits äusserst wenige Klnochentuberkulosen^
(Naegeli).
Die Beobachtungen von sichern Tuberkulosen im Kinder-
spitale Zürich, soweit sie das erste Lebensjahr betreffen, zusammen-
zustellen, war die mir gestellte Aufgabe.
Nach dem Vorbilde der oben zitierten Arbeit wurden bloss
diejenigen Fälle zusammen genommen, die noch im ersten Lebens-
jahre auf dem Sektionstische pathologisch-anatomisch als Tuber-
kulosen verifiziert werden konnten. Die Sektionen sind meistens
von Herrn Prof. Dr. 0. Wyss selbst ausgeführt worden; die
Protokolle derselben wurden nach seinem Diktate niedergeschrieben.
Dadurch ist ihr wissenschaftlicher Wert gesichert.
Bei Durchsicht der Sektionsprotokolle gelang es, unter
601 Fällen, die aus dem ersten Lebensjahre zur Sektion gelangten,
41 sichere Tuberkulosen herauszufinden. Dabei wurden aber aUe
diejenigen Protokolle bei Seite gelassen, die zwar wahrscheinlich
von Tuberkulösen stammen, die aber als solche nicht klar waren.
Andererseits sind leider die Protokolle von 4 weitem Fällen, die
aut Sektionsverzeichnis und Krankenjournal des Kinderspitals
Tuberkulose aufwiesen, nicht mehr erhältlich gewesen; jedoch
lagen die histologischen Präparate eines dieser Fälle mir vor, so
dass auch dieser Fall gesichert ist.
Stirnimann, Taberkalose im ersten Lebensjahre. 757
Die Häufigkeit tuberkulöser Befunde bei den Sektionen des
Kinderspitals im ersten Lebensjahre
42
beträgt somit — ^ := 7,1 pCt.
28
Davon sind Knaben ^=^ = 10,3 „
12
Mädchen ■g:^= 5,4 „
Obige Auseinandersetzungen lassen folgern, dass die er-
haltenen Zahlen bloss als Minimalzahlen Geltung haben können.
Jedenfalls sind sie für die heutigen Verhältnisse, wo infolge der
Diphtherieserumtherapie die Sterblichkeit in den Kinderspitälern
bedeutend abgenommen hat, zu niedrig.
Tuberkulose als direkte Todesursache konnte nur in 5 Fällen
ausgeschlossen werden. Dabei handelt es sich nur in einem Fall
um eine Todesursache, bei der jeder direkte oder indirekte
Kausalnexus mit Tuberkulose auszuschliessen ist und die Tuber-
kulose wirklich nur Nebenbefund ist, nämlich in einem Fall Ton
Masernpneumonie.
E. K., geb. 26. V. 1885, gest 9. V. 1886.
Familienanamnese gibt keine Anhaltspunkte für heredit&re Belastung.
Pat ausgetragen, gestillt, nachher Kuhmilch. Niemals Gastroenteritis.
Keuchhusten.
Status praesens. 28. lY. 1886. Hühnerbrust. Respiration 56, keuchend.
Über den Lungen rechts unten hinten im Infraskapularraum Knisterrasscln
links etwas gedämpfter Perknssionsschall. Rechts Torn einige grossblasige
Ronchi. Starke Corjza. Am Rumpf und an den Armen ein kleinfleckiges
Exanthem. Temperatur 38,4. Puls 144.
8. V. Masernexanthem deutlich.
8. V. Exanthem blast ab. Über dem Gebiete der Dämpfung deutliches
Bronchialatmen. Kräftezustand schlecht.
9. V. Exitus letalis.
Anatomische Diagnose:
Doppelseitige lobäre Masernpneumonie. Schwellung der Bronchiai-
drösen mit Käseherden, ebenso der Drüsen der Bifurkation und der Trachea.
Larjngitis catarrhalis. Bronchitis. Miliartuberkulose des Peritoneums. Dick-
darmkatarrh.
In 2 Fällen war Gastroenteritis Todesursache, wie sie bei
durch anderweitige Erkrankungen geschwächten Kindern oft ein-
tritt, jedoch ohne dass Amyloidosis oder tuberkulöse Geschwüre
des Darmes erwähnt werden. In einem Fall schloss sich an
einen Senkungsabszess eine akute Peritonitis durch Sekundär-
758 Stirnimann, Tuberknlose im ersten Lebensjahre.
infektion; ein Kind starb infolge Erysipel, ausgehend von der
Operationswunde bei Coxitis tuberculosa.
Um ganz sicher zu gehen, rechne ich nur den Fall von
Masempneumonie als nicht letale Tuberkulose und erhalte somit
Sicher letale Tuberkulosen . . 37 = 88,0pCt.
yy nicht letale Tuberkulosen 1 = 2,3 „
Unbestimmt 4= 9,4 „
Unter den letalen Tuberkulosen finden wir 23 Fälle von
Miliartuberkulose, d. h. 62,1 pCt. oder 54,4 pCt. der der Gesamt-
heit, also bei über der Hälfte der Fälle.
Heilungstendenz des tuberkulösen Prozesses irgendwelcher
Art findet sich in keinem Falle auch nur andeutungsweise. Es
ist dies bei dem kleinen Zeitraum, über den der kindliche
Organismus zur Abwehr verfügen konnte, kaum denkbar, wenn
er überhaupt einer Abwehr fähig ist.
Pathologisch- anatomischer Befund.
Respirationsorgane. In den Lungen finden sich in
26 Fällen mehr oder weniger ausgedehnte käsige Herde. In
6 Fällen sind beide Lungen befallen, die rechte allein in 15 Fällen,
wobei die Tuberkulose 6 mal nur im Oberlappen, 1 mal nur
im Mittellappen und 5 mal nur im Unterlappen lokalisiert war.
Nur links fand sie sich 5 mal, 2 mal nur im Unterlappen, i mal
im Oberlappen.
Kavernen fanden sich in 11 Fällen. 4 mal im linken Ober-
lappen, 4 mal im linken Unterlappen, wobei ein Fall 2 Kavernen
im gleichen Lappen zeigte. Im rechten Oberlappen wiesen 3 Fälle,
im rechten Unterlappen 2 Fälle Kavernen auf, während der Mittel-
lappen niemals Höhlenbildung zeigte. Die Ausdehnung der
Kavernen war linsen- bis haselnussgross; in einem Fall dagegen
war fast die ganze linke Lunge in eine jauchige Höhle ver-
wandelt.
Aus den Sektionsprotokollen ist nicht sicher eruierbar,
welche Form der Lungentuberkulose, ob bronchogene oder lym-
phogene oder pneumonische Form, vorhanden gewesen sei. Über
die histologischen Untersuchungen siehe später.
2 Fälle weisen Tuberkulose der Bronchialmukosa auf, von
denen ein Fall frei von Lungentuberkulose ist. Die Trachea ist
in 2 Fällen von Miliartuberkulose mitergrifPen und weist miliare
Tuberkel auf.
Stirn imann, Taberkulose im ersten Lebensjahre. 759
Der Larynx ist 2 mal Sitz der Erkrankung, wobei ein Fall
keinen Eäseherd in der Lunge besitzt. Der eine Fall bot da»
Bild der ulzerösen Larynxtuberkulose, der andere mit Granulom-
bildung bot das klinische Bild einer chronischen Larynxstenose.
Die Pleura war häufig mitbeteiligt: 4 mal fand sich rechts-
seitige exsudative Pleuritis, Omal fibrinöse Pleuritis rechterseits^
5 mal linkerseits, einmal beiderseits. Pleuraempyem war in einem
Falle rechts, im andern Falle links.
Bei 34 Fällen waren die Hilusdrüsen der Lungen von tuber-
kulösen Prozessen ergrifPen, 6 mal nur rechts, 3 mal nur links.
In 5 Fällen fehlte in den Protokollen eine Angabe Ober die Be-
schaffenheit der Hilusdrüsen. In 3 Fällen, darunter 2 Lungen-
tuberkulosen mit Kavernen, wird ausdrücklich erwähnt, dass in
den Hilusdrüsen wohl Schwellung und Hyperämie, aber keine Yer-
käsung zu finden gewesen sei. 6 mal fanden sich bei bestehender
Hilasdrüsenverkäsung noch die Trachealdrüsen affiziert, 2 mal
waren alle Drüsen vom Hals bis zur Bifurkation von tuberkulösen
Prozessen ergriffen. Nur 8 Leichen zeigten tuberkulös veränderte
Gervikaldrüsen, 4 ebenso affizierte mediastinale Lymphdrüsen.
Die durch den tuberkulösen Prozess vergrösserten Hilus--
drüsen bewirkten in fast Vs ^^^ Fälle, nämlich bei 6, eine Kom-
pression der Bronchen; einmal brach der tuberkulöse Lymph-
drüsenabszess in den linken Bronchus und zugleich in den
Oesophagus durch.
Was nun die Miliartuberkulose der Lungen anbetrifft, so fand
sie sich rein in 8 Fällen. Von diesen weisen 7 Fälle Hilusdrüsen--
tuberkulöse auf, der achte Fall Caries des Felsenbeins und Hals-
drüsentuberkulose. 18 Obduktionsprotokolle notieren neben miliaren
Tuberkelknötchen noch ausgedehnte käsige Herde. In 12 Fällen
sah man die miliare Aussaat der Tuberkulose auf der Pleura:
einmal nur links, einmal nur rechts und 10 mal beiderseits.
Der pathologisch-anatomische Befund ergab am Herzen in
2 Fällen Miliartuberkel im Endokard. In einem von diesen Fällen
fand sich, ausser einem miliaren Knötchen an einem Trabekel des
Conus pulmonalis, an der Mitralis ein kleines gallertiges Knötchen.
Eine ähnliche Notiz enthält ein weiterer Sektionsbericht:
„An der Mitralis sind eine grössere Zahl gelatinöser Auflagerangen am
Rande vorhanden, einige sind fast 2 mm gross. Sie liegen aaf der Fläche,
welche dem Atriam zugekehrt ist, und wenige haben eine weisse Farbe. Daa
grösste, 2 mm grosse, dreieckig gestaltete Knötchen weist eine opake, tuberkel-
ähnliche Beschaffenheit auf and unterscheidet sich ganz wesentlich von den
Veränderungen akuter Endokarditis."
760 Stirnimann, Tuberkulose im ersten Lebeosjahre.
Diese klappenständigen Knötchen, die ausdrücklich von den
gewöhnlichen Auflagerungen auf den Klappen unterschieden waren,
sind Gegenstand einer Dissertation von Dr. Reichenbach gewesen.
Die ursprüngliche Ansicht, dass es sich um miliare Tuberkel handle,
hat sich jedoch histologisch nicht bestätigt, sondern es handelte
sich um in Resorption begriffene sogenannte Hämatome der Klappe.
Im übrigen fand sich das Myokard 2 mal, das Perikard 7 mal
als Sitz miliarer Tuberkel.
Im Yerdauungstraktus verteilen sich die tuberkulösen
Befunde folgendermassen: Im Magen fanden sich 2 mal tuberkulöse
Ulcera; in einem dieser Fälle ist kein weiterer Darmabschnitt
ohne Ulcus auf tuberkulöser Basis. Im Duodenum war einmal
ein Ulcus zu sehen, im Jejunum 4 mal, im Ileum 15 mal; die
Coecalklappe war 4 mal ergriffen, einmal davon sogar vollständig
zerstört; das Coecum wies in 3 Fällen, das Colon in 8 Fällen
tuberkulöse Ulcera auf.
Von diesen ib Fällen mit tuberkulösen Prozessen am Yer-
dauungstraktus interessiert uns besonders ein Fall, wo ausser
der Lokalisation am Darm und dem zugehörigen Lymphsystem
bloss noch ein Hode mit seinem Samenstrang Sitz der Erkrankung
war, während an dem Respirationstraktus nichts zu finden war;
er wird später ausführlich erwähnt werden. 11 unter diesen
Fällen zeigen Käseherde in den Lungen, 6 weitere Yerkäsung
der Hilusdrüsen.
Im dazu gehörigen Lymphdrüsengebiet erwähnen die Pro-
tokolle eine verkäste Drüse an der Cardia, 17 Fälle von Yer-
käsung der mesenterialen Lymphdrüsen; 2mal waren die Retro-
peritonealdrüsen und 2 mal die periportalen Drüsen ergriffen.
Ausserdem finden sich 2 Fälle mit Konglomerat-Tuberkel
der Leber und eine ausgedehnte Tuberkulose der Milz.
Tuberkulöse Abszesse werden erwähnt: Periproctitis (1 Fall),
parumbilicaler Abszess mit Fistel, paranephritischer Abszess
mit Durchbruch in das Rektum.
Miliartuberkel fanden sich im Oesophagus (1 Fall), in der
Mucosa des Magens (3 Fälle), im Duodenum (1 Fall), im
Jejunum (8 Fälle), im Ileum (12 Fälle), im Processus vermiformis
(3 FäUe) und im Colon (6 Fälle).
In der Leber sah man in 17, in der Milz in allen 23 Fällen
Ton Miliartuberkulose die miliare Aussaat. Daneben wurden
notiert einmal Miliartuberkulose der Gallenblase, ein anderes Mal
der Gallengänge und zweier N^ebenmilze.
Stirn im ADD, Tuberkulose im ersten Lebensjahre. 761
Im Peritoneum war die Verteilung folgende: Magenserosa
2 Fälle, Darmserosa 10 Fälle, Mesenterium 4 Fälle, Omentum
majus 6 Fälle, Milzserosa 21 Fälle, Leberserosa 20 Fälle, parie-
tales Peritoneum 4 Fälle. Zudem fand sich noch in 6 Fällen
Miliartuberkulose der Mesenterialdrüsen.
Unter den Urogenitalorganen erwiesen sich einmal
«der linke Hode mit dem zugehöHgen Samenstrang, ein anderes
Mal die rechte Nebenniere verkäst. Nephrophthise wird nie
«rwähnt.
Miliartuberkel der Niere zeigten 18 Leichen auf beiden
Seiten, 2 nur rechts. Die Blase wies einmal, das linke Ovarium
ein anderes Mal Miliartuberkel auf.
Im zentralen Nervensystem erwähnen die Sektions-
berichte einen Fall von Solitärtuberkel. Derselbe befand sich in
den linken Ganglien in der Nähe des Thalamus opticus und des
Nucleus caudatus.
Miliartuberkel zeigten 7 Fälle in der Pia, 3 im Ependym
der Seitenventrikel, 1 in der Dura und 1 im Plexus chorioides.
2 mal führte die Miliartuberkulose zur Thrombose der Art. fossae
Sylvii und zu ausgedehnten ischämischen Erweichungen des Ge-
]iims, in dem einen Falle verbunden mit Hämorrhagie in die
Himventrikel.
Die Knochentuberkulosen sind mit 9 Fällen vertreten.
6 Fälle davon zeigten Caries ossis petrosi (rechts 1, links 4).
2 mal kam es dabei zu völliger Zerstörung des Facialis in seinem
Verlauf durch das Felsenbein. 3 der Fälle endeten durch Miliar-
tuberkulöse.
Weitere Lokalisationen sind: Caput humeri sin. mit sekundärer
Schultergelenkstuberkulose, distale Epiphyse des rechten Humerus
mit sekundärer Ellbogentuberkulose, rechter Daumen und Zeige-
finger (Spina ventosa), Manubrium stemi. Kopf und Hals des
rechten Femur 2 Fälle, linkerseits desgl., Condylus externus des
rechten Femur, Tibia und Fibula mit sekundärer Tuberkulose des
Talocruralgelenkes.
Von diesen Knochentuberkulosen ist nur eine isoliert, 2 mul-
tipel, 8 durch anderweitige Tuberkulosen kompliziert, 5 endeten
durch Miliartuberkulosen.
Primäre Gelenkstuberkulose findet sich in einem Fall von
Oonitis tuberculosa purulenta: die Epiphysen waren intakt und
nur die Synovialis ergriffen.
Von den mit dem tuberkulösen Krankheitsprozess kausal
762 Stirnimaon, Taberkalose im ersten Lebensjahre.
yerbandenen sekandären ObdaktioDsbefanden bleibt za erwähnen
ein Fall von Amyloidosis der Leber und der Milz, eine Hydro-
nephrose, yerarsacht durch den erwähnten paranephritischen
Abszess sowie ein Fall von Luftblasen im Herzen. Für letztere
lässt sich kaum eine weitere Ätiologie finden als die im gleichen
Falle vorhandene Lymphadenitis cervicalis suppurativa.
Nebenbefunde.
Die Sektionsprotokolle geben den Ernährungszustand 3 mal
als gut, 5 mal als mittelmässig, 32 mal als schlecht an.
Weitere Befunde sind:
Gastroenteritis (6 Fälle), Peritonitis acuta (2 Fälle), Fett-
leber (5 Fälle), Muskatnussleber, Perisplenitis (2 Fälle).
Larjmgitis (2 Fälle), Bronchitis (3 FäUe), Bronchopneumonie
(12 Fälle), Lobäre Pneumonie, Emphyeema alveolare (6 Fälle)^
Bronchiektase (ohne Zusammenhang mit dem tuberkulösen
Prozess, Pertussis!).
Endocarditis verrucosa (4 Fälle), Degeneratio myocardii,
Pericarditis fibrinosa (2 FäUe).
Nephritis parenchymatosa chronica (4 Fälle), Nierensand,
Hirnödem (2 Fälle), multiple punktförmige Himhämorrhagien^
Hydrocephalus extemus.
Erysipel (2 Fälle) Furunculosis.
Die Frequenz der Miliartuberkulose der verschiedenen
Organe ergibt folgende Zusammenstellung:
1. Müz (Pulpa) 23
Milzserosa 21
2. Leber 17
Leberserosa 20
3. Niere 18
4. Pleura 12
5. Ileum 12
6. Darmserosa 10
7. Jejunum 8
8. Lungen ........ 8
9. Pia 8
10. Pericard 7
11. Colon 6
12. Mesenterialdrüsen .... 5
13. Magen 3
14. Endocard 2
15. Myocard 2
Stirnimann, Tuberkalose im ersten Lebensjahre. 763
Dazu je ein Miliartuberkel im Oesophagus, im Duodenum,
in der Blase und im Ovar.
Histologisch -bakteriologische Untersuchung.
Yon 10 Fällen waren noch Präparate in der pathologischen
Sammlung des Einderpitals vorhanden, die zur nachträglichen
mikroskopischen Untersuchung gelangten.
I. £. D., 6 Monate alt.
a) Lobuläre Herde an der Peripherie der 1. Lunge. Die Präparate
zeigen zirkumskripte Stellen yon Eoagalationsnekrose, ohne Erweichung,
umgeben Ton einem Leukozyten wall. Das Orceinpräparat hebt innerhalb der
nekrotischen Masse die Alveolärstraktur der elastischen Fasern henror. Wo
•die pneumonischen Herde an die Pleura stossen, ist dieselbe yerdickt, zeigt
dilatierte Gefässe und eingelagerte nekrotische Partien. Bronchen mit
Schleim erfüllt. Gegen die Basis wird eine verstopfte Vene durch einen
Tuberkel komprimiert. Die Yenenwand ist an einer Stelle infiltriert, endo-
thellos. Auch die gegenüberliegende Wand ist mehr als 5 mal yerdickt,
in den mittlem Schichten nekrotisch mit Leukozyten wall gegen das Lumen
hin, einige Riesenzellen y er vollständigen das Bild eines Yenentuberkels.
In Lumen der Vene rote Blutkörperchen und zahllose Lymphozyten.
b) Ein Präparat der peribronchialen Drüsen der 1. Lungo zeigt aus-
gedehnte Koagulationsnekrosen mit beginnender Erweichung im Zentrum,
«pärliche Langhanssche Zellen und Leukozyten wall.
IL H. W., 7 Monate alt.
Lunge. Oberlappenknötchen. In der Nähe der Bronchen und inter-
stitiellen Septen miliare nekrotische Herde, die grossem mit beginnender
zentraler Erweichung. Tnberkelbazillen konnten im Präparat nachgewiesen
werden.
III. W. W., a Monate alt.
a) Käsig entarteter Teil eines lobnlärpneumonischen Infiltrates im
i. Unterlappen, umgeben von abkapselndem Bindegewebe. Lungenalyeolen
sind z. T. trei, z. T. mit Sekret erfüllt, z. T. in Koagulation snekrose aufgegangen.
Auf der Pleura findet sich ein dünner Fibrinbelag. Die nekrotischen Massen
eind von grosser Ausdehnung; in denselben lassen sich die elastischen Fasern
in der für die Langen typischen Anordnung nachweisen. Leukozytenwall
ondeutlich, Riesenzellen sind vorhanden.
b) Miliare Knötchen in der Oberfiäche der Lunge des 1. Unterlappens,
im normalen Lungengewebe zirkumskripte miliare Stellen mit Koagulations-
nekrose, umgeben von einem Leukozyten wall, Riesenzellen und epitheloiden
Zellen. An einzelnen Stellen finden sich bloss zirkumskripte Leukozyten-
ansammlungen ohne Koagulationsnekrose. Tuberkelbazillen sichtbar.
c) Bronchialdrüsen. Im adenoiden Gewebe findet sich ausgedehnte
Koagulationsnekrose mit Erweichung; epitheloide Zellen finden sich am
Rande. Tuberkelbazillen nachweisbar.
IV. A. B., 9 Monate alt.
a) Komprimierte Lunge. Ausgedehnte Massen in Koagulationsnekrose
zeigen sehr viele zusammengedrängte, an den Knorpelringen leicht kennt-
764 StirDimano, Taberkulose im ersten Lebensjahre.
liehe Qoerschnitte von Bronchen. Das Orceinprfiparat weist durch die
elastischen Fasern die kollabierten Alyeolen nach.
b) Taberkulose Drüsen im Hilns mit angrenzendem Gewebe. Aas-
gedehnte Koagulationsnekrose mit sp&rlichen epitheloiden Zellen im adenoiden
Gewebe. Im angrenzenden Langengewebe sind die Alveolen mit Exsudat
und Leukozyten gefüllt. Die Pleura ist verdickt. In den verkästen Drüsen
finden sich Tuberkelbazillen in Haufen.
V. A. C, 5 Monate alt.
a) Miliartuberkel der 1. Lunge. Miliartuberkel von typischem Bau mit
deutlich nachweisbaren Tuberkelbaziilen.
b) Linker Oberlappen. Kleine Kavernen. Ebenfalls typische Miliar-
tuberkel mit zentraler Zerfallshöhle. Tuberkelbazillen nachgewiesen.
VI. E. K., 7 Monate alt.
a) Miliartuberkulose der Langen. Verdichtete miliare Herde im Longen-
gewebe mit Koagulationsnekrose in der Mitte, Riesenzellen und Leukozyten-
wall. In den Verdichtungen weist Orcein elastisches Gewebe nach. Tuberkel-
bazillen vorhanden.
b) Lunge, Bronchen, Hilusdrüsen. Im Lungengewebe zeigt sieh eine
ausgedehnte Koagulationsnekrose mit Erweichung. Die Bronchialschleimhaot
desquamiert. Die Bronchialdrüsen sind in eine strukturlose nekrotische
Masse ohne Erweichung verwandelt.
c) Milz zeigt miliare Koagulationsnekrosen.
d) Leber. Das Lebergewebe ist in einem Teil der Pr¶te undeutlich.
Die Blutgefässe sind stark dilatiert; in ihrer Umgebung finden sich viele
Lymphozyten, die an einzelnen Stellen kleine Lymphome bilden. Ver-
einzelte miliare, raodliche Stellen von Koagulationsnekrose ohne eigentlichen
Leukozyten wall, ohne Riesenzellen (miliare Gummata). Die Wand der Äste
der Art. hepatica, besonders deren Intima, ist stark verdickt. (Sndarteriitis.)
Kein Amyloid war nachweisbar, auch keine Tuberkelbaziilen.
VII. F. Z., 8 Monate alt.
a) Käseherd in der Milz. Mikroskopisch zeigt sich ein Konglomerat-
tuberkel von typischer Anordnung, in der Mitte Erweichung und Nekrose
darum Langh ans sehe Riesenzellen und am Rand kleinzellige Infiltration
dabei Mangel von Gefässen. Tuberkelbaziilen konnten nicht nachgewiesen
werden.
b) Ulcus im Goecum. Submucosa an einzelnen Stellen verdickt, die
im Zentrum erweicht sind ; an einigen Stellen münden sie sinnös ins Darm*
lumen. Keine Riesenzellen, TuberkAlbazillen nicht nachgewiesen.
VIIL E. W., 1 Monat alt.
Lunge, deren Alveolen mit Exsudat und Leukozyten erfüllt sind. Im
Gewebe, ausgehend von den interstitiellen Septen, finden sich runde, geftss-
lose Partien von Koagulationsnekrose mit spärlichen Riesenzellen. Pleura
verdickt, mit dilatierten Gefässen, ohne Anflagerangen. Tuberkelbaziilen
nicht nachweisbar.
IX. J. A., 6 Monate alt.
a) Ulcus ilei. Defekt des Epithels und der Submucosa bis auf die
Muscularis. Defektränder sinuös, deren Submucosa verdickt mit Koagulations-
nekrose, Erweichung und Riesenzellen, Serosa unverändert. Tuberkelbaziilen
nicht nachweisbar.
Stirnimann, Taberkolose im ersten Lebensjahre« 765
b) Mesenterialdrüse. Koagalatioosnekrotische Herde mit Rietenzellen
am Rande. Tnberkelbazillen konnten nachgewiesen werden.
X. A. K., 11 Monate alt.
a) Miliartaberkulose der Lunge. Im Lungengewebe, das im Zustande
der Leukozytenpneumonie sich befindet, runde, gef&sslosey nekrotische Partien
mit erweichtem Zentrum und Riesenzellen am Rande. Tnberkelbazillen konnten
nachgewiesen werden.
b) Ulcus palati. Mehrschichtiges Platten epithel, Drüsenschl&nche und
in der Tiefe quergestreifte Muskelfasern. Eine Randpartie epithellos, verdickt,
mit starker Leukozyteninfiltration, auf dem sinuösen Grunde Epitheloidzellen,
keine Riesenzellen. Tuberkelbazillen nachgewiesen.
Die Präparate haben in allen diesen Fällen deatlich gezeigt,
dass es sich um tuberkulöse AfFektionen gehandelt hat; sie konnten
die makroskopisch gestellte Diagnose nur bestätigen. Wenn
auch No. VI noch luetische Erscheinungen aufweist, so sichert
der Nachweis der Tuberkelbazillen dennoch die Diagnose der
Miliartuberkulose der Lungen.
In 6 Fällen konnten im Fuchsinpräparat Tuberkelbazillen
direkt nachgewiesen werden.
Wenn die Zahl der histologischen Untersuchungee auch
keine komplette ist, so bietet ihr Resultat doch ein wertvoller
Beleg für die Richtigkeit der Diagnosen. Wenn man den
langen Zeitraum, über den sich die Fälle erstrecken, in Betracht
zieht, muss man sich wundern, dass noch soviel Material vor*
banden war.
Verlauf der tuberkulösen Erkrankung.
Die ersten Symptome der später als tuberkulös erkannten
Krankheiten traten sehr verschieden früh auf.
Ein Kind hatte schon von Geburt an „geschwollene Drüsen**
am Hals, ein zweites soll schon am ersten Tage gehustet haben.
Husten findet sich als auch dem Laien sofort auffallendes
Symptom am häufigsten verzeichnet; er trat ein in folgendem
Alter: 20 Tage, 1 Monat (3 Fälle), 2Va Monat, 3 Monat (4 Fälle),
4 Monat, 1 Monat (2 Fälle), femer bei einem Fall von käsiger
Pneumonie 2 Tage vor dem Tode.
Schwellung der Halslymphdrüsen trat sonst einmal im 2.,
einandermal im 4. Monat auf.
Kontrakturen infolge osteogener Gelenktuberkulose stellten
sich ein am Knie im 4. Monat, an der Hüfte im 4., 6. und
7. Lebensmonat; Steifheit des Vorderarms bei Ellenbogentuber-
kulose wurde im 7. Monat bemerkt.
766 StirDimaDB, Tuberkulose im ersten Lebensjahre.
Otorrhoe trat einmal im 7. Monat als erstes Symptom
tuberkulöser Infektion auf. Eine Hodenfistel wurde im 10. Monat
bemerkt.
Starke Abmagerung deuteten bei zwei 3 Wochen und einem
ß Wochen alten Kinde auf ein schweres Leiden hin, ohne dass
•die Abmagerung durch eine schwere Gastroenteritis bedingt war.
Leichte Dyspepsien bestanden allerdings; aber die klinische
Diagnose Atrophia infantum zeigt bei allen deutlich, dass die
Abmagerung am meisten ins Gewicht fiel.
In einem Fall begann die Erkrankung mit „Gichtern'', in
•einem weitern mit Fieber.
Beim Eintritt ins Einderspital ergab der Status praesens
folgende Symptome, die wissenschaftlich besser als die vorher-
•erwähnten verwertbar sind, die bloss den Anamnesen entstammen.
Schlechte Ernährung zeigten bei der Aufnahme ins Spital
25 Kinder, mittlere 7, gute 8. Starke Anämie wurde bei
16 Kindern festgestellt.
26 Kinder waren rachitisch. Die Rachitis gab sich kund
durch die Schwellung der Rippenknorpelenden (22 Fälle),
Schwellung der Epiphysen der Extremitätenknochen (4 Fälle),
Hühnerbrust, Pes valgus rhachiticus. In 4 Fällen war bestehender
Oraniotabes das einzige rachitische Symptom.
Fieber bestand bei 19 Kindern; nicht gezählt sind hier die-
jenigen, bei welchen sich das Fieber sicher aus einer andern
Ursache (Erysipel etc.) eingestellt hatte. Der Verlauf des Fiebers
zeigte nichts typisches: dreimal bestand leicht angedeuteter
Typus inversus. Einige Kinder traten mit subnormalen Tem-
peraturen ein.
Tuberkulöse Lymphome wurden klinisch am Hals 8 mal,
•davon 2 mal beidseitig, in der Achselhöhle 2 mal, in der Leiste
4 mal und in der Kniekehle einmal festgestellt.
2 Fälle zeigten einen Gibbus in der Lendenwirbelsäule.
Die Lungenbefunde waren in keiner Weise typisch, niemals
derart, dass aus dem blossen einmaligen Befund hätte auf eine
Tuberkulose geschlossen werden können.
Rasseln war bei 17 Kindern zu hören, bei 8 beiderseits, bei
£ bloss rechts, bei 4 bloss links.
Bei 20 Kindern wurden Dämpfungen über dem Lungen-
{[ebi^t festgestellt: beiderseits bei 4, nur rechts bei 11, nur links
bei 5.
Dyspnoe trat bei 5 Kindern auf.
StirnimanD, Tuberkulose im ersten Lebensjahre. 767
Otorrhoe zeigte sich bei 8 Patienten 3 mal blos rechts,
3 mal bloss links und 2 mal beiderseits. Periphere Facialisparalyse
komplizierte 4 mal die Erkrankung: 2 mal rechts und 2 mal links.
7 Kinder bekamen im Verlaufe der Erkrankung Konvulsionen;
Nackenstarre Hessen 4 mal die Diagnose auf Meningitis stellen.
In einem Falle mit Thrombose der r. Art. fossae Sylvii und
beiderseitigen ischämischen Erweichungen im Gebiete der motori-
schen Grosshirnbahnen bestand spastische Lähmung mit Kontraktur
der Extremitäten und des Unterkiefers.
Weitere Symptome kachektischer Art ergänzen das klinische
Bild: Allgemeine Furunkulose (5 mal), multiple Abszesse, Soor
(4 mal).
Das Todesalter variiert zwischen 27 und 355 Tagen.
1. Vierteljahr: 27, 33, 74, 87, 91 Tage ...... = 5
II. „ 100, ca. 134, 140, 143, 146, 155, 157,
158, 158, 162, 171, 174, 177, 178, ca. 180,
ca. 180 =16
III. „ 195, 210, ca. 220, 221, ca. 225, 232,
ca. ••240, 248, 248, 267, ca. 270, ca. 270 = 12
IV. „ 284, ca. 300, 311, 316, 336, 348, 348,
352, 355 = 9
42
Daraus ergibt sich, dass die Sterblichkeit im 2. Quartal
am 'grössten war: Über Va d^r Kinder, die für diese Arbeit
in Betracht kommen, fallen hierher; etwas weniger fallen ins
3. Quartal^ während im ersten Quartal bloss Vs ^^ Tuberkulose
verstarben. Drückt man die Häufigkeit in den verschiedenen
Quartalen in Prozenten aus, so erhält man:
1. Quartal 11,9 pCt. 2. Quartal 38,0 pCt.
3. ^ 28,5 „ 4. „ 21,4 „
Diagnose.
Die Möglichkeit, die klinische Diagnose Tuberkulose zu
stellen, hängt ab von dem Sitz der Erkrankung. Caries wurde
in jedem Falle sicher intra vitam diagnostiziert, da hier zur
klinischen Untersuchung fast immer noch die Autoskopie in vivo
kam. „Skrophulöse Drüsen" und Meningitis tuberculosa machten
keine diagnostischen Schwierigkeiten. Letztere* konnte zweimal
nicht diagnostiziert werden, da Nackenstarre nicht vorhanden war.
Jahrbuch ftlr Kinderheilkunde. N. F. LXI. Hett 5. 50
768 Stirnimann» Taberkulose im ersten Lebensjahre.
In 4 Fällen wurde die Tuberkulose der Lungen als wahr-
scheinlich hingestellt. Da das Sputum ohne besondere Kunst-
griffe nicht erhältlich ist, wurde nie eine klinische Untersuchung
auf Tuberkelbazillen gemacht. Die Diagnose stutzte sich haupt-
sächlich auf bestehende Dämpfungen über dem Gebiete der
Lungen, die zum Teil sehr intensiv und nie von deutlich lympani-
tischem Beiklang begleitet waren, dazu Fieberlosigkeit oder nur
ganz leichte Temperatursteigerungen und starke, immer zunehm^ide
Atrophie. In 2 Fällen lagen noch weitere, sicher als tuberkulös
erkennbare Affektionen vor; zweimal bestand hereditäre Belastung.
In 2 Fällen mit intensiven Dämpfungen (Schenkelschall) ohne
Tympanie und zugleich bestehender Fieberlosigkeit (bei einem
nur 35,8®) wurde vielleicht deshalb die Diagnose nicht gestellt,
weil die Dämpfungen sich über dem Gebiet der Unterlappen be-
fanden. Der pathologisch-anatomische Befund zeigt aber, dass
die kindliche Tuberkulose bezüglich Lokalisation nicht
denselben Gesetzen unterworfen ist, wie die Tuberkulose
der Erwachsenen.
Fieber bestand trotz Käseherden in der Lunge, wenn da-
neben noch eine frische Aussaat miliarer Tuberkel stattfand
(2 Fälle) oder zugleich noch eine richtige Bronchopneumonie vor-
handen war. Dadurch wird allerdings die Diagnose unmöglich.
Miliartuberkulose wurde intra vitam nie mit Sicherheit
diagnostiziert: die Krankengeschichten enthalten auch keine An-
gaben über Beobachtung von Chorioidealtuberkel. Nur durch
das plötzliche Auftreten einer Meningitis, wobei sowohl purulente
Infektion als auch die Verbreitung der Tuberkulose per continui-
tatem ausgeschlossen werden muss, legt die Wahrscheinlichkeit
einer solchen nahe. In einem Falle von Miliartuberkulose wurde
l'yphus abdominalis diagnostiziert, doch findet sich im Status die
Bemerkung; „Roseolen nicht deutlich zu sehen."
Bei 3 Fällen wurde die klinische Diagnose Lues congenita
gestellt. Ein uneheliches Kind, dessen Vater viel an Hautaus-
schlägen und Kopfschmerzen leidet, selbst neben seiner Lungen-
affektion allgemeine Furunkulose aufweist, kam mit derselben, von
der med. Poliklinik gestellten Diagnose, welche aber im Kinder-
spital nicht mehr aufrecht erhalten wurde. Ein zweites Patientchen
wies neben Furunkulose noch Pemphigus auf; ein weiteres ein
erst maculopapulöses, dann schuppendes, nicht sehr ausgeprägtes
Exanthem und Coryza. In keinem Falle lässt das klinische Bild
Tuberkulose vermuten, und erst die Obduktion legte es klar, dass
StirnimanD, Taberkalose im ersten Lebeosjahre. 769
es sich in beiden ersten Fällen nicht um Lues handelte. Dagegen
zeigt ein weiterer Fall beide Krankheiten nebeneinander, wie die
spatere histologische Untersuchung lehrt: In den miliaren Lungen-
herden lassen sich Tuberkelbazillen nachweisen, während gleich-
zeitig die Leber miliare Gummata und Endarteritis obliterans
aufweist.
Weitere Diagnosen waren: Atrophie (6 Fälle), Rachitis
gravis (5 Fälle), Gastroenteritis (5 Fälle), Pertussis (5 Fälle, vide
später).
Die Leichen der Kinder, bei denen die wenig befriedigende
Diagnose Atrophie gestellt werden musste, sind stets mit be-
sonderer Sorgfalt auf tuberkulöse Veränderungen untersucht worden,
jedoch ist nur bei einem Teil der Fälle durch die Obduktion
Klarheit geschaffen worden. Atrophie für sich allein berechtigt
nicht zur Stellung der Wahrscheinlichkeitsdiagnose, wenn man
auch an Tuberkulose denken muss.
Was die Rachitis gravis anbetrifft, so lassen die mitgeteilten
Krankengeschichten keineswegs schliessen, dass die Tuberkulose
die Rachitis zu einer schweren gemacht habe; trotzdem in 27 Fällen
Rachitis vorhanden war, ist sie doch nur in 5 Fällen derart in
den Vordergrund getreten, dass sie das Bild beherrschte u^d
gerade diese Fälle weisen verhältnismässig geringe Ausdehnung
des tuberkulösen Prozesses auf.
Ursachen der tuberkulösen Infektion.
A priori sollte man schliessen, dassKinder,dieim erstenLebens-
jahre schon an Tuberkulose sterben, kongenital an dieser Krankheit
leiden, sei es nun, dass konzeptionelle oder placentare Infektion
vorliege. Dafür sind nur 2, leider von Laien stammende An-
gaben vorhanden: Husten von Geburt an und geschwollene Hals-
lymphdrüsen.
Für ersteren Fall gibt die Anamnese an, dass beide Eltern
lungenleidend sind und die Grossmutter mütterlicherseits an Aus-
zehrung gestorben ist.
Im zweiten Falle ist die Heredität nicht so genau; bloss
weitere Verwandte waren an Tuberkulose erkrankt.
In 13 von allen Fällen ist die Abstammung von tuberkulösen
Eltern durch die Anamnese sichergestellt; in 7 Fällen gibt die
Anamnese nicht direkt Tuberkulose an, sondern spricht von
Husten, kränklich sein etc. 9 Anamnesen haben über die Heredität
keine Angaben, wohl deshalb, weil keine erhältlich waren, 12 mal
50*
770 Stirnimaon, Tuberkulose im ersten Lebensjahre.
versichert uns die Anamnese ausdrücklich, dass in der Familie
keine Tuberkulose vorhanden sei.
Was die 13 Fälle mit sicherer Heredität betrifft, so litt in
11 Fällen die Mutter an Phthise, nur 2 mal ist sie gesund, und
dafür ist der Vater tuberkulös; im oben angeführten Falle sind
beide Eltern tuberkulös. Die starke Belastung von Seiten der
Mutter erklärt sich durch die Möglichkeit plazentarer Infektion und
durch den späteren engen persönlichen Verkehr. Dass diebetreffenden
Mütter gestillt haben, steht in keiner Anamnese. Eine Anamnese,
die nicht unter die angeführten 13 fallt, gibt an, dass in der
Familie des Vaters mehrere schwindsüchtige Mitglieder seien.
Es wird wohl auffallen, dass bloss in ^j^^ die tuberkulöse
Belastung festgestellt ist, vorhanden ist sie sicher bei weit mehr
gewesen. Dass sie bei allen vorhanden gewesen sei, darf auf
keinen Fall angenommen werden, und so muss nach weiteren
Momenten gesucht werden, die eine Infektion post partum er-
möglicht oder erleichtert haben.
Zwei der Kinder sind Frühgeburten, das eine wurde 6, das
andere 8 Wochen zu früh geboren.
Unehelich sind 2 Kinder; 6 waren bei anderen Leuten an
der Kost.
Grosse Geschwisterzahl wird in 2 Anamnesen angegeben.
Vor dem Manifest werden der letalen Krankheit litten 8 Kinder
an Gastroenteritis, 10 an sonstigen leichteren Verdauungsstörungen.
Masern wären in 2 Fällen vorangegangen.
Pertussis bestand bei 5 Kindern; bei 3 davon trat akute
Miliartuberkulose auf, eine nicht ungewöhnliche Nachkrankheit
der Pertussis.
Der Infektions weg ist durch das gewaltige Vorwiegen
der tuberkulösen Erkrankungen des Respirationstraktus gegeben
für Fälle, bei denen die extrauterine Erwerbung wahrscheinlicher ist.
Daneben kommt noch die Infektion durch die Nahrung,
speziell der Milch in Frage.
11 Kinder wurden von der Mutter gestillt; keine dieser
Mütter war aber tuberkulös. Über die Verwendung von Kuh-
milch oder deren Surrogaten geben leider die .wenigsten Anam-
nesen Auskunft.
Da die Kinder das Sputum verschlucken, können nur die-
jenigen Fälle sicher für die Infektion durch den Darm in Betracht
kommen, deren Respirationstraktus keine tuberkulöse Erkrankung
Stirnimaou, Taberkulose im ersten Lebensjahre. 771
aufwies. Unter den mitgeteilten Fällen triflFt dies nur bei folgendem
Falle zu:
J. G., geb. 17. X. 1889, gest. 19. IX. 1890.
AnamDese: Matter leidet an Lungenschwindsucht. In der Familie
mütterlicherseits ist Tuberkulose heredit&r.
Pat. soll bis zur 20. Woche gesund gewesen sein, dann Lungenkatarrh.
Nachher starke Abmagerung. Mit 25 Wochen wurde der L Hoden geschwollen,
5 Wochen später entstanden im 1. Scrotura 2 Fisteln, am Nabelring eine
Fistel, die fäkulenten Eiter entleerten.
Status praesens 9. IX. 90 : Extreme Abmagerung, Rachitis. Bei der
Perkussion ergibt sich über den Lungen weder Dämpfung noch Schall-
▼erkürzung, keine Rasselgeräusche. Abdomen allseitig aufgetrieben. Fistel
am Nabelring, 2 am 1. Scrotam.
13. XL Nabelfistel blutig erweitert. 19. IX. Exitus letalis.
Anatomische Diagnose: Rachitis. Tuberculosis intestini, peritonei,
testis sinistri, lymphogland. mesenter.
Vergleich mit den Tuberkulosen späterer Lebensalter.
Da die zitierte Arbeit von Herrn Dr. Nägeli den vorliegen-
den Zusammenstellungen zum Vorbild gedient hat, so werden nur
die darin angegebenen Resultate zum Vergleich herangezogen.
Allerdings sind die darin enthaltenen Zahlen über die
Häufigkeit der tuberkulösen Befunde nicht direkt vergleichbar:
Die erhaltenen Resultate müssen als Minimalzahlen betrachtet
werden aus Gründen, die zum Teil schon angeführt worden sind.
Soweit Herr Professor 0. Wyss die Sektionen ausgeführt hat,
sind auch die Resultate sicher mit denen von Herrn Dr. Nägeli
vergleichbar, die Sektionen wurden mit der grösstmöglichsten
Sorgfalt ausgeführt, und die betreffenden Protokolle registrieren
alles mit peinlicher Genauigkeit. Leider sind einige Protokolle
von andern diktiert worden, bei diesen vermisst man sowohl die
Beobachtungsgabe des Erfahrenen als auch die Exaktität des
Ausdrucks.
Die Kindersektionen von Herrn Dr. Nägeli (1 — 18 Jahre)
ergaben eine Häufigkeit von - (17 pCt.), während bei den Sek-
oo
tionen unter einem Jahr im Kinderspital eine minimale Häufig-
42
keit von'^TTT- =7,1 pCt. konstatiert wurde. Laut ersterer Arbeit
wurde bei 12 Neugeborenen und 16 Kindern unter einem Jahr
trotz sorgfaltiger Durchmusterung aller Organe und trotz histolo-
gischer Nachuntersuchung nichts Verdächtiges gefunden. Dies
772 Stirnimanu, Taberkalose im ersten LebeDsjahre.
berechtigt doch zum Schlüsse, dass die Häufigkeit tuberkulöser
Befunde bei Kindern unter einem Jahr kaum viel vom erhaltenen
Resultate di£Perieren kann.
Geheilt ist innerhalb der Altersgrenzen 1 — 18 Jahre — nach
lo
Nägeli; unter einem Jahr wurde nie die geringste Heilungs-
tendenz beobachtet.
Bezüglich der Mortalität ergibt sich folgender Vergleich:
unter 1 Jahr 1 — 18 Jahre Erwachsene
sicher letale FäUe 87,8 pCt. 66,6 pCt. 29—38 pCt
sicher nicht letale Fälle 2,4 pCt. 33,3 pGt.
(Nägeli).
Über die Lokalisation gibt folgende Zusammenstellung Aus-
kunft.
Bei den Kindersektionen fand Nägeli in allen Fällen Tuber-
kulose der Tracheobronchialdrüsen ; bei den Sektionen im Kinder-
spital finden sich 34 von 42 Fällen damit behaftet. Diese Differenz
erklärt sich daraus, dass nur die verkästen Lymphdrüsen in
Betracht gezogen werden konnten, da den Sektionsprotokollen
keine Notizen über die Ergebnisse eventueller histologischer Unter-
suchungen beigegeben sind.
Die Zahlen über die Lungenerkrankungen differieren relativ
25 9
wenig. — (60,9 pCt.) gegen j^ (60,0pCt.) bei Kindern (1—18 Jahre)
und — (76,6 pCt.) bei Erwachsenen. Das Vorwiegen der Erkran-
kungen der rechten Lunge, das schon die Kindersektionen von
Nägeli aufweisen, zeigt sich bei den Kindern unter einem Jahr
noch ausgeprägter:
Unter 1 Jahr 1—18 Jahre
Beide Lungen ^ = 24 pCt. — = 53,3 pCt.
Rechte Lunge allein sl = 60 pCt. Tr = 40 pCt.
Linke „ „ ä = ^^ P^*- J5 = ^'^ P^*'
Während der Unterschied zwischen rechts und links so be-
deutend ist, dass in 21 von 25 Fällen die rechte Lunge erkrankt
ist, ist keine Präponderanz der Oberlappen zu konstatieren; eher
scheint es, das die Unterlappen vorwiegen, wenn man die auf
Stirnimann, Taberkulose im ersten Lebensjahre. 773
einen einzelnen Lappen lokalisierten Erkrankongen in Betracht
zieht. Auch die Kavernen finden sich in fast gleicher Anzahl in
den Ober-, wie in den Unterlappen.
Die makroskopische Form der Tuberkulose ist ausschliesslich
die Yerkäsong; für die mikroskopische Beurteilung lagen leider
so wenig Präparate vor, dass aus ihnen nichts allgemeines ge-
schlossen werden kann.
Häufig ist die Miliartuberkulose, sie hat bei mehr als der
Hälfte der Kinder (61 pCt. der letalen Fälle) zum Tode geführt.
Es ist dies um so auffallender, wenn wir mit den Resultaten von
Nägeli vergleichen:
Kindesalter (1—18) 18—30 30—40 40—50
20 pCt. 15 pCt. 24 pCt. 30 pCt.
Im Falle I war der Schnitt des histologischen Präparates
so glücklich getroffen, dass ein ulzerierender Yenentuberkel im
Lungenhilus als Ausgangspunkt der miliaren Aussaat festgestellt
werden konnte.
Leider ist die Beobachtungsreihe, auf die sich diese Arbeit
stützt, nicht so gross, dass sich aus den erhaltenen Zahlen
weiteres schliessen liesse ; einen Beitrag, wenn auch von relativem
Wert, liefert sie dennoch zur Kenntnis der Krankheit, die bei
uns am meisten Opfer fordert, wenn man die Zahl der Lebens-
jahre, die sie vernichtet, in Betracht zieht.
Therapie.
Der heutige Stand der Wissenschaft gibt uns leider noch
kein Mittel in die Hand, das kausal die Tuberkulose zu heilen
vermag.
Für die Lungentuberkulose wurden meistens Wickel um die
Brust angewandt, dazu wurde ein Expectorans (Ammonium
carbonicum, Liquor ammoni anisatus) verordnet.
Chirurgisch wurde in 10 Fällen eingegriffen: Fussgelenks^
resektion, Trepanation des Processus mastoides (2 Fälle), Gelenks-
inzision, Inzision kalter Abszesse (3 Fälle), Eiteraspiration, blutige
Erweiterung einer Nabelfistel, Rippenresektion, Jodoformöl-In-
jektion.
Wenn alle diese therapeutischen Eingriffe bei den Fällen
dieser Arbeit nutzlos waren, so berechtigt dies doch nicht zu dem
Schlüsse, dass jede Therapie nutzlos sei. Wieviele Kinder, die
ohne objektive Symptome im ersten Lebensjahre an Tuberkulose
774 StirnimanD, Taberknlose im ersten Lebensjahre.
erkrankt waren, erst später der Krankheit erlagen oder gar
dieselbe überwanden, lässt sich nicht feststellen. Die Art und
Weise, wie die Aufgabe dieser Arbeit gestellt wurde, schloss auchFalle
von der Betrachtung aus, die im 1. Lebensjahre zwar manifest an
Tuberkulose erkrankten, aber nicht daran starben, so dass
die Diagnose nicht auf dem Sektionstische verifiziert werden
konnte.
Es bleibt mir noch die angenehme Pflicht, an dieser Stelle
meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. O. Wyss, meinen
aufrichtigsten Dank auszusprechen für die Unterstützung, die er
mir bei der Abfassung dieser Arbeit angedeihen Hess.
XXV.
Aus dem staatl. serotherapeutischen Institate in Wien.
(Vorstand Prof. R. Perltauf.)
Bemerkungen zu „Beitrag zur Serumbehandlung
der Diphtherie'* von Dr. S. Sehön-Ladniewsld,
gleichzeitig ein Beitrag
zur Frage der Haltbarkeit des Diphtherieheilserums.
Von
Privatdozent Dr. R. KRAUS,
Awiitent am Institute.
Herr Dr. Schön-Ladniewski hat im Augustheft dieser
Zeitschrift^) Fälle von diphtheritischen Erkrankungen veröffentlicht,
bei denen trotz Injektion von Heilserum ein letaler Ausgang
erfolgte; er bezieht denselben auf die Minderwertigkeit resp. den
eingetretenen Verlust an Antitoxingehalt im verwendeten Serum,
wofür er die vom hiesigen Institute vorgenommene Nachprüfung
anführte, welche die Zurückziehung der betreffenden Serien aus
dem Handel zur Folge hatte.
Es würde aus der Mitteilung hervorgehen, dass völlig Anti-
toxin bares Serum in den genannten Fällen vorgelegen hat und
es werde dem Rückgang der Heilsera an Antitoxinen für die
Praxis eine ausserordentliche Bedeutung zukommen, da ja Leben
und Tod davon abhängig erscheinen würden.
So verhalten sich die Dinge nun nicht; um einen solchen
verhängnisvollen Irrtum aufzuklären und die bei manchen Seris
auftretende Abnahme an Antitoxinen, wie sie tatsächlich vor sich
geht, genauer mitzuteilen, ist der Zweck folgender Ausführungen.
Herr Dr. Ladniewski konnte, wie auch der Leser seines Auf-
satzes, zur Vorstellung gelangen, dass das Serum der Serien 508,
509, 515 völlig unwirksam geworden ist, weil das Institut glatt-
J) Iir. Folge, 10 Bd., Heft 2.
776
Kraus, BemerkuDgen zu ,,Boitrag zur SerumbchandluDg
weg nur die Abnahme von Antitoxin bekannt gibt, die Zarack-
nähme der betreffenden Serien verfügte und keine Angabe über
die Grösse des Verlustes machte. Der Grund für dieses Vor-
gehen liegt aber nicht etwa in der Grösse des Verlustes, wie
man annehmen könnte, sondern in der Prüfungstechnik.
Das in den Handel gebrachte Diphtherieserum wird vor
der Verfüllung sowohl in der Produktions-Abteilung des Institutes,
als auch im Hauptinstitut nach der Ehrlichschen Bestimmung
ausgewertet. Die Überprüfung des im Handel befindlichen Serums
erfolgt je nach der Wertigkeit des Serums im fünften und im
dritten Monat. Wird bei der Überprüfung des Serums eine
Abnahme an Antitoxineinheiten gegenüber der Wertangabe kon-
statiert, so wird das Serum ohne Rücksicht auf kleinere oder
grössere Verluste von Antitoxineinheiten durch Zirkulamoten aus
dem Handel eingezogen. Die Eruierung des tatsächlichen Wertes
würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen.
Ganz konform mit den Angaben von Marx geht aus der
folgenden Tabelle hervor, dass die meisten Sera für gewöhnlich
auch nach Monaten in ihrem Antitoxingehalt nicht zurückgehen.
Tag der Prfifuiig
des Serums
Nachgewiesener
Wert
nach Ehrlieh
.Tag
der ÜberprAfang
Nach-
gewiesener
Wert
5. XII. 1902
200f.
4. VIIL 1903
dOOf.
16. IL 1903
180
8. VIIL 1903
180
28. IL 1903
200
16. X. 1903
200
9. III. 1908
200
16. X. 1908
200
16. IV. 1908
200
9. XL 1908
200
18. VL 1903
800
9. XL 1903
300
3. VIL 1903
200
24. XII. 1903
200
7. VII. 1903
800
26. X. 1903
300
19. VIII. 1903
220
11. L 1904
220
23. IV. 1903
400
12. XII. 1904
400
19. VIII. 1903
150
3. IIL 1904
150
19. VlIL 1903
200
3. III. 1904
200
25. VIL 1903
200
3. IIL 1904
200
19. VIIL 1903
200
6. IV. 1904
200
28. X. 1903
350
14. IIL 1904
350
Diese aus einer grossen Reihe von Überprüfungen heraus-
gegriffenen Bestimmungen lehren, dass die im Handel befindlichen
Sera zum grossen Teil nicht in ihrem Antitoxingehalte abnehmen.
Dass daneben auch Sera angetroffen werden, die bei der Über-
der Diphtherie** toh Dr. S. Schön-LadDiewski etc.
777
prufuDg nicht den Antitozingehalt aufweisen, wie er ursprünglich
gefanden wurde, ist eine Erfahrungstatsucke, die allen Prüfungs-
stationen geläufig ist und die auch Marx in dem angeführten
Artikel bespricht. Die Ursachen für die Abnahme des Antitoxin-
gehaltes der Sera in vitro kennen wir nicht Wir begegnen aber
dieser Erscheinung der Abschwächung nicht nur beim Diphtherie*
antitoxin, sondern auch bei anderen Antitoxinen (Tetanus), bei
Ambeceptoren, Agglutininen, Präcipitinen. Bei den letzteren
wissen wir, dass die Abschwächung in der Weise erfolgt, dass
die funktionelle Fähigkeit (Koagulabilität) zunächst verloren geht,
die bindende Fähigkeit aber erhalten bleibt, wobei gleichzeitig
eine Erhöhung der Avidität verbunden sein kann (Proagglutinoide,
Propräcipitoide Eisenberg und Volk, Kraus und v. Pirquel,
Müller). Erst nachdem auch die bindende Eigenschaft verloren
gegangen ist, haben solche Immunsera eine Abnahme ihres Gehaltes
an Agglutinin und Präcipitin erfahren. Diese Abschwächung
erfolgt sehr allmählich, so dass man noch nach Jahr und Tag
Agglutinin fast ohne Abschwächung finden kann. Die Ab-
schwächung der Antitoxine erfolgt in der Weise, dass das anti-
toxische Serum antitoxinärmer wird, d. h. einen geringeren Anti-
toxingehalt aufweist als vorher. Die folgende Tabelle zeigt dieses
Verhalten des antitoxischen Diphtherieserums.
Bei der Überpr&fuiig
Tag der Prüfung des
Serums
NacfagewlAsener Wert
betragt die Abnahme an
An titoxi nei nh eiten
höchstens
28. IL 1908
aoof.
100
22. V. 1903
500
100
25. VIL 1903
400
100
7. VII. 1903
220
100
28. IX. 1903
500
100
29. VII. 1908
300
50
8. VII. 1908
300
20
28. X. 1903
550
150
28. X. 1908
500
100
28. X. 1903
500
100
16. I. 1904
700
100
22. X. 1903
200
810
28. X. 1908
800
100
Der grösste Verlust, den die Sera erfahren haben kdonten,
beträgt 150 f. An)litoxineinheiten in 1 com. Die meisten Sera
778 Kraas, Bemerkungen zu , Beitrag zur Sernmbehandlung
erleiden Verluste, die höchstens 100 Antitoxineinheiten betragen
dürften. Die Verluste an Antitoxin können sicher aber geringer
sein, da bei der Überprüfung weitere Bestimmungen auf Grenz-
werte nicht gemacht werden. Jedenfalls lehren auch unsere Er-
fahrungen, dass das im Handel befindliche Serum in seinem Anti-
toxingehalte nur ganz allmählich zurückgeht und dann auch nicht
seinen Antitoxingehalt vollständig verliert. Die Sera, um die es
sich gewöhnlich handelt, die meist diese Erscheinung der Ab-
Schwächung aufweisen, sind hochwertige Sera, d. h. Sera, die in
1 ccm 400, 500 und noch mehr Antitoxineinheiten enthalten.
Überprüfungen nach 1 — 2 Jahren zeigen, dass die Verluste
an Antitoxin für gewöhnlich nicht einmal 100 Antitoxineinheiten
überschreiten.
Nur in ganz seltenen Fällen und das nur bei sehr hoch-
wertigem Serum (700f. und lOOOf.) kann die Abschwächung rascher
erfolgen und 300—400 Einheiten betragen. Nachdem, wie er-
wähnt wurde, unsere Sera sowohl in der Filiale als auch im Haupt-
institut zweimal der Prüfung unterzogen werden, die Zeit zwischen
der ersten und zweiten Prüfung 1 — 2 Monate beträgt, die Sera
bei der ersten Prüfung bereits ältere sind, lässt sich eine der-
artige rapide Abnahme bereits vorher, bevor das Serum in den
Handel gelangen konnte, konstatieren, Da die Überprüfungen
des Serums, 3 und 4 Monate nachdem sie abgegeben sind, auf den
angegebenen Wert erfolgen und sobald dieser Wert nicht mehr
nachgewiesen werden kann, die Sera aus den Handel gebracht
werden, sind die Verluste von Antitoxinen des im Handel be-
findlichen Serums nicht bedeutende, da selbst nach 1 — 2 Jahren
noch höchstens 100 Antitoxineinheiten pro ccm verloren gegangen
sein dürften.
In dem eingangs erwähnten Aufsatze beschuldigt Herr
Dr. Schön-Ladniewski die Unwirksamkeit des Diphtherieserums
als Ursache für den Exitus letalis und führt die Unwirksamkeit
des Serums auf Verlust des Antitoxingehaltes zurück. Die Sera,
welche in diesen Fällen verwendet werden, haben sich allerdings
bei der Überprüfung als nicht vollwertig erwiesen und wurden
deshalb aus dem Handel eingezogen. Wie bereits gesagt wurde,
werden die Sera darum eingezogen, weil der angegebene Wert bei
der Überprüfung nicht gefunden wird, nicht wie viele anzunehmen
geneigt sind, weil das Serum seinen Antitoxingehalt vollständig
eingebüsst hat. Um zu zeigen, dass die Abschwächung noch nach
mehr als einem Jahr nur eine partielle ist, wurden die von Dr.
der Diphtherie" von Dr. S. Schöa-LadDiewski etc. 779
Schön - Ladniewski verwendeten Serie 503 und Serie 515
(Serie 509 konnte nicht geprüft werden, da kein Probefläschchen
mehr vorhanden war) einer neuerlichen Überprüfung unterzogen.
Die Prüfung ergab, dass das Serum jetzt nach mehr als Vj^ Jahren
vom Tage der ersten Prüfung höchstens einen Verlust von
100 Antitoxineinheiten aufzuweisen hatte.
Serie 508, geprüft am 28. II. 1903 als 300fach, überprüft
am 4. IX. 1904 als 200fach gefunden.
Serie 515, geprüft am 23. III. 1903 als SOOfach, überprüft
am 4. IX. 1904 noch als 400fach erwiesen. ^
Den 1. Fall, bei dem das Serum nicht gewirkt haben soll,
der um 9 Uhr abends injiziert wurde und in der Nacht letal ver-
laufen ist, kann man unmöglich heranziehen, da es sich entweder
um eine sogenannte toxische Diphtherie (der Kliniker) handeln
konnte oder um einen Fall, in dem das Serum zu spät angewendet
wurde.
Im 2. Falle wurden 5500 Antitoxineinheiten injiziert. Welche
Serie in den einzelnen Fällen injiziert wurde, ist nicht angegeben.
Angenommen, es ist Serie 509 injiziert worden (war ISOfach), so
würden bei einem Verluste von 100 Einheiten, der bei einem l80f.
Serum überhaupt nicht vorkommt, immer noch mehr (2442 A. E.)
injiziert worden sei, als für gewöhnlich injiziert wird. Wurde aber
Serie 515 oder 508 injiziert (1500 A. E.), so müsste bei dem
nachgewiesenen Verluste dieser Sera, der nach Vj^ Jahren höchstens
100 Einheiten beträgt, noch ebensoviel Antitoxin angewendet worden
sein als für die schwersten Fälle von unseren Klinikern verwendet
wird (4392 E. oder 3660 E.).
Im 3. Falle wurden 13500 Einheiten injiziert. Berechnet
man ebenso wie in den früheren Fällen den höchsten Verlust an
Antitoxin, den diese Sera zu dieser Zeit erlitten haben könnten,
so wurde noch mehr Antitoxin verwendet als für gewöhnlich
injiziert wird (entweder 5994 E. oder 10800 oder 9000 E.).
Daraus und aus dem früher Gesagten geht ganz klar hervor,
dass die Annahme des Herrn Dr. Schön-Ladniewski von der
Wirkungslosigkeit dieser Sera infolge Abschwächung und Mangel
an Antitoxin vollständig unbegründet erscheint.
XXVI.
(Aus der Nervenklinik und Kinder-Poliklinik der Kgl. Charite.)
Über angeborene familiäre Hypoplasie des Kleinhirns.
Vorläufige Mitteilung
von
H. FRENKEL-(HEIDEN) und L. LANGSTEIN.
Obiger Titel soll nicht etwa die sichere Diagnose der im
Nachstehenden mitzuteilenden Fälle bezeichnen, namentlich nicht
die Frage präjudizieren, ob ausser der Hypoplasie des Cerebellum
anderweitige anatomische Veränderungen des Nervensystems sich
finden, eine Frage, welche bei dem jetzigen Stande unserer Kennt-
nisse von den Funktionen des Kleinhirns und dem zu- und ab-
leitenden Bahnen desselben nur mit grosser Vorsicht zu bebandeln
und in vivo nicht zu entscheiden ist. Andererseits schienen uns
aber diese Fälle besonders geeignet zur Diskussion der Möglich-
keit einer klinischen Abgrenzung von angeborenen Hypoplasien
des Kleinhirns selbst, von den Veränderungen der mit ihin in
Verbindung stehenden Bahnen, bezw. von den meist mit ihm
kombinierten Hypoplasien benachbarter Teile des Zentralnerven-
systems.
Eine solche Abgrenzung scheint uns in der Tat möglich,
und es sollen die im Folgenden beschriebenen Beobachtungen eine
Stütze dieser Ansicht sein. Sie hätte nicht allein theoretisches
Interesse, sondern gewänne auch praktische Bedeutung durch
die prognostischen Schlüsse, welche sich aus ihr ergeben.
Die folgenden Beobachtungen beziehen sich auf drei Ge-
schwister von denselben Eltern. Die Kinder sind bereits in der
Sitzung der Gesellschaft für Nervenheilkunde und Psychiatrie
(1904) von Herrn Dr. Rosenberg kurz vorgestellt und als
Formes frustes der Fried reichschen Ataxie bezeichnet worden.
Sie wurden später in der Kinder-Poliklinik der Kgl. Charit^ und
in der Nervenklinik der Charit^ beobachtet. Wir sind den Leitern
Frenkel'(Heideii) und Langstein, Über angeboreDe etc. 781
dieser Kliniken, den Herren Geh. Rat Prof, Dr. Heubner and
Prof. Dr. Ziehen, zu grösstem Dank verpflichtet für die gütige
Überlassung dieser Fälle zur Publikation.
Äoamnese: Der Vater ist Potator, die Mutter gesuDd, für Lues keine
^nhaltspankte, aach keine andersartigen Erkrankungen in der Familie. Der
älteste Bmder ist 22 Jahre alt, von Gebart an vollständig gesund; an der
ISj&hrigen Schwester, die immer gesund war, ist deutlich Nystagmus beim
Blioke nach rechts und links nachweisbar. Der 16jährige, sonst gesunde
Bruder zeigt ebenfalls Nystagmus. Eine 10jährige Schwester ist gesund^
ebenso ein 8jähriger Bruder. Ein Bruder starb mit einem Jahre, angeblich
an Krämpfen während einer fieberhaften Erkrankung.
Johann Kanafa, 12 Jahre alt, teils natürlich, teils künstlich auf-
gezogen, entwickelte sich angeblich gut, hatte niemals Krämpfe, doch gibt
die Mutter an, dass ihr schon in den ersten Wochen das Gesicht auffallend
schief erschienen sei. Das Kind lief mit P/s Jahren, seit 2 Jahren macht
sich Schwäche in den Beinen bemerkbar. Schulbildung im 6. Jahre, schlechte»
Fortkommen. In der polnischen Sprache erzogen, hat das Kind später recht
gut deutsch gelernt. Jetzige Klagen: «Ich habe schlimme Beine, kann nicht
gerade laufen, ich muss so laufen wie ein Besoffener, und dann kann ich so-
schlecht sprechen.^
Status praesens: Geringe Drüsenschwellungen am Halse, innere
Organe ohne pathologischen Befund, kostaler Atemtjpus.
Nervensystem: Keine Augenmuskellähmungen. Horizontaler Nystag-
mus, besonders beim Blick nach rechts und links. Prompte Reaktion der
Pupillen auf Lichtoinfall und Akkommodation. Augenhintergrnnd normal.
Corneal- und Masseterretlex symmetrisch. In der Ruhe steht meist der linke
Mundwinkel etwas tiefer als der rechte; Lachen symmetrisch, beim Lächeln
wird bald der rechte, bald der linke Fascialis stärker innerviert, ständige^
anscheinend unwillkürliche Verziehungen in der Mundmuskulatur, hauptsächlich
langsames Indiehöheziehen des Mundes auf der einen Seite und Einstülpen
der Lippen. Beim Zähnefletschen ist die linke Nasolabial falte tiefer als die
rechte, Augenzukneifen symmetrisch, die Zunge wird unter geringem Zucken
gerade vorgestreckt; Geruch, Geschmack, Gehörsinn ohne Besonderheit,
Gaumenreflex normal.
Sprache: Deutliches Lispeln, kein Häsitieren, kein Silbenstolpern.
Obere Extremität: Rohe Kraft beiderseits gleich. Beim Drücken
wird das Gesicht verzogen, dabei tritt deutlich eine Minderinnervation de&
linken Facialis hervor. Geringe Hypotonie in beiden Ellenbogen, stärkere
Hypotonie in dem Handgelenk, die Hände können sowohl überstreckt als
überbeugt werden; ebenso können die Finger in den Metacarpophalangeal-
gelenken übermässig gebeugt werden. Tricepssehnenreflex beiderseits lebhaft.
Beim Zeigefinger -Nasen versuch leichtes ataktisches Schwanken, das bei
Augenschluss etwas zunimmt. Links Ataxie stärker als rechts.
Rumpf: Beim Sitzen mit verschränkten Armen leichtes Schwanken,
das bei Augenschluss zunimmt. Bei ganz legerem Sitzen sieht man des
öfteren ruckartige Bewegungen des Rumpfes. Langsames Hinlegen und Auf-
richten bei verschränkten Armen möglich. Epigastrische Reflexe lebhaft,.
Kremasterreflex sehr lebhaft.
782 FreDkel-CHeiden) und Längste in, Ober angeborene
Untere Extremit&t: Hypotonie in den Hüftgelenken, starke Hypotonie
im Qnadriceps, geringe Hypotonie in den Knie- und Fussgelenken, grobe Kraft
anscheinend angestört. Kniehakenversach bedingt links äasserst geringe
ataktische Schwankungen, rechts etwas stärkere, jedoch keine Zunahme beim
Augenschlnss. Patellarsehnenreflexe beiderseits gesteigert, Achillessehnen-
reflexe beiderseits positiv, kein Fussklonus, Plantarreflex beiderseits positir.
Keine Lagegefühlsstörungen in den unteren und oberen Extremitäten. Taktile
■Sensibilität am ganzen Körper intakt.
Gang: Die Fasse werden -etwas stampfend aufgesetzt, die Knie wenig
durchgedruckt, Taumeln beim Gehen, bald nach rechts, bald nach links, zu-
weilen Überkreuzung der Beine. Beim Gehen mit offenen Augen keine
konstante Richtun gsab weich an g, beim Gang mit geschlossenen Augen deutliche
Zunahme der Richtungsabweichung und des Schwankens. Stehen mit ge-
schlossenen Füssen und offenen Augen gut möglich, dabei leichte Rumpf-
oszillationen,bei Augenschlnss nehmen diese Oszillationen nur ganz unbedeutend
zu; Stehen auf einem Bein, auch bei offenen Augen, nicht möglich. Dabei
namentlich starke Frontalschwankungen. Intelligenz gut.
Kasimir Kanata, 6 Jahre alt, teils natürlich, teils künstlich auf-
gezogen, lief mit zwei Jahren, ein Jahr hierauf, angeblich im Anschluss
an eine Erkältung, schlecht, wurde leicht schwach und klagte über Schmerzen
in den Füssen; der Arzt Yerordoete Einreibungen; trotzdem blieb der schlechte
Gang bestehen, und die Mutter glaubte eine zunehmende Abmagerung der
Beine zu bemerken. Wurde nach einmoDatlichem Schulbesuch wegen Schwäche
entlassen. Seit der Geburt angeblich schiefes Gesicht.
Status: Nicht auffallend zurückgebliebener Knabe, innere Organe
ohne Besonderheiten, Thorax leicht asymmetrisch, zu Ungunsten der rechten
Seite, geringe Spuren von Rachitis, keine Kyphoskoliose, die auch bei den
anderen Geschwistern nicht besteht. Schädel ohne Anomalie, Umfang 50 cm,
Geruchsinn normal, Augenhintergrnnd zeigt eine Andeutung von Staphylom,
Pupillen gleich weit, Pupillenreaktion prompt, Konvergenz nicht zu erzielen.
Comealreflex positiv, Augenmaskelnerven intakt, horizontaler Nystagmus,
(ebenso beim Blick nach oben, beim Blick nach unten nur angedeutet), nament-
lich rechts. Trigeminus, soweit prüfbar, intakt. Uvula weicht scheinbar
etwas nach links ab, genaue Prüfung wegen Erbrechens unmöglich, Zangen-
spitze weicht spurweise nach links ab. Das Kind stellt sich ungeschickt an
beim Stirnrunzeln, Zähnefletschen, spitzt aber gleichmässig den Mund.
