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Full text of "Zur Geschichte des griechischen Dithyrambus"

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VERZEICHNIS 

DER 

DOKTOREN 

WELCHE 

DIE  PHILOSOPHISCHE  FAKULTÄT 

DER 

KÖNIGLICH  WÜRTTEMBERGISCHEN  EBERHARD- KARLS- UNIVERSITÄT 

IN 

TÜBINGEN 

IM  DEKANATSJAHRE  1900—1901 

ERNANNT  HAT. 


BEIGEFÜGT  IST  EINE  ABHANDLUNG: 

ZUR  GESCHICHTE  DES  GRIECHISCHEN  DITHYRAMBUS 

VON 

Dr  WILHELM  S^CHMID 

ORD.  PROFESSUR  DER  KLASSISCHEN  PHILOLOGIE 


TÜBINGEN   1901 

BUCHDRUCKEREI  VON  G.  SCHNÜRLEN. 


I 


I 


Unter  dem  Dekanat  des  am  23.  Februar  1901  verstorbenen  Pro- 
fessors Dr.  Lothar  von  Heinemann  (12.  Jinii  1900  bis  23.  Februar 
1901)  und  dem  Prodekanat  des  Professors  Dr.  Wilhelm  Busch  (IG.  März 
bis  12.  Juni  1900  und  23.  Februar  bis  15.  März  1901)  haben  von 
27   Bewerbern  den   Doktorgrad  erworben  die  folgenden   16: 

1900. 

Oskar  Moser  aus  Stuttgart  10.  Mai 

DAvm  GRtJNEWALD  aus  Pörabsen  in   Westfalen  26.  Mai 
EMn.   WiNDRATn  aus  Liebershausen  (Rheinprovinz) 

Oberlehrer  in  Hamburg  2.  Juni 

Lic.   theol.   Kurt  Warmuth  aus   Dresden  14.  »Juni 

Gustav  Ries,  Oberlehrer  aus  Oldenburg  5.  Juli 

Abraham  Schweizer  aus  Stuttgart  19.  Juli 

Heinrich  Breidenbacii  aus  Eberstadt  (Hessen-Darmstadt)  21.  Juli 

Ludwig  Ziemssen  aus  Esslingen  26.  Juli 

Franz  Fischer  aus  Nürnberg  20.  Dezember 

1901. 

Karl  Schmid  aus  Andelfingen  17.  Januar 

Erich  Heyfelder  aus  Bromberg  24.  Januar 

Wilhelm  Fauser  aus  Maulbronn,  Pfarrer  in  Schöckingen  21.   Februar 


—     IV     — 

Gustav  Fonni:  aus  Dresden  21.  teLnuir 

Rylvan   Lkhmann  aus  Strassburg  21.  Februar 

Johannes  Sciiutzfjach  aus  Neckarwesthcim,  Prüzeptor 

in  Ehingen  7.  Miirz 

Josef  Zkm.kr  aus  Ellwangen  H-  Mürz 


Zur  Geschichte  des  griechischen  Dithyrambus 


von 


Dr.  Willielm  Scliinid, 

ord.   I'rofossor  (l(>r  klassisclicii   Fliiloloifip. 


Die  jungattisclien  l)itliyraiul)eii  des  IMelauippides  und  seiner  Nachfolger 
behandelten  die  Heroensage  im  weitesten  Umfang  und  führten  der  Art  nach  ähn- 
liche, zum  Teil  geradezu  diesell)en  Titel  wie  die  attischen  Tragödien,  die  nach 
Aristoteles  aus  dem  alten  Dithyrambus  hervorgegangen  sind.  Von  dem  alten  Dithy- 
rambus unterscheidet  sich  dieser  spätere  nicht  durch  seinen  Inhalt,  sondern  durch 
seine  mimetisch-musikalischen  Extravaganzen,  die  den  Spott  und  Tadel  der  Ko- 
miker und  des  Aristoteles  herausgefordert  haben.  *)  Ein  chorlyrisches  Gedicht 
mit  yjpwixTj  uKÖQzaiq  hat  also  schon  dem  fünften  Jahrhundert  vor  Christus  ebenso 
wie  dem  Plutarch  (de  nnis.  10)  für  einen  Dithyrambus  gegolten.  Wir  kenn(>n 
al)er  auch  ausser  dem  Dithyrandms  keine  chorlyrische  Gattung,  die  lediglich  der 
poetischen  Gestaltung  der  Heldensage  gewidmet  gewesen  wäre.  Denn  das  von 
Proklos  (chrestomath.  p.  246,  7  Westphal)  aufgeführte  ÖKopyriiix ,  an  das  man 
allenfalls  denken  könnte,  ist  nicht  Artbegritf,  sondern  allgemeinster  Gattungsbe- 
griff für  die  gesamte  Chorlyrik. 

Daraus  folgt,  dass  es  für  die  balladenartigen  Dichtungen  des  Bakchylides 
'AvTrjVop''öai  y^  'EXsvtj?  dnocixYiai.c,  (Tragödie  desselben  Titels  von  Sophokles),  'Hpa- 
v.Xi]c,  (inhaltlich  den  Trachinierinnen  des  Sophokles  verwandt),  'Hl'öeol  yj  Oyjosu^ 
(auch  Titel  eines  angeblichen  Stückes  von  Thespis),  ÖYjaeus  (Titel  verschiedener 
Tragödien),  'Iw  (Titel  einer  Tragödie  des  Chäremon),  "loa?  in  der  That  eine  an- 
dere Gesamtljezeichnung  als  die  von  Blass''*)  zuerst  geforderte  und  eingeführte 
Ai%px\i^oi  überhaupt  nicht  giebt. 

Wenn  wir  aber  auch  vermittelst  dessen,  was  wir  schon  lange  über  den  In- 
halt des  Dithyrambus  im  fünften  .lalirlumdert  v.  Chr.  wissen,  in  der  Lage  waren, 
neugefundene  Gedichte  aus  dieser  Zeit  als  I)itliyrand)en  zu  erkennen,  so  fehlte 
uns   doch  bis   in   das  Jahr  1897    eine   wirklich  greifbare  ^'orstellunff  von  dieser 


*)  Bosoiulero  rliytliiiiisclK;  luul  mctrischo  Külmlicitcii,  auf  die  Dionysius  von  llalikaniass 
(do  comp.  verl).  19)  hindeutet,  finden  wir  in  den  eriialtenen  Resten  der  späteren  Ditliyraniben- 
dichtung  keine,  zumal  seit  das  lange  Bruclistück  des  l'ratinas  (fr.  1  Behgk')  eudgiitig  aus 
diesem  Kreis  ausgeschieden  und  (h'iii  Satyi'spiel  zugewiesen  ist  (P.  (riuAiu),  Melanges  Weil 
131  ff.). 

**)  praefat.  ed.  Baccliylid.'  p.  V.  LVII. 

1* 


—     4     — 

jian/LMi  piHitischcn  (iattiiiijr,  und  Ulass  hat  vollkonmu.ii  Kcclit  /u  sa<r«'ii,  vor  Knt- 
«li'ckuH},'  des  Hakclivlidcspapyrus  liättcii  wir  nicht  cij^ciitliili  ficwusst,  was  ein 
Dithyrambus  sei.  Aber  so  hell  ist  doch  das  neue  Licht  keines wejis.  (htss  nun 
idöt/lich  Hc^^ritl"  und  «ieschichtlichc  Kutwickhinji  des  I)ithyrand)us  ^'an/  orten  vor 
uns  liejren.  Vielmehr  müssen  wir  <,'estehen,  (hiss  uns  das  wichti^'ste  Pnddem  auf 
diesem  (;el)iet  zunächst  noch  fast  ebenso  dunkel  ist.  wie  es  zuvor  war.  (iestellt 
ist  es  liUifist.  am  klarsten  in  der  besonnenen  Proprammabhandlunfi").  in  der 
Ewald  Schkihkl  die  wüsten  riiantasieen  von  Moritz  Schmidts  Diatribe  in  di- 
thyrand)nm  poetarumque  dithyrand)icorum  relicpiias  (Berlin  lH4r))  zurück^'ewies(  n 
liat.  ScHKiiu;i,  hat  die  Lösunji  versprochen,  aber  sein  Versprechen  nicht  ^^dialten, 
während  Schmidt  durcli  die  ^'ewaltsamsten  Einrenkunfisversuche  einer  {glücklicher- 
weise jetzt  überwundenen  \'ermittlungspliilolo<iie  die  Schwierijikeit,  st;itt  sie  ein- 
fach einzujiestehen  und  so  der  ricliti.üen  Erkenntnis  die  Ualni  zu  iirt'nen.  weijer- 
klären  wollte  (p.  21 1   rt'.j. 