Paresen sind nicht sichtbar. Dagegen sieht man ab und zu eine tickartige
Innervation des rechten Facialis, wobei die Augenspalte kleiner und der
Mundwinkel nach oben gezogen wird. Auch auf der linken Seite treten
diese tickartigen Bewegungen ein, aber seltener. Gehör ohne Befand. Obere
Extremitäten: Grobe Kraft völlig intakt, sparenweise Ataxie, beim Finger-
nasenversuch rechts und bei Augenschlnss stärker. Die Finger lassen sich
leicht hyperextendieren, sonst keine deutlichen Zeichen von Hypotonie.
Triceps-Sehnenreflex beiderseits positiv, Periostreflex lebhaft, Maskelreflex
lebhaft, Sensibilität und Muskelgefühl anscheinend intakt. Rumpf: Im
Sitzen nur bei Augenschlnss geringes Schwanken im Oberkörper, Aufrichten
ohne Znhülfenahme der Hände möglich, Bauchdecken-Kremaster-Reflex lebhaft.
Wirbelsäule nirgends schmerzhaft. Untere Extremitäten: Grobe Kraft gut,
familiäre Hypoplasie des KleinhirDs. 783
keine Atrophien and Paresen« Hypotonie in der Hüfte m&ssig beim Gehen,
stärker bei Abdnktion. Starke Hypotonie des Quadriceps, Rampfhypotonie
nur angedeutet, Hantsensibilit&t') und Muskelgefühl anscheinend intakt, beim
KniehakenYersuch geringe Ataxie rechts, etwas stärkere links, noch stärker
'bei Augeflschluss. Patellarsehnenreflex sehr lebhaft, Achillessehnenreflex
positiy, kein Babinski, kein Oppenheim. Stehen mit geschlossenen
Angen ist unmöglich, breitbeiniges Stehen mit Schwanken yerbunden, Augen -
schluss verstärkt nicht das Schwanken, Stehen auf einem Bein unmöglich,
Gang breitbeinig, schwankend, Sprache etwas undeutlich und lispelnd, aber
ohne schwere Artikulationsstörungen, lautes Schreien möglich, erschöpft
sich aber scheinbar schnell. Intelligenz gut.
Magdalena Kanafa, 4 Jahre alt, erhielt eine Woche lang Brast,
dann künstliche Ernährung, öfter Lungeukatarrh; Beginn des Gehens mit
drei Jahren, von Beginn schlecht und schwankend. Seit Geburt schiefes
Gesicht und linksseitige Gesiehtszucknngen; rasches Ermüden beim Gehen.
Status: Kräftig entwickeltes Kind, innere Organe ohne Befund, Ohrläppchen
beiderseits angewachsen, unbedeatender Rosenkranz, keine Verkrümmungen
der Wirbelsäule, Schädelumfang 48 cm. Nystagmus beim Blick nach den
Seiten, prompte Pupillenreaktion und Coroealreflexe, Angenhintergrund normal,
TrigeminuB intakt, meist wird der linke, manchmal der rechte Facialis stärker
innerviert, eine eigentliche Parese scheint nicht zu bestehen. Gehör an-
scheinend gut, Gaumenhebung symmetrisch, obere Extremitäten ohne Atro-
phien, grobe Kraft erbalten, Reflexe auslösbar, Sensibilität anscheinend intakt,
Rumpf, Wirbelsäule nicht klopfempfindlich, Hypotonie der Wirbelsäule, der
Rumpf kann soweit gebeugt werden, dass der Kopf zwischen die Füsse ge-
langt. Sensibilität intakt Aufsitzen ohne Zuhilfenahme der Arme gut mög-
lich. Untere Extremität: keine Atrophie, Ataxie beim Kniehakenversuch
angedeutet, keine Spasmen, enorme Hypotonie in den Hüftgelenken, grobe
Kraft gut, Patellarsehnenreflex und Achillessehnenreflex positiv, Fasssohlen-
reflex plantar, Romberg stark positiv, schon bei offenen Augen und nicht
geschlossenen Füssen. Gang breitbeinig, bald nach rechts, bald nach links,
auch nach vorn schwankend. Sensibilität intakt. Beim Gang mit geschlossenen
Angen ist die Störung qualitativ etwa dieselbe, nur wesentlich erheblicher,
der ganze Körper gerät dabei in eine leichte Rotation nach links. IntelligenK
anscheinend gut.
Wenn sich auch gegen die Bezeichnung hereditäre, bezw.
familiäre Ataxie als symptomatische Diagnose nichts einwenden
lässt, 80 erheben sich doch wesentliche Bedenken gegen die glatte
Einreihung dieser Erankheitsbilder unter die Friedreichsche
Ataxie. Hierbei ist zu bedenken, dass schon sehr bald nach
dem Erscheinen der von Friedreich gegebenen Beschreibung
verschiedenartige Beobachtungen unter dem Titel „Friedreichsche
Ataxie" veröffentlicht wurden, sobald Heredität, bezw. familiäres
0 Bei dem Müllerschen Versnch (Heben von Gewichten) ergeben
sich statt der normalen 70 pCt. richtiger Fälle, ebensoviel richtige wie
falsche Fälle.
Jahrbuch lür Kinderheilkunde. X. F. LXI. Hell 5. 51
784 Frenkel-(Hoideii) und Langeteio, Über aDgeborene
Auftreten und eine Eoordinationsstörung sich fanden, auch ohne
dass sich das Kranich eitsbild mit dem von Friedreich gezeich-
neten völlig deckte. Bekanntlich ist hierbei die Frage nach der
Mitbeteiligung des Cerebellum schon sehr bald diskutiert worden..
Wir behalten uns die Besprechung dieser Verhältnisse für die
ausführliche Publikation vor und heben hier nur diejenigen Ab-
weichungen von der von Friedreich gegebenen Beschreibung
hervor, die uns von prinzipieller Wichtigkeit zu sein scheinen:
I. Erhaltensein, zum Teil Lebhaftigkeit der Sehnenreflexe
in allen vier Extremitäten.
IL Fehlen von gröberen Sensibilitätsstörungen in Haut,
Gelenken und Muskeln, wie sie sich bei der Friedreichschen
Krankheit regelmässig finden.
III. Fehlen der Skoliose.
IV. Fehlen des charakteristischen Friedreichschen Fusses.
V. Auftreten im frühesten Kindesalter.
VI. Stationärer, zur Besserung neigender Verlauf im Gegen-
satze zum langsam, aber unaufhaltsam sich verschlechternden
Zustande bei den typischen Friedreichschen Fällen.
Schon diese Tatsachen, namentlich der ganz andersartige
Verlauf lassen eine besondere Klassifizierung dieser Fälle wünschens-
wert erscheinen. Es finden sich aber auch in den auf beiden
Seiten anzutreffenden, anscheinend gleichartigen Symptomen eine
Reihe von Abweichungen.
Zunächst in dem Bilde, unter welchem sich die Ataxie darstellt.
In der Bettlage ist eine Koordinationsstörung bei unseren Bändern
kaum zu bemerken, auch bei Augenschluss sind die Bewegungen
unverändert; das Gehen ist hauptsächlich charakterisiert durch
die Breitspurigkeit der Beinstellung; Abweichungen von der
Richtungslinie beim Gehen sind kaum vorhanden; das Gehen ge-
schieht ohne Hilfe. Im auffallenden Gegensatze hierzu steht
bei unseren Kindern die Unfähigkeit, den Rumpf in Ruhe zu er-
halten und vor allem selbst für Sekunden auf einem Bein zu
balanzieren — also eine Rumpf-Ataxie.ohne nennenswerte Geh-
störungen, wie sie bei der tabischen Friedreichschen Ataxie
nicht vorzukommen pflegt. Wir finden vielmehr bei letzterer ein
äusserst charakteristisches Verhalten, beruhend auf einer Kombi-
nation von Rumpfataxie und einer durch die (nacli unseren eigenen
Untersuchungen) niemals fehlenden Störungen des Lage- und
Muskelgefühls bedingten, der tabischen durchaus analogen Koordi-
nation sstörung der Extremitäten,
familiäre Hypoplasie des Kleinhirns. 785
In zwei anderen eigenen analogen Fällen, die wir bei der
4iusfahrlichen Publikation verwerten wollen, war auch das Stehen
absolut unmöglich, damit naturlich auch jede Gehbewegang.
Ein besonders wichtiges Symptom ist die Hypotonie der
Muskulatur. Sie findet sich auch bei der Friedreichschen
Ataxie, namentlich, wenn deutliche cerebellare Symptome vor-
handen sind; niemals aber in so hochgradigem Maasse, wie bei
unseren Fällen. Namentlich ist die Verbindung von hochgradiger
allgemeiner Hypotonie mit lebhaften, manchmal auch sehr ge-
steigerten Sehnenreflexen, ohne Babinski, nach unserer Meinung
sehr charakteristisch für diese Zustände.
Auch die Besprechung der Frage, ob unsere Fälle von der
H^redoataxie cerebelleuse abzugrenzen sind, behalten wir uns
für später vor. Erwähnt sei nur, dass von dem von Marie
selbst gezeichneten Bilde die Abweichungen offenbar sind (Auf-
treten im Alter von über 30 Jahren, spastische Erscheinungen,
meist progressiver Verlauf). Dagegen scheinen sich unsere Be-
obachtungen im wesentlichen zu decken mit der H^redoataxie
^cerebelleuse späterer Autoren.
51»
Literaturbericht.
Zusammengestellt von Dr. B. SALGE,
AsslBtent an der Uolyenltilu-Kinderkllnlk In Berlin.
IV. Infektionskrankheiten.
Beitrag sur Epidemiologie der DipMkeriHs, Von H. Fidler. Ozasopismo
lekarskie. 1904. No. 7 q. 8. (Polnisch.)
Aof Grund ausgebreiteter Forschung gelangt Verf. zu nachfolgenden
Schl&ssen: 1. Die Diphtheritis ist in geringem Grade ansteckend und wird
durch die Lnit nicht übertragen. 2. Der Diphtheriebacillus wird nur in den
PsendomembraneB und im Schleime des Rachens und des Mundes Tor-
gefunden. 8. Sie entsteht durch unmittelbare Übertragung des Bacillus
durch die Finger, den Mund, Haare und Kleidung. 4. Die Ausbreitang der
Epidemie hängt einzig ab von der Lebensart der Familie. 5. Das Inkubations-
Stadium dauert 1 — 8 Tage, selten 20—32 Tage, und um den Bacillus auf-
zunehmen, muss man mit dem Kranken mindestens sechs Stunden bei-
sammen sein.
Prophylaktisch muss demnach der Kranke isoliert und dem Kranken-
wärter Reinlichkeit aufgetragen werden; die Gesunden sollen Mund und
Rachen mit Desinfektionsmitteln spülen; die Rekonyaleszenten sollen noch
acht Tage nach dem Ablösen der Membranen mit Gesunden nicht zusammen-
kommen; die Wohnung soll nicht desinfiziert, sondern nur der Fussboden
im Krankenzimmer gewaschen werden; die Krankenwäsche soll in Lauge
gekocht werden, und es soll überhaupt verboten werden, fremde Kinder zu
küssen. Es soll demnach den gesunden Miteinwohnern eines diphtherie-
kranken Kindes erlaubt sein, die Schule zu besuchen, Menn dieselben gewisse
Vorschriften, betreffend ihre eigene Person, beobachten.
In der Diskussion wendeten sich die Redner gegen einzelne Punkte
dieser radikalen Bestimmungen, welche natürlich in der von F. angegebenen
Form mit Vorbehalt acceptiert werden müssen.
Jan Landau-Krakau.
Über du Besiehung der Rhinitis fibrinosa zur Diphtherie, Von L. Wolff.
Deutsche med. Wochenschr. No. 2. 1905.
Verf. teilt die Krankengeschichten dreier Kinder mit fibrinöser Rhinitis
mit, bei denen es sich zweifellos um Diphtherie handelte. Auf Grund seiner
Beobachtungen glaubt sich Verf. gegen die Auffassung der häufig rein
schmarotzenden Natur der Diphtheriebazillen beim Schnupfen der Säuglinge,
aber wenig überzeugend, wenden zu müssen. Misch.
IV. Akute InfektioDskrankheiteii. 787
Dva pripady ulcerosni an^ny Vi$tceuiooy re veku deUkem. (Zwei Fälle von
. Angina ulcerosa VincenH im Kindesalier.) Von Wenzol Pexa. Casopis
Uka]^a desk^ch. 1904. No. 45. p. 1239.
Verf. beschreibt zwei FftUe der Erkrankaog bei KiDdern Ton 2 und
3>/4 Jahren. Beide Fälle waren als Diphtherie ins Spital eingeliefert worden;
sie zeigten graaweisse, zusammenhängende Membranen an den Tonsillen and
starken Foetor ex ore. Nach Abstossang der Membranen entstanden tiefe
Geschwüre, die zögernd aasheilten. Der mikroskopische bakteriologische
Befand zeigte Bac. fusiformis and Spirochaete; die Kultar gelang auch
Pexa nicht
Die Fälle heilten in kurzer Zeit ohne Komplikationen ab.
Schleissner.
School dipkiheria in ike nutropolis. Von G. J. Thomas. Brit. med. Joum.
27. Aug. 1904.
Die Arbeit legt dar, dass man in England gelegentlich weit energischer
gegen die Diphtherie-Übertragung in den Schulen vorgeht als bei uns. Die
Schliessung einer Schule hält der Verf. für eine anzweckmässige ond nicht
«inmal genügende MassregeK Verf. spricht sich dafür aus, bei Ausbruch
Ton Diphtherie einer Klasse sämtliche Kinder bakteriologisch zu unter-
auehen und diejenigen aoszuschliessen , bei denen die Diphtheriestäbchen
gefunden werden. Verf. erläutert das Vorgehen an einzelnen Beispielen, die
sehr für die Methode za sprechen scheinen. Die Übertragung erfolgt meist
durch die leichten Fälle, eventuell auch durch Rekonvaleszenten, die nach
seiner Ansicht auch sämtlich bakteriologisch untersucht werden sollten, bevor
man sie wieder in die Schule schickte. Jap ha.
Über postdiphiheriscke Nephritis, Von Arthur Mayer. Münch. med. Wochen-
schrift. No. 46. 1904.
Mitteilung zweier Fälle, in denen die Nephritis nach Ablauf aller £r~
scheinungen, bei täglicher chemischer und mikroskopischer Urinuntersuchung,
«rst in der dritten Woche auftrat. Schon einige Tage, bevor das Eiweiss
chemisch nachweisbar wurde, zeigten sich Formelemente im Sediment.
Misch.
Bakteriologische Untersuchungen bei Keuchhusten, Von P. Smit. Inaugural-
dissertation. Utrecht 1904.
Die fleissige Arbeit enthält eine gründliche Literaturstudie. Des Ver-
fassers eigene Untersuchungen lassen sich wie folgt resümieren:
I. In 24 Keuchhustenfällen, welche im Frühling und im Sommer 1908
in Utrecht beobachtet wurden, fand sich in der Spatis konstant und in
grösserer Zahl der sogenannte Bac. pertussis Eppendorf. Mit einer Aus-
nahme wurde dieser Bacillus ebenso gefunden in dem Auswarf von 8 Kindern
aus einer Keucbhustenepidemie in Amsterdam. Bei den Amsterdamer Fällen
waren die Stäbchen im allgemeinen ein wenig grösser als bei der Utrechter
Epidemie.
Das Blutserum von Keuchhustenkranken agglutinierte den Bac. pert. E
nicht; ebensowenig geschah dies aber durch die Sera von einem Pferde und
von Ziegen, welche gegen den Bacillus immunisiert worden waren.
Für junge Caviae erwies sich der Bac. pert. E. pathogen, besonders bei
intraperitonealer Injektion; die Virulenz eines selben Stammes war aber
788 Literatarberieht.
sieht koosUnt Die Kraokheitssymptome, welche diese Tiere zeigten, und
der SektioDsbefand stimmten überein mit demjenigen, was Delias nnd Koile
für den Inflnenzabacillns gefanden haben.
Aach ein Kaninchen starb nach intrayenöser Injektion mit dem Bac. pertS.
an Allgemeininfektion durch diesen Bacillus anter L&hmongserscheinangen.
Ein zweites Kaninchen bekam eine doppelseitige Conjanktiyitis nnd im
Exsudate wurden der Bac. pert. E. gefunden.
Ein Pferd, das gegen den Bac. pert. E. immunisiert wurde, reagierte
bisweilen auf die subkutanen Injektionen mit ernsten Krankheitserscheinungen^
Es gelang Verf. nicht, irgend eine spezifische Eigenschaft in diesem Serum
zu entdecken.
Einen anderen Beweisgrund f&r die Spezifität des Bac. pert. £. als
dessen konstante Anwesenheit in den Sputis von Keuchhustenkranken kann
Verf. also nicht anfuhren.
II. In 10 Keuchhnstenfillen fehlte der sogenannte Bae. z. im Auswurf.
Zum Vergleich diente eine Kultnr Tom Bae. z., Ton Dr. Manicatide dem
Verf. zur Verfügung gestellt, und ein Serum, dass in starker Verd&xmung
diesen Bacillus agglntinierte.
Dann und wann konnte Verf. eine sehwache Agglutination vom Bac z.
beobachten durch das Serum yon Keuchhustenkranken; einmal fehlte die
Reaktion gänzlich.
Verf. leugnet einen Zusammenhang zwischen Bac. z. und die
Pertussisätiologie.
III. In mehreren Fällen, welche mit Absicht darauf untersucht wurden,
fanden sich die Poibakterien Gzaplewskis, immer jedoch nur in geringer
Zahl. Nicht selten fehlten sie gänzlich auch da, wo Platten mit Löffiers
Serum angewendet wurden.
Den Untersuchungen mehrerer Aatoren nach fehlen diese Bakterieo
oft in dem Aasworf yon Keuchhusten kranken, und da das Vorkommen
konstant und in grösserer Zahl das einzige richtige Argoment ist für die
Spezifizität derselben, so ist es nach der Meinung Verfassers unwahr-
scheinlich, dass die Polbakterien das Agens der Pertussis sein wurden.
Cornelia de Lange -Amsterdam.
Diphtherie und Croup, mit und ohne Serum dehandelt. Von J. Fels. Wien,
med. Presse. No. 52. 1904.
Die yerwendeten Fälle stammen sus der Priyatpraxis. Die Scheu der
Eltern' yor dem Serum, der relatiy hohe Preis des Mittels und andere Um-
stände haben dazu geführt, dass Fels unter den in den letzten 6 Jahren be>
obachteten Fällen eine Anzahl ohne Serum behandeln musste. Mit Serum
wurden 30 Fälle behandelt, yon diesen 21 mit Rachendiphtherie, 2 mit
Larynx-Group und 7 mit Rachenkehlkopfdiphtherie. Letal endete nur der
Fall eines zehnmonatlichen Kindes (Rachen- nnd Kehlkopfaffektion}. Drei-
mal trat ein uniyerselles Exanthem auf. Neben der Allgemeinbehandlung
mit Serum wurde die Lokalbehandlung nicht ganz yernachlässigt. Zweimal
wurden auch prophylaktische Injektionen mit gutem Erfolg angewendet.
Des Autors Erfahrungen ergeben — wie anderer Autoren — eine Dauer der
Immunisierung yon nicht mehr als 2 — 8 Wochen.
IV. Aknte Infektionskrankheiten. 789
Ohne Seram wurden 29 F&lie, 17 mit Rachendiphtherie, 10 mit Larynx-
Oronp nnd 2 kombinierte behandelt. Zwei erst am dritten Tage in Behand-
lang gekommene GroapfUlle starben. Die Behandlang des Kehlkopf Croups
bestand in der Darreichung von Brechmitteln und Expektorantien, Inhalation,
Applikation Ton Senfflaster and Blutegeln. In drei F&Uen mnsste schliesslich
doch Serum angewendet werden. Ein ohne Serum behandelter Fall yon
Rachendiphtherie (9monatl. Knabe) endete tödlich. Also kamen auf 29 ohne
Serum behandelte Fälle 3 Todesfälle.
Verf. empfiehlt für alle, auch leichteste Fälle, sofortige Anwendung
des Serums.
Als Inkubationszeit berechnet Fels 2—7 Tage.
Neurath.
Behandlung des Scharlach. Von Wlazlowski. Noriny lekarskie. No. 11.
1904. (Polnisch.)
Da die Haaptursache der schweren Scharlachfälle in Komplikationen
Ton Seiten des Rachens gelegen ist, empfiehlt W. folgende Behandlungsart :
Im Anfang wendet er eine Mischung an von Kali chloricum 2,0 mit Natrium
salicylicum 4,0 : 150,0, zweistündlich einen Esslöffel bei Kindern Ton zwei bis
Tier Jahren. Das Fieber fällt gewöhnlich infolge dessen ab und es bilden
sich nicht die pseudodiphtheritischec Membranen. Wenn sich dennoch diese
Membranen bilden, reicht er Hydrargyrum cyanatnm 0,02—0,03 : 150,0, zwei-
stündlich einen Esslöffel. Bei schweren Fällen mit Rachen membrauen wird
auch antidiphtheritisches Serum injiziert. Dabei Umschläge am Hals und
lauwarme Bäder. Die Wirkungsweise des Hydrargyram cyanatum erklärt
Verf. durch Einwirkung auf die Streptokokkentoxine, wie dies seine aus-
gezeichnete Wirkung bei Erysipel beweist.
Jan Landau-Krakau.
Beilrag smr Behandlung des Scharlachs mit Scharlachserum. Von J. Brud-
zinski. Gazeta lekarska 1904. No. 25 u. 26. (Polnisch.)
Auf Grund tou fünf beobachteten Fällen macht Verf. folgende Be-
merkungen: 1. In drei Fällen war Exanthem infolge der Serumeinspritzung
zu bemerken, 2. die bisher injizierte Menge von 40—50 ccm muss dahin
geändert werden, dass diese Dosis in sehr schweren Fällen höher gegriffen
und wiederholt werden soll, bei kleineren Kindern und in leichteren Fällen
dieselbe vermindert werden sollte, 3. in keinem der Fälle war Nierenentzündung
zu bemerken. Verf. spricht jedoch nicht sein endgültiges Urteil aus über
die Möglichkeit des Auftretens der Nephritis, da die Zahl der beobachteten
Fälle zu gering ist. Jan Landau-Krakau.
Beitrag sur Behandlung des Scharlachs mit Scharlachserum. Von W.Pulawski.
Czasopismo lekarskie. 1904. No. 8 u. 9. (Polnisch.)
Es wurden Ton 46 Scharlachfällen 28 mit Bujwidschem Serum be-
handelt, welche den Verfasser zu folgenden Schlössen yeranlassen: 1. Das
Serum verursacht keine lokalen und keine allgemeinen Nebenerscheinungen,
2. in schweren Fällen (fünf) war keine positive Wirkung zu sehen, in den
übrigen sieben wirkte es positiv, indem es den Ausschlag beschleunigte und
seine Dauer abkürzte, die schweren Erscheinungen abschwächte; es scheint
dass das Serum die Komplikationen verhütete. 3. in mittelschweren und
leichten Fällen wirkt das Serum (10 ccm) im Beginne injiziert ganz deutlich
790 Literatarbericbt.
positiv, indem es das Aaftreten schwerer Erscheinungen Terhfitet und auch
keine Komplikationen aufkommen läset, 4. es soll dkher das Serum in jedem
Falle zur Anwendung kommen, obwohl es nicht in jedem Falle den günstigen
Erfolg sichert. Jan Landau -Krakau.
Uroiropin als Prophyiakükum gegen Scharlach-Nephritls, Von K. Patsch-
kowski. Therapeutische Monatshefte. 1904. H. 12.
Das zuerst von Widowitz als Prophylaktiknm gegen Scharlach-
Nephritis empfohlene Urotropin wurde auch am Charlottenburger Stadt-
krankenhause als solches gepr&ft, und zwar mit gutem Erfolge. So gut wie
bei Widowitz, der von 112 mit Urotropin behandelten Scharlachkranken
keinen einzigen an Nephritis erkranken sah, wiren hier die Erfolge aller-
dings nicht: Yon 52 Kranken bekamen 2 Nephritis trotz der Urotropin-
darreichnng, immerhin ein geringer Prosentsats! Kinder bekamen das
Urotropin in Dosen yon 0,25 t&glich dreimal, und zwar in regelmftasigen
Zyklen, so dass nach 4t&giger Urotropin -Darreichung eine ebenso lange
Pause gemacht wurde.
Soh&dliche Nebenwirkungen wurden nie beobachtet.
Sine Zusammenstellung der Tor dieser prophylaktischen Therapie im
Charlottenburger Kranke nhaitse behandelten ScharlachfiUle «"gibt, dass von
177 Scharlachkranken 87 »20,9 pCt. an Nephritis erkrankten.
Verf. glaubt also mit ToUem Recht das Urotropin bM Scharlach als
Prophylaktikum gegen Nephritis empfehlen zu können.
R. Rosen.
AccidenUüe Vacdmaüom der Nasenschigimkami. Von Lublinki. Manch, med.
Wochenschr. 1904. No. 52.
Infektion der Matter mittelst des Taschentuches. Es empfiehlt sieh,
Personen, die mit frisch geimpften Kindern umgehen, zur grössten Vorsicht
auch anderen Kindern gegenüber zu mahnen. Warnung vor der Impfnng
ekzematöser oder an Prurigo leidender Kinder. Misch.
Die ätiologische Begründung der Pockendiagnose. Von Jürgens. Deutsche
med. Wochenschr. 1904. No. 45.
Die von Guarnieri in der Haut Pockenkranker als Erreger der
Blattern gefundenen Parasiten, Cytorhyctes vaccinae, können durch Über-
impfnng auf Kaninchencomea in grosser Menge sichtbar gemacht werden.
Hierdurch gelang es, in mehreren zweifelhaften Pockenfälien die
Diagnose zu stellen, bevor sie durch den weiteren Verlauf der Krankheit
klinisch sicher wurde. Misch.
Ein Fall von Lyssa humana. Von Maas. M&nch. med. Wochenschr. 1905.
No. 3.
Ein tödlich verlaufener Fall bei einem 6j&hrigen Kind. Keine spezifische
Behandlung. Sektionsprotokoll uod Mitteilung der histologischen Unter-
suchung des Zentralnervensystems des Kindes und der infizierten Tiere. Die
Negri sehen Parasiten konnten nicht gefanden werden. Misch.
Case of ietanus successftUly ireated 6y aspiraüon of tke cerebrosfiimai fleM amd
injection of morphin-encain and sali soImHon. Von John B. Mnrphy.
Amer. med. Assoc. Aug. 18. 1904.
Mitteilung eines Falles von Tetanus bei einem Sj&hrigeo, bis dahin
IV. Akute lofektionskraukkeiten. 791
geaunden Knaben im Anschlass ikn eine Fuss Verletzung. Bei der Spitals-
aufnabme, 7 Tage nach dem Unfälle, bestand Trismas and Nackenstarre; alle
3—5 Minuten Krämpfe der Rücken muskeln mit ansgesprochenem Opistho-
tonus. In Narkose wurden znn&chst die zwei am Fasse befindlichen Wunden
untersncht und einige Glas8t5cke entfernt; Auskratzang nnd Kauterisation
mit 95proz. Karbolsäure; der Wundeiter enthielt keine Tetanasbazillen. Da
sich keine Besserung einstellte, wurden am nächsten Tage drei volle Heil-
dosen von Tetanusantitoxin angewendet, ohne jedoch irgend welchen Erfolg
damit za erzielen. Die Krampfzustände folgten sich in grösserer Häufigkeit
und währten beinahe kontinuierlich. Zwei Tage später wurden nun durch
Lumbalpunktion vorerst 15 ccm einer wolkig getrübten Flüssigkeit ent-
nommen nnd dünn durch die stecken gebliebene Kanüle 8 ccm von 0,18 Sol.
natr. chlorat, mit Zusatz von 0,004 Beta-£akain and 0,0009 Morphii salph.
eingespritzt. Die Anfälle wurden danach leichter und die freien Intervalle
länger, im ganzen wnrden im Laafe von 8 Tagen diese Prozeduren 6 mal
wiederholt, nnd wurde jedesmal eine günstige Beeinflussang beobachtet.
Lästige Nebenerscheinungen blieben stets aus. Fat. konnte nach Swöehent*
lichem Spitalsaafenthalt gesund entlassen werden. Sara Welt-Kakels.
Prognose des Trismus, Tetanus neonatorum und infanjlum mit Berücksichtigung
der Serotherapie. Von Fies eh. Deutsche med. Wochenschr. No. 5, 6.
1905.
Der Tetanus gibt im Kindesalter eine viel bessere Prognose als bei
Erwachsenen, speziell der Tetanus infantum; aucb ist der Tetanus iieona-
torum nicht so absolut ungünstig. Die Letalität des Tetanus ini. fällt bei
den mit Serum behandelten Fällen von 40—50 pCt. auf 15—20 pCt. In
Statistiken über den Wert des Antitoxins müssen Tetanus der Kinder und
Tetanus der Erwachsenen gesondert betrachtet werden. Misch.
Ein schwerer FeUl von Tetanus. Von S. Rottenstein. Münoh. med.
Wochenschr. No. 3. 1905.
Ausbruch des Tetanus bei dem 18jährigen Mädchen 10 Tage nach der
mutmasslichen Infektion. Behandlung mit grossen Dosen Ghloral und Brom.
Heilung. Eine einmalige Injektion von 100 A.-E. des Höchster Antitoxins
blieb ohne Einfluss auf den Verlauf. Misch.
Cerebrospinal Meningitis, with remarks an its diagnosis^ prognosis and treatment.
Von L. Fischer. Med. Record. Aug. 18. 1904.
Während der Epidemie von Cerebrospinalmeningitis, die die Stadt
New -York im Winter und Frühjahr 1904 heimsuchte, hatte Verf. Gelegen-
heit, 21 Fälle zu beobachten; 14 starben, wie sich denn überhaupt die
Epidemie durch eine erhebliche Mortalität auszeichnete. 5 Fälle bei Kindern
zwischen 2—9 Jahren werden etwas ausführlicher beschrieben. Soweit er-
sichtlich, wurde nur bei einem dieser Fälle Lumbalpunktion gemacht mit
Befund von Meningokokken. Die Mitteilung enthält nichts Neues.
SaVa Welt-Kakels.
Ein Beitrag aur Bakteriologie der Noma. Von Hof mann und Küster.
Manch, med. Wochenschr. No. 43. 1904.
Verf. haben bei ihren Untersuchungen eines Falles von Nama einen
Spaltpilz gezüchtet, dessen kulturelle Eigenschaften ausführlich, mit Ab-
792 Literatnrbericht.
bildnngen, beschrieben werden und der sich mit keinem Bacillns der Noma-
Literatar identifizieren Hess. Misch.
Ein Beitrag sur Ätiologie der akuten Osteomyelitis, Von Darlacher. UäocL
med. Wochenschr. No. 38. 1904.
Eine plötzlich in scheinbarem Wohlbefinden auftretende akute Staphylo-
kokkenosteomyelitis des Femur bei einem ISjährif^en Mädchen. Bei der
Sektion fand sich in der Muskulatur des Oberschenkels ein Steinchen, das
bei einer vor zweieinhalb Jahren stattgefundenen oberflächlichen Verletzung
der Haut hineingeraten war und mit dem Ausbruch der Osteomyelitis ätio-
logisch im Zusammenhang stand. Die Wichtigkeit derartiger Beobachtungen
speziell für das Unfall Versicherungswesen wird betont. MiscL
Zur Behandlung des Keuchhustens. Von Hofrat Stepp. Therapeutische
Monatshefte. 1904. No. 11.
Zur Behandlung des Keuchhustens wird dringend das Fluoroform
empfohlen, und zwar eine 2 — 2^\% proz. Lösung Fluoroform in Wasser; eine
stärkere Lösung hat sich bisher nicht erzielen lassen. £s wurden 22 Fälle
Tou Keuchhusten bei Kinder verschiedener Altersstufen mit dem Mittel be-
handelt in Dosen Ton 1 Kaffeelöffel bis Kinderlöffel, bei älteren Kindern
sogar 1 Esslöffel stündlich. Eine solche Behandlung kommt auf 20— 30 Mk.
zu stehen, wenn sie 3—4 Wochen durchgeführt wird! Verf. teilt Kurven
mit, die den Verlauf der Krankheitsfälle nach der Zahl der Paroxysmen
genau wiedergeben: bei allen ausnahmslos ist der Verlauf ausserordentlich
günstig, irgendwelche Nebenerscheinungen traten nie zu Tage, wohl aber
ganz auffallend eine schnelle Besserung im Befinden und Nachlassen der
Anfälle; Komplikationen, wie z. B. Pneumonie, Fieber, bilden keine Kontra-
indikation gegen das Mittel.
Die durchgehends vorzüglichen Resultate, die Verf. mit dem Fluoro-
form hatte, machen wohl mit Hecht den Leser etwas stutzig; zumal sich
neuerdings wieder die Empfehlungen von Keuchhustenmitteln häufen; weitere
Nachprüfungen dürften immerhin am Platze sein. R. Rosen.
Ü6er Veronal bei Keuchhusten. Von M. Fraenkel. Deutsch, med. Wochenschr.
No. 6. 1905.
Verf. Tersucht mit Erfolg Veronal-Schokoladetebletten zu 0,06 — 0,1;
drei- bis viermal täglich eine halbe Tablette (0,03 bei Kindern unter vier
Jahren) und hat besonders das Krampfstadrum damit bald unterdrücken
können. Misch.
Das Wechselfieber im Kindesalter, Von J. Gronquist. „Die Heilkunden".
Januar 1905.
Das Wechselfieber ist durch Assanierung in Schweden gegen früher
selten geworden. Trotzdem hat bei Aufmerksamkeit Gronqist 100 Fälle
in 7 Jahren beobachten können, darunter 77 bei Kindern zwischen 6 bis
15 Jahren. 21 Fdbris intermittens, 56 Malaria larvata. Je älter die Kinder,
desto grösser die Übereinstimmung mit dem Krankheitsbild bei Erwachsenen^
Schüttelfrost und Kopfschmerz stehen im Vordergrund. Die Malaria larvata
äussert sich, kurz bezeichnet, als Enterica, Neuralgica oder Gephalalgica. Die
letzte ist die häufigste und wichtigste. Es ist wichtig, die periodischen
Kopfschmerzen differentialdiagnostisch zu unterscheiden. Daa genaue Inter-
V. Taberknlose and Syphilis. 793
mutieren, die lange stete Wiederkehr, der einzelne Beginn meist früh nach
der Ruhe, während sie am Vormittag, selbst in der Schule, aufhören, die
Diagnose ex juTantibus helfen zar Unterscheidung; Adenoide, Arsen-
vergiftang, Simultation bei Schalkindern kommen dabei in Berücksichtigung.
Der Aufsatz ist lesenswert Spiegelberg.
Tke treaiment of epidemic cerebra-spinal nuiüngiüs by itUraspinal anttseptic
injeciions» Von Charl. £. Mammack. New -York. Medic. Record.
4. Juni 1904.
Von den ersten 27 Fällen, die während der zur Zeit in New -York
herrschenden Epidemie von Cerebrospinalmeningitis im Bellerue-Hospital
Aufnahme fanden, starben 90 pCt. Die hohe Mortalität veranlasste Verf., die
während der Epidemie von Cerebrospinalmeningitis in Lissabon im Jahre lSi02
mit gutem Erfolge angewandten Injektionen von 1 proz. Lysollösung in den
Lumbaisack zu versuchen. Der 17 jährige Patient, um den es sich handelt,
wurde am 4. Krankheitstage deliriös nach dem Spital gebracht; mit Nacken-
starre, Nystagmus, erhöhten Sehnenreflexen und Kernigs Phänomen. Nach
vorheriger Entnahme einer Menge des eitrigen Exsudates durch Lumbal ~
pnnktion wurden 15 ccm einer irrtümlich 10 proz. Lysollösung eingespritzt;
darnach ausgesprochene Besserung im Zustande des Pat. ohne jegliche An-
zeichen von Lysol Vergiftung; im ganzen wurden im Laufe von 7 Tagen vier
solcher Injektionen gemacht. Heilung nach etwas mehr als 8 wöchentlichem
Spitalsaufenthalte. Bei 4 weiteren Fällen des Verf. — bei Erwachsenen —
erfolgte Exitus bei gleicher Behandlung. In 4 von den mitgeteilten Fällen
ergab die Untersuchung des durch die Lumbalpunktion entleerten Exsudates
Reinkulturen von Meningococcus intracellularis.
Sara Welt-Kakels.
V. Taberknlose and Syphilis.
Über die Entfernung der tuberkulösen Lymphdrüsen aus dem Halse au/ sub-
kutanem Wege, von J. Micieson. Therap. Monatshefte 1904. Heft 11.
Bereits 130 Fälle tuberkulöser Lymphdrüsen am Halse hat Verf. nach
seiner Methode operiert, die da bezweckt, mit einem möglichst kleinen
Hautschnitt auszukommen und so ein kosmetisch gutes Resultat zu liefern
neben gutem therapeutischen Resultat. Die Geschwulst wird zwischen zwei
Fingern der einen Hand fixiert und ein spitzes Tenotom direkt in den ge-
spannten Tumor eingestochen, indem man gleichzeitig Haat, subzclluläres
Bindegewebe und die Geschwulst auf einer Länge von 2 — 3 cm spaltet.
Die Segmente der Drüsen werden nun mittels Haken oder Volk mann sehen
Löffels einzeln herausgeholt. Es folgt Blutstillung, Einlegen eines Drains
von Jodoformgaze und Verband. Die Heilung erfolgt schnell, Haut-
narbe ist unbedeutend. Ist die Drüse bereits vereitert, wird sie energisch
ausgekratzt und die Wunde mit Jodoformgaze drainiert. Sind Drüsen-
pakete vorhanden, wie nicht selten bei dieser Affektion, so holt man von
der kleinen Wunde aus mit der Pinzette oder mit dem Finger die
einzelnen Drüsen in den Wundbereich, spaltet die Drüse und entfernt die
Teile wie oben angegeben. Die Schwierigkeiten, die sich bei starker
periadenitischer Verwachsung der Drüsen für diese Art der Operation er-
794 Literfttarbericht.
gaben, konnte VerfMser überwinden. Von den 130 Fällen worden 84 pCt
definitiv geheilt, bei 16 pCt. traten Rezidive auf; ein grosses Gefass warde
nie verletzt Die Narben waren sp&ter kaum zo entdecken.
Verf. gibt nicht an, wieviel Rezidive anf die Fälle von solitärer
Drüsenschwellang and auf die Fälle von zahlreichen verwachsenen Drüsen-
paketen getrennt entfallen: bei den letzteren düriten wohl die Rezidive nach
seiner Operationsmethode mehr wie. 16 pCt betragen! R. Rosen.
Chroniseher Gelenkrheumatismus und seine Beziehungen sur Tuberktüose, Von
J. Kar eher. Gorr.-Bl. f. Schweizer Ärzte. 1904. No. 24.
Es wird die genaue Beschreibnng der Krankheit eines iSjährigeo
Mädchens gegeben, das von primär-chronischer Polyarthritis befallen wnrde.
Es waren mehrere Gelenke an Händen und Füssen befallen, die Krankheit
verlief ohne Fieber, ohne Aasbildung gröberer Deformitäten, die Salicjl-
präparate waren wirkungslos. Dagegen brachte ein mehrmonatlicher Aufenthalt
10 einem Sanatorinm erhebliche Besserung. Ansser Schwellungen der Hals-
lymphdrusen zeigte der Körper der Patientin im übrigen keine patho-
logischen Veränderungen.
Verf. ist geneigt, für diesen Fall die Tuberkulose als wahrscheinliche
Ursache anzunehmen, indem er sich auf die Untersuchungen von Poncet u. A.
stützt, die der Tuberkulose einen wichtigen Platz in der Ätiologie rheuma-
tischer Krankheiten anweisen. R. Rosen.
Über Mastiüs chronica scrophuiosa hei lündem. Von Benno Müller.
Dentsche med. Wochenschr. No. 1. 1905.
Die von M. bei vier skrophulösen Kindern beobachteten Brustdrüsen-
schwellungon verliefen fieberlos, ohne Eiterung, auf der Höhe der Krankheit
mit grossen Schmerzen. Jodbehandlung beeinflusste den Prozess sehr guL
Misch.
Mitteilungen aus der Abteilung für Lichtbehandlung im Krankenhause St, Göran,
StQfkholm, Von Magnus Möller. Nordiskt medicinskt Archiv. 1904.
Afd. IL Heft 8. No. 9.
Verf. hat in einer sehr sorgfältigen Statistik seine Erfolge der Licht-
behandlung zusammengestellt, von denen für uns vor allem der Lupus
vulgaris in Betracht kommt. Hiervon sind 79 Fälle behandelt, 32 von diesen
entlassen, und zwar 17 geheilt, 10 nahezu geheilt, 4 bedeutend gebessert,
1 anbefriedigendes Resultat, wobei bemerkt sei, dass Verf. von Heilqng nur
dann spricht, wenn bei dreimaliger Tuberkulose-Injektion keine Reaktion
mehr erfolgt.
Rechnen wir aus dieser Statistik die 15 behandelten und entlassenen
Kinder (von 4 — 15 Jahren) heraus, so sind von diesen 6 geheilt, 7 nahezu
geheilt, 2 gebessert. Die Mehrzahl dieser Fälle war leicht oder mittel-
schwer, die Anzahl der Sitzungen schwankte zwischen 9 und 158. Die
Statistik zeigt, dass eine Heilung um so schwerer zu erreichen ist, je mehr
die Schleimhaut miterkrankt ist, und besonders dann schwierig ist, wenn
es sich um sekundäre, durch tuberkulöse Drüsen, Knochen etc. bedingte
Erkrankung handelt. Das Alter des Kindes und die bisherige Dauer der
Krankheit spielen eine geringere Rolle. Moltrechl.
V. Taberkulose und Syphilis. 705
Les fHani/estaHoHS viscerales de P heredo-syphihs secondaire, L'hiredo-syphilis
de la rate, des ganglions, de ia moelle osseose, da sang, da coear, da
rein, do tube digestif et du pancreas. Von 6a ach er. Gazette des
hospitaax. 1904. No. 142.
Die Milz der kongenital Syphilitischen ist in 77 pCt. der Fälle ver-
grössert. Gnmmiknoten sind selten, meist findet sich eine sehr starke Blut-
fülle, der später perivaskuläre Wucherungen und dann bindegewebige Ver-
ändernngen folgen, durch spätere endarterii tische Prozesse und weitere
Bindegewebsbildung entsteht ein derbes, vergrössertes Organ.
Die Lymphdrüsen sind nicht Tergrössert und zeigen ähnliche, aber
viel weniger intensive Veränderungen als die Milz.
Im Knochenmark Neugeborener finden sich vermehrte kernhaltige
Erythrozyten, später eine Vermehrung der Myelozyten und der eosinophilen
Leukozyten.
Der Blutbefund lässt verschiedene Gruppen der Krankheitsfälle unter-
scheiden: 1. Verminderung der roten Blutkörperchen und dem entsprechend
des Hämoglobins ohne Leukozyten Vermehrung; 2. erheblichere Herabsetzung
des Hämoglobin gehaltes bei geringer Verminderung der roten Blutkörperchen.
Bei beiden Formen können Grössen unterschiede der roten, Vermehrung der
weissen Elemente (besonders der mononnkleären) in schwereren Fällen vor-
kommen.
Eine zweite Gruppe von Blutveränderungen sind seltener: 1. Das
Blut kann das Aussehen bieten wie bei perniziöser Anämie, 2. kann es
leukämischem Blut ähneln: Vermehrung der weissen Elemente, Auftreten der
verschiedenen, sonst im Blute nicht vorkommenden Formen, zahlreiche kern-
haltige rote Blutkörperchen.
Herzveründerungen sind selten. Sie machen keine klinischen Ver-
änderungen, die mikroskopische Untersuchung erst lässt kleinste Gummi-
knoten, interstitielle Veränderungen, Degeneration der Muskelfasern und
Blutungen im Herzmuskel erkennen.
Recht häufig finden sich Veränderungen an den Nieren, meist eine
interstitielle Nephritis, seltener Gummiknoten. Klinisch zeigen sich Ödeme,
Diarrhoen, Erbrechen, der Urin enthält Eiweiss und oft granulierte Zylinder.
Schnell einsetzende merkurielle Behandlung kann hier Heilung bringen.
Anatomisch zeigen sich die für die chronische Nephritis charakteristischen
Veränderungen, bisweilen Infiltration der Arterienwandungen und Obliteratiou
der Gefässe.
Im Darm finden sich ziemlich häufig Geschwüre, deren Ätiologie durch
den Erfolg merkurieller Behandlung klar wird, selten Gummiknoten. Selten
ist eine chronische Peritonitis.
Das Pankreas ist bei den Neugeborenen häufiger erkrankt als im
späteren Alter. Gummiknoten sind selten, häufig eine interstitielle Binde-
gewebswucherung, die zum Schwund des Gewebes führen kann. Die Binde-
gewebsneubildung geht vor allem von den Gefässen aus, daneben kommen
Obliterationen derselben vor. Die klinischen Zeichen der Pankreas-Erkrankung
sind bisher noch wenig bekannt. D. Moltrecht.
Syphilitische Erkrankungen der Zirkulationsorgane, Von Du bring. Deutsche
med. Wochenschr. No. 51. 1904.
Die primären syphilitischen Herzerkrankungen, Gummata der Musku-
796 Literaturbericlit.
latar sind selten. Die interstitielle syphilitische Myocarditis ist meist die
Folge syphilitischer Gefässerkrankang. Bei den syphilitischen Arterien-
erkrankungen hat man die He ab n ersehe Endarteriitis, die zum Verschluss
der Gefässe führt, zu unterscheiden von der Mesarteriitis, besser Aortitis
syphilitica genannt, die durch narbige, den Widerstand der Gefässwand
herabsetzende Endprozesse die häufige Ursache von Erweiterungen der
Aorta ist. Sie ist makroskopisch und mikroskopisch so charakteristisch, dass
retrospektiv aus dem Befunde die Diagnose Lues gestellt werden kann. Sie
ist die h&ufigste Ursache der Aneurysmen. Weitaus die meisten Fälle von
Aneurysmen bei Personen unter 50 Jahren sind auf die Syphilis zu be-
ziehen. Alle anderen Ursachen der Aneurysmen treten der Syphilis gegen-
über zurück. Misch.
Über einen Bejund von protoaoenarHgen Gebilden in den Organen eines hereditär.
' luetischen Fötus. Von Jesionek und Kioiemenoglon. Manch, med.
Wochenschr. No. 43. 1904.
Verff. haben in den Nieren, Lungen und Leber eines 8 monatlichen
Fötus neben ausgesprochen luetischen Veränderungen eigenartige, zellige
Gebilde gefunden, die sie als Protozoen, und zwar als eine Art Gregarinen
ansprechen. Die Untersuchung eines zweites Fötus ergab ein negatives
Resultat. Misch.
VL KonstltatlODS-Krankhelten.
Status lymphaticus and death /ollozving Chloroform anaesthesia. Von F.
A. Simmons. N. Y. med. Journ. and Phil. med. Journ. 27. Aug. 1904.
Die Mitteilung betrifft einen 10 Jahre und 7 Monate alten Knaben,
welcher an einer Phimose und Vergrösserung der Mandeln and Kachen-
drüsen litt. Die Zirkumzision wurde in Chloroformnarkose rasch ausgeführt
und dann, nach Weglassen des Chloroforms, Mandeln und adenoide Vege-
tationen am hängenden Kopf entfernt. Kaum war die Operation beendet,
als das Gesicht des Fat. blaa wurde und Puls and Atmung aufhörten.
Exitus letalis trotz künstlicher Respirationsbewegungen etc. Bei der Autopsie
fand man eine grosse Thymus und starke Stauungshyperämie aller Organe,
aber auch disseminierte Tuberkel an der Gehirnoberfläche.
Sara Welt-Kakels.
Einige Störungen des Blutes und blutbildender Organe im /ruhen Lebensalter*
Von R. Hutchison. S.-A. aus d. Lancet vom 7., 14. and 21. März 1904.
Das kleine Buch amfasst 3 Vorträge H.'s, die derselbe vor dem «Royal
College of Physicians in London^ hielt. Dieselben verraten vor allem das
intensive Bestreben, die einzelnen Bluterkrankungen im Kindesalter möglichst
klar and gründlich zu schildern und hierbei ihre Wesensverschiedenheiten
scharf zu präzisieren, soweit dies nach unseren heutigen Anschauangen und
Kenntnissen überhaupt angängig ist. Ein weiterer Vorzug der Vorträge be-
ruht auf der ungemein anregenden Form, in der dieselben abgefasst sind;
mancher glückliche Fingerzeig, wie da und dort weiterzuarbeiten ist, um
das Ziel zu erreichen, findet sich darin. Und nicht unerwähnt sei, dass H.
fast jede Krankheitsform durch Beispiele eigener Beobachtung beleuchtet
VI. EonstitutionskrankheiteD. 797
und hierdarch wertvolle Beiträge zur Pathologie and Pathogenese der
Anämien liefert.
Die Literatur ist nicht, wie sonst in ähnlichem Falle, nach den Namen
der Autoren geordnet, sondern nach denen der Krankheiten, and ich glaube,
dass diese Anordnung als eine entschieden praktischere zu empfehlen ist.
Sehr unpraktisch dagegen und für das Auge eine ziemliche Zumutung ist der
auffallend kleine und enge Druck, der Übersichtlichkeit und rascheres Durch-
lesen der Arbeit ungemein erschwert.
Im ersten Vortrage behandelt H. physiologische Verhältnisse im Blut
des Fötus und Kindes, Ursprung und Tätigkeit der Blutzellen und des
adenoiden Gewebes und im Anschluss daran die kongenitalen Blutanomalien,
primäre und sekundäre Anämien und den infantilen Skorbut. Weiter folgen
iu Vortrag II: die Anämien mit Milzyergrösserung (Anaemia splenica und
ihre Beziehung zu der der Erwachsenen), die myelogene und lymphatische
Leukämie und deren Mischformen; schliesslich in Vortrag III: Einleitendes
über die Thymus und dann die Affektionen der Lymphdrüsen (generalisierte
Lymphdrüsen-Tuberkulose, Hodgkin sehe Krankheit, Lymphosarkom).
Besonders ausführlich besprochen ist in der Pathologie die Anaemia
splenica, die H. als Krankheit sui geheris betrachtet und als identisch mit
der Jak seh sehen Pseudoleukämie. Deshalb wünscht er auch, dass der erste,
Ton den italienischen Autoren stammende Name als der alleinige und nicht
Konfusion erweckende beibehalten werde. Ebenso tadelt H. die versuchte
Zusammenfassung von Hodgkin und Lymphosarkom unter dem Namen
Lymphomatosis, da beide Krankheitsformen histologisch verschiedene Bilder
zeigen; ferner den Namen Pseudoleukämie für Hodgkins disease, da jener
eine Beziehung zur Leukämie suggeriere.
Bei der Behandlung des Barlow geht H. von dem Gedanken aus, dass
«s sich bei dem stattgehabten Diätfehler immer darum handelt, dass dem
Blute ein Ingrediens anorganischer Natur fehle, und er findet dieses im
Fruchtsaft enthalten, dessen Einflass von vielen als heilsam angesehen wird.
Er gab denselben zunächst, um die Fermenttheorie widerlegen zu können,
neben der vorherigen fehlerhaften Nahrung in sterilisierter Form in 2 Fällen.
Das Resultat war eklatante Heilung. Um ferner zu sehen, welcher Stoff im
Fruchtsaft wirksam sei, stellte er ein Dialysat her, so dass krystallinisches
und unkrystallisi erbares Konstituens im Safte voneinander getrennt wurden.
Bei Versuchen mit diesen in geeigneten Fällen erwiesen sich die krystallinischen
Stoffe als wirksam gegen die Krankheit. Mit einer künstlichen Mischung
der vegetabilischen Salze, die H. im Fruchtsaft fand, hatte er allerdings keine
so guten Erfolge, wofür er den Grund in der verschieden starken Wirkung
natürlicher und künstlicher Produkte sieht, wie sie sich auch bei künstlichen
und natürlichen Mineralwässern äussert. Kaliumextrakt findet er wirksamer
als Calciumextrakt, wie es in der Milch enthalten ist.
Auf einzelnes in den Vorträgen weiter einzugehen, ist hier nicht
möglich. Denselben sind noch Tabellen beigefügt, welche die einwandsfreien
bekannten Fälle aus der Literatur mit allen wichtigen Angaben über Blut-
Verhältnisse etc. bringen. Tenffel.
Die Behandlung der Leukämie mit Röntgenstrahlen, Von Erich Meyer und
0. Eisenreich.
Zur Röntgenbehandlung der Leukämie. Von Wendel.
798 Literatnrberieht.
Weitere BeUrage smr Behandinmg der LeukSmU mU Röm^emstraiieu. Von
Sehieffer. Müneh. med. Wochensehr. No. 4. 1905.
Alle diese BeobachtnngeD, die sich zam grÖMten Teil &af Erwmeksene,
aber aveh auf Rioder eretreckeD, kommen in der gltazenden Wirkaag der Be-
handlaog überein, weon sie aacfa nvr symptomatiscli ist and ibre Erfolge
oaeh Aassetzen der Bestrahlang ancb bald Terschwiodeii. Scb. steht nicht
an, die Röntgentherapie der Lenk&mie mit der Digitaltsbehandlnng der Herz-
kranken anf eine Stafe therape atischer Wertigkeit zn stellen. Misch.
Ein ty^cker Fall von Barkwscker Kramkkeii (infamiUem Sk0rbuij. Von
Th. Sscherisch. Demonstr. i. d. Wiener k. k. Geeeüsch. der Ärzte.
11. Nov. 1904. Wiener klin. Wochenschr.
Bei dem nan 8 Monate alten Kinde, das seit Gebart mit sterilisiertem,
natarlichem Rahmgemenge nach Biedert ernährt worden ist, hat die Krank-
heit Tor 8 Wochen mit ünbeweglichkeit and Schmerzhaftigkeit eines Beines
eingesetzt. Jetzt besteht neben leichter Rachitis, Protosion and Terminderter
Beweglichkeit der Aug&pfel Schwellang der oberen Lider, Ton denen das
rechte eine Saffasion aufweist, sackartige Blatergässe, entsprechend den
AWeoIen der oberen Sohneidez&hne, ntid ähnliche Veränderungen am Unter-
kiefer, Schwellang and Schmerzhaftigkeit beider Oberschenkel in ihrem
unteren Drittel; die Palpation lässt erkennen, dass an dieser St^le eine
plötzliche Yerbreiterang des Knochens einsetzt, aber welcher Fink taation za
fahlen ist. Neu rat h.
VIII. Krankheiten des Nervensystems.
Ober Tremor bei Kindern, Von Alfred Hüssy. Monatsschr. f. K inderheil k.
Bd. III. Dezbr. 1904. p. 405.
Nach den hier mitgeteilten Beobachtangen kann der Tremor im Kindes-
alter unter sehr verschiedenen Bedingangen auftreten and darch die yer>
schiedensten Krankheiten produziert werden. Ätiologisch bemerkenswert ist
immerhin die Tatsache, dass in yerschiedenen, von H. mitgeteilten and
referierten Fällen der Tremor im Anschluss an Infektionskrankheiten
(speziell nach Pneamonie) unter Fiebererscheinangen auftrat, analog der so
häufigen infektiösen Ätiologie der infantilen Cerebrallähmungen. Zur Er-
klärung der Tatsache, dass in einzelnen Fällen ein vollständiges Verschwinden
der zum Tremor hinzutretenden cerebralen Erscheinungen eintrat, könnte die
Annahme genügen, dass die Erscheinungen die Folge der Einwirkung eines
nur schwachen infektiösen Agens waren, das keine tiefergehende anatomische
Läsion veranlasste. Schleissner.
Zur Kasuistik der Tay-Saeksscken Krankheit ( Idiotismus familiaris amauroticus).
Von W. Sterling. Gazeta lekarska. 1904. No. 24. 26. (Polnisch.)
Ein elf Monate altes Kind war bis zum sechsten Lebensmonate voll-
kommen normal entwickelt und lebhaft. Seit dieser Zeit bemerkte die Matter
einen Ruckgang der körperlichen und geistigen Entwicklung, und die Mutter
führte dies auf einen zweimaligen Fall des Kindes vom Bette auf das Köpfchen
zurück. Der Kopf wurde grösser, das Kind magerte ab, der Schlaf wurde
VIII. Krankheiten de» Nervensystems. 799
unruhig, das Kind war weinerlich und apathisch geworden. Die Matter
behauptet, dass das Kind überhaupt nie gesehen hat, auf die Umgebung und
auf Spielzeug gar nicht und nur auf grelles Licht reagierte. Dagegen war«
der Gehörssinn sehr stark entwickelt. Anamnestisoh lässt sich eine hereditäre
Belastung nicht nachweisen.
In der motorischen Sphäre war zu beobachten: Mit den F&ssen werden
keine Bewegungen ausgeführt, mit Ausnahme von Dorsalflezion der beiden
Halluees. Deutliches Phänomen von Babinski. Mit den Händen werden
automatische Bewegungen ausgeführt. In sitzender und liegender Position
ist der Kopf nach rückwärts geworfen. Die Augäpfel sind sehr beweglich.
Die Mimik der Gesichtsmuskeln ist sehr beschränkt; es bewegen sich meistens
die Muskeln, welche den Saogakt ausführen. Zeitweise bekommt das Kind
Anfälle. Die Pupillen sind gleich weit, reagieren lebhaft auf Lichtreiz. Gon-
junktival- und Corneareflex gleich lebhaft. Das Kind bedient sich mehr der
rechten als der linken oberen Extremität; die Muskeln der oberen Extremitäten
eind schwächer entwickelt. Die unteren Extremitäten sind nicht gelähmt,
aber das Kind kann nicht stehen bleiben. Lebhaftes Kniephänomen; rechts
lebhafter als links. Bin dem Babiiiskischen ähnliches Phänomen an der
Hand beobachtete Verf., indem bei Reizung der Vola mauus Streckbewegung
aller Finger auftrat.
Ophthalmoskopischer Befund: In der Nähe der Fovea centralis ein
heller, weisser Fleck, welcher stufenweise in die Netzhautfarbe übergeht. In
der Mitte des Fleckes ein dunkelbraunes, kleiues Fleckchen, mit scharf
begrenztem Rande. Beide Papulae nerv, optic. atrophisch. Die Sehkraft
beschränkt sich auf Perzeption von Lichtstrahlen.
Die Diagnose unterlag demnach keinem Zweifel.
Landau-Krakau.
Die primäre Seiienstrangsklerose, Von Ä. Strümpell. Deutsche Zeitschr.
f. Nervenheilk. XXVII. 1904.
Gegen die Aufstellung des Begriffes der spastischen Spinalparalyse
als einer besonderen Krankheitsform des Rückenmarks durch Erb und Charcot
ist von verschiedenen Seiten Einspruch erhoben worden. Auch Leyden und
Goldscheider halten an der Anschauung; fest, dass es sich bei dieser
Krankheit nur „um einen klinischen Symptomenkomplex von charakteristischer
Art handelt, welcher bei verschiedenen Krankheitsprozessen vorkommt'^ Durch
in vorliegender ausführlicher Abhandlung veröffentlichte Beobachtungen wie
durch einen beweisenden anatomischen Befund zeigt Strümpell die Be-
rechtigung der Annahmen von Erb und Charcot. Der anatomische Befund
betrifft das Rückenmark des Patienten Polster, der 15 Jahre lang unter
ständiger Beobachtung des Erlanger Klinikers stand und dessen Kranken-
geschichte, die ausführlichst mitgeteilt wird, zum Teil bereits in dem Aufsatz
Strümpells über hereditäre spastische Spinalparalyse veröffentlicht ist. Die
genaue mikroskopische Untersuchung des Rückenmarks ergab den Befund
einer „zweifellos primären und zweifellos systematischen Degeneration^' der
Pyramidenseitenstrangbahn und zwar des für die unteren Extremitäten be-
stimmten Teiles derselben. In den Muskeln der unteren Extremitäten fanden
sich scheinbar hypertrophische Fasern; die Hypertrophie fasst Strümpell
als eine funktionelle Arbeitshypertrophie auf.
Jahrbuch Ittr Kinderheilkunde. N. F. LXI. Helt 5 52
800 Literatarb ericht.
Voo besonderem Interesse ist, dass sich neben der aasgiebigen Degene-
ration der Pyramidenseitenstrangbahn eine Andentang von Degeneration der
PyramideDTorderstrangbahn fand — ein onzweideatiger Hinweis auf den syste-
matischen Charakter von Erkrankung. Erkrankt waren ferner die 60 1 Ischen
Stränge — ein Befand, den Strümpell zur nervösen Grandkrankheit selbst
in Beziehung setzt.
Ausser diesem Fall werden noch zwei mitgeteilt, bei denen die Diagnose
ebfeiifalls auf spastische Spinalparaiyse mit Übergang zur amyotrophischen
Lateralsklerose gestellt wurde und deren Sektion die Richtigkeit der Diagnose
erhärtete. Von den interessantesten theoretischen Ausführungen, die ins-
besondere der Genese der Muskelrigidität, der Hypertonie gelten, sei nur
noch erwähnt, dass Strümpell auf Grund seiner Erfahrungen folgende
Gruppierung der spastischen Spinalparalyse vornimmt: 1. die endogene Form,
gekennleichnet durch familiäres und hereditäres Auftreten; 2. die infantile
Form, die von den kongenitalen abnormen Entwicklungszuständcn nur schwer
abzugrenten ist; 8. eine endogene Form, die die nächsten Beziehungen zur
amyotropkischen Lateralsklerose Gharcots hat (nicht familiär); 4. die
luetische Form; 5. eine Form, die auf Schwangerschaft und Wochenbett
bezogen werden könnte. Langstein.
Die Aujbrauchkrankheiien des Nervensystems. Von L. Edinger. IIL Der
AufbraUch des Zentralapparats. Deutsche med. Wochenschr.
No. 52. 1904.
Im Mittelpunkt der Erörterungen steht die Tabes. Die Funktions-
hypothese sieht den Tabes-Symptomenkomplez an als entstanden durch den
Aufbraach auf chronisch-krankem Boden. In den weitaus meisten Fällen wird
der Boden durch präexistente Lues vorbereitet, ohne auszuschliessen, dass
auch andere Schädigungen zu Reizerscheinungen und Untergang des Nerven-
gewebes führen können. „Wer Lues gehabt hat, schafft sich allmählich durch
die Arbeit seine Tabes, und das um so leichter, je mehr er Anforderungen
an seine Muskeln und Nerven stellt." An einer Reihe von Beispielen wird
Häufigkeit und Seltenheit der Einzelsymptome der Tabes durch die Funktion
aufzuklären versucht. Z. B. ein Mann erkrankt im Frühstadium an Blasen-
lähmung, nachdem er einmal in Damengesellschaft lange seinen Urin halten
musste; ein sitzeüd lebender Schneidermeister erkrankt an Ataxie der
Beine, nachdem er seine vier Treppen hoch gelegene Wohnung mehrmals
täglich erklimmen muss; bei einem Feinmechaniker ergreift die Tabes fast
ausschliesslich die oberen, wesentlich angestrengten Extremitäten etc. etc.
Die Funktionstheorie lässt auch .verstehen, dass wegen der ständigen In-
anspruchnahme zunächst die Fähigkeit der Pupille, auf Licht zu reagieren,
wegfällt, dann erst die Akkommodation für Nähe und Ferne. Ebenso er-
scheinen die Augenmaskelstörungen, die Kehlkopfafiektionen etc. in ganz
neuem Licht. Es ist unmöglich, in kurzem Referat auch nur annähernd diesen
glänzenden Ausführungen gerecht zu werden. Misch«
Die AuTbrauchkrankheitän des Nervensystems^ Von L. Edinger. Deutsche
med. Wochenschr. No. 4. 1905.
In diesem Schluslartikel behandelt E. die angeborenen und die here-
ditären Nervenkrankheiten. Die amaurotische Idiotie, die spastische Spinal-
paralyse, die Friedreiohsche Ataxie etc. entstehen dadurch, dass die betr.
VIII. Krankheiten des Nervensystems. 801
ßahnen von vornherein nicht stark genag angelegt sind, um anf die Daaer
die normale Funktion zu betragen. Bisher blieb es unerklärt, warum alle
diese Fälle progredient schlechter werden; die E ding ersehe Hypothese zeigt»
warum diese Affektionen alle progressive und nicht einfache, bei der Geburt
schon sichtbare Ausfalle machen; sie ermöglicht zugleich die Zusammen-
fassung dieser Kranheitsformen in eine Krankheitsgruppe. Auch für die
Therapie gibt £. manchen einleuchtenden Hinweis. Misch.
Ober die Beaiekungen van ImbecÜlUät und Taubstummheit. Von TreiteL
Arch. f. Psych, u. Nervenkrankheiten. 89. Bd. 2. H.
Bei den Insassen einer israelitischen Taubstummenanstalt fanden sich
eine relativ grosse Anzahl imbeciller Kinder; einige Taubstumme hatten
schwachsinnige Geschwister. Dieses Zusammentreffen durfte in hereditären
Anlagen seinen Grand haben. Alkoholismus, Syphilis, Kretinismus spielen
hierbei eine Rolle. Am schwierigsten ist die Rolle der Consanguinität ein-
zuschätzen. Verf. zitiert diesbezügliche Angaben aus der Literatur und
kommt schliesslich zu dem Resultate, dass „Verwandten-Ehen bis zu einem
gewissen Grade verboten^ werden sollten. Zappert.
Über Familienähnlichkeiten an den Grosshimfurchen des Menschen. Von
J. P. Karplus. Deuticke. 1905.
Wenn sich Eigentümlichkeiten der äusserlichen Gestalt von einem
Elternteile auf ein oder mehrere Kinder vererben können, so ist es nicht aus-
geschlossen, dass auch im Windungstypus der Grosshirn hemisphären familiäre
Ähnlichkeiten bestehen, die bei Eltern und Kindern bezw. bei Geschwistern
sich in einzelnen Fällen erkennen lassen müssteu. Solche Ähnlichkeiten haben
nicht nur für die Vererbbarkeit geistiger Anlagen und Charaktereigenschaften,
sondern auch iür die Kenntnis familiärer Nervenkrankheiten eine grosse
Wichtigkeit. Diese letzteren Schlüsse zieht aber Verf. in seiner vorliegenden
Studie nicht, sondern er hält sich ferne von allen Hypothesen und Folgerungen
und lässt lediglich die anatomischen Befunde seines nicht ohne grosse Mühe
gesammelten Materials sprechen. Es ergibt sich aus 21 Familiengruppen, die
16 mal zwei, 4 mal drei und 1 mal fünf Mitglieder umfassten, zweifellos die
Tatsache, dass eine Vererbung der Gehirnfurchen existiert Eine solche
darf dann angenommen werden, wenn Windungsformationen, die als ungewöhn-
lich zu bezeichnen sind, bei verschiedenen Mitgliedern einer Familie vor-
gefunden werden. Selbstverständlich ist eine derartige Vererbung von Gehirn-
furchen nicht immer bei Familienmitgliedern anzutreffen, die ja auch in ihrem
äusseren Habitus verschiedenen Typen zu entsprechen pffegen. Bemerkens-
wert ist ferner, dass erbliche Übertragungen stets nur auf gleichseitige Gross-
hirnhälften zu beobachten sind. Bezüglich der Geschlechtsunterschiede verhält
sich Verf. sehr reserviert und gibt nur zu, dass sich aus seinem bisher durch-
suchten Material ein Schliiss auf eine Inferiorität des weiblichen Geschlechtes
nicht ableiten lässt. Weitere Mitteilungen über die mikroskopischen Unter-
suchungen werden in Aussicht gestellt.
Die bedeutungsvolle Arbeit, die aus Prof. Obersteiners Laboratorium
stammt, ist auch für den Kinderarzt von grossem Interesse und wird zweifellos
weitere Bearbeitungen des wichtigen Themas zur Folge haben, die allerdings
nur dann volle Beachtung verdienen können, wenn sie mit eben solcher Sach-
lichkeit und Sorgfalt ausgeführt sind, wie die vorliegenden Untersuchungen.
52*
802 Literaturbericbt.
Die Au88tattang des mit 20 Lichtdraektafeln reraeheneD Baches macht
der YerlagsbachhaDdlang alle Ehre. Zappert
Ein hydranencephales Zwilhngspcuir. Von Spielmejer. Arch. f. Psych, o.
Nerrenkrankh. 39. Bd. 3. H.
Die beiden Kinder boten äusserlich in ihrer Schädalform nichts Auf-
fallendes dar. Bei der Autopsie — die Kinder lebten 2 bezw. 7 Tage —
fanden sich nar die Stammganglien bezw. das Kleinhirn in yerschieden starker
Aasbildnng Tor. Der Fall reiht sich jenen Formen von Hirn defekten an, die
Grayeilhier als Hydranencephalie bezeichnet hat. Über die Ursachen dieser
Hirumissbildangen herrschen verschiedene Ansichten. Verf. nimmt auf Grund
seiner histologischen Untersuchungen an, dass infolge abnorm dünner Ge-
fftsswandungen und einer Tendenz der BlutgeflUse zu kayernösen Hohlräumen
zusammeniufliessen, hämorrhagische Zerstörungsprozesse stattgefunden haben,
welche teils das nervöse Gewebe zertrümmerten, teils Nekrosen bewirkten, so
dass der grosse Substanzverlust des Grosshirnes zustande kam.
Zappert.
XI. Krankheiten des Anges, des Ohres und der Käse.
Des repercussUms que peuvent avoir sur la sante generale /es maladUs du nes
et de la gorge. Von Paul Gallo is. Archives de med. des enfaots.
Tome 7. No. 11.
Referierende Übersicht. Pfaundler.
Zur Behandlung des Sehnupjens der Säuglinge. Von L. Ball in. Therap. d.
Gegenwart. 1905. H. 2.
Die so häufige Erkrankung der Säuglinge an Schnupfen — akutem und
chronischem — wird meistens zu Unrecht vernachlässigt; der Schnupfen hat
oft recht ungünstige Einwirkung auf das Allgemeinbefinden, er erschwert das
Saugen, in schweren Fällen weist das Kind jede Nahrungsaufnahme zurück,
so dass erhebliche Abmagerung eintreten kann. Ausserdem ist nach Ansicht
des Verfassers huufig der Schnupfen die direkte Veranlassung zur Entstehung
akuter Bronchitiden und Bronchopneumonien der Säuglinge, indem infektiöses
Sekret aus der Nase in die tieferen Luftwege aspiriert wird.
Verf. empfiehlt zur Behandlung des akuten Schnupfens das Adrenalin
in Form einer Lösung 1 : 1000, mit der kleine Wattetampons befeochtet nnd
zwei bis drei Minuten abwechselnd in jedes Nasenloch gesteckt werden. Es
ist empfehlenswert, sich die Adrenalinlösnng mit Hilfe der Hemisine- Tabletten
der Firma Borroughs, Wellcome & Co. selbst herzustellen. Einige Tage
nach dieser Behandlung bilden sich Borken, die dann mit weisser Präzipitat-
salbe behandelt werden.