Die  Hauptfrafie  ist  nun  also:  wie  kommt  es,  dassEnkomien  auf  die 
Heroen  dem  Dionysos  zu  Ehren  ^^esun^'en  wurden,  während  die 
Hymnen  auf  die  anderen  Götter  ihren  Stoff  ledi<:li,h  aus  der 
Sage  der  betreffenden  Götter  selbst  schöpfenV 

Für  die  Beantwortung  dieser  Frage  haben  wir  wenigstens  das  f]ine  aus  dem 
Bakchylidespapyrus  gelernt:  dass  jeder  Vei-such.  für  die  in  Dithyramben  behan- 
tlelten  Heroenmytlien  eine  besonders  nahe  Beziehung  zum  Dionysoskreis  nach- 
weisen zu  wollen,  endgiltig  als  verfehlt  abzulehnen  ist.  Nur  die  lo  den  Bak- 
chylides,  für  die  grossen  Dionysien  in  Athen  l)estinnnt,  leitet  (XVIII  4t)  rt'.  Blass) 
am  Schluss  zu  dem  Festgott  Dionysos  hinüber;  die  Stotfe  aller  seiner  übrigen 
Dithyrandjen  haben  mit  Dionysos  nicht,  das  Geringste  zu  tluiii. 

Wir  haben  aber  auch  noch  zwei  weitere  für  diesen  /usammeidiang  wichtige 
Erkenntnisse  aus  Bakchylides  gewonnen:  fürs  Erste,  dass  der  Dithyrambus  im 
fünften  Jahrhundert  v.  Chr.  nicht  notwendig  astrophisch  gehalten  war,  was  Blass 
früher  (Herm.  XXX,  314  rt.)  annehmen  zu  müssen  geglaubt,  jetzt  aber  (Praef. 
edit.  Bacchyl.'  p.  LVII)  selbst  autgegeben  hat.  Und  weiter,  dass  es  schon  im 
fünften  Jahrhundert  Dithyrand)en  für  Apollofeste  gegeben  hat:  ein  solcher,  für 
eine  delische  Apollofeier,  liegt  vor  in  Bakchylides'  'HlBeoi  f^  Br/a£u^)(XVI,  i:i(i  rt'.), 
und  wir  wissen  nun  auch,  was  wir  uns  unter  den  Ar^^iaxot  5'Mpx\i^oi  ,ies  Simo- 
nides von  Keos  (Strabo  p.  728  Gas.)  vorzustellen  haben.    Vielleicht  ist  auch  der 


*)  de  ilitliyramborum  Graecorum  arfjuinentis,  Progr.  der  Ritterakademie  Liegnitz  18«>2. 
**)  Die  beiden  Theseiisgediclite  des  Hakchylides  (XVI  und  XVII)  sind  schwerlirli  vor 
ilt'i-  Translation  der  Theseusgel)einc  nach  Atlieii  im  Jahr  475  entstanden. 


'HpaxXf^S  des  liakchylides  (XV,  10  tt.)  für  ein  Fest  des  mythischen  Apollon  be- 
stimmt gewesen.  Der  Grammatiker  in  Cramers  Anecdota  Oxoniensia  IV,  314 
berichtet  also  riclitig:  S'.Gupafxßog  eat-.  ■Ko'.r^\i7.  izpog,  A'.ovuaov  a56{i.£vov  r;  Tipoi; 
'AuoXXwva  Kep',TzXov.od  caxopiöv  oixstcos, ")  und  wir  kennen  jetzt  in  dem  apollini- 
schen Dithyrand)us  das  vollkommene  Gegenbild  zu  dem  Ilaiav  elq  Atovuaov,  von 
dem  uns  heute  ein  inschrit'tliches  Beispiel  (Weil  Bulletin  de  correspondance  liel- 
leni(iue  XIX,  393  f.)  vorliegt.  Derartige  Mischformen"")  waren  natürlich  erst 
möglich,  seit  die  Association  zwischen  Dionysos  und  Apollon  in  Delplii  voll- 
zogen war. 

Ungewiss  erscheint,  auf  welches  Fest  wir  den  "loa;  des  Bakchylides  zu  be- 
ziehen haben;  auch  Simonides  hat  (fr.  216  Bergk')  den  Stoff  behandelt.  Das 
Gedicht  des  Bakchylides  ist  nach  der  Überschrift  für  Sparta  bestinnut.  wo  viel- 
leicht ein  Heroenkult  für  Idas  bestand  (Pausan.  III,  13,  1).  Es  könnte  also  ein 
Lied  für  ein  Fest  dieses  Heros  sein;  bei  den  nahen  Beziehungen  des  Idas  zur 
Apollonsage  kann  man  freilich  auch  an  ein  lakonisches  Apollonfest  denken. 

Die  oben  gestellte  Frage  ist  denmach  nur  nocli  dringender  geworden,  seit 
durch  die  bakchylideischen  Gedichte  die  Unmöglichkeit  der  Auffassung,  als  be- 
stände immer  ein  Sachzusammenhang  zwischen  den  i^pcooxat  uTzoBiae'.q  im  Dithy- 
rambus und  der  Dionysossage  dargethan  ist,  und  es  ist  Zeit,  sich  wieder  einmal, 
unter  Vergegenwärtigung  alles  dessen,  was  wir  von  Inhalt  und  Form  des  Dithy- 
raml)us  wissen,  an  eine  Beantwortung  zu  wagen. 

Völlig  feststehend  ist,  dass  der  Dithyrambus  von  Hause  aus  ein  lyrischer 
Gesang  auf  Dionysos  gewesen  ist  (Procl.  ehrest,  p.  24-1,  19  Westphal;  Suid.  s.  v. ; 
Poll.  I,  38;  Timae.  lex.  Plat.  s.  v. ;  [Menand.]  de  enc.  p.  331,  23  Sp.),  und  zwar 
niemals  ein  „Weinlied  des  einzelnen  weinseligen  Zechers"  — -  ein  Weinlied  wohl, 
denn  oux  eaxi  o'Mpoc^i'^oq,  ox/J  'üooip  tt'//);  (Epicharm.  fr.  132  Kaib.),  aber  stets 
ein  Chorlied  im  griechischen  Sinn ,  d.  h.  von  einzelnen  e^apj^ovtsg  angestinnnt ; 
das  ist  ganz  unzweideutig  von  Archiloch.  fr.  77  P)Ergk*  gesagt: 

'/.od  Aitovuaoi)  avaxtos  xaXöv  s^ap^ai  jxeXog 
olox  6'.06pa[xßov  otvw  auyxspauvwöetc;  cppeva. '•"■'*) 

Sicher  ist  auch  was  Pollux  IV,  81  bezeugt,  dass  das  ungriechische  Instru- 
ment des  auAos,   das  mit  dem  Dionysoskult  in  allen  seinen  Formen  von  xVnfang 


*)  Die  drei  letzten  Worte  warten  noch  der  Heilung.  Auch  Marius  Victorinus  an  der 
unten  ö.  9  anzufülirenden  Stelle  meint  offenbar  den  apollinischen  Dithyrambus. 