Es soll mit dieser Methode keine Verkürzung der Daner des Schnupfens
erzielt werden, sondern eine Freihaltnng der Nase für das Atmen. Bei starker
schleimig-eitriger Sekretion wird neben dieserBehandlung ein Tropfen Vj— 1 proz.
Höllensteinlösung einmal täglich in jedes Nasenloch geträufelt.
Durch Vergleich zweier Serien von Säuglingen mit Schnupfen, deren
eine nach dieser Methode behandelt wurde und die andere nicht, erwies sich
X. Krankheiten der Kespirattonsorgane. 803
dem Verf. der Natsen seiner Behandlung: von den behandelten erkrankten
12.5 pGt. an Bronchitis, von den nichtbehandelten 44,4 pGt
K. Roaen -Berlin.
Zur Behaadhtng des akuten Schnupfens. Von Henle. Deutsche med. Wochen-
schrift No. 6. 1905.
unter Anwendung von Stauungshyperftmie schwand innerhalb etwa eines
halben Tages der auf der Höhe stehende oder noch im Zunehmen begriffene
Schnupfen. Auch das schnelle Nachlassen der unangenehmen Sensationen,
des Kopfdruckes, des Kitzelgefühls, des Augentränens ist bemerkenswert.
Misch.
X. Krankheiten der Resplrationsorgane.
Zur physikalischen Diagnostik der Pleuraexsudate, Von v. Tabora. Münch.
med. Wochenschr. No. 52. 1904.
Bei der Krön igschen Spitzenperkussion zeigt sich auf der an Pleuritis
exsudativa erkrankten Seite Verschmälernng des Spitzenisthmns bei scharfer
Grenze zwischen sonorem Schall und absoluter Dämpfung. Die Erscheinung
ist um so deutlicher, je frischer die Erkrankung und je jünger das Indi-
Tiduum ist. Misch.
Über die Behandlung der Kapillärbronchitis mit Senßvassereinwicklungen. Von
0. Henbner. Die Therapie der Gegenwart. 1905. H. 1.
Die yielfach in der Kinderpraxis üblichen Senfb&der als hautrötendes,
„ableitendes** und analeptisches Mittel bei Kapillärbronchitis werden durch
das vom Verf. angegebene Verfahren in zweckmässiger Weise ersetzt:
Man verrührt ^3 ^^^o oder auch mehr frisches Senfmehl in einer Schüssel
mit IVa Liter warmem Wasser (40^ C.) solange, bis das flüchtige Öl
von der Oberfläche des dünnen Breies aufsteigt und Augen und Nase
reizt — ca. nach 10 Minuten — ; nun wird ein leinenes Tuch, das so gross
sein muss, dass es zur völligen Einwicklung des Kindes genügt, in die
Flüssigkeit getaucht, ausgerungen und auf eine grössere wollene Decke aus-
gebreitet: dann wird das nackte Kind in die beiden Tücher eingewickelt,
so dass das wollene über das feuchte leinene oben und unten hinausragt;
am Halse wird die wollene Decke fest geschlossen, an den Füssea um-
geschlagen. Nach 10 — 15 Minuten ist dann auf der Haut des so behandelten
Kindes meistens eine kräftige Reaktion eingetreten, die Haut ist krebsrot
geworden. Das Kind wird nun aus dem Umschlag entfernt, schnell abgewaschen
oder im Bade abgespült und dann in einen zweiten Wickel mit gewöhn-
lichem Wasser gebracht, in dem es 1 — 2 Stunden liegen soll, bis Schweiss
eintritt. Steigt während dieser Prozedur die Körperwärme stark an and wird
das Kind sehr anruhig und der Kopf rot, dann muss die Packung unter*
broehen werden. Nach der zweiten Packung kommt das Kind in ein kurzes
laues Bad, eventuell mit kühlem Übergnss, wird dann getrocknet und weiter-
hin den Tag über in Ruhe gelassen.
Es werden mehrere Fälle von gefährlicher Kapillärbronchitis mit-
geteilt, bei denen sich die Anwendung dieser Prozedur als höchst nützlich
804 Literatlirbericht.
erwies. Sie hat yor dem Senfbade den Vorzug, dass sie sich aberali bequem
anwenden l&sst (sogar im Schlafwagen in einem mitgeteilten Falle), dass sie
kräftiger and länger auf die Haut einwirkt und dass das Kind von der Ein-
atmung des reizenden Senföls fast ganz verschont bleibt.
R. Rosen.
Beitrag sur Therapie der infanülen Bronchopneumonie, Von Theodor
Zangger. Correspondenzbl. f. Schw. Ärzte. 1905. No. 1.
Verf. hat gute Resultate mit rein-hjdrotherapeutischer Behandlung der
infantilen Bronchopneumonie; von 10 so behandelten Kindern hat er keins
verloren. Er Terwendete Halbbäder von 30— 28<^ C, die er allmählich durch
Zugabe kalten Wassers auf 24^ C. abkühlen Hess; die Kinder blieben 3 bis
6 Minuten im Bade und wurden während der Zeit kräftig gerieben. Kühlere
Prozeduren, wie sie meistens von den spezialistischen Hydrotherapeuten ver-
ordnet werden, hat Verf. nicht angewendet. Die Bäder wurden 1 — 2 mal
täglich gegeben. R. Rosen.
XII. Krankheiten der Verdauanfirsorirane.
La dilataHon idiopaihique ou congenitaJe du cSion, Von L. Gheinisse. La
semaine medicaie. 1904. No. 46. p. 369.
Referat über die Hirschsprungsche Krankheit. Enthält eine umfassende
Übersicht der entsprechenden französischen und italienischen Literatur.
Schleissner.
Victere et le role du foie dans /es vomissements ä repetition de renfcmce. Von
Richardiere. La cliniqne infantile. No. 3. 1905.
Der im Verlauf des periodischen Erbrechens hin und wieder beob-
achtete Ikterus hat schon öfters die Frage aufwerfen lassen, ob die Beteiligung
der Leber ein primäres oder sekundäres Symptom darstelle. Verf. hat des-
halb alle seine Fälle daraufhin untersucht und stets eine Leber vergrösserung
auch in den Fällen ohne Ikterus konstatieren können. Im Zusammenhang
mit anderen Erwägungen hält er deshalb die Affektion der Leber für das
Wesentliche, das periodische Erbrechen nur für ein Symptom, das durch die
Leberstörung ausgelöst wird. — Unter normalen Verhältnissen hätte die Leber
die Funktion des Aceton zurückzuhalten oder umzusetzen; durch die Störung
dieser Leberfunktion beim „periodischen Erbrechen" fände die Ausscheidung
des Aceton in natura und in abnormen Quantitäten statt
Misch.
Trichocephaliasis mit tödlichem Ausgang. Von Sandler. Deutsche med.
Wochenschr. No. 3. 1905.
Es waren bei dem 11jährigen Knaben, der an blutigen Diarrhoen und
hochgradiger Anämie krankte, mehrmals Trichocephaluseier im Stuhlgang
gefunden worden. Die Sektion konnte nicht vorgenommen werden. — Wenn
man auch seit einigen Jahren den Peitschenwurm als einen blntsaogenden
Parasiten kennt und auch einige tödliche Fälle bekannt sind, so kann man
bei aller Bedeutung der Wurmkrankheit für den letalen Ausgang des Falles
ihn doch nicht unter die letalen Fälle von Peitschen wurmerkrankung rechnen.
XV. Krankheiten der Bewegangsorgane. Verletz angen etc. 805
Far die Behandlung wird ein altes Gibsonsches Mittel, die Verbindung
Ton Kalomel, Rheam und Eisen, empfohlen. Misch.
XIII. Krankheiten der Harn- und Geaehleehtsorfirane.
Zur Frage der physiologischen Albuminurie, Von Lenbe. Deutsche med.
Wochenschr. No. 3. 1905.
Der Terschieden leichten Durchlässigkeit des Eiweisses in den Nieren
liegen nach der bekannten Leo besehen Ansicht individuelle Verschieden-
heiten in der Dichtigkeit des Nierenfilters zugrunde; Veränderungen in den
Kreislauf Verhältnissen der Nieren sind dabei als die Albuminurie auslösende
Momente wirksam. Besonders die Fälle exquisiter Stauungsniere, wo
trotzdem bei Lebzeiten kein Eiweiss auftrat, scheinen die Notwendigkeit der
Annahme eines gelegentlich besonders dichten Filters zu beweisen.
Misch.
XV. Krankheiten der Bewegangsorgane. Verletzungen.
Chirargisehe Krankheiten.
Die Behandlung der Skoliose durch die aktive und passive Überkorrekiur
Von Lange. Manch, med. Wochenschr. No. 1. 1905.
In dieser sehr lesenswerten, durch zahlreiche instruktive Zeichnungen
und Photographien illustrierten Abhandlung beschreibt Verf. sein Verfahren
der Skoliosenbehandlnng, das er schon vor einigen Jahren demonstriert und
seitdem mit bestem Erfolg in zahlreichen Fällen angewendet hat. Die aktive
und passive Überkorrektur will den Erector trunci als die einzige im
Organismus selbst vorhandene Kraft, welche eine skoliotische Wirbelsäule
im entgegengesetzten Sinne umzubiegen imstande ist, durch Widerstands-
gymnastik und passiv durch Gurtapparate kräftigen. Sehr bemerkenswert
ist die Wertung der orthopädischen Korsetts seitens des Verf., er leugnet
nicht ihre -redressierende Wirkung; indessen werden solche Korsetts nie
so eng von den Patienten angelegt, dass sie ihre Wirkung entfalten können,
und andererseits erscheint ihm der Schaden, den ein engangelegtes Korsett
für den Organismus bedeutet, in der Regel grösser, als der Nutzen, den es
stiftet. Misch.
Behandlung akuter Eiterungen mit Stauungshyperämie, Von Bier. Munch.
med. Wochenschr. No. 5, 6 u. 7. 1905.
B. hält die Antiphlogose in ihrer strengen Durchführung für einen
der folgenschwersten Irrtümer unserer V\^issenschaft. Wie bisher bei
chronischen, hat er jetzt auch bei den schwersten eitrigen Entzündungen
grundsätzlich die Stauungshjperämie verwendet, über die er in diesen hoch-
interessanten Mitteilungen berichtet. Wie zur Unterdrückung beginnender
Eiterung und zum Verschwinden von Abszessen, so wurde sie gleich günstig
bei der Vereiterung grosser Gelenke, bei Sehnenscheidenphlegmouen, bei
akuter Osteomyelitis etc. angewandt. Eine der auffälligsten und sehr schnell
auftretenden Wirkungen der Stauungshyperämie ist die prompte Linderung
der Schmerzen. Doch muss man die Methode genau beherrschen, deren
Technik ausführlich und an Beispielen beschrieben wird. Misch.
806 Literaturbericht.
Bin Faii von Defekten des Mnscnhts pecioraHs major nmd minor reckterseUt,
Von K. Gramer. ZeiUchr. f. orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 4. H.
Anf Grund der mikroskopischen Untersachang (an regelmässige fibrillüre
Bindegewebszüge, teils parallel, teils nnregelmässig gelagerte, schollig
zerfallene Moskelfasern mit Übergang in Bindegewebe) sieht Verf. diese
Defekte nicht als Folge einer liissbildung, sondern als Effekt einer Krankheit
an. Wie in anderen ähnlichen Fällen bestand aach hier keine Beeinträchtigong
der Beweglichkeit des Oberarmes und der Schulter. Geissler.
Zur Therapie der Skoliosen, Von K. 6 er so n. Zeitschr. f. orthopädische
Chirnrgie. XIII. Bd. 4. Heft.
Verf. gibt eine Vorrichtung an, die es ermöglicht, bei den gym-
nastischen Übungen Skoliotischer im Redressionsrahmen nicht nur den
hinteren, sondern auch den vorderen Rippenbuckel zu redressieren. Gleich-
zeitig gestattet der Apparat Pendelbewegungen auszuführen, welche die
Redression durch die damit yerbundene aktire Übung der Ruckenmuskel
unterstützen. Geissler.
Die Utiiescke Krankheit, Von P. Glaessner. Zeitschr. f. orthop. Chirurgie.
XIII. Bd. Heft 4.
An der Hand yon 53 Krankengeschichten bespricht Verf. das Krank-
heitsbild, unter Erwähnung der Einteilung nach Freud und Od da betont
er die grössere Bedeutung der Hof faschen Einteilung, deren Zweckmässig-
keit besonders für die Stellung der Prognose hervortritt. Sie unterscheidet,
1. Littlesche Krankheit im engeren Sinne, obere Extremitäten frei,
Intelligenz normal, Prognose sehr gut.
2. Allgemeine Starre, Beiallensein alier Extremitäten, Inteliigenzdefekte,
Sprachstörungen, Strabismus. Prognose schlecht.
8. Allgemeine Athetose. Prognose relativ günstig.
Wichtig sind die ätiologischen Momente:
1. Mütterliche: a) Allgemeinerkrankungen (Kachexien, Tuberkulose,
physisches und psychisches Trauma während der Gravidität), b) Anomalien
des Gebnrtsapparates (Rigidität der Weichteile, abnormes Becken, Zwillings-
Schwangerschaft).
2. Kindliche: Hemmungsbildungen, Traumen während und nach der
Geburt (Wendung, Zange, Fall auf den Kopfj, auch Infektionskrankheiten.
3. Mütterliche und kindliche: Frühgeburt, Miss Verhältnis zwischen
Kind und BeckengrÖsso, Asphyxie.
Die Behandlung ist in erster Linie eine operative und besteht in
Durchschneidung sämtlicher Sehnen, welche aktiven und passiven Bewegungen
einen spastischen Widerstand entgegensetzen. Die Nachkur besteht in
Massage, aktiven und passiven Bewegungen, Tragen von Schienenhülsen-
apparaten. Geissler.
Ein weiterer Beitrag »ur sqgenannten Ktumptumd, Von B lenke. Zeitschr.
f. orthop. Chirurgie. Bd. XIII.
Von neun Kindern einer Familie zeigten vier vollständiges Fehlen des
Radius. Geissler.
XV. Krankheiten der Bewegangsorgane. Verletzungen etc. 807
BeUräge zur SehuenpiasHk. Von J. Koch. Zeitschr. f. orthop. Chirurgie.
XIII. Bd. 4. Heft.
K.8 UntersnchuDgen erstrecken sich auf die mikroskopischen Befunde
spinal gelähmter Muskeln. Die landi&ufige Vorstellung, dass es sich bei
ihnen um Atrophie, d. i. Abnahme des Volumens der einzelnen Fasern, handle,
ist falsch. Es handelt sich yielmehr um fettige Degeneration, deren Aus-
dehnung verschieden ist. Es können ganze Muskelbünde darch fettige
Degeneration zugrunde gehen, zuweilen ist die Ursache der Degeneration
so schwach, dass nur Teile der Muskelfasern zerstört werden und Bruch-
stücke alter kontraktiler Substanz erhalten bleiben. Wo solche herdweise
Degeneration eingetreten ist, findet gleichzeitig eine reichliche Regeneration
von neuen Fasern statt, bald mit, bald ohne Zusammenhang mit den alten
Fasern. Wenn die Muskeln nicht entsprechend der Menge der erhaltenen
und neu gebildeten Fasern reagieren, so liegt das an dem gleichzeitigen
Verlust zweier für die Kontraktion sehr wichtiger Faktoren, der elastischen
Spannung und des Muskeltonus. Gibt man diesen Muskeln ihre Spannung
wieder (Sehnen Verkürzung), so können sie wieder funktionieren.
Im speziellen Teil bringt Verf. eine Reihe von Operationen.
Geissler.
Oder das Rezidiv nach Sckiejhalsoperationen. Von A. Schuck. Zeitschr. f.
orthop. Chirurgie. XIII. Bd. 4. Heft.
Verf. betont, dass das Rezidiv nach Schiefhalsoperationen nicht durch
einen Fehler der Technik, sondern durch einen Prozess nach der Operation
entsteht. Der durchtrennte Muskel verwächst mit seiner bindegewebigen
Umgebung und stellt eine Verbindungslinie wieder her nach der Gegend
des alten Muskelansatzes. Bei dieser Verwachsung bilden sich narbige
Störungen, die zur Schrumpfung neigen und so das Rezidiv bedingen. Die
üblichen Gipsverbände können dies nicht verhindern, dagegen sah Verf.
günstige Resultate durch einen dicken Watte verband, durch dessen elastischen
Druck eine Extension des Halses stattfindet. Geissler.
Ober die Beziehungen zwischen Platifuss und Skoliose, Von Zesers. Zeitschr.
f. orthop. Chirurgie. XIII. Bd. 4. Heft.
Von IM) untersuchten skoliotisehen Patienten hatten 102 Plattfüsse
und 48 normale Füsse. In der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle war der
PJattfnss als eine Begleiterscheinung der Skoliose aufzufassen und stellte
kein statisch-ätiologisches Moment dar. Geissler.
MulHple goorrhoeai periarlhriäs in a chUd^ probMy due to inoculation ihrough
a wound. Von H Heim'an. Med. Rec. 21. Mai 1904.
Die interessante Beobachtung betrifft einen 2^3 Jahre alten, bis dahin
gesunden Knaben, welcher unter massigem Fieber mit heftigen Schmerzen
über dem linken Handgelenke und beiden grossen Zehen erkrankte, nachdem
er sich 3 Tage zuvor eine leichte Verletzung an der rechten Fusssohle zu-
gezogen hatte; die kleine Wunde verheilte rasch, doch führte die Entzündung
über den beiden Metatarso-Phalaugeal-Gelenken zur Vereiterung, und enthielt
der entleerte Eiter mikroskopisch und kulturell Gonokokken. Da die Sekret*
Untersuchung von Conjunctiva, Urethra und Rectum des Patienten negativ
ausfiel, andererseits aber beide Eltern derzeit wegen gonorrhoischer Er-
krankung in Behandlung des Verf. standen, ist derselbe geneigt anzunehmen.
808 Nekrolog.
dass es sich in seinem Falle um eine Impfgonorrhoe handelt. Doch ist eine
Untersnchnng des Sekretes Ton der prim&r yerletzten Stelle nicht gemacht
worden. Sara Welt-Kakels.
£He axillare AbduktUm in der Behandlung der kongenitaleH Hüf^elenks-
Verrenkung, Von R. Werndorff. Zeitschr. f. orthop. Chirurgie: XIII. Bd.
4. Heft.
In besonders ungünstigen Verhältnissen, wenn das obere Pfannendach
steil ist, der obere Pfannenrand yoUständig fehlt und neben einem ante-
yertierten Uumeraskopf die obere Kapsel schlaff ist, wenn die bisher ge-
bräuchlichsten Grade der negativen Abduktion nicht ausreichen, das Hin-
übergleiten des Kopfes über den oberen Pfannenrand zu yerhindern, empfiehlt
Verf., die extremste Abduktion zu wählen, die man anatomisch überhaupt
wählen kann, d. i. eine Stellang, bei welcher der Oberschenkel dem Thorax
ganz anliegt und sich das Knie in der entsprechenden Achselhöhle befindet
Geissler.
Über die Lage der skolioHscken Abbiegungen in den verschiedenen Aliersjakren,
Von £. Müller. Zeitschr. f. orthop. Chirurgie. XIII. Bd. 4. Heft.
Diese Arbeit ergänzt eine frühere Arbeit von Schulthess über die
Prädilektionsstellen der skoliotischen Abbiegungen an der Wirbelsäule insofern,
als sie angibt, welche Lage den von Schulthess beobachteten Krümmungen
in den einzelnen Altersjahren zukommt. Die allgemeine Frequenz steigt
yom 8. — 14. Jahre stetig und nimmt alsdann wieder ab. Im 8. — 17. Jahr
zeigt sich das Frequenzmaximum immer in der Höhe des 6. — 8. Brustwirbels.
Das Frequenzmaximum der linkskonvexen Krümmungen steht im 8. Jahre
höher, entsprechend dem 8. — 10. Brustwirbel, sinkt dann bis zum 15. Jahre
hinunter auf den 1. — 2. Lendenwirbel und bleibt die folgenden Jahre hier.
Vom 8.-17. Jahr fällt die Frequenz der linkskonyexen und steigt diejenige
der rechtskonyexen. Das 14. Jahr zeigt fast gleichmässige Verteilung. Die
Zahl der Nebenverkrümmungen vermehrt sich fast stetig vom 8. — 17. Jahr.
Geissler.
Nekrolog.
Am 29. März d. J. starb zu Dresden nach langer und schwerer Krankheil
Geheimer Hofrat Dr. med. Riehard Poerster.
Derselbe wurde 1885 zu Augnstusbnrg i. S. geboren, erlangte die Reife zam
Besuche der Uniyersität durch den Besuch der Fürstenschule in Grimma
studierte in den Jahren 1854 — 1859 in Leipzig die medizinische Wissenschaft
und erwarb sich 1859 durch eine Dissertation „De scarlatina cum tnberculosi
combinata* den medizinischen Doktortitel.
In den Jahren 1859 und 1860 war er Assistent auf der medizinischen
Abteilung des Stadtkraokenhauses Dresden-Friodrichstadt und trat dann eine
halbjährige wissenschaftliche Reise an, während welcher er in Berlin, wo er
besonders yon Virchow freundlichst aufgenommen wurde, Wien, Paris und
Würzburg längeren Aufenthalt nahm und hierbei die Gelegenheit benatzte,
Nekrolog. 009
sich über die der Pflege und der Behandlaog erkrankter Kinder dienenden
Anstalten und deren Einrichtnngen genauer zu unterrichten und sich auf
meinen künftigen Beruf als Kinderarzt yorzuberciten.
Im Sommer 1861 Hess er sich in Dresden als praktischer Arzt nieder
und trat im Juli desselben Jahres in die Kinderbeilanstalt ein, in der er
bald infolge seiner besonderen Befthignng zu einer führenden Stellung ge-
langte; 1868 übernahm er das bis dahin yon Kuttner geleitete kleine
Hospital, 1869 trat er in das Direktorium der Kinderheilanstalt ein, 1877
wurde er Vorsitzender des Vcrwaltungsrates dieser Anstalt und 1878 nach
Eröffnung des nach seinen Angaben errichteten grösseren Krankenhauses
leitender Arzt desselben. Die Rücksicht auf seine schon damals nicht ein-
wandsfreie Gesundheit nötigte ihn, Ende 1881 aus dieser Stellung auszu-
scheiden, jedoch behielt er noch bis zum Schlüsse des Jahres 1901 den
Vorsitz im Verwaltungsrate, aber auch nach Niederlegung dieses Amtes
widmete er seine Kraft der seinem Herzen sehr nahestehenden Anstalt. Seine
Ärztliche Praxis hatte er im Laufe des Jahres 1900 aufgegeben.
Mit Foerster ist einer der hervorragendsten und verdienstvollsten
Kinderärzte aus dem Kreise der Lebenden geschieden. Aus innerster Über-
zeugung ist derselbe in Wort und Schrift fui die Sonderstellung der Kinder-
heilkunde im Rahmen der gesamten Heilkunde eingetreten und zwar zu
einer Zeit, wo zu solchem Vorgehen der Boden durchaus noch nicht geebnet
war. Er konnte und durfte dies tun auf Grund seiner reichen Kenntnisse
auf diesem Gebiete, und die weitere Entwicklung det ärztlichen Wissenschaft
hat ihm und seinen Mitstreitern Recht gegeben.
Die grösste Tat seines arbeitsreichen Lebens war die Errichtung des
Krankenhauses der Kinderheilanstalt zu Dresden, das sein Entstehen aus-
schliesslich seiner rastlosen Tatkraft verdankt und lange Zeit als ein Vorbild
für derartige Anlagen gebildet hat. Nicht minder verdienstlich war seine
Betonung des Wertes und der Pflege der Chirurgie und der pathologischen
Anatomie in den Kinderkrankenhäusern und seine Tätigkeit als Leiter des
Zentralimpfinstitiites, das jahrelang vor Einführung des Reichsimpfgesetzes
eine überaas segensreiche Wirkung entfaltete.
Sein bewundernswerter Fleiss ermöglichte es ihm, neben der Leitung
des Krankenhauses und der Ausübung einer umfangreichen Praxis als Arzt
und Consilier noch Zeit zu schriftstellerischer Arbeit zu finden. Aus der
Reihe der zahlreichen von ihm veröffentlichten Arbeiten seien hier nur die
folgenden genannt, die ihm selbst als die wichtigsten und besten erscheinen.
Anämie und Chlorose, Gerhardts Handbuch der Kinderkrankheiten. 3. Band
1. Abt. 1878.
Fall von vorwiegend lymphatischer Leukämie. 1860.
Über das Bedürfnis eines Kinderkrankenhauses für Dresden. 188*2.
Kinderheilkunde und Kinderkrankenhäuser. 1862.
Über Thermometermessung bei Kindern. 1862.
Beobachtungen über Tuberkulose im Kindesalter. 1863.
Die Diphtherie. 1864.
Beiträge zur Behandlung der infantilen Syphilis. 1867.
Ueber Gesetzmässigkeit in der Wiederkehr und im Verlaute gewisser Epi-
demien. 1868.
810 Nekrolog.
Zar Befarwortang der Impfpflicht. 1872.
Über EselinneDmilchanstalten in Holland. 1877.
Mitteilungen über die im neuen Dresdener Kioderhospitaie in den erstes
beiden Jahren nach seiner Eröffnung zur Beobachtung gekommenen
Lähmungen. 1880.
Zar Frage der sogenannten akuten Rachitis. 1881.
Über die Anwendung rassischer Dampfb&der bei diphtheritisch-croupöser
Stenose. 1882.
Die Chirurgie und die pathologische Anatomie in den Kinderhospitälern. 1882.
Über Schrumpfniere im Kindesalter. 1887.
Die Mehrzahl der Arbeiten ist im Jahrbuche für Einderheilkonde er-
Bchtenen^zu dessen Herausgebern Foerster vom Erscheinen der neuen Folge
an bis zu seinem Tode gehört hat.
Alle diese Arbeiten beweisen die überaus scharfe Beobachtungsgabe
Foersters, der nichts entging, und sie zeichnen sich aus durch eine strenge
Kritik, die er besonders an sich selbst übte.
Eine Reihe von Jahren war Foerster ein regelmässiger Besucher
der Versammlungen der deutschen Naturforscher und Arzte, auf denen er
in der von ihm im Jahre 1868 mitbegründeten Abteilung für Kinderheilkunde
oft das Wort zum Vortrage und in der Diskussion ergriff. Er gehörte zu
den Gründern der deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und war
mehrere Jahre Schriftführer derselben; die ersten zwei Berichte über die
Verhandlungen dieser Gesellschaft sind von ihm herausgegeben worden.
Dem Vorstande der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden ge-
hörte er vier Jahre als stellvertretender Voi*sitzender an, viele Jahre lang
war er Mitglied des Vorstandes des Vereins zur Errichtung von Kinderheil-
stätten an den Seeküsten, der Zweigverein Dresden des letztgenannten
Vereins wurde von ihm ins Leben gerufen und stand jahrelang unter seiner
Leitung, auch der Vorstand des gemeinnützigen Vereins zu Dresden, der
neben anderen Zielen auch das der Heranziehung einer kräftigen Jugend
erstrebte, erfreute sich längere Zeit seiner Mitarbeiterschaft.
Es hat Foerster nicht an Auszeichnungen mancherlei Art gefehlt; er
hat sich dieselben durch treue, mühevolle und aufopfernde Arbeit erworben;
sie sind ihm zum Teil erst spät verliehen worden, er konnte sie entbehren»
denn er war sich der hohen Anerkennung und Verehrung seiner Fach-
genossen sicher.
Dreissig Jahre lang habe ich die Freude und die Ehre genossen, mit
ihm und neben ihm zum Wohle unserer Kinderheilanstalt zu arbeiten, und
deshalb kann ich wohl sagen:
Ach, sie haben einen guten Mann begraben;
Und mir war er mehr.
Unruh.
Jahrbuch für Kinderheilkunde.
N. F. Bd. 61.
1906. Heft 5
Anzeigen.
Herr Dr. med. Rad. Fisehl, PriTatdozent für Kioderheilkande ah der deatschen
med. Fakaltät der K. K. Karl FerdioaDds-UniYcrsit&t in Prag, schreibt:
„Die mit Kufekemehl Yon mir angestellten Versnobe sind sebr be-
friedigend ausgefallen. leb babe dasselbe nicbt als ausschliessliebe Nahrang
yarwendet, da wir dazu bier za Lande keine Gelegenbeit haben, sondern als
Beikost in Form von Sappen and Brei, sowie- als Zasatz zar Milch. Ausserdem
nahm ich Gelegenheit, einzelne Kinder wegen Dickdarmkatarrh temporär mit
w&sserigen Abkochangen des Präparates za ernähren.
In alleo Fällen war der Erfolg ein vollständig entsprechender, und
hatte ich namentlich auch nicht so intensive Obstipationen zu verzeichnen,
wie sie bei anderen Kindermeblon eine unvermeidliche und schwer za
beseitigende Erscheinung bilden.*'
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und franko zur Verfügung.
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XXVIL
Die diagnostische Tuberkullnreaktlon Im Kindesalter.
Nach dem Materiale der Grazer pftdiatrischen Klinik
(Vorstand Prof. Dr. M. Pfaundler).
Zasammengestellt yon
Dr. BELA SCHICK,
Seknndararzt am St. Anna-Einderspitale (Vorst. Prof. Dr. Th. Eseherich)ixL Wien.
Nach den MitteiluDgen Kochs über Tuberkulin auf dem
X. internationalen Kongresse 1890 wurde das neue Mittel an
zahlreichen Stellen geprüft, und man braucht nur den Jahrgang
1801 der Deutschen med. Wochenschrift durchzublättern, um die
Menge des bearbeiteten Materiales abzuschätzen.
Anfangs kamen reichlich gunstige Berichte, bald jedoch
mengten sich darunter auch Publikationen über Misserfolge, und
es dauerte nicht allzulange, so gab man das Tuberkulin als Heil-
mittel fast überall auf und wollte von ihm nichts mehr wissen.
Auch das neue Präparat T. R. konnte keine Anerkennung finden.
Nicht genug daran, begann man auch an der Angabe der
diagnostischen Verwertbarkeit zu rütteln:
1. sollten Gesunde bezw. Nicht-Tuberkulöse auf Tuberkulin
reagieren;
2. auch andere Substanzen, die mit Tuberkulin keinerlei
Ähnlichkeit haben, erzeugen bei Tuberkulösen eine analoge
Reaktion ;
3. blieb bei sicher Tuberkulosen manchmal die Reaktion aus.
Matthes^) ging sogar soweit, Deuteroalbumose an Stelle
des Tuberkulins zu empfehlen, da sie dieselbe Reaktion hervor-
rufe, billiger und haltbarer sei.
Selbst die letzten Autoren, die sich mit der Spezifizität
der Tuberkulinreaktion ausführlich befassten [Preisich und
Heim*), Zupnik*)] schränken den differential-diagnostischen
Wert des Tuberkulins ein. Zupnik fasst die Tuberkulinreaktion
als eine neue Gruppenreaktion auf.
1) Deutsch. Archiv f. klin. Medizin. 1894.
>) Centralbl. f. Bakteriologie. 1902. Bd. XXXI.
>) Festschrift f. Przibram. 1903.
Jahrbuch für KinderheUkande. N. F. LXI. Heft 6. 58
812 Schick, Die diagnostische
Bei diesem Stande der Meinungen ist es begreiflich, dass
man das Vertrauen zur Tuberkulinreaktion als diagnostisches
Hilfsmittel verlor.
Nur beim Tiere gab doch die Mehrzahl der Autoren zu,
das Tuberkulin sei diagnostisch verwertbar.
Bang^) schreibt hierüber: „Nur mit Hülfe des Tuberkulins
kann man die wirkliche Verbreitung der Krankheit erkennen
und die stufenweise errungenen Erfolge beurteilen.
£ine aus hervorragenden französischen Autoren zusammen-
gesetzte Kommission^) zur Prüfung des Tuberkulins als diag-
nostisches Mittel sprach sich im Jahre 1896 ruckhaltslos im
gunstigen Sinne aus.
So verlässlich und durch reichliches Material gestutzt war
die Reaktion beim Tiere, dass Nocard in Bern sagen konnte:
»Suchen sie, wenn sie den durch das Tuberkulin angezeigten
Herd nicht gefunden haben, und sagen sie einfach, sie haben ihn
nicht gefunden, aber nicht, dass ein solcher nicht existiert. **
Und wir glauben, gerade die Ergebnisse der Tierversuche
sind mit Bezug auf die diagnostische Bedeutung des Tuberkulins
von ausserordentlicher Wichtigkeit, denn nur die genaue patho-
logisch-anatomische Untersuchung jedes injizierten reagierenden
Tieres kann uns einen exakten Anhaltspunkt für die Brauchbar-
keit und insbesondere für die Spezifizität der Reaktion geben.
Die Beurteilung beim Menschen ist eine viel schwierigere.
Die eingangs erwähnten Einwände gegen die diagnostische Be-
deutung des Tuberkulins sind übrigens vielfach weniger schwer-
wiegend, als es auf den ersten Eindruck scheinen könnte. Seitdem
in den letzten Jahren mit dem Aufschwünge der Lungenheil-
stätten das Alt-Tuberkulin Koch neuerdings zu diagnostischen
Zwecken verwendet wird, kommt allgemein die Erkenntnis zum
Durchbruche, dass der diagnostische Wert der Tuberkulininjektion
nicht zu verachten sei, wenn man nur nicht mehr von ihr ver-
langt, als man von ihr theoretisch zu erwarten hat.
Dabei ist noch eines zu berücksichtigen. Die Resultate
sind vornehmlich an Erwachsenen gewonnen, und damit hängt es
vor allem zusammen, dass im klinischen Sinne gesunde Individuen
auf Tuberkulin reagieren.
Seit Nägeli wissen wir, dass in 97 pCt der Sektionen
tuberkulöse Veränderungen im Organismus Erwachsener auffind-
1) Deutsche Zeitschr. f. Tiermedizin. 1896. Bd. 22. I.
2) Bull, de TacadÄmie de medecine. Bd. XXXV. No. 8. 25. II. 96.
Taberkalinreaktion im Kindesalter. 813
bar sind. Erst im vorigen Jahre konnte Burckhardt^) nach-
weisen, dass unter 1262 Erwachsenen 91 pCt. Zeichen einer ab-
gelaufenen oder noch frischen Tuberkulose darboten; wir mQssen
es sogar auffallig finden, dass nicht viel mehr Erwachsene tuber-
kulin empfindlich sind.
Bei Kindern liegen die Verhältnisse für die diagnostische
Verwertbarkeit des Tuberkulins — wir möchten sagen — patho-
logisch-anatomisch günstiger.
Unter 196 Kindern waren nach Burckhardt nur 40 pCt.
nachweislich tuberkulös infiziert gewesen.
Neugeborene und Kinder der ersten Wochen, selbst solche
Ton tuberkulösen Müttern, reagieren entsprechend dem Fehlen
«iner tuberkulösen Infektion, wie Epstein*), Schreiber^) und
in letzter Zeit Berend*) zeigen konnten, auf relativ grosse
Mengen Tuberkulin nicht (Schreiber 0,05, Berend 0,01 g).
Selbst bei grösseren Kindern fehlen bei der Obduktion be-
deutend häufiger als beim Erwachsenen tuberkulöse Veränderungen.
Von diesem Standpunkte aus betrachtet ist, die diagnostische
Verwertbarkeit des Tuberkulins gerade bei Kindern viel einwand-
freier und der Ausfall der Tuberkulinreaktion für die Diagnose
weit wertvoller als bei Erwachsenen, welches Moment wir be-
sonders betonen, weil es sich bei Durchsicht der Literatur zeigt,
<lass gerade bei Sandern relativ wenig systematisch Tuberkulin-
prüfungen vorgenommen wurden.
Epstein prüfte an Säuglingen und Kindern bis zu drei
Jahren, die Zahl seiner Fälle beträgt 14, Ganghofner und Bayer*)
berichten über 9 Fälle, Steffen®) über 10 Fälle diagnostischer
Tuberkulininjektion etc.
Die grösste Untersuchungsreihe an Kindern findet sich in
der Publikation Escherichs^, der nahe an 100 Fälle zur
Prüfung heranzog und auf Grund seiner Befunde die Bedeutung
des. Tuberkulins als therapeutisches und diagnostisches Mittel
kritisch beleuchtet.
0 Ref. Münch. med. Wochenschr. 1903. No. 29. S. 1275.
«) Prag. med. Wochonschr. 1891. No. 1 u. 2.
s) Deutsche med. Wochenschr. 1891. S. 306.
*) Ref. Budapester Brief. Berliner klin. Wochenschr. 1900. No. 52.
») Prag. med. Wochenschr. 1891. No. 3 u. 4.
«) Jahrbuch f. Kinderheilkunde. Bd. 34. S. 34.
6 Jahrbuch f. Kinderheilkunde, Bd. XXXIII. Dortselbst weitere
Literaturan gaben.
53*
814 Schick, Die diagnostische
Mit wenigen Ausnahmen [vor allem Kohts^)] ist im Gegen-
satze zu den Autoren, die bei Erwachsenen untersuchten, eine
erfreuliche Übereinstimmung mit Bezug auf die Beurteilung des
diagnostischen Wertes der Tuberkulinreaktion zu verzeichnen, die
sich am besten mit den Worten Escherichs wiedergeben lässt:
„dass das Tuberkulin wohl kein untrügliches, aber ein yerläss-
liches und schätzbares diagnostisches Mittel ist^.
Ich konnte, dank der Liebenswürdigkeit der hochverelirten
Vorstande der Wiener und Grazer Universitäts-Kinderklinik, der
Herren Prof. Dr. Th. Escherich und Prof. Dr. M. Pfaundler,
aus dem Materiale der Jahre 1895 — 1900 weitere 120 Fälle zu-
sammenstellen, die zu diagnostischen Zwecken mit Alt-Tuberkulin
injiziert worden sind.
Das Alter der untersuchten Kinder schwankte zwischen
drei Monaten und vierzehn Jahren. 43 Kinder standen im Alter
von unter vier Jahren.
Die Injektionen erfolgten teils an klinisch schon tuberkulöa
sich erweisenden Kindern zur Beurteilung der Yerlässlichkeit des
Tuberkulins und eventueller Erhärtung der klinischen Diagnose
in einer Reihe von Fällen (35) wurde die Injektion zur Entscheidung
herangezogen, ob in einem klinisch zweifelhaften Falle Tuberkulose
vorlag oder nicht.
Zwanzig dieser Kinder standen nach der Spitalsbehandlung
noch längere Zeit in Beobachtung, so dass wir bei diesen über
ihr weiteres Befinden uns orientieren konnten, und endlich sind
eine Reihe von positiven und negativen Reaktionen durch Sektion
(Prof. Eppinger) kontrolliert (20 Fälle).
Die Methodik der Injektion entsprach der allgemein üblichen.
Die Injektion wurde fast stets am Unterarm vorgenommen und
während des Andauems der Reaktion zweistündlich gemessen.
Bei der diagnostischen Verwendung des Tuberkulins mus&
man, da die Reaktion vor allem in Temperaturerhöhung zum
Ausdrucke kommt, die Patienten in fieberfreien Intervallen zur
Prüfung heranziehen; diesem Umstände wurde fast ausnahmslos
Rechnung getragen.
Was die Menge Tuberkulin betrifft, die zur Prüfung ver-
wendet werden soll, so lauten die bisherigen Angaben der
Literatur:
0 Ther. Monatshefte, April 1891.
Taberkalinreaktioo im. Eindesalter. 815
Epstein beginnt bei Kindern unter drei Jahren mit 0,1 mg
und steigt vorsichtig um 0,05 — 0,1 mg;
Escherich gibt folgende Zahlen an:
bei ganz jungen Kindern 0,2 — 0,5 mg,
bei älteren Kindern 0,5 — 1 mg.
Über 1 mg als Anfangsdosis solle nie hinausgegangen
werden. Jedoch zeigte es sich, dass Fälle von Lymphdrüsen-
tuberkulose vorkamen, bei denen erst auf 3 mg typische
Reaktion erfolgte.
Beck^) gibt bei Kindern unter zehn Jahren als Anfangs-
•dosis 0,5 mg;
Leser*) bezeichnet als Dosis für Kinder Ys — Va ^^^ Dosis
•der Erwachsenen;
nach Heubner^) reagieren tuberkulöse Säuglinge schon auf
*/,o der Dosis Erwachsener.
Im allgemeinen stimmen diese Angaben mit den von uns
gefundenen Zahlen überein.
Bevor wir auf den eigentlichen Teil unserer Arbeit ein-
gehen, wollen wir zur Übersichtlichkeit unsere Fälle gruppieren.
Damach ergibt sich folgendes:
Gesamtzahl der untersuchten Fälle 120. Davon sind:
1. klinisch sichere Tuberkulose . . 43,
2. klinisch nicht als tuberkulös auf-
gefasste Erkrankungen .... 42,
davon 12 + = ca. 26 pCt.,
3. zweifelhafte Fälle 35,
davon 14 + = ca. 40 pCt.
Reaktion in allen Fällen positiv.
In der Gruppe I finden wir folgende Erkrankungen ver-
treten :
Tuberculosis pulmonum 15,
Peritonitis tuberculosa 9,
Pleuritis „ „ 6,
Meningitis und Pericarditis tbc. je 1,
chirurgische Tuberkulose 11.
Es war uns nicht um eine statistische Verwertung unserer
Fälle zu tun, womit wir ja nichts anderes erreicht hätten, als zu
1) Deatsche med. Wochenschr. 1899, No. 9.
«) Mnnch. med. Wochenschr. No. 47 u. 48. 1891.
*) Cit. nach Escherich, l. c.
816 Schick, Die diagnostische
den Tausenden bis jetzt publizierten Tuberkulininjektionen noch
120 hinzuzufügen; unsere Absicht ist es, die Eigenheiten der
Tuberkulinreaktion im Kindesalter hervorzuheben und klinisch
interessantere Fälle mit Rucksicht auf die Tuberkulinreaktion zu
erörtern.
In vielen Fällen unterscheidet sich der Verlauf der Reaktion
im Eindesalter durch nichts von dem bei Erwachsenen.
Zwei Momente sind jedoch unserer Ansicht nach wichtige
die dem Verlaufe der Tukerkulinreaktion im Kindesalter ein
eigentümliches Gepräge verleihen, d. i.
1. das bedeutend häufigere Vorkommen der so-
genannten protrahierten Reaktion, d. h. des Anhalteus
der Temperatursteigernng während mehrerer Tage und
2. die grosse Zahl (unter unseren 27 Fällen) von
mitunter recht intensiven Reaktionen an der Injektions-
stelle (Stichreaktion nach EscLerich), die oft Tage zur
vollkommenen Restitutio ad integrum beanspruchten. In den
schlimmsten Fällen bestand diese Stichreaktion in hochgradiger
ödematöser Schwellung des ganzen injizierten Armes
mit erysipelatöser Rötung und hochgradiger Empfind-
lichkeit.
Beide Momente hängen sicherlich mit dem Stadium der
tuberkulösen Infektion beim Kinde zusammen. Das hauGge Auf-
treten der protrahierten Reaktion schon auf entsprechend be*
rechnete Dosen hin beweist die überaus hohe Empfindlichkeit
des tuberkulösen kindlichen Organismus gegenüber kleinsten
Dosen, und ich betone die aufifällige Tatsache, dass die Tuberkuh'n-
reaktion, je näher der Zeitpunkt der Injektion dem der ersten
Reaktion auf die tuberkulöse Infektion liegt, um so prompter
und intensiver erfolgt. Vielleicht liegt darin die Ursache der
hohen Empfindlichkeit des Kindes gegen Tuberkulin.
Ähnliche Gründe sind für die Häufigkeit der Stichreaktionen
anzuführen.
Auch der Verlauf und die Lokalisation der Tuberkulose im
Kindesalter mag dabei eine Rolle spielen, ich erinnere nur, dass
die Mitbeteiligung der Haut bei der Tuberkulose des Kindes-
alters viel häufiger ist als beim Erwachsenen (Tuberkulide), wie
ja auch sonst gewisse Unterschiede der Lokalisation der Tuber-
kulose beim Kinde auffällig sind, z. B. das häufige Befallensein
der Gelenke.
Wir lassen nunmehr einige Beispiele folgen:
Taberkalinre&ktion im Kindesalter. 817
No. 66. Matthias Maritschnigg war sam erstenmale im Jahre
1896 Tom 10. X. bis 13. XL, 8Va Jahre alt, mit einer croupösen Pneumonie
des rechten Oberlappeos in Spitalbehandlnng. Der Verlauf war insofern ge-
stört, als sich an die Krise ein mehrtägiges remittierendes Fieber anschloss«
Die Lösang erfolgte nur langsam.
Im Jahre 1899 kam Fat. neuerdings zar Aufnahme. lU^/» Jahre alt,
war er einige Tage Yor dem 17. XII. akut unter Schüttelfrost erkrankt. Bei
der Untersuchung zeigten sich noch Residuen der alten Erkrankung, indem
rechts oben Schallverkürzung und verschärftes Atmen bestand. Diesmal
war der linke Oberlappen Sitz der Pneumonie. Schon am 19. XII. erfolgte
kritische Bntfieberung. Hierauf war Pat. fieberfrei.
Am 87. XII. erhielt Pat um 10 Uhr vormittags 0,0004 Tuberkulin.
Temperatur Verl auf:
2 4 6 8 12 4 7 10
* • ^^^' 36,5 36,7 86,5 87,2 36,7
28. XII. 86,7 87,2 88,8 87,4 37,0.
Die Injektionsstelle war etwas gerötet und geschwellt.
Auch am 80. XII. war noch ein hellergrosses Infiltrat an der
Injektionsstelle nachweisbar. Rötung geringer.
Am 1. I. 00 erhielt Pat neuerdings Tuberkulin in der Dosis von
0,0008 um 12 Uhr mittags.
Temperaturverlauf:
2 4 6 8 10 12
^' ^' 87,2 37,8 37,4 88,6 38,9 89,0
2 1 * 6 8
^' ^' 38,7 38,2 87,8 87,8.
8.1. An der Injektionsstelle die Haut sehr stark gerötet
und geschwollen, heiss anzufühlen, bei Druck und spontan Schmerzen.
Die Rötung 8 cm lang und 5 cm breit.
4. I. Ein Eiterbläschen an der Einstichstelle, Haut noch leicht infiltriert
und bläulich verfärbt
Dieser Fall ist auch deswegen iDteressant, weil nach Ab-
lauf zweier typischer Pneumonien die Tuberkulininjektion positiv
war, wohl darauf beruhend, dass sich tuberkulöse Veränderungen
im Körper vorfandeu.
Das Kind kam im Jahre 1900 wieder mit eiuer typischen
Pneumonia crouposa des linken Oberlappens (reichlich Herpes,
Nackenstarre, kritischer Abfall der Temperatur) zum dritten
Male zur Aufnahme. Auch diesmal erfolgte Heilung.
Johann Angenetter, S'^is «^&hre alt, war schon im Jahre 1898 wegen
Verdacht auf Spitzenaffektion in Spitalbehandlung. Auf Kreosot wesentliche
Besserung.
Am 8. Y. 1900 erkrankte Pat. mit Kopfschmerzen, Erbrechen von
Schleim, Mattigkeit, Hitze, Husten.
Der klinische Befund bei der Aufnahme am 12. Y. bestand in Dämpfung,
Bronchialatmen ond kliagendem Rasseln über dem 1. Oberlappen, haupt-
sächlich Tome.
818 Schick, Die diagnostische
Die Temperatur fiel Ijtisch zur Norm ab.
Die Lösung war verschleppt (wahrscheinlich wegen bestehender
Bronchialdrüsenphthise).
Am 28. Y. bekam Fat. 0,0CX)5 Tuberkulin. Die Temperaturreaktion
war m&ssig. Die höchste Temperatur war 37,6 um 4 ühr nachmittags.
Erst am 30. V. war die Injektionsstelle und deren Umgebung m&ssig
gerötet und geschwollen.
Am 2. YI. bekam Fat. 0,001 Tuberkulin. Diesmal war die Reaktion
ausgiebiger. Es trat verspätete und protrahierte Reaktion auf. Die
Temperatur hob sich am Nachmittage des nächsten Tages auf 39,7.
Die Injektionsstelle war sehr stark gerötet, geschwollen
und empfindlich. Gleichzeitig fand sich eine ca. bohnengrosse, akut ge-
schwellte Cubitaldrfise.
Die Schwellung und Rötung ging erst nach 48 Stunden zurück.
Christian Rauwolf, IPV» J&^re alt, wurde am 5. XII. 1900 auf-
genommen. Fat. ist seit 4 Monaten kränklich; nachts Fieber, Schwitzen,
andauernder Husten. Schmerzen auf der Brust. Vater starb an Tuberkulose.
Schwester ist skrofulös.
Der Lungenbefund ergab nur den Verdacht einer rechtsseitigen Spitzen-
tuberkulöse.
Am 9. XIL 0,0005 Tuberkulin. Höchste Temperatur 37,1 um 4 ühr
nachmittags. Injektionsstelle frei.
Am 26. XIL 0,001 Tuberkulin. Temperaturreaktion 0.
Dagegen ist am 27. XII. die Injektionsstelle stark gerötet und
schmerzhaft. Diese Erscheinungen halten bis zum 29. XIL, als durch drei
Tage, an.
Geheilt am 3. I. 1901 entlassen.
Folgender Fall zeigt besonders lange Dauer der Lokal-
reaktion.
No. 2. Emma Kult war im Alter von 7*/« Jahren zum erstenmale
vom 17. IV.— 28. YI. 1895 in Spitalbehandlung. Es bestand eine D&mpfung
mit verschärftem Atmen rechts oben und dabei remittierendes Fieber. Schon
damals bestand der Verdacht auf Tuberkulose.
Als Fat. im Jahre 1897 (16.— 29. VI.) neuerdings zur Aufnahme ge-
langte, bekam sie am 18. VI. 0,0008 Tuberkulin ohne nachfolgende Temperatur-
reaktion. Dagegen war die Injektionsstelle gerötet und ge-
schwellt. Diese Schwellung hielt durch 4 Ta^e an.
Über der ganzen rechten Lunge bestand Dämpfung, Bronchial- und
zum Teil amphorisches Atmen und grossblasige Rasselgeräusche»
Fat. kam nach Lussingrande.
Von dort zurückgekehrt, wurde sie am 6. VIII. 1897 neuerdings mit
demselben Lungenbefund aufgenommen.
In Lussingrande hatte sie oft bis 39,0 nachmittags gefiebert. Bei ans
kein Fieber.
Am 9. VIIL erhielt Fat. 0,001 Tuberkulin (also mehr als das erste Mal).
Tuberkalioreaktion im Kindes&Iter. 819
TemperatarTerlauf war:
8 10 2 4 8 12
9. VIIL 86 36,7 87,5 37,9 37,7 38,4
10. VIIL 37,8 38,4 38,8
11. VIIL 36,8
Am 10. VIIL war bereits die InjektioDSstelle stark geschwollen, gerötet,
heiss. Diese Lokalerschein ang dauerte noch bis zur Entlassung, d. i. bis
zam 21. VIIL, an.
Weitere Fälle siehe unter der Zasammenstellung.
Epstein und Escherich sprechen schon die Ansicht aus,
dass diese Stichreaktion eine spezifische sei.
yfir können uns auf Grund vorliegender Beobachtungen
dieser Ansicht vollinhaltlich anschliessen.
Für die Spezifizität der Stichreaktion, auf die wir noch bei
der Darlegung unserer Erklärung des W^esens der Tuberkulin-
reaktion besonders zurückkommen werden^), spricht eine Reihe
von Tatsachen, von denen wir hier folgende erwähnen:
1. Unseres Wissens ist kein Fall bekannt, in dem bei
sicher ausgeschlossener Tuberkulose Stichreaktion vor-
gekommen wäre.
2. Bei sicher Tuberkulösen ist die Stichreaktion
manchmal das einzige Zeichen der positiven Reaktion
(siehe Fall Rauwolf und Eull), was man daraus ersehen kann,
dass solche Individuen bei Steigerung der Dosis neben dieser
Stich- auch eine Allgemeinreaktion zeigen (z. B. Fall
Kuli).
8. Für besonders wichtig halten wir das Auftreten der
Stichreaktion im Verlaufe einer Immunisierung mit
Tuberkulin, wobei nach Aufhören des Fiebers die Stich-
reaktion noch häufig kenntlich bleibt.
Dabei lässt sich kein vollkommen gesetzmässiges
Verhältnis zwischen Intensität der Allgemein- und
Stichreaktion erkennen, wiewohl häufig bei starker All-
gemeinreaktion auch die Stichreaktion intensiv verläuft.
Karolino Pilz, 13 Jahre, wurde am 10. IL 97 wegen Verdacht auf
Tuberculosis pul m. aufgenommen. Es bestanden Nachtsch weisse, unregelmässig
remittierendes Fieber. Der physikalische Befund war negativ.
Am 21. nr. wurde Fat afebril, worauf am 30. III. Taberkulin 0,001
injiziert wurde (10 Uhr vormittags).
>) cf. Yerhandlungen der 20. Versammlung der Gesellschaft für Kinder-
heilkunde. Cassel 1903. v. Pirquet: Zur Theorie der Vaccination.
820 Schick, Die diagnostische
TemperatarTerlaaf:
8 12 2 4 6 8 10 12
30. III. 3g ,y 3^^^ 3^^^ 3^5 37 .y 37 Q 3g j 39Q
2 4 6 8
®*- ^^^- 89,3 89,5 39,2 39,0.
Pat ist w&hrend der Reaktion sehr matt. Es bestehen
sehr heftige Kopfschmerzen, intensives Stechen in der linken
Banohh&lfte. Inj ektionsstelle ist stark infiltriert and gerötet,
sehr schmerzhaft.
Am 1. IV. Injektionsstelle gleich. Nachmittags noch 38,2. Von da ab
Rückbildung.
Bei Fall No. 7 finden wir dagegen schwere Allgemein-
erschein un gen und dabei Fehlen jeglicher Stichreaktion.
Marie Kuhar (I.Aufnahme vom 7 II. bis 7. III. 98), 5*/i9 Jahre alt,
zeigte ausgesprochene Spitzenerkrankung, von Drusen ausgehend. Links und
rechts neben der Wirbelsäule bestanden Dämpfungsbezirke mit bronchialem
In- und Exspirium und grossblasigem klingenden Rasseln. Hohes remittierendes
Fieber. Gegen £nde des Spitalsaufenthaltes hört das Fieber auf.
Nach 6 tägigem fieberfreiem Intervall 0,0005 Tuberkulin nm 9 Uhr
Tormittags.
Um 2 Uhr nachmittags bereits 89,2. Um 8 Uhr wurde Pat. cyanotisch,
es bestand grosse Mattigkeit.
Um 4 Uhr 39,6, um »/i^ Uhr Erbrechen.
Um 6 Uhr abends 40,0. Kollapserschein nn gen. Enorme Gyanose der
Fälle, Fingerspitzen und des Gesichtes. Über den Lungen deutliches Rasseln
Ton Nebenstehenden zu hören. Der schwere Zustand dauert bis 4 Uhr früh.
Puls = 160. Respiration 64.
Die weiteren Temperaturen lauten:
8 10 12 2 4 6 8
^- ^^^- 39,7 39,5 39,0 38,8 38,4 37,1 36,8
Tagsüber noch matt, cyanotisch.
Im Juni 1898 bestand die Lungenafiektion in gleicher Intensität
Im Dezember 1898 trat tuberkulöse Spondylitis im Brustanteile auf.
Über eine Stichreaktion ist nicht« verzeichnet.
Dieser Fall zeigt auch gleichzeitig die schwere Beein-
trächtigung des Allgemeinbefindens durch die Tuberkulininjektion
und gibt uns Gelegenheit, auch dar&ber etwas mehr zu berichten,
da wir meinen, dass die Vorführung gerade solcher Fälle die
Möglichkeit bietet, zu entscheiden, wann man besser daran tut,
von der diagnostischen Tuberkulininjektion abzusehen, beziehungs-
weise die Dosierung des Tuberkulins wohl genau zu nehmen.
Auch bei Kindern zeigt sich, dass bei gleicher
injizierter Menge die Allgemein reaktion um so intensiver
ausfällt, um so stürmischer verläuft, je kürzer die Zeit
Tuberkalinreaktion im Kindesalter. 82 t
ist, die seit der Infektion mit Tuberkulose oder seit der
letzten Exacerbation der Erkrankung verstrichen ist»
Mit diesen Fällen wollen wir uns ausführlicher beschäftigen.
Maria Kraatwasehl, 12V4 Jahre, litt schon lange an leichtem
Hasten. 14 Tage vor der am 7. Y. 1898 erfolgten Aufnahme erkrankte Fat.
mit stechenden Schmersen in der rechten Brustseite. Fieber, Atemnot und
Appetitlosigkeit. Starke Schweisse.
Vater hastet and wirft aoch aas.
Bei üntersachang erweist sich die rechte Thoraxh&lfte Tollstftndig
mit Flüssigkeit erfQllt. Die Probepunktion und nachfolgende Thorakocentes»
bestätigte die Diagnose Plearitis serosa.
In den ersten 10 Tagen der Beobachtung bestand intermittierendea
Fieber, bis über 89,0, Yom 17. V. bis 1. VI. 98 betrug die höchste Nach*
mittagstemperatar 37,5.
Am 1. VI. wurde nun 0,001 Tuberkulin um 9 ühr morgens injiziert..
Temperatnrverlauf:
8 11 2 4 6 8 10 12
^- ^^- 86,5 37,2 89.4 39,4 40,0 40 89.5 89,5
2 VI 2 4 6 8
^- ^^' 39,2 38,5 89,4 37,4
Pols 160, Respiration 60.
Während der Reaktion starke Cjanose, heftige Bauchschmerzen,
die auch am nächsten Tage noch in der Ileocoecalgegend und an der
korrespondierenden Stelle links auf Druck fortbestehen. Abdomen etwas
aufgetrieben. Etwas Husten. Während Fat. früher nie etwas aus-
gehustet, kommen einige Ballen von eitriger Beschaffenheit zu Tage,,
welche Blutstreifen zeigen.
Massige Einstiebreaktion. Schmerzen im Abdomen gehen langsam
zurück.
Im März 1899 waren die Lungenerscheinungen auskaltatorisch ge-
schwunden. Fat. klagt seit der Injektion öfter über Bauchschmerzen. In
der Ileocoecalgegend fühlt man deutliche schmerzhafte Resistenz.
Peter Egger, ]2*/i) Jahre, wurde am 31. VIII. 98 aufgenommen.
Pat war schon seit November 1897 krank. Die Erkrankung setzte mit
eigentümlich schwankendem Gange ein. Im weiteren Verlaufe trat eine
Lähmung der linken oberen Extremität auf. Seit Ostern 1898 traten
Zuckungen und Krämpfe der linken Körperhälfte auf.
Bei der Aufnahme bestand eine totale linksseitige Hemiplegie, der
Augenspiegelbefund ergab Stauungspapille, weshalb die Diagnose Tumor
cerebri gestellt wurde.
Am 8. X., nachdem also Pat. bereits 1 Monat auf der Klinik lag,,
fieberfrei und bei Bewusstsein war, wurde 0,005 Tuberkulin injiziert.
Temperaturverlauf:
10 12
2 4 6 8 10 12
16,7 36,8
37,8 37,5 37,8 88.0 37,8 37,8
2 4
8 12 4 7 10
17,5 37,4
37,8 37,6 37,8 37,6 37,0
$22 Schick, Die diagnostische
Einstichreaktion positiv. Während der protrahierten Reaktion heftige
Kopfschmerzen in der rechten Stirngegeod.
Am. 19. X. neaerlich Tuberkulin in der Dosis Ton 0,01.
An die Injektion — fraglich, ob durch dieselbe bedingt — schloss
-sich eine wesentliche Yerschlimmerang des Zustandes an. Fat. wurde
Bomnolent» bekam eine Reihe Ton Krampfanf&Uen. Am Morgen des
20. X. Gesicht hochgerötet. Schweissausbruch. Blutsuflfusionen an der
Injektionsstelle.
unter Zunahme der Erscheinungen erfolgte am 22. X. Exitus letalis.
Bei der Obduktion fand sich ein Himtuberkel Ton fast Wallnussgrösse in
der Gegend der Zentralwindung rechts, Thalamus opticus, Capsula interna
-und Corpus striatum), ausserdem Tbk. der Bronchialdrüsen und Lungen.
8. Thunhart Valerie, 7 Jahre alt, machte im Jahre 1897 eine Ge-
len ksentzündung durch. Einige Zeit darauf Klage über Herzbeschwerden,
in den letzten zwei Monaten Tor dem Spitalsaufenthalte (28. IX. — 26. XI. 97)
-Gesicht gedunsen.
Mutter ist lungenkrank, starb übrigens später an Tuberkulose.
Der Fall war ausserordentlich interessant Fat. zeigte Symptome Ton
Morb. Basedow. Es bestand Tachycardie, deutlicher Exophthalmus. Augen-
Spiegelbefund Neuritis optica.
Oberhalb der Herzd&mpfnng war eine auf derselben aufsitzende
Dämpfung nachweislich mit Stenosengeräusch. Fat. war fieberfrei.
Am 8. X., 10 Uhr vormittags 0,005 Tuberkulin.
Temperaturverlauf:
8. X.
9. X.
Nachts war Pat. sehr unruhig. Kopfschmerzen. Be-
merkenswert war, dass das Stenosengeräusch nach dieser Injektion
verschwindet, um dann in nur geringem Grade wieder zu er-
scheinen.
Dies konnte wohl auf Einschmelzung der Drüsen als Aus-
<lruck der entzündlichen Reaktion beruhen.
Diese Vermutung wurde bestätigt; denn Pat. erkrankte bald
nach der Entlassung mit grosser Mattigkeit, Schlafsucht und
Unwohlsein. Es trat zunehmende Sehstörung und endlich Amau-
rose ein. Am 15. XII. 97 wurde Pat. bewusstlos. Am 18. XII.
aufgenommen, ergaben sich die typischen Symptome einer tuber-
kulösen Meningitis (in der Lumbalpunktionsflussigkeit wurden
auch Tuberkelbazillen nachgewiesen). Am 19. XII. starb Pat
Bei der Obduktion fand sich neben Meningitis tbc. basilaris das
^anze Paket der Bronchialdruse zu einer dickflüssigen, eitrigen
Masse zusammengeschmolzoD.
12
2 4 6 8 10 12{
36,6
87,2 37,8 37,9 38,8 39.3 39,1
2 4 8 12
4 7
38,7 88,6 88,8 37,5
87,8 36,8
Toberknlinreaktion im Kindesalter. 823*
Diese Fälle Hessen sich darch eine Reihe von anderen ver-
mehren (siehe Schlusstabelle), and sie lehren uns bei Patienten^
deren tuberkulöse Erkrankung in voller Entwicklung steht, be-
ziehungsweise eben erst abgelaufen ist, doppelt vorsichtig zu sein.
Es wird gut sein, in solchen Fällen, namentlich bei eben ab-
gelaufenen Pneumonien und Pleuritiden zweifelhaften Charakters,
die Dosis des Tuberkulins recht klein zu nehmen.
Mit diesen unangenehmen Zufallen im Einklänge steht auch
die Tatsache, dass unter fortgesetzter sogenannter therapeutischer
Tuberkulininjektion in einzelnen Fällen der tuberkulöse Prozess un*
aufhaltsam fortschreitet bezw. eine miliare Aussaat der Tuberkulose
nicht unmöglich gemacht wird. Auch über solche können wir berichten.
Man darf auch nicht vergessen, dass es für ein unter Ein-
wirkung der tuberkulösen Infektion stehendes Individuum, das
ohnehin nicht einmal imstande ist, mit den produzierten Stoff-
wechselprodukten der Tuberkelbazillen fertig zu werden, eventuell
nicht gleichgültig sein kann, wenn man die Toxinmenge noch
künstlich vermehrt.
Carl Gross, 3*/ii Juhre alt, varde am 26. IV. 97 wegen Spondylitis
tubercalosa (Gibbus in der Höhe des 10. Brastwirbels) aufgenommen. Seit
8 Tagen konnte das Kind schwer gehen und sitzen. Die Wirbelsftule wurde
ängstlich fixiert.
Die erste Injektion erfolgte am 7. VI. 97, 8 Uhr früh, Dosis 0,0005.
Um 12 Uhr 86,6. Nachmittags wieder Wohlbefinden.
Am 7. Juli wurden therapeutische Tuberkulininjektionen begonnen..
Mit kleinen Dosen, Viooo mg beginnend, wurden die Injektionen meist in
Intervallen von 2 Tagen bis zum 23. VII. wiederholt Am 23. YII. waren
wir bei 0,001 angelangt. Während die früheren Reaktionen ohne sichtbare-
Symptome verlaufen waren, erfolgte hier protrahierte Reaktion mit Maximal-
temperatur von 38,8.
Die nächstfolgenden Injektionen waren:
28. VII. abends 0,001 Tuberkulin.
Temp.
abends
28. VII.
36,9
29. ^ 86,6
38,2
30. , 86,7
37,5
31. , 36.
Am 1. VIII.
neuerlich 0,001
Reaktion 0.
. 7. .
f»
0,002
n
e.
n 18. .
n
0,003
»
88,4 (2 Tage dauernd).
n 4. IX.
Jt
0,003
D
88,0 (. „ , ).
n 8. ,
»
0,003
It
87,8.
. 21. ,
n
0,004
»
88,8.
. 15.x.
n
0,0005
n
e.
Bis 8. Dezember war Patient wieder zu Hanse.
824 Schick, Die diagnostische
Im Dezember neuerliche Aufnahme. Am 11. XII. 0,0005
Tuberkulin. Diesmal loste die früher reaktionslos verlanfende
Dosis durch 2 Tage Fieber bis 38,4 aus, ein Beweis für die rasch
wiederkehrende Empfindlichkeit des Organismus trotz lange
dauernder Immunisierung.
Im März des Jahres 98 wurde Calotsches Redressement
vorgenommen. Der Zustand des Patienten verschlimmerte sich,
und Pat. ging unter Erscheinungen einer Meningitis tuberculosa
zugrunde. (14. III. 98.) Bei der Sektion fand sich Bronchial-
drösen-, Wirbel- und miliare allgemeine Tuberkulose.
Trotz monatelanger Tuberkulinisierung war abo dieser Aus-
gang nicht unmöglich gemacht.
AngastiD Hochegger, 9*/is Jahre alt, warde am 30.VI. 97 auf-
genommen. Seit 2 Jahren nnterleibsleidend. Der Bauch ist zeitweise stark
aufgetrieben. Manchmal besteht Fieber. Appetit gering, Stuhl nnregel-
mftssig. Mutter starb an Tuberknlose.
Im Abdomen ist freie Flüssigkeit nachweislich. Hinten oben neben
der Wirbelsftule bestehen zirkumskripte Dämpfungsbezirke. Die klinische
Diagnose lautete Bronchialdrüsenphthise und Peritonitis tuberculosa.
Am 5. VIL um 9 Uhr vormittags 0,001 Tuberkulin.
Temperaturrerlauf:
9 11 1 8 5 7 9 II
0. vii. _, _^ «^. «^2 gg^^ g^.^ g^,y g^^^
9
11
1
86,4
87,0
87.4
1
8
5
89,4
89,1
88,4
^ w 7
fi VIT * «* w I
89,4 89,1 88,4 37,9.
Im Abdomen keine Reaktion.
Nachdem mittlerweile die Flüssigkeit aus dem Abdomen verschwunden
war, wurde am 7. YII. mit therapeutischen Injektionen begonnen. Nichts-
destoweniger trat am 28. VlI. (es war dies die 8. der Injektionen) auf 0,00025
Tuberkulin eine Temperatursteigerung auf 89,2 ein, das Kind klagte über
starke Bauchschmerzen, und neuerlich war Flüssigkeit im Abdomen nach-
weislich (Lokalreaktion).
Es trat also trotz Tuberkulinbehandlung eine Verschlechterung des
Zustandes des Pat. ein.
Damit, dass wir nun einzelne Schäden der Tuberkulin-
behandlung erwähnen, wollten wir nicht bezwecken, die guten
Seiten der Tuberkulinreaktion zu verdunkeln, sondern neuerlich
daran erinnern, das Tuberkulin nur mit Vorsicht zu verwenden,
denn selbst ein gutes Mittel kann am unrechten Platze schaden.
Im Gegenteile, wir verfugen selbst unter unseren Fällen
über eine Anzahl solcher, wo uns das Tuberkulin bezuglich der
Diagnose den richtigen Weg wies, und insbesondere dürften jene
Fälle von einigem Interesse sein, bei denen der Verdacht einer
Tuberkalinreaktion im Kindesdter. 826
Tuberkulose durch den negativen Ausfall der Tuberkulininjektion
seine Berechtigung verlor und der weitere Verlauf der Erkrankung
zeigte, dasr die Ausschliessung der Tuberkulose den Tatsachen
entsprach.
1. Gottscheber, Rosa, 2V4Jahre alt, krank seit den ersten Lebenstugen,
wiederholt Zuckungen, Krampfzustände, kann nicht gehen, hört nichts. Spital-
jtafenthalt vom 21. X. 1896 — 20. II. 1897. Am 26. XI. 0,001 Tuberkulin.
Reaktion 0.
Am 20. IL starb Fat. Sektion ergab Sclerosis cerebri nach
•encephalitischen Herden. Keine Tuberkulose.
2. August Lazarus war im Jahre 1892 unter Diagnose Malum Pottii
in SpitalsbehandluDg, reagierte das erste Mal undeutlich auf Tuberkulin 0,001,
später negativ. Weitere Beobachtung zeigte, dass die Kyphose der Lenden-
wirbelsftule sicherlich rhachitischen Ursprunges war. Im Jahre 1898 war
Fat. Tollkommen gesund.
8. JosefWallner,6Jahrealt, Spitalsanfenthaltvom 25. Y.— 31. VIL 1898«
Fat. litt an chronischem Darmkatarrh. Im Spitale Verschlimmerung. £•
trat im Stuhl Blut und £iter auf. Starke Abmagerung. Wegen Verdacht
auf Tuberkulose 0,0006 Tuberkulin, am 28. V. 0 Reaktion.
Am 81. VII. starb Fat Bei der Obduktion fand sich ein chronischer
Dickdarmkatarrh. Keine Tuberkulose.
4. Johann Fachmann, 12Vii Jahre alt. Seit dem 3. Lebensjahre Ab-
fuhren, Blässe, im Winter immer besseres Befinden, im Sommer besonders
starke Darmerscheinungen. In letzter Zeit starke Abmagerung. Abdomen
aufgetrieben.
(Spitalsbehandlung im September 1897.)
Im Stuhl keine Tuberkelbazillen.
Am 25. IX. 0,001, am 30. IX. 0,002 Tuberkulin. Reaktion 0.
Unter Diätregelnng heilt die Darrostörung unter Gewichts-
zunahme von 2,75 kg.
5. Agathe Fritz, 10 Monate alt. 1. Aufnahme 80. IV.— 22. V. 1S97.
Fünf Wochen besteht bei der Kleinen eine anfangs kompakte Dämpfung
über der rechten Lunge, hierauf tritt reichliches Knistern auf, das Kind
magert unterdes stark ab, so dass Verdacht auf Tuberkulose bestand.
Im Spitale bedeutende Besserung.
Am 12. V. 0,001 Tuberkulin. 0 Reaktion.
Am 22. V. entlassen, erkrankt Fat. zu Hause alsbald neuerlich und wird
mit ausgedehnten lobulärpneumonischen Herden am 14. VI. 1897 neuerlich
aufgenommen. Am 18. VI. Kxitus letalis. Bei der Obduktion kon-
fluierende Lobularpneumonieen, keine Tuberkulose.