**)  Analoge  Erscheinungen  s.  Welcker,  (iriech.  Gottcriclirc  11,  tjl6  f. 

***)  Die  Stelle  ist  schon  von  Lütcke  de  Graecorum  dithyrambis  et  poetis  dithyrambicis 
(Berlin  1829)  p.  17  riciitig  verstanden. 


—    ()    — 

an  fest  vi'rliiiiidt'ii  \v;ii-.  iii>iiriin;ili(li  allein  diesen  Clior  ln-jlcifct  li.if.  und  /u;ii" 
(rrofl.  ehrest.  245,  22  Wkstimial;  weitere  Stfdleii  Moii.  Schmidt,  diatrihe  p.  2»)7  f.) 
in  idirviiisclier  oder  liyiiophrvfiisclier  Harmonie.  Auf«:! 'führt  ist  er  heim  Opfer 
für  den  (lott  (otav  a;:£vOü)a'.  Ath.  XIV,  <)2Hai. 

Kill  ai»()tropäischcr  /weck  (ei?  xaxwv  TiapaiTrjatv),  von  (h-ni  l'roklos  (ehrest. 
\).  245,  14.  28)  redet,  wenn  die  Lesart  richtig;  ist  (s.  n.  S.  10  .Vnm.)  ist  in  keinem 
der  nns  erlialtenen  ?Aemplare  erkennltar. 

Über  den  n  rs  i)rün etlichen  Inhalt  des  I)  i  t  h y  ranibns  Übst  sich 
durch  Etymo]üj.iie  nichts  Genaueres  feststellen.  Die  alten  Etymolofrieen  *)  von 
dem  avxpov  5{0upov,  in  dem  Dionysos  auff^ezogen  worden  sei.  von  aOÖ-.  pajipia 
(Tind.  fr.  85  Christ),  von  olc,  yeviaBat  (diese  alle  bei  Prod.  1.  1.  p.  244.  20  tl'. ). 
auch  die  Erkliirun^  von  5i66pa(jL,3o?  als  (Jnomatopoeticum,  die  Dio  Clirysostomus 
XVII,  2  zu  meinen  scheint,  haben  für  uns  kaum  irfiendwelchen  Wert.  Nur  die- 
jenifien,  die  das  Wort  zu  derOeburt  des  Dionysos  in  Beziehung  setzen,  ver- 
raten weniiistens  eine  inhaltlich  richtige  Auffassung,  insofern  es  Dithyramben  auf 
die  (reburt  des  Dionysos,  analog  den  christlichen  Weihnachtsliedern,  wirklich  ge- 
geben haben  muss  (Plat.  leg.  III  700  B).  Von  ihrer  Existenz  haben  wir  nur 
noch  eine  Si)ur  in  demjenigen  Teil  des  lehrreichen  Missionierungschors  aus  Euri- 
pides'  Bakchen,  der  die  Geburtssage  des  Dionysos  behandelt  (Eur.  Bacch.  88  ft'.),  **) 
Etymologische  ^'ersuche  neuerer  Zeit  haben  nicht  weiter  gefördert:  dass  Ä1Ö5 
0Opa{x[io;  nicht  die  lichtige  Erklärung  sein  kann,  ist  durch  Jakob  Wackerxauel 
(Rhein.  Mus.  XLV,  482)  bewiesen.  A'.96pap.^os  ist  ohne  Zweifel  von  Hause  aus 
Beiname  des  Gottes,  wie  es  denn  auch  vereinzelt  (Herodot.  MI.  227)  als  mensch- 
licher Eigenname  vorkommt.  Wahrscheinlich  ist  es  gar  kein  griechisches,  sondern 
ein  kleinasiatisches  Wort  etwa  von  einer  der  Bildungsklassen,  die  V.  Kretschmek, 
Einleitung  in  die  Geschichte  der  griechischen  Sprache  322.  332  bespricht. 

Die  Ditliyrand»en,  die  uns  v(dlständig  oder  in  grösseren  Stücken  erhalten 
sind,  fallen  alle  unter  den  Begriff  der  Ballade,  auch  der  jiindarische  Athener- 
dithyrand)us.  dessen  prächtigen  Anfang  wir  dem  Dionysios  von  Halikarnass  ver- 
danken. Dionysischer  Stoti'  wiegt  hier  ebensowenig  \or  wie  in  der  attischen  Tra- 
gödie, Gegenstände  sind  vielmehr  Götter-  und  Heroensagen  aller  Art. 

')  (JesamiiH'lt  und  besprochen  in  der  citierten  Dissertation  von  Ltttcke  p.  9  ff.  (L. 
entscheidet  sich  für  die  auf  lateinische  (Jrammatiker  zurückgehende  Ableitung  von  Öprafi^o?); 
s.  auch  Welcker,  Nachtrag  zur  Sehr,  über  die  äschyl.  Tril.  191,  27;  Mor.  Schmidt,  diatril»e 
in  dithyr.  Iftl:  IlAnTiNn,  Philol.  I,  398. 

**)  Die  Anspielung  des  Dio  Chr.  LXXVIII,  32  zeigt  übrigens,  dass  auch  der  jung- 
attiscl>e  Dithyrainlms  diesen  Gegenstand  nidit  vergessen  hatte. 


Eine  besondere  Gattung  von  Dithyranil)us  würde  die  volkstümliche  Anru- 
fung der  eleischen  Weiber  an  Dionysos  iXQely  r^pijy  At,6vua£  xxX.  (Bergk  Poetae 
lyr.  Gr.  IIP  p.  656  nr.  6)  darstellen,  wenn  sicher  wäre,  dass  man  dieses  Stück 
unter  die  Dithyramben  reclmeii  dürfe.  Es  wird  von  diesem  Typus  später  noch 
zu  reden  sein  (S.  13  tf.). 

Über  die  r  h  y  t  h  mische  G  e  s  t a  1 1  u  n  g  lial)en  uns,  wie  bemerkt  (p.  4)  die 
bakchylideisclien  (iedichte  gelehrt,  dass  astrophischer  Bau  keineswegs  ein  notwen- 
diges Kennzeichen  des  Dithyrambus  ist.  Immerhin  wird  man  festhalten  dürfen, 
dass  es  lange  vor  Melanippides,  Philoxenos,  Timotheos  astrophische  Dithyramben 
gegeben  habe  und  dass  Simonides'  Danae  und  Pindars  freigeliautes  Athenergedicht 
solche  seien.  Aber  jetzt  erst  gewinnt  die  Stelle  aus  den  pseudoaristotelischen 
Problemen  (XIX,  15  p.  918b  18  tf.)  die  richtige  Beleuchtung:  bCo  xac  oi  SlOu- 
pap-ßot,  £7i£tSrj  [xt[irjTixoc  Eyevovio,  ouxexi  e)(ouaiv  avxiaxpocpous,  Ttpoxepov  oe  £t)(OV 
acxcov  6e  oxo  xo  uaXacöv  oi  eXsuOepot,  ey^6pe\)ov  auxoi  •  TzoXXobc,  ouv  aywvcaxixwg 
aoeiv  y^alzKov  fjv,  coaxs  £vap|xcvia  [xeXrj  ev7)Sov .  ^exaßaXXeiv  yap  TtoXXag  [aexaßoXa^ 
xw  evc  ^aov  >]  xolq  noXXolq,  xac  xw  aywviax'^  y^  xolq  xb  ifioq  cpuXaxxouaiv .  oib 
inXoüaxepx  euotouv  auxotg  xa  [aeXt]  .  i]  be  avxiaxpoqjog  aTcXoOv  •  dpiGjAoc  yap  iaxi 
xat  ev:  [iexpBixM.  Das  Älteste,  dem  Cliorvortrag  Angemessenste  war  auch  l)eim 
Dithyraml)us  der  strophische  Bau:  er  ist  die  naturgemässe  Form  aller  Volkslyrik, 
und  aus  dem  Volk  ist  ja  auch  der  Dionysosdienst  mit  allem,  was  zu  ihm  gehört, 
emporgestiegen. '')  Zu  dieser  ältesten  Manier  des  „schnurgeraden"  d.  h.  antistro- 
phischen Gesangs  (a)(Civox£V£c'  aoiSd)  setzt  denn  auch  Pindar  (fr.  79  A  Christ)**) 
seinen  frei  dahinströmenden  Dithyraml)us  in  Gegensatz.  Es  ist  offenbar,  dass  schon 
er  (Hör,  carni.  IV,  2,  11  f.)  und  Simonides  die  solistenmässige  Entartung  des  spä- 
teren Dithyraml)us  nach  der  Richtung  der  rhythmischen  Form  angebahnt  oder 
angenonnnen  haben. 

Mit  dieser  Umformung  des  rhythmischen  Baus  gieng  die  darstellerische 
Änderung  Hand  in  Hand,  die  Gomperz  (N.  Jahrbb.  f.  Philol.  und  Pädagog.  1886 
S.  771  tf.)  aus  Plat.  resj).  III  394  C  richtig  erschlossen  hat:  an  Stelle  des  er- 
zählenden Dithyrand)us  älteren  Stils  trat  der  dramatisch-niimetische.  Die  Eigenart 
dieses  letzteren  erklärt  sich  so  vollständig  aus  seiner  Konkurrenz  mit  dem  aus- 
gebildeten attischen  Drama,  dass  man  sagen  darf:  der  mimetische  Dithyrandnis 
im  vollen  Sinn  kann  vor  Pintstehung  des  attischen  Dramas  gar  nicht  existiert 
haben.     Denn  erst  seit  der  Dithvrambus  mit  dem  Drama  um  seine  Existenz  zu 


*)   ProcI.   ehrest,  p.   245,  24  tout  o\  b  [xsv  SiOJcaaßo;   i-b   irj?  /.ara  Tol»;   äypo-jc   Jioioia;    /.at 
**)  Die  Stelle  ist  vuii  IlAiiTUNa  IMiilol.  I,  401  iiiisbdeutot. 


—     8     — 

kamptVil  liciiöti^t  war.  miissfc  er  sciiit;  iiiiisikaliscli-ininietischeii  Hci/c  /ii  der  Ite- 
kaniitrii  scliwiiKlclliaftcii  llölic  /u  stci^ioni  suclieii :  er  winde  iiiin  etwas  Äliiilicli('s 
\\'\v  (las  iiKxIciiM'  Orafnriiini  liehen  dci-  Oper,  olim«  docli .  wie  unser  Oratorium, 
die  Syndtolik  der  musikalisclien  Wirkung  ^muz  rein  für  sich  bestehen  /u  lassen 
—  CS  wurde  \i(diuelir  uuch  eine  Art  s\  nilMilischer.  die  Mu>ik  illu>trierender  Ak- 
tion des  Instrunientalisten  und  des  Cliortührers  hin/n}iefiit;t  (Aristot.  ixii-f.  2t) 
1».  lliill)  :\2  Ü'.).  die  auf  unseren  (leschniack .  wenn  einsthaft  ^'enieiiit .  hiichst 
ix'inlicli   wirken  niüsste. 

Hat  es  nun  die  jirösste  innere  NN'alirsclieiiilichkeit .  dass  der  Ditliyiainlius 
diese  Mefain(ir|»liose  eben  da  erfahren  habe,  wo  die  Tia-iödie  aus  iliiii  erwachsen 
ist  und  ihm  ei^^'utlich  den  Lehensfaden  ah^eschnitteii  hat,  niimlich  in  Attika.  so 
darf  man  dem  Dithyramhus,  /u  dem  Tind.  fr,  7V)  A  15  Christ  jichören.  ein  äusseres 
Zeugnis  für  Zeit  und  Urheber  der  bezeichneten  Erscheinuiifien  abzu^'ewinnen  wa^'en. 
Dass  er  den  Athenern  gewidmet  sei.  niiiimt  SciimM)!;!;  mit  voUeiii  Üeclif  an. 
l'indar  weiss  seinem  Publikum  in  ausgesuchter  Weise  zu  schmeicheln  -  nach 
dieser  Seite  hin  kennen  wir  ihn  besonders  gut,  seit  wir  seine  erste  olymiiische 
Ode  mit  dem  weniger  schwungvollen,  aber  im  Komplimentieren  weit  massvoUeren 
und  anständigeren  fünften  Siegeslied  des  Hakchylides  zu  vergleichen  die  Mii'ilich- 
keit  haben.  .\n  der  angeführten  Stelle  lobt  Tiiidar  otieiibar  den  noch  neuen 
attischen  Dithyrambus  nach  seinem  freien  rhythmischen  Dan  im  (legensatz  zu 
(lern  strophischen  älteren  und  hat  gewiss,  um  die  Schmeichelei  voll  zu  machen. 
auch  sein  eigenes  (redicht  in  attischer  Manier  frei  gebaut;  er  hdit  zugleich  auch 
den  atti.schen  Dialekt,  der  statt  des  aav  x:ß5aXov  das  tt  hatte.  wiew(dil  zweifel- 
haft ist,  ob  und  wie  weit  diese  Dialekteigeiitümliclikeit  im  attischen  Dithyrambus 
zum  Ausdruck  gekommen  ist.  *  •  j  Dieser  Dithyrambus  neuen  Stils  ist  die  Schöpfung 
von  rindars  Lehrer  Lasos  von  Hennione,  der  von  manchen  Alten  übertriel)en  und 
missverständlich  für  den  Krtinder  des  Dithyraml)us  überhau[)t  gehalten  wurde 
(Voi.KMANX  zu  l'lnt.  de  nius.  ji.  HV»,  44  tf..  der  sich  mit  Hecht  zu  der  .Vnsicht 
von  I'muci  über  die  Art  von  Lasos'  Neuerung  bekennt). 

Über  weitere  metrische  Kigentüm  lichkeiten  des   Dithvrambus 


*)  -p'iv  [xkv  eTpJiE  oyotvor^vEti  t'  ioioi  oiOjpäixßfov  xa«.  ~'o  oav  ztßoaXov  avOptönoiaiv  izo  OToasTeov. 

**)  Diiss  wir  in  Lasos  von  Ilcnuioiu'  iiirht  ciiu'U  Vorläufer  des  Nostor  von  Laraiula 
si'ln'ii  (hirfcii,  lialtc  icli  für  siclipr.  Wenn  also  die  äaivfio?  (oSiJ  des  Lasos,  von  der  Pionvs. 
Ilal.  de  conipos.  verb.  14  und  Athenae.  X  p.  45öc  reden,  im  Sinn  der  'D.tä;  XEii{.'.Ypiji[iaTo;  /u 
verstehen  sein  8(dl,  so  ist  sie  im  Altertum  mit  Reclit  für  unecht  erklärt  worden  (Athen,  a.  a.  ().)• 
Der  ü|ivot  «itYao;  auf  Demeter  al»er,  den  schon  Herakleides  Pontikos  citiert.  könnte,  wenn 
für  ein  attisches  liOkalfest  bestimmt,  wirklich  einmal  vereinzelterweise  dem  attischen  Dialekt 
die  stilistische  Konzession  gemacht  liaben,  tt  statt  aci  zu  jrcbrauchfii. 