6. Josef Fettafek, 5'/) Jahre alt, wird im Juli 1895 wegen cirrhoti-
scher Fneumonie des linken Unterlappens aufgenommen.
Die zugrunde liegende Lungenerkrankung trat im 3. Lebensjahre zum
ersten Male auf. Seither soll Fat manchmal fiebern.
Befund: Links hinten, unten vom Angulus scapulae nach abwärts
Dämpfung, Bronchialatmen. Im Sputum keine Tuberkelbazillen.
Am 8. VIL 1895 0,001. 0 Reaktion.
826 S e h i c k , Die diagnostische
Pat. wird mit fast oormalem Lnngenbefand entlassen. Im Jahre 190^
neuerdings aufgenommen, ist der Langenbefund gleich.
7. Adele Heidan, 8 Jahre alt. SpiUUaafenthalt 3.X — 17. XL 1895.
Es bestand eine ausgedehnte Dämpfung über der linken Scapula und linkem
Interscapularraum, remittierendes Fieber, keine Zerfallserscheinnngen, trockene
Lösung.
Am 31. X. 0,001, am 2. XL 0,002 Tuberkulin lösten keine Reaktion aus.
Der Verlauf rechtfertigte dieses Verhalten. Pat. wurde mit geringer
Schrumpfung geheit entlassen.
8. Friedrich Walze, 5 Monate alt, wurde am 22. XIL 1897 mit
kompakter Dämpfung und Bronchialatmen über der rechten Lunge auf-
genommen. Während der Beobachtung kein Fieber, es konnte bich also um
abgelaufene Lobnlärpneumonieen der rechten Lunge oder um Tuberkulose
handeln. Am 81. XIL 0,0001 Tuberkulin ohne Reaktion. Auch die am 3. L
neuerliche Injektion von 0,0005 verlief ohne Erscheinungen.
Am 20. I. 1898 starb das Kind. Bei der Obduktion keine Tuberkulose.
9. Josef Wall n er, 6 Jahre alt, aufgenommen am 25. V. 1898. Chronische
Diarrhoen und fortschreitende Abmagerung. Auch während der Spitals-
behandlung fortschreitende Abmagerung. Im Stuhle Eiter und Blut. Am
28. V. 0,0006 Tuberkulin. Keine Reaktion.
Pat starb am 81. IIL 1898. Bei der Obduktion fand sich keine
Tuberkulose. Diagnose: Catarrh. intestini crassi chronicus.
10. Clara Liebmann, 8 Monate alt, wurde zum ersten Male am
4. IV. 1898 wegen Bronchitis diffusa (Verdacht auf Lungentuberkulose) auf-
genommen. Am 17. IV. gebessert entlassen, kam Pat. am 24. IV. neuerlich
mit beiderseitigen pneumonischen Infiltrationen zur Aufnahme.
Die am 15. lY. Torgenommene Injektion von 0,0001 Tuber-
kulin rief keine Reaktion herror, trotzdem der Verdacht auf
Tuberkulose deswegen schon berechtigt erschien, weil Pat
schwer hereditär belastet war. Mutter hustet, hatte bereits
Hämoptoen, auch die Grossmutter starb an Tuberkulose.
Pat starb am 26. IV. Bei der Obduktion fehlte in Überein-
stimmung mit dem negativen Ausfalle der Tuberkulinreaktion Tuberkulose.
Die Obduktion ergab kompakte, konfluierende Pneumonieen beider
ünterlappen mit hämorrhagischen Flecken in der Pleura.
Letzterer Fall gehört in die Gruppe der von Epstein
hervorgehobenea Fälle, die als Beweis dafür gebracht werden^
dass trotz schwerer hereditärer Belastung Tuberkulose fehlen
kann, dass also die tuberkulöse Erkrankung auch hereditär schwer
belasteter Kinder erst nach der Geburt acquiriert wird.
Andererseits ist es jedoch ebenso wichtig, namentlich in
Bezug auf die Prognose, wenn durch den positiven Ausfall der
Tuberkulinreaktion die Diagnose zugunsten der Tuberkulose ent-
schieden wird.
Wir wollen nur einen besonders prägnanten Fall hervor-
heben, der uns deshalb wichtig erscheint, weil die Diagnosen
TaberknlinreaktiOD im KiDdesalter. 827
Tuberkulose in diesem Falle nacli dem Ablauf der Erkrankung
noch gestützt werden konnte, wodurch natürlich die Beurteilung
des ganzen Erankheitsprozesses wesentlich geändert wurde.
Ella Weissnegger war unter hohem telb remittierendem, teils
kontinoierlichem Fieber erkrankt. Über den Langen wenig Erscheinungen,
1. h. 0. etwas Bronchialatmen, bald fehlt Rasseln, bald findet sich massig
reichliches Rasseln über beiden Langen. Dabei bestehen ansgesproehen
typhöse Erscheinangen, Benommenheit, Delirien. Spitalsaufenthait t. 16. IIL
bis 6. VII. 95.
Mitte Jani Entfieberung. Diagnose lautete Tubercalosis pulmonum
mit miliarer Aussaat.
Am 1. VII., 10 Uhr Vm. 0,001 Tuberkulin.
Starke Einstichreaktion: Injektionsstelle gerötet, geschwellt heiss.
Starke Cyanose.
Temperatur:
10
12 2 4 6 8 10 12
36,9
87,7 87,7 88,4 88,5 89,0 88,5 88,0
2
4 8
87,4
87,6 88,5 nachmittags noch 88,8.
Fat. wird mit physikalisch-normalem Lungenbefund entlassen.
Im Jahre 1896 starb Fat. Die Sektion ergab miliare Tuberkulose der
Lungen.
Stefanie Strujl, 8^/4 Jahre alt, wurde zum erstenmale am 17. III. 99
mit typhnsyerdächtigen Erscheinungen aufgenommen. Da Gruber -Widal
1 : 80 positiv war, neigten wir mehr der Diagnose Typhus zu, obwohl wir
schon damals an Tuberkulose dachten. Am 11. IV. entlassen, wurde Fat. am
18. IV. zum Zwecke der Tuberkulinprüfung neuerlich aufgenommen.
Am 20. IV. erhielt Fat. 0,0005 Tuberkulin (10 Uhr Vm.).
TemperaturTcrlauf:
20. IV. 8 12 4 7 10
87,1 88,2 88,7 89,0 B^S
21. IV. 1 5 8
88,0 8^,8
Positiye allgemeine Reaktion.
Unter Schweissausbrneh Abfall der Temperatur.
Am 8. V. wurde das Kind entlassen. Damach war es 14 Tage wohl.
Es erkrankte nunmehr neuerlich mit Fieber, Hinfälligkeit, Husten, magerte
rasch ab.
Am 14. VI. kam Fat. wieder zur Aufnahme. Jetzt ergaben sich aus-
gedehnte Infiltrationsbezirke rechts hinten, fast die ganze Lunge einnehmend,
nur die Spitze war frei. Reichlich Rasselgeräusche.
Durch 12 Tage bestand hohe Gontinna, dann noch durch einige Tage
subfebrile Temperaturen, worauf Entfieberung erfolgte. Die Dämpfung rechts
hinten blieb bestehen.
In diesem Falle hatte die positive TuberkuUnreaktion scbon
längst TOT den klinisch sicheren tuberkulösen Veränderungen die
tuberkulöse Natur der Erkrankung bewiesen.
Jahrbuch Ilir Kinderheilkunde. N. F. LXI. Helt 6. ^
828 S 0 h i 0 k , Die diagnostische
Gerade in der Gruppe der zweifelhaften diagnostisch un-
sicheren Fällen, wo dem Arzte jedes Symptom mehr für eine
Erkrankung willkommen ist, findet in vielen Fällen das Tuber-
kulin seine richtige und wertvolle Anwendung.
Es muss jedoch dabei berücksichtigt werden, dass der positive
Ausfall der Tuberkulinreaktion nichts anderes beweist, als dass
der betreffende Patient tuberkulös infiziert ist, bezw. war. Ob
die fragliche Erkrankung selbst tuberkulöser Natur ist, muss erst
die genaue Überlegung zeigen, und manchmal ist die Entscheidung
schwer, ob nicht neben der in Frage stehenden Erkrankung
irgendwo im Organismus ein anderer, vielleicht sogar schon ab-
gelaufener tuberkulöser Prozess die Empfindlichkeit auf Tuber-
kulin bedingt.
Schon theoretisch leuchtet es ein, dass diese in der Be-
urteilung beim Kinde in viel geringerem Grade vorhanden und
um so kleiner ist, je jünger das Kind ist.
Mit steigendem Lebensalter nimmt genannte Schwierigkeit
imnier mehr zu, entsprechend der intensiven Verbreitung uod
Häufigkeit der Tuberkulose.
Darin liegt ein weiterer Vorteil für den diagnostischen
Wert der Tuberkulinreaktion im Kindesalter.
Am Schlüsse lassen wir in kurzen Auszügen die hier nicht
erwähnten Fälle in einer Tabelle geordnet folgen und heben als
Ergebnis unserer Arbeit hervor:
1. Das Alttuberkulin ist mit entsprechend vor-
sichtiger Dosierung angewendet ein wertvolles dia-
gnostisches Hilfsmittel,
2. Die Tuberkulinreaktion des Kindes zeichnet sich
gegenüber der des Erwachsenen durch die Intensität
und relative Häufigkeit der Stichreaktion, die als
spezifisch aufzufassen ist und durch die Häufigkeit
der protrahierten Reaktion aus.
Viscer alt uberku lose.
No. 1. R. K., 7 J., 12. VII. bis 17. X. 1895. Gestorben. Tabercalosia
peritonei. Seit Frühjahr kräoklich. Stahl anregelmässig, Abmageraog,
Schmerzen im Baache, welcher an Umfang zunimmt Starke Nach tsch weisse.
Schwester der Pat. starb am 16. VII. 1895 an Tabercalosis peritonei. — Das
Kind war ausserordentlich schwächlich, stark abgemagert. Dräsenschwellan^^en
am üalse. Links oben über der Lungenspitze kürzerer Schall. Das Abdomen
gespannt, hart sich anfühlend; freie Flüssigkeit nachweislich.
Tuberkalinreaktion im Kinddsalter. 829
Inj. 17. YII. 0,001. Nach 10 Standen Temperatur 38,7. Positive
Reaktion. Unter fortschreitendem Kr&fteverfall starb Fat. am 17. X. 1895.
Sektion ergab Tbc. puim. apiois sinistri, Tbc. peritonei, intestini
et Tbc. chron. glandal. Lymphatic. mesent. et brouch.
No. 2. Tb. Tr., 12 J., 1. Vlll. bis 28. IX. 1895. Gestorben. Tnber-
calosis peritonei et intestini. Immer schw&chlioh gewesen. Nach Scharlach
wiederholt Ödeme. Seit Herbst 1894 Bancbschmerzen, Yergrösserang
des Abdomens. Yorwöibung in der Nabelgegend. Starke Nachtschweisse,
Abmagerung, unregelmässiger Stuhl. — Drusenschwellung am Halse. Str&uge
im Abdomen tastbar. Subfebrile bezw. normale Temperaturen.
Inj. 10. VIII. 0,001. Protrahierte Reaktion durch drei Tage.
Temperaturmaximam 39,5.
Unter fortschreitender Abmagerung und Marasmus Exitus. Sektion
ergibt Tuberculosis peritonei et intestini.
No. 8. H. J., 8»/4 J., 4. V. bis 16. V. 1899, Peritonitis tuberc. Seit drei
Monaten Abmagerung, Schwäche, zunehmende Appetitlosigkeit. Starke Auf-
treibung des Bauches. Fibrinöse Stränge sind palpabel, dabei besteht
Meteorismus mit brettartiger Spannung des Abdomens. Uoregelmässiger
Stuhlgang. Kein Fieber.
Inj. 10. Y. 0,001. Protrahierte Reaktion durch zwei Tage.
Tomperaturmaximum 39,8; Keine sonstigen Beschwerden. Am 12. YI. starb
Pat. an Tuberculosis pulmon. laut Zeitungs-Totenliste.
No. 4. L. D., 10»/ia J., 18. XI. bis 1. XII. 1899 I. Aufnahme, 30. Y.
bis 9. YI. 1900 II. Aufnahme. Peritonitis tnberc. Seit dem 5. Lebensjahre
nach Masern und Pertussis immer kränklich. Häufig Schmerzen im Bauche,
im letzten Jahre häufiger und stärker. Pat. leidet an Yerstopfung. Seit
Sommer wird der Bauch grösser. In der Familie d^r Mutter mehrere Fälle
von Tuberkulose. Keine objektiven Symptome. Fieberfrei.
Inj. 23. XI. 0,001. Intensire positive Reaktion mit Temperatur-
maximum von 40® 14 Stunden p. inj. Tagsüber matt, starker Schweiss.
Am 24. XI., morgens, leichtes, schmerzhaftes Infiltrat und Rötung
an der Injektionsstelle. Schwellung und Rötung hält bis zum
30. XI. an. Diaporeaktion positiv.
Inj. 5. YI. 0,001. Positive Reaktion mit geringeren Erscheinungen.
' No. 5. M. E., 10 J., I. Aufnahme 24. YIII. bis 19. IX. 1897. Peri-
tonitis tnberculosa. Schmerzen in der Coecalgegend, Anämie. Yater an
Tuberkulose gestorben. Ein Bruder wegen Tuberkulose im Spitale.
Inj. 4. IX. 0,0005. Nachmittags Temperatur 37,5.
Inj. 8. IX. 0,001. Protrahierte, durch 3 Tage idauernde posi-
tive Reaktion. Temperaturmaximum 39,7 14 Stunden p. inj.
9. IX. Während der Reaktionszeit, sowie heute früh heftige Kopf-
und Banchschmerzen. Iloocoecalgegend druckempfindlich. Schwellung
und Rötung der Injektionsstelle, die erst am 12. IX. vollständig
geschwunden ist.
ir. Aufnahme 15. IV. bis 27. IV. 1899 (12»/„ J.). Nur objektive Klagen
derselben Art wie vor 2 Jahren.
54*
880 Schick, Die diagnoBtische
Inj. 21. IV. 0,0005. Ohne Fieber bereits am Morgen des 22. Schwellang
und Rotnng, sowie Schmershaftigkeit der Injektionsstelle. Die Sehwelluog
nimmt am 28. noch za, die Injektionsstelle fühlt sich heiss an and ist sehr
schmerzhaft. Von da ab Abnahme der Intensität der Einstichreaktion ; noch
am 27. IV. sieht man leichte Rötang der Injektionsstelle.
Am 22. stellt sich auch Temperatarreaktion ein and erreicht am 3 Uhr
nachmittags 89,0.
No. 6. E. K., 8 J., 5. VI. bis 15. VII. 1899. Peritonitis tabert., Infiltr.
palm. Seit Dezember 1898 krank. Damals Peritonitis. Der Baach wurde immer
grösser, besonders in den letzten 14 Tagen. Seit heute Ödeme der F&sse*
Vater war früher lungenkrank.
Freie Flüssigkeit im Abdomen nachweislich. Über beiden Spitzen
kürzerer Schall. Remittierendes Fieber. Nachdem Pat entfiebert, worde
Taberkalin injiziert.
Inj. 15. VI. 0,0005. Protrahierte Reaktion durch einige Tage.
£s macht den Eindruck, als ob durch die Injektion eine neue Fieberperiode
angefacht worden w&re (Temperatarmaximum 89,0).
Laparotomie. Bei derselben erweist sich die Flüssigkeit stark
getrübt. Das Peritoneum erscheint injiziert, insbesondere das Netz. Hier
findet sich miliare Aussaat Heilung der Bauchwunde per primanu Pat.
starb im Herbst 1899 ausserhalb des Spitals.
No. 7. M. H., 18 J., 27. 11. bis 18. V. 1899. Peritonitis chronica (TbL).
Seit 3i Jahren spärlicher Auswarf. Schwellung des Abdomens seit einem
Jahre, die der Fasse erst in letzter Zeit. Bei der Aufnahme reichlieh freie
Flüssigkeit im Abdomen. Nabel yerstrichen. Bauchumfang 82 cm.
Rechts im Bereiche des Unterlappens Dämpfung, abgeschwächtes
Atmen (Pleuritis). Im Sputum nach Biedertscher Einengung einzelne
Tuberkelbazillen. Abdomen wird punktiert; dabei 2150 g entleert.
Inj. 9. III. 0,002. Positive Reaktion. Innerhalb 12 Stunden
Temperaturanstieg aaf 89,9.
Laparotomie: Entleerung Ton 5—6 l Flüssigkeit. Heilung per
primam. Ascites kommt wieder nach. Tierversuch mit Ascitesflüssigkeit
negativ.
No. 8. J. P., 8Vt Mon., 12. IV. bis 25. IV. 1898. Gestorben. Taber-
culosis pulmonalis. Ausgedehnte, hauptsächlich auskultatorische Lungen-
Veränderungen links, klingendes metallisches Rasseln, Bronchophonie etc.
Bazillen «f-.
Inj. 15. IV. 0,0001. Positive Reaktion: Temperaturmazimum
18 Stunden p. inj. 88,6.
Sektion ergab: Sehr grosses Infiltrat der linken Lunge, aus-
gehend von verkästen Bronchialdrüsen.
Kavernenbildung im rechten Mittellappen.
N0> 9. M. L., l*/i, J., 2a X. 1897 bis 12. IL 1898. Tuberculosis
pulm. Schwere hereditäre Belastung, Grossvater tuberkulös^ ebenso Onkel.
$eit dem 4w Lebensmonate hustet Patientin. Über beiden Lungen klingendes
Rasseln, besonders in den basalen Partien hinten.
TttberkaiinreaktioD im KiDdesalter. 831
inj. 26. X. 0,0002. Protrahierte, darch 48 Standen daaernde
poBitive Reaktion. Temperatarmaximam 38,8.
Rötung und Infiltration der Inj ektionss teile (SticJiroaktioo).
Von da ab wurde Pat. therapeutisch wiederholt injiziert, im ganzen
15 mal. Pat. starb nichtsdestoweniger bald nach der Entlassung (15. IL 1898).
No. 10. £. F., 12V> J., I. Aufnahme 5. lY. bis 9. IV. i896, II. Auf-
nahme 18. IV. bis 21. IV. 1896, III. Aufnahme 8. VII. bis 18. VII. 1896.
Infiltr. pulm. tuberc. Pat. hustet seit längerer Zeit. Objektiv leichte In-
filtrationserscheinungen über der rechten Lunge.
Links Torne oben deutlich k&rzerer Schall, bronchiales Exspirium,
nachts Schwitzen. Etwas Sputum ohne Bazillen.
Inj. 7. IV. 0,001. Negativ.
Inj. 16. IV. 0,0015. Positive Reaktion. 11 Stunden p. inj. höchste
Temperatur 39,9, nachts Kopfschmerzen, unruhiger Schlaf, keine Veränderung.
No. 11. M. T., l'o/is J., 4. II. bis 15. IL 1896. Tuberculosis pulmon.
Rechts vorne unten sowie rechts hinten unten D&mpfung. Bronchialatmen.
Inj. 8.11.0,0002. Protrahierte, durch 48 Stunden dauernde
positive Reaktion. Temperatnrmaximum 39,3.
Dabei nahm die D&mpfung rechts hinten unten zu, es treten ziemlich
reichlich klingende Rasselgeräusche auf (Lokalreaktion}. Harn Diazo-
reaktion -f*.
Patientin starb 6 Wochen später an Meningitis tnberculosa
zu Hause.
No. 12. P. H., 10%9 J., 23. IL bis 19. III. 1899. Tuberculosis pulm.
Vor 4 Wochen akuter Beginn der Erkrankung mit pneumonischen Er-
scheinungen. Rückbildung jedoch protrahiert.
Links hinten von der Scapnla nach abwärts Dämpfung und Bronchial*
atmen. Sputum 0 Bazillen.
Im Beginne der Beobachtung hohe Temperaturen. Vom 3. 111. an
fieberfrei.
Inj. 7. IIL 0,0008. Positive Reaktion. 9 Stunden p. inj. 40,6.
Gebessert entlassen.
No. 18. J. W., 14 Mon., 18. V. bis 3. VL 1899. Tuberculosis pulm.
Seit 4 Wochen krank. Beginn plötzlich mit Fieber, Schüttelfrost, Atem-
beschwerden.
Kompakte Dämpfung über der rechten Lunge, Bronehialatmen. Während
des Spitalaufenthaltes hie und da nachmittags massiges Fieber.
Inj. 29. V. 0,0005. Positive Reaktion. Temperaturmazimum 39,3.
No. 14. M. R., 6s/,9 J., 26. I. bis 3. IIL 1898. Tuberculosis pulmon.
Beginn akut mit Erscheinungen einer croupösen Pneumonie (Schüttel-
frost etc.).
Rechts im Bereiche des Unterlappens kompakte Dämpfung, Bronchial-
atmen, klingendes Rasseln. Anfangs hohe Continua, später intermittierendes
Fieber. Lösungserscheinungen ziehen sich lange hin.
Inj. 22. IL 0,0005. Intensive positive Reaktion. Nach 12 Stunden
'Temperatarmaximum 40,2. Pat. war dabei ausserordentlich matt Puls 140,
Respiration frequent. Stechende Schmerzen in der rechten Seite (Lokal-
reaktion).
832 Schick, Die diagnoatische
Pat. war seit ihrer EntlassaDg bis zum Jahre 1902 noch yiermal in
SpitaUbehandlang. In diesem Jahre starb Pat. Die Sektion ergab aus-
gedehnte Taberkalose der Langen, des Darms und des Peri-
toneame.
No. 15. M. K., 11 J., 9. X. bis 9. XI. 1896. Taberculosis palm. et
gland. bronch* Über beiden Spitzen klingendes Rasseln.
Inj. 18. X. 0,0005. Keine Reaktion.
Inj. 21. X. 0,001. Positive Reaktion. Temperatarmaximum 39,8.
Pat. erkrankte hierauf an Masern. Wurde gebessert entlassen.
No. 16. G. P., 13"/i> J.> 21. IV. bis 5. YII. 1900. Tuberculosis palm.
Serositis multipl. Seit 10 Tagen Stechen in der Brust, Hasten; seit 8 Tagen
Fieber, bettlägerig.
Befund: Rechts in der Höbe der Mammilla sowie in der Azilla pleu-
ritisches Reiben, zunehmende D&mpfungsbezirke im Bereiche der rechten Lange.
Inj. 28. Y. 0,0007. Diese Dosis löst keine Temperatnrreaktion
ans, dagegen zeigt sich an der Injektionsstelle und deren Um-*
gebung leichte Rötung und Schwellung.
Inj. 2. VI. 0,001. Diesmal protrahierte, durch 48 Stunden an-
daaerndc positive Reaktion. Temperaturxnazimum 38,6. Gebessert
entlassen.
No. 17. F. Seh., 4%i J., 16. XL bis 8. XIL 1897. Tuberc. pulmon.
(Splenopneumonie). Seit 14 Tagen stechende Schmerzen in der rechten
Seite. Am 12. XI. plötzlich Verschlechterung, Erbrechen, Schüttelfrost, Fieber,
Kopfschmerzen. Nachts Unruhe, Aafschreien, andauernde Schmerzen in der
rechten Seite.
Befund: Rechte vorne im Bereiche des Mittellappens sowie rückw&rts
im Bereiche des Unterlappens Seh all Verkürzung und bronchiales Atmen.
Anfangs remittierendes Fieber, vom 19. XI. jedoch fieberfrei.
Inj. 28. XL 0,0005. Nach 7 Stunden 38,8. Die Reaktion verl&uft
protrahiert, durch 4 Tage Fieber.
Am 1. XII. Rötung und Infiltration der Injektionsstelle. Mit nnver-
&ndertem Lungenbefund entlassen.
No. 18. J. C, 2*/„ J., 27. IL bis 31. IIL 1896. Tuberculosis nni-
versalis. Hasten seit einem Jahre, Abmagerung. Blutig*eitrige Stuhle seit
einem Monat. Vater lungenleidend.
Befund: Rechtsseitige Lungeninfiltration. Im Verlaufe meningeale
Symptome, Nackenstarre, Bewusstlosigkeit etc.
Inj. 1. IIL 0,00L Positive schwache Reaktion (38,2).
Pat. starb. Bei der Obduktiou Lungentuberkulose. Tuberkulöse Aus-
saat in allen Organen.
No. 10. F. P., 7 J., 25. X. bis 5. XL 1896. Tuberculos. pulm. Wegen
Nephritis im selben Jahre in Behandlang. Jetzt klagt Pat. über Kurzatmig-
keit. Beginn der Beschwerden im Frühjahre. •
Rechts vorne und rechts hinten unten kürzerer Schall, bronchiales
Exspirum, abgeschwächter Pectoralfremitus.
Inj. 27. X. 0,001. Positive Reaktion. An der Injektionsstelle
leichte, wenig schmerzhalte Rötung und Schwellung (Einstich-
reaktion).
Taberkalinreftktion im Eindesalter. 833
Inj. 1. XL 0,0015. Reaktion fällt inteofliver ans. Temperatur steigt aaf
89,7 innerhalb 10 Stunden. Dabei Pals freqnent, klein. Nebst der starken
allgemeinen Reaktion macht sich aach eine Lokalreaktioo über den Lungen
bemerkbar. Fat. hustet andauernd und heftig, expektoriert ein münzen-
förmiges, geballtes, schleimig-eitriges, stellenweise von rotbraunen Striemen
durchzogenes Sputum aas. Tuberkelbazillen negativ. 2 mal Erbrechen. Am
2. XL Wohlbefinden.
Ko. 20. E. W., 9 J., I. Aufnahme 5. VL bis 16. VL 1897, IL Auf-
nahme 1898/99, am 6. IIL gestorben. Peritonitis tnberculosa. Schwere here-
ditäre Belastung. Eltern und eine Schwester starben an Tuberkulose. Fat.
seit 4 Monaten kränklich. Kältegefühl, Leibschmerzen, Abführen, Anorexie.
Inj. 7. VI. 0,0005. Fositiye Reaktion. Temperatur maxim um
13 Stunden p. inj. 89,7. Während der Reaktion starke Cjanose, erhöhte
Fuls- und Respirationsfrequenz.
Sektion: Darmtuberkulose (mächtige, ringförmig zerfallene Geschwüre,
Verkäsung der Mesenterialljmphdrüsen). Langen frei. Einige Bronchial-
drüsen verkäst.
No. 21. R. K., 5 J., 28. IIL bis 12. IV. 1896. Feritonitis tuberculosa.
Etwas Hasten. Seit einem Monat Schmerlen im Bauche. Meteorismus. Ge-
ringe Menge Flüssigkeit nachweislich. Subfebrile Temperaturen.
Inj. 28. IIL 0,0002. Fositiye Reaktion (88,8).
No. 22. A. H., 9Vis J- Feritonitis tubercul. Siehe Seite 824.
No. 28. M. H., 3»/„ J., 5. III. bis 20. IIL 1898. Fleuritis serosa.
Rechtsseitige Pleuritis mit serösem Exsudat (Frobepunktion). Fat. hatte be-
reits das Bett verlassen, war recht frisch.
Inj. 15. III. 0,0004. In 6 Standen 400. Fositive schwere Reaktion.
Während der Fieberakme war Fat. sehr matt. Heute früh (16. III.)
Erbrechen. Fuls und Respiration dyspnoisch. Am 16. III. hellrotes Exan-
them, aus winzigen Stippchen zusammengesetzt, welche stellenweise zu un-
regelmässigen Flecken konfluieren.
Lokalisation: Ad nates Streckseite der Unterschenkel, obere Extremi-
täten und Hand symmetrisch auf der Beugefläche beider Vorderarme.
Geheilt entlassen.
No. 24. C. S., 8V4 J., 7. IIL bis 29. IIL 1898. Fleuritis serosa. Rechts-
seitige seröszellige Fleuritis mit typischem Befund.
Inj. 23. VI. 0,0006. Frotrahierte, durch 48 Stunden andauernde
Reaktion. Temperaturmaximum 6 Stunden p. inj. 40.
Leichte Stichreaktion. Am 23. VL nachmittags grosse Mattigkeit.
No. 25. J. S., 9«/i, J., L Aufnahme 27. XL bis 26. XII. 1897, IL Auf-
nahme 31. XII. bis 5. I. 1898. Fleuritis serofibrinosa auf tuberkulöser Grund-
lage. Rechtsseitige Fleuritis. Gytisch abfallendes hektisches Fieber.
Inj« 8. XII. 0,001. In 6 Stunden Temperaturmaximum 39,6.
Fositive Reaktion. Geringe Rötung an der Einstichstelle.
Befund gleich.
No. 26. «r. B., 7Vj9 J., 10. III. bis 24. III. 1898. Fleuritis tnberculosa.
Schwere tuberkalöse Belastung. 3 oder 4 Gsschwister an Tuberkulose ge-
storben. Seit einem Jahre kränklich. Fieberlos. Rechtsseitige Pleuritis.
No. 28.
M. K., 12»/4 J.
No. 20.
A. W., 8»/« J.
Mo. 80.
M. K., 5»/„ J.
No. 81.
C. St., 9«/i. J
834 S 0 h i 0 k , Die diagnostisohe
Inj. 18. III. 0,0005. Positive Reaktion. Temperatarmaximam 88,8,
9 Stonden p. inj.
No. 27. J. K., 7*/it J., 24. XI. bis U. XII. 1897. Plearitis serosa dextra
tabercnl. Mit 8 Jahren sehr schwere LangenentzQndong. Seither immer
kränklich. In den letzten 6—7 Wochen starke Abmagerung. Klagen fiber
Stechen auf der rechten Brasth&Ifte, trockener Hasten, ohne Exspektoration.
Kachtschweisse nnd n&chtliches Fieber, Delirien. Besuchte bis heute die Schale.
Befand: Rechtsseitige Pleuritis mit geringem Exsudat, Reiben.
Inj. l. XII. 0,0005. Keine Reaktion.
Inj. 8. XII. 0,001. Positive allgemeine Reaktion. Ten>peratarmaximam
nach 8 Stunden 40,5.
Pleuritis serosa. Siehe Seite 821.
Tuberculosis pulm. Siehe Seite 827.
Tuberculosis pulm. Siehe Seite 820.
11. X. bis 25. XI. 1897. Perioarditis sero-
fibrinosa. Zwei Geschwister und Mutter an Tuberkulose gestorben. Vater
lungenkrank. Links oben Infiltrationserscheinungen. Nach tsch weisse. Anfangs
grosse Herzdftmpfung. Pericardiales Reiben. Sp&ter An&mie, systolische
Einziehungen in der Herzgegend. Verkleinerung der Herzd&mpfong (Con-
cretio cordis cum pericardio).
Inj. 1. XI. 0,0009. Protrahierte, bis zum 4. XI. andauernde Fieber-
reaktion mit maximaler Temperatur von 88,7; Mattigkeit. Leichte Einstich-
reaktion.
No. 82. J. L., 2>/it J., 17. IV bis 25. IV. 1898. Meningitis tuberculoaa.
Typischer Verlauf. Tuberkelbazillen in der Punktionsflüssigkeit +.
Inj. 28. IV. 0,0008. Keine Reaktion.
Inj. 24. IV. 0,001. Positive Reaktion (88,8). Pat. starb.
Sektion ergab die Bestätigung der klinischen Diagnose, daneben
Bronchialdrüsenphthise mit Einbruch in eine Lnngenvene.
EDochen- and Gelenkstuberkulose..
No. 88. F. K., 14 J., 1897. Goxitis tuberculosa.
Inj. 0,001. Protrahierte positive Reaktion, durch 48 Stunden
andauernd. Temperatnrmaximnm 88,4.
Im Juli 1898 ausgeheilt.
No. 84. F. W., 2Vs J. Spondylitis tuberc.
Inj. 0,0003. Undeutliche Reaktion auslösend.
Inj. 0,0005. Positive Reaktion (88,8).
No. 85. F. 6., 8 J., 24. VI. bis I. VIIL 1895. Spondylitis tuberc,
Senkungsabszess. Seit einem Monat Schwellung in der rechten Unterbauch-
gegend, die zum Durchbruch kommt.
Inj. 4. VII. 0,001. Protrahierte, durch 60 Stunden andauernde Reaktion.
Temperaturmaximum am Nachmittag p. inj. 89,7.
Pat. wurde hierauf therapeutisch injiziert, befand sieh dabei recht
wohL Sein Zustand besserte sich soweit, dass Pat. nach Gherso geschickt
werden konnte, von wo er sehr gut aussehend zur&ckkehrte.
Pat. bekam 9 Injektionen (im ganzen 0,02 Tuberkulin).
TaberkolinreaktioB im Kindesalter. 836
No. 86. C. 6., 3*/,t J. SpoDdylitie. (Siehe Seite 828.)
Nu. 87. J. K., 2Vii ^y ^^' ni. bis 9. IV. 189& Maiam Pottti snboeeip.
Seit 8 Wochen Schief haltung des Kopfes. Sehleehtes Gehen.
Bei Rachen lnspektion Torspringender Halswirbeikörper sichtbar.
Inj. 38w III. 0,0001. Unsichere Reaktion.
Inj. de. III. 0,0005. Positiye Reaktion (89,4 nach 12 Standen).
W&hrend der Reaktion Kopfschmerzen.
No. 88. M. H., 2*/i, J., 8. VI. bis 27. VI. 1897. Multiple Caries,
Skrophnlose.
Inj. 7. VI. 0,0003. Protrahierte positire Reaktion, durch 4 Tage
andauernd. Temperatarmaximom 88,2.
No. 89. V. M., 11 J., 1. XII. bis 15. XII. 1897. Malam Pottii, im
Anschluss an Trauma Tor P/s Jahren entstanden. Zunehmender Gibbus in
der Höhe des 12. Bmst- resp. 1. Lendenwirbels.
Inj. 8. XII. 0,001. Positire Reaktion, durch 36 Standen andauernd.
(Temp. 88,7.)
No. 40. R. 0., 2«/it J., 2. 1. bis 22. II. 1898. Coxitts deztra, Lymph-
adenitis periarticularis. Seit 7 Wochen Hinken, beim Strecken Schmerzen
im Fassgelenk. Fieberfrei.
Inj. 19. I. 0,0005. Massige positiye Reaktion (37,8).
No. 41. J. F., 8 J., 7. XII. 1896 bis 12. II. 1897. Cozitis sinistra.
Seit 7 Monaten besteht die Erkrankung. Mutter and ein Kind starben an
Tuberkulose. Fieberfrei.
Inj. 11. XIL 0,0004. Massige positive Reaktion (87,8), allmählicher
Anstieg.
No. 42. S. Z., 2Vs J., 22. IV. bis 6. VII. 1897. Gonitis tuberculosa.
Entwicklung der Erkrankung nach Trauma (Sturz aus dem Wagen). Es
besteht Schwellung des Kniegelenks, Ballotement der Patella. Pat. geht auf
den Fussspitzen. Fieberfrei.
Inj. 19. V. 0,0002. Keine Reaktion.
Inj. 26. V. 0,0005. Positive Reaktion. 14 Standen p. ioj. 89,9.
No. 48. A. K., 21 Mon. Spondylitis tuberculosa.
Inj. 0,0002. Allgemeine positive Reaktion (39,0).
Klinisch nicht tuberkulöse Erkrankungen.
No. 44. J. St., l%i J., 11. VII. bis 2.x. 1895. Abszess der yorderen
Banchwand. Perforation am Nabe]« Seit dem 6. Lebensmonate besteht die
Erkrankung. Zuerst fand sich ein kleines Knötchen am Nabel, welches dann
erbsengross wurde und aufbrach. Es entleert sich daraus w&sserige und
blatige Flüssigkeit.
Es fand sich eine I cm lange Rontinuitfttstrennung bezw. Substanz-
Terlust, unterhalb des Nabels unregelmässig zerklüftet.
In]. 19. VII. 0,0005. Keine Reaktion.
Unter Verband langsame Ausheilung.
No. 46. Chr. R., 8Vi J., 17. V. bis 12. VI. 1900. Idiotie.
Inj. 2. VI. 0,0003. Keine Reaktion.
836 Schick, Die diagnostische
No. 46. H. E., 6Vs J.Y 9. TL bis 14. VI. 1897. Chronische Pneamooie.
Links hinten unten Bämpfang and vereinzeltes Rasseln. Reichlich geballtes
eitriges Spatam. Bazillen 0.
Inj. 12. VI. 0,0005. Keine Reaktion.
No. 47. C. P., 11 Vu J., 30. V, bis 19. VI. 1900. Nierenkolik? Schmerzen
in der rechten Baachseite, die beim Hasten stärker worden. Letzter Stuhl
am 28. V. Kein Tumor oder Resistenz. Harn klar, steril. Durch eine Woche
remittierendes Fieber.
Inj. 15. VL 0,001. Keine Reaktion.
Geheilt entlassen.
No. 48. J. S., 4S/4 J., 11- bis 27. XIL 1895. Teudoyaginitis des linken
Handrückens. Vater lungenkrank. Fat. hatte früher wiederholt Gelenks-
affektionen. Nachtschweisse.
Es findet sich eine Schwellung im Bereiche der linken Handgelenke,
bei Druck Schmerzhaftigkeit. Knochen frei. Kein Fieber.
Inj. 26. XII. 0,001. Keine Reaktion.
Ho. 49. S. B., IP/s J., 27. II. bis 8. IV. 1901. Hysterie? Daneben
leichte skrophulöse Erscheinungen. Pat. klagte über Schmerzen im rechten
Ellbogen- und Kniegelenke. Alle Gelenke frei beweglich. Pat. soll Krampf-
stellungen der Hände zeigen. Wegen Conj. phlictaen. und Verdacht auf Tuber-
kulose Injektion.
Inj. 3. IV. 0,001. Positive Reaktion: Protrahiert bis zum Morgen
des 5. IV. andauernd. Temperaturmaxim um 39,2.
No. 50. J. P., 18Vs Mon., 2. X. bis 16. X. 1898. Rachitis, Anämie.
Inj. 10. X. 0,0015. Keine Reaktion.
No. 51. M. P., 5 J., 7. bis 22. X. 1903. Pnenmonia lob. sup. deztri.
Kompaktes Infiltrat der rechten Spitze, Cjanose; kritische Lösung. Die
Dämpfung hellt sich yollkommen auf.
Inj. 17. X. 0,001. Keine Fieberreaktion.
Ganz leichte Rötung der Einstichstelle.
No. 52. M. B., 4 Mon., 6. I. bis 18. I. 1898. Pneumonia lobul. dextra
Seit 14 Tagen Husten. Rechts hinten von der Scapula abwärts kürzerer
Schall. Einige feuchte und brummende Rasselgeräusche. Respirations-
frequenz 90.
Inj. 8. L 0,0001, 17. I. 0,0005. Keine Reaktion.
No. 58. G. S., 19 Mon., 11. V. bis 3. VL 1896. Pneumonia croup.
dextra, chronischer Bestand des Infiltrates. Kam am Tage der Krise mit
39,5 zur Aufnahme. Am 12. V. bereits entfiebert. Es bestand Dämpfung
rechts hinten oben. Diese hält bi» zum Schlüsse an.
Inj. 20. V. 0,0001. Keine Reaktion.
No. 54. J. H., 5. J., 8. V. bis 16. VL 1900. Pleuropneumonia dextra.
Am 27. IV. Fieber, Schüttelfrost, Fraisen. Nach 3 Tagen hören die Krämpfe
auf. Pat. beginnt viel zu husten.
Über der rechten Lunge kompakte Dämpfung Tom 4. — 5, Brustwirbcl-
dorn an. Neben klingendem Rasseln auch pleurales Reiben.
Inj. 28. V. 0,0003. Temperatur wegen gleichzeitiger fieberhafter Stoma-
titisaphthosa nicht sicher verwertbar (38,6).
Taberkulinreaktion im Kindesftlter. 837
Am 30. Y. Stiohreaktion: Schwellung und Rötnng der iDJektionsstelle.
Reaktion als positiv aafzafassen.
No. 55. S. H., « J., 10. bis 24. I. 1898. Pneumonia cirrhot. Wieder-
holt kleine Langenaffektionen. Links hinten unten Dämpfung und Bronchial-
atmen. Sputum 0. Verlagerung des Herzens auf die kranke Seite.
Inj. 15. I. 0,001. Keine Reaktion. Ganz leichte lokale Rötung.
No. 56. M. B., 5^4 J., 6. Xll. 1895 bis 22. IL 1896. 1897 wieder
vorgestellt. Pneumonia cirrhot sin., besonders der oberen Partien. Lang-
andauerndes remittierendes Fieber. Bronchialatmen über den oberen Partien
der linken Lunge und D&mpfung. Erst am Schlüsse Entfieberung.
Inj. 21. II. 0,001. Keine Reaktion.
Im Jahre 1897 bis auf trockene Rhonchi normaler Lnngenbefund. Hatte
sogar unterdes Pertussis durchgemacht.
No. 67. A. L., 6 J., 18. L bis 22. II. 1896, Pneumonia cirrh. Vater
an Hämoptoe gestorben.
Die Erkrankung begann im Anschluss an Masern. Vorne hinten und
seitlich hinten bis zum Angnlus scapul. kompakte D&mpfnng und scharfes
Atmen mit amphorischem Beiklang. Wiederholt Fiebersteigerungen.
Inj. 21. IL 0,001. Keine Reuktion.
Ausgang in Schrumpfung und Bronchiektasie.
No. 58. J. P., 5Vs J. Pneum. cirrh. Siehe Seite 825.
No. 59. F. W., 5 Mon. Pneum. lobul. Siehe Seite 826.
No. 60. M. M., 8V3 J. Pneum. crouposa. Siehe Seite 817.
No. 61. J. F., 2 J., 18. IV. bis 22. VI. 1898. Pneumonia chronica sin.
An diese anschliessend neuerliche Ausbreitung des Prozesses mit sprungweise
auftretenden Fieberattacken, schliesslich doch nach lange andanerndeni
remittierendem Fieber Entfieberung. Wir dachten Bronchialdr&senphthise.
Endlich jedoch Verschwinden der Infiltrationserscheinungen links hinten unten
und Heilung.
Inj. 20. VL 0,0003, 21. VI. 0,001. Keine Reaktion.
No. 62. H. U., 8Vt J., I. Aufnahme 16. VL bis 23. VI. 1899. Pneu-
monia Croup, dextra. Typischer Verlauf. Mit normalem Lungenbefund
entlassen.
IL Aufnahme 5. VIL bis 15. VIL 1899. Pleuritis dextra. Seit der
Entlassung kränklich, blass, hastet, fiebert. Kurzatmigkeit. Befund: rechts-
seitige Pleuritis, kein Fieber.
Inj. 10. VIL 0,001. Temperaturverlauf nach 12 Stunden 38,5. Die
positive Reaktion beweist die tuberkulöse Grundlage der Pleuritis. Schall-
TOrk&rzung bleibt bestehen.
No. 68. A. K., 3 J., 29. I. bis 13. IL 1898. Empyema peraotum.
Pneum. cirrh. der linken Lunge. Seit Weihnachten 1897 krank. Starke Ab-
magerung. Damals 2 Wochen bettlägerig.
Kompakte Dämpfung fiber der linken Spitze. Verkfirzong des Schalles
und abgeschwächtes Atmen über der übrigen linken Thoraxhälfte. Herz nach
rechts yerlagert.
Inj. 12. IL 0,0003. Keine Reaktion.
No. 64* V. A., 5Vit J«t 1897. Pnenm. chronica.
Inj. 0,001. Keine Reaktion.
838 . Schick, Die diagnostiBche
No. 65. R. 6., 2</4 J. Sclorosis cerebri. Sieiie Seite 82&.
No. 66. A. L., Vl% J. Kyphosis rhaoh. Siehe Seite 835.
No. i7. P. £., 12*/it J. Tamor cerebri. Siehe Seite 821.
No. 68. R. G., 12 J., 25. VI. bis 5. VII. 1896. Chlorose. Leichte
peritoneale Erscheinangeo : Meteorismus, Schmerzhaftigkeit. Afebril. Aasser
Chlorose normaler Befand.
Inj. 26. VI. 0,001. Am Nachmittage des nftchsten Tages 38,3. Positive
Reaktion (Dräseotuberkolose?).
No. 69. A. G., 8"/ii J., I. Aufnahme 5. VI. bis 7. VIIL 1900, II. Auf-
nahme 10. X. 1901. Neuritis? Genua Taiga. Schmerzen in beiden etwas
paretischen Beinen. Steigerung der Reflexe.
Das Kind geht steif. Unbestimmte Schmenhaftigkeit der Wirbels&nle.
Um Caries derselben auszuschliessen, Tuberkulininjektion.
Inj. 9. VI. Keine Reaktion.
Gesund entlassen. Wegen Genua yalga Redressement.
No. 70. M. E., 5 Mon., 10. V. bis 18. VI. 1900. Atrophie ex. cat.
intest, chron. Hochgradige Abmagerung. Gewicht 2850 g.
Inj. 26. V. 0,0005. Keine Reaktion. Unter Malssuppe gl&nzende Zu-
nahme.
No. 71. J. G., 4»/is J., 28. XII. 1898 bis 12. I. 1899. Entwicklungs-
hemmung. Soll früher recht kräftig gewesen sein. Seit 8 Monaten Appetit-
losigkeit, zeitweise Erbrechen. Nachts immer sehr unruhig. Kolossale Ab-
nahme: Körpergewicht 8750 g, hat also das Gewicht eines 8 monatlichen
S&uglings. Psychisch zurückgeblieben.
Inj. 8. I. 1899 0,0005. Verspätete Reaktion am 5. I., 1 Uhr nachts
88,1. An der Einstichstelle gleichzeitig leichte Rötung und
Schwellung.
No. 72. V. M., 5Vs J., 30. V. bis 16. VI. 1899. Dystrophia muscul.?
Im Alter tou 4 Jahren, da Pat in Spitzfussstellung nur einige Schritte
machen konnte, Tenotomie.
Quadriceps und Wadenmuskulatur hypertrophisch. Schwäche und
Atrophie der Schultermuskeln und der Rückenmuskulatur. Pat. kann sich
nicht aufsetzen. Seit einigen Tagen Conj. phlyctaenulosa.
Inj. 2. VI. 0,001. Keine Reaktion.
No. 78. H. H., 5>/it J., Okt. u. Nov. 1899. Dilatatio coli congen.? Seit
mehreren Monaten starke Auftreibung des Abdomens. Zeitweise Schmerzen.
Abnormer Umfang des Abdomens. Dämpfung in der linken Regio inguinalis,
bei Aufblähung yersch windend. Starke Ausdehnung des Colon transrersum.
Zeitweise Zeichen von Fiüssigkeitserguss ins Peritoneum, sodass an Periton.
tuberc. gedacht wurde.
loj. 20. X. 0,001, 10. XI. 0,001, 29. XL 0,001. Keine Reaktion.
No. 74. A. W., 4 J., 29. VI. bis 9. VII. 1897. Tumor bepatis massigen
Grades. Dabei Milzrergrösserong unbekannten Ursprungs. Längere Zeit
kränklich mit unbestimmten Beschwerden. Arhythmia cordis. Dämpfung im
1. und 2. Interkostalraum links vom Stemalrand.
Inj. 5. VII. 0,0006. Keine Reaktion.
Im Jahre 1898 Lnngenbefund normal. Aufnahme wegen eines Diver
ticulum oesophagi.
Taberkalinreaktion im Kindesalter. 889
No. 76. A. St., HJ., 3. VI. bis 26. VIII. 1895. Perityphlitis. Mit
4 Jahrea Fneamonie, Mit 9 Jahren Masern. 2 Monate vorher ein Anfall
von Perityphlitis.
Vor 8 Tagen neuerdings entsprechende Symptome, insbesondere
Sehmensen. Kein Erbrechen, keine StahWerstopfang. Dagegen Fieber.
Inzision des Abszesses.
Wegen leichter skroplialöser Erscheinongen Toberkniininjektion.
Inj. 29. VII. 0,001. Starke Einstichreaktion. Temperatnrreaktioo
protrahiert durch 2 Tage. Maximum 38,8 am Nachmittage des D&cbsten
Tages. Die Stichreaktion war so intensiv und schmerzhaft, dass Umschl&ge
notwendig wurden.
No. 76. A. Seh., 12 J., 9. XL 1895 bis 14. I. 1896. Phlegmone. Inter-
mittierendes Fieber bis 40,0. Schwellung der linken luguinalgegend. Gehen
unmöglich. Starke Abmagerung.
Inj. 80. XI. 0,001. Keine Reaktion.
No. 77. F. Z., 8Vij J., 80. X. 1897 bis 12. II. 1898. Perityphlitis
(Abszess). Seit 5 Tagen krank mit peritonealen Erscheinungen. Erbrechen.
Meteorismns, Schmerzen im Abdomen. Rechts besonders empfindliche Stelle
mit D&mpfang.
Operation und Eiterentleerung.
Remittierendes Fieber bis zam 17. XL, dann sabfebrile bezw. normale
Temperaturen, die den Verdacht erweckten, dass neben der Perityphlitis ein
tuberkulöser Prozess vorhanden sei.
Inj. 11. XII., 12 Uhr, 0,001. Protrahierte positive Reaktion
durch 2Va Tage. Maximum der Temperatur 39,3.
No. 78. J. B., 9Vs J., 4. bis 20. IlL 1898. Typhus abdominalis. Am
Schluss der Erkrankung aufgenommen. Gruber-Widal -f**
Mutter an Tuberkulose gestorben.
Inj. 15. in. 0,0007, 17. IIL 0,001. Keine Reaktion.
No. 79. Th. T., lOVi J., Juli 1898. Typhus abdominalis. Wegen
Verdacht auf Tuberkulose wurde, da für die Diagnose Typhus nur mehr die
Gruber-Widalsche Reaktion verwertet werden konnte, Tuberkulin injiziert.
Inj. 0,0005 und 0,001. Keine Reaktion.
No. 80. J. L., 12 J., 1898. Insuffic. et Stenos. valv. mitralis.
Inj. 0,0Q1. Temperatursteigerung auf 89,8. Pat. zeigte jedoch
deutliche Zeichen von Skrophulose (Goojunct. phlyctaenulosa).
No. 81. K. P., IV li J., 4. bis 9. IV. 1898. Nephritis chronica un-
bekannter Ursache. Spärliche Zylinder, rote Blutkörperchen, wenig Eiweiss.
Inj. 7. IV. 0,001. Keine Reaktion.
No. 82. Chr. F., Vj, J., 5. bis 20. XL 1898. Lymphoma malignum.
Rasch zunehmende Drüsenschwellung, namentlich der Supraclaviculardrüsen.
Das ganze Paket ca. taubeneigross vorspringend. Dämpfung über dem
Manubrium sterni.
Inj. 7. XL 0,0008, 12. XL 0,0015. Keine Reaktion.
Pat. starb ausserhalb des Spitals im Dezember 1898.
No. 88. F. St., 2Vs J., 3. X. bis 7. XL und 8. bis 80. XL 1897.
Lymphoma malignum. Seit 8 Monaten Schwellung am Halse. Mutter starb
840 Schick, Die diagnostiscbe
ED Garies und Tbc. palmODum. Knollige DrüseDBchwellangen rechts
am Halse gegen die Fossa supraclayicalaris. Haut darüber gespannt, von
Venen durchzogen. Der Tumor wird exstirpiert. Die Drüsen erweisen
sich als nicht yerk&st. Nach der Operation rasches Nachwachsen und
Auftreten neuer Drüsenschwellungen. Keine Tuberkelbazillon im Drfisen-
gewebe.
Inj. 23. XL 0,0008. Keine Reaktion.
II. Aafnahme 21. IV. bis 6. V. 1898. Seit der letzten Aufnahme
weitere Zunahme der Drüsenschwellungen. Schwellung s&mtlicher Lymph-
drüsen«
Exitus: Obduktion. Ljmphoma malignnm.
No. 84. A. K., 5 J., 4. IV. bis 8. VlI. 1899. Ljmphoma malignnm.
Seit Juni 1898 eiternde Drüsen am Halse. Dann durch einige Wochen
rapides Wachstum der Drüsen links am Halse. Vater an Tuberkulose
gestorben.
Der Drüsentnmor ist so gross, dass der Kopf nach rechts geneigt und
gedreht gehalten werden muss. Er besteht aus grösseren und kleineren
Knollen; die grösste hühnereigross, die kleineren taubenei gross.
Inj. 17. IV. 0,001. Keine Reaktion.
Inj. 20. IV. 0,001. Am 21. IV., nachmittags, 39,8. Protrahierte
Reaktion. Die positive Reaktion weist daraufhin, dass neben vorliegender
Erkrankung noch ein Tuberkulose-Prozess vorhanden ist.
No. 85. M. N., 12 Mon., 12. bis 24. VI. 1896. Anaemia splenica.
Immer blass, im letzten Monat Zunahme der An&mie. Milztumor.
Inj. 19. VI. 0,0001. Unklare Reaktion. Fat. reagierte auch auf
Diphtherieserum mit Fieber.
Klinisch zweifelhafte Fälle.
No. 86. F. V., 12 J., 25. V. bis 14. VI. 1896. Peritonitis chron.
(tuberc?) Seit M&rz 1896 Hasten mit Expektoration. Seit l^s Monaten
Nachtschweisse. Mutter an Lungenleiden gestorben.
Afebril. Allgemeine Drüsenschwellung bis erbsengross. Abdomen
aufgetrieben, druckempfindlich.
Inj. 29. V. 0,001. Temperatur nachmittags 39,4. Positive Reaktion.
Bedeutend gebessert entlassen.
No. 87. H. S., 10 J., 12. V. bis 28. V. 1898. Peritonitis tuberc? Seit
3 Monaten kränklich. Abdomen aufgetrieben, druckempfindlich. Habitus
phthisicus. Keine freie Flüssigkeit, undeutliche Stränge tastbar. Maculae
corneae.
Inj. 17. V. 0,001. Keine Reaktion.
Inj. 20. V. 0,0015. Höchste Temperatur 37,4 am Nachmittag (6 Stunden
p. inj.).
Inj. 26. V. 0,001. Nach 8 Stunden 40,0, also positive Reaktion.
Deutliche Stichreaktion (Schwellung und Rötung).
No. 88. M. Seh., 8 J., 15. IL bis 15. III. 1896. Peritonitis chron.
(tuberc.?). Zu Weihnachten 1895 Masern. Seitdem hustet das Kind. Seit
4 Wochen Nachtschweisse, Auftreibuog des Abdomens. Im Abdomen Stränge
und Resistenzen fühlbar. Keine Druckempfindlichkeit.
Taberkalinreaktion im Kindesaiter. 841
Inj. 21. IL OtOOl. Protrahierte positive Reaktion. 6 StandeD p. inj.
Max im am der Temperatur 88,8.
No. 80. E. IC, 6 J., 5. VI. bis 15. VI. 1896. Peritonitis toberc?
Seit 14 Tagen Schmerzen im Abdomen. Appetitlosigkeit. Abends Fieber-
steigerangen. Am 3. VI. Erbrechen.
Inj. 10. VI. 0,001. Keine Reaktion. Heilung.
No.90. J. P., IOVh J., II. VI. bis 19. VI. 1898. Peritonitis? Längere
Zeit kr&nklioh. Vor 6 Tagen Erbrechen, Bauchschmerzen.
Kleine Stränge palpabel im Abdomen. Ein Bruder reagierte auf
Tuberkulin.
Inj. 16. VI. 0,001, 18. VL 0,0015. Keine Reaktion.
No. 91. H. St, 2»/is J., IL I. bis 17. L 1901. Peritonitis tuberc?
Schwächliches Kind mit skrophul. Habitus. Am 6. I. Schmerzen im Bauche,
schlechter Appetit, nachts starkes Fieber. Seither tagsüber besser, nachts
Fieber. Kein besonderer Befund.,
Inj. 14. L 0,0005. Keine Rofiktion.
No. 02. K. P., 13 J. Tuberculosis pulro.? Siehe Seite 819.
No. 98. R. L., 8. J., 13. IL bis 1. III. 1899. Peritonitis chronica
(tuberc.?). Seit September 1898 Husten mit schleimigem Auswurf. Häufigo
Anschwellungen des Gesichtes und zeitweise auch der Beine. Kein Fieber.
Keine Nachtschweisse. Seit September auch Vergrösscrung des Bauches.
Freie Flüssigkeit nachweislich. Primärer Ascites mit sekundärem Staunngs-
hydrops der unteren Extremitäten. Knabe gut genährt, etwas pastös. Herz,
Nieren normal.
Inj. 18. IL 0,0005, 25. IL 0,0005. Keine Reaktion. Gebessert entlassen.
No. 94. 0. M., 21/4 J-, 19. IL bis 15. IIL 1896. Infiltr. pulm., Pneu-
monia interscapularis (tuberc.?). Grossvater, 2 Brüder des Vaters und ein
Bruder des Pat. starben an Tuberkulose. Im Beginn Continua zwischen
38,0 und 39. Dämpfung im Interscapularraum.
Entfieberung am 26. Krankheitstage.
Inj. 9. IIL 0,0001, 12. IIL 0,001. Keine Reaktion. Heilung.
No. 95. A. H., 8 J., Inf. pulm. (tuberc.?). Siehe Seite 826.
No. 96. C. L., 8 Mon., Bronch. diff. (tuberc.?), Pneum. lobul. Siehe
Seite 826.
No. 97. A. F., 10 Mon., Inf. pulm. dextr. Siehe Seite 825.
No. 98. Th. L., 14 Mon.^ 30. III. bis 17. IV. 1898. Bronchit. diffusa.
Seit 6 Tagen krank. Schwere Thorazrachitis, diffuses Rasseln über beiden
Lungen. Flankenschlagen des Thorax. Dyspnoe.
Inj. 12. IV. 0,00025, 16. IV. 0,0005. Keine Reaktion. Gebessert
entlassen.
No. 99. S. H., 7Vs J., 3. L bis 10. L 1898. Infiltr. pulm. jugux. tuberc?
Vater wegen Tuberkulose vom Militär entlassen. Seit 14 Tagen Stechen in
der linken Seite, Kurzatmigkeit. Seit 8 Tagen Husten. Befund: Links hinten
nnten kürzerer Schall, etwas Rasseln, abgeschwächtes Atmen.
Inj. 6. L 0,001. Keine Reaktion. Geheilt.
No. 100. J. W., 6 J. Cat. int. crassi chron. Siehe Seite 826.
No. 101. E. K., 7S/4 J* Tuberculosis pulm.? Siehe Seite 818.
842 S c b i o k , Die diagnostisohe
No. 102. A. H , 8«/4 J? I- Aufnahme 7. bis 14. VII. 1896, IL Aofnahme
28. X. bis 7. ZI. 1898. Skrophulose, chronische Bronchitis, Colicjstitis.
Vater leidet an Caries. Geschwister skrophalös.
Über beide Langen diffases bronchit Rasseln.
Idj. 10. YIl. 0,001. Temperatur nachmittags 39,6. Positive Reaktion«
Geheilt entlassen. Im Oktober neaerlich Bronchitis, reagierte diesmal nicht
aaf Taberkalin. Letzteres war aber alt und daher nicht mehr Terlässlich.
No. 108. M. F., 7 J., 17. in. bis 18. lY. 1900. Cat. bronch. chron. tabere.
Matter langenkrank, gestorben. Seit Herbst vorigen Jahres kr&nklich. Ab-
magerung. Nachts Schwitzen. Rechts oben verkärzter Schall, rauhes
Inspirium, bronchitische Ger&asche. Seit 20. III. fieberfrei.
Inj. 25. III. 0,0005, 30. III. 0,0005. Keine Reaktion.
No. 104. M. F., 6 J., 17. lY. bis 7. YII. 1900. Tabercal. glandnl.
bronch.? Seit 3 Wochen matt, scU&frig, etwas Hasten. Seitenstechen und
Kopfschmerzen. In den ersten Wochen remittierendes Fieber ohne wesent-
lichen Befand, endlich fieberfrei.
Inj. 8. Y. 0,0005. Protrahierte (durch 2 Tage) positive Tempe-
raturreaktiop bis 38,7.
Stichreaktion: In der N&he der Injektionsstelle am Unterarme
schmerzhafte gerötete Schwellung. Gebessert entlassen.
No. 106. 0. H., VJ2 J., 15. in. bis 21. lY. 1899. Pneumonie, wahiv
scheinlich um einen tuberkulösen Herd herum. Immer kränklich. Seit 3 Tagen
schwerer krank. Beginn mit Kopfschmerzen, hohem Fieber, Erbrechen, Seiten-
stechen. Über dem linken Unterlappen kompakte D&mpfang, Bronchialatmen.
Am 19. III. kritische Entfieberung. Nach mehrtägiger Pause neaerlich hohes
intermittierendes Fieber, während sich die pneumonischen Erscheinungen
langsam zuruckbilden.
Endlich wieder fieberfrei.
Inj. 17. lY. 0.001. Etwas protrahierte Reaktion. Temperatur-
maximum 38,8.
Am 18. lY. an der Injektionsstelle die Haut gerötet, etwas geschwellt
und schmerzhaft.
Am 19. lY. Schwellung an der Einstichstelle, hat grösseren
Umfang angenommen. Gentrum der Schwellung dunkelrot, Umgebung
blaurot. Yon da ab nimmt die Schwellung langsam ab.
No. 106. J. A., 9^^» ^' Atypische Pneumonie. Siehe Seite 817.
No. 107. Chr. R., IV^In J. Tuberkulose (?) der rechten- Spitze. Siehe
Seite 818.
No. 108. St. St., 3V4 J. Typhus abd.? Tuberkulose? Siebe Seite 827.
No. 109. Y. Th., 7 J. Bronchialdrüsenphthise? Siehe Seite 822.
No. liO. F. K., 18 Mon., 23. Y. bis 26. YI. 1899. Tubercul. pulm ?
Seit 3 Tagen krank. Beginn mit Husten, Erbrechen, Diarrhoe. Temperatur
bei der Aufnahme 38,8—38,4. Links hinten oben Dämpfung, klingendes
Rasseln. Im Sputum 0 Bazillen.
Yom 26. Y. an subfebrile Temperaturen.
Inj. 2. YI. 0,0005. Positive Reaktion nach 9 Stunden 38,9. Lokal
an der Injektionsstelle eine halbbohnengrosse, leicht bräunliche Yerfärbung.
Pat. bekommt später hochintermittierendes Fieber und wird ns gekeilt entlassen .
Taberkulinreaktion im Kindesalter. 843
Ne. 111. St. W.. 9Vis J., 21. III. bis 2. IV. 1899. Bronchialdrüsen-
taberkulose? Seit 5 Tagen Fieber, Seitenstechen. Hechts oben leichte
D&mpfong, etwas Rasseln. Temperatur 88,3.
Inj. 27. III. 0,001, 30. III. 0,005. Keine Reaktion. Wahrscheinlich
handelte es sich um abklingende Pneumonie.
No. 112. A. R., 3 J., 20. IV. bis 17. V. 1895. Tuberkulose? (ßronchial-
drnsen). Über dem Sternnm Dämpfung. Auch links vorne oben kürzerer
Schall. Hier verschärftes Inspirium mit hauchendem Charakter. Leber gross,
von der 6. Rippe bis 4 cm unter dem Rippenbogen. Milz 4 cm vor dem
Rippenbogen. Fiebertrei.
Inj. 11. V. 0,001. Verspätete positive Reaktion. 36 Stunden p. inj. 88,5.
No. 118. C. J. S., 6V> J., 3. VI. bis 22. VII. 1895. Gonitis lat. utriusquo
(Lues? Tuberkulose?). Keratitis parench. Seit 4 Wochen Schmerzen in den
Knien. Abends Fieber. Abmagerung. Kniegelenke geschwollen, heiss.
Inj. 13. VII. 0,001, 16. VII. 0,002. Keine Reaktion. Heilung.
No. 114. H. M., 61/, J., 12. bis 25. IV. 1896. Tumor cerebelli? (Tuberkel?).
Seit 2 Monaten häufiges Erbrechen zu unbestimmten Zeiten. Schwanken
beim Gehen mit Niederfallen. Mutter lungenkrank. 4 Geschwister gestorben.
Inj. 17. IV. 0,001, 21. IV. 0,002. Keine Reaktion.
No, IIB. A. M., 12*/i: J., 15. XI. bis 26. XIL 1897. Dystrophia tbc.(?),
ohne lokalisierten Herd. Auffällige Blässe, Mnskelschwäche. Seit 8 Tagen
Kopfschmerzen. Tags darauf Ohreneiterung. Seitdem schlafsichtig. Kein £r-
brechen. Intermittierendes Fieber. Seit 22. XI. fieberfrei.
Inj. 26. XIL 0,001. Keine Reaktion. Am 1. XIL plötzlich eine Zacke
auf 40,0.
Inj. 6. XIL 0,0015. 2 Uhr nachmittags 38,6. £instichstelle gerötet
und etwas schmerzhaft.
Positive Reaktion.
No. 116. R. ß., 10 J., 28. X. bis 27. XIL 1897. Cat. ventric. chronicus.
Seit Sommer 1897 wiederholt Erbrechen, fast nach jeder Mahlzeit. Die
Untersuchung ergab Fehlen der Salzsäure im Mageninhalt.
Inj. 10. XL 0,001. Am Nachmittag des nächsten Tages Temp. 37,7;
vorübergehend Seitenschmerzen und Kopfschmerzen, etwas trockener Husten.
Inj. 13. XL 0,002. Positive Reaktion. Temperaturmaxim um inner-
halb 9 Stunden auf 89,4. Pat. hustete, klagte über Kopfschmerzen, expek-
tonierte eitriges Sputum ohne Bazillen ans.
Die Reaktion dürfte auf einen okkulten Lungenherd zurückzuführen sein.
No. 117. A. K., 3 Mon., 5. bis 10. V. 1898. Cat. gastrointest. sub-
acutus (Tbk.?). Wegen starker Atrophie und Mikropolyadenia colli ver-
dächtig auf Tuberkulose.
Inj. 7. V. 0,0002. Negativ.
No. 118. R. S., 17 Mon., L Aufnahme 21. VI. bis 10, VIII. 1899,
IL Aufnahme 7. IX. bis 16. X. 1899. Colicystitis. Seit 2 Monaten Mattig-
keit, Fieber, Husten, starke Abmagerung und Nachtschweisse. Nächtliches
Aufschreien. Befund: Anämie und Colicystitis. Cy tisch abfallendes Fieber
im Beginn.
Inj. 10. VIL 0,0006. Negativ.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. N. P. LXI. Heft 6. 55
844 Schick, Die diagnostische Taberkulinreaktion etc.
No. 119. M. St., 2»/i3 J., 23. XI. 1897 bis 11. I. 1898. Cat. gastro-
intestinalis chron. (Tbk.?). Kam wegen eines chronischen Magendarmkatarrhes
zur Aufnahme.
Inj. 3. XII. 0,002. Negativ. Pat. machte bald daraaf eine croopöse
Pneumonie durch.
No. 120. J. St., 5 J., 1. V. bis l. VII. 1896. Tumor cerebri. Seit
dem 3. Lebensjahre Kopfschmerzen, zeitweilig Schwindel.
Seit 8 Monaten apathisch, jeden 2. — 8. Tag Erbrechen. Seit 5 Tagen
die Balbi hervortretend und dadurch grösser. Pat. geht steif and schleift
den rechten Fuss nach.
Inj. 22. V. 0,001. Negativ.
Pat. starb am 1. VII. 1896. Bei der Obdaktion: Frischer, etwa
wallnussgrosser Tuberkel im Kleinhirn, in der Marksubstanz des Giosshiros.
Hjdrocephalus. Meningitis tuberculosa. Tuberkulose der Langen und
Bronchialdrüsen.
XXVIII.
Zur Charakteristik der akuten nicht pustulösen
Exantheme und ihrer Mischformen.
(Homoiomorphismus bei ätiologischer Verschiedenheit.)
Von
Dr. DEMETRIO GALATTL
Ein dankbares Feld für die Forschung bilden die akuten
Exantheme des Kindesalters. Auf diesem Gebiete ist noch lange
nicht das letzte Wort gesprochen worden. Wie schwer dies aber
auch ist, zeigt uns die Geschichte. Erst am Ende des 18. Jahr-
hunderts wurde der Scharlach als Krankheit sui generis aufgestellt.
Die Varicellen wurden von der Variola erst im 19. Jahrhundert
abgetrennt, und auch jetzt sind noch nicht alle Anhänger der
unitarischen Lehre dieser beiden Erkrankungen geschwunden.
Noch später wurden die Rubeolen als selbständige Krankheit er-
kannt, und viele Autoren waren bis zum heutigen Tage um ihre
sichere diagnostische Abgrenzung gegen Masern und Scharlach be-
müht. In letzter Zeit wird auch eine neue Krankheit ausser den
drei Krankheiten: Scharlach, Masern und Röteln, als vierte Krank-
heit, lind zwar namentlich von englischen Autoren, beschrieben.
Daraus ersieht man also, wie langsam sich auf dem Gebiet der
akuten Exantheme eine richtige Erkenntnis Bahn bricht.
Mit dem Aufschwünge der bakteriologischen Forschung wuchs
die Hoffnung, auf diesem Gebiete rascher und sicherer zu un-
umstösslichen Ergebnissen zu kommen, eine Hoffnung, die sich
aber nicht erfüllen sollte. Masern, Scharlach, Röteln und die
ihnen ähnlichen Exantheme wurden bisher durch die Bakteriologie
um keinen Schritt weiter gebracht. . Es war wiederum nur die
klinische Beobachtung, welche in neuerer Zeit unsere Kenntnis
erweiterte. Die Fortschritte knüpfen unter anderen an die Namen:
846 G a 1 a 1 1 i , Zur Charakteristik der akuten nicht pustulösen
Sticker (1), Dukes (2), die Escherichsche Schale (Graz) und
Pospischil (3) an.
Die sehr beachtenswerten Arbeiten des letzteren und seines
Schülers Hukiewicz Hessen mich den schon längst gehegten Ge-
danken zur nachfolgenden Arbeit endlich in die Tat umsetzen.
Es ist mir in derselben nicht so sehr darum zu tun, neue Tat-
sachen aufzudecken und neue Theorien aufzustellen, als auf dem
sicheren Boden anerkannter Tatsachen die Gesichtspunkte zu
fixieren, von welchen wir uns bei Beurteilung der nicht pustulösen
akuten Exantheme leiten lassen sollen. Die Betonung dieser
Gesichtspunkte hat um so grösseren Wert, als man bei Hint-
ansetzung derselben leicht den Boden unter den Füssen ver-
lieren kann.
Der erste Teil der folgenden Ausführungen beschäftigt sich
etwas ausführlicher in kritischer Weise mit den Arbeiten von
Pospischil und Hukiewicz (4). Die in diesen Arbeiten nieder-
gelegten Beobachtungen basieren auf dem reichlichen Material der
Infektionsabteilung des Jubiläums-Kinderhospitales in Wien und
gerade deswegen halte ich es für notwendig, meinen mit den ge-
nannten Autoren nicht übereinstimmenden Standpunkt eingehender
zu begründen, um dadurch die Fachkollegen zur weiteren Ver-
arbeitung des Themas der „Akuten Exantheme im Kindesalter" an-
zuregen. Dadurch wird in absehbarer Zeit wohl Klärung in die viel
umstrittene Frage kommen; denn wäre die Diagnose der akuten
Exantheme so leicht, dann würden wir nicht durch die Mitteilung
neuer Krankheiten überrascht werden.