5j;iebt  Mariiis  Victi)riiiiis  Notizen,  deren  Richti.ukeit  wir  kaum  kontrolieren  kiinnen. 
Er  redet  von  einem  Refrain  des  Dithyrambus  (Gramm,  lat.  VI,  5!),  2(i  tt'.  Kkil): 
esse  brevia  coLi,  quae  post  Strophen  et  antistrophon  supercini  moris  est,  quae 
iani  non  epodoe ,  sed  £cpu[xvta  dicuntur,  ut  est  üy]  ixaiav.  hoc  enim  vel  hymnis 
vel  dithyrand)is  supercini  moris  est.  Ein  Beispiel  giebt  er  nur  für  den  Refrain 
des  Päan,  nicht  des  Dithyrandnis  im  engeren  Sinn,  und  er  bezw.  sein  Gewährs- 
mann meint  offenbar  die  o])en  (S.  5)  erwähnte  Mischgattung  aus  Räan  und  Di- 
thyrambus. Im  üln'igen  könnte  mau  sich  ja  an  das  d^ie  xaOpe  des  eleischen  Dio- 
nysosgesangs erinnern,  wenn  dieser  nur  strophisch  gebaut  wäre.  Das  £cp6|xvi&v 
„w  oi9upa(xߣ"  erwähnt  Hephaest.  p.  72,  14  Westphal,  wir  können  es  aber  in 
keinem  Gedicht  belegen.  Ferner  verzeichnet  Marius  Yictorinus  ein  metrum  dithy- 
rand)icum,  gebildet  aus  zwei  Raeones  primi  und  einem  Epitritus  III  am  Schluss 
(p.  129,  11  ff.),  das  in  den  erhaltenen  Resten  genau  so  nicht  vorzukommen 
scheint;  mir  die  Einmischung  päouischer  Füsse  unter  sechszeitige,  von  der  die 
kürzeste  mögliche  Form  im  Dochmius  der  äschyleischen  Tragödie  festgelegt  worden 
ist,  können  wir  aus  dem  grossen  pindarischen  Dithyrambenfragment  und  aus 
Rakchylides  '■'')  nachweisen. 

Es  bleiben  also  manche  Lücken  in  unserer  Kenntnis,  al)er  doch  ist  eine 
schöne  Strecke  von  dem  Entwicklungsgang  des  Dithyraml)us  so  weit  erhellt,  dass 
man  die  Hauptrichtungen  und  -Stationen  erkennen  kami.  Der  astrophische  Dithy- 
rambus ist,  jedenfalls  in  der  Kunstpoesie,  vernnitlicli  al)er  auch  in  der  volks- 
mässigen,  nicht  das  Älteste,  sondern  das  Jüngste,  etwas  spezifisch  Attisches.  Was 
den  Stoff  betrifft,  so  kann  man  zugeben,  der  Dithyrambus  als  Hynmus  auf  die 
Geburt  des  Dionysos  sei  mehr  als  ein  etymologisch-litterarhistorisches  Phantasma 
des  Pindar  und  Piaton ;  al)er  geschichtlich  fassbar  ist  uns  jedenfalls  diese  Gattung 
nicht.  Dagegen  ist  völlig  klar,  dass  in  der  geschichtlich  hellen  Zeit  die  Helden- 
sage regelmässig  den  Stoff  für  den  Dithyrambus  abgab,  so  sehr,  dass  man  chor- 
lyrische Dichtungen  des  Lokrers  Xenokritos,  die  litterarhistorisch  nicht  ganz 
sicher  rubrizierbar  waren,  um  dieses  Inlialts  der  yjptoVxac  bKoQiaziq  willen  für 
Dithyramben  erklärte  (Plut.  de  mus.  10).  ^'=='^)  Die  Stücke  des  P>akchylides  sind 
also,  wie  oben  bemerkt,  inhaltlich  echte  und  gerechte  Dithyrand)en,  und  gehören 
der  Form  nach  zum  alten,  ausserattischen  Stil. 


*)  Mit  Händen  zu  greifen  sind  die  Doclimien  in  der  Kpodos  von  Biikchylidcs'  MliOsot 
gleich  im  Anfang:  tou'  eTjtev  ap£'Tai[7[j.o;  %toc,  -öipov  |  o\  vaußäxat  :;=  u  — ,  uuu  —  |  u — ,  —  u  — | 
•j  —  u  — ■;  dann  üaavs  ta  -oTatjviav  [xtjtiv  £'|;:£'v  ts  [j.£YaXooOsv£;  =  u  ■ — ,  uuu  — |  u  — ,  —  u  —  | 
—  uuu  I  —  u  —  n.  s.  \v.    Es  ist  das  rliytliniiscli  külinstc;  nnter  den  bakchylideisclien  Gedichten. 

**)  Schol.  Ar    av.  \)\H    reclmct    den  kyklisclit'ii  ('hurgesang  eint'acli   zum   oirjyrjaaiti'.öv. 

2 


—      10      — 

SclieiiKitLsch  lilsst  sidi  dit;  aus  den  liislicr  vin-^Tlciitcii  hatcn  ^'ewoiiucnc 
Stilist isciu'  ?jit\vi(klunj;  so  (larstelh'ii: 

I.   Älterer,  ausscrattisclicr  iMtliyranihus 

1)  stn>iiliisclier  in  apangeltisdicr  Darstellung 
a)  Aiovuaou  yovaJ  (?) 

1))  Heroensage 

2)  astropliisclier:  unvo;  xXr^r.xoc  der  eleYsclien  WeilterV  Von  einer  stro- 
phischen Form  des  'j|jivo;  xXr^Tixd:  wird  unten  S.  14  f.  zu  reden  sein. 

II.  .liingerer.  astrophischer,  attischer  Dithyrambus,  zu  mimetischer  Dai^stel- 
lung  mehr  und  mehr  iiljergehend. 

1 )  von  Lasos  begründet,  von  Pindar  nachgeahmt 

2)  von  Melanippides  und  Genossen  ins  niimetisch-musikalisch  Hunte  ge- 
steigert. 

So  liegen  die  Thatsachen.  die  wir  nun  zu  erklären  versuchen  müssen:  vor 
allem  das  riiänomen  des  Dionysoshynmus  mit  Stoff'  aus  der  Heldensage. 

Dem  späteren  Altertum  war  der  Heroendithyraml)US  etwas  so  rieläufiges. 
dass  über  den  befremdlichen  Widerspruch  zwischen  Zweckbestimmung  und  Inhalt 
derartiger  Gedichte  sich  niemand  weiter  aufliielt.  Dass  es  aber  eine  Zeit  gab. 
die  an  diesem  Widerspruch  Anstoss  nahm,  dafür  liegt  uns  noch  ein  Zeugnis  vor 
in  dem  Sprichwort  gOSev  Tzpbg  töv  Aidvuaov,  das  bei  Plut.  symj).  quaest.  I,  5 
p.  615  A  und  Zenob.  i)roverb.  V.  40  im  Wesentlichen  richtig  erklärt  sein  wird. 
.\uch  Proklos  (chrestom.  p.  245.  28  Westphal)  enthält  noch  eine  Andeutung  in 
dieser  Richtung:  6  |jl£v  vap  (o'.6'jpa[ij3o;)  ioxi  xo'.v6i£po;  (d.  h.  allgemeineren  In- 
halts), e:s  xaxwv  napa'.-r^av/''')  ysYpaiijjisvc;,  6  ot  (voiaogi  lo-'w;  e:;  'ATidXXwva: 
aber  es  ist  ihm  schwerlich  ganz  klar  gewesen,  welche  Schwierigkeit  er  hier  be- 
rührt. So  kann  man  sich  nicht  verwundern,  dass  auch  die  neueren  F.rklärungs- 
vei"suclie  auf  Abschwächung  statt  auf  klare  Herausstellung  des  Gegensatzes  hin- 
arbeiten. Man  weist,  sofern  man  nicht  wie  Härtung  (Philolog.  I.  406)  lautlos 
über  die  Schwierigkeit  hinweg  gleitet,  auf  die  vermeintliche  stctftliche  Verwandt- 
schaft des  Heroendithyramben  mit  der  Dionysos.sage  hin  (M.  Schmidt,  s.  o.  S.  4) 
und  sucht  auf  diese  Art  ein  allmähliches  Herüberrückeu  aus  dem  dionysischen 
in  den  heroischen  Kreis  glaublich  zu  machen;  oder  man  ninunt  einen  Notstand 
der  Dithyrambendichter  an  (Scheibel  a.  a.  0.  p.  XIV):   die  dionysischen  Stoti'e 


*)  Diese  Worte  siud  schwerlich  richtig  überliefert  (s.  o.  S.  6);  eher  könnte  ein  stoischer 
Grammatiker,  der  Proklos  wahrscheinlich  gewesen  ist  (Rhein.  Mus.  XLIX,  158  ff.),  geschrieben 
haben:  £i;  xaXöJv  ;:asa(v£aiv ;  denn  dazu  sollte  ja  die  Heldensage  dienen  (Strabo  I  p.  15  f.  17 
Casaub. ;  [Plut.]  de  vit.  Hom.  II,  ö.  218;  Dio  Chrys.  LH,  17). 


—    11    — 

seien  bald  erscliöpft  gewesen,  so  dass  man  ül)er  sie  habe  hinausgreifen  müssen, 
wobei  sich  doch  sofort  die  Fragen  aufdrängen  nmssten,  weshalb  denn  der  Kult- 
hynmus  für  Dionysos  trotz  aller  stofflichen  Beschränkung  nicht  ebensowohl  wie 
z.  B.  der  vojao?  UüQioc,  sich  in  dem  Kreis  des  Gottes,  den  er  eigentlich  angieng, 
halten  konnte,  und  warum  denn  nicht  auch  andere  Götterhymnen  solches  Hinaus- 
greifen über  ihre  eigentlichen  Gegenstände  zeigen.  Wie  äusserlich  und  unbrauchbar 
diese  und  derartige  Lösuugsversuche  sind,  empflndet  jeder,  der  sich  von  dem 
zähen  Beharrungsvermögen  religiöser  Formen  und  Gelnäuche  auf  griechischem 
Boden  die  richtige  Vorstellung  gel)il(let  und  sich  klar  gemacht  hat,  dass  der  Di- 
tliyraml)us  nicht  ein  ergötzliches  Spielzeug  war,  der  Dichterwillkür  preisgegeben, 
sondern  ein  fester  Bestandteil  eines  Götterkultes,  dass  also  die  Bestimmung  seines 
Inhalts  nicht  unter  einen  ästhetischen,  sondern  unter  einen  religiösen  Gesichts- 
punkt fällt.  Man  nehme  auch  nicht  eine  Analogie  von  der  bekannten  Becitation 
beliebiger  epischer  Stücke  nach  Voranschickung  eines  hymnenartigen  Kpooi\).iov 
bei  Götterfesten.  Denn  solche  Txpooqxta  und  Recitationen  sind  nicht  Bestandteile 
des  Kultes,  sondern  freie  Anhängsel  epideiktischer  Art  an  den  offiziellen  Teil  des 
Festes,  ein  poetisches  Vorbild  für  die  spätere  prosaische  Zusannnenfügung  der 
otaXe^iS  und  [leXeiri  in  den  Prunkvorträgen  der  Sophistenzeit. 

Sobald  mau  für  diese  religionsgeschichtliche  Seite  der  Frage  das  volle  Ver- 
ständnis gewonnen  hat,  wird  man  die  Notwendigkeit  erkennen,  jeder  weiteren 
P'.rörterung  des  vorliegenden  Problems  den  freilich  fast  selbstverständlichen  Satz 
voranzustellen:  ein  Dionysoshymnus  kann  von  Hause  aus  nur  diony- 
sisch en  Inhalt  gehabt  haben;  ein  Chorlied  mit  ausschliesslich 
heroische m  Stoff  hat  m i  t  dem  D  i  o  n  y  s  o  s k u  1 1  z u u ä c h s t  nichts  zu 
schaffen,  sondern  gehört  zum  Heroenkult. 

Damit  sind  die  Bichtpunkte  für  die  folgende  Untersuchung  bezeichnet.     Die 

Aufgabe  ist,  nach  den  nachweisbaren  m  u  s  i  s  c  h  e  n  Fi  1  e  m  e  n  t  e  n  i  m  I )  i  o  n  y  s  o  s- 

und   im  Heroen  kult  zu  suchen  und  von  den  da})ei  gewonnenen  Ergebnissen 

aus   die  merkwürdige  Zwitternatur  des  Dithyrambus  zu  erklären.     Manches  wird 

hier   prol)lematisch  l)leiben.     Das  })riugt  die  Art  unserer  Überlieferung  mit  sich. 

Indessen  ist  diese  doch  nicht  so  desperat,  dass  wir  auf  jede  tiefer  dringende  F]in- 

sicht   verzichten   müssten.     Die   dürftigen  Reste  müssen  nur  richtig  interpretiert 

und   kombiniert  werden.     Mit  reiner  Buchstabeugläubigkeit  kommt  man  freilich 

hier   wie   in   allen   grösseren  Fragen  nicht  von  der  Stelle,    und  vor  allem  ist  zu 

bedenken,  dass  es  über  die  volkstündichen  Anfänge  des  Dramas  und  Dithyrambus 

keine  Didaskalieen   gab,   Aristoteles  also  im  vierten  Kapitel  der  Poetik  darüber 

nicht  Zeugnisse,  sondern  Vernuitungen  bietet. 

_ 2* 


—     12     — 

I)i(iiivs«)s  ist,  wie  wii"  seit  Wklckkk  wissen,  ein  (lolt  ^raiiz  amlcifr  Ai't 
als  die  ( »lviii|)i('r  (\vs  Kpos.  Nicht  ein  !J:estren^;cr  Herr,  soiidmi  ein  ircuiidliclier 
Hefiricr  von  Kmiiiiu'r  iiml  Klciid.  ein  llcltVr  und  Heiland  der  Armen  und  (Je- 
drüekten.  Die  llotVnunfieii.  Trihnne,  Kkstasen,  die  der  .stienj^'e  Uationalisniiis  der 
fiiieehiselien  Ilenennioial  und  llerrenreli^'ion  mit  Acht  und  Bann  heleiit,  haben 
in  seinem  Bereich  unheschränktes  Existenzrecht.  Das  Kthos  seines  Kultes  ist  in 
den  Chören  von  Kuripides'  Bakchen  vortrel'tlich  ^'ezc^ichnet :  harmlose  Lehens- 
freude. Irrationaiisnuis,  Condescenden/  zu  den  (lefühlen  und  (ledanken  des  nie- 
deren \'(>lkes  )  sind  seine  ('harakteristika .  und  um  ihrer  willen  konnnt  er  in 
Kiuitiikt  mit  dn-  latiiuialistiscju'n  Staatsreli^ion  und  ihrer  l'olizeiüewalt  vom  ersten 
.Vulan-i  seines  Auftretens  an  —  daher  die  bekannten  Mythen  von  Lykur^os  und 
Tentheus.  Wenn  A'.owooc.  wirklich  ein  liiiecliischer  Name  ist  (wie  ich  mit  IUhide 
Psyche  II,  3«  f.  A.  überzeujit  bin)  und  dieser  Name  auf  den  thrakischen  Sabos 
oder  Sabazios  übertrajien  werden  konnte,  so  niuss  es  doch  vor  Import  des  thra- 
kischen Dienstes  einen  wurzelecht  «iriechischen  Gott  jenes  Namens  },'e}Teben  haben, 
dessen  Kult  mit  dem  thrakischen  einii^e  Verwandtschaft  hatte.  Mehr  od(!r  we- 
nij-'er  unterdrückt,  hat  der  Dienst  des  Dionysos  sich  in  den  einzelnen  Kantonen 
doch  über  die  Zeiten  der  Aristokratie  hinüber  gehalten  bei  der  ländlichen  Be- 
völkernn.i:.  Das  \'olk  veiehrte  den  (lott  der  wunderbaren  Belebuufis-  und  Be- 
fruchtuufiskraft,  die  sich  von  der  Ptlanzenseele  der  Hebe  auf  die  Seele  des  Men- 
schen Uberträ.trt,  den  (lott  der  fecundi  calices  in  der  derb  ländlich-sittlichen  Art, 
von  der  Aristoi)hanes  in  den  Acharnern  (2:57  ü\)  ein  Miniaturbildchen  privaten 
Charakters  gemalt  hat.     Bei  eifientlichen  Genieindefesten  sanken  die  .,d(iri)er"  '*) 