Hukiewicz führt uns eine ungewöhnlich gi-osse Zahl von
Doppelinfektionen an Masern und Scharlach vor, welche binnen
kurzer Zeit in dem von Pospischil geleiteten Kaiser Franz Joseph
Kegierungs-Jubiläums-Kinderspitale zur Beobachtung gelangt sind.
In der Zeit vom 20. November 1902 bis Ende Mai 1903 wurden
21 Fälle beobachtet; von diesen werden 15 näher beschrieben.
In dem einen Teile dieser Fälle kam das Scharlachexanthem vor
dem Masernexunthem, in einem anderen Teile das Masernexanthem
vor dem Scharlachexanthem zum Ausbruche. In einem dritten
Teile Hess sich die zeitliche Aufeinanderfolge im Spitale nicht
mehr feststellen. Allen Fällen war aber das gleichzeitige Neben-
einanderbestehen beider Exantheme gemeinsam. Auf diese Arbeit
bezugnehmend, stellt Pospjschil (1. c.) einen neuen klinischen
Typus, den Masernscharlach, auf und erklärt, dass die Infektion
mit Masern die Disposition zur Scharlacherkrankung erhöhe.
Exantheme nnd ihr^ Mischformen. 847
Das Bestehen einer ähnlichen Prädisposition kennen wir seit
den Untersuchungen Jehles (5), in welchen er das Vorkommen von
Influenza-Bazillen im Blute bei den exanthematischen Erkrankungen
nachweist. Je hie lässt es unentschieden, ob die Erreger der
akuten Exantheme eine eigentümliche Eörperbeschafi^enheit be-
wirken, welche ihrerseits die Bakteriämie ermöglicht oder ob die
Influenza -Bazillen bei der Invasion des Erregers der akuten
Exantheme von der Schleimhautoberfläche in die Tiefe der Gewebe
gerissen werden.
In letzterem Falle, der natürlich auch für die Masernerreger
gegenüber den Scharlach erregern denkbar ist, haben wir es mit
mechanischen Verhältnissen, nicht aber mit einer eigentlichen
Prädisposition zu tun.
Die Behauptung Pospischils, wonach die Infektion mit
Masern die Disposition zu Scharlach erhöhe, ist ein mächtiger
Faustschlag, mit welchem das Gebäude der Meyer-Heb raschen
Lehre vollends zerstört wird, ein Gebäude, dem schon längst
durch die Mitteilung von Doppelinfektionen ein Stein nach dem
anderen von dem Fundamente entzogen worden war. Bekannt-
lich lehrten beide, dass zwei akute Exantheme nicht gleichzeitig
an demselben Individuum vorkommen, und dass die Konstatierung
derartiger Fälle auf fehlerhafte Diagnosenstellung zurückzuführen
sei. Mau muss aber beiden zugestehen, dass ihre Lehre an der
Epidemiologie und Statistik eine Stütze fand.
Diese beiden Wissenszweige lehren bekanntlich, dass das
epidemische Auftreten einer Seuche die anderen Seuchen in den
Hintergrund treten lasse. Noch in neuester Zeit kam Körösy (6),
welcher Woche für Woche das Auftreten der Infektionskrank-
heiten in Budapest schilderte, durch genaue Feststellung der Zahlen-
verhältnisse zu folgenden Schlüssen: Dass nämlich eine starke
Zunahme der Masern die Verbreitung des Scharlachs
hindert, eine Abnahme der Masern aber ohne Einfluss
auf die Häufigkeit der Scharlacherkrankungen bleibt;
dass ferner in den Zeiten der Scharlachepidemie die
Masern zurückgedrängt werden, hingegen die Zeiten
schwacher^) Scharlacherkrankungen ohne Einfluss auf
die Häufigkeit der Masern sind.
Die Behauptung Körösys erscheint auf den ersten Blick
als das kontradiktorische Gegenteil der Behauptung Pospischils.
*) Soll wohl heissen apärlicher. Diese Sät/.e sind schon bei Körösy
gesperrt gedrackt-
848 6 a l a 1 1 i , Zur Charakteristik der akuten nicht pustnlösen
Beide Behauptungen sind jedoch nicht so ganz unvereinbar.
Theoretische Erwägungen sprechen zu Gunsten Pospischils. Dieser
will nicht die banale Phrase wiederholen, dass ein durch Masern
geschwächter Organismus sowie jeder andere geschwächte Organis-
mus einer Infektion zugänglicher sei, sondern er behauptet, dass
das Prodromalstadium (eventuell beginnende Eruption) der Masern,
wo also von einer durch die Masern herbeigeführten Schwächai>g
noch nicht die Rede sein kann, die Disposition zu Scharlach
erhöhe. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Befallen werden
eines Organismus von einer Infektionskrankheit an und für sich
sicherlich ein Zeichen von Schwäche, mit welchem Ausdrucke
hier das Gegenteil von Immunität bezeichnet sein soll, auch die
Schwäche dieses Organismus gegenüber anderen Infektionskrank-
heiten andeutet. Ist er denselben aber ausgesetzt, so wird er
leichter von ihnen befallen. Dann bedeutet eben die Infektion
mit Scharlachgift im Prodromalstadium der Masern nicht die
durch letzteres erhöhte Disposition, sondern kennzeichnet nur
umsomehr den durch die Maserninfektion angedeuteten Scbwäche-
zustand. An dieser Erklärung rüttelt die Behauptung Pospischils
nicht, dass das eben besprochene Verhältnis von Masern und
Scharlach sich nicht auch bei einer dieser beiden und einer
anderen Infektionskrankheit finde. Denn sowie im Reagensglase
das Auftreten von Schimmelpilzen zum Beispiel das Wachstum
mancher anderer ausgesäter pathogener Keime völlig hintanhällt,
so können die noch unbekannten Erreger der einen Infektions-
krankheit den Nährboden für die Erreger einer anderen Infektions-
krankheit ungünstig beeinflussen. Hier kommen wir mit Theorien
allein nicht weiter.
Die Doppelinfektionen an Masern -Scharlach wurden bisher
natürlich nur als eine Krankheit zur amtlichen Kenntnis ge-
bracht, trugen also gleichsam auf diese Art zur Verringerung der
Zahl der Scharlach- oder Masernfälle bei. Nehmen wir nun
weiter au, dass masernkranke Kinder einige Zeit hindurch infolge
ihrer Krankheit anderen Ansteckungsmöglichkeiten entzogen
bleiben, so werden wir auch die Angaben Körösys vollständig
gerechtfertigt finden.
Pospischil selbst gibt an, dass die grosse Zahl der von
ihm beobachteten Masern - Scharlachfälle auch anderen Fach-
kollegen, die einzelne Fälle ruhig hingenommen hätten. Bedenken
gegen die richtige Deutung eingeflösst haben. Dieses Argument
gegen Pospischil stützt sich eigentlich nur darauf, dass an-
Exantheme und ihrer Mischformen. 849
erkannt vielbeschäftigte Kinderärzte nur sehr wenige Fälle von
Doppelinfektionen an Masern und Scharlach gesehen haben. So
beschrieb Monti (7) am Beginne seiner Laufbahn nur einen Fall,
ebenso Steiner (8), Ren^ Blache (9) nur 2 Fälle, Stiller
und Herzog ebenfalls nur einen yon Jürgensen anerkannten
Fall u. s. w. Aber wie schon Steiner bemerkt, wird das Zu-
sammentreffen zweier akuter Exantheme öfters in Spitälern als
in der Privatpraxis beobachtet, und schon Fleischmann (10)
konnte in einem Jahre 8 Masernkranke beobachten, welche kurz
danach von Scharlach befallen wurden. In jüngster Zeit ver-
öffentlichte Szontagh(ll) 11 Fälle von Doppelinfektionen an
Musern und Scharlach, also eine immerhin stattliche Zahl; ebenso
Döbert 10 Fälle (12). Man sieht demnach, dass die Zahl der von
einem Autor beobachteten Fälle eine stets grössere wird, also
gleichsam ein Zeichen wachsender Genauigkeit der Beobachtung.
Bei den von Pospischil und Hukiewicz erwähnten Masern-
Scharlacb-Fällen fällt uns zunächst eine Ungleichmässigkeit in
dei Diagnosenstellung auf. Als Beleg dafür diene Fall 7 von
Hukiewicz.
R. H., 2Va Jahre alt, aufgenommen am 8. I. 1903 mit ausbrechenden
Masern. Am 10. I. ist an Brust und Rücken das Masernexanthem geschwunden
and an seine Stelle ein frischrotes Scharlachexanthem getreten. Dasselbe
war am nächsten Tage schon abgeblasst, am zweiten Tage geschwunden.
14 Tage später, am 26. L, tritt an der Vorderfläche der Schultern und an
der Brust ein sehr spärliches scharlachähnliches Erythem auf.
Warum diagnostiziert Hukiewicz nur ein Erythem, nicht
ein Scliarlachrezidiv in diesem Falle, wie im Falle 2,8 (nach
3 Tagen ein Nachschub, nach mehr als einem Monat ein
Rezidiv), ferner Pospischil im Falle E. R., Seite 745, F. H.,
Seite 766, K. B., Seite 767, J. P., Seite 769, ? Noch merkwürdiger
erscheint uns, dass das erwähnte „scharlachiihnliche Erythem" am
26. 1. mit einer Temperatur von 39,2 auftrat, dass das Gesicht stark
gerötet war, periorale Blässe bestand, eine frische Angina sich
einstellte und dass am 8. II. neben gleichzeitig bestehender
Pneumonie im Urin 2 ®/oo Eiweiss und Blut auftrat; es soll also
ein scharlachähnlicher Ausschlag mit Fieber, Angina und Nephritis
nach 13 Tagen nur ein Erythem und kein Scharlach sein?
Scharlachähnliche Ausschläge bei Angina, wovon ich später
selbst einen Fall mitteilen werde, kommen allerdings gelegentlich
vor. In dem oben erwähnten Falle dürfte es sich aber nach den
850 Galatti, Znr Charakteristik der akaten nicht pastalösen
angegebenen Symptomen wohl nur um einen Scharlach gehandelt
haben.
Resümieren wir kurz den von Pospischil auf Seite 758 auf-
geführten Fall R. B.: 10 Monate altes Kind bekommt Varicellen
am 5. Juni. Am 7. Juni tritt unter hohem Fieber eine Phlegmone
in der linken Leiste auf, die am 8. Juni von einem Arzte inzidiert
wurde. An diesem Tage Rötung des Stammes. Am 9. Juni bei
der Aufnahme im Spital Temperatur 39,1, Puls 156. Trockene,
himbeerrote Zunge, Rachen massig injiziert, kein Belag, Schwellung
der angulären Drusen. An den unteren Extremitäten ein blasses,
leicht cyanotisches, fleckiges, vielfach konfluierendes Exanthem
von weicher Scharlachzeichnung; auch am Rücken ist dieses
Exanthem von zahlreichen Sudamina-Bläschen bedeckt. Eiter-
Retention. Therapie: Spaltung der Phlegmone. Injektion von
Mosers Scharlachstreptokokken-Serum. Schon abends Tempe-
ratur 37,3. Am nächsten Tage Exanthem abgeblasst. Am 2. Tage
Kind ganz frisch und afebril. Am 20. Juli geheilt entlassen.
Von Nephritis oder Abschuppung wird nichts angegeben.
Ich erinnere mich an einen ähnlichen Fall aus dem Leopold-
städter Kinderspital:
Bei einem hochgradig fieberndeD Kiode mit Angina fand ich ein
Scharlachexanthem der oberen KÖrperhalfie. Da ich nicht mit Bestimmtheit
die Diagnose eines echten Scharlachs stellen konnte und ich das Kind nicht
der Gefahr einer Scharlachinfektion am Scharlachzimmer aussetzen wollte,
Hess ich es in einem Isolierziramer unterbringen und fand bei einer neuer-
lichen Untersuchung einen Abszess in der Nähe des Afters. Derselbe wurde
inzidiert, und wenige Stunden darauf war die Scharlachrote geschwunden
und die Temperatur normal. Das ICind wurde sodann in häuslicher Pflege
belassen, hat nicht abgeschuppt und trotz Verkehrs mit anderen Kindern
auf keines Scharlach übertragen.
Dadurch erhielt meine Diagnose, nach welcher es sich nicht
um Scharlach, sondern um ein septisches Exanthem gehandelt
hat, eine weitere Stütze.
Auch im obigen Falle Pospischils handelt es sich meiner
Meinung nach nicht um Scharlach, sondern um ein septisches
Erythem, dessen Auftreten ja nicht so selten ist.
Ich erwähne aus der Literatur einen Fall von Julius
Weiss (13), wo bei einer fibrinös-eitrigen Peritonitis eine inten-
sive Scharlach röte am Rumpfe, weniger ausgesprochen an den
Extremitäten, beobachtet wurde.
Zum Beweise dafür, wie verschieden sich Hautentzündungen
gestalten, trotzdem derselbe Krankheitserreger tätig ist^ führt
Exantheme und ihrer Mischformen. 851
Jürgen seu (14) die septischen Hautentzündungen an; Ausschläge^
die Ähnlichkeit mit Masern und Scharlach haben, sind bei den
septischen Erkrankungen nicht selten, wenn sie auch meist nur
kleinere Hautabschnitte einnehmen.
Mag nun auch Pospischil im Rechte sein und es sich
wirklich nicht um ein septisches Exanthem, sondern um einen
Scharlach gehandelt haben, so genügt schon die Möglichkeit einer
anderen Deutung des Falles, um seinen Wert als Stützpunkt
einer Theorie illusorisch zu machen. So sicher auch die all-
bekannte Tatsache ist, dass es Abortivformen des
Scharlachs gibt, so gewiss muss man auch verlangen,
dass nur typisch ausgeprägte, eindeutige Fälle Hypo-
thesen zugrunde gelegt werden.
Dass es sich übrigens um eine Sepsis gehandelt hat, gibt
auch Pospischil zu, nur bezeichnet er es als eine Scharlach-
sepsis; es kann sich demnach hier wohl nur um eine mit Scharlach
vergesellschaftete oder von Scharlach abhängige Sepsis gehandelt
haben. Das Auftreten der Sepsis allein, ohne Nachweis eines
nebenher- oder vorhergehenden Scharlachs berechtigt noch nicht
zu dieser Bezeichnung. Selbst wenn man jeden Scharlach als
eine Streptokokken-Krankheit auffassen wollte, so bedeutet dies
noch nicht, dass auch jede Sepsis auf Scharlach beruht. Wir
kennen ja auch eine Reihe mit Scharlach gar nicht zusammen-
hängender Streptokokken-Krankheiten. Ein Zusammenhang der
kryptogenetischen Sepsis mit Scharlach wurde bislang nicht
behauptet. Nunmehr aber meint Pospischil, dass dieser Zu-
sammenhang bestehe, wenn er sich auch in Worten dagegen
wehrt. Er sagt zwar, dass ihm die Behauptung fern liege, jede
in Begleitung oder im Gefolge eines der anderen akuten Exantheme
auftretende Sepsis oder Pyämie auf eine Scharlach -Infektion
zurückzuführen, meint aber, dass seine Erfahrungen ihn vorläufig
zu dem Schlüsse führen, dass die überwiegende Mehrzahl der
Streptokokken-Allgemeininfektionen bei den Morbillen und Vari-
cellen auf deren Sekundärinfektion mit einem septischen Scharlach
zurückzuführen sei; dass er selbst keinen Fall von Streptokokken-
Sepsis bei Masern und Varicellen gesehen habe, der nicht in der
Komplikation mit Scharlach seine Erklärung gefunden hätte.
Schliesslich meint er, dass ihm seine Beobachtungen gestatten,
die nach Masern, Rubeolen und Varicellen ab und zu auftretende
akute hämorrhagische Nephritis als postskarlatinös aufzufassen.
Nun tritt aber hämorrhagische Nephritis bei so vielen Infektions-
S52 Galatti, Zar Charakteristik der akaten Dicht pustoiösen
Krankheiten auf, wo kein Scharlach vorhanden ist — sie hat
sogar beim Abdominaltyphus zur Aufstellung einer eigenen Abart
{des Renotyphus) geführt — dass es nicht einzusehen ist, warum
sie bei Masern z. B. nicht auch unabhängig von Scharlach gedacht
werden kann. Den Behauptungen Pospischils wurde man sich
nur dann anschliessen liönnen, wenn sie sich auf ganz eindeutige
Fälle stutzen würden.
Aus den schon im Jahre 1885 erfolgten Untersuchungen
Hlavas geht ebenfalls hervor, dass bei Masern auch ohne
Scharlach Streptokokken-Sepsis auftreten kann. Hlava fand
den Kettencoccus bei Scharlach, Masern, Flecktyphus, Diphtherie
und Variola ohne die klinischen Zeichen der Sepsis.
Wie steht es aber um die Eindeutigkeit der Fälle bei
Masern-Scharlach ?
Das einzig sichere Kriterium, mit welchen Infektionskrank-
heiten wir es in einem bestimmten Fall zu tun haben, wäre der
Nachweis des Erregers. Leider sind uns aber weder die Erreger
•der Masern, noch die der Röteln, noch die des Scharlachs be-
kannt. Wir müssen also nach Ersatz-Kriterien suchen. Als
solcher Ersatz dient uns einerseits die Infektiosität der Krank-
heit, andererseits die klinischen Symptome.
Wie diesen Forderungen in einwandfreier Weise nach-
zukommen ist, zeigen uns die . von Jürgensen ausgewählten
Beispiele von Doppelinfektionen an Masern und Scharlach. Es
sind dies ein Fall von B. Stiller (15) und ein Fall von
J. Herzog (16).
Im Falle Stillers erkrankte von drei Kindern einer
Familie das eine anfangs Mai an Scharlach, das zweite einige
Tage später an Masern, das dritte am 21. Mai an heftigem
Fieber und Angina und bekam am 23. Mai ein Scharlach-
exanthem am Halse und Rumpfe, das sich über den ganzen
Körper verbreitete. Am 25. Mai trat unter Verschlimmerung
des Allgemeinzustandes starker Husten, Schnupfen und Con-
junctivitis und am 26. Mai ein Masernexanthem auf.
Im Falle Herzogs handelte es sich um einen 8jährigen
Knaben, welcher am 20. August mit Katarrh erkrankte, am
21. und 22. den Ausbruch eines leichten Masern exanthems im
Gesichte, am Halse und auf der Brust aufwies, welches am
23. abblasste. Am Abend dieses Tages traten starkes Fieber
und Halsschmerzen auf; am nächsten Tage bemerkte man eine
Scharlachröte am unteren Teile des Bauches in der Inguinal-
Exantheme und ihrer Mischformen. 853
gegend, am Skrotum und in dem Schenkeldreieck, die sich gegen
Abend über die oberen Extremitäten und über die Schenkel
verbreitete. Am 25. kleienförmige, am 26. auch fetzenförmige
Abschuppung.
Im Falle Herzog finden wir keine Andeutung über den
Ursprung der Doppelinfektion, welcher im Falle Stiller ersicht-
lich ist.
Im Falle Monti finden wir die Ätiologie aufgeklärt:
anfangs Morbillen mit den Begleiterscheinungen, dann unter
Fieberzunahme und Angina Scharlach.
Der Stein ersehe Fall ist, von der Ätiologie abgesehen,
dem Monti sehen im Anfangsstadium ähnlich und unterscheidet
sich nur hernach durch das Hinzutreten von Nephritis und
Hydrops.
Die beiden wegen „Angina diphtheritica^ tödlich endigenden
Fälle von Blache sind etwas verschieden. Der eine hat die
Prodromal-Symptome des Scharlachs mit Ausschlag am dritten
Tage und Auftreten der Masern mit Bronchitis am siebenten
Tage. Der andere die Prodromalsymptome der Masern, dazu
Angina und Scharlachausschlag auf den Armen. Am nächsten
Tage beginnende Masern und Ausbreitung des Scharlachexanthems.
Das Krankheitsbild der Doppelinfektion an Masern und
Scharlach ist nach Filatow (17) so verschiedenartig, dass es
der Diagnose grosse Schwierigkeiten bietet. So kann der Aus-
schlag masernartig sein und die Affektion der Schleimhäute eine
solche wie beim Scharlach, d. h. der Husten fehlt, es ist aber
eine starke Angina vorhanden, und die Zunge ist skarlatinös oder
umgekehrt: der Ausschlag ist scharlachartig, die Katarrhe aber
sind so wie bei den Masern. In anderen Fällen kommt auf
einigen Stellen, wie z. B. am Rumpfe, der Masern aussch lag zum
Vorschein, und auf den Extremitäten ist ein zweifelloses Scharlach-
exanthem sichtbar, wobei die Affektionen der Schleimhäute der
einen oder der anderen Krankheit oder beiden Krankheiten zu
gleicher Zeit entsprechen.
Meiner Meinung nach wäre für die richtige Diagnose dieser
von Filatow gekennzeichneten Fälle der Nachweis der Infektiosität
erforderlich.
Wie steht es nun mit dem Nachweis der Infektiosität bei
Masern-Scharlach ?
Auf diese Frage geht Hukiewicz garnicht ein. Er be-
richtet nicht, woher die Kinder ihre Masern und ihren Scharlach
854 6 a I a 1 1 i , Zar Charakteristik der akuten nicht pustalösen
hatten, noch ob sie zur Infektionsquelle für andere geworden ;
dagegen tritt Pospischil dieser Frage näher. Doch vermag er
in keinem Falle die Quelle der Scharlachinfektion bestimmt an-
zugeben; von der Quelle der Masern schweigt er gänzlich. Seiner
Ansicht nach soll es sich oftmals um Scharlachinfektion beim
Transporte mittels des Sanitätswagens gehandelt haben. Um
diese Ansicht stützen zu können, muss er hervorheben, dass die
Inkubationsdauer des Scharlach auch nur einen Tag, ja sogar
nur Stunden betragen kann. Pospischil muss sich also in dieser
Hinsicht auf Ausnahmen berufen, ein für seine Annahme keines-
falls günstiger Umstand, denn ebenso gut, wie er für sich die
ausnahmsweise kurze Inkubationsdauer verwertet, könnte ein
anderer gegen ihn die ausnahmsweise lange Inkubationsdauer
ins Feld fuhren, wo dann der Scharlach nicht im Prodromalstadium
der Masern, sondern die Masern sogar im Inkubationsstadium
des Scharlachs erworben erscheinen. Auf diese Weise würde
die ganze Hypothese von der durch das Prodromalstadium der
Masern geschafifenen Prädisposition zum Scharlach hinfällig werden.
Weiter gibt Pospischil an, dass diese grosse Zahl der
Masemscharlachfälle zu einer Zeit aufgetreten ist, wo zwar
Masern häufig. Scharlachfälle aber selten waren. Wenn die Doppel-
infektionen so häufig zu einer Zeit auftraten, wo Scharlach
selten war, warum wurden sie nicht auch zu einer Zeit beob-
achtet, wo Scharlach häufig war? Ähnliche Fälle soll auch
Leichtenstern (Köln) verzeichnet haben, welcher von Masern-
fällen mit „kapriziösen Exanthemen" berichtet. Diese Fälle
stammen jedoch aus einer Zeit, wo in Köln Masern und Scharlach
häufig epidemisch waren.
Die Frage der Infektiosität schliesst auch die Frage der
Immunität ein, welche durch das Überstehen der Krankheit er-
worben wird. Die relativ grosse Zahl der angegebenen Scharlach-
Rezidiven spricht natürlich nicht gegen erworbene Immunität
Um über dieselbe Klarheit zu gewinnen, wäre eine jahrelange
Beobachtung der an Masern-Scharlach erkrankt gewesenen Kinder
erforderlich. Aber selbst wenn diese Beobachtung Wieder-
Erkrankungen an Scharlach zutage fördern würde, könnte man
dies nicht gegen die Diagnose des Masern-Scharlach als unum-
stössliches Argument verwenden. Wiedererkrankungen nach
zweifellosem Scharlach sind ja bekannt (vide z. B. MaiselislS).
Selbstverständlich diagnostizieren wir Masern und Scharlach auch
dann, wenn wir die Infektionsquelle nicht kennen. Abortivformen
Exantheme and ihrer Mischformen. 855
können wir aber nur zu £pidemi6zeiten oder bei bekannter In-
fektionsquelle oder wenn sich sonst ein charakteristisches Symptom
-einstellt, diagnostizieren. Wir dürfen daher auch nicht von
Hukiewicz-Pospischil verlangen, dass sie nur dann ihre Fälle
aIs Masern-Scharlach diagnostizieren, wenn sie die Quelle für
beide Infektionen nachweisen oder andererseits nachweisen, dass
ihre Fälle auf andere Kinder Masern und Scharlach, wenn auch
getrennt, übertragen haben. Sehen wir aber von den Beweis-
mitteln der Infektiosität ab, so müssen wir desto eher verlangen,
dass das Beweismittel des klinischen Bildes ganz charakteristisch
and eindeutig sei.
Ist dies nicht der Fall, gestaltet sich die Doppelinfektion
von Masern und Scharlach nicht so, dass jede dieser Krankheiten
ihre charakteristischen Züge beibehält, sondern in der Weise,
dass beide Krankheiten zu einem neuen Krankheitsbilde ver-
schmelzen, dann ist der Beweis der Abstammung so lange uner-
iässlich, bis die Form dieses neuen Krankheitsbildes unumstösslich
feststeht. Wir hätten dann ein Analogen zu den Flechten im
Pflanzenreich, wo die Symbiose zweier Organismen einen Typus
darstellt, dessen makroskopischer Eindruck von dem Eindrucke
der symbiotischen Organismen ganz verschieden ist.
Nicht in diesem Sinne ist die eigenartige Gestaltung des
Masern-Ausschlages aufzufassen, wie er durch den herannahenden
Scharlach nach Pospischil modifiziert wird. Hier handelt es
sich nur um die Umgestaltung eines Symptomes, nicht um die
des gesamten Krankheitsbildes. In demselben sind die allgemeinen
Züge der Masern und des Scharlachs nicht zu einem neuen Ge-
bilde verschwommen, sondern jede Krankheit behält nach beiden
Autoren ihre Züge in ihrer Charakteristik so bei, dass die
Diagnose ohne weiteres gestellt werden kann. Das ist eben der
Punkt, dem ich mich für die Mehrzahl der mitgeteilten Fälle
nicht anschliessen kann.
Unter den 15 von Hukiewicz mitgeteilten Fällen zeigen
die wenigsten das vollständig ausgeprägte Symptomenbild des
Scharlachs. Brach der Scharlach bei schon ausgepräpten Masem-
Exanthemen aus, so fand sich nur selten eine Fiebersteigerung;
von einer dem Scharlach entsprechenden Fieberkurve und von
Angina war selten die Rede, noch seltener von einer Nieren-
affektion. Nur ein Symptom war konstant: das Exanthem und
die nachfolgende lamellöse Abschuppung. Eigentlich ist es nur
856 6 a l a 1 1 i , Zur Charakteristik der akuten nicht pustalösen
das Exanthem, auf das die Diagnose des Masern-Scharlachs auf-
gebaut ist.
Ich will über die anderen nicht ausgeprägten Symptome des
Scharlachs bei Masern-Scharlach hinweggehen und nur hervorheben,
dass dieser Mangel zu — ob berechtigtem — Zweifel an der
Richtigkeit der Diagnose wohl nicht in allen, aber doch in mehreren
Fällenführenkann. Wenigstens behauptete noch kurzlich Variot(19)»
dass ohne Vorhandensein der Trias: Fieber, Angina, Exanthem,
die Diagnose des Scharlachs zweifelhaft ist.
Dieser Symptomenmangel wurde wohl dazu fuhren, dass
zwar vielleicht Filatow, nicht aber Jürgen sen diese Fälle als
einwandfrei bezeichnen möchte. Er ist umso auffallender, als die
Heftigkeit des Scharlachs durch das besonders häufige Vorkommen
von Rezidiven gekennzeichnet wird; das Überm aass auf der einen
Seite erscheint im Widerspruche zu dem Mangel auf dBr andern
Seite.
Dieser Mangel erscheint im Vergleiche mit anderen ähnlichen
Fällen nur noch krasser. Doebert (1. c.) beschreibt eine Epidemie
von 10 Fällen von Scharlach, die nach noch nicht ganz abge-
laufenen Masern aufgetreten waren, welche sich durch die Schwere
der Komplikationen auszeichneten.
Ich will mich nur mit dem Symptome des Ausschlages be-
schäftigen, weil ich damit bei meinem eigentlichen Thema angelangt
bin: Bei der Durchführung des Gedankens, dass man aus dem
Homoiomorphismus nicht auf Identität schliessen dürfe, ein Ge-
danke, den, wie schon erwähnt, auch Jürgensen in Kürze erörtert.
Wenn Fürbringer und Leube, gewiss zwei erfahrene und
sorgfältige Diagnostiker, erklärten, dass eine sichere Differential-
diagnose zwischen Masern und Scharlach unüberwindliche Schwierig-
keiten haben kann, so taten sie diesen Ausspruch bei Berück-
sichtigung des ganzen Symptomenbildes. Um wie viel mehr
muss dieser Ausspruch gelten, wenn nur das Symptom des Aus-
schlages berücksichtigt wird.
In früheren Zeiten hatten Dermatologen öfters ihre Differential-
diagnosen verschiedener Exantheme hauptsächlich ans der Form
des Hautausschlages mit Ausserachtlassung der übrigen Symptome
aufgebaut. Wohl am stärksten verurteilt diesen Standpunkt
Bohn(20), indem er sagt, dass wir nicht Symptome, sondern
Krankheiten diagnostizieren und eine differentielle Diagnose nur
dann Platz greift, wo zwei oder mehrere Krankheiten als Ganzes^
einander sehr ähnlich sehen.
Exantheme und ihrer Mischformen. 857
Folgerichtig erklärt B oh n daher auch in seiner Abhandlung
über den Scharlach in dem genannten Handbuche, dass, wenn
eines der Hauptsymptome fehlt, die andern um so schärfer aus-
geprägt sein müssen. In den Fällen von Masern-Scharlach fehlte
öfters nicht bloss ein, sondern auch mehr als ein Hauptsymptom.
Vorhanden war nur das Exanthem und die konsekutive Ab-
schuppung. Sehen wir nun, ob wenigstens das Exanthem um so-
prägnanter vorhanden war.
Resümieren wir in Kürze den Fall 1: Am 21. XI. im Ge-
sichte, am Stamm und an den oberen Extremitäten, besonders
reichlich am Bauch und Rücken, ein gross-makulöses, mehrmals
konfluierendes, blassrotes Masern -Exanthem. An den Ober-
schenkeln, besonders in der Streckseite derselben, ein
ganz frisches Scharlach-Exanthem. Am 22. XI. Exantheme nirgends
weiter vorgeschritten. Scharlach-Exanthem abgeblasst, aber noch
deutlich sichtbar. 23. XI. Masem-Exanthem spärlich auf den
Oberschenkeln. 26. XI. Pigmentflecke nach Masern am Rumpfe.
10. XII. Sehr spärliche, klein lamellöse Schuppung an den
Vorderarmen. Temperatur am ersten Beobachtungstag 38,6;
am zweiten höchste Temperatur 38,1. Massige Schwellung der sub-
maxillaren Drüsen und Himbeerzunge am ersten Beobachtungstage.
Man kann also wohl sagen, dass ausser dem Exanthem kein
anderes Scharlachsymptom vorhanden war. Trotzdem ist das
Exanthem auch nicht prägnant genug, um der ß oh n sehen An-
forderung zu genügen, da wir nur ein scharlachähnliohes Exanthem
von sehr beschränkter Lokalisation vor uns haben.
Man vergleiche mit diesem Falle einen Fall Lewin skys (21):
Ein 2^l2'j^hr\ges Kind bekommt ein charakteristisches Masem-
Exanthem; Verlauf und Allgemeinerscheinungen wie bei Masern.
Daneben trat auf dem ganzen Rücken und auf den oberen
Extremitäten ein skarlatinöses Exanthem auf. Leichte Himbeer-
zunge, geringe Angina und nachfolgende lamellöse Abschuppung
der befallenen Stellen. Auch hier haben wir ein beschränkt
lokalisiertes Scharlach-Exanthem, daneben aber auch andere
Scharlachsymptome. Und dennoch meinte Lewinsky, dass kein
Grund vorliege, an eine Kombination von Scharlach und Masern
zu denken. Eisenschitz, der diesen Fall im Jahrbuche für
Kinderheilkunde referierte (N. F., Bd. 9), schloss sich dieser
Meinung an. Das wäre eine übertriebene Vorsicht nach der
Ansicht Hukiewiczs, der es für unnötig erklärt, dass Monti
und Rolli erst beweisen zu müssen glaubten, dass es sich in
Sb8 G a l a 1 1 i , Zur Charakteristik der akuten nicht pnstulösen
ihren Beobachtungen wirklich um Mischinfektion von Masern und
Scharlach gehandelt habe.
So unvollständig wie im Falle 1 ist das Scharlach- Exanthem
in den meisten der Fälle von Masern- Scharlach. Im Falle 3
findet sich das Scharlach-Exanthem an der unteren Hälfte des
Stammes und an den unteren Extremitäten; im Falle 5 an den
oberen Extremitäten und am Stamm; im Falle 6 an der Ruck-
seite der unteren Extremitäten und ad nates. Im Falle 7 an
Brust und Rücken und am nächsten Tage an den unteren
Extremitäten; im Falle 8 an der Brust und an den Oberschenkeln;
im Falle 11 gleichfalls an Brust und Oberschenkeln; im Falle 15
an der oberen Brust, der Schultergegend und an den Oberschenkeln.
In einer ganzen Reihe also, in 8 von 15 Fällen, haben wir
es mit einem nicht voll ausgebildeten Scharlach-Exanthem zu tun.
An und für sich würde dies kein Bedenken gegen die Diagnose
erregen müssen. Man kann sich ja vorstellen, dass die durch
die Masern geschaffene Prädisposition auch die abortiven Exanthem-
formen des Scharlachs eher zur Geltung kommen lässt. Um wie
vieles mehr müssen dann aber die voll ausgebildeten Formen er-
scheinen! Denn es wäre ja sonst ein Widerspruch, dass das
Prodromalstadium der Masern auf der einen Seite die Prä-
disposition zum Scharlach erhöht und auf der anderen Seite die
vorhandene Krankheit abschwächt. Würde man dagegen von der
Prädisposition absehen und das Zusammentreffen beider Krank-
heiten als rein zufällig betrachten, dann wäre der Antagonismus
begreiflich. Das Bestehen des Antagonismus bezüglich des
Exanthems wird auch von Fleischmann und Döb er t (1. c.) aus-
drücklich hervorgehoben. Er ist so gross, das Scharlach-Exanthem
oft so flüchtig, dass Döbert zugesteht, dass ohne nachfolgenden
Hydrops man billig an der Diagnose Scharlach zweifeln könnte.
Das eigentümliche Aussehen des Masern-Exanthems an den
durch Scharlach veränderten Hautstellen, das von dem Aussehen
anderwärts beschriebener Fälle von Masern und Scharlach differiert,
weist jedenfalls auf ein die Masern beeinflussendes Agens hin,
das jedoch deswegen nicht Scharlach sein muss. Diese Variation
der Masern kann man mit der Variation der Farbe von Bluten
vergleichen, wie sie durch eigentümliche Bodenzusammensetzung,
aber auch ohne diese bedingt sein kann. So findet man z. B.
mitten und neben rot bis violett blühendem Symphytum offizinale
Exemplare von rein weisser Blütenfarbe, welche jedoch von keinem
Botaniker für eine andere Art gehalten wird. So ist es denn
Exantheme und ihrer Mischformen. 859
auch denkbar, dass die Farbe der Masern von der Konstitution
des Organismus abhängig ist, dass sie aber auch durch aus-
gesprochenere Krankheiten verändert wird. Die auf tausendfaltige
Beobachtung sich stützende Wahrscheinlichkeit spricht mehr fQr
letzteres. Wir haben es also jedenfalls in den Fällen von Masern-
Scharlach mit einer Variation des Masern -Ex emthems zu tun.
Nur dass der Verlauf der Masern sich zumeist an den Typus
hält, spricht mehr dafür, dass die variierende Ursache keine tief-
greifende Veränderung des Organismus hervorgerufen hat, was
wir ja doch bei Scharlach voraussetzen.
An dieser Stelle muss ich nochmals unumwunden zugestehen,
dass in einzelnen Fällen von Masern-Scharlach es sich unzweifelhaft
um eine Doppelinfektion von Masern und Scharlach gehandelt
hat, da wir ausser von dem Scharlach- Exanthem auch von anderen
Symptomen des Scharlachs hören. In diesen zweifellosen Fällen
von Doppelinfektion war die Modifikation des Masern- Exanthems
von derselben Art, wie in den anderen, wohl kaum über jeden
Zweifel erhabenen Fällen.
Darin liegt aber kein Beweis, dass es sich in diesen Fällen
auch um Scharlach gehandelt hat, sondern nur, dass das Exanthem
ein dem Scharlach-Exanthem ähnliches war. Es genügt zur
gleichen Beeinflussung das Vorhandensein der gleichen Haut-
veränderung, gleichgültig aus welcher Ursache, so wie chemische
Stoffe dieselbe Keaktion geben, wie immer sie auch erzeugt wurden.
Ich gebe hier vorerst einen den Hukiewiczschen Fällen an
Aussehen des Masern-Exunthems gleichen Fall wieder.
EiD Sjahriges Mädchen, Kind eines Kollegen, der znr Belbeti Zeit und
geraume Zeit vorher sicher nichts mit Scharlach zu tun hatte, war in der
Schule dorch Masern -Infektion angesteckt worden. Der Zeitpunkt der
Infektion Hess sich ans besonderen Umständen genau bestimmen. Dieses Kind
infizierte seine anderen jüngeren Geschwister im Alter von 41/t Jahren and IJahr,
welche bisher keine Infektionskrankheit durchgemacht hatten, während das
älteste Mädchen vor Jahren Varicellen durchmachte. Nach der gewöhnlichen
Inkubationszeit brachen bei beiden die Masern fast gleichzeitig ans. Das
Exanthem war bei dem 4 ^s jährigen Kinde ein gewöhnliches Masern-Ezanthem;
bei dem einjährigen Kinde zeigte sich das gewöhnliche Masern -Exanthem
im Gesichte, an der Brust, dem Rücken und den oberen Extremitäten. An
der unteren Hälfte des Bauches und in beiden Schenkeldreiecken trat ein
scharlachähnlicher Ausschlag einen Tag bevor die Masern auch diese Partien
ergriffen, auf. Nacb dem Abblassen der Masern, die sonst den gewöhnlichen
Verlauf nahmen, trat der scharlacbähnliche Ausschlag, nur bedeutend blässer,
wieder hervor, und man bemerkte in ihm zahlreiche punktförmige Hämorrha-
gien. Nach 2 weiteren fieberfrei verbrachten Tagen verschwand dieser
Jahrbuch für Kioderheilkunde. N. F. LXl. Holt e. 56
860 Galatti, Zar Charakteristik der akaten Dicht pustolöaen
Aaaschtag g&Dzlich. An den Stellen, wo er bestand, löste sieh die Haut
in Fetzen ab. An diesen Stellen hatten die Masern genau das Aassehen,
wie es Hakiewicz and Pospischil beschrieben. Dieses Kind zeigt«
absolat kein Scharlachsymptom, infizierte anch kein anderes Kind mit
Scharlach. Die Ver&nderang des Masern-Exantbeins war durch ein scharlacb-
förmiges Erythem her?orgerufen worden.
Das Vorkommen derartiger Erytheme ist bekannt. Wie
gross aber ihre Ähnlichkeit mit Scharlach sein kann, geht am
besten aus dem Umstände hervor, dass manche Scharlachfalle
als Serum-Erytheme gedeutet wurden.
Erst den Arbeiten Ritters (22), Leiners (23) und Ober-
winters (24) gelang es, Klarheit in diese Sache zu bringen. Wo
wir es bei einem scharlachartigen Ausschlage nach Serum-
behandlung nicht mit Scharlach zu tun haben, haben wir ein
toxisches Erythem vor uns, wie solche auch nach Einwirkung
anderer Gifte bekanntlich entstehen können.
Die Diagnose eines toxischen Scharlach-Erythems ist leicht,
wenn die Noxe bekannt ist. Doch nicht in allen Fällen kaon
die Diagnose gestellt werden.
So beobachtete ich z. B. folgenden in seiner Ätiologie g&nzlich an-
aufgeklärten Fall. Bei einem Mädchen trat am 80. XII. 1901 über Nacken,
R&cken und Brust ein Bcharlachähnlicher Ausschlag auf. Temperatur steb
normal, keine Angina. Am nächsten Tage breitete sich der Ausschlag noch
mehr aus, ergriff am 4. Tage die Ei|tremitäten ohne irgend eine Störung des
Allgemeinbefindens; es bestand nur Juckreiz. Am 5. Tage war das Exanthem
plötzlich ganz abgeblasst. Keine weiteren Folgen.
Dass es sich hier nicht um Scharlach gehandelt haben
konnte, war klar. Das war aber auch das einzig Klare in der
Ätiologie des Exanthems.
Auch masernähnliche Erytheme ohne Fieber kommen 7or.
Ich erwähne unter anderen aus meiner Praxis folgende
2 Fälle:
Bei einem 22 monatl. Kinde beobachtete ich im Gesichte und am
Stamme ein Erythem von etwas blasser Farbe, das am nächsten Tage rer-
schwunden war. Sonstige Begleitsjmptome fehlten. Eine Verwechslung mit
afebrilen Masern oder gar mit Rubeola war ausgeschlossen.
In einem zweiten Falle bei einem 6jährigen Rinde, das seit 5 Tagen
krank war, fand ich ausser Appetitlosigkeit und einer abendlichen Temperatar-
Steigerung knötchenförmige Effloreszensen an den Armen, einzelne anch im
Gesichte und auf den Beinen. Ich verordnete gegen das Fieber Chinin io
kleinen Dosen. Am nächsten Tage fand ich zahlreiche Papeln an den Armen,
weniger an den Beinen, ganz sp&rlich am Stamme nnd wieder abendliche
Temperatursteigerung. Am nächsten Tage hatten die Papeln zngenommeo:
Exantheme and ihrer Mischformoo. 861
sie waren auch im Gesichte aufgetreten und sahen den Masern ähnlich. Am
nächstfolgenden Tage war der Aasschlag am Stamm nnd Racken derart, dass
ihn jeder für konfluierende Masern gehalten hätte. Ich lasse es dahingestellt
sein, ob es sich in diesem Falle um ein Erythem an and für sich oder um
ein darch den Chiuingebraach unterstfitztes Erythem gehandelt hat. Es
genügt mir, die Tatsache fieberlos «uftretender, masernähnlicher Exantheme
damit belegt zu haben.
Diese beiden masernähDlichen Exanthemfälle beobachtete
ich kurz hintereinander im Jan aar 1901. Dies konnte wohl auf
den Verdacht eines epidemischen Auftretens eines Erythems
bringen. Jedenfalls handelt es sich dabei nicht um das Erythema
infectiosum, dessen Ähnlichkeit mit Rubeolen so weit geht, dass
die ersten davon in Graz beobachteten Fälle unter der Flagge der
Röteinliefen. [Tschamer (25), Gumplowicz(26), Tobeitz (27)].
Fälle von Erythema infectiosum kommen in Epidemieform
vor, die, wie Adolf Schmidt (28) hervorhebt, im Frühjahr und
Sommer und nicht, wie obige Fälle, im Winter auftreten. Dieses
Erythem beginnt stets am Gesichte und gleicht darin auch den
Masern, von denen es sich aber durch den Mangel aller Begleit-
symptome unterscheidet, vorausgesetzt, dass bei dem eigentüm-
lichen Polymorphismus des Erythema infectiosum nicht auch
andere Exanthemformen gleichzeitig am Körper zu beobachten
sind, wodurch die Differentialdiagnose mit Masern von selbst
gegeben ist. Andererseits kann das Erythema infectiosum
Scharlachform annehmen; Tschamer, Sticker und Schmidt
halten auch seine Verwechslung mit Scharlach für möglich.
Nach Koplik (29) können gewisse Formen des multiplen
Erythems nur von unerfahrenen Beobachtern mit Röteln ver-
wechselt werden. Dagegen hält er eine Verwechslung einiger
Arznei- Erytheme mit Röteln für begreiflich, welch letzteren jedoch
eine halbmondförmige Anordnung der Papeln eigentümlich ist.
Wie aus einer Schlussbemerkung des Artikels Kopliks hervor-
geht, war ihm der S c hm idtsche Aufsatz nicht bekannt. Ob er
den von Sticker gekannt hat, lässt sich nicht feststellen. Wir
dürfen daher vorderhand auf die Ansicht Kopliks nicht allzu-
grosses Gewicht legen.
Pospischil (30), um von anderen Autoren (Feilchen-
feld, Heimann, Flachte etc.), welche sich mit dem Erythema
infectiosum nach Schmidt befasst haben, nicht zu sprechen, be-
schäftigt sich in zwei Aufsätzen mit dem Erythema infectiosum
und stellt unter anderen zwei Formen desselben auf: das Mor-
56*
862 G a 1 a 1 1 i , Zur Charakteristik der akuten nicht pastalösen
billoid und das Skarlatinoid. Er betont hiDStchtllch des
Exanthems die völlige Ähnlichkeit des Morbilloid mit Morbillen,
während die Ähnlichkeit des Skarlatinoid mit der Skarlatina
nicht so ausgeprägt ist.
Nachdem ich über das Erythema infectiosum persönlich
keine Erfahrungen besitze, da ich es in Wien nicht zu beobachten
Gelegenheit hatte, so kann ich auch nicht näher darauf eingehen.
Erwähnen muss ich, dass sich Escherich eingehender damit
befasst hat und dass die nähere Charakteristik dieses Exanthems,
welches er sowohl in Graz als in Wien beobachtet hat, haupt-
sächlich von ihm stammt.
Ausser dem schon erwähnten Chinin können auch noch
andere Arzneipräparate fieberlose, masernähnliche Exantheme er-
zeugen. Bekannt ist in dieser Beziehung das Antipyrin-Exanthem.
Einen Fall eines durch Terpentinbehandlung erzeugten, den Masern
sehr ähnlichen Exanthems erwähnt Jurgensen.
Manche Erytheme ähneln dem Scharlach nicht bloss in der
Form des Ausschlages. Schon vor vielen Jahren wies Hensch (31)
darauf hin, dass die Diagnose auf Scharlach sich öfters am
zweiten oder dritten Tage als irrtumlich herausstellt, da nur ein
unter Fieber aufgetretenes scharlachähnliches Erythem vorliegt.
Einschlägige Beobachtungen sind gerade in neuester Zeit be-
schrieben ^worden. So beschrieb Trammer (32) unter dem
Skarlatinois eine mit Fieber und Angina auftretende, im Gesichte
beginnende Scharlachröte. Doch kann bei dieser Erkrankung
das Scharlach -Erythem auch durch ein anderes Erythem ver-
treten sein.
Neuerdings beschäftigte sich J. Kramsztik (33) mit einer
dem Scharlach ähnlichen, unter Fiebererscheinungen auftretenden
Erythemform, deren Ähnlichkeit mit Scharlach sich auch auf die
Abschuppung bezieht, das Erythema scarlatiniforme desqua-
mativum recidivans. Diese Erythemform zeigt eine Neigung zu
Rezidiven und Kramsztik ist der Überzeugung, dass mancher
Fall von Scharlachrezidiv diesem Erythem zuzuzählen sei.
Das in Rede stehende Erythem wurde einmal von
Amitrano (84) im Ablaufe des Typhus beobachtet und beruht
nach ihm wahrscheinlich auf einer nachträglichen Infektion mit
Colibazillen. Nach Filatow kann mit Scharlach Wilsons
Dermatitis exfoliativa, die F^rr^ols Erytheme desqua-
matif r^cidivant, bezw. dem Erythema desquamativum recidivans
von Kramsztik entspricht, verwechselt werden; da der Ausschlag
Exantheme und ihrer Mischformen. ä63
an und für sich keine besonderen Unterschiede vom Scharlach-
exantheme darbietet, entscheiden über die Diagnose nur die
anderen Symptome. Auch F i s c h I meint, dass das Erythems
desquamativum von leichtem Scharlach oder den Röteln nur durch
die folgende Ansteckung zu unterscheiden ist.
Nach Stooss (35) kommen Roseola - Erkrankungen vor,
welche Ähnlichkeit mit Röteln haben. Ein Dentitionsreiz oder
ein toxischer Einfluss vom Darme aus kann solche Roseolen er-
zeugen. Guida (36) hat ebenfalls erythematöse, urticariaähnliche,
Scharlach- und masern ähnliche Exantheme infolge von Fleisch-
genuss bei Kindern gesehen, insbesondere, wenn diese rhachitisch
und kränklich waren.
Erytheme können auch anderen akuten nicht pustulösen,
kontagiösen Exanthemen gleichen. So beobachtete Fischl ein
teilweise dem Erysipel ähnliches Erythem im Gesichte. Ähnliches
sah ich bei einem Mädchen, das angeblich seit drei Tagen an
abendlichem Fieber litt. Ich fand über dem Nasenrücken ein
rotlaufähnliches Erythem. Ritter (37) gedenkt ebenfalls eines
epidemieartig bei Kindern im Alter von 8 — 26 Tagen auftretenden
rotlaufähnlichen Erythems, das ohne Temperatursteigerung an der
unteren Gesichtshälfte begann und bald auch den Rumpf und die
Extremitäten ergriff.
Die Bemühungen, das Kopliksche Symptom als nur für
die Masern charakteristisch hinzustellen, eine Ansicht, der sich
nur Widowitz (88) nicht vollständig anschliesst, deuten am
besten an, dass die Abgrenzung selbst unkomplizierter Röteln
gegen Masern nicht immer ganz leicht ist. Die Röteln wieder
lassen — wie schon erwähnt — an Ähnlichkeit mit anderen
Roseolen nichts zu wünschen übrig. Solche Ausschläge, wie sie
als Begleiter verschiedener fieberhafter oder fieberloser Krank-
heiten besonders bei kleinen Kindern auftreten, z. B. während
des Verlaufes von Katarrhen oder Entzündungen der Respirations-
organe (siehe darüber noch später) bei unbestimmtem, sogenannten
rheumatischen oder gastrischen Fieber unterscheiden sich nach
Filatow nur durch das selbständige, vom Hautausschlage unab-
hängige Fieber.
Ferner will ich kurz erwähnen, was ebenfalls Filatow be-
hauptet, dass man besonders häufig bei kleinen Kindern Schweiss-
ausschläge bald in Form einer Scharlachröte, bald in Form eines
fleckigen, masern ahn liehen Erythems antreffen kann, wie ja solche
von den meisten Ärzten in ihrer Praxis beobachtet werden.
864 Galatti, Znr Charakteristik der akaten nicht pastulösen
Wir kommen nan zu den masern- and scharlachähnlichen
Exanthemen mit gleichzeitigem Auftreten mehr oder weniger
heftiger Begleitsymptome.
Ich erwähne einige Beispiele aas meiner Beobachtung :
Am 3. Mai 1900 erkrankte ein Kind mit den Symptomen von Apathie,
Somnolenz und hohem Fieber. Unter Anhalten der hohen Temperatur zeigte
sich am nächsten Tage im Gesichte, am zweitn&chsten Tage bei einer Tempe-
ratur von nur mehr 88,2 am ganzen Körper ein in Form und Farbe maaem-
ähnlioher Ausschlag. Ich stellte trotzdem nicht die Diagnose anf Masern,
nicht bloss wegen Mangels der katarrhalischen Symptome, sondern weil mir
bekannt war, dass das Kind an hereditärer Lues gelitten. Tatsächlich handelte
es sich nm ein Syphilid. Diesbezüglich erwähne ich, dass auch J&rgensen
der Ansicht ist, dass die Roseola syphilitica unter allen Krankheiten dem
Masernezantheme am ähnlichsten ist, namentlich bei prodromalem Fieber.
Es seien in Kurze noch die 2 folgenden Krankengeschichten
angeführt:
Mitte Dezember 1902 erkrankte ein 4 jähr. Knabe unter leichten Fieber-
erscheinungen an einem nur am Stamme sichtbaren scharlachähnlichen Aus-
schlage von kurzer Daner. Nach einigen Tagen war ein Lungenkatarrh za
konstatieren. Snde Dezember erkrankte die ältere 7 jährige Schwester ohne
Fieber bei bestem Wohlbefinden ebenfalls an einem 4 Tage anhaltenden
scharlachähnlichen Ausschlage. Am 7. Januar 1908 stellte sich bei dem
4 jährigen Vetter dieser Kinder unter geringem Fieber ebenfalls ein scharlach-
ähnlicher Ausschlag von kurzer Daner ein. Folgeerscheinungen, ausser dem
genannten Lungenkatarrh bei dem ersten Kinde, wurden bei keinem der
8 Kinder beobachtet. Die fast gesetzmässige Aufeinanderfolge der 8 Sr-
kranknngen lässt an eine skarlatinöse Infektion denken; da aber bei allen
8 Kindern die sonstigen der Scarlatina eigenen Symptome mangelten nnd das
erstgenannte Kind eine Bronchitis hatte, glaubte ich, dass es sich vielleicht
um eine Influenza mit scharlachähnlichem Aasschlage gehandelt hat.
In einem anderen Falle war die Differentialdiagnose mit
Scharlach noch viel schwerer, weil gleichzeitig Angina vorhanden
war. Der Fall lautet:
Ein 8 jähr. Knabe bekam ohne Fieber (?) eine Angina. Als ick ihn
am nächsten Tage sah, konnte ich bei normaler Temperatur ausser der Angina
ein soharlachähnliches Exanthem an der Brust konstatieren, das am nächsten
Tage schon geschwunden war. 10 Tage vorher war der 5 jährige Bruder mit
einer starken Angina follicularis anter Fiebererscheinungen erkrankt Beide
Male keine Folgeerscheinungen.
Während ich dies niederschreibe, kam folgender Fall za
meiner Beobachtang:
Ein 18 jähr. Knabe, der in einem Institute vor einigen Jahren Scharlach
durchgemacht hatte, erkrankte unter leichten Fiebererscheinungen und Hals-
schmerzen. Die Untersuchung ergab eine kaum nennenswerte Halsentzündung,
Exantheme und ihrer Mischformen. 865^
belegte Zunge, Temperatur 88,0 and am ganzen Stamme ein genaa wie Scharlach
aassehendes Exanthem, welches 2 Tage, and zwar bei einer Temperatur von
36,8 — 37* anhielt. Die Ursache dieses Aasschlages ist mir nicht klar ge-
worden, doch kann ich kaum annehmen, dass es sich um eine neuerliche
Scharlacherkrankang gehandelt hat.
Ich muss bemerken, dass von einigen Ärzten eine fieber-
hafte, von Ausschlag begleitete Angina anter Scharlach subsummiert
wird; ob mit Recht, wird erst die Zukunft lehren, wenn die Ätio-
logie des Scharlachs festgestellt sein wird. Was mich betrifft,
so bin ich der auch schon von anderer Seite ausgesprochenen
Meinung, dass mit dem Namen Scharlach mehrere ätiologisch
auseinader zu haltende Krankheiten belegt werden, die in Zwischen-
räumen dasselbe Individuum befallen können. Auf diese Weise
wird ein Beweismittel für diejenigen abgegeben, welche an der
durch Überstehung einer Infektionskrankheit erworbenen Immunität
rütteln wollen.- Ahnliches wie beim Scharlach sehen wir auch
beim Typhus, dessen Krankheitsbild nach Schottmüller auch
durch einen dem Typhusbazillus ähnlichen, aber mit ihm nicht
identischen Bazillus erzeugt wird, was hernach durch Kurtb,
Kayser, Feyfers u. A. bestätigt wurde.
Eine weitere akut fieberhafte Erkrankung, bei welcher
scharlachähnliche Exantheme vorkommen können, ist der Ab-
dominaltyphus, welcher ja für gewöhnlich nur spärliche Roseola-
Flecken aufweisst. Russell (39) fand in zwei Fällen von Abdominal-
typhus und einem Falle von Flecktyphus einen Hautausschlag von
vollständiger Scharlachähnlichkeit; nach der Fieberkurve liess
sich aber Scharlach ausschli essen. Galliard (40) fand hinwiederum
bei einem Typhusfalle ein masemähnliches Exanthem.
Wie schwer oft die Differentialdiagnose dieser Begleitaus-
schläge sein kann, gesteht selbst ein so genauer Kenner der
Infektionskrankheiten des Kindesalters, wie es Filatow ist, ein.
Ein Mädchen mit Fieber, trockenem Husten, Schnupfen
und einem makulös-papulösen Exanthem wurde ihm vorgestellt.
Zu jeder anderen Zeit hätte er den Ausschlag ohne weiteres für
Masern erklärt. Da aber Mutter und jüngste Schwester des
Kindes an Influenza erkrankt waren, der Ausschlag das Gesicht
und die Schleimhaut des Gaumens verschonte, überdies am
Rumpfe nur spärlich war, zögerte Filatow mit der Diagnose bis
zum nächsten Tage, wo er sie dann auf Influenza-Exanthem
stellte. Gerade dieser Fall zeigt deutlich, wie behutsam man bei
Abortivformen mit der Diagnose sein soll.
866 G a 1 a 1 1 i , Zur Charakteristik der akaten nicht pustalösen
Huttenbrenner (41) erwähnt einer über den ganzen
Körper verbreiteten difiPusen Röte bei einer Spitzen-Pneumonie
■einen Tag, bevor die Infiltration nachweisbar war. Nur der
negative Halsbefund schätzte ihn vor einer Fehldiagnose.
Derselbe Autor erwähnt auch das Vorkommen fluchtiger,
leicht zar Scharlachdiagnose verleitender Erytheme bei Ver-
brennungen und nach Operationen. In einem von ihm ange-
führten Falle trat das Erythem gleichzeitig mit hohem Keaktions-
fieber bei der an und für sich unbedeutenden Verbrennung auf.
Diese Fälle leiten zu den Fällen des Wundscharlachs über.
Viele, als chirurgischer Scharlach aufgeführte Beobachtungen
sind nach Leiner (42) nichts anderes als einfache Erytheme, die
auf rein vasomotorischen Störungen beruhen, zuweilen Erytheme
nach Karbol- und Sublimat-Intoxikationen, und ist ihre Differential-
diagnose zwischen Wundscharlach und Scharlach sehr schwer.
Scharlach- und masemähnliche Erytheme kommen aber
nicht bloss für sich allein vor, nicht bloss als Begleitsymptom
anderer Krankheiten, die nicht in der Haut sich lokalisieren,
sondern auch in Begleitung akuter Exantheme, wovon ich schon
oben ein Beispiel bei Masern gegeben habe.
An dieser Stelle will ich einige Angaben aus den Hand-
und Lehrbüchern zusammenstellen.
Thomas (43) sagt bei Masern: „Erytheme finden sich teils
im Anfange der Krankheit beim Initialfieber, teils auf der Höhe
der Eruption, besonders bei starken Exanthemen. Meyer-
Hoffmeister beobachtete ein scharlachartiges Erythem, sogar
in der Rekonvaleszenz, Hauner ein dem akuten Liehen ähnliches
Erythem. Sie können mehr oder weniger intensiv und über den
ganzen Körper verbreitet oder nur auf eine einzelne Stelle be-
schränkt sein, wie z. B. Gerhardt eines Prodromal- Exanthems
auf dem Schenkeldreiecke gedenkt, welches dem allgemeinen
Masernausbruche voranging.
Biedert-Fischl (Lehrbuch der Kinderkrankheiten, 12.
Auflage) geben an, dass vor Varicellen masern- und scharlach-
ähnliche Rash beobachtet wurden.
Monti (Kinderheilkunde in Einzeldarstellungen) bemerkt,
dass sich Roseola variolosa bei Blattern über grössere oder
^Lleinere Hautpartien ausbreite. Diese Flecke haben viel Ähnlich-
keit mit Masernflecken. Sie befallen vorwiegend den Rumpf und
die Streckseiten der Extremitäten und dauern 12 — 36 Stunden.
Exaothemo und ihrer Mischformen. 867
Eine ausführliche Beschreibaug der sehr polymorphen Roseola
variolosa finden wir in den Lehrbüchern der Hautkrankheiten,
z. B. bei Kaposi. Ich kann hier nur betonen, dass sie in vielen
Fällen vollständig das Aussehen jener auch bei Masern vor-
kommenden scharlachähnlichen Erytheme hatten.
Einen Überblick über einen Teil dieser Frage bietet
Pascoletti (44) in seiner Arbeit: Scarlatinaähnliche Exantheme
bei Infektionskrankheiten.
Ich neige nun zur Ansicht, dass es sich auch des öfteren
bei Masern -Scharlach um scharlachähnliche Erytheme bei Masern
gehandelt haben dürfte. Dies würde, wenn wir es mit Erythemen
idiopathischen Ursprunges zu tun hätten, nichts an der Diagnose
einer Doppelinfektion ändern; nur würde die Stelle des Scharlachs
durch Erythem vertreten sein. Ich halte es aber durchaus nicht
für ausgeschlossen, dass Erytheme zum Bilde einer Maserninfektion
gehören können, ohne dass eine Mischinfektion vorliegt. In
dieser Annahme werde ich durch das relativ häufige Auftreten
des Blattern-Erythems bestärkt. Die von demselben befallenen
Hautpartien sind zumeist Sitz spärlicher Blatternpusteln. Die
Verfolgung dieses Gedankens würde mich jedoch zu weit führen,
weshalb ich abbrechen will.
Kurz berühren möchte ich noch das Symptom der lamellösen
Abschuppung, welches des öfteren als Beweis dafür angeführt
wird, dass das vorhergegangene Exanthem nur Scharlach gewesen
sein könnte. Lamellöse Abschuppungen kommen aber auch bei
Erythemen vor. Hat ja doch sogar ein Erythem einen Teil
seiner Bezeichnung als Erythema scarlatiniforme desquamativum
recidivans von der Abschnppung her. Wir finden femer bei manchen
Krankheiten, ohne dass vorher ein Erythem beobachtet wurde,
eine lamellöse Abschuppung; so z, B. beschreibt Falkiner (45)
scharlachähnliche Abschuppungen bei Typhus. Die scharlach-
artige Abschuppung ist meiner Meinung nach nur ein Beweis
für die gleiche Art, aber nicht für die gleiche Ätiologie der Haut-
afPektion.
Wenn ich die bisherigen Ausführungen in ein kurzes
Hesume zusammenfasse, so lautet es dahin, dass die Entscheidung
über die Natur eines Exanthems in sehr vielen Fällen
nur durch die — bis jetzt unbekannte — Ätiologie ge-
geben sein kann; dass die ätiologisch verschieden-
'artigsten Exantheme gleiches Aussehen haben können;
dass vorderhand über die Natur eines Exanthems nur
868 Galatti, Zur Charakteristik der akuten nicht postniösen
das Erankheitsbild entscheidet; dass schliesslich Doppel-
infektionen nur bei mehr oder weniger voll ausgeprägtem,
jeder der beiden Infektionen eigentumlichen Erankheits-
bilde diagnostiziert werden dürfen.
Literatur.
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32. Traummer, Wien. med. Wochenschr. 1901.
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insbesondere von Scharlach. Jahrb. f. Einderheilk. N. F. 10. Bd. .
42. Lein er. Über Wundscharlach bei Verbrennungen. Jahrb. f. Kinderheil-
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48. Thomas, in Ziemssens Lehrbuch der speziellen Pathol. u. Ther. 2. Bd.
44. Pascoletti, Gazzetta degli Ospedali e delle Cliniche. 1902.
45. Falkiner, A clinical note on desquamation in enteric fewer. Dnbl. Joum.
of. med. Sciences. 1897.
XXIX.
Aus der K. K. pädistrisehen Klinik in Wien. (Vorstand Prof. Esclierich.)
Morphologische und biologische Untersuchungen
über die Darmbakterien des Säuglings.
Von
Dr. ERNST MORO,
g«>w. AMiitenten der Klinik.
(Schlags.)
II.
Die VertelluDgr und die Schicksale der normalen Bakterien
Im Saugrlingrsdarm.
Der Vergleich zwischen der Einheitlichkeit des bakterio-
skopischen Stahlbildes und der Yielgestaltigkeit der kulturellen
Ergebnisse zwingt zu der Annahme, dass die Begriffe der Stuhl-
bakterien und der Darmbakterien streng auseinander gehalten
werden müssen, und dass es völlig unstatthaft ist, aus dem
mikroskopischen Stuhlbilde schlechthin einen Schluss auf die
Bakterienflora höher gelegener Darmabschnitte zu ziehen. Allein
auch der umgekehrte Weg wäre fehlerhaft und irreführend. Es
ist sehr erwünscht und in vielen Fällen notwendig, die mikro-
skopische mit der kulturellen Prüfung gleichen Schritt halten zu
lassen. Dabei sei nochmals betont, dass die Ergebnisse der
Kultur nur dann einen Wert haben, wenn dazu verschiedene
Nährböden in Anwendung gebracht und den Bakterien ver-
schiedene Yegetationsbedingungen geboten werden, wobei- die
anaSrobe Züchtung in erster Linie berücksichtigt werden muss.
Die Berechtigung dieser Forderung kann sehr klar an der
Hand des vorliegenden Beispieles erörtert werden: Berücksichtigen
wir das mikroskopische Bild eines normalen Frauenmilchstahles
allein ohne die Kultur, so müssen wir sagen, dass seine Flora
nur von einer einzigen oder höchstens von zwei Arten zusammen-
gesetzt werde. Züchten wir daraus unter verschiedenen Be-
dingungen, so erhalten wir daraus eine relativ grosse Menge von
Bakterienarten, die im bakterioskopischen Präparate gamicht zu
sehen waren. Wollten wir umgekehrt das Kulturergebnis allein
verwerten, so würde dasselbe die durch die mikroskopische
Untersuchung gewonnene Vorstellung von der Einheitlichkeit der
physiologischen Stuhlflora wesentlich verwischen; der Vergleich
beider Resultate hingegen veranlasst die richtige Schlussfolgerung,
die darin besteht, dass die Flora des normalen Frauenmilchstuhles
zum allergrössten Teile nur von einer Art gebildet werde, dass
aber an ihrer Zusammensetzung zum geringen Teile auch noch
andere Arten partizipieren, die wegen ihrer unbedeutenden
Menge zwar nicht durch den mikroskopischen, wohl aber durch
Moro, Morphologische und biologische IlDtersuchuDgen etc. 87 L
den viel empfindlicheren kulturellen Nachweis aufgedeckt werden
können.
Ich habe trotz der zahlreichen Einzel Untersuchungen unter
normalen Verhältnissen nicht ein einziges Mal im mikroskopischen
Präparate die durch ihre Sporenbildung charakteristischen Butter-
säurebazillen gesehen, und jedesmal in der anaSroben Milch-
kultur nach wenigen Stunden stürmische Gasentwicklung und
das Vorhandensein zahlloser junger Wuchsformen beobachtet.
Nicht viel anders ergeht es einem mit dem B. coli
commune, und es wäre sehr verfehlt, auf Grund dieses Ver-
haltens seine Bedeutung als obligaten Darmbazillus unterschätzen
zu wollen.
Alle diese Beobachtungen drängen zu der Annahme hin,
dass die Masse der Kotbakterien beim Brustkind als solche einen
spezifischen Charakter tragen und dass die zahlreichen, mittelst
der Kultur nachgewiesenen Arten aus höher gelegenen Darm-
partien stammen, welche unter normalen Verhältnissen nur zu-
fallig und vereinzelt im Stuhl erscheinen. Mit anderen Worten:
Das bakterioskopische Bild des normalen Frauenmilchstuhles zeigt
uns nur die Kotbakterien an, während uns die Kultur auch
über die Darmbakterien einigen Aufschluss zu geben vermag.
Wie sind die Bakterien auf die verschiedenen Abschnitte
des Säuglingsdarmes verteilt? Das ist die nächste Frage, die
wir an der Hand der neuen Gesichtspunkte zu beantworten ver-
suchen werden.
Über diesen Gegenstand liegen nur zwei Angaben vor; die
erste, ausführliche von Escheiich und eine zweite ans Escherichs
Klinik von A. Schmidt.
Mit der Verteilung der Bakterien im Darme erwachsener
Menschen und der Tiere beschäftigten sich Nencki, de Giaxa,
Gilbert und Doroinici, Gessner, Mackfaiden, Nencki und
Lieber, Jakowski, Ciechomsky und Jakowski, Rahner,
Kohlbrugge.
Escherich untersuchte die verschiedenen Abschnitte des
Säuglingsdarmes sowohl mikroskopisch als auch kulturell. Die
Präparate wurden womöglich dem im Darmlumen enthaltenen
Speisebrei entnommen und mit Anilingentianalösung gefärbt, die
Kulturen vorwiegend auf Gelatineplatten angelegt. Unter den
Objekten befanden sich unter anderem zwei Leichen von Brust-
kindern, wovon der Darminhalt der einen sowohl mikroskopisch
als auch kulturell, jener der anderen nur mikroskopisch unter-
sucht wurde.
Ich lasse eine tabellarische Zusammenstellung der Unter-
suchungsresultate Escherichs folgen:
872
lioro, Morphologische and biologische üntersochongen
Darm-
abschnitt
1. Brastkind, Alter: 5Mon. |
(Empyem) {
Mikroskopische Unter-
suchung
Kultur
2. Brastkind, Alter: 5 Moo.
(Pneumooia lobolaris)
Mikroskopische Unter
sachang
Magen
Duo-
denum
DiioQ-
darm
Goecum
Rectum
Vorwiegend grosse, yon
Hof umgebene Tetraden-
kokken; in spärlicher
Zahl lange Bazillen
Sp&riiche schlan ke, l&ngere
und kürzere eingeschnürte
St&bchen, die erw&hnten
Kapselkokken und einige
sprosspilzähnliche Formen
Es überwiegen die langen,
schlanken Formen, spär-
lich eingeschnürte Stäb-
chen, Kapsel- und Ketten-
kokken
Dieselben Formen, sowie
lange, zum Teil ge-
schwungene Fäden;
Kokken in geringer Zahl
Die schlanken Milchkot-
bazillen Torherrschend ;
nur einzelne läng. Fäden,
Kapselkokken und Ketten
Vorwieg. B. coli, in
gering. Zahl B. lactis,
einige verflüssigende
Kapselhefen, mehr,
kleine runde Kolonien
^on Tetraden kokken
Vorwiegend B. lactis
aerogenes und einige
gelbe Staphylo-
kokken
Nur spärliche Bakterien, OTsle
Formen, diplokokkenähnliche
Gebilde, eingeschnürte Stäbeheo,
kurze Bazillen
Spärliche Bakterien derselb. Art,
die Stab eben formen etwas reickl.
In den tieferen Partien sind die
Stäbchen formen noch reichlich.;
längere schlanke Kurzstäbcben
überwiegen weit über die dicken
kürzeren Formen mit abgerundet.
Ecken und Einschnürungen
Fast ausschliesslich
B.coli commune, nur
ganz wenige yer-
flüssigende Kolonien
(gelbe, verflüssigende
Kokken n. Stäbchen)
Die schlanken Kurzstäbchen
haben sich so sehr vermehrt, dass
die anderen Formen ganz zurück-
treten; zugleich erscheinen sie
länger und schlanker als oben;
das Bild entspricht vollkommen
dem eines normalen Milchkotes.
W^ährend im 1. Falle ein akuter Magenkatarrh^) die starke
Entwicklung von Tetradenkokken (zum Teil mit Kapsel versehen)
und Fäden im Magen, deren Formen durch den ganzen Darmkanal
hindurch aufzufinden waren, zur Folge hatte, ist der 2. Fall voll-
kommen rein und daher besonders wertvoll.