*)  Die  Stelle  Baccli.  4.iO  f.  ist  wohl  zu  lesen  lo  -X^Oo;  Zv.  -o  aajXöTepov  (opp.  aosö;  Eur. 
Aiulr.  482;  Ion.  834)  evöatae  XP^i"^"-  ''»  ^^  "^'T'^'  aXsfoiaav ;  zum  Sinn  von  iXs^w  vgl.  Alrni.  23,  2 
Bgk.^  oy  A'Jxataov  ev  zajioüaiv  iXi'fui',  Alcae.  58  O'jxe't'  e^w  AJy.ov  sv  Mo'jai;  aXivw ;  IMnd.  Ol.  II,  86 
rijjXcüj  T£  xat  KiSjio;  ^v  xo'iaiv  äX^yovTa'.  (Schol. :  auyxaTaXs'YOVTat  ev  toJtoi?  toI;  oizaiot;).    Die  lv<ir- 

responsion   (4iri  =  431)    —   uu  —  u mit uj  —  —  kann  keine  Scliwierigkoit 

machen  (Roshhacii,  Griech.  Metr.'  542).  —  Ganz  zutreffend  auch  Tihull.  I,  7,  39  ff.: 
Bacchus  et  agricolae  magno  confecta  lal)oro 

Pectora  tristitiae  dissoluenda  dedit. 
Bacchus  et  aftlictis  requiem  mortalihus  affert, 
Crura  licet  dura  comi^'dc  pulsa  sonent. 
**)   Daher  der  Namo  /.lojitoSia,  nadi  der  riclitigon  Etymologie  liei  Aristot.  poet.  3  j).  144Ma 
37,  wo  auch  richtig  angedeutet  ist,  dass  xwuLwSia  von  Hause  aus  eino  spöttische  Bezeichnung 
vom  Standpuidvt  des  stadtischen  Adels  aus  gewesen  sei.    Dasseihe  trifft  ührigens  auch  für  das 
Wort  TpayojSfa  zu,  von  dem  die  Alten  so  viele  thöricliten  Etymologieen  gegeben  haben.   Es  be- 
zeichnet den  Gesang  der  zum  Scherze  '^»fo:  genannten  Hirten  in  der  oisOspa  (s.  ausser  Br.i'MNKR, 
griech.  Privataltert.   17(5,  Theogn.  55;  Ar.  nul).  72;  Epist.  ad  Ilebr.  11,  37),  den  Bauerndithy- 
rambus.   l)'w  „tragischen"  Chöre  zu  Ehren  dos  Heros  Adrastos  mit  Wersicke  (Hermes  XXXII, 


—     13     — 

dem  Gott  in  der  volkstümliclien  Form  des  Cliorgesangs ,  in  den  volkstümliclieu 
Tanzrliythmen  der  lieluirrenden  oder  wechseiförmigen  secliszeitigen  Takte,  der 
Trochäen,  lamben,  loniker  und  Choriamben  seinen  Hymnus,  für  jedes  Fest  einen 
neuen  (xaivrjv  d-apOevsuxov  Semos  bei  Ath.  XIV  622  cd;  Anaxil.  fr.  272  Kock).*) 
Etwas  wie  ein  urkundlicher  Bericht  über  diese  ältesten  ländlichen  Dionysos- 
feste lässt  sich  nicht  mehr  gewinnen  aus  den  inhaltlich  und  formal  schon  sehr  weit 
von  dem  alten  Dionysosgesang  entfernten  Dithyramben  und  Tragödien  der  klassi- 
schen Zeit,  sondern  nur  noch  durch  Analyse  des  Kernbestandteils  der  altattischen 
Komödie,  der  Parabase.  Sie  zerfällt  nach  Inhalt  und  rhythmischer  Struktur  in 
zwei  Teile,  einen  anolBluiikviaq  und  einen  epirrhematisch  xaiä  o)(iaiv  gebauten. 
Nur  der  zweite  ist  in  allen  Parabasen,  vollständig  oder  w^enigstens  (in  den  Thesmo- 
phoriaz.)  stückweise,  vorhanden,  während  der  erste  in  den  Fröschen  völlig  fehlt. 
Daraus  wird  man  folgern  dürfen,  dass  der  zweite  Teil  der  ursi)rüngliclu're  ist. 
Inhaltlich  sind  l)ei  Aristophanes  überall  die  beiden  Teile  ganz  von  einander  ge- 
löst. Der  zweite  Teil  besteht  aus  den  beiden  korrespondierenden  Strophen  der 
w5y]  und  avTMOOQ  und  zwei  gleich  langen  Reihen  von  trochäischen  Tetrametern 
skoptischen  Charakters,  von  denen  die  erste  sich  zwischen  wSy]  und  aviwSos  ein- 
schiebt und  deren  ernsthaften  religiösen  Zusammenhang  Avenigstens  in  den  Pittern, 
Wolken  und  Vögeln  unterl)riclit,  während  die  zweite  der  chiMOoq  nachfolgt.  Wenn 
in  anderen  Stücken  die  lyrischen  Strophen  selbst  teilweise  (Ach.  Pax.  Ivan.)  oder 
ganz  (Vesp.)  in  den  skoptischen  Charakter  hereingezogen  werden,  so  ist  dies  ge- 


291  ff.)  für  Chöre  von  Bockssatyni  zu  halten,  ist  unmöglich:  was  sollton  dio  im  unvermischton 
Ileroendienst  ?  Und  Arion  vollends  hat  mit  den  Böcken  gar  nichts  zu  thuii  (s.  S.  19a  Anm.). 
Der  ßor^XaiT);  otOJpa;jLßo;  (ältere  P]rklärungen  bei  Welckrr,  Nachtrag  zu  der  Schrift  über  die 
äschylische  Trilogie  241  A.  179)  Pind.  Ol.  XIII,  19  ist  nichts  anderes  als  der  Rinderhirten- 
Dithyrambus  (wegen  der  Syntax  s.  Küiiner-Gebth,  ausfuhr!.  Grammatik  der  griech.  Sprache  P 
S.  27.3;  ähnlich  ist  besonders  iiXy|Tr)?  ß(o;  Hdt.  III,  52),  was  freilich  schon  im  Altertum  ver- 
kannt worden  ist  (Voigt,  in  Roschers  mytholog.  Lexikon  I,  1078,  62  ff.  lässt  mit  Unrecht  die 
Kritik  von  Wklcker  a.  a.  0.  unbeachtet).  -  Kwao;  ist  Kurzform  zu  x(ü|i.woia.  Man  kann  mit 
der  Sinnübertragung  den  schwäbischen  Dialektausdruck  „Kirwe"  (ländliche  Kirchweihe)  im 
Sinn  von  „ungeordnete,  bäurische  Szene"  vergleichen. 