1) Auch der Darm dürfte daran beteiligt gewesen sein, da das Auf-
treten von Kettenkokken im Frauenmilchstuhl für pathologische Verhält-
nisse spricht.
über die Darmbakterien des Säuglings. 873
Aus den Ausfuhr uDgen Escherichs geht hervor, dass die
Zahl der Darmhakterien von ohen nach unten stetig zunimmt und
dass die im Milchkot beschriebenen schlanken Eurzstäbchen bereits
im Coecum weit überwiegen. ,,Es scheint an dieser ersten Station
der Speisen im Darmkanal eine geradezu sprungweise Vermehrung
der Bakterienvegetation im Vergleich zum Dünndarm einzutreten.
Im Verlaufe des Colon kommt es dann noch zu weiterer Ver-
mehrung, die jedoch nicht mehr so deutlich sich verfolgen lässt,
namentlich aber zu einem ausgesprochenen Überwiegen der langen
Formen. Die einzelnen Stäbchen strecken sich und nehmen die
Form der im Stuhlpräparate beschriebenen schlanken Bazillen an;
zugleich nimmt die Zahl derselben so sehr zu, dass sie alle anderen,
namentlich die im oberen Teil des Dünndarmes in grosser Menge
vorhandenen dickeren, eingeschnürten Stäbchen fast vollständig
verdrängt."
Was die Arten der Bakterien betriflft, so können wir auf
Grund der mikroskopischen Befunde mit grosser Wahrscheinlich-
keit schliessen, dass bereits im Duodenum eine beschränkte Vege-
tation der Coligruppe (B. coli commune und B. lactis aßro-
genes) einsetzte, um sich im Verlaufe des oberen DünndarmanteUes
massig zu vermehren. Im mittleren und unteren Dünndarm beob-
achten wir bereits das Auftreten längerer schlanker Stäbchen, die
sich besonders im Dickdarm enorm vermehren und mit jenen des
Stuhlbildes identisch sein dürften. Auf der aäroben Gelatineplatte
kamen neben fakultativen Darmbewohuern, wie zu erwarten, nur
B. coli commune und B. lactis aerogenes zur Entwicklung.
A. Schmidt prüfte die Mikroorganismen der einzelnen Darm-
abschnitte von Säuglingen nach der Weigertschen Fibrinfärb-
methode, und es ergab sich, dass erst im Colon ein Überwiegen
der grampositiven über die gramnegativen Arten eintrat. In den
oberen Darmpartien sah er mehr gramnegative kurze Formen und
erst im Beginn des Colon ascendens plötzlich eine grosse Menge
jener Stäbchen auftreten, welche die Hauptmasse der normalen
Stäbchen ausmachen. Die grampositiven Formen begannen bereits
im mittleren Teile des Colon das Feld zu beherrschen und waren
dann im Rectum ausschliesslich vorhanden.
Damit war ein weiterer Beweis dafür erbracht, dass die
Flora der unteren Darmabschnitte von jener der oberen Partien
grundverschieden ist.
Schlichter, der durch längere Zeit den Darminhalt bei
einem Säugling mit Atresia ani vestibul. zu untersuchen Gelegen-
0/4 Moro, Morphologische and biologische Untersach angen
heit hatte, kommt zu dem Schiasse, dass sich auch im Dickdarm
neben dem B. coli, B. lactis agrogenes vorfindet.
Es gehört nicht in den Rahmen der vorliegenden Arbeit, an
dieser Stelle auf die Untersuchungsergebnisse beim erwachsenen
Menschen und beim Yersuchstier näher einzugehen; übrigens sind
diese Resultate für den Säugling, insbesondere für den natürlich
ernährten Säugling kaum verwertbar, weil wir es hier sicherlich
mit ganz spezifischen Yegetationsverhältnissen zu tun haben.
Ich lasse nun meine eigenen Untersuchungen folgen, die sich
auf den Darminhalt von 4 Brustkinderleichen beziehen. Herrn
Hofrat Weichsel bäum und dem Herrn Primarius Dr. Riether
danke ich für die liebenswürdige Überlassung des Leichenmateriales.
Für eine wertvolle Verarbeitung des Materiales kommen ins-
besondere zwei Faktoren in Betracht. Erstens der Mangel einer
ernstlicheren Magen-Darmerkrankung intra vitam und zweitens eine
dem Exitus möglichst bald folgende Leicheneröffnung.
Während der ersten Forderung in allen 4 Fällen entsprochen
werden konnte, erscheinen, was den ersten Punkt betrifft, die
ersten 2 Fälle für die Beurteilung weniger geeignet als die Fälle HI
und IV, bei welchen der Darminhalt schon wenige Stunden p. m.
untersucht werden konnte. Der Vorwurf, dass sich in den ersten
2 Fällen eine postmortale Vermehrung der Darmkeime eingestellt
haben könnte, wodurch das physiologische Bild verunstaltet worden
wäre, lässt sich nicht von der Hand weisen. Immerhin verdienen
auch diese beiden Fälle eine volle Berücksichtigung, da sie uns
die Verhältnisse der Coecum- und Colonflora in ausserordentlich
deutlicher Weise vor Augen führen.
Die Untersuchung des Darminhaltes beschränkte sich fast
lediglich auf die bakterioskopische Prüfung(Färbung nachWeigert-
Escherisch). Nur in vereinzelten Fällen wurden kulturelle Stich-
proben auf Bakterien der Coligruppe vorgenommen. Zur Unter-
suchung wurde, soweit vorhanden, nur der dem Darmlumen
entnommene Speisebrei herangezogen.
Siehe die Tabelle S. 876 ff.
Bevor ich auf die Besprechung der Bakterienverteilung im
Säuglingsdarm eingehe, will ich es auf Grund meiner eigenen
Erfahrung versuchen, die gesehenen und beschriebenen Bakterien-
formen, soweit dies überhaupt möglich, mit den mir bekannten
Bakterienarten zu identifizieren. Diese Bestimmung gelingt in
diesem Falle ziemli !h leicht und sicher, weil alle Formen sehr
über die Darmbakterieo des Säuglings. 875
charakteristisch sind und der Artenreichtum ein überraschend
geringer ist.
Von den grampositiven Bazillen beobachteten wir in weit-
aus überwiegender Menge schlanke, meist zugespitzte oder ver-
zweigte und partiell farbbare Formen, die entweder parallel ge-
stellt oder in Gruppen angeordnet sind; diese Formen sind
sicherlich identisch mit dem B. bifidus communis.
Die grampositiven langen geschwungenen Fäden und Eokko-
bazillenketten gehören wahrscheinlich dem B. acidophilus an. (?)
Auf gewisse Darmabschnitte beschränkt, bemerkten wir das
Auftreten unversporter und versporter Köpfchen bakterien, die
bestimmt mit den für das Mekonium charakteristischen Köpfchen-
bakterien Escherichs identisch sind, während die plumpen,
dicken, zylindrischen Stäbchen, zumeistmit mittelständigen Sporen,
mit grosser Wahrscheinlichkeit in den Bereich der Buttersäuro-
bazillen einzubeziehen sind.
Die gramnegativen Bakterien, von denen wir nur eine Type
beobachteten, nämlich ovale, meist zu zwei angereihte Kurz-
stäbchen, sind Vertreter der CoHgruppe. (B. coli commune
und B. lactis aSrogenes). Die Kokkenformen beanspruchen
in Anbetracht ihrer beschränkten Anwesenheit kein besonderes
Interesse.
Während im Inhalt des Magens und des Duodenums, ob
derselbe nun aus Schleim oder aus Nahrungsresten bestand, immer
mehrere Bakterienarten vorgefunden wurden, muss es in erster
Linie wundernehmen, dass der Dünndarm bis auf seinen
untersten Abschnitt nahezu keimfrei war. Nur in den untersten
Dünndarmabschnitten waren in allen Fällen wiederum Bakterii^n
sichtbar, bei Fall I in beträchtlicher Menge.
Erst in der Gegend der Einmündung des Ileums in das
Coecum setzte in allen Fällen eine starke Vermehrung der Darm-
bakterien ein.
Ein ganz anderes Bild bot das Coecum dar; denn die Bak-
terienmenge begann hier in allen Fällen plötzlich eine enorme zu
werden. Das gleiche galt für den Processus vermiformis.
Sie nahm im ganzen Colon noch zu und stand in diesen Darm-
abschnitten jener des normalen Frauenmilchstuhles kaum mehr nach.
Dieser krasse Unterschied zwischen den Vegetations Ver-
hältnissen im Darme vor und nach dem Coecum ist ausser-
ordentlich auffallend und geradezu typisch. Allein wir dürfen
Jahrbuch für Kinderheilkunde. N. F. LXI. e. 57
876
Koro, Morphologische udcI biologische UotersachongeD
AbschDitt
des Ver-
daaoDgs-
traktes
I. Brustkind.
Alter: 14 Tage.
Diagnose: Atrophie.
Zeitpunkt der Sektion: 14 Stdn. p. m.
Beschaffen-
heit
des Inhalts
Bakterioskopische
Untersuchung
IL Brustkind.
Alter: 6 Tage.
Diagnose: Part, praem.. Debil, vit
Sektion: 14 Stunden p. m.
Beschaffen-
heit
des Inhalts
Bakterioskopische
Untersuchung
Magen
Weisslicher
Schleim
Duo-
denum
Dünn-
darm,
oberer
Abschnitt
Dunnd.,
Mitte
Dann-
darm,
unterer
Abschnitt
Dünn-
darm,
Ende
Coecam
Weisslicher,
schleimig-
zäher Inhalt
Mit Schleim
vermengter,
gelblicher
Speisebrei
do.
do.
Sp&rliche Bakterien. Vor-
wiegend Kokken. Einige
Sarcinen. Ausschliesslich
gram-j-f schlanke Bazillen.
Vereinzelte tjpisch yer-
zweigte Exemplare. Keine
Hefen
Ziemlich reichl. Bakterien
Gram — Formen (ov. Kurz
st&bchen) nahezu rein. Nur
Tereinzelt Kokken und
gram-^ gefleckte Bazillen
Auffallend spärl. Bakterien
(darunt.Yorw.gram — ovale
Kurzst&bchen und nur ver-
einzelt schlecht färbbare
gram-f- Kolbenformen)
Geringe Vermehrung bes
der gram — Kurzstähchen.
Die gram 4- Bazillen
weisen viele junge Wuchs-
formen auf
Schleimig.
Keine
Nahrungs-
bestandteile
Schleimiger
Inhalt
do.
Keine
Nahruugs-
bestandteile
do.
do.
do.
Reichl. Bakt. Gram— Kurz-
stäbch. weitaus im Vorder-
grand. Auftreten dicker gram-f Formen
(einige wenige mit mittelständiger Spore),
mehr grosse, unversporte Köpfchen
bakterien ; einige grosse Tonnenformen
Hauptsäch- Sehr zahlreiche Bakterien,
lieh Schleim Gram + vorherrschend
(gelblich) (junge Wuchsformen und
verzweigte). Ferner viele
grosse und kleine Köpfchenbakterien (zuweilen ver-
spürt). Zahlreiche grosse, plumpe, zylindrische
Bazillen mit mittelständiger Spore. Viele Kokken,
aber auch gram — Stäbchen reichlich
Schleimig.
Wenig
Nahrungs-
reste
Sehr spärliche Bakterien,
darunter hauptsächlich
Kokken (einige Ketten);
vereinzelte Kokkobazillen
formen. Einige Hefen
Sehr spärliche Bakterien,
gram — ovale Korz-
Stäbchen, neben ver-
einzelten Kokken
Äusserst spärl., nur ganz
vereinzelte gram — ovale
Kurzstäbchen, neben
Kokken häufen
Nur ganz vereinzelt
gram — Kurzstäbchen
Wenige Bakterien,
gram — Kurzstäbchen ver-
mehrt. gram-|< Bazillen
stellenweise in Haufen
Reichliche Bakterien,
gram — Kurzstäbchen nnd
gram-|~ Bazillen
(worunter auch viele ver-
zweigte) deutlich vermehrt
Sehr zahlr. Bakterien,
gram-f- Bazillen im
Vordergrunde. Ausserdem
in geringer Zahl Köpfchen-
bakterien, Sporen and
gram — ovale Kurz-
stähchen
über die Darmbakterien des S&aglingB.
877
III. Brastkind.
Alter: 9 Wochen.
Diagnose: Stat. thym.
Sektion: 2 Stunden p. m.
Beschaffen-
heit
des Inhalts
Bakterioskopische
Untersuchung
IV. Brustkind.
Alter: 18 Tage.
Diagnose: Pneumonie.
Sektion: 5 Stunden p. m.
Beschaffen-
heit
des Inhalts
Bakterioskopische
.Untersuchung
Fein
geronnene
Milch, ver-
mengt mit
Magensaft
Weisslich-
gelber,
faden-
ziehender
Schleim
Flüssig-
schleimiger,
gelb gefärbt.
Inhalt
du.
Schleimiger,
gelbgefärbt.,
stark ver-
dünnter
Speisebrei
do.
Gelber
Speisebrei
Bakter. in jedem Gesichtsfeld. Mit Magen-
Gram 4- Formen vorherrschend, saft ver-
gram— ovale Kurzstäbchen in mengte,
verschwindender Zahl. Die flockig ge-
ersteren zumeist in Gruppen, ronnene
daneben einzelne deutlich ver- Milch
zweigte. Einige Kokkobazillen-
ketten und geschwungene Fäden. Mehrere Diplokokken und Sarcinen (auch
Staphylo-Streptokokken). Keine Hefen
Spurliche Bakterien,vor wiegend
Kokken verschiedenster Art.
Unter den wenigen Bazillen fast
ausschliesslich gram +* schlecht
ßLrbbare, gefleckte Stäbchen.
Vereinzelte deutlich verzweigt
Ausserordentlich wenig Bak-
terien (nur mit Mube auffind-
bar). Kokken und vereinzelte,
gram-|- gefleckte Bazillen
Keine Bakterien sichtbar
Keine Bakterien sichtbar
Ausschliesslich vereinzelte
gram — Bakterien (kürzere und
längere Formen)
Massig reichlich Bakterien.
Hauptsächlich Vermehrung der
gram — , die in jedem Gesichts-
feld vorhanden. Gram+ nur
vereinzelt
Sehr zahlreiche Bakterien. Fast
ausschliessl. gram + verzweigte
und unverzweigte Bazillen. In
geringer Zahl gram — ovale
Karzstäbcheo. Vereinzelte un
versporte Köpfchenbakterien u.
eudosporogene, zylindr. Formen
Schleimiger,
gelb gefärbt.
Inhalt.
Nahrungs-
reste ?
Gelblicher,
mit Schleim
vermengter
Speisebrei
do.
Gelblich-
weisser,
schleimiger
Speisebrei
do.
Gelblicher
Speisebrei
Spärl. Bakterien. Vereinzelte
gram— neben Kokken
Äusserst spärliche Bakterien
(darunter bes. gram — , Kokken
und vereinzelt gefleckte Gram-^
Bazillen)
Keine Bakterien sichtbar
Wenig Bakterien. Gram— ovale
Kurzstäbchen rein
Relativ wenig Bakterien. Ver-
mehrung der gram — Stäbchen.
Einige wenige gram + (wo-
runter junge Wuchsformen und
verzweigte Exemplare)
Sehr zahlreiche Bakterien. Fast
ausschliessl. gram+ Bazillen,
darunter viele verzweigte
Formen. Ganz vereinzelt un-
versporte Köpfchen'bakterien u.
Sporen. Gram — Stäbchen nor
äusserst spärlich
57*
878 MorOy Morphologische und biologische üntersachangen
I
. Brustkind. jj II. Brustkind.
Abschnitt
des Ver-
daoQDgs-
Alter: U Tage.
Alter: 6 Tage.
Diagnose: Atrophie.
Diagnose: Part praem^ DebiL vit
Zeitpunkt der Sektion: 14 Stdn. p. m.
Sektion: 14 Stunden p. m.
traktes
Beschaffen-
heit
Bakterioskopische
Beschaffen-
heit
des Inhalts
Bakterioskopische
des Inhalts
Untersuchung
IJntersnchong
Processus
»«
__
_
_
termi-
formis
Colon
Homogener,
Reichlichst Bakterien.
_
ascendens
etwas
gram 4- Bazillen (junge
(Flexura
schleimiger,
Wuchsformen und verzweigte) weitaus vorherrschend. Daneben
hepatica)
gelblicher
auffallend viele Sporen und Köpfcheobakterien. gram — Knrz
Inhalt
Stäbchen noch immer in bedeutender Zahl
Colon
do.
do. Gelblich,
Reichlichst Bakterien.
trans-
mit Schleim
gram-f- Bazillen weitaus
versom
vermengt
überwiegend. Daneben
noch mehrere ovale Kurz*
Stäbchen. Vereinzelte Köpfchen bakterien. Keine Sporen
Colon
-—
—
— 1 _
desceod.
(Fiexnra
linearis)
Flexura
do.
Reichlichst Bakterien.
—
Reichlichst Bakterien.
sigmoidea
gram-f- Bazillen, neben
gram -f- Bazillen fast rein.
Kokken und vereinzelten gram— ovalen
nar vereinzelt Kokken
Kurzstäbchen. Keine Sporen
Rectum
do.
do.
do.
do.
nicht ZQ weit gehen; denn so sehr uns auch dieses Verhalten
des Dünndarmes überraschte, ist doch von einer Keimfreiheit im
strengsten Sinne des Wortes nicht die Rede. Schon die mikro-
skopische Prüfung allein gibt uns darüber Aufschluss, dass (ausser
b. F. III) auch im oberen Anteil des Dünndarms vereinzelte
Keime vorhanden waren, wahrend die untere Dünndarmpartie in
allen Fällen eine, wenn auch spärliche Flora beherbergte, die am
Ende des Dünndarms bereits eine ziemlich reichliche Vermehrung
aufzuweisen schien. Ich kultivierte probeweise aus allen Dünn-
darraabschnitten (F, III) auf Agarstrich und auf Milch (aßrob)
und erhielt überall positive Resultate.
Nicht weniger interessant und merkwürdig ist die Ver-
über die Darmbakterien des Säaglings.
879
III. Brustkind.
Alter: 9 Wochen.
Diagnose: Stat. thym.
Sektion: 2 Standen p. m.
IV. Brustkind,
Alter: 18 Tage.
Diagnose: Pneumonie.
Sektion: 2 Stunden p. m.
Beschaffen-
heit
des Inhalts
Bakteriosk epische
Untersuchung
Beschaffen-
heit
des Inhalts
Bakterioskopische
Untersuchung
Weisslicher
Schleim
Gelber,
homogener
Inhalt
do.
do.
do.
do.
Sehr reichliche Flora. Reines
Bild gram 4- Bazillen (darunter
viele junge Wachsformen und
nur wenig verzweigte)
Reichlichst Bakterien.
gram+ Bazillen rein
do.
do.
do.
do.
Weisslicher
Schleim
Gelber,
homogener
Inhalt
do.
do.
do.
do.
Sehr reichliche Flora. Reines
Bild gram-[- Bazillen (junge
Wuchsformen in Haufen und
Gruppen)
Reichlichst Bakterien.
gram-f- Bazillen rein
do.
do.
do.
do.
teiluDg der einzelnen Bakterienarten auf die verschiedenen Darm-
abschnitte; denn wir sehen schon auf den ersten Blick, dass die
Bakterienarten nicht regellos im Darme zerstreut sind, sondern
dass ihre Verteilung eine typische, ich möchte sagen organi-
sierte ist.
Im Dünndarm finden wir, soweit derselbe keimhaltig, nur
die gramnegativen Formen der ovalen Kurzstäbchen nahezu rein:
B. coli commune und B. lactis aerogenes. Nur ganz ver-
einzelt tauchen, ebenso wie im Magen, versprengte Einzel-
individuen und kleine Gruppen des Bifidus auf.
Im Coecum beginnt wie mit einem Schlage die Vegetation
des Bifidus und die Coligruppe tritt in den Hintergrund.
880
Moro, Morphologische and biologische Untersachangen
Im Colon (transversum und descendens) und im Rectum
beherrscht der Bifidus vollständig das Gesichtsfeld und ist, sowie
im ausgeschiedenen Stuhle, scheinbar in Keinkultur vorhanden.
Während nun, wie wir gesehen
haben, die Vegetation dieser Darmab-
schnitte eine überraschende Einheitlich-
keit aufweist, weicht die Flora des
Coecums und der ihm nächstgelegenen
Darmpartien von diesem Verhalten einiger-
massen ab. Sie zeigen ein mehr oder
minder polymorphes Bild, das besonders
in Fall I und II deutlich zum Ausdrucke
gelangte. Der Inhalt dieser Darmab-
schnitte beherbergte ausser den bereits
genannten Bakterienarten, welche aller-
dings auch hier die Bildfläche beherrschen,
auch jene zum Teil in Versporung be-
griffenen Bakterienformen, welche wir mit
den Buttersäurebazillen und mit den
Köpfchenbakterien identifizierten.
Die normale Darmflora des natür-
lich ernährten Säuglings ist demnach
sehr artenarm, und es kann uns nach all
dem nicht mehr wundernehmen, dass die
physiologische Stuhlflora gerade durch
ihr einheitliches Bild charakterisiei*t ist.
Womit erklären wir uns nun die
auffallende Bakterienarmut des Dünn-
darminhaltes? Escherich meinte, dass
es sich hier wohl nur um den Effekt
der Vermischung einer grossen Menge
bakterienfreier Sekrete mit einer ge-
ringen Quantität bakterienhaltigen Speise-
breies handelt; dass ferner die Dauer des
Aufenthaltes des Speisebreies im Dünn-
darm zu gering sei und somit die Ent-
wicklung der Formen in diesem Abschnitte nicht über das
Vermehrungs- und Jugendstadium hinauskommt.
Es unterliegt gar keinem Zweifel, dass in der Tat die An-
wesenheit einer grösseren Bakterienmenge an das Vorhandensein
reichlicherer Nahrungsreste gebunden ist; denn, wenn wir vom
Schematische Darsiellang
derBakterienverteilaDg im
Säuglingsdarm (bei natür-
licher Ern&hiniog).
• r= Bifidas
o SS sporcDbildende Bak-
terien (Batters&nre-
basilleD, Köpfchen-
bakterien etc.)
. r= Coligroppe
über die Darmbakterien des S&ngliogs. 881
Inhalte des Dünndarmes Milchbestandteile zur Untersuchung
heranziehen, so werden wir stets darin Bakterien vorfinden.
Bei der Betrachtung dieser Verhältnisse ist jedoch noch ein
weiterer Faktor in Erwägung zu ziehen, nämlich die von Eohl-
brugge angenommene bakterizide Kraft des Dünndarmsaftes.
Kohlbrugge erblickt die Hauptfunktion der Enterokinase in
der Entfaltung einer sehr kräftigen keimtötenden Fähigkeit und
gründet darauf bekanntlich seine Theorie von der Autosterilisation
des Dünndarmes. Nach seinen eigenen Untersuchungen findet
man bei manchen Tieren (bes. Nagern) im Dünndarm niemals
Bakterien, wenn nicht Ingesta darin sind, und als eine wesentliche
Stutze seiner Theorie führt Kohlbrugge einen Versuch von
Schütz an, der in den Zwölffingerdarm von Hunden grosse
Mengen des Vibrio Metschnikoff injizierte und den Bazillus
nicht mehr in der Fäces fand.
Obgleich, wie wir später sehen werden, die bakterizide
Wirkung der Enterokinase nicht überschätzt werden darf, so glaube
ich doch für die Erklärung der beschriebenen Erscheinung auch
die Kohlbruggesche Theorie in Anspruch nehmen zu müssen.
Dafür ist mir insbesondere die Tatsache massgebend, dass die
üppige Vegetation des Coecums sich niemals in der Richtung
des Dünndarms hin ausbreitet. Man hat den Eindruck, als
würde diesen Bakterienarten hier plötzlich Halt geboten.
Nur die Bakterien der Coligruppe scheinen hierin eine
Ausnahme zu machen, denn sie vermögen, obgleich im be-
schränkten Maasse, im Dünndarminhalt zu vegetieren. Ich erblicke
in dieser konstanten Beobachtung einen kräftigen Hinweis darauf,
dass das Lebensverhältnis des B. coli commune und des
B. lactis a€rogenes zum Säuglindsdarm ein symbiotisches ist.
Wenden wir uns nun einer weiteren Frage zu. Welches
Schicksal erleiden die Bakterien im Säuglingsdarm?
Eberle, der sich in einer über Anregung Escherichs be-
gonnenen Arbeit die Aufgabe stellte, die Stuhlbakterien des
Säuglings im mikroskopischen Präparate und auf der Platte ver-
gleichsweise zu zählen, kommt zu dem Schlüsse, dass nur ein
ganz geringer Bruchteil (4,5 — 10 pCt.) auf den üblichen Nähr-
boden zur Entwicklung gelangt.
Klein erhält noch geringere Zahlen, bis IpCt.
Schmidt und Strasburger eruierten auf dem Wege ihrer
Wägungsmethode, welche die im Gefolge der Zählung kleiner
Bakterienquantitäten sich einstellenden Fehlerquellen zu ver-
882 Koro, Morphologische und biologische Untersuchungen
meiden sucht und die Bakterien unmittelbar in einer grossen
Menge Substanz zu bestimmen erlaubt, noch geringere Werte.
Sie konnten aus letzteren unter Zugrundelegung der früheren
Erfahrungen berechnen, dass nur etwa 0,07 pCt. der Bakterien
entwicklungsfähig sind.
Stern, der sich mit der Desinfektion des Darmkanales be-
schäftigte, gelangt schon früher ebenfalls zur Überzeugung, dass
die Zahl der auf der Gelatineplatte sich entwickelnden Keime
nur einen kleinen Bruchteil jener in den Fäces vorhandenen
und mittelst der mikroskopischen Untersuchung nachweisbaren
Bakterien darstellt und ein ähnliches Verhalten beobachtete
Hammerl beim erwachsenen Menschen.
Unser grösstes Interesse nimmt eine Arbeit Hellströms
aus der jüngsten Zeit (1901) in Anspruch, da seine Unter-
suchungen am gleichen oder an einem zumindest sehr ähn-
lichen Material angestellt wurden, nämlich an neugeborenen,
durchwegs naturlich ernährten Säuglingen. Seine Fragestellung
lautete: „Ist die ungeheuere Menge von Bakterien, die im
Gesichtsfeld unter dem Mikroskope zum Vorschein kommt und
die man nicht imstande ist auf den Nährboden zur Entwicklung
zu bringen, als abgetötet, nicht entwicklungsfähig oder als
lebendig, entwicklungsfähig anzusehen?*'
Hellström zeigt an einer grossen Reihe von Einzel Unter-
suchungen, dass sich schon beim Neugeborenen, während der
Mekoniumperiode Unterschiede bemerkbar machen, wenn man die
Zählung der im mikroskopischen Präparate sichtbaren Keime mit
dem Eulturergebnis vergleicht. Allein die Divergenz der ge-
fundenen Werte ist in diesen Fällen keine so enorme, als später,
wenn die ersten Milchfäces zur Untersuchung herangezogen
werden. Jetzt beginnen die notierten Zahlen immer mehr und
mehr auseinanderzugehen; die Kultur ergibt nur relativ wenig
Kolonien, während in den Präparaten eine Unzahl von Bakterien
erscheint. Dieses Miss Verhältnis wird in den nächsten Lebens-
tagen ein noch krasseres, erreicht aber sehr bald einen konstanten
Punkt, und die divergierenden Werte verbleiben auf ziemlich
gleicher Höhe.
Hellström erklärt sich diese Erscheinung mit dem Ab-
sterben der Darmbakterien und sieht sich auf Grund seiner
Ergebnisse zur Behauptung veranlasst, dass die meisten mit dem
Kote ausgeschiedenen Bakterien tot sind. Als Ursachen dieser
im Darm sich vollziehenden Abtötung der Keime fuhrt Hellström
über die Darmbakterien des S&aglings. ^83
vor allem die allmähliche Verarmung des Nährbodens an Nähr-
stoffen und den deletären Einfluss, den ihre eigenen StofFwechsel-
produkte und die im Gefolge der Kohlehydratgärung entstandenen
organischen Säuren auf die Darmbakterien ausüben, an.
Gerade in der Kreuzung der Kurven, in dem Ergebnis, dass
die entwicklungsfähigen Keime mit dem Alter des Kindes immer
geringer werden, erblickt Uellström eine weitere Stutze seiner
Annahmen, insofern, als eben die Resorptionsfähigkeit des Darmes
in den ersten Lebenstagen eine wesentlich geringere ist als in
der folgenden Zeit.
Die Erklärung, wie sie Hellström gegeben hat, ist sehr an-
sprechend und naheliegend.
Wir finden sie auch bei den übrigen Untersuchern an-
gedeutet. Allein alle diese Schlussfolgerungen basieren auf einer
völlig unzureichenden Methodik, und die gefundenen Zahlen sind
daher ganz unbrauchbar. Es ist ohne weiteres klar, dass bei
Yernachlässigung der Ana^robier, welche, wie wir gesehen haben,
die Hauptmasse der normalen Säuglingsstuhlflora darstellen, die
Untersuchungen auf der aSroben Platte ein unrichtiges Ergebnis
zutage fördern mussten. Das gleiche gilt für die acidophile Flora,
welche nur auf saueren Nährboden zu einer selbständigen Ent-
wicklung gelangt, ohne von der Coligruppe überwuchert zu werden.
Die Korrektur der erhobenen Befunde wird jedoch deshalb
nicht leicht durchführbar sein, weil der Bifidus auf der anaeroben
Platte gar nicht oder nur ganz mangelhaft wächst (Abhdlg. I,
S. 716). Allein das Eine steht fest, dass sich die Differenz der
Zahlen bei Berücksichtigung der Anaeroben und der Acidophilen
beträchtlich ausgleichen würde, womit diese spezielle Frage
wesentlich an ihrem ursprünglichen Interesse einbüsst.
Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein, dass die
Gesamtheit der mit dem Kote ausgeschiedenen Bakterien lebens-
fähig ist. Es wurde vielmehr schon früher (Abhandlung I)
hervorgehoben, dass ein Teil der im Stuhle erscheinenden
Bakterien tot sein müsse, was auf Grund ihres totalen Bewegungs-
niangels und ihrer schlechten Tingierbarkeit festgestellt werden
konnte. Allein einen Schluss auf die Absterbeerscheinungen der
Bakterien im Darme lassen diese Beobachtungen ebensowenig
zu, wie die vergleichende Zählung der mikroskopisch sichtbaren
Keime mit den — selbst bei voller Berücksichtigung der er-
gänzenden Methoden — auf der Platte gewachsenen Kolonien.
Ich vermute nämlich, dass die in den höheren Darmpartien ab-
L
884 Moro, Morphologische and biologische Untersuchangen
getöteten Bakterien im mikroskopischen Präparate überhaupt
nicht mehr dargestellt werden können. Dafür spricht u. a. die
Tatsache, dass die obligaten Bakterien der höheren Darmpartien
im normalen Stuhlbilde nur äusserst spärlich wieder erscheinen,
während doch apdererseits mit Bestimmtheit angenommen werden
muss, dass dieselben im Darme fortwährend in grosser Zahl zu-
grunde gehen. Wohin wurde die endlose Vermehrung der Daim-
bakterien fuhren, wenn ihre Lebensdauer nicht eine sehr be-
schränkte wäre?
Wahrscheinlich werden die Leiber der abgestorbenen
Bakterien von den Yerdauungssäften selbst angegriffen und ver-
daut; vielleicht werden sie als amorphe Massen ausgeschieden,
vielleicht werden sie resorbiert. In Anbetracht der ungeheueren
Menge der Darmbakterien wäre diese Ernährungsquelle keine
geringe.
Literatur *).
49. Oiechomskj u. Jakowski, UDgewöhnlich lange daaerDder küDstltcher
After, nebst chemisch - bakteriologischen Untersuchangen über den
Inhalt der Dünndärme. Arch. f. klin. Chir. Bd. 48. 1894.
50. Eberle, Zählung der Bakterien im normalen Säuglingskot. Centralbl.
f. Bakt. Bd. 19. 1896.
51. Es che rieh, Referat über die Darmbaklerien des Säuglings.
52. Gessner, Über die Bakterien im Duodenum des Menschen. Arch. f.
Hyg. Bd. 9. 1889.
53. de Giaza, Del quantitativo di batteri contenyto del tubo gastricoenterico
di alcuni animali. Zit. n. Baumg. Jahresb. 4. Jahrg. 1888.
54. Gilbert u. Dominici, Compt. rend. soc. bioi. 1894. p. 76. Zit n.
Kohlbrugge. 27.
55. Harn m er 1, Die Bakterien der menschlichen Fäces nach Aufnahme Ton
vegetabilischer und gemischter Nahrung. Zeitschr. f. Biolog. Bd. 35.
1897.
56. Hellström, Untersuchungen über Veränderungen in der Bakti^rienzahl
der Fäces bei Neugeborenen. Arch. f. Gyn. Bd. 63. 1901.
57. Jakowski, Contribution ä Fetudo des processus chimiques dans les
intestins de Thomme. Arch. d. scienc. biol. inst. med. experini.
St. Petersburg. Bd. 1. 1892.
58^ Klein, Sitzungsber. d. Kgl. Akad. d. Wissensch. in Amsterdam. 25. Mai
1901. Zit. n. Schmidt u. Strasburger.
59. Kohlbrugge, Die Autosterilisation des Dünndarmes und die Bedeutung
des Coecums. Centralbl. f. Bakt. Bd. 29. 1902.
60. Mackfaiden, Nencki u. Sieber, Untersuchungen über die chemischen
Vorgänge im menschlichen Dünndarm. Arch. f. exp. Path. Bd. 28. 1891.
I) Ausser den in Abhandlung I bereits angeführten Arbeiten.
T
über die Darmbakterien des Säuglings. 885
61. Neocki, Über die Zersetzung der Gelatine und des Eiweisses. Bern 1876.
63. Rah n er, Bakteriologische Mitteilungen aber die Darmbakterien der
Hühner. Centralbl. f. Bakt. Bd. 30. 1901.
63. Schlichter, Bakteriologische Untersuchungen des Kotes bei Atresia
ani vestib. Wien. klin. Wochenschr. 1890.
64. Schutz, Kritische und experimentelle Beitr&ge zur Fiage der gastro-
intestinalen Desinfektion. Arch. f. Verdauung. 1901.
65. Stern, Über Desinfektion des Darmkanales. Zeitschr. f. Hyg. Bd. 12. 1892.
III.
Die erste Infektion des Säugrllngrsdarms mit Mlkroorgranlsmen
und deren Bezlehung^en zur bleibenden Darmflora.
Woher stammen die normalen Darmbakterien, and wie ge-
langen sie in den Darm des Säuglings?
Far die Einwanderung in den Darm stehen den Bakterien
unter normalen Verhältnissen nur zwei Wege offen: der Mund
und der Ä.fter.
Von diesen beiden Invasionspforten kommt für das spätere
Alter dem ersteren Wege entschieden, die grössere Bedeutung
zu. Wir dürfen jedoch bei der Erwägung dieser Frage nicht
ausser Acht lassen, dass sich dem stomachalen Eindringen der
Bakterien zwei Schwierigkeiten in den Weg stellen: erstens die
Magensalzsäure, zweitens der Dunndarmsaft.
Auf das erstere Moment wurde insbesondere von früheren
Forschern ein grosses Gewicht gelegt. Die antiseptische Kraft
der Magensalzsäure ist jedoch, wie alle späteren Untersuchungen
übereinstimmend berichten, keine so bedeutende, und die ursprüng-
liche Ansicht Bienstocks, dass nur Dauerformen von Bakterien
unbeschadet den Magen passieren können, wurde vielfach wider-
legt. Immerhin muss dem Magensafte auf der Höhe der Ver-
dauung eine, obgleich nur beschränkte, bakterizide Wirkung
zugeschrieben werden, und es unterliegt keinem Zweifel, dass
ein Teil der eingeführten Bakterien in seinen Lebenseigenschaften
im Magen abgeschwächt wird (Miller, Kuisl, Dallemagne).
Eine weit grössere Bedeutung dürfte, wie wir gesehen
haben, dem Dünndarmsafte beizumessen sein. Allein auch die
bakterizide Kraft der Enterokinase (Kohlbrugge) ist keine so
bedeutende, dass sie dem Eindringen selbst darmfremder
Bakterien einen wirksamen Widerstand entgegensetzen könnte.
Escherich und ich fanden immer Bakterien der Coligruppe
im Dünndarm des Säuglings, Klecki im Dünndarm des Hundes,
Rahner im Dünndarm des Huhnes.
886 Moro, Morphologische uod biologische ÜDtersachangen
Piazza and Eurkunoff konnten die in den Darm ein-
geführten Milzbrand- und Kauschbrandbazillen im ausgeschiedenen
Kote ihrer Yersuclistiere wiederfinden, ohne dass eine Ab-
Schwächung der Virulenz eingetreten wäre.
Brudzinsky verfütterte Hunden und Katzen den Proteus
vulgaris und fand die verfutterte Bakterienart im Stuhle
dieser Tiere reichlich wieder. Seine positiven Fütterungs-
versuche mit Reinkulturen von B. lactis a^rogenes bei Säug-
lingen sind für diese Frage weniger beweisend, weil wir uns
vorstellen, dass diese Bakterienart, ebenso wie das B. coli, im
Darm symbiotisch lebt und infolgedessen von den Sekreten nicht
wesentlich alteriert wird.
Ich fand bei einem gesunden Säugling, der eine durch
Stagnation auffallend staphylokokkenreiche Milch an der Ammen-
brust zu trinken bekam, die verfütterten Staphylokokken reich-
lich auf den von den Stuhlgängen angefertigten Gelatineplatten.
Allerdings können gegen diese Yersnche zwei Einwände
geltend gemacht werden. Erstens einmal der Umstand, dass die
Bakterien zugleich mit der Nahrung eingeführt wurden^), wobei
wenigstens ein Teil der Bakterien im Innern der Milchgerinnsel
und des Speisebreies vor der äusseren Wirkung der Sekrete
verschont bleiben konnte, und zweitens die Tatsache, dass die
Menge der verfütterten Bakterien eine von vornherein reichlich
gewählte war.
Allein, wie könnten wir uns das Zustandekommen bakterieller
Darminfektionen beim gesunden Säugling anders erklären, wollten
wir im Sinne Kohlbrugges der Enterokinase eine so wirksame
bakterizide Kraft beimessen?
Eine Invasion der Darmbakterien per os ist demnach sehr
wohl möglich.
Einen einwandfreien Beweis hierfür erbrachte Escherich,
der bei einem Falle von Atresia ani im Darme die obligaten
Milchkotbakterien B. coli und B. lactis finden konnte.
Ich konnte den B. acidophilus in der Menschenmilch und
auf der Warzenhaut stillender Frauen nachweisen und sprach
die Vermutung aus, dass er per os in den Darm gelangt, wo-
selbst er im sauern Darminhalte des Säuglings besonders günstige
Vegetationsverhältnisse antrifft.
In Anbetracht dieser Verhältnisse hoffte ich auch, das
') Mit Ausnahme der Budzinskjschen Proteasversache, welcher
Boaillookulturen verfütterte.
über die Darmbakterien des SäagliDgs. 887
Bakterium der physiologischen Stuhlflora, den B. bifidus
communis, in der Frauenmilch zu finden, zumal diese Bakterien-
art, wie bereits erwähnt, mit den ersten Frauenmilchresten im
Stuhl erscheint, um mit dem Aufhören der naturlichen Er-
nährung aus dem Stuhlbilde nahezu vollkommen zu schwinden.
Zu diesem Behufe legte ich zahlreiche anaerobe Zucker-
agarkalturen verschiedener Frauenmilchsorten an, wobei ich, ohne
die Brustwarzen zu reinigen, jedesmal grosse Milchmengen ver-
impfte. In sämtlichen Fällen erhielt ich ein vollständig negatives
Resultat. Es kamen überhaupt niemals streng ana^robe Bakterien
aus der Frauenmilch zur Entwicklung. Immer erhielt ich die
weissen Staphylokokken, zuweilen auch B. coli und Pseudo-
diphtherie-Bazillen, in seltenen Fällen daneben Streptokokken,
Sarcinen, Micrococcus candicans, einmal einen iluoreszierenden
Bazillus — niemals Anaerobier.
Ferner wurde zur Entscheidung dieser Frage noch ein
weiterer Versuch gemacht, für dessen gewissenhafte Durchfuhrung
ich Herrn Dr. Blau, Assistenten der Klinik Chroback in Wien,
zu grossem Danke verpflichtet bin. Ein neugeborener Säugling
erhielt vom zweiten Lebenstage an 4 Tage hindurch, also bis zu
seinem sechsten Lehenstage, nur sterilisierte Frauenmilch (15 min.
nach Soxhlet) zu trinken. Die Mekoniumausstossung vollzog
sich in normaler Weise, und es boten die mikroskopischen
Mekoniumpräparate ihre charakteristische Flora dar. Am 5. Tage
erschien der erste Milchstuhl und mit demselben die physio-
logische Stuhlflora.
Es mussten demnach für das Zustandekommen der normalen
Flora des Frauenmilchstuhles andere Faktoren verantwortlich
gemacht werden.
Vielleicht ist der B. bifidus in der Mundhöhle des Säug-
lings vorhanden und infiziert erst hier die Milch? Auch diese
Frage ist absolut verneinend zu beantworten, da ich weder aus
dem Mundsekrete von Neugeborenen, noch aus jenem älterer
Brustkinder jemals auf Zuckeragar anaerobe Bakterien züchten
konnte.
Die Infektion des Säuglingsdarmes mit dem B. bifldus- er-
folgt demnach sicherlich nicht per os, und es steht seiner Ein-
wanderung nur der zweite Weg ofi'en, nämlich der Anus. Wir
können aus den bisherigen Befunden noch weiter schliessen. Da
die Vorherrschaft der typischen Bifidus Vegetation bereits in den
allerersten Milchstuhlportionen beim Brustkind zu konstatieren
888 Moro, Morphologische und biologische IlDtersachaDgen
ist, so muss sich dieser Bazillus schon während der Mekonium-
periode im Darm des Neugeborenen etabliert haben.
Diese Überlegung führt uns zum Studium der Mekoniumflora.
Escherich war der erste, welcher auf die Eigenart der
Mekonium Vegetation hinwies und ihre augenfällige Verschiedenheit
von der Milchstuhlflora ausdrucklich hervorhob. Seinen Auf-
zeichnungen ist zu entnehmen, dass das ursprunglich keimfreie
Mekonium schon sehr bald einen Florentypus aufweist, dessen
charakteristische Merkmale sind:
1. Die relative Keimarmut,
2. der Artenreichtum (Mannigfaltigkeit der Formen),
3. das Vorhandensein gewisser sporentragender Bakterien.
Zu den konstanten bakterioskopischen Befunden gehören: Kokken-
formen in relativ grosser Menge, einige Stäbchenarten (darunter
das B. coli commune) und endlich zwei sporentragende Arten,
die schon durch ihre Form und Häufigkeit die Aufmerksamkeit
des Beobachters in Anspruch nehmen. Die eine derselben gehört
den sog. Köpfchenbakterien an (vergl. Abhandlung I, S. 717),
die andere, dickere, zylindrische Form mit endogener Sporen-
bildung wurde mit dem B. subtilis Cohn identifiziert. Escherich
lässt die Frage o£Pen, ob die Köpfchenbakterien dem B. putri-
ficus Bien stock angehören oder aber gleich den im mikro-
skopischen Bilde häufig anzutreffenden schlanken, geschwungenen
Fäden in den Formenkreis des Proteus Hauser einzubeziehen sind.
Auf den Gelatineplatten wurden erhalten: Neben ver-
schiedenen Kokken und Hefen zumeist B. coli commune. Zu-
weilen ein neuer verflüssigender Streptococcus (Streptococcus
coli gracilis) Proteus (?) und B. subtilis.
Hervorzuheben ist, dass die meisten der isolierten Arten
die Gelatine verflüssigten, eine Erscheinung, die ebenfalls für
die Mekoniumflora bis zu einem gewissen Grade charakteristisch
ist, da sie in der folgenden Milchstuhlperiode unter normalen
Verhältnissen niemals beobachtet wird.
Trotz der zahlreichen Einzeluntersuchungen konnte das B.
lactis a^rogenes aus dem Mekoniumstuhle nicht ein einziges
Mal gewonnen werden.
Bei allen übrigen im mikroskopischen Präparate dargestellten
Bakterienarten versagte die Züchtung auf Gelatine.
Von besonderem Wert für die vorliegenden Ausführungen
sind Escherichs Untersuchungen über den Darminhalt neu-
geborener Kinder während der Mekoniumperiode, deren Resultate
ich deshalb in tabellarischer Zusammenstellung folgen lasse.
(Siehe die Tabelle S. 890 u. 891.)
über die Darmbakterien des Säuglings. 889
Über die Art und Weise, wie diese erste Infektion Mes
Darmes zustande kommt, Hegen verschiedene Ansichten vor.
Breslau meinte, dass daran die verschluckte Luft einen wesent-
lichen Anteil nehme. Diese wenig ansprechende Vorstellung
wurde jedoch von Escherich mit der Begründung zurückgewiesen,
dass in dem aus dem Rectum entnommenen Mekonium Mikro-
organismen schon zu einer Zeit nachweisbar sind (3 — 7 Std. p. p.),
in welcher eine Durchwanderung der Luft durch den ganzen
Darmkanal noch nicht angenommen werden kann. Ebensowenig
kann man daran denken, dass hier etwa während des Geburts-
aktes Keime in den Mund gelangt und verschluckt worden seien.
Escherisch sieht sich daher zur Annahme veranlasst, dass das
Eindringen der Bakterien vorzugsweise per anum erfolgt, zumal
im Vergleich zu anderen Invasionspforten (wie Harnröhre, Sphinkter
der normalen Brustdrusengänge) Jede Schleimhautfalte der
Analöffnung eine breite, bequeme Strasse vorstellt, mit dem
besten Nährmaterial besät, auf der die Bakterien in das Innere
des Rectums einzudringen vermögen^, ohne die Möglichkeit einer
Infektion per os in Abrede zu stellen.
Schild konstatiert später ebenfalls, dass das Auftreten von
Bakterien im Darminhalte Neugeborener bereits vor der ersten
Nahrungsaufnahme erfolgt, und macht dafür in erster Linie das
Badewasser verantwortlich^).
Die Schmidtschen Untersuchungen des Mekoniums deckten
sich in ihren Ergebnissen mit jenen Escherichs, nur erschien
die Zahl und der Artenreichtum der Kokken geringer.
Wie immer dem auch sein mag, blieb das Interesse für die
Mekoniumflora doch stets ein ausserordentlich geringes, was u. a.
auch aus einem Urteil Schmidts hervorgeht, indem er gelegent-
lich der Besprechung der Mekoniumbakterien und ihrer mangel-
haften Identifizierung sagt: „Es würde sich die Arbeit auch
nicht lohnen, da diese Mikroorganismen im ganzen als zufällige
Befunde anzusehen sind."
Diese ihre stiefmütterliche Behandlung verdankt die Me-
koniumflora eben der Auffassung, dass im untei'en Teile des
Darmes in der Mekonium Substanz nur Luftkeime und die in der
Umgebung zufällig anwesenden Bakterien solange ein kümmer-
1) Aus dem Mekonium züchtete Schild 7 Arten auf Gelatine, darunter:
den verQüssigenden und festlassenden B. fluorescens, B. subtilis, B. coli und
eine Proteusart.
890
Möro, Morphologische und biologische UntersucLangcD
Abschnitt
des
Verdauungs-
traktes
I. Alter: 36 Std.,
Lebenssch^väche,
an der Brast noch
nicht getrunken
Mikroskopische
Untersuchung
II. Alter: 4 Tage. Part, praem.
Baematoma dur.
Sp&rliche Kuhmilchemährang
Mikroskopische
Untersuchung
Kultur
Magen
Duodenum
Dünndarm-
Anfang
Dünndarm-
Mitte
Ileum
Coccum
Colon
S. Roman um
Nur sehr wenige | Reichlich schlanke und
Bakterienarten: aus- .{kürzere St&bchen, zumTeil
I
schliesslich Kurz- ' in Schwärmen. Kokken
Stäbchen | fehlen
Keine Bakterien j Neben den in geringer
Anzahl yorhandenen Kurz-
stäbchen etwas längere und breitere Formen,
deren Zellleib nur stellenweise geerbt ist. In
geringer Zahl runde und ovale Bakterien
Kurze Stäbchen,
ovale kokkenähn-
licheFormen in zoo-
gläaartigen Haufeu
Gelatine: verflüssigeode
(darunter Fluoreszens)
und festlassende Kolon.
(B. coli u. B. lactis)
Ausschliesslich fest-
lassende Kolonien.
(B. coli; B. lactis,
Micrococcus o?alis)
Kürzereu. etwas län-
geres täbchen,ein ge-
schnürte Bakterien,
letztere ziemlich in
Zoogläen. (B.lactis?)
Eingeschnürte Stäbchen,
schlanke, kurze Bazillen
und die stellenweise ge-
färbte Art
Agar: B, coli, B. lactis
und Micrococcus ovalis
Gelatine: Ebenso, vor-
wiegend B. lactis
— I Die beim Milchkot be-
schriebenen Kurzstäbchen
in grosser Zahl: viel spärlicher die stellenweise
ungefärbten Bakterien. Spärliche Köpfchen-
bakterien, zylindrische lange Fäden mit glän-
zenden Sporen, freie Sporen mit Kapsel, sowie
in ganz geringer Zahl kokkenähnliche Gebilde
Gelatine: B. coli, B,
lactis, 1 yerflässigcndc
Kolonie. Coli über-
wiegen Lactis
Gelatine: Meist fest-
lassende, nur 2 ver-
flüssigende Kolonien.
Diese iestlassenden
sind: B. coli
R.
über die Darmbakterien des Säuglings.
891
III. Alter: S^s Tage. Haematoma dnr. matr.
Ern&hrungsart: ? Wahrscheinlich natürliche £.
Mikroskopische
UnterdQchung
Spärliche Bakterien ; fast
ansschliesslich karze, dicke
zum Teil eingeschnürte
Stäbchen; einzelne feine
Kokken u. Tetraden formen
Nur ganz spärlich die oben
erwähnten Kurzstäbohen
Kurzstäbchen,eingeschnür-
te Bazillen mit ungefärbten
Stellen (8 Formen), stellen-
weise in zoogläaartigen
Haufen, ferner in geringer
Zahl runde u. o valeFormen,
zum Teil in Ketten
Kultur
Die schlanken Milchkot-
bazillen überwiegen immer
mehr und mehr. 8 Formen
spärlich
Neben den eben erwähnten
finden sich noch ganz runde
Hefezellen, Köpfchenbak-
terien, lange zylindrische
Fäden und spärliche
Sporen. Kokken selten
do.
Gelatine: Ausschliesslich
festlassende Kolonien von
B. lactis
Fast ausschliesslich
B. lactis
Ende des Dünndarms:
meistB. coli, wenig B. lactis
Vorwiegend B. coli, da-
neben yiele yerflüssigende
Arten (Streptococcus coli
gracilis), B. subtilis und
B. lactis (je eine Kolonie)
do.
Kectum: Überwiegen mehr B. coli, Streptococcus coli
die Milcbkotbazillen gracilis und einige Proteus-
I kolonien
Jahrbach lUr Kinderheilkunde. N. F. LXI. 6.
IV. Alter: 8 Tage.
Lues congen.
Ernährungsart: ?
Mikroskopische
Untersuchung
Ziemlich reichliche
Bakterien, Torwiegend
kurze, plumpe Stäbchen
Spärliche Bakterien
Reichliche Bakterien-
entwicklung. Kurze,
dicke und längere,
schlanke Stäbchen
Bakterienvegetation
des Mekoniums: Köpf-
chenbakterien, Sporen
o8
882 Moro, Morphologische und biologische UotersachaDgen
meiden sucht und die Bakterien unmittelbar in einer grossen
Menge Substanz zu bestimmen erlaubt, noch geringere Werte.
Sie konnten aus letzteren unter Zugrundelegung der früheren
Erfahrungen berechnen, dass nur etwa 0,07 pCt. der Bakterien
entwicklungsfähig sind.
Stern, der sich mit der Desinfektion des Darmkanales be-
schäftigte, gelangt schon früher ebenfalls zur Überzeugung, dass
die Zahl der auf der Gelatineplatte sich entwickelnden Keime
nur einen kleinen Bruchteil jener in den Fäces vorhandenen
und mittelst der mikroskopischen Untersuchung nachweisbaren
Bakterien darstellt und ein ähnliches Verhalten beobachtete
Hammerl beim erwachsenen Menschen.
Unser grösstes Interesse nimmt eine Arbeit Hellströms
aus der jüngsten Zeit (1901) in Anspruch, da seine Unter-
suchungen am gleichen oder an einem zumindest sehr ähn-
lichen Material angestellt wurden, nämlich an neugeborenen,
durchwegs natürlich ernährten Säuglingen. Seine Fragestellung
lautete: „Ist die ungeheuere Menge von Bakterien, die im
Gesichtsfeld unter dem Mikroskope zum Vorschein kommt und
die man nicht imstande ist auf den Nährboden zur Entwicklung
zu bringen, als abgetötet, nicht entwicklungsfähig oder als
lebendig, entwicklungsfähig anzusehen?^
Hellström zeigt an einer grossen Reihe von Einzelunter-
suchungen, dass sich schon beim Neugeborenen, während der
Mekoniumperiode Unterschiede bemerkbar machen, wenn man die
Zählung der im mikroskopischen Präparate sichtbaren Keime mit
dem Kulturergebnis vergleicht. Allein die Divergenz der ge-
fundenen Werte ist in diesen Fällen keine so enorme, als später,
wenn die ersten Milchfäces zur Untersuchung herangezogen
werden. Jetzt beginnen die notierten Zahlen immer mehr und
mehr auseinanderzugehen; die Kultur ergibt nur relativ wenig
Kolonien, während in den Präparaten eine Unzahl von Bakterien
erscheint. Dieses Missverhältnis wird in den nächsten Lebens-
tagen ein noch krasseres, erreicht aber sehr bald einen konstanten
Punkt, und die divergierenden Werte verbleiben auf ziemlich
gleicher Höhe.
Hellström erklärt sich diese Erscheinung mit dem Ab-
sterben der Darmbakterien und sieht sich auf Grund seiner
Ergebnisse zur Behauptung veranlasst, dass die meisten mit dem
Kote ausgeschiedenen Bakterien tot sind. Als Ursachen dieser
im Darm sich vollziehenden Abtötung der Keime führt Hellström
über die Darmbakterien des Säuglings. H83
vor allem die allmähliche Verarmung des Nährbodens an Nähr-
stoffen und den deletären Einfluss, den ihre eigenen Stoffwechsel-
produkte und die im Gefolge der Eohlehydratgärung entstandenen
organischen Säuren auf die Darmbakterien ausüben, an.
Gerade in der Kreuzung der Kurven, in dem Ergebnis, dass
die entwicklungsfähigen Keime mit dem Alter des Kindes immer
geringer werden, erblickt Uellström eine weitere Stütze seiner
Annahmen, insofern, als eben die Resorptionsfähigkeit des Darmes
in den ersten Lebenstagen eine wesentlich geringere ist als in
der folgenden Zeit.
Die Erklärung, wie sie Hellstrom gegeben hat, ist sehr an-
sprechend und naheliegend.
Wir finden sie auch bei den übrigen Untersuchern an-
gedeutet. Allein alle diese Schlussfolgerungen basieren auf einer
völlig unzureichenden Methodik, und die gefundenen Zahlen sind
daher ganz unbrauchbar. Es ist ohne weiteres klar, dass bei
Vernachlässigung der AnaSrobier, welche, wie wir gesehen haben,
die Hauptmasse der normalen Säuglingsstuhlflora darstellen, die
Untersuchungen auf der aäroben Platte ein unrichtiges Ergebnis
zutage fördern mussten. Das gleiche gilt für die acidophile Flora,
welche nur auf saueren Nährboden zu einer selbständigen Ent-
wicklung gelangt, ohne von der Coligruppe überwuchert zu werden.
Die Korrektur der erhobenen Befunde wird jedoch deshalb
nicht leicht durchführbar sein, weil der Bifidus auf der anaSroben
Platte gar nicht oder nur ganz mangelhaft wächst (Abhdlg. I,
S. 716). Allein das Eine steht fest, dass sich die Differenz der
Zahlen bei Berücksichtigung der Anaßroben und der Acidophilen
beträchtlich ausgleichen würde, womit diese spezielle Frage
wesentlich an ihrem ursprünglichen Interesse einbüsst.
Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein, dass die
Gesamtheit der mit dem Kote ausgeschiedenen Bakterien lebens-
fähig ist. Es wurde vielmehr schon früher (Abhandlung I)
hervorgehoben, dass ein Teil der im Stuhle erscheinenden
Bakterien tot sein müsse, was auf Grund ihres totalen Bewegungs-
mangels und ihrer schlechten Tingierbarkeit festgestellt werden
konnte. Aliein einen Schluss auf die Absterbeerscheinungen der
Bakterien im Darme lassen diese Beobachtungen ebensowenig
zu, wie die vergleichende Zählung der mikroskopisch sichtbaren
Keime mit den — selbst bei voller Berücksichtigung der er-
gänzenden Methoden — auf der Platte gewachsenen Kolonien.
Ich vermute nämlich, dass die in den höheren Darmpartien ab-
804 Moro, Morphologische and biologische üntersachungen
bisher vorherrsch ende Bakterienart tritt in den Hintergrund, am.
erst bei
88 b p. p. 11 vorwiegend Milchkote — das Feld zu beherrschen.
Aus dem Protokoll ist zu ersehen, dass als erste Bakterien-
art im Mekonium das B. coli commune erschien.
Bald darauf war eine zweite Art zu beobachten, welche
sich durch ihre stellenweise Färbbarkeit nach Gram und durch
die Bildung von Endverzweigungen auszeichnete. Die ver-
zweigten Formen waren zwar ausserordentlich selten, jedoch
morphologisch so sehr charakteristisch, dass die Entwicklung
ziemlich zahlreicher Bifiduskolonien in der Tiefe der anaeroben
Zuckeragarkultur nicht wundernehmen konnte.
Während das B.coli aus dem Stuhlbilde allmählich verschwand
wies die letztere Bakterienart eine zunehmende Vermehrung auf
und beherrschte solange fast ausschliesslich das Gesichtsfeld, bis
die im Gefolge der ausserordentlich verzögerten Mekonium-
ausstossung eintretende Fäulnis der Kindspech reste ein ganz
polymorphes und uncharakteristisches Bild entstehen liess. Ob-
zwar diese Erscheinung die Beobachtung des Invasionsprozesses
späterhin störend beeinflusste und sich dieser Fall für die Vor-
führung der Mekoniumflora weniger eignet (Mangel der Köpfchen-
bakterien etc.), zeigt er uns doch in schöner und deutlicher
Weise das frühe Erscheinen des Bifidus im Mekonium, und
zwar zu einem Zeitpunkte, wo von einer Durchwanderung des
ganzen Darmkanales per os eingeführter Keime noch nicht die
Rede sein kann.
Auch bei Tissier finden sich gelegentlich seiner Besprechung
der Mekoniumflora Angaben, dass im Mekoniumstuhle verzweigte
Formen vorkommen, die er mit dem Bifidus identifiziert.
Die Frage nach der Herkunft des Hauptrepräsentanten der
physiologischen Stuhlflora muss also dahin beantwortet werden,
dass der B. bifidus communis per anum in den Darm des Neu-
geborenen einwandert.
Da die weiteren 4 untersuchten Fälle in allen Stadien ein
unter sich nahezu vollkommen übereinstimmendes Verhalten dar-
boten, so will ich mich im folgenden auf die Wiedergabe eines
einzigen Falles aus dieser Serie beschränken, der bei normaler,
eher rascher Mekoniumausstossung das von allen Untersucheni
als charakteristisch bezeichnete Bild aufwies.
41» p. p. I. Mekon. -Stuhl — inikroskop.: keine Bakterien. Knltar.: keine
Bakterien.
über die Darmbakterien des Säaglings. 805
141^ und 18 li p. p. II. nnd III. Mekon.- Stuhl — mikroskop.: ziemlich
reiche Flora Fast lediglich gram -f- Arten. Die gescheckten, ge-
körnten Bazillen beherrschen das Gesichtsfeld. Einige davon sind
langgestreckt, geschwungen, andere kürzer. Manche von ihnen weisen
in ihren mittleren Partien tonnen förmige oder spindelförmige Auf-
treibungen auf. Yiele zeigen typische gram -f- Polfärbung. £nd-
▼erzweigungen nur äusserst selten, kaum angedeutet. Ferner gram -f*
kürzere Stäbchen, zumeist in Diplobazillenform und in Gruppen
angeordnet.
Massenhaft Sporen träger, Köpfchenbakterien: Ihre Köpfchen sind nur
selten tingiert, zumeist glänzend, scharf kontuiert. Der Schwanz
der Bakterien ist gekörnt, zuweilen geschlungen. Viele freie Köpfchon-
sporen.
Kurze, dicke gram --f- Bazillen mit mittelständiger oder polwärts ge-
richteter endogener Spore. Einige sporen förmige Tonnenformen.
Gram — , ovale Kurzstäbchen vorhanden, jedoch selten.
Kokken in verschwindender Zahl^).
21 h p. p. I. gemischter Milch-Mekoninmstuhl.
Kultur.: Aerobe A garplatte: B. coli commune, Diplokokken.
„ Gelatineplatte: B. coli, verflüssigende Kolonien des
B. subtilis oder Mcsentericus (?). B. vulgatus
Anacrobes Znckeragar: B. bifidus com'munis und Kokken.
„ Milch: Gasphlegmome.
n Agar: Köpfchenbakterien, Buttersäuro-
bazillen (Gasphlegmone), B. bifidus?
21h p. p. 1. gemischt. Milch-Mekon.-Stuhl: Es beginnen die gram -f- Bazillen
(B. bifidus communis) zu überwiegen, während die Sporen träger
nurmehr an den Mekoniumresten in grösserer Zahl vorhanden sind.
Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dass neben dem
B. bifidus communis, der unter den Mikroorganismen des
Mekoniums nicht in jedem Falle stets eine dominierende Stellung
einnimmt^ regelmässig und in auffallend grosser Menge sporen-
bildende Bakterien vorhanden sind. Ihrem Aussehen nach
gehören diese zum grössten Teile den sogenannten Eöpfchen-
bakterien an.
J) Unwesentliche Abweichungen vom beschriebenen Bilde kommen
natürlich vor. So tritt in manchen Fällen die Köpfchenbakterienvegetation
so sehr in den Vordergrund, dass diese charakteristischen Formen fast aus
schliesslich zu sehen sind. Besonders häufig finden wir sie in der nächsten
Umgebung der Plattenepithelien. Ein andermal hinwiederum sind ins-
besondere reichlich Kokken vorhanden, und es bildet ihr nahezu völliger
Mangel bei den beschriebenen Fällen keineswegs die Regel. Die verzweigten
Formen des Bifidus sind immer selten. Mit Zuhilfenahme der Jodreaktion
sehen wir in jedem formenreichen Präparate granulosebildende Bakterien-
arten, die ihrem morphologischen Charakter nach, zum Teil wenigstens,
sicherlich in die Gruppe der Buttersänrebazillon einzubeziehen sind.
896 Moro, Morphologische nnd biologische Untersacbuiigcn
Die Kultivierung dieser sporeutrugenden Arten gelingt fast
in jedem Falle sehr leicht nach der in Abhdlg. I, S. 708, an-
gegebenen anaeroben Züchtungsmethode. Die genaue Bestimmung
der Köpfchen bakterien ergibt, dass die im Mekonium vegetierende
Art mit jener aus dem normalen Frauenmilchstuhle gezüchteten
identisch ist.
Desgleichen erhält man bei Verimpfung grösserer Mengen
pasteurisierten Mekoniums auf heisse Milch (anaerob n. Botkin)
nach einigen Stunden lebhafte Buttersäuregärung und kann aus
der Kultur die vegetative Form des Gasphlegmonebazillus
nahezu in Reinkultur züchten. Daraus lässt sich mit grosser
Wahrscheinlichkeit der Schluss ziehen, dass unter den mit endogener
Sporenbildung ausgestatteten Mekoniumbakterien die anaeroben
Buttersäurebazillen eine hervorragende Stellung einnehmen.
Ebenso gelingt in vielen Fällen, die Kultur des B. putri-
ficus Bienstock nach der von Passini angegebenen Methode
aus dem Mekonium^).
Wir treffen demnach unter den sogenannten typischen
Mekoniumbakterien alte Bekannte wieder, die wir schon gelegentlich
unserer Untersuchungen über die Flora des Frauenmilchstuhles
näher kennen gelernt haben. Ihre Kultivierung aus dem Mekonium
gelang bisher nur aus dem einfachen Grunde nicht, weil das
alles streng anaerobe Arten sind.
Diese Ergebnisse zwingen uns zu einer neuen Auffassung
der Mekoniumflora und erschliessen uns neue Gesichtspunkte in
der Beurteilung des Invasionsprozesses der Darmbakterien,
Die Bakterien des Mekoniums sind demnach bis auf un-
wesentliche Luftkeime nicht als passagere Gäste des mensch-
lichen Darmes in dieser frühesten Lebensperiode anzusehen, die
dazu verurteilt sind, mit dem Erscheinen des ersten Milch-
stuhles den von obenher eindringenden Bakterien Platz zu machen,
sie nehmen vielmehr an der Zusammensetzung der bleibenden
Darmflora einen wesentlichen Anteil. Mit anderen Worten: Die
Mekoniumbakterien sind nicht eine Bakteriengruppe sui generis;
sie selbst sind die Stammeltern der nachkommenden
Generationen. Ihre Verschiedenheit ist eine rein äusserliche,
zumeist nur ihre Vegetationsform betreffende. Dementsprechend
darf sich auch ihre Trennung von der Milchstuhlflora lediglich
auf äusserliche Merkmale beschränken.
0 Allerdings nur bei Verimpfnog grosser Mekoninmmengen.
über die Darmbakterien des Säuglings. 897
So treffen wir den Bifidus schon im Mekonium an, der
dann bei rapider einseitiger Vermehrung das ßild des normalen
Frauenmilchstuhles darstellt; wir treffen das B. coli commune
und die Buttersäurebazillen im Mekonium, die den mensch-
lichen Darm zeitlebens nicht mehr verlassen; wir sehen die
Köpfchenbakterien und den Putrificus, die wir späterhin im
Milchstuhl wiedei finden. Ich brauche ja nur an das polymorphe
Bild der Coecnm- und Colonfiora des Brustkindes zu erinnern
(vgl. Abhdlg. II, S. 875), das der ursprünglichen Mekoniumflora
zuweilen sehr ähnlich ist, um die innigen Beziehungen der so-
genannten Mekoniumbakterien mit der bleibenden Darmflora
aufzuklären und das Ziel ihrer Wanderschaft vor Augen zu fuhren.
Es unterliegt demnach keinem Zweifel, dass eine grosse
Anzahl der Darmbakterien mit den sogenannten Mekonium-
bakterien identisch ist, welche ausnahmslos den Weg per anum
nehmen.
Diese Eingangspforte benutzen aber nicht alle Darmbakterien.
Viele wandern auch per os ein. Dies gilt insbesondere für die
Gruppe der obligaten Milchkotbakterien Escherichs, 'für das
B. coli commune und für das B. lactis aerogenes. Für beide
Arten liegt der Beweis an der Hand. Das B. lactis aerogenes
scheint sogar ausschliesslich den oberen Weg einzuschlagen, da
es im Mekonium niemals gefunden wird. Besonders deutlich
gehen diese Verhältnisse aus der Tabelle (S. 43) hervor. Das
B. coli commune wandert von beiden Seiten ein; es ist in
jedem Falle aus dem Mekonium züchtbar, erscheint sogar unter
den allerersten kulturell nachweisbaren Keimen, wurde aber auch
in Fällen von Atresia ani im Darm angetroffen.
Diese Ergebnisse werfen auch ein Licht auf die geschilderte
Verteilung der Bakterien im Säuglingsdarm (Abhdlg. II), indem jene
Bakterienarten, von denen wir eine Invasion per anum annehmen,
nur die unteren Darmabschnitte, jene per os eingewanderten
Bakterien hingegen hauptsächlich die oberen Darmpartien be-
wohnen.
Die Untersuchungen zeigen uns aber noch ein weiteres.
Den sogenannten Mekoniumbakterien sind zwei Merkmale eigen-
tümlich: 1. Eigenbewegung, 2. Bildung von Dauerformen.
Die erstere Eigenschaft kommt ihnen allen ausnahmslos zu.
Dadurch wird uns ihre der Richtung des auszustossenden Darm-
inhaltes entgegengesetzte Wanderung nach den oberen Darmpartien
verständlich. Unbewegliche Arten wären wohl kaum imstande.
898 Moro, Morphologische und biologische UotersuchuDgen
diesen Widerstand zu überwinden. Und gerade im Hinblick
darauf ist es interessant, zu beobachten, dass die unbeweglichen
Darmbakterien, das B. lactis a^rogenes, der B. acidophilas
und die Kokken (?) ihren Weg per os nehmen müssen. Dazu
ist keine Eigenbewegung notwendig; diese Bakterien können mit
der verschlucken Milch weiterbefördert werden.
Es ist ferner auffallend, dass die meisten der sogenannten
Mekoniumbakterien Sporenbildner sind, ein Beweis ihrer Resistenz-
fähigkeit. Ob sie nun in ihrer vegetativen Form einwandern
und erst im Mekonium zur Sporenbildung gezwungen werden
oder aber als Sporen in den Darm gelangen, lässt sich nicht mit
Sicherheit entscheiden, ist auch mehr oder minder gleichgültig.
Wichtig ist nur die Tatsache, dass sie im Mekonium in ihrer
sporulierenden Form vegetieren, denn damit ist von der Natur
der Beweis erbracht, dass das Mekonium kein guter, sondern ein
schlechter Nährboden ist. Dafür spricht übrigens auch seine
von allen Autoren hervorgehobene relative Keimarmut. Auch
Schild hat diese Ansicht ausgesprochen und zwar auf Grund
eines Versuches, wonach es ihm gelang, keimfreies, in eine
Windel eingeschlagenes Mekorium trotz längeren Aufenthaltes im
Thermostaten steril zu erhalten.
Diese Eigenschaft des Mekoniums, welche zum Teil auf
seiner Zusammensetzung aus Durmsekreten, auf seiner relativen
Trockenheit und auf seinem Reichtum an Gallenbestandteilen
beruhen mag, gibt eine Erklärung für die relativ langsame Ver-
mehrung der eingewanderten Bakterien und für den Sporen-
reichtum der ursprünglichen Mekoniumflora. Sie verhindert auch
das Eintreten einer wahllosen Vegetation der ubiquitaren Keime
im Darme des Neugeborenen und lässt nur jene Bakterienarten in
den Darm gelangen und darin fortbestehen, welche durch ihre
Resistenzfähigkeit diese ungünstigen Lebensbedingungen schadlos
ertragen können. Dass dabei auch elektive Momente eine her-
vorragende Rolle spielen, ist sogar sehr wahrscheinlich.
Diese Überlegungen müssen uns ungezwungenerweise zu der
Vorstellung führen, dass dem Mekonium somit eine beachtenswei-te
Aufgabe zufällt, welche nach dem Gesagten darin besteht, dass
das wie ein Pfropf das Darmlumen verschliessende Mekonium für
das Zustandekommen der spezifischen Darmflora garantiert und
dem Eindringen unberufener Gäste solange einen passiven Wider-
stand entgegensetzt, bis in der Folge das Heer der physiologischen
Stuhlbakterien diese Rolle übernimmt.
über die DarmbakterieD des Säuglings. S99
Die per anam eingewanderten Darmbakterien müssen als
ubiquitäre Keime angesehen werden, da sich za ihrer Etablierung
in jedem Falle, zu jeder Zeit und an jedem Orte die Gelegen-
heit darbietet. Der Begriff der Darmbakterien gewinnt aber
dadurch ein erhöhtes Interesse, weil wir daraus die Sicherheit
einer spezifischen Infektion ersehen, welche wohl lediglieh auf eine
grosse biologische Affinität dieser ubiquitären Keime zu dem
Darm und seinem Inhalte zurückzufuhren ist.
Literatur ^).
66. Breslaa, Zeitschr. f. Gebartsk. 1866. Bd. 28.
67. Brudzinsky, Über das Auftreten von Proteus vulgaris in Säuglings-
Stühlen nebst einem Versuch der Therapie mittelst Darreichung yon
Bakterienknlturen. Jahrb. f. Kinderheilk. N. F. 12. Erg&nznngs-
heft. 1900.
68. Dallemagne, Arch. de medecioe experimentale et d'anatomie patho-
logique. T. 7. 1895. Zit. n. Schmidt-Strasburger.
69. Klecki, Annal. de Tinst. Pasteur. 1895. Zit. n. Kohlbrugge. 27.
70. Kuisl, Beiträge zur Kenntnis der Bakterien im normalen Darmtractus»
Inaug.-Diss. München 1895. Baumg. Jahresber. 1885. Ref.
71. Kurkunoff, Zur Frage der intestinalen Infektion. Zeitschr. f. Hyg. 1890.
72. Miller, Demonstration von Bazillen der Mundhöhle. Deutsche med.
Wochenschr. No. 9. 1885.
73., 74. Derselbe, Über einige gasbildende Spaltpilze des Yerdauungstraktus,
ihr Schicksal im Magen und ihre Beaktion auf verschiedene Speisen.
Deutsche med. Wochenschr. No. 8. 1886.
75. Pizza, Ref. in Banmgartens Jahresber. 1895. p. 139.
76. Schild, Das Auftreten der Bakterien im Darminhalte Neugeborener vor
der ersten Nahrungsaufnahme. Zeitschr. f. Hyg. 19. Bd.
0 Ausser den in Abhandlung I und II gemachten Angaben.
XXX.
Bemerkungen zu der Arbeit von P. Reyher „Ober
den Fettgehalt der Frauenmilch".')
Von
Dr. WALTHER FREUND,
Assistenten der Breslaoer Kinderklinik.
Nach abfälliger Kritik aller bisher geübten Verfahren der
Brustmilchentnahme zur Bestimmung der vom Säuglinge auf-
genommenen Fettmengen teilt uns Reyher seine eigene, wie er
sich ausdruckt, einwandsfreie, weil dem physiologischen Verhalten
der Brustsekretion nach jeder Richtung hin Rechnung tragende
Methode mit, die darin besteht, vor und nach der Brustmahlzeit
gleichgrosse Milchmengen zu entnehmen und zusammenzumischen.
Diese Methode besticht zunächst — besonders im Vergleich
mit den mühevollen Untersuchungen Gregors — durch ihre
Einfachheit; der kleine graduierte Saugapparat darf sogar als eine
willkommene Bereicherung der Technik gelten; auch scheint die
rechnerische Begründung auf den ersten Blick unanfechtbar; die
kritischen Ausführungen zu den bisher vorliegenden Arbeiten
entbehren vielfach nicht der Beweiskraft. Indessen beruhj die
vorgeschlagene Methode auf einer wesentlichen Voraussetzung, bei
<leren Prüfung der Autor m. E. nicht lange genug verweilt hat.
Wenn wir nämlich auf die von Gregor eingeführte Ent-
nahme zahlreicher Stichproben während einer Brustmahlzeit ver-
zichten und uns vielmehr mit nur zwei Portionen, einer vor Beginn
und einer nach Schluss des Saugaktes gewonnenen, begnügen
sollen, so müssten wir unbedingt erst in der Lage sein, mit einem
völlig geradlinigen Ansteigen der Fettkonzentration bei fort-
schreitender Entleerung der Brustdrüse, als einer konstanten
physiologischen Erscheinung, rechnen zu können. Mit dieser
Bedingung steht und fällt geradezu das Reyh ersehe Verfahren
*) Aprilheft dieses Jahrbuchs.
Freund, Bemerkungen zu der Arbeit von P. Reyher etc. 901
Der ausschlaggebenden Bedeutung dieses Moments scheint
mir nun die parenthetische Bemerkung Reyhers auf S. 604:
„Nach einigen vorliegenden Untersuchungen bei fraktionierter
Entleerung der Brustdrüse sind wir zu der Annahme einer regel-
mässigen Steigerung des Fettgehaltes berechtigt", nicht genügend
Rechnung zu tragen.
Tatsächlich weiss ich aus gelegentlichen eigenen Unter-
suchungen, dass wir zu einer solchen Annahme nicht durchgängig
berechtigt sind. Um mir neuerdings noch einmal über diesen
Punkt Gewissheit zu verschaffen, nahm ich bei 4 Ammen der
Breslauer Kinderklinik und des städtischen Kinderhortes ent-
sprechende Untersuchungen vor, und zwar im ganzen bei 9 Brust-
mahlzeiten, wobei aus je einer Brust vor, während und nach dem
Trinken Stichproben zur Fettbestimmung entnommen wurden.
Die Fettwerte sind in beifolgenden 9 Kurven dargestellt; auf der
Abscisse sind, in Würdigung eines zutreffenden Reyherschen
Gedankenganges, nicht die Zeitintervalle, sondern die zwischen
den Stichprobenentnahmen getrunkenen Milchmengen aufgetragen.
902 R e y h e r , Erwiderung auf die vorstehenden Bemerkungen
Punktiert gezeichnet ist die geradlinige Verbindung zwischen
Anfangs- und Endwert.
Die Kurven bedürfen wohl keines Kommentars. Der Leser
dürfte wohl selbst aus ihnen den Schluss ziehen, dass für die
Mehrzahl der hier verzeichneten Brustmahlzeiten der Rejhersche
Entnahmemodus mehr oder minder unzutreffende Fettwerte ergeben
hätte. Da vielmehr das Tempo des Fettanstieges von allerlei
individuellen, wie temporären Einflüssen abhängig zu sein scheint,
die wir a priori nicht beurteilen können, müssen wir jener Methode
der Milchentnahme den Vorzug geben, die durch eine möglichst
grosse Zahl von Stichproben die bestehenden Fehlerquellen bis
zu einem hohen Grade ausschaltet. So gelange ich denn zu der
Feststellung, dass der Wert der Resultate Gregors, der in dieser
Weise arbeitete, durch die Untersuchungen Reyhers nicht im
geringsten in Frage gestellt wird; dem Wunsche Reyhers, es
möchten mit der von ihm angegebenen Methodik weitere Unter-
suchungen zur völligen Klärung der behandelten Frage angestellt
werden, vermag ich mich hingegen nicht anzuschliessen.
XXXL
Erwiderung auf die vorstehenden Bemerkungen
W. Freunds zu meiner Arbeit „Über den Fettgehalt
der Frauenmilch''.
Von
Dr. PAUL REYHER.
In den obigen Auslassungen erhebt Freund gegen meine
Methode der Biustmilchentnahme zum Zwecke der Bestimmung
der vom Säuglinge täglich aufgenommenen Fettmengen — eine
Methode, die darin besteht, innerhalb 24 Stunden vor und nach
jedem Anlegen des Kindes genau die gleiche Menge Milch durch
Saugen zu entnehmen und zusammenzumischen — den Vorwurf,
dass eine Voraussetzung von ausschlaggebender Bedeutung für
die Richtigkeit des genannten Entnahmemodus nicht durchgängig
zutreffe, die Voraussetzung nämlich, dass bei fortschreitender
Entleerung der Brustdrüse ein geradliniges Ansteigen der Fett-
W. Freunds zu meiner Arbeit: Über den Fettgehalt etc. 903
konzentration stattfände. Diese Behauptung sucht Freund durch
entsprechende Untersuchungen über die Steigerung des Fett-
gehaltes bei 4 Ammen und zwar bei 9 Einzelmahlzeiten zu stützen.
Die Resultate dieser Fettbestimmungen stellt er in 9 Diagrammen
graphisch dar.
Sieht man sich nun diese Kurven näher an, so muss man
sich wundern, dass Freund sie dazu benutzen konnte, durch sie
«inen Beweis gegen die Brauchbarkeit meines Milchentnahme-
veiiahrens erbringen zu wollen. Sprechen doch 6 (Amme H. 2 mal,
Amme K. 2 mal, Amme P. und Seh. bei der jedesmaligen ersten
Untersuchung) von den vorgeführten 9 Kurven, d. h. zwei Drittel
^er Fälle, geradezu für die Richtigkeit der Annahme von dem
regelmässigen Ansteigen der Fettkonzentration, eine sogar (Amme
H., erste Untersuchung) in idealer Weise. Denn die Abweichungen
-der schwarzen Linie von der die idealen Verhältnisse darstellenden
punktierten Linie sind so geringfügig, dass sie meistens kaum oder
nur wenig über die Grenzen der unvermeidlichen Fehlerquellen
hinausgehen. Worauf es in den 3 übrigen Fällen beruht (übrigens
selbst hier ist bei der zweiten Untersuchung der Milch der Amme P.
zuerst ein absolut geradliniges Ansteigen des Fettgehaltes zu be-
obachten), dass der Fettgehalt gegen Ende der Brustdrüsensekretion
wieder abnimmt, vermag ich natürlich nicht zu entscheiden.
Übrigens wäre es doch von grosser Bedeutung, wie Freund seine
Milchproben gewonnen hat; er teilt uns leider nicht mit, ob er die
Proben durch Saugen oder etwa auch durch Drücken, wie Gregor,
«rhalten hat.
Man ersieht daraus, dass es jedenfalls erst noch weiterer
einschlägiger Untersuchungen bedarf, um mit Recht die Annahme
von dem gleichmässigen Ansteigen der Fett konzentration während
der Entleerung der Brustdrüse als hinfällig zu bezeichnen. Ich
selbst hatte mir bereits auch ohne die Anregung Freunds vor-
genommen, sobald sich mir die Gelegenheit bietet, diesbezügliche
Untersuchungen an einem möglichst grossen Materiale anzustellen.
Völlig unverständlich erscheint es mir, dass Freund trotz
dieser wenig beweisenden Diagramme zu dem Schlüsse gelangen
konnte, dem Gregorschen Entnahmemodus den Vorzug vor dem
meinigen zu geben. Ich glaube die Mängel des Gregorschen
Verfahrens hinreichend in meiner Arbeit klargelegt zu haben:
1. Es ist unphysiologisch wegen der häufigen Alteration von
Mutter und Kind;
904 R e 7 h e r , Erwiderung auf die vorsteheDdeD Bemerkungen etc.
2. es ist unphysiologisch infolge der Entnahme der Stich-
proben durch Drücken und Quetschen (während ich die Milch
unter Anpassung an natürliche Verhältnisse durch Saugen ge-
wonnen habe);
3. es gibt vor allem unbedingt erheblich von den wirklichen
Verhältnissen abweichende Resultate.
Zum Beweise der letzteren Behauptung kann ich mich mit
Rücksicht auf die ausführlichen Darlegungen in meiner Arbeit
kurz fassen. Selbst wenn wirklich, was aber, wie bereits gesagt^
noch nicht bewiesen ist, der Fettgehalt nicht in einer geraden
Linie ansteigen sollte, sondern in einer etwas unregelmässigen
Linie, so sind damit die zahlreichen Fehlerquellen des Gregorschen
Modus durchaus nicht aus der Welt geschafft, sondern es besteht
auch dann noch dasselbe zu Recht, was ich in meiner Arbeit als
Hauptfehler des Gregorschen Verfahrens bezeichnet habe, das»
nämlich bei Entnahme der Milch „in möglichst gleichen Inter-
vallen" hauptsächlich die höheren Fettwerte gegen Ende der
Sekretion zur Geltung kommen und ein ganz unsicheres Ergebnis
herbeiführen werden.
Literaturbericht.
Zusammengestellt von Dr. B. SALGE,
Assistent an der UniversItäU-Klnderkliulk In Berlin.
I. Allgemeines» Anatomie mnd Physiologie. Allgemeine Pathologie
and Therapie.
Rohe oder gekochte Milch, Von H. ßrüning. Münchener medizin. Wochenschr.
21. II. 1905.
Von 4 Hunden desselben Wnrfes hat der Autor zwei mit der Milch
ihrer Mutter, eines mit roher, eines mit gekochter Kuhmilch ernährt. Nach
30 Tagen waren die mit Muttermilch ernährten Tiere tadellos gediehen,
das mit gekochter Kuhmilch aufgezogene zeigte mit Ausnahme einer deut-
lichen Auftreibung der Rippenknorpel fast normales Verhalten, der mit roher
Kuhmilch ernährte Hund hingegen bot einen erbärmlichen £ntwicklung8- und
Ernährungszustand. Sein Gewicht war auffallend zurückgeblieben, ausser-
ordentlich starke, mit den rachitischen sehr ähnliche Knochenveränderungen
waren nachweisbar. Die Tuberkulinreaktion fiel bei sämtlichen Tieren
negativ ans.
Es ist bedauerlich, wenn ein einzelner solcher Versuch, dessen Ausfall
der Autor in einen ursächlichen Zusammenhang mit der Art der Ernährung
zu bringen geneigt ist, publiziert wird und dadurch eine Bedeutung erhält,
die ihm nicht zukommt, nicht zukommen kann. Sieht man selbst yom Postulat
einer grossen Versuchsreihe ab, so hätte zumindest das Ergebnis der Obduktion
in diesem Artikel bereits Platz finden müssen. Die schwere überstandene
Nephritis könnte den schlechten Zustand des Tieres wohl erklären; oder
will Brfining auch diese darch rohe artfremde Milch bedingt auffassen?
Ist 68 da nicht plausibler, an eine Infektion zu denken? Der Erforschung der
schwierigen Frage der künstlichen Ernährung wird wahrlich nicht gedient,
wean von derselben Stelle auf Grund einer nicht einwandfreien Methodik
und Versuchsanordnung bald der rohen, bald der gekochten, artfremden Milch
das Wort geredet wird. L. Langstein.
Viertes Sammeirejerat über die Arbeiten aus der Milchchemie. Von
R. W. Randnitz. Monatsschrift f. Kinderheilkunde, Not. 1904. Bd. III,
p. 295.
Wertvolle Übersicht. Schleissner.
806 LiteraturberJcht.
NecessiU de l'analyse chimique du lait des naurisses. Von Guintrier und
Girand. Reyae mens, des maladies de l'enfance. Avril 1905. p. 161.
Die Verfasser halten die f&r „coupables", die eine chemische
Fraaenmilchanalyse yerabsäumen. Sie glauben, dies Postulat durch einige
Beobachtongen begründen zu können. Hier sei kurz eine derselben (die
einzige, die sie einigermassen aasführlich angeben) wiedergegeben. Ein
dreimonatlicher, 5,5 kg schwerer S&ngling in gutem Zustande, bisweilen Er-
brechen ohne ernstere Erkrankungen des Verdauungsapparates, nimmt nur
noch 50—75 g die Woche zu. Die Analyse der Ammenmilch ergab, dass
hauptsächlich der Fettgehalt ausserordentlich herabgesetzt war (im Liter 7,9 g
gegen 39 g mittleren Fettgehaltes). Das mikroskopische Verhalten der Milch
zeigte die Gegenwart einiger Leukocyten. Die Milch wnrde also von den
Verfassern für minderwertig gehalten (petit lait) und das Kind einer andern
Amme nach Prüfung ihrer Milch anvertraut. Weiter beschreiben die Autoren
eine Reihe von Erkrankungsformen der diarrhee graisseuse (Fettdiarrhoe).
Auf Grund mehrfacher Analysen der Frauenmilch und Beobachtungen an
S&uglingen glauben sie, dass der hohe Fettgehalt der Milch die Ursache
dieser Erkrankung bildet. Die meisten beobachteten Säuglinge nahmen ab«
einige blieben im Gewicht stehen. Die Diarrhoe konnte nicht durch ge-
wöhnliche Medikationen zum Stehen gebracht werden. Der Fettgehalt der
untersuchten Milch schwankte zwischen 54 und 61,8 g im Liter. In derartigen
Fällen ist nach ihrer Auffassung die Krankheit durch eine Änderung im
Ernährungsregime leicht v,m heilen. Sie sagen, wenn es auch unangenehm
ist, den Säugling einer Nahrung zu berauben, die nur den einen Fehler hat
„d'etre trop bon^, mnss man doch entweder den Rat geben, jedesmal nur
aus einer Brust trinken zu lassen, oder einen Wechsel der Amme eintreten
lassen oder endlich in ärmeren Klassen eine Beinahrung guter, entrahmter
Kuhmilch geben. Die Entrahmung wird so bewerkstelligt, dass man die
Milch eine halbe Stunde lang nahe der Kochteniperatur erhitzt, dann die
Haut, die die Milch bedeckt, entfernt. Sie schliessen mit einer enthusiastischen
Empfehlung der Analyse der Frauenmilch.
Ref. kann, angesichts dieser Forderung, schwerwiegende Bedenken
nicht unterdrücken. Leider haben die Autoren keine ausführliche Kranken-
geschichte angeführt, sodass wir über den Zustand der Säuglinge nicht ge-
nügend orientiert sind. Die Nahrungsmengen und die Zahl der dargereichten
Nahrungen sind nirgends yerzeichnet, sodass es sich auch um einfache
quantitative Überernährung in allen Fällen handeln kann. Die als Hauptstütze
herangezogenen Milchanalysen könneil nach der Meinung des Ref. keinen
Beweis für die angeblieh enorme Fettvermehrung bilden. Bekanntlich
schwankt der Fettgehalt der Frauenmilch sehr erheblich, je nachdem die
Milch vor oder nach dem Anlegen der Drüse entnommen ist (nach Reyhers
neuesten Untersuchungen betrug z. B. einmal der Fettgehalt vor dem An-
legen 0,94, nach dem Anlegen 6 p. ct.)* Wann die Entnahme der yon den
französischen Autoren untersuchten Milch stattgefunden hat, ist nicht bemerkt,
vielleicht ist der so geringe Fettgehalt der ersten untersuchten Milch so zu
erklären. Untersuchungen über den Fettgehalt der Fäces wurden nicht an-
gestellt. Ref. kann sIcIl nach alledem ganz und gar nicht der Forderung
der Verf. anschliessen; wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass Fett-
•diarrhoen bei Brnstkindern vorkommen, so kann einem Praktiker doch
I. Allgemeines. Anatomie und Physiologie etc. 907
nicht zugemutet werden, in jedem Falle die langwierige Analyse vorzanehmen.
Bei den wechselnden physiologischen Verhältnissen müssen wir uns mit einer
Untersuchung der Amme, ihrer Brust und ihres Kindes begnügen und die
komplizierten analytischen Methoden für zwecklos halten, zumal ein grösserer
Fettgehalt der Frauenmilch in den seltensten F&llen eine Erkrankung des
S&uglings verursachen dürfte. Ludwig F. Meyer.
Ober den Binfluss der Cklarojarmnarkast duranU pariU auf das Kind, Von
G. A. van den Berg. Inauguraldissertation. Utrecht 1904.
Gleich nach der Geburt wurde der Nabelstrang in einer Entfernung
von etwa 4 om vom Bauch des Kindes abgebunden und eine zweite Ligatur
dicht vor der Vulva der Frau angelegt. Dieses Stück, gefüllt mit rein
fötalem Blute, wurde baldmöglichst auf die Anwesenheit von Chloroform
geprüft.
Das Chloroform wurde durch Durchleitung von Wasserdampf ab-
destilliert. In dem Destillate bildete sich durch Einwirkung von Wasser-
stoff in Statu nascendi (aus H| SO4 und Zn) HCL
Eine Silbernitrallösang ruft weiter eine Opaleszenz hervor und beweist
die Anwesenheit von Gl. Da alle Reageotien zuvor auf die Anwesenheit von
Ol geprüft worden waren, konnte das Cl nur vom Chloroform abstammen.
Meistens hat Verf. das AgCi auch quantitativ bestimmt.
In 17 von ihm untersuchten Fällen war nach der Narkose der Matter
konstant im Blute des Fötus Chloroform nachzuweisen, auch da, wo die
Narkose nur von kurzer Dauer und das verwendete Quantum Chloroform
gering war.
Verf. rät entschieden ab von der sogenannten Narcose a la reiue,
das heisst bei normaler Geburt Erstens weiss man aus seinen Versuchen,
dass Chloroform konstant ins kindliche Blut übergeht; zweitens ist man nn-
sicher darüber, in welchem Grade dies für das Kind schon direkt schädlich
st, da Kinder sehr empfindlich sind für Narcrotica und man im voraus nicht
weiss, wieviel Chloroform übergeht (in den Fällen, wo die grösste Quantität
Chloroform im Blute gefunden wurde, war der Zustand des Kindes bei der
Geburt am schlimmsten); drittens besteht die Möglichkeit, dass die zarton
Gewebe des jungen Kindes dauernd durch das Chloroform geschädigt werden.
Cornelia de Lange- Amsterdam.
Zur Leistungsfähigkeit der weiilichen Brustdrüse, Von 0. Rommel. Münch.
med. Wochenschr. No. 10. 1905.
Enthält die Erfahrungen des Münchener Säuglingsheims. Die höchste
beobachtete Ammenleistung war 4125 g Milch in 24 Standen bei gleich»
zeitigem Anlegen von 4—5 Kindei'n. Die Wichtigkeit eines rationellen
Brustregimes illustrieren die mehrfachen Beobachtungen, dass die Ammen
auswärts bis auf 100 g ihre Milchmengen verloren, die in der Anstalt sehr
bald wieder auf ihre Höchstmasse stiegen. Dem Laktagol wird, wie wohl
allgemein, nur Suggestions Wirkung zugeschrieben; sehr gute Erfolge bewirkte
aber die von Mensuiga empfohlene Massage der Brüste. Die Arbeit ent-
hält noch mancherlei lesenswerte Einzelheiten. Miscli.
Jahrbach für KinderheUkonde. N. F. LXI. Heft 6. 59
908 Literaturbericht.
-Retour de la secretUm iactee apres un sevrage proUmge, Von Qaiosac. 1904.
These de Paris. 1904. Arcb. de med. g6ner. 1904. 41.
Seit Trousseau ist die MeinoDg, dass, wenn eine Frau schon einige
Zeit abgestillt hat, ein Wiedereintritt der Funktion der Brustdrüse unmöglich
sei, als irrig erkannt. Verfasser bringt nun einige neue Belege dafür, dass
es gelungen ist, nach vielen Wochen und selbst Monaten nach dem Abstillen
die Milchsekretiou wieder in Gang zu bringen. Das Abstillen wird oft aas
irgendwelchen Gründen plötzlich nötig, es ist deshalb praktisch sehr wichtii;,
dass nach Beseitigung derselben es selbst nach 5 Monaten noch möglich sein
kann, die Druse wieder funktionsfähig zu machen und zwar durch konse-
quentes Saugenlassen an der Warze. Würtz-Strassburg.
Über speaifische AnükörperbÜdung nach Biweissfütterung. Von Herbert
L. Celler und Franz Hamburger. Wiener klin. Wochenschr.
No. U, 1905.
Die Verf. fassen ihre Untersuchungsrcsultate selbst in folgende Schlüsse,
Auch nach Blutfutterung, weun diese auf natürlichem Wege erfolgt,
ist (bei Ratten) nie eine Bildung von Hämolysinen nachweisbar. Tritt nach
einer Sonderfütternng artfremdes Blnt auch nur ein einziges Mal unverändert
in den Kreislauf ein, -so genügt dies, um Antikörperbildung bervorznrafen.
Bei freiwilliger Nahrungsaufnahme oder bei Sondenfütterung mit artfremdem
Eiweiss unter Zusatz von Milch kommt es nicht zur Resorption von unver-
ändertem Eiweiss und deswegen auch nicht zur reaktiven Antikörperbildung.
Neurath.
Ein Beitrag sur Lehre van der Vererbung erworbener Bigenschaften. Von
Georg Lomer. Neurol. Centralbl. No. 6, 1901.
Ein Mann fiel 10 m hoch auf den Kopf, erlitt eine Stirnverletzung,
hernach an der betroffenen Stelle Weissfärbung der Haare. Er heiratete
später eine gesunde Frau, hatte 7 Kinder, von denen 5 lebten. Die drei ältesten
haben an derselben Stelle wie der Vater ein Büschel weisser Haare; eins
davon ist auch taubstumm. Eine dieser Töchter liat 9 Kinder, von denen
drei taubstumm, eins schwerhörig ist; ausserdem hat eine Reihe dieser
Kinder ein Büschel weisser Haare an der oben erwähnten Stelle. Zwei
Kinder boten auch weisse Partieen der Haut dar. Diese durch drei Gene-
rationen zu konstatierende Pigmentanomaliön sind gewiss interessant. Das
Wesentliche aber, die Zurückführung der Haarveränderang beim Grossvater
auf das erlittene Trauma, erscheint dem Ref. keineswegs so „ziemlich einwands-
frei*, wie dem Verf. : Zappert.
Über BasUieneinatmung, M. Sänger. Virchows Archiv Bd. 179. 2.
Verfasser kritisiert die Hypothese, dass eine bakterielle Invasion der
Lunge in der Regel auf dem Luftwege zustande kommt. Er bringt dazu
eine Reihe wertvoller physikalischer und physiologis<iher Betrachtungen, die
wert sind, im Original nachgelesen zu werden. Die Zahl der beim Labo-
ratoriumsversnche wirklich in die Lungen inhalierten Bazillen ist im Ver-
hältnis zu den überhaupt aspirierten, aber an den oberen Wandungen haften
gebliebenen unendlich gering. Dagegen vermögen durch Einatmung oder
sonstwie in die Mundrachenhöhle gelangte Bakterien recht gut mit dem
Lymphstrome in genügender Menge in die Lunge einzuwandern, um eine
I. Allgememes. Anatomie und Physiologie eto. 909
Erkrankang derselben herbeizuführen. Das Bakterinm, das sofort in die
tiefem Teile der Lunge eindringt, wird eine ungeschw&chte schädigende
Wirksamkeit besitzen, auf dem Ljmphwege jedoch ist es zunächst der feind-
lichen Wirkung der Körpersäfte unterworfen. Spiegelberg.
Ü6er die Keimdichte der normalen Schleimhaut des IniestinalirahHis,
Über die Aufnahme von Bakterien durch den RespiraHonsapparat, Von M.
Ficker. Arch. f. Hyg. Bd. 52, Heft 2, und Bd. 53, Heft 1.
Verf. bediente sich bei seinen Untersuchungen saprophytischer Keime.
Bei erwachsenen Tieren kam er nicht zu Töllig eindeutigen Ergebnissen, bei
säugenden Tieren, Kaninchen, Hunden und Katzen, gelang es ihm aber, die
per 08 verabreichten Keime innerhalb der Verdanungszeit in Organen oder
im Blut nachzuweisen. Wahrscheinlich können in gleicher Weise auch
pathogene Keime durch die Darmschleimhaut in Organe gelangen, auch kann
man nach der Meinung des Verf. die am Tier gewonnenen Resultat« auf den
jugendlichen Menschen übertragen.
In gleicher Welpe untersuchte der Verf. den infantilen Respirations-
upparat bei Kaninchen. Bei allen säugenden Tieren fand Verf. die durch
einen JSpray cugeführten Saprophyten im Blut, mitunter auch in der Leber.
Um den Pharynx als Eingangspforte auszuschalten, wurden die l'iere tracheo-
tomiert und die Keime von der Trachealkanüle aus inhaliert. Wenn maii
auf Grund dieser positiven Ergebnisse die Frage zu beleuchten sucht, ob
Inhalations- oder Futterungstuberkulose wahrscheinlicher sei, so muss man
bedenken, dass auch beim Atmen und Schreien des Individuum -losgelöste
Keime verschluckt Averden können und in gleicher Weise - im Munde los*
gelöste Keime in die Luftwege gelangen können. Verf. ist daher der An-"
sieht, dass man einen vermittelnden Standpunkt für die Beurteilung der
Entstehung der Tuberkulose einnehmen muss.
Beuthner- Charlottenburg..
Funktionsstörungen der Nebenniere bei Allgemeinerkrankungen, Intoxikationen
und Infektionen. Von Franz Luksch. Wiener klinische Wochenschr.
No. 14. 1905.
Die Untersuchungen sollten die Frage lösen, inwieweit vorübergehende
oder andauernde Zirkulationsstörungen, Pieber, Hunger, Blutzerfall, In-
toxikation und Infektion die Nebennieren in ihrer Funktion schädigen. Als
llaassstab für die Funktionsiüchtigkeit der Nebennieren diente der Blutdruck.
Je eine gewogene Nebenniere wurde zerrieben, mit physiologischer Kochsalz-
lösung im Verhältnis Yon 0,1 auf 10 versetzt, das Gemenge dann im Eis-
schrank aufbewahrt, im Bedarfsfall filtriert und dem mit dem Kymographion
yerbundenen Kaninchen intravenös injiziert.
Durch Durchschneidung des Kücken marks herbeigeführte Blutdruck-
senkung, Hunger, Abbindung der Nebennierenvene vermochten keine Herab-
setzung der blntdrucksteigernden Nebennierenfunktion zu veranlassen. Auch
eine künstliche Erhöhung der Aussen temperatar des Tieres, Temperatur-
erhöhung durch Stich in den StreifenhQgel oder durch chemische Mittel
<Tetrahydro-ß-Naphtylamin) blieben wirkungslos. Blutkörperchenzerstörende
•Mittel, protrahierte HCl- Vergiftung, wiederholte Solanindosen verhinderten
die Blutdrucksteigerung ebenfalls nicht.
59*
910 Literatarbericbt.
VonlntoxikatioDen erwiesen sich AtropiD, das ja herTorrageDd sekretions*
hemmend wirken soll, und Pilokarpin ohne Einfluss auf die blutdrack-
steigernde Nebennierenfanktion. Hingegen zeigten Yersnohe mit Phosphor
und urämischem Gift (Unterbindung der beiderseitigen Nierengefässe) einen
tiefgreifenden, schädigenden Einfluss auf die Nebennieren. Versnche mit
Dipbtherietoxin ergaben, dass dieses im Sinne der Angaben französischer
Autoren die Nebennieren derartig angreift, dass dieselben ihre blatdrnck-
steigernde Wirkong ganz oder zum grössten Teil einbüssen. Eine Anzahl
von Bakterien (Coli, Staphjlococcus aureus) rufen nach ihrer Fortentwicklung
im tierischen Körper (durch Toxinbildung) eine Nebennierensch&digung hervor.
Auf diesen die Nebennieren schädigenden Einfluss der Toxine wird
man in der Pathologie vieler Krankheiten Rücksicht zu nehmen haben. So
könnte mancher Diphtherietodesfall auf Nebennierennekrose, Fanktionsansfaü
des Organes beruhen. Seine Resultate der Versuche mit menschlichen Neben-
nieren hält Verf. für noch nicht vollständig spruchreif. Neorath.
9 Fälle von Airesie der Pulmonalis, Von KoUer-Aoby. Deutsches Arch.
f. klin. Med. Bd. 82. 8 u. 4.
Von zwei Fällen angeborener Blaasncht trat der erste erst gegen Ende
des zweiten Lebensjahres in Erscheinung, die klinische Untersnehung Hess
ein systolisches Geräusch nnd Schwirren erkennen, und das Kind starb 4 Jahre
alt — das zweite Kind starb 4 Monate alt, ohne weitere Symptome gezeigt
zu haben. Im ersten Falle war die verschlossene Palmonalarterie durch die
Bronchialarterien ersetzt, und zwischen beiden Hessen sich in der Longe
grosse Anastomosen nachweisen; im andern Falle geschah das gewöhn-
lichere, die Blutzufuhr zur Lunge durch den Ductus BotaUi aus der Aorta.
Verfasser stellt interessante Betrachtungen an über den verschiedenen
0-Gehalt der in dem entstehenden Mischblute enthaltenen Blutkörperchen
auf ihren verschiedenen Wegen; ähnliche über Gasvolomen und Gasspvinung,
über die nervösen Vorgänge bei der Dyspnoe und endlich über die Parallel-
schaltung der Blutbahnen, die ans dem gleichen Rohre entspringen, während
sonst beide Kreisläufe hintereinander geschaltet sind.
Spiegclberg.
Angeborene Hyperplasie der einen Lunge bei gleichzeiäger rudimentärer Bildung
der anderen. Von v. Graff. Münch. med. Wochenschr. No. 13. 1905.
Das Primäre war die Exzessbildung der linken Lunge. Beobachtung
an einem zwei Tage alten, nicht ausgetragenen Kinde. Misch.
Angeborene hochgradige Erweiterung des Dünndarms ohne Stenose, Von T o r k e I. *
Deutsche med. Wochenschr. No. 9. 1905.
Der Fall betrifft ein zwei Tage altes Kind, das plötzlich unter lleas-
erscheinungen erkrankte und am gleichen Tage starb. Es handelte sich um
eine angeborene zylindrische Erweiterung eines Jejanumabschnittes bei
Mangel jeglichen Hindernisses in den weiter abwärts gelegenen Teilen und
Fehlen von Anomal ion im Bau der dilatierten Partie. Der Tod war durch
mehrfache Abknickang des erweiterten Darmabschnittes herbeigeführt worden.
Misch.
I. Allgemeines. Anatomie und Physiologie etc. 911
Über Störung der FettresarpHan und ihre Beziehung sur Ausscheidung von
Kalh, Magnesia und Ammoniah, Von W. Schlesinger. Zeitschr. f. klin.
Med. Bd. 55.
Verfasser zeigt, wie die Lehre von der Acidose ihren Aasgang yom
Stoffwechsel schwerer Diabetiker genommen and schliesslich in das gegen-
wärtige breitere Fahrwasser gelangt ist. Schlesinger hatte anter Anderen
seiner Zeit gefanden, dass bei Alkalidarreichang Kalk- and Magnesiagehalt
der Fäces gleichlaufend mit yermehrter Seifenaasscheidnng zanehmen. Neuer-
dings hat er au Hunden Versuche mU partieller Pankreasezstirpation (daneben
bei nicht einwandsfreien Tieren mit Durchscbneidong des Ductus choledochus)
gemacht, deren Methodik im Original zu ersehen ist. Die Fettaussutzung war
bei diesen Hnnden schlecht; die absolute Seifenausscheidung war schan
bei fettarmer Kost gross, um so grösser, je mehr Fett verabreicht wurde;
für die relative Ausscheidung war dies Verhältnis nicht gleichlaufend und
ging je nachdem in Umkehrung &ber. Die Kalk- und Magnesia-Ausscheidung
durch den Harn war ganz ausserordentlich herabgesetzt, bei Fettzulage
sinken die absoluten Zahlen der Kalkaasscheidung bedeutend. Die Erklärung
sieht Schi, in der vermehrten Ausscheidung von Kalk in den Dickdarm
aus dem Blute, das dort mit alkalischem Darminhalt in Berührung tritt und
eine Umsetzung der Ca- Verbindungen erlebt, bei welcher es Alkaliphosphat
zur Abscheidung im Harne mitnimmt, unlösliche Kalkseifen und basisch
phosphorsauren Kalk in den Darm abscheiden lässt; entsprechend hat Verf.
die beträchtliche Steigerung der Phosphorsäure im Harne gefunden; bei den
Mg- Werten ist die Sache nicht so ausgesprochen und wechselnd.
Die Vermehrung der Ammoniakausscheidung im Harne entspricht
der Verminderung der Kalkausscheidung (und Vermehrung der Seifen im
Stuhle) schon bei fettarmer Fütterung; relativ ist die Vermehrung nicht be-
deutend bei den Tieren, wohl aber absolut. Vermehrte Fettsänrenienge der
Fäces fuhrt infolge gestörter Fettresorption auf dem Umwege der Bildung
von Kalkseifen zu Alkalienmangel mit kompensierender Ammoniakausscheidung
und Magnesiaretention.
Dass auch die Ammoniakvermehrang im Harn magendarmkranker Säug-
linge zum Teil auf Störung der Fettresorption zu beziehen ist, ist wahr-
scheinlich. Weil die Verdauungsorgane des Säuglings zur Aufnuhme von
Fett wenig geeignet seien und dadurch Gelegenheit zu reichlicher Seifen-
bildong gegeben, muss nach des Verfassers Anschauung der Säugling auch
in der Norm viel Ammoniak ausscheiden: doch müsste diese „StöruDg** erst
nachgewiesen werden.
Die absolute Ausscheidungsgrösse ist maassgebend, nicht die prozentuale,
an der Keller und Nachfolger fälschlich gemessen. Gilt dies für die Seifen
im Stuhl, so genügt andererseits die Änderung des AusscheidangsverhältnisscR
von Kalk and Magnesia im Harne und Stuhl zur Erklärung eines Alkali-
defizits, ohne dass die gesamte Ca-Ausscheidnng verringert sein muss. Im
übrigen vermag vermehrte Peristaltik (Stuhlzahl, anch wenn kein diarrhoischer
Charakter) dem Organismus so reichlich alkalische Säfte zu entziehen, dass
dies allein zu einem Alkalidefizit führt.
Spiegelberg.
912 Literaturbericht.
IL Krankheltea der Neagoborenen«
Sur une cause de vomissement du tumveau-ne. Vomissemeut par tUrophagie.
Von M. L. GuiooD. Rey. mens, des malades de Tenfance. XXII.
Dez. 1904.
Verf. berichtet über einen Fall yon habituellem Erbrechen, das offen-
bar auf Lnftschlucken beruhte. Beim Trinken fasste das Kind die firast-
Warze so, dass noch ein Spalt des Mundes offen blieb. Bei jeder Saug-
bewegnng warde auch eine Inspiration gemacht. Die Nasenlöcher waren
jedesmal dabei zusammengefallen, ohne dass ein blindemis in der Nase oder
im Nasenrachenraum festzustellen war. Durch Magenspülungen, kleine Mahl-
zeiten und durch die spontane allmähliche Besserung der Nasenatmung
hauptsächlich trat Genesung ein; und das Kind, das bis dahin im Gewicht
stehen geblieben war, begann zuzunehmen. L. Ball in.
IIL SAafirlingsera&liransr, Magonkrankb^ton der SAugUngo.
Sommersäughngssierblichkeit. Von L. G. Ager. Medical News. 1905. I. 5.
Statistische Arbeit, welche im wesentlichen die Besserung der Ver-
hältnisse in den in Rede stehenden amerikanischen Bezirken von 81 — 98 und
einen Stillstand dieser Verbesserung seit 1898 erweist, im übrigen bekannte
Missstände und ihre Abhilfen bespricht. Spiegelberg.
Essai de iraitenunt des gasiroenierUis aigues du nourrisson par les injections
sous cutanees de sang matemel ou paiemeL Von Lesage. Arch. gener.
de medic. 1904. 39.
Wenn die Wasserdiät nach 24 Stunden nichts genützt hat, spritzt
Verf. 4 ccm mütterliches oder yäterüches Blutserum unter die Haut des
Kindes. Dieses wird durch Anlegen eines blutigen Schröpf kopfes gewonnen.
Nachteilige Folgen sind nie beobachtet, vielmehr meist ein schnelles
Zurückgehen der Intoxikationserscheinungen, so dass eine Wiederholung un-
nötig war. Die intestinalen Symptome wichen erst nach 2^3 Tagen. Weil
gerade die Intoxikation im Fortschreiten gehemmt wird, nimmt Verf. an, dass
sich im Blut des Erwachsenen durch ein früheres Überstehen der Krankheit
die nötigen Antikörper yorfinden. Würtz-Strassburg.
TVaUemeut de la gasiroenierite par ie laU ecreme addifie. Von H. de Roth-
schild. Rev. d'hyg. et de med.-inf. 1905. No 5.
Bericht über die Erfolge yon Darreichung einer Nahrung folgender
Herstellung. Milch wird mit der Zentrifuge entsahnt, dann mit Reinkulluren
yon Bac. lact. besät, pasteurisiert in dem Augenblick, wo die Titrieruog
2,5 pCt. Milchsäure ergibt (Moment der Gewinnung). Dazu kommen 10 pGt
Rohrzucker. Mit der Nahrung wurden yon Juli bis Oktober 1903 12 schwere
Fälle von Darmkatarrh behandelt mit profuser Diarrhoe, Erbrechen, rapider
Abmagerung und hohem Fieber. Es wurden 12 Heilungen erzielt, und nach
den angegebenen Kurven sind die Erfolge allerdings erstaunlich, am so mehr
als die Nahrung schon in der Zeit der schwersten Erkrankung gereicht
wurde. Im Minimum wurde als Einzelmahlzeit 80 g gegeben, eyentnell mit
dem Löffel. Auch bei sonst absoluter Intoleranz yon Seiten des Magens »oU
die Nahrung behalten worden sein. Jap ha.
IV. Akute Infektiooftkrankheiteo. 918
Forme frusfe kemaiurigne de la malaäie de, Barlow. Von Eugene Vetteri.
Arch. de m^d. gen er, 1904. 40.
Bei der Barlo wachen Krankheit erfolgen die Blatungen meist unter
dem Periost, sie köDDeo aber auch die Organe treffen, sich z. B. in den
Harn wegen lokalisieren. Die seltene Kasuistik wird durch folgend'en Fal4
bereichert: Ein gut entwickelter 8 monatlicher Säugling, der seit 4 Monateo
MaUsuppe trinkt, zeigte schon etwa 8 Wochen schlechtes Befinden und
blutigen Urin. Ausser Graniotabes keine Abnormität. Wegen des Verdachts
auf Barlow wird, nachdem zunächst nur einmal aufgekochte Milch ^ ohne
Erfolg gegeben war, zur Ernährung mit nur roher Milch übergegangen, eine
Therapie, die nach 8 Tagen zur yölligen Heilung fuhrt. Dieser therapeutische
Erfolg bestärkt den Verf. in seiner Diagnose. Charakteristisch für diese
Form Ton Barlow sollen sein die grosse Blässe und Müdigkeit, dabei fehlt
das Fieber fast immer. Pathologisch-anatomisch handelt es sich immer um
eine wahre Hämaturie ohne Nierenreizung. Mikroskopisch enthalten der
fleischfarbige Urin rote Blutkörperchen, nur wenig Leukozyten und nur ganz
selten hyaline Zylinder. Wurtz-Strassburg.
IV. Akute InfektlonskrankhelteD.
Recherches sur raggluHnaiUm du streptocoque da$ts la scarlaHne, Von MM.
De tot und Boargarts. KcTue mens, des maladies de l'enfance.
XXVI. F6vrier-Mars 1905.
Die Verfasser haben die Angaben über die Agglutination des Scharlach-
Streptococcus nachgeprüft mit den angegebenen, wie modifizierten Methoden
und sohliessen sich auf Grund ihrer Untersuchungen Aronson, Kraus und
Low, Baginsky und Sommerfeld, Moser und Pirquet usw. an gegen-
über Van der Velde, Meyer, Hasenknopf und Salge.
Ihre Resultate werden in folgenden Sätzen zusammen gefasst: 1. Der
Scharlachstreplococcus kann von Serum yon Scharlachkranken agglutiniert
werden, aber die Reaktion ist wechselnd in der Stärke und inkonstant.
2. Auch Serum yon Gesunden und anderen Kranken kann den Scharlach-
streptococcus agglutinioren. Bei Vergleichnngen kann die Reaktion schwächer
sein als mit Scharlachsernm, sie kann aber auch gleich sein. 8. Auch bei
Anwendung verschiedener Methoden erhalten sie dieselben Resultate. 4. Bei
Untersuchung mit Streptokokken anderer Provenienz kommt man zu den
gleichen Resultaten. 5. Auf Grund ihrer Untersuchungen halten die Verf.
eine praktische Anwendung der Serodiagnostik bei Streptokokkenerkrankungen
ebenso für unmöglich, wie den Schlnss auf eine Spezifizität des Scharlach-
streptococcus. L. Ball in.
Über speBifische AggluhmiiUm von Streptokokken aus Scharlackanginen und
extrabukkalem Primäraffekt. Von Edwin Rossiwall und Bela Schick.
Wiener Klin. Wochenschr. No. 1. 1905.
Es gelang, in einem sicheren eztrab ukkalen Scharlachfall (Ausgang
von einem Abszess in inguine nach Hernienoperation) mit nach aussen ab-
geschlossenem Primäraffekt, Streptokokken in Reinkulturen nachzuweisen, die
durch Scharlachsernm Moser spezifisch hoch agglutiniert wurden; in weiteren
11 Fällen war es möglich, im regulären Primäraffekt, i. e. ScharUchangina,
914 Litentarb«richt.
neben andereD Dicht agglatinierbareD Streptokokken solche za finden, di>
▼on Schar lachseram Moser in gleicherweise spezifisch agglatiniert wnrdeo.
Baraas fol^t, dass die in den Rachenbelägen bei Scharlach nachweisbaren
Streptokokken nicht einheitlich sind, sondern Tersehiedenen, darch Agglu-
tination onterscheidbaren Gruppen angehören. Nearath.
Ober cUe Beka$tdlung des Scharlachs mit AnHstreptokohkeHserum, Von Gang-
hofner. Deatsche med. Wochenschr. No. l-l, 15. 1905.
Es wurde Aronsonsches nnd Moserscbes Serum verwendet. Von
den 15 mit Aronsonschem Serum behandelten schweren Fällen starben
ca. 50 pCt. Weder auf den Gang der Temperatur noch auf das Allgemein-
befinden und die übrigen Krankheitserscheinungen kam ein anffälüger Ein.
fluss zur Beobachtung. Doch sollen bei Verwendung grösserer Dosen zur
einmaligen Injektion (60 ccm) bessere Resultate nach Aronson erzielt
werden. Auch das Mos ersehe Serum liess keine wesentliche gunstige Be-
einflussung des Scharlachprozesses erkennen. Von den acht so behandelten
Fällen starben fänf. Miscb.
Erfahrungen über die Behandlung des Scharlachs mit Aniistreptokokhenserum,
Von Mendelsohn. Deutsche med. Wochenschr. No. 12. 1905.
Bericht über ca. 150 im K. K. F.-Kinder- Krankenhans mit Aronson-
schem Serum behandelte Fälle. Eine wesentliche Beeinflussung der eigent-
lichen Scharlachsjmptome zeigte die Behandlung nicht. Von den schweren
bezw. septischen Fällen wurden ca. 20 ohne jeden Erfolg behandelt. Keine
der häufigsten Komplikationen oder Nachkrankheiten liess sich vermeiden;
auch die selteneren kamen yor. Auch hint»ichtlich der Schwere der einzelnen
Affektionen Hess sich keine Beeinflussung feststellen. Anhangsweise werden
vier Fälle mitgeteilt, die mit Moserschem Serum — auch ohne deutliche
Wirkung — behandelt wurden. Misch.
Die ProtOBoen des Scharlachfiebers, Von G. W. Duval. Virchows Arch. 179,3.
Die Entdecknng Mallorys aus dem Jahre 1903 von protozoenähnlichen
Zellen in der Haut von Scharlachleichen und dessen Mitteilung, dass er be-
stimmte Formen in den Ljmphspalten und -gef&ssen des Corium gefunden,
veranlasste D. nach solchen Zellen im Serum zu suchen, und zwar im Serum
künstlich erzeugter Hautblasen. M. hatte eine ätiologische Beziehung der
Gebilde zum Scharlach angenommen, da er die Zellen nur bei Scharlach-
leichen finden konnte. D. fand in den 5 letzten (I Technik) von 18 Fällen
in vivo protozoenähnliche Formen, übereinstimmend mit denen Mallorj s
daneben amöboide Gestalten. Die gleichen Gebilde fanden sich bei einem
zur Sektion gekommenen Kinde von 2 Jahren in grosser Zahl in der Haut.
In Hautblasen Gesunder und in Blasen von chemisch geschädigter Baut
wurden sie nie gefunden. Eine besondere Bedeutung für die Ergebnisse hatte
die Serumgewinnung, da nur in schnell erzeugten Blasen (durch Ammoniak-
wasser), in welche weder weisse, noch rote Blutkörperchen ausgetreten sind,
reine Bilder möglich seien. Diese Technik ist ebenso wie die genaue Morpho-
logie der Protozoen gebilde im Original nachzulesen, dem hervorragend gute
mikrophotographische Abbildungen beigegeben sind. Der Verfasser spricht die
8 Formen, zwischen denen der Entwicklungszusammenhang noch nicht ge-
schlossen festgestellt ist, als Protozoen und als Ursache des Scharlach
an. Sie finden sich am besten auf der Höhe des Ausschlages, am 2. — 3. Tage.
IV. Akute InfektioBskraokheiteD. 915
Die Methode des raschen BlaeenzieheDS mit AmmoDiak gilt D« f&r die
bisher beste, nm überhaupt ein zellfreies Sernm für ähnliche Zwecke zu er-
halten. Spiegelberg.
ÜSer du Bedeuiung der KopHkschen Flecke fSr die Diagnose tmd DifferenHai-
diagnose der Masern. Von Brfining. Deutsche med. Wochenschr.
No. 10. 1905.
Gelegentlich einer grösseren Haasepidemie des Leipziger Kinderkranken
hanses wurden die Kopliks in allen F&Uen nachgewiesen; überwiegend am
letzten Tag, aber auch am fünften nnd sechsten Tag yor Ausbruch des
Exanthems. Sie verschwanden bald nnd waren bei keiner anderen differential-
diagnostiseh in Betracht kommenden Krankheit zu finden. Misch.
Miisern ohne Bxanikem, Von Salz er. Münch. med. Wochenschr. No. 8. 1905.
Während die 5 Geschwister an Masern litten, erkrankte das Vijährigc
Kind an heftiger tödlicher Bronchitis. Trotz genauester täglicher Unter-
suchung niemals eine Spur von Ausschlag. Misch.
Eiude cliniqne et experimentale snr la persisiance dn baeUle de LSffler
dans les Josses nasa/es et da$ts la cavUe bucco-pharyngee des convaleseents
de diphikerie. Von Monnier uud Gendron. Gaz. med. de Nantes.
Arch. gen er. de m^d. 1904. 89.
Untersuchungen an 7 Kindern, bei denen die Diphtheriebazillen noch
64 bezw. 140 Tage nach dem Beginn der Erkrankung viralent in der Nase
gefunden wurden. Solche Tatsachen erklären die so häufigen RezidiTC und
das reihenweise Auftreten von D. in einzelnen Familien. Praktische Folge-
rungen: So lange Kulturen aufgehen, kein Schulbesuch und während der
Rekonvaleszenz wiederholte Sernminjektionen. Wfirtz-Strassburg.
Du Resultate der prophylaktischen Impfung mit DiphtkerUheilserum im städti-
schen Mariahilf' Krankenhause zu Aiuhen. Von Wesen er. Münclu med
Wochenschr. No. 12. 1905.
Verf. kommt zu den bekannten günstigen Resultaten, die wohl all-
gemein mit der qu. Behandlung erzielt werden. Misch.
Über Schutsimpfungen mit DiphtkerUheilserum, Von Ibrahim. Deutsche
med. Wochenschr. No. 11. 1905.
Prophylaktische Heilseruminjektionen sollten in allen Familien, in
denen Diphtherie-Erkrankungen vorkommen, an den gefährdeten Geschwistern
vorgenommen werden. Als immunisierende Dosis sind mindestens 250 bis
300 Einheiten, auch bei Säuglingen, zu injizieren. Auf Diphtherie-Stationen
sind alle 3 Wochen fortlaufende Immunisierungen vorzunehmen. Seit der
Anwendung des Merckschen Heilserums wurde in der Heidelberger Kinder-
klinik kein Fall von Serumoxanthem mehr gesehen, welche Komplikation
beim Höchster Serum nicht selten war.
Nur ein einziges der zahlreichen prophylaktisch injizierten Kinder er-
krankte innerhalb der nächsten drei Wochen an Diphtherie; doch bestand
bei diesem Kinde gleichzeitig noch Scharlach und Keuchhusten.
Misch.
Über Heredilatation bei DiphikerU, Von Dietlen. Münch. med. Wochenschr.
No. 15. 1905.
Orthodiagraphische Bestimmungen der Herzgrösse. Die äusserst inter-
essanten Untersuchungen zeigen die Wichtigkeit der Radioskopie für die
916 Literaturbericht
ErkenauDg und Beurteilnng der in yokardi tischen Herzdilatationen, die sich
nicht immer durch Pulsvoranderungen äussert, und über deren absolute Grösse
die Perkussion allein nicht immer sicheren Aufschluss gibt. Von Bedeutung
ist, dass auch ganz hochgradige Dilatationen in Heilung übergehen können;
andererseits zeigen die allerdings wenigen Fälle, die Vf. nach längerer Zeit wieder
untersuchen konnte, dass sich ein Teil der Dilatationen wahrscheinlich über-
haupt nicht mehr ganz zurückbildet. »Der Anblick der hochgradig erweiterten
Herzen mit offenbar ganz dünn ausgezogener Muskulatur gibt eine eindrncks-
ToIIe Vorstellung von der Lebensgefahr, der die Patienten durch drohende
Herzlähmung ausgesetzt sind.** Misch.
Zur Klinik und Ätiologie der Angina ulcerosa nuntbranacea ( Plaui-Vinceni).
Von Majer und Schreyer. Deutsche med. Woohenschr. No. 16. 1905.
Mitteilung eines tödlich yerlaufenen Falles, der aber durch das klinische
Bild einer perniziösen Anämie kompliziert war. Der mikroskopische Befund
des Rachenbelages ergab den Bacillus fusiformis in grosser Menge, neben
zahlreichen Spirochäten. In einem Blutaasstrichpräparat fand sich ein eigen-
tümliches Gebilde, dessen Deutung als Organismus oder Verunreinigung in-
dessen aussteht. Misch.
Variola und Varisellen. Von Richard Pick. Wiener klin. Wochensehr.
No. 12. 1905.
Die Krankheiten sind Terschiedener Ätiologie, wofür eine kasuistische
Beobachtung (Erkrankung an Varizellen kurz nach erfolgreicher Vaccination)
beweisend scheint. Wie bei Variola vermindert auch bei Varizellen die
Behandlung mit rotem Licht den Juckreiz und die Gefahr des Zurück-
bleibens entstellender Narben. Nearath.
Zur Ätiologie der Varizellen. Von Franz Halbhube r. Wiener med.
Wochensehr. No. 7. 1905.
Zwei Kinder wurden kurz nach Überstehen der Varizellen mit gutem
Rrfolg geimpft. Daraus lässt sich schliessen, dass Varizellen eine yon der
Variola im Wesen vollständig verschiedene Infektionskrankheit ibt und beide
Krankheiten ätiologisch streng auseinanderzuhalten sind. Nearath.
Zur Behandlung der epidemischen Genickstarre, Von H. Lenhartz. Mnnch.
med. Wochensehr. No. 12. 1905.
Durch regelmässig und häufig wiederholte Lambalpunktionen kann
man den Krankheitsprozess günstig beeinflussen und sowohl in den ersten
Erkrankungstagen wie auch in späterer Zeit die drohende Lebensgefahr
öfter abwenden. Misch.
Beitrag zur PneumokokkenepUyphlUis, Von Emil Haim. Wiener klin.
Wochensehr. No. 4. 1905.
In zwei Fällen von Pneumokokkenperitonttis, ausgehend von einer
Epityphlitis, gelang es, schon aus dem klinischen Bild die Diagnose zu
stellen. Bei beiden Kranken (9 Jahre altes Mädchen und Ujähriger Knabe)
hatte die Krankheit unter den üblichen Zeichen einer Appendicitis begonnen»
im ersten, tödlich ausgegangenen Falle hatte sich eine fibrinös eitrige
Peritonitis entwickelt, im zweiten ein abgesackter Abszess. Es bestanden
schwere Allgemeinsymptome. Bei der Laparotomie zeigte sich ein fibrinös-
eitriges Exsudat, das Pneumokokken enthielt. Wertvolle diagnostische Anhalts-
V. Tuberkulose und Syphilis. ^^7
punkte gab in einem der Fälle das Blutbild; das native Präparat erinnerte
sehr an das der kroupösen Pneumonie (Überwiegen der poljnukleären Leuko-
zyten, Vermehrung des Fibrinnetzes). H. zieht aus seinen Beobachtungen
folgende Schlüsse: Die durch Pneumokokken hervorgerufene Epitjphlitis
ist eine ziemlieh seltene Erkrankung; sie ist ein gut charakteristisches
Krank heitsbiid, welches sich von dem der Epitjphlitis anderer Ätiologie
wohl unterscheidet. Die Diagnose ist aus den klinischen Symptomen und
insbesondere durch die Blutuntersuchung sehr leicht zu machen. Die Be-
handlung soll eine operative sein, und zwar in einem möglichst frühen
Zeitpunkte. Neurath.
Zur Kasuistik der DarmperforaiUm bei Typhus abdominaiis. Von Z. Adler.
Germekorow. 1905.
Die Darmperforation gehört zu den seltenen Komplikationen des
Typhus im Kindesalter, nach Mery soll deren Häufigkeit kaum 1,72 pCt.
betragen. Im mitgeteilten Fall entwickelte sich diese Komplikation bei
einem 11jährigen Mädchen, dessen Organismus infolge des lange bestehenden
Herzfehlers (Mitralinsufficiens) und den Typhus komplizierenden hämor-
rhagischen Diathese sehr gering widerstandsfähig war. Die prämortale
Perforation hatte eine diffuse purulente Peritonitis zur Folge. Torday.
Un cos d*arthrUe ä pneumocoque chea un nouveau-ne. Von Nattan Larrier.
Arch. g^n. de med. 1905. 9.
Das von gesunder Mutter geborene Kind hatte eine Hasenscharte, die
4 Tage nach der Geburt operiert wurde. Nach anfänglichem Wohlbefinden
am 7. Tage Eiterung an der Wunde und am 9. Tage plötzlich starke Schwellung
des rechten Schultergelenks, die am 14. Tage zum Tode führte. Die bakterio-
logische Untersuchung des entleerten Eiters ergibt fast Reinkulturen von
Pneumokokken. Würtz-Strassburg.
Massnahmen des „New York city department qf kealtk** sur Verküiung der
Ausbreitung ansteckender Krankheiten in den Schulen, Von Th.Darlington.
Medical News. 1905. I. 3.
Eine für jeden Schulhygieniker sehr lesenswerte Darstellung. Die
Fülle von Einzelheiten geschilderter Einrichtungen und statistischer Zahlen
ist für ein Referat ungeeignet. Spiegelberg.
V. Tabefkulose und Syphilis.
Über einige Fragen der infantUen Tuberkulose, Von F. v. Szontagh. (Vor-
getragen am 12. Januar 1. Jahres im Tuberkulose-Ausschuss des königl.
Ärzteyereins in Budapest.) Budapesti Orvosi Ujsäg 1905.
In der Einleitung des Vortrages werden Behrings und Kochs An-
schauungen über die Entstehung der menschlichen Tuberkulose eingehend
besprochen. Sodann wird die Frage aufgeworfen, in wie weit unsere Kennt-
nisse über die Säuglings- und Kindertuberkulose mit Behrings Hypothese
— in derem Sinne der Erwachsene seine Taberkulose im Säuglingsalter und
zwar durcli den Geouss der Milch erwerbe — in Einklang gebracht
werden können. Bei diesen Ausführungen werden bloss die im praktischen
Leben, am Krankenbette und an dem Sektionstisch gemachten Erfahrungen
vor Augen gehalten.
918 Literatarbericht.
(Im 2a illastrieren, wie die Taberkalose im S&uglingsalter yerlioft
und welche YeräDdernngen in den Organen bei SäagUngstaberkniose ge-
funden werdeD, wird ein Fall eingehend geBchildert nnd hinmchtiich aller
in Frage kommenden Punkte eingehend analysiert.
Nnn wird die Freqaenz der Tuberkalose im Sänglingsalter eingehend
besprocheo. Vortragender berichtet suerst über sein eigenes Material, richtet
jedoch nar auf die sezierten F&lle sein Angenmerk (s&mtliche Sektionen
wurden vom Prosektor des Johannes- Spital es, Primarius Dr. Carl Minich,
ausgeführt).
Auf Grund von 498 Sektionen ergab sich die Frequenz der Tuberkulose
im Säuglingsalter gleich 21,8 pCt.
Vortragender kommt zu dem Schluss, dass in seinem Material die
Tuberkulose im Sänglingsalter, sowohl die relativen als auch die absolateo
Zahlen verh<nisse betreffend, eine ziemlich hftufige Erkankung ist.
Eingehender wird nun die Statistik N&gelis geschildert, and der
Vortragende warnt davor, aus der N&gelischen Statistik allgemeingültige
Schlüsse über die Frequenz der Tuberkulose im Kindesalter zu ziehen.
Des weiteren werden eingehend die Statistiken, bexiehungs weise die
Abhandlungen derjenigen Autoren besprochen, die sich mit der Frage der
Tuberkulose im Kindesalter befassen. Unter anderem lenkt Verfasser die
Aufmerksamkeit auf eine Abhandlung Millers aus der Moskauer Findel-
anstalt, deren Daten, bei der Frage der Tuberkulose im zartesten Sänglings-
alter, stets vor Augen behalten werden müssen.
Vortragender kommt schliesslich zu folgenden Konklusionen: Die
Tuberkulose-Mortalität ist im zartesten Kindesalter die grösste; dies spricht
dafür, dass die im Säuglings- und im ersten Kindesalter erworbene Tuber-
kulose einen sehr malignen Verlauf zeigt und wenig Tendenz zum Stillstehen
oder Ausheilen bekundet. Ferner: latente Tuberkulose kommt im Kindes-
alter weniger häufig vor als beim Erwachsenen; diese Tatsache scheint auch
für die Malignität der Tuberkulose im zarten Kindesalter zu sprechen.
Ferner wird die Frage aufgeworfen, wie im Säuglings- und zartesten
Kindesalter die Tuberkulose zu verlaufen pflegt. Auf Grund seiner eigenen
Erfahrungen betont Vortragender ausdrücklich, dass für die Säuglings-
tuberkulöse ein rapider Verlauf und die Tendenz zur starken Dissemination
quasi charakteristisch seien.
Es werden die Ansichten anderer Autoren eingehend besprochen.
Vortragender glaubt aussprechen zu dürfen, dass die an der Säuglings-
tuberkulose gemachten Erfahrungen sowohl der Beringschen wie auch der
Baum garten sehen Hypothese über die Phthisiogenesis der Erwachsenen
direkt wiedersprechen. Auch ist Verfasser der Ansicht, dass die Fälle latenter
Tuberkulose im Kindesalter viel zu gering sind, um mit den im erwachsenen
Alter so oft vorkommenden Tuberknloseföllen in Proportionalität gebracht
werden zu können.
Sehr eingehend bespricht der Vortragende das Thema der Heredität.
In seinen Schlussfolgerungen schliesst er sich denjenigen Hntinels an und
erkennt unbedingt die Vererbung einer spezifischen Disposition zur Tuber-
kulose an. Bei dem Punkte der spezifischen Inklination gedenkt der Vor-
tragende auch der theoretischen Auseinandersetzungen Hamburgers. Auch
ist Vortragender der Meinung, dass die Fälle kongenitaler Tuberkulose
V. Tuberkulose und Syphilis. 919
yielleicht etwas b&ufiger Torkommeo, als dies allgemein anerkannt wird.
Trotzdem glaubt er jedoch aussprechen zu mösaen, dass in der Überwiegendon
Mehrzahl der F&lle auch der Säugling seine Tuberkulose im extrauterinen
Leben acquiriert. Vortragender hebt ausdrücklich hervor, dass bei der Frage
des Infektionsmodus stets vor Augen zu halten ist, dass bis znm 12. Lebens-
jahre die Bronchialdrüsen tuberkulöse dominiert. Der Vortragende schliesst sich
der Auffassung an, dass die Entstehung der Bronchialdrüsontuberkulose stets
auf aerogene Infektion Kurückzuführen ist, jedoch verkennt er nicht, dass bei
diesem Modus der Infektion die Verhältnisse komplizierter sind, als dies
allgemein angenommen wird. Es muss nämlich die Supposition bestehen,
dass die Lungen im Kindesalter die Bazillen der Tuberkulose einfach passieren
lassen. Es werden auch die Ansichten anderer Autoren eingehend be-
sprochen, sowie auch die Möglichkeit einer Doppelinfektion (vom Darm aus)
hervorgehoben.
Bei der Analyse seines Materiales glaubt Vortragender annehmen zu
dürfen, dass mit Bestimmtheit in 58,2 pCt. die Infektion im Woge der In-
halation erfolgte. Ausserdem ist in 18 Fällen dieser Modus der Infektion
der wahrscheinlichere, so dass sich 68,5 pCt für die Inhalationstuber-
kulose ergeben. In 62 Fällen oder in 35,2 pGt. konnte der Weg der
Infektion nicht festgestellt werden. Für diese Fälle muss die Möglichkeit
einer doppelten — aerogenen und intestinalen — Infektion zugelassen
werden. Es kann beinahe als sicher angenommen werden, dass bei 12 unter
177 Fällen (6,8 pGt.) die Infektion durch die Verdau ungsorgane erfolgte.
Primäre Intestinal-Tuberkulose wurde in keinem einzigen Falle
gefunden. Verfasser glaubt aussprechen zu dürfen, dass in der grossen
Mehrzahl der Fälle der kindlichen Tuberkulose die Bazillen durch Inhalation
in den Organismus dringen. Dieser Modus der Infektion stimmt am besten
mit den faktischen Verhältnissen und den Ergebnissen am Sektionstische.
Die Möglichkeit einer Fütterungstuberkulose kann nicht geleugnet werden,
doch ist ihr Vorkommen verhältnismässig selten; dass aber bei der Fütteruogs-
tuberkulöse die Milch die Hauptrolle spielen würde, muss noch bewiesen
werden, denn die Bazillen können auch auf andere Weise in die Mund- und
Kachenhöble gelangen. Torday.
Ein Beiirag sur Kasuistik der Säuglingsiuberkuiose, Von Klepetar. Prager
med. Wochenschr. No. 1. 1905.
Bei einem von der tnberknlösen Mutter gestillten 5^» Monate alten
Säugling stellten sich die Erscheinungen einer Lungen Infiltration ein, die
einer Pneumonie zugeschrieben wurden. Die Symptome verschlechterten
sich. Es gelang, Sputum zur Untersuchung zu bekommen und in diesem
Tuberkelbaziüen nachzuweisen; solche fanden sich auch im eitrigen Ausfluss
eines Ohres. Ad finem kam es auch zu den Erscheinungen einer Meningitis
tuberculosu und einer Intestinaltuberkulose. Der Fall drängt einige Fragen
auf: Er scheint zunächst zu beweisen, dass die Tuberkuloseinfektion im
Säuglingsalter nicht gar selten auf dem Wege des Respirationstraktus erfolgt.
Oft dürfte, wie in diesem Falle, die Lungentuberkulose eine Säuglings-
pneumonio vortäuschen. Weiter mahnt die Beobachtung, immer auf eine
eventuelle Tuberkulose der stillenden Mutter, resp. Amme zu achten, da eine
solche Erkrankung das Stillen verbietet. In einem solchen Falle wäre ein
Wechsel der Brnstnahrung dringend indiziert. Neurath.
920 Literatarbericht.
.Der Gang' der natürlichen Tuberkulose-InfekHon heim jungen Meerschweinchen,
Voo J alias Barlel und Fritz Spieler. Wiener klin. Wocbenschr.
No. 9. 1905.
Um dem natürlichen Gang der Tuberkalose-Intektion nachzugehen,
wurden im Tierexperiment dieselben Modalitäten eingehalten, die im Lebeo
für die Tuberkalosegefahr kindlicher Individuen in Betracht kommen.
Kaninchen wurden in der Behausung expektorierender Tuberknlöser gehalten,
ohne dass irgend welche spezielle Vorkehrungen für oder gegen die Über-
tragung der Krankheit getroffen wurden. Die Tiere wurden dann nach allen
Richtungen anatomisch und bakteriologisch untersucht.
Es kann nach den erzielten Resultaten nicht bezweifelt werden, dass
bei Yöllig natürlicher Infektionsgelegenheit Tuberkelbazillen mit dem Luft-
ström auch in die tieferen Respirationswege — die Lungen — gelangen
können. Allein nicht berechtigt scheint es, diesem Vorkommnis eine on-
bedingt Yorherrschende Rolle bei der Entstehung der Tuberkulose im all-
gemeinen und der Lungentuberkulose im besonderen apodiktisch beizu-
messen. Vielmehr weisen die £rß:ebnisse der Versuche, in denen die jungen
Versuchstiere denselben Infektionsgelegenheiten ausgesetzt waren« wie sie
namentlich für das Kindesalter in Betracht kommen, mit zwingender Deut-
lichkeit auf andere, wichtigere Eintrittspforten der Tuberkulose hin (Mund-
hohle, Nasenrachenraum, Darmkanal) — deren hohe Bedeutung, besonders
für das Kindesalter nachdrücklich betont werden muss. Neurath.
Sur Vadenopathie tracheo-^anchique iuberculeux des j'eunes naurissans. Von
M. J. Guinon. Revue mens, des Maladies de l'Enfance. Tome XXII.
Dezember 1904.
An der Hand von zwei Fallen versucht Verf. die Symptomatologie der
Bronchialdrüsentuberkulose beim Säuglinge festzustellen: Als erstes Zeichen
tritt eine Verändernng des Atmungsgeräusches auf, das zunächst nur für ein
nasales Schnüffeln gehalten wird, aber sehr schnell heftiger wird. £s hat
dann einen zischenden oder gurgelnden Charakter, ist hauptsächlich exspira-
torisch, kann aber auch schon am Ende der Inspiration beginnen. Durch
Unruhe und Aufregung wird das Geräusch vermehrt, während es im Schlaf
fast vollständig verschwindet. — Durch Lagerungs Wechsel wird er in seiner
Intensität beeinflusst. — Zugleich tritt eine exspiratorisch'e Dyspnoe auf wie
bei kapillärer Bronchitis. Beim Husten und Schreien treten Cyanose und
Kopfschmerzen auf. — Die Stimme ist hell, der Husten ist' pfeifend nod
wie die Exstirpation von einem Gurgeln begleitet. Es folgen immer mehrere
Hustenstösse aufeinander, doch soll der pertussisartige Charakter fehlen. —
Durch die Dyspnoe treten am Thorax periodische Formverändemngen, sternale
und epigastrische Einziehungen — und dauernde — fassförmiger Thorax wie bei
Emphysen auf.
Die Perkussion ergibt leichte Schallverkürzung über dem oberen
Sternum und im Interskapularraum, doch findet sich diese Schalldifferenz
nur wenn das Kind rahig ist und die Lungen durch die Dyspnoe nicht zu
sehr gebläht sind.
Auskultatorisch findet man abgeschwächtes vesikuläres Atmen, das
aber meistens durch die Nebengeräusche verdeckt wird, und hinten in der
Hilusgegend einen lauten pfeifenden Ton und das oben beschriebene
Gurgeln am deutlichsten.