*)  Das  Gesetz,  immer  in  der  Komödie  etwas  Neues  zu  bieten,  haben  die  altattischen 
Komiker  fortwährend  anerkannt  (Ar.  nub.  547;  vesp.  1044.  1053;  Xenarch.  bei  Ath.  VI,  225c), 
und,  mit  moralisierender  Begründung,  knüpft  nocli  Piaton  (leg.  VII,  816  E  xatvbv  5e  «ei  Tt 
T.s^\  ai-x  oa{vsaOai  twv  [x!ai)|jLaT(üv)  daran  an ;  auch  neue  Rhythmen  bot  man  womöglich,  wenig- 
stens in  derjenigen  Parthie  der  Parabase,  die  schon  im  fünften  Jahrhundert  a  parte  potiore 
den  Namen  a^iÄT.a:axoi  trug,  auch  wenn  sie  nicht  aus  Anapästen  bestand,  sondern  aus  sechs- 
zeitigen wechseiförmigen  Maassen,  wie  die  „crJar.Tu/.iot  iviTiatiTO'."  in  Pherekrates'  Korianno, 
oder  aus  versus  Cratinei  oder  aus  ionischen  Tetranu'tern  (Phrynich.  fr.  70  Kock)  oder  dak- 
tylischen  Hexametern   (Pherecrat.  XEipwvs;   fr.  152.  153  Kock).     Aber  auch  die  Tragödie  bat 


—     14     — 

wiss  nicht  :ils  das  l  rspriin-iliclic  zu  lictracliti'ii,  soiidoni  als  iiatiirj^cmässt'  Fol^ie 
der  Eiinvirkiin^'  i\cii  koniischcn  /iisaiuiiienhaii^s,  in  den  das  Strophcidied  in  der 
Kunstkoniödie  hineingestellt  ist.  Der  (Jötteranruf  hat  zweifellos  von  Hanse  aus 
den  Inhalt  des  Stnti)henliedes  ^lehildet,  wie  er  denn  noch  ein/,i«ier  Inhalt  der 
Strophen  in  den  l'arahasen  der  Ritter,  Wolken  und  Vö<;el,  und  wenitistens  ausge- 
deutet ist  in  derjenijien  der  Acharner  (<i<)')),  des  Friedens  (775.  Hl»i)  und  der 
Frösche  (675).  Die  Wahl  der  aufgerufenen  Götter  steht  in  den  aristophanischen 
Parabasen  stets  in  en«ieni  /usauiuieuhan^f  mit  dem  Iiduilt  des  Stücks,  wo  nicht 
der  Dichter  sich  an  seine  Göttin,  die  Muse,  im  allj^^'iueineu  wendet.  Der  I'est- 
gott  Dionysos  wird  nur,  nach  einer  Reihe  anderer  Gottheiten,  freilich  bedeutsam 
den  Schluss  bildend,  an<;erufen  in  den  W^olken  603  ff.  Seit  die  Komödien  in  die 
Gesamtveranstaltun^^  der  Dionysien  hereinfiezofien  waren,  in  deren  Verlauf  Ja  dem 
(iott  des  Festes  durch  eii^'ene  kyklische  Chöre  mit  Ditliyraml)en  die  nötijie  Hul- 
difjuuf;  dar^el)raclit  wurde,  hatte  der  einzelne  komische  Dichter  nicht  mehr  nötiiu', 
einen  Ilynnuis  auf  Dionysos  für  den  Chor  seines  Stückes  zu  dichten.  In  einer 
Zeit  und  in  Verhältnissen  aber,  wo  das  <^^inze  Bauernfest  mit  einem  eiuzifien 
Chor  auskommen  musste,  an  dessen  Gesänge  sich  die  freien  Entremeses  an.schlo.ssen, 
aus  deren  ^'erbindnn<I  mit  den  Chören  nach  Poppelrei'ters*)  überzeu<:ender 
Darstelluuji  die  Komödie  hervorgewachsen  ist,  kann  dieser  Chor  nichts  anderes 
als  einen  Hymnus  auf  Dionysos  gesungen  haben,  wobei  immerhin,  wie  man  es  in 
dem  i>indarisclien  Bruchstück  (75  Christ;  vgl.  Ar.  e(i.  5öM  tf. )  sieht,  nach  Art 
der  Theoxenien.  ausser  den  ständiiren  Genossinnen  des  Dionysos,  den  Chariten, 
auch  dit!  üi)rigen  Götter  als  (iäste  herbeigerufen  worden  sein  mögen.  Dieses  ehr- 
würdige Survival  ältester  Dionysosfeiern,  der  u|ivos  xXrjt'.xdc,  ist  der  Form  nach 
in  den  Strophen  der  Komödienparabase  noch  völlig  erhalten  geblieben. 

Die  trochäischen  Parthieen.  durch  die  das  Strophenlied  gekreuzt  wird,  ent- 
halten durchaus  i)olitisch-soziale  Satire  und  unterscheiden  sich  in  nichts  Wesent- 
lichem von  den  archilochischen  lamben,  aus  denen  ja  ein  Stück  (w  X'.7iepvf;i£; 
noXlxai,  xani  Sr^  ouy.zxs.  pTjUar'j  bezeichnenderweise  in  eine  Parabase  des  Kratinos 
(Schol.  Ar.  pac.  602)  wörtlich  übernommen  werden  konnte.  Ob  die  Verbindung 
zwischen  Strophen  und  stichischen  Trochäen  von  Anfang  an  die  ei»irrhematische 
Form  gehabt  habe,  niuss  dahingestellt  bleii)en.  Aber  dass  diese  Verliinduug  in 
irgend  welcher  Form  die  Grundbestandteile  der  alten  ionisch-attischen  Dionvsien- 


bis  in  (las  vierte  Jahrliuiulert  (xaivot  Tpayoiooi  s.  Alb.  Müller,  •zrioc  li.  Bülinenaltertfimer  S.  .323  f.) 
sich  an  jene  Regel  trehalten. 

*)  de  conioeiliae  Attirae  prininnliis.     Uerlin  1893. 


—     15     — 

feier  (u\i.voq  7rapaj8w|xio5  und  angeschlossene  oder  eingetioclitene  Spottianil)en)  *) 
gebildet  lial)e,  ist  im  höchsten  Grad  wahrscheinlich. 

Die  einleitenden  Anapäste  haben  zu  diesem  ältesten  Bestand  sclnverlich  ge- 
hört. Das  dorische  Marschmetrum  weist  auf  dorischen  Ursprung  hin.  Dem  In- 
halt nach  steht  diese  Parthie  dem  Prolog  der  neueren  Komödie  gleich  —  der 
Dichter  redet  hier  durch  sein  Organ,  den  in  Marschbewegung  aufziehenden  Chor, 
in  eigener  Angelegenheit,  und  es  ist  zu  vermuten,  dass  dieses  Stück  seine  Ein- 
fügung vor  den  Strophen,  als  eine  Art  von  Prolog  zu  diesen,  erst  den  Kunstdich- 
tern zu  verdanken  habe.  Dass  es  der  gesamten  Chorleistung  den  Namen  napd- 
^aaic,  eingetragen  hat,  darin  liegt  kein  Beweis  für  sein  hohes  Alter  in  der  ausser- 
dorisclien  Komödie. 

Durch  Verbindung  dieser  lyrischen  Parthieen  meist  ionischer  Provenienz 
mit  Nachbildungen  der  dorischen  Volksposse  ist  die  altattische  Komödie  entstan- 
den. Dass  es  eine  ionische  Märchenkomödie  nie