Yl. Konstitationskraokheiten. 921
Differentialdiagnostisch sind aaszuschliessen Fremdkörper, bei denen
heftigere Dyspnoe auftritt, Larynxstenose, bei der das Gerftusch rauh and
kroupos ist, der Stridor congenitus, bei dem das Atmungsgeräusch inspiratorisch
auftritt, hell klingt, und die Dyspnoe fehlt Weiter sind noch Tbymus-
hypertrophie und kapilläre Bronchitis anszuschliessen. Der Verlauf des
Leidens ist ziemlich schnell; anfangs befinden sich die Kinder leidlich, dann
verschlechtert sich das Befinden. Die Kinder werden missgestimmt, magern
ab. Dyspnoe und Cyanose werden stärker, und schliesslich tritt der Tod
durch Erstickung ein. L. Ballin.
Beiträge sur Entstehung der akuten Miliartuberkulose. Von H. Silbergleit.
Virchows Archiv. Bd. 179. 2.
Dem Verf. dienen zum Ausgangsmaterial 11 Fälle akuter allgemeiner
Miliartuberkulose, ans Lungenvenentuberkulose entstanden, 8 solche aus
Tuberkulose anderer Venen, 5 der des Ductus thoracicus, 3 aus Herz- und
Arterientuberkulose, 9 mit unbekanntem Ausgangspunkt.
Die Lehre von Ribbert, welcher die Entstehiingsursache der akuten
allgemeiuen Miliartuberkulose in der Vermehrung in dieBIutbahn eingedrungener
Bazillen erblickt, hält S. der Weigertschen gegenüber, wonach" immer ein
grösserer bazillenhaltiger Gefässherd die unmittelbare Ursache sei. Statistisch
entscheiden seine Fälle mit 9/,o für Weigert. Die Herde entstehen
indes meist durch Ansiedlung hämatogen verschleppter Pilze, selten durch
Übergreifen von Herden aus der Nachbarschaft; häufig werden mehrere
grosse Herde gefunden.
Die Übergangsformen von der akuten zur chronischen Allgemein-
tuberkulöse und diese selbst sind streng davon zu scheiden; eine gewisse
Ausnahme macht die chronische Allgemeintuberkulose der Kinder, welche
der akuten allgemeinen Miliartuberkulose sehr gleichen kann. Die Be-
rechtigung der Trennung weist S. an einer Reihe von ausführlichen Krank-
heits- und Sektionsbildern von Kindern nach. Spiegelberg.
PseudoUukämie und Tuberkulose, Von H. Falken heim, ^eitschr. f. klin.
Medizin. Bd. 55.
Die Diagnose Pseudoleukämie bei dem 2jährigen Knaben wurde durch
die Sektion im grossen Umfange bestätigt; verbanden war damit Tuberkulose
der Drüsen und Lungen. Verf. erörtert an der Hand der Literatur die Mög-
lichkeit des Zusammenhanges beider. Spiegelberg.
YL KonstitationskrankheitiBii.
Spätrackitis, Von R. W. Marsden. Medical Journal. April 1905.
Ein 19jähriges Mädchen von gesunden Eltern. Unter den 12 Ge-
schwistern, wovon 6 am Leben, keine rachitisch. Patientin 4 Monate an der
Brust, gute Zahnentwicklung, normale Entwicklung, auch durchs Schuialter;
jedoch nicht menstruiert.
Nach der zweiten Impfung mit 17>/4 Jahren beginnende Schwäche,
Gliederschmerzen und zunehmende Gelenkschwellungen; die Radiogramme
922 Literaturbericht.
zeigen Terbreiterte Epipbyseii, imdeatliche Grenzen nnd Wacherang des
Knorpels. Diagnose per exclasionem anderer Affektiosen.
Besprechung der möglichen Ätiologie, Darcbsicht der Literatur.
Spiegeiberg.
Oier Osteogenesis imperfecta. Von Hohl Feld. ^üoch. med. Woehenschr.
No. 7. 1905.
Mitteilung eines Falles, der von besonderem Interesse ist, weil es sich
um ein lebendes Kind handelt, dessen Entwicklung verfolgt werden konnte.
Während der 4 monatlichen Beobachtnngszeit hat die Festigkeit der
Knochen zugenommen; die Verbiegungen der Extremitäten haben sich z. T.
ausgeglichen; Torhanden gewesene Frakturstellen sind nur noch angedeutet;
während andererseits neue Frakturen entstanden sind. Allgemeinbefinden
leidlich. Das Körpergewicht ist gestiegen. Misch.
Beiträge gur Kenntnis des Diabetes mellUus im Kindesalter. Von Langstein.
Deutsche med. Woehenschr. No« 12. 1905.
Verfasser hat in der kurzen Zeit von noch nicht zehn Monaten auf
seiner Abteilung in der üniversitäts- Kinderpoliklinik acht Fälle von Diabetes
beobachtet. Dabei wurde für die Diagnose nicht nur die Keduktions-
probe verwendet, sondern erst bei deutlich positivem Ausfall der Fisch er-
sehen Osazonprobe die Ausscheidung von Zucker als sicher angenommen.
Die ausgeschiedenen Zuckermengen waren ausserordentlich gross: bei einem
P/4 jährigen Kinde 80 bis 90 g pro die bei möglichst zuckerfreier Diät!
Die Fälle verliefen, wie meist im Kindesalter, schwer und tödlich; jedoch
wurden zwei Fälle beobachtet, die man als ein Latentwerden des Diabetes
bezw. als eine Heilung event. ansprechen kann. Sehr interessant ist der
beobachtete Nutzen der Buttermilchdiät und die günstigen Erfolge, die mit
der Hafermehlkur erzielt wurden. Misch.
VIIL Erkrankanfiren des Nervensystems.
Hemiplegie complete, mioie de contracture avec apkasie au caurs de la ckoree.
Von L. G. Simon nnd 0. Grouzon. Revue mens, des Maladies de
l'Enfance). XXII. Dee. 1904.
Es wird über einen Fall berichtet, dessen Eigentümlichkeit aus der
Überschrift hervorgeht. Als ätiologisches Moment nehmen die Verfasser
eine Embolie an, da zu gleicher Zeit mit der Hemiplegie Zeichen für Endo-
karditis auftraten. L. Ball in.
Über choreatische Diplegie mit isolierten, symmetrischen Mnskelläkmntigen von
schlaffem, atrophischem Charakter, Von S. K 1 e m p n e r. Neurol. Central b I.
No. 6. 1905.
Unter diesem Namen bezeichnete Freud seinerzeit eine in die infantilen
Cerebrallähmungen einzureihende Krankheitsform, bei welcher die dauernd
bestehende choreatische Unruhe das Krankheitsbild beherrscht nnd die
Lähmung und Starre bedeutend zurücktreten. Interessant sind nur die zwei
mitgeteilten Fälle aus Mendels Poliklinik, welche neben der erwähnten
choreatischen Diplegie noch schlaffe isolierte Muskellähmangen darboten.
VIII. Erkrank uDgen des Nervensystems. 923
Bei dem einen Kinde, einem 7 jährigen Knaben, handelte es aich am eine
doppelseitige Lähmung der Mm. rhomboidei, bei dem andern gleichalterigen
Kinde nm eine schlaffe atrophische Lähmang beider Peronei. Die Dentnng
dieser Fälle ist schwer; sowohl die Annahme eines Residaum früherer aas-
gebreiteter Lähmungen als auch die VermutuDg einer alten Poliomyelitis
oder Nenritis lassen sieh sowohl mit der Anamnese als auch mit dem
klinischen Befunde schwer vereinigen. Rein hypothetisch erwägt Verf. die
Möglichkeit, dass ebenso wie nach Collier der Diplegie manchmal eine
primäre Atrophie bezw. Entwicklungshemmang des nervösen Rindenelements
zagrande liege, auch im Rückenmarke analoge degenerative Zellprozesse
vorhanden sein könnten. Zappert.
DipkikerU ei ietanie. Von L. B ab od ei t. Revue mens, des Maladie« de
PEnfance. XXIIL Jan vier 1905.
Aus der Überschrift erwartet man, dass die Arbeit aber den Zusammen-
hang von Diphtherie nnd Tetanie handelt; Verfasser spricht auch in einem
fort von Tetanie, beschreibt aber zum grössten Teil tetanusartige Zustände
nnd schliesst bei der Kritik, die er selbst an seine aus der Literatur ge-
sammelten Fälle legt, besonders auch einen Fall aus, der Tetaniesymptome
zeigte, weil er eben zu dem Krankheitsbilde gehört, das man jetzt mit dem
Namen Tetanie belegt. Die Bezeichnung tetanies postdipht^riques dürfte
deshalb zu verwerfen und lieber der von Botot stammende Name pseudo-
t^tanie dipht^riques, den der Verfasser erwähnt, anzuwenden sein. Es bleiben
auch schliesslich nur Fälle bestehen, die im Anschlnss an eine latente oder
offenbare Diphtherie tetanusartige Symptome zeigen. Danach teilt er sie
ein in primäre Fälle bei latenter Diphtherie nnd sekundäre. Praktisch
wichtig ist, dass in jedem Falle von Tetanns, der sich nicht ganz sicher als
solcher erweist, auch auf Diphtherie zu fahnden ist, weil eine rechtzeitig
eingeleitete spezifische Behandlung — natürlich gegen die Diphtherie —
Rettung bringen kann. L. Ball in.
Zur Paralyse-TabesSyphiH^age, Von Kurt Mendel. Neurol. Centralbl.
1905. No. 1.
Als gewichtiges Argument für die Beziehung der Tabes bezw. Paralyse
zur Syphilis müssen die Fälle von infantiler progressiver Paralyse bei
hereditär-luetischen Kindern aufgefasst werden. Verf. führt zwei Fälle an,
die als neuer Beweis für diesen Zusammenhang gelten können. Der eine ist
ein 10 jähriger Knabe, dessen Vater früher Syphilis hatte und jetzt tabetisch
ist und dessen Mutter bald nach der Hochzeit infiziert wurde; der andere
betrifft einen 17jährigen Taboparalytiker, dessen Eltern ebenfalls syphilitisch
waren. Ein dritter — kein Kind betreffender Fall — dient ebenfalls als
Beleg für den oben erwähnten Zusammenhang, da hier die Tabes erst auf-
fallend spät, im 67. Lebensjahre auftrat, die syphilitische Infektion aber auch
erst im 52. Jahr erfolgt war, so dass das gewöhnliche Intervall von 15—20
Jahren zwischen Infektion und Tabes auch hier zu finden ist. Zappert
Über du Pathogenese der Stauungspapille. Von Alfred Saenger. Neurol.
Centralbl. No. 8. 1905.
Über die Pathogenese der Stauungspapille herrscht seit langem ein
Streit, indem einerseits ein mechanisch bedingtes ödem, andererseits eine
wirkliche Entzündung als Ursache angenommen wird. Gegenüber der letzteren,
Jahrbuch Ittr Kinderheilkunde. N. F. LXI. Heft 6. 60
924 Literatarbericht.
neaerdiDgs wieder von Elschnig Terfochtenen Ansicht Dimmt Verf. Stellong
Es seien entzündungserregende Substanzen bei Himtnmoren sonst nirgends
nachgewiesen, man finde die Stauungspapille nicht abhängig ron dem Tumor
selbst, sondern von dessen Sitz, man sehe dieselbe auch bei Aneurysmen,
Frakturen etc., vermisse sie aber meist bei wirklich entzfindlichen Hirn*
erkranknngen. Ebenso wie bei Kompressionsmyelitis könne man auch bei
der Stauungspapille die sogen, entzündlichen Erscheinungen durch das Auf-
treten eines Stauungsödems erklären. Die gunstige Wirkung der Trepanation,
sowie der auffällige Einfluss der Lumbalpunktion auf die Abschweliung der
Stauungspapille unterstutzen ebenfalls die mechanische Theorie. Verf. be-
steht auf dem Standpunkte, dass das wesentlichste Moment för das Zustande-
kommen der Stauungspapille in einer Steigerung des intrakraniellen Druckes
liege. Zappert.
De ritai des sphincters dans la maladU de LUtle. Von M. B. An che. Rev.
mens, des Maladies de PEnfance. XXTII. März 1905.
Verf. fügt den yier bisher bekannten Fällen von Littlescher Krankheit,
in denen Sphinkterenlähmung bestand, ohne dass besondere Idiotie fftr die
Beschmutzung als ursächliches Moment heraozuziehen wäre, zwei eigene
Beobachtungen hinzu. Der eine betraf ein 5 jähriges Mädchen, der zweite
ein 4 Jahre altes. L. Ball in.
Ein Fall van Simulation epüepüscher Krämpfe bH einem 13 jährigen Schul-
hnaben. Von Arouheim. Münch. med. Wochenschr. No. 18. 1905.
Das Interessante an dem Falle ist, dass Fat. auf die Beschreibung der
Anfmie hin jahrelang als Epileptiker auch bei Spezialisten galt, bis die erste
ärztliche Beobachtung des Anfalles selbst die Simulation aufdeckte.
Misch.
IX. Krankheiten des Auges» des OhPes and der Nase.
Les iumeurs malignes de Pamygdale chea Venfant Von Moizard, Denis und
Rab6. Arch. deMSd. des Enfants. Tome 7. No. 8. Aug. 1904.
Bericht über einen genau beobachteten und untersuchten Fall tou
kleinzelligem Sarkom der Gaumentonsille bei einem 9 jährigen Knaben.
Rasches Wachstum der Geschwulst mit lebenbedrohenden Folgen. Szstir-
pation. Rezidive nach kurzer Zeit und Tod. Die Verff. sichten die spärlich
vorliegenden Literaturangaben aber die äusserst seltenen Fällen von malignen
Tumoren der Tonsillen im Kindesalter (10 Fälle von Sarkom, 2 von Ljmph-
adenom). Pfaundler.
Sammelre/erai über die deutsche ophlhalmolcgische Literatur von 1^04. I. Sem.
• Von Gallus. Monatsschr. f. Kinderheilk. Nov. 1904. Bd. III. p. 325.
Schieissner.
X. Krankheiten der Resplrationsop^rane.
La laryngUe cricotdenne ulcereuse. Von M. Deguy und De tot. Rev. mens,
des Maladies de PEnfance. XXIII. Januar 1905.
VerfT. besprechen im Anschluss an einen Fall die Klinik der ulzerösen
subglottischen Laryngitis: An eine diphtherische oder auch nicht diphtherische
XII. Krankheiten der YerdanungsorgaDe. 826
Läryogitisy die wiederholte Intubationen nötig gemacht hat, schliesst sie sich
im chronischen Verlauf an. Das durch Druck der Tube verursachte Geschwür
kann den Knorpel yollst&ndig entblössen, aber es führt nur durch Kompü-
kationen, meistens Stenose, zum Tode. Deguy hat drei Symptome als für
die Laryngitis subglottica charakteristisch zusammengestellt: 1. Immer in
grösseren oder kleineren Zwischenräumen wiederkehrende akute Erstickungs-
anfälle; 2. das ganz plötzliche Auftreten von Abszessen, die gar keine Zeit
lassen zu einem rettenden Eingriff; 8. die ausserordentliche Leichtigkeit mit
der die Tube ausgehustet werden kann. L. Ball in.
CoHSideraiUm sur U Stridor d*origi$u thynüque chtM les enfants. Von G. Ho ch-
singer. Revue mens, des Maladies de TEnfance. XXIII. M&rz 1905.
H. tritt im Anschluss an eine Veröffentlichung Marfans auch in dieser
Zeitschrift für seinen Stridor thymicus ein. Er bringt nichts neues, sondern
nur mit wenigen Worten, was er in seinem „Stridor thymicus infantum* aus-
führlich berichtet hat, doss nämlich der Stridor inspiratorius congenitns durch
eine Thymushypertrophie, die er durch Röntgenaufnahmen feststellt, ver-
ursacht wird. L. Ball in.
XII. Krankheiten der Verdauungsorffane.
Mesenieriaie Chyius-CysU, Von J. P61ga. Bndapesti orvosi UjcÄg 1905.
Bei einem fünfjährigen Mädchen wurde die Diagnose auf Peritonitis
serosa tuberculosa gestellt. Bei der Laparotomie stellte sich jedoch heraus,
dass die ganze Bauchhöhle vom Epigastrinm bis in das kleine Becken von
einer cystösen, vor den Gedärmen liegenden Geschwulst gefüllt war. Die
Cyste hatte ihren Ursprung vom Mesenterium, war mnltiloculär und war mit
einer zinnoberroten Flüssigkeit gefüllt. Die Flüssigkeit hatte nahe 1 pCt
Fettgehalt, sehr grosse Mengen von Fettkörnchen waren im mikroskopischen
Bilde zu sehen. Bei der Exstirpation wurde auch ein Teil des an-
gewachsenen Dünndarmes reseziert. Das Kind genas. Torday.
Uicus ventricuH im Kindesaiier, Von Josef Reichelt. Wiener med. Presse.
No. 3. 1905.
Es handelte sich um ein 8 Jahre altes, seit dem ersten Lebensjahre
an Magenbeschwerden, Erbrechen,* nicht genau lokalisierten Bauchschmerzen,
die anfallsweise kamen, und Obstipation leidendes Mädchen. Grosses Durst-
gefühl, Aufstossen. Ad finem wurden fäkulent riechende Massen erbrochen,
Häufung der Schmerzanfälle, Fieber. Bei der Obduktion fanden sich zwei
Magengeschwüre vom typischen Charakter des Ulcus ventricuü chron., deren
eines in die Peritonealhöhle perforiert war. Die Seltenheit der Krankheit
im Kindesalter und der merkwürdige, unklare klinische Verlauf machen den
Fall interessant. Ätiologisch dürften lange dauernde dyspeptische Störungen,
vor allem Hyperaoidität in Betracht kommen. Neurath.
XIII. Krankheiten der Harn- und Qesehleehtsorgane.
FuncHanal a/6uminuria. Von Henry George Armstrong. Brit. med.
Journ. 8. Okt. 1904.
Den Namen „funktionell*^ legt der Verfasser der Albuminurie aus un-
bekannter Ursache bei, indem er die Annahme macht, dass keine strukturellefa
60*
926 Literatarbericht.
Yer&nderangen im Nieren ge webe sich finden und doch das Organ seine
Fanktion fehlerhaft ausfahrt. Nach Aosschlnss aller übrigen, aaf ersicht-
lichen Gründen beruhenden Albuminurien sch&tzt Verf. den Prozentsatz
seiner Fälle bei Schulkindern auf 12—15 pCt. (!) Oft soll man eme
heredit&re Belastung mit Nervenkrankheiten finden, manchmal ist die Krank-
heit an sich famili&r. Zur Diagnose fähren auffällige Schlaffheit und Apathie
bei Arbeit und Spiel, femer auch Ohnmächten, namentlich bei Knaben. Von
sonstigen klinischen Erscheinungen erwähnt Verf. Vergrösserung der fierz-
dämpfnng und Verstärkung des Spitzenstosses. Herzerscheinungen und
Albuminurien verschwinden nach wenigen Stunden bei Bettruhe. Seine Be-
handlung besteht in kräftiger Nahrung, frischer Luft und Übungen, eventuell
Strjchnin, Eisen und Arsenik. Die Prognose hält der Verf., solange das
Alter von 25 Jahren nicht überschritten ist, für gut, längere Dauer ist ver-
dächtig. Genauere Daten über den Ausgang der beobachteten Fälle werden
nicht angegeben. Jap ha.
PranosHc des niphriHs chroniques des enfanis. Von Maillard. These de
Paris. 1904. Arcb. gen. de m^d. 1904. 35.
Die Prognose ist bei der chronischen Nephritis nicht absolut schlecht,
wofür vier weitere Beispiele sprechen, die noch nach Jahren als geheilt an-
zusehen sind. Sie reihen sich den von Heubner und Bartels veröffent-
lichten an. Vielleicht reparieren sich die Gewebe wieder völlig, wenn nicht,
so werden die normalen Funktionen der Niere durch eine kompensatorische
Hypertrophie der gesund gebliebenen Teile gesichert. Eine chronische
Nephritis kann als geheilt betrachtet werden, wenn das Eiweiss verschwanden
ist, wenn bei normaler Menge die chemischen Bestandteile im richtigen
Verhältnis zueinander stehen, wenn das Herz nicht hypertrophisch ist and
dieser Zustand während mehrerer Jahre anhält. Die reine Milchdiät, so gat
sie am Anfang ist, sollte nie zu lange fortgeführt werden, sollte vielmehr
immer durch eine ohlorarme Nahrung (Gemüse, Mehlbrei, Kartoffeln, rohes
Fleisch) ergänzt werden. Irgend welche chirurgischen Eingriffe empfehlen
sich beim Kinde nicht. Würtz-Strassburg.
XV. Kpankheiten dar Beweffanfirsopgana» VeFletzangen,
ehlrurgisehe Krankheiten.
Ü6er die DUatatUm cicaMcieller Stenosen der Speiseröhre durch das Öso-
phagoskop. Von Reizenstein. Münch. med. Wochenschr. No. 12. 1905.
Mittels der Endoskopie ist man noch im Stande, die Sondierung und
Dilatation zu bewerkstelligen, wo die einfache Sondierung im Stich lässt;
man kann so sehen, das der Eingang zur Stenose event. exzentrisch gelegen
ist, dass Falten, Narbenstränge, Elappendilatation oberhalb der Striktnr die
Sondenspitze irregeführt haben etc. Mitteilung einer erfolgreich behandelten
Stenose bei einem dreijährigen Kinde n. a. Misch.
Ein Fall von Genu recurvatnm. Von Habs. Münch. med. V^ochenschr.
No. 12. 1905.
Drei Wochen altes Kind. Die Missbildung gehört zu den intrauterinen
Belastungsdeformitäten. Die Aussichten bezüglich Herstellung gebraachs-
XV. Krankheiten der Bewegungsorgane, Verletzungen ete. 927
fäBiger Extremitäten sind nicht so ungünstig, wie es auf den ersten Anbliek
scheint; meist gelingt es durch redressierende Bewegungen und Massage,
wenn das Kind älter ist, unter Zuhilfenahme Ton Gipsverbänden ziemlich
normale Glieder zureohtznformen. Misch.
Eitu . neue SekmeuplasHk eur HeÜung des rackUiscke» und staHschen Platt-
Jusses, Von J. Heyes. Budapesti orv. ujs&g. 1905.
Die Methode bezweckt, die in Fällen von nicht paralytischem Plattfuss
mit dem Redressement erzielten Resultate vollkommener und dauerhafter zu
geetalten. Das Prinzip ist im wesentlichen folgendes: Vorerst forciertes
Redressement, währenddem die geschrumpften Weichteile gedehnt oder auch
zerrissen werden behufs Ermögliohung einer Hjperkorrektionsstellung. Dar-
auf während der Zeitdauer bis zur Heilung der mechanischen Läsionen
(2 bis 6 Wochen) ein Gipsverband. Dem folgt sodann die Plastik. Nach
Inzision zwischen Malleol. int. und Achilles-Sehne in der Länge von 10 bis
12 cm wird ein Streifen der Sehne separiert und vom Galcaneus abpräpariert.
Der restliche Teil der Achilles-Sehne wird gedehnt u. z. auf die Weise, dass
abwechselnd beiderseitig Quereinschnitte gemacht werden. Die Sehnenscheide
des Muse. tib. post wird hierauf gespaltet, gekürzt und mit dem Streifen der
Achilles-Sehne vernäht. Es folgt sodann eine neuerliche Inzision an der
Medialseite des Fussea, Abpräparierung der Sehne des Muse. tib. ant und
deren Befestigung an die Beinhaut; zur Ergänzung dient die Sehne des
Muse, extens. hall., die mit dem Tib. ant, bezw. Extensor communis ver-
bunden wird. Zur Fixierung der geschaffenen Hjperkorrektions -Stellung
werden 2 starke Gipsschienen verwendet. Die bisher auf diese Art operierten
Fülle sprechen für die Verwendbarkeit der Methode. Torday.
Beiderseitige a$$geborene LuxatioH im Kniegelenk. Von F. v. Tordaj. Buda-
pesti orvosi ujs&g. 1905.
Die Mutter des betreffenden Kindes gab schon früher zwei Kindern
mit Stellnngsanomalien das Leben. Bei der Geburt war die Menge des
Fruchtwassers normal und die Hüllen genügend weit. Dieser Umstand so-
wohl, als auch die mikroskopisch normale Struktur des Muskelgewebes und
normaler Befund des Nervensystems lassen es ausschliessen, dass die intra-
uterine Luxation durch neuere oder myopathische Veränderungen hervor-
gerufen seL
Mit Rücksicht auf die Beiderseitigkeit der Luxation, auf den rechts-
seitigen Pes varus, auf die im Eilbogen flektierte und zum Rumpfe fixierte
Stellung der Arme, sowie auf die bestehenden Muskelatrophien ist es wahr«
seheiolich, dass im Embryonalstadium des betreffenden Falles, zur Zeit der
Differenzierung der Extremitäten eine Insuffizienz der Eihüllen bestand und
dass die ungünstigen räumlichen Verhältnisse die geschilderte Stellung
hervorriefen. Die Position muss durch längere Zeit hindurch bestanden
haben und blieb später nach Vermehrung des Fruchtwassers und Ausdehnung
der Hüllen konstant Die Atrophien wären sodann als Inaktivitäts-Atrophieu
aufzufassen. Torday.
Sach-Register.
Die fett gedruckten Zahlen bezeichnen Original-Artikel.
Bsp. = Buchbesprechung.
A.
Acetonurie bei Infektionskrankheiten.
488.
Acidose im Kindesalter. 454.
Adrenalin. 552 (Bsp.).
Agglutination. 420, 658.
— des Meningocoocus. 425.
— der Streptokokken bei Scharlach. 9 18.
Albuminurie, physiologische. 805.
— Physiologische und pathologische.
665.
— Alimentäre. 86.
— Funktionelle. 925.
— Orthotische im AnschlussanNephritis.
404.
Alkalien,£iDflu8sder aufdasEnochen-
wachstum. 676.
Amaurotische familiäre Idiotie.
798.
Anaemia splenica. 661.
Anämie und Leukozytose bei der Päd-
atrophie und Gastroenteritis. 418.
Angina ulceroso - roembranacea.
425, 787, 916,
Antikörper, Verfahren zur Gewin-
nung der. 681.
Antikörperbildung, spezifischenach
Eiweissfütterung. 908.
Anti8treptokokkenserum,Behand-
lung aes Scharlach mit 914.
— Mosersches bei Scharlach. 422.
Aorta, angeborene Kommunikation der
mit der Arteria pulmonalis. 282.
Aphasie, transitorische, Pathogenese
der bei Typhus. 426.
Appendicitis durch Bacterinm coli
hervorgerufen. 282, 408.
— Verhalten der Leukozyten bei. 660,
665.
— bei einem Schimpansen. 664.
Arsen, Wirkung subkutaner Einspritz-
ungen von bei Kindern. 682.
Arteria pulmonalis, Atresieder.910.
— Angeborene Kommunikation der mit
der AorU. 282.
Arthriti8,Pneumokokken-A.beieinem
Neugeborenen. 917.
Arthritis gonorrhoica mitBlennor-
rhoea neonatorum. 660.
Arythmie des Herzens bei Kindern
und Rekonvaleszenten. 282, 408.
A thyreo eis, Beziehungen der GhoD*
drodystrophia foetalis zur. 226.
Atmungskrämpfe beim Neu-
geborenen. 416.
Aufbrauchkrankheiten des Nerven-
systems. 542, 543, 800.
Aufsichtspersonen, Gefahrdung der
Kinder durch krankhaft veranTagte
und sittlich defekte. 544.
Bacterium coli als Ursache der
Appendicitis. 232, 408.
Bakterien, Aufnahme von durch den
Kespirationsapparat. 909.
Bakterienwachstum auf wasser-
armen Nährböden. 418.
Barlowsche Krankheit. 419, 427
(Bsp.), 798.
— K&nstliche bei Tieren. 6.
— Hämaturie bei. 918.
— äohwellungen am linken Unter- und
rechten Oberschenkel bei. 405.
Bazilleneinatmung. 908.
Bleilähmung. 407.
Blennorrhoea neonatorum, Häufig-
keit und Verhötung der. 281.
— mit Arthritis gonorrhoica. 660.
Blut, biologisches Verhalten des mütter-
lichen und kindlichen. 415.
Blut bilden de Organe.Erkrankungen
der im Kindesalter. 796.
Bluterkrankungen im Kindesalter.
796.
Blutserum, subkutane Injektion des
mütterlichen oder väterlichen bei
Gastroenteritis der Säuglinge. 912.
Bronchialdrüsen tuberkulöse
beim Säugling. 920.
Bronchiektasien bei Kindern. 546.
Bronchien, seltene Erkrankungsform
der nach Masern und Keuchhusten.
547.
Bronchitis capillaris, Behandlang
der mit Senfwassereinwicklungen.
803.
Bronchopneumonie, Therapie der.
804.
Bronchoskopie. 662.
Brustdrüse, Leistungsfähigkeit der
weiblichen. 907.
Sach-Ragiater.
929
Brastdrüee, Beiderseitip^es Lipom
der« 678.
Brastmaskalatur, angeborener
Defekt der linkseeitigen. 678.
Bruatsaagennnd Flaaehensaagen. 6 Z9.,
Buttermilch als Säaglingso abrang.
404.
C.
Calcariurie and Phosphatarie. 411.
Chemische Zasammensetzung des
Oreanisrnns, Einflass der Ernährung
auf die. 178.
Ghloroformnarkose, Status Ijm-
phaticus und Tod nach. 796.
— Einflusa der Ch. bei der Gebärenden
auf das Kind. 907.
Chondrodjstrophiu foetalis, Be-
ziehungen der zur Athyreosis. 226.
Chorea mit Lähmungen. 922.
Chorea mollis. 400.
Chyluscyste, mesenteriale. 925.
ClaYicula, Tuberkulose der. 540.
Clavicularfrakturen bei Neu-
geborenen. 402.
Coiostrumbildung als physio-
logisches Analogen zu Entzündungs-
Torgängen. 551 (Bsp.).
Consnltations de nourrissoos.
427 (Bsp.).
Coza ^alga- 671.
Curare, Einflass des bei Tetanus. 426.
Cysticerkenim Gehirn des Menschen.
229.
D.
Darmbakterien der Säuglinge, mor-
phologische und biologische Unter-
suchungen über die. 687» 870-
Darminvagination, akute. 233.
Darmkatarrhe der Säuglinge, Fäcea-
untersuchung bei. 929 (Bsp.).
Darmperforation bei Typhus abdo-
minalis. 917.
Demineralisation und Fleisch-
therapie bei Tuberkulose. 147.
Dermatitis herpetiformis
Duhring-Brocq. 236.
Diabetes mellitas im Kindesalter.
922.
Diathese, exsudative. 199.
Diphtherie 424, 786, 787, 915.
— der Haut im Kindesalter. 235.
— und Tetanie. 923.
— Serumbehandlung der. 775, 915.
— Behandlung der mit und ohne
Serum. 788.
Diphtherie-Antitoxin und seine
Beziehungen zum Toxin. 424.
Divertikel, Meckelsches offenes.
409.
Dünndarm, angeborene hochgradige
Erweiterung des ohne Stenose. 910.
Dnk'essohe Tierte Krankheit. 423.
Dysenterie, epidemische. 422.
Dyspepsie der Sftnglin ge. 549 ( Bsp.).
Echinococcus. des Netzes. 664.
Edinburgh Medical Journal,
Hundertjahrfeier des. 682.
Eiterungen, Behandlung akuter mit
Stauungshyperämie. 805.
Eiweiss, Zuckerbildung aus. 675.
Eiweisschemie. 675.
Ei Weissfütterung, spezifische Anti-
körperbildung nach. 908.
EiweisskÖrper, Bedeutung der Yer-
dauunc: der für ihre Assimilation.
676.
Elephantiasis congenita. 406*667.
Empyem des Thorax, Behandlung des
mit der Müllerschen Dauerkanüle.
663.
Endokarditisbei Parotitis epidemica.
232.
Energiebedürfnis des natürlich er-
nährten Säuglings. 558.
Energiebilanz beim Säug^ling. 429«
Entbindungslähmnng beider oberen
Extremitäten. 404.
Enteritis, Oedeme bei schwerer £.
kleiner Kinder. 419.
Entfettungskuren im Kindesalter.
106.
Enzyme, proteolytische der Milch. 412.
Epileptische Krämpfe, Simulation
der bei einem 13 jährigen Schul-
knaben. 924.
Epityphlitis, Pneumokokken-E. 916.
Erblichkeitsfrage, Stand der in der
Neuro- und Psychopathologie. 227.
Erbrechen der Neugeborenen, Ur-
sache des. 912.
Erbrechen, periodisches im
Kindesalter. 582.
— Ikterus und die Rolle der Leber
beim. 804.
Ernährung, Einfluss der auf die
chemisehe Zusammensetzung des
Organismus. 178.
Erysipelas neonatorum gangrae-
nosum. 417.
Erytheme, hämorrhagische im Kindes-
alter. 624.
Erythema infectiosum. 423.
Ery thema nodosum, Aetiologie des.
667.
Exantheme, akuten ich tpustulose und
ihre Mischformen. 845.
Exsudative Diathese. 199*
930
dach-Kegister.
F.
Familien&holichkeiten an den
Grosshiro furchen. 801.
FaTQB capitist Besobrftnkang des bei
Schulkindern. 234.
Pett, Herkunft des fötalen. 174.
— Wirkung der F.-Darreichung auf den
S&nglingsstoffwechsel. 86.
— VerdauungsstoruDgen der S&uglinge
infolge der Verabreichung grosser
Mengen von. 684.
Fettgehalt der Franenmtlch. 601,
900, 902.
Fettresorption. 413.
^- Storunff der und ihre Beziehung zur
Ansscheidunff Ton Kalk, Magnesia
und Ammoniak. 911.
Fieberhöhe, Bestimmung der durch
Dauermessung. 681.
Flaschensangen und Brnstsaugen.
679.
Fleischtherapie und Deminerali-
aation bei Tuberkulose. 147.
Förster, R., Nekrolog für. 808.
Fötale Organe, Schwan gerschafts-
reaktionen der nnd ihre puerperale
Involution. 677.
Frauenmilch. 401.
— Praktische Resultate der Forschungen
über die Biologie der. 679.
— Notwendigkeit einer chemischen
Analyse der. 906.
— Eisengehalt der. 675.
— Fettgehalt der. 601, 900, 902.
Futterungstnberkalose. 538.
Q.
Gastroenteritis, Anämie und Leuko-
zytose bei der. 418.
Gastroi ntestinale Infektionen der
Säuglinge. 549 (Bsp.).
Gaumenspalte, operativ geheilte bi-
laterale. 405.
Gehirn, Kalkgehalt des beim Säug-
ling. 114.
Gelenkentzündungen im Säuglings-
alter. 672.
Gelenkrheumatismus, Beziehungen
des chronischen zur Tuberkulose.
794.
Genickstarre, epidemische, Be-
handlung der. 916.
Genu recurvatum 926.
Genu vaigum bei Osteomalacie. 670.
Genu varum paralyticum. 671.
Gicht bei einem 7 jährigen Kinde. 224.
Glottiserweiterer, Lähmung der im
frühen Kindesalter. 64.
Glycero- Phosphat verbin dun gen,
therapeutiscber Wert der. 680.
Gonokokl^onseptis d. Neugeborenen.
688.
Gonttes de iait, Bekämpfung der
Rachitis durch die. 224.
Grosshirn furchen, Familienähnlich-
keiten an den. 801.
Gynäkomastie. 682.
H.
Haematoma septi narium ab-
scedens. 402.
Halsrippen, Kasuistik der. 677.
Harnstoff im menschlichen Urin. 675.
Hautdiphtherie im Kindesalter. 235.
Hautkrankheiten. 284 ff., 666 ff.
Hemiathetose nach cerebraler Kinder-
lähmung. 402.
Hemiplegie bei Chorea. 922.
Hernia lumbalis sparia. 657.
Hernien, Behandlung der mit Alkohol-
injektionen. 669.
— Operative Behandlung der bei
Kindern. 669.
Herpes zoster. 667.
Herzerweiterung bei Diphtherie.
915.
Horzhypertrophie, primäre an-
geborene. 411.
Herzkrankheiten, angeborene. 231,
407.
Highmorshöhle, Empyem der bei
Säuglingen. 546.
Hirschsprungsche Krankheit.416,
804.
Hörstummheit. 548.
Hüftgelenksluzation, angeborene
doppelseitige mit beiderseitigem
Pes valgo-planiis. 405.
— Axillare Abduktion in der Behand-
lung der. 808.
Hydranenkephales Zwillings-
paar. 802.
Hydro kele, Behandlung der. 665.
Hydrokephalie, Beziehungen der
hereditären Syphilis zur. 405.
Hydrokephalns ezternus mit Pa-
chymeningitis haemorrhagica. 61-
Hydrokephalns internus, chirur-
gische Behandlung des. 668.
Hypospadie, Becksche Methode der
Operation der. 233.
Hysterie im Kindesalter und ihre Be-
ziehung zur Anatomie der Linea
alba. 543.
Idiotie, anatomische Grundlagen der.
228.
— Familiäre amaurotische. 798.
— Mongoloide mit Rachitis nndTetanie-
symptomen. 404.
Saeh-Register.
931
Ikterus beim periodischen Erbrechen
der Kinder. 804.
Imbezillität, Beziehangen zwischen
Taabstummheit und. 801.
Immanisierung durch Milch. 486.
Immunität und Infektion. 548 (Bsp.).
— Natürliche des Kindes im ersten
Lebensjahre. 122«
Impfung unter rotem Licht. 237, 425.
— Accidentelle der Nasenschleimhaat.
790.
Infektionund Immunität. 548 (Bsp.).
Infektionskrankheiten, akute.
420 ff., 786 ff., 918 ff.
— Aceton urie bei. 488.
— Theorie und Praxis der Karenz des
Schulbesuches nach. 237.
Institut ffir Infektionskrankheiten,
Serum und Lymphe in Japan. 550
(Bsp.).
Intestinaltraktus, Keimdichte der
normalen Schleimhaut des. 909.
K.
Kalkadsorption und Rachitistheo-
rien. 407.
Kalk^ehalt des Sänglingsgehirns und
seine Bedeutung. 114.
Kalkstoffweohsel, Beziehungen der
Thymus zum. 411.
Karzinom des Colon bei einem
13jährigen Knaben. 665.
Keraminseife. 668.
Keuchhusten, bakteriologische Unter-
suchungen über. 787.
~ Seltene Erkrankunffsform der
Bronchien nach. 547.
~ Behandlang des. 792.
Kiemen gangfistel, infizierte. 682.
Kinderlähmung, Fortschritte in der
Behandlung der. 237.
Kinderkrankheiten. 549 (Bsp.), 684
(Bsp.), 685 (Bsj).).
— Prophylaxe der in New-York. 673.
Kleinnirn, angeberene familiäre
Hyperplasie des. 780.
Klein hirntumor, tuberkulöser. 539.
Klumpfuss, Behandlung dos bei Neu-
geborenen. 670.
Klumphand. 806.
Kniegelenksluxation, angeborene.
658.
— Angeborene beiderseitige. 927.
— Willkürliche. 403.
Knochenwachstum, Binflnss der
Alkalien auf das. 676.
Körpergewichtsabnahme, extreme
bei Kindern der ersten 2 Lebens-
jahre. 678.
Kohlenstoffausscheidung durch
den Harn beim Säugling und älteren
Kinde. 94.
Kokain. 552 (Bsp.).
Konstitutionskrankheiten. 224,
796 ft., 921, 922.
Kopliksche Flecken, diagnostische
Bedeutung der bei Masern. 915.
Koxalgie, Behandlung der. 550 (Bsp.).
Kreatininstoffwechsel beim Säug-
ling. 615.
Kretinismus. 226, 227.
Krise, Pathogenese der bei der fibri-
nösen Pneumonie. 663.
Kroup, Behandlung des mit und ohne
Serum. 788.
Kuhmilohgenuss und Tuberkulose-
sterblichkeit 222.
Kystadenom, kongenitales der Parotis.
688.
Labenzym. 675.
Lähmungen, choreatische. 922.
— Pathogenese der diphtherischen. 424.
— Maltiple der Arme und Beine nach
Poliomyelitis. 657.
LaktOTiskosimeter TonMicault. 673.
Laryngitis, ulzeröse subglottische.
924.
Leber, Rolle der beim periodischen
Erbrechen der Kinder. 804.
Lebercirrhose, Laenneosohe bei
einem Idjährigen Knaben. 238.
Leukämie, Behandlang der mit
Röntgenstrahlen. 797, 798.
Leukozyten, Verhalten der bei Appen-
dicitis. 660. 665.
Leukozytose und Anämie bei der
Pädatrophie und Gastroenteritis.
418.
Liehen scrophulosorum. 235.
Lichtbehanalnne bei Lupus. 794.
Linea alba, Beziehung der kindlichen
Hysterie zur Anatomie der. 543.
Lipomamammae, beiderseitiges. 678.
Littlesche Krankheit. 806.
— Hemiathetose nach. 402.
— Verhalten der Sphinkteren bei. 924.
Lumbalpunktion und Meningitis
serosa. 542.
Lunge, angeborene Hyperplasie der
einen bei gleichzeitiger radimen-
tärer Bildang der anderen. 910.
Lungenspitzen, Perkussion der. 663.
Lungentuberkulose und Rippen-
knorpelanomaiien. 538.
Lupus, primärer Schleimhau t-L. der
Nasen-Rachenorgane. 407.
— Lichtbehandlonff der. 794.
Lymphadenitis bei Kindern. 223.
932
Sftch'Regitter.
Ljrmphdrfisen, taberkulösd, 'sab-
knUne Entfaniaiig der aas dem
Halse. 793.
Lyssa hamaDa. 79(X
Magendarmkrankheiten der Säug-
liDge. 683, 684, 912.
Matern ohne Exanthem. 915.
— Bedentang der Koplikschen Flecken
bei. 915.
— Seltene Erkranknngsform der Bron-
chien nach. 547.
— Nagelerkrankangen nach. 423.
Mastitis chronica scrophnlosa.
794.
Melaena neonatoram. 683.
Meningen, Pathogenese derStdrangen
derimVerlauf der ahnten Infektionen
des Respirationsapparates. 664.
Meningitis, die nervöse Zelle bei. 541.
Meningitis cerebrospinalis. 791.
— Behandlung der mit antiseptischen
Injektionen in den Lumbalsack. 793.
Meningitis serosa ond Lambal-
panktion. 542.
Meningocelesacralis anterior. 658.
Meningococcas intracellalaris.
886.
— Agglutination des. 425.
Menstraatio praecox. 234.
Mesenteriale Chylascyste. 925.
Mikromelie. 658.
Mikrosporie, Beschränkang der bei
Schulkindern. 234.
Milch, Versorgung der Stftdte mit
Kinder- M. 672.
— Praktische Resultate der Forschungen
über die Biologie der M. der ver-
schiedenen Tiere. 679.
— Schutzstoffe der normalen. 415.
— Proteolytische Enzyme der. 412.
— Rohe oder gekochte. 905.
— Rohein der S&uglingsem&hrang. 418.
^ Entkeimnng der Milch. 673.
— Immunisierung durch. 486.
Milchchemie. 905.
Milchflaschenhalter. 420.
Milchgew innuug in Dftnemark. 672.
Milchküche für S&uglinge. 658.
Milchmodifikation und Sftuglings-
ern&hrnng. 684.
Mi Ichpasteurisi er ung, Biologisches
zur. 865.
Milchsekretion, Wiederkehr der
nach dem Abstillen. 908.
Miliartuberkulose, Entstehung der
akuten. 921.
Missbildun g, Vererbung einer 6fachen
an allen 4 Extremitftten durch drei
Generationen. 409.
Monaminos&uren, Verhalten der im
hungernden Organismns. 676.
Mundhöhle, Missbildung der. 658.
Musculus pectoralis major und
minor, Defekt des. 806.
^luskelaplasie und -hypoplasie. 401.
Muskelatrophie, proffressive. 659.
— bei einem 5jfthrigen Kinde. 230.
Myelomeningocefe. 658.
Myxödem. 225, 226, 227.
— Infantiles, Stoffwechsel versuch an
einem Fall von. 688.
N.
Nagelerkrankangen nach Matern
und Scharlach. 422.
Nahrangs- und Energiebedürfnis
des natürlich ernährten Säuglings.
558.
Narkose, Theorie der. 677.
Nasenschleimhaut, accidentelle
Vaccination der. 790.
Nebenniere, Funktionsstörungen der
bei AUgemeinerkrankuneen. 909.
Nephritis, postdiphtheriscfae. 787.
— Orthotische Albuminurie im An-
schluss an. 404.
— Prognose der chronischen. 926.
— ürotropin bei Scharlach-N. 408.
— ürotropin als Prophylacticum gegen
Scharlach-N. 790.
Nervensystem, Krankheiten des.
227 ff., 541 ff., 798 ff., 922 ff
Netzechinococcus. 664.
Neugeborene, Krankheiten der. 416,
417, 682, 683.
— Ursache des Erbrechens der. 912.
Nierensarkom im Kindesalter. 666.
Noma, Bakteriologie der. 791.
Oberflächendruck und seine Be-
deutung im Organismus. 677.
Ü b ersehen kel,nnge wöhnlicheWachs-
tumsstörunff des. 657.
Oberschenkelbruch, Streckbett für
Säuglinge mit. 670.
Oedeme bei schwerer Enteritis kleiner
Kinder. 419.
— akutes zirkumskriptes, Beziehang
des zur transtiorischen Aphasie bei
Typhus. 426.
Onychogryphosis, kongenitale. 668.
Osmose, Theorie der. 677.
Osteogenesis imperfecta. 922.
Osteomalacie, Genu valgam bei. 670.
Osteomyelitis, Aetiologie der akuten.
792.
Osteopsathyrosis. 670.
Ovarialsarkom and Menstruatio
praecox. 234.
Saeh-Register.
933
Ozjnris Termicalaris in der Darm-
wand. 664.
Pachymeningitis haemorrhagica
mit Hjdrocephalas externa«. 51.
Pftdatropbie, Anftmtd and Leako-
zytose bei der. 418.
Pftdiatrie, Grandlagen and Ziele der
modernen. 241.
Paralyse, progressiTe, famili&res
Auftreten der. 228.
Paralyse- Tabes- Sypbilisfrage.
928.
Paraplegie, familiftre spastische. 229.
Parotis, kongenitales Kystadenom
der. 683.
Parotitis epidemica, Endokarditis
bei. 232.
Periartbritis gonorrhoica, mnl-
tiple bei einem Kinde, wahr-
scneinlich infolge von Wandin-
fektion. 807.
Perikarditis, eitrige. 660.
Peritonealtuberknlose. 540.
Peritonitis, primftre im Sftaglings-
alter. 23&
Pes eqaino-varas, Redressement
bei. 670.
Pes valgo-planns, beiderseitiger bei
doppelseitiger angeborener Hüft-
felenksluxation. iOb,
a n g e n , hysterische Danerkon-
traktar der. 405.
Phosphaturie und Calcariarie. 411.
Plattfass, Beziehang zwischen
Skoliose and. 807.
— Hei lang des rachitischen nnd
statischen mittels Sehneoplastik.
669, 927.
Plearaexsndate, physikalische Dia-
gnostik der. 803.
Pneamokokken-Artritis bei einem
Neugeborenen. 9 1 7.
Pnenmokokkenepityphlitis. 916.
Pneumonie, Pathogenese der Krise
bei der fibrinösen. 663.
Pocken, fttiologische Begründung der
P.-Diagnose. 790.
Polioencephalitis mit hochgradiger
Idiotie, spastischen L&hmungen
und Kontrakturen. 405.
Poliomyelitis. 742.
— Multiple L&hmung der Arme und
Beine nach. 657.
Poliomyelitis anterior acuta und
subacuta s. chronica. 269.
Poltern. 543.
Protylin. 224.
Protozoen des Scharlachfiebers. 914.
Protozoenartige Gebilde in doi
Organen eines hereditär- syphi-
litischen Foetus. 796.
Prurigo. 666.
Pseudoieukftmie and Tuberkulose.
921.
Pseudorachitische hämorrha-
gische Skeletterkrankung bei
einem jungen Hunde. 225.
Pseudotetanus und seineBeziehnngen
zum Tetanus traumatious. 230.
Psoriasis, atypische. 408.
Pulsarythmie, idiopathische im
Kindesalter. 282, 408.
Purgen. 665.
Pylorusstenose, der S&aglinge. 684.
R.
Rachen, Tuberkulose des. 403.
Rachitis, Kalkadsorption und R.-
Theorien. 407.
— Beziehungen der hereditären Syphilis
zar. 405.
— Sp&t-R. 921.
— Bekämpfung der durch die Gouttes
de lait. 224.
Respirationsorgane, Krankheiten
der. 662 ff., 808, 924.
— Aufnahme dei Bakterien durch die.
909.
Rhinitis fibr in osa, Beziehungen der
zur Diphtherie. 786.
Riesenwuchs, halbseitiger. 405.
Rippenknorpelanomalien und
Lungentuberkulose. 588.
Röntgentherapie. 238 (Bsp.).
— Bei Leukämie. 797, 798.
Säuglingsernährung. 417 ff., 683,
684, 912.
— Biologisches zar. 401, 408.
— Vergleichende Stadien aber den
Wert der natfirlichen und künst-
lichen bei Tieren. 412.
— Und Säuglingssterblichkeit. 240.
Säuglingssterblichkeit, Be-
kämpfung der. 500«
Samenstrang, Torsion des. 666.
Saugen, Brust-S. und Flaschen-S. 679.
Scharlach, Agglutination der Strepto-
kokken bei. 93.
— Protozoen bei. 914.
— Nagelerkrankungen nach. 422.
— Behandlung des. 789.
— Behandlung des mit Antistrepto-
kokkenserum. 914.
— Behandlung der mit Mosers Anti-
streptokokkeoserum. 422.
Scharlachnephritis, Urotropin bei
408.
934
Sach'Register.
Scharlacbnephritis, Urotropin aU
Prophylaktikum gegeo. 790.
Schariachseram. 789.
Schief hals, Rezidiv nach Operation
des. 807.
— Behandlang des. 670.
SchilddrfisoDschwand, Aetiologie
des bei Kretinismas and Myxödem.
227.
Sehleimhaatlapas, prim&rer der
Nasenrachenorgane. 407.
Schnupfen, Behandlang des. 802,808.
Schale und Nervenkranaheiten. 545.
Schalkinder, Untersuchangen an in
London. 409, 410.
Schaltzesche Schwingungen, Ge-
fahren der. 680.
Schwachsinnigenfürsorge, Hand-
buch der. 549 (Bsp.).
Schwangerschaft, Biologie der. 414.
Schwangerschaftsreaktionen
fötaler Organe und ihrer puer-
peralen Involution. 677.
Schwitzen, paradoxes. 785.
SehnenplastiL 807.
— Bei rachitischem und statischem
Plattfuss. 669, 927.
Seitenkettentheorie Ehrlichs. 548
(Bsp.).
Seitenstrangsklerose, primäre. 799.
Selbstmorde bei Kindern. 544.
Senfwassereinwicklungen, Be-
haadlung der Kapillärbionchitis
mit. 808.
Sic US pyriformis, Fremdkörper im.
231.
Sitzungsberichte.
— Vereinigung niederrheinisch -west-
fälischer Kinderärzte. 659.
— Vereinigung süddeutscher Kinder-
ärzte in Frankfurt a. M. 657.
— Gesellschaft für innere Medizin und
Kinderheilkunde in Wien. 400.
Skeletterkrankung, pseudorachi-
tische hämorrhagische bei einem
jungen Hunde. 225.
Sklerodermie. 658.
Skoliose. 671.
— Lage der skol. Abbiegungen in den
verschiedenen Altersjahren. 808.
— Beziehungen zwischen Plattfuss und.
807.
— Behandlung der. 806.
— Behandlung der durch aktive und
passive Ueberkorrektur. 805.
Skorbut, infantiler s. Barlowsche
Krankheit.
Skrophulose, Behandlong der mit
Soletriokkuren. 222.
Soletrinkkuren bei Skrophulose und
Tuberkulose. 222.
Sonderklassensystem der Mann-
heimer Volksschule. 552 (Bsp.)
Spätrachitis. 921.
Speiseröhre, Dilatation cikatrizieller
Stenosen der durch das Oesophago-
skop. 926.
Sphinkteren, Verhalten der bei
Littlescher Krankheit. 924.
Stammeln. 543.
Status lymphaticus nach Chloro-
formnarkose. 796.
Stauungshyperämie, Behandlung
akuter Eiterungen miL 805.
Stauungspapille, Pathogenese der.
923.
Stickstoffausscheidung darch den
Harn beim Sängling und älteren
Kinde. 94.
Stoffwechsel, Wirkung der Fett-
darreichung auf den beim Säug-
ling. 86.
Stomatitis ulcerosa. 425.
Stottern. 543.
Streckbett für Säuglinge mit Ober-
sehenkelbruch. 670.
Stridoi* thymicus. 925.
Strophulus infantum. 666.
Sublimat Injektionen, hocbdosierte
intramuskuläre. 685 (Bsp.).
Suprarenin. 552 (Bsp.).
Synostosen, angebliche verfrühte
bei Kretinen. 226.
Syphilid, serpieinöses bei einem
hereditär syphilitischen Kinde. 404.
Syphilis der Zirkulationsorgane. 796.
— Vererbung der. 223.
Syphilis congenita. 400.
Syphilis hereditaria, Beziehunsen
der zur Rachitis und Hydrokephalie.
405.
— Protozoenartige Gebilde in den
Organen eines hereditär syph.
Fötus. 796.
— Viscerale Erscheinungen bei. 795.
— Behandlung der mit intramuskulären
Sublimatinjektionen in hohenDosen.
685 (Bsp.)
Syphilis nereditaria tarda. 404.
Syphilisheilserum. 541.
Tabes, hereditäre infantile. 545.
Tab es- Paralyse -Syphilisfrage.
923.
Taenia cucumerina. 402.
— bei einem Kinde. 232.
Taschenbuch für Kinderärzte.
548 (Bsp.).
Taubstummheit. 659.
— Beziehungen zwischen Imbezillität
und. 801.
Saeh- Register.
936
Tetanie, Symptome von bei moDgo-
loider Idiotie. 404.
— und Dipiitherie. 928.
Tetanas. 790, 791.
— Einflasa des Curare bei. 426.
— Geheilter nach spinaler Antitoxin-
Injektion. 405.
Tetanns traumations, Beziehangen
des Pseudo-Tetanns znm. 230.
Theooin. 666.
Thorax, rachitischer. 402.
Thjmnsdr&se, histologische Unter-
snchangen der beim Fötas. 418.
— Besiehnngen der zum Kalkstoff-
wechsel. 411.
Thymash^pertrophie. 162.
T o 1 1 w a t g 1 f t , Passage des dnrch Filter.
421.
Tonsillen, Tnberk alose der. 403.
— Sarkom der bei einem 9 jährigen
Knaben. 924.
Tremor bei Kindern. 798.
Trichokephaliasis mit tödlichem
Ausgang. 804.
Trichoph^tia capitis,Beschrftnkang
der bei Schalkiodern. 284.
Trismus, Pro^icnose des. 791.
Trockenmilch. 679.
Trommelschlftgerfinger im frühen
Kindesalter. 400, 402.
Tabercnlides catanes. 235.
Taberkalinreaktion, diagnostische
im Kindesalter. 8tl«
Tuberkulose. 222, 538ff., 793,794,
917 ff.
— im ersten Lebensjahre. 756.
^ des Rachens und der Tonsillen
bei gleichzeitiger doppelseitiger
Lun genspitzen affektion. 403.
— Demineralisation nnd Fleisch therapie
bei. 147.
Tumor, intrathorakaler. 404.
Tjphus, Pathogenese der transitori-
sehen Aphasie bei. 426.
— Darmpertoration bei. 917.
Typhusoazillen, Anwendung ab-
getöteter zur Gruber-Widalschen
Reaktion. 681.
Ulcus Tentriculi im Kindesalter. 925.
Universit&ts- Kinderklinik zu
Breslau, zum lOjfthrigen Bestehen
der. 1.
Urotropin bei Seharlachnephritis. 408.
^ als Prophylacticum gegen Scharlach-
Nephritis. 790.
Urticaria. 666.
Variola und Varizellen. 916.
Varizellen. 916.
Verdauungskrankheiten, infektiöse
der S&uglinge. 239 (Bsp.).
Verdauungs Organe, Krankheiten der.
232, 238, 664, 665, 804, 925.
Vererbung erworbener Eigenschaften.
908.
Vierte Krankheit, Dukessche. 423.
Vitiligo bei einem 8 Tage alten Kinde.
Volkssohulkörper, Organisation
grosser nach der natürlichen
Leistnngsfllhigkeit der Kinder. 552
(Bsp.).
W.
Wachstnmsstörung, ungewöhnliche
des Oberschenkels. 657.
Wechselfieber im Kindesalter. 792.
Widalsche Reaktion, Anwendung
abgetöteter Typhasbazillen zur Aus-
führung der. 68U
Winckelsche Krankheit. 417.
Wurmfortsatz, kongenitale Diyer-
tikelbildung im. 409.
Z.
Z&hne als Eingangspforte der Tuber-
kulose. 539.
Zirkulationsorgane, Krankheiten
der. 231, 232.
— Syphilitische Erkrankungen der. 795.
Zuckerbildung aus Eiweiss. 675.
Zunffe, kalter Abszess der. 510.
Zwillinge, hydranencephale. 802.
Zwergwuchs, rachitischer. 402.
Namen-Register.
Die fett gedraokten Zahlen bezeichnen Original- Artikel.
Abderhalden 675, 676.
Abriko88off 226.
Adler, E. 285.
Adler, Z. 917.
Ager 912.
Alzheimer 228.
Anche 924.
Armaingaud 222.
Armstrong 925.
Aron 676.
Aronheim 924.
Aasset 427.
B.
Bab 551.
Bali in 802.
Barbonneix 230, 928.
Bartel 920.
Bartenstein 6.
Barth 543, 663.
de Bary 657.
Bayon 226, 227.
van den Berg 907.
Bergeil 426.
Bernd t 665.
Berry 409.
Bichler 682.
Bier 805.
Blenke 806.
Block 661.
Blnmenfeld 658.
Blamenthal 542.
Bösbaaer 549.
Böttioher 233.
V. B6kay 423.
Bomby 419.
Bonrgarts 913.
Boye 550.
Braan 552.
Brehmer 660, 683.
Broca 670.
Brodnitz 669.
Broers 232.
Brudzinski 789.
Brüning 412, 905, 915.
Barger 224.
Barckhard 680.
C.
Cahen-Brach 657.
Galot 550.
Gamerer 675.
Celler 908.
Gheinisse 804.
Gomby 235, 684.
Gonor 540.
Gramer 682, 806.
Gronqaist 792.
Groazon 922.
Grachet 589.
Gzapek 673.
Gzerny 1, 199.
D.
Darlington 917.
Degny 924.
Denis 924.
Detot 918, 924.
Deutsch 544.
Dietlen 915.
Döbeli 238, 417.
Dopter 422.
Drehmann 672.
Dreifu88 409.
Drey 404.
Du bring 795.
Danlop 682.
Darlacher 792.
Duval 914.
Dylion 670.
E.
Ebert 500.
Edinger 542, 543, 800.
Eisenreich 797.
Escherich 232, 241,400,
401, 403, 404, 406, 408,
423, 798.
P.
Falkenheim 921.
Feer 422.
Fels 788.
Fick 670.
Ficker 909.
Fidler 786.
Fischer, J. 683.
Fischer, L. 424, 791.
Fischl 237.
Fl e seh 405, 791.
Foerster, R. 808.
Fraenkel 792.
Freriks 232.
Frenkel 780.
Freund, W. 86, 900.
Friedjung 543.
Fruhwald 549.
Fürst 673
Fallerton 416.
Galatti 401, 845.
Gallois 802.
Galins 924.
Gangeld 664.
Ganghofner 538, 914.
Gaucher 795.
Gendron 915.
Gernsheim 667.
Gereon 671, 806.
▼an Gieson 684.
Girand 906.
Göppert 51, 542.
Glaeasner 806.
Goldmann 287.
Goar^Titsch 416.
▼. Graff 910.
Grancher 684.
Grenet 425.
Grossmann 658.
Grunert 666.
Guinon 912, 920.
Guintrier 906.
Gundrnm 665.
Gatmann 666.
H.
Habs 926.
Hähnle 227.
Hahn 426.
Haim 916.
Halban 677.
Halbhaber 916.
Namen-RegiBtor.
937
Ualdane 672.
Halipr^ 418.
Halle 236.
Hambarger 401, 403,
908.
Haushalter 223.
Hay 237.
Hedinger 411.
Heimann 807.
Heller 544.
HeDffge 680.
He nie 803.
Hers 233.
Heabner 429, 803.
Hevesi 669, 927.
Heydenreich 662.
Hilbert 409.
Hippias 865.
Hirsch 676.
Hochsinger 400, 404,
405, 406, 407, 925.
HoffmaDn 667, 671.
Hofmann 791.
Hohlfeld 425, 922.
Hohmann 670.
Holt 684.
Hoagardy 6S8.
HassT 64, 798.
Hutchison 796.
Hatinel 419.
Jan kau 548.
Jaquet 679.
Ibrahim 915.
Jehle 402.
Jesionek 796.
▼. Immerwol 685.
Jochmann 547.
Johannessen 686.
Joseph 666.
Jürgens 790.
Jnndell 663.
K.
Kaliski 85.
Karcher 793.
Karplus 801.
Kassowitz 401, 403,
407.
Kaufmann 545.
Kelly 546.
Kettner^239.
Kiolemenoglon 796.
Klempner 922.
Klepetar 919.
Klien 681.
Knoepfelmacher 402,
425.
Koch, J., 807.
Köhler 539.
Königsberger 678.
Königstein 402.
Koeppe 657.
Koller-Aeby 910.
Kopfstein 678.
Korybut-Daszkie^
wicE 679.
Kraus, R., 775.
Kreidel 233.
Küster 791.
Landau, M., 670.
Lange 805.
Langstein 94, 454,
624, 688, 780, 922.
Lapin 546.
Larrier 917.
Lehndorff 403, 4Q5.
Leiner 404, 422.
Lenhartz 916.
Losage 912.
Leube 805.
Levi, H., 677.
Levy, F., 426.
Levy, M., 225.
Loeffler 681.
LöYegren 269.
Lomer 908.
Lnblinski 790.
Lüthje 675.
Luisada 541.
Lnithlen 403.
Luksch 909.
Lnnz 224.
Maas 659, 790.
Magni 413.
Maillard 928.
Mammack 793.
Mare 228.
Marsden 921.
Mayer 787, 916.
Mavgrier 427.
Mehrkorn 662.
Mendel, K. 923.
Mendelsohn 538, 914.
Mercade 540.
Merklen 413.
▼. Mettenheimer 658.
Meyer, A. 420.
Meyer, E. 797.
Meyer, L. F. 488, 454,
685.
Micieson 793.
Mikler 549.
Misch 582.
Möller 794.
Möhl 417.
Moizard 425, 924.
Moltrecbt 547.
Monuier 915.
Monrad 685.
Moro 401, 408, 687, 870.
Moser 400.
Moses 552.
Müller, B. 794.
Müller, C. 668.
Müller, E. 808.
Müller, H. 231.
Müller, F. Th. 548.
Murphy 790.
N.
Napp 223.
Neisser 658.
Neumayer 662.
Neurath 405, 742.
Newmark 229.
Nicolle 420.
Nobeoourt 239, 664.
Oberwinter 23^
Oertmann 681.
Orgler 106.
Partsch 539.
Patschkowski 790.
Pexa 787.
Pfaundler 230,240, 407.
Pik, E. P. 424.
Pick, R. 916.
Polano 414.
P61ga 925.
Prausnitz 240, 685.
Preleitner 405.
Pulawski 789.
Quest 114, 678.
Qninsas 908.
R.
Rabe 924.
Raudnitz 905.
Reichelt 925.
Reizenbtein 926.
Remlinger 421.
▼. Reuss 404.
Rey 661.
Reyher 558, 601, 902.
Richardiere 804.
Richon 223.
Riedel 234.
Richter 402.
Rietschel 549, 615.
Rist 424.
Römer 548.
938
Namen-Register.
Rommel 907.
Rosenberg 402.
Rossiwall 918.
de Rothschild 549,672,
912.
Rottenstein 791.
Raczynski 665.
Rapfle 665.
▼. Saar 688.
Saenger 908, 923.
Salaghi 232.
Salge222,409,486,588,
662, 685, 786, 905.
Salzer 915.
SaDdler 804.
Sato 229.
Sehein 425.
Schenk 415.
Schick 403, 407, 408,
811, 913.
Schieffer 798.
Schiner 549.
Schlesinger 418, 911.
Schlichter 403.
Schmidt, A. 679.
Schmidt, H. £. 238.
Schmidt, J. 684.
Schreyer 916.
Schuck 807.
Schütz 122.
Schnkowski 234.
Schnitze, B. S. 680.
Schwoner232,408,424.
Seiter 659, 660.
Senator 665.
Shaw 422.
Sickinger 552.
Siegert 660.
Silbergleit 921.
Simmons 796.
Simon 922.
Singer 231.
Sinnhnber 411.
Smit 787.
Smolenski 680.
Sommer 682.
Sperk 404.
Spieler 405, 920.
Spielmeyer 802.
T. Starck 222.
Stein 234.
Steinhardt 417, 666.
Steinitz M» 147.
Stepp 792.
Sterling 798.
Stiles 669.
Stirnimann 756.
Stoeltzner 225, 427,
428, 548 ff., 685.
Strümpell 799.
Sagg 412.
S wo bo da 402,406,667.
Y. Szontagh 917.
T.
V. Tabora 803.
Tada 162.
Tatschner 282.
TchisfoTitch 663.
Tenffel 240, 551.
Thiemich 172.
Thomas 787.
Thorne 410.
▼. Tobler 411.
V. Torday 927.
Torkel 910.
Traube 677.
Treitel 801.
Trinkler 668.
Trnmpp 672.
Tugenareich 683.
Turner 671.
U.
Uffen heimer 425.
Unna 668.
Unruh 810.
Vaillard 422.
Variot 224.
van de Yeide 412.
Veszpr^mi 539.
Vetter 918.
Vorn er 667.
Voisin 664.
Vüllers 671.
Vulpius 237.
Wachenheim 673.
de W&le 412.
Waelsch 541.
Wagener 664.
Wedinger 409.
Weigert 85, 147, 179,
222, 413.
Weinberg 664.
Weiss, S. 407.
Wendel 797.
Werndorff 808.
Wesener 915.
Weygandt 226.
WeTr885.
van der Wiik 234.
Wildermuth 545.
Wintersteiner 231.
Wisocki 683.
Wlazlowski 789.
Wolff, L., 786.
Zangger 804.
Zappert 406, 407, 785.
Zesers 807.
Znppinger 402, 405,
40
17.
Medizinischer Verlag von S. KARGER in Berlin' NW. 6.
Die
angeborene Pylorusstenose
im
Säuglingsalter
Von
Dr. Jussuf Bey Ibrahim
Friyatdosent an der Universität Heidelbeixr.
Lex.>8o. Mit 5 Abbildnngep. M. 3.50.
Pathologie und Therapie
der
Rachitis
Von
Dr. Wilhelm Stöltzner
a. o. Proft'SBor an der Universität Halle.
Lex.-8o. Mit 3 Tafeln. Brosch» M. 4.—, gebunden M. 5.—.
New York mediOäl Journal: St. Las written a very excellent as well as
very exhaustive treatiso on rickets. This mouograph is certainly
deserving of widespread QOtice and it is not saying too moch. of it to express
a desire for its translation, so that the body of our pbysiciana many benefit
by its study.
Schmldrs Jahrbücher: Der darch seine Untersuchungen über die
Histologie und Behandlung der Rachitis ruhmlich bekannte Verfasser hat in
der vorliegenden Monographie eine gr&ndli.che, ausführliche Darstellung alles
dessen gegeben, was wir über die häufige, in ihrem Wesen noch immer nicht
klar erkannte Krankheit wissen. — Wer sich in Zukunft mit der Rachitis
ernsthaft beschäftigen will, wird an der schönen Arbeit nicht vorüber-
gehen dürfen.
Deutsche Medizlnalzeitang: Der Autor, der selbst eine Reihe
Arbeiten über die Histologie der rachitischen Knochen, sowie über die
Aetiologie geliefert hat, zeigt sich als ein ausgezeichneter Kenner der über-
reichen Literatur, und es ist ihm in genj^uer Würdigung fremder und eigener
Erfahrungen gelungen, ein vortreffliches Gesamtbild der Erkrankung, ent-
sprechend dem Stande unseres heutigen Wissens, zu liefern. Der praktische
Arzt, der nicht in der Lage ist, alle die einzelnen VerÖffentlicnungen in
den Fachzeitschriften zu verfolgen, wird diese Monographie mit grossem
Nutzen lesen.
Durch Neudruck fehlender Bände bin ich in der Lage, jetzt liefern
zu können:
Jahrbuch für Kinderheilkunde.
Neue Folge Band 1—50 und Register zu Band 26—50
statt des Ladenpreises von M. 529« —
für nur M. 275,—.
Einzelne Bände und Hefte werden, soweit vorhanden, ebenfalls zu
erm&ssifirten Preisen geliefert.
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Medizinischer Verlag von S. KARGER in Berlin NW. 6.
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empfehlen sich zur
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die stets am Tage des Erscheinens an die aufgegebenen Adressen zur Ab-
sendung gebracht werden.
INHALT.
XXVII. Die diagnostische Tuberkulinreaktion im Kindesalter. Von Dr.
Bela Schick in Wien 811
XXVITI. Zur Charakteristik der akuten nicht pnstulösen Exantheme und
ihrer Misch formen. Von Dr. B. Galatti in Wien 845
XXIX. Morphologische und biologische Untersuchungen über die Darm-
bakterien des S&uglings. Von Dr. Ernst Mo ro io Wien.
(Schluss) 870
XXX. Bemerkungen zu der Arbeit von P. Reyher „Über den FeU-
gehalt der Frauenmilch*. Von Dr. Walther Freund in Breslau 900
XXXI. Erwiderung auf die vorstehenden Bemerkungen W. Freunds
zu meiner Arbeit „über den Fettgehalt der Frauenmilch**. Von
Dr. P. Reyher in Berlin 902
Literaturbericht. Zusammengestellt von Dr. B. Salge, Oberarzt an der
Universitäts-Kinderklinik zu Berlin 905
Sach Register 928
Namen-Register • ^36
Einsendungen für das Jahrbuch werden unter der Adresse eines der
Redakteure erbeten.
Das Jahrbuch erscheint in B&nden von je 6 Monatsheften. Jeder
Band hat einen Umfang von 48 Druckbogen. Der Preis des Jahrgangs
(zwei Bände) beträgt Mk. 36,—. Alle Buchhandlungen und Postanstalten
nehmen Bestellungen an.
Verlag von S. Karger in Berlin NW. 6, Karlstrasae 15.
Verantwortlicher Redakteur: 0. Heubner In Berlin
Hierzu eine Beilage der Firma Kalle & Co., A.-G. in Biebrich, betr. Bl0f«rrilL
(iedruckt bei Imberg & Lcfson in Berlin VV.
••. u. dl,-
DEC 19^903
ilC
i^
41C14
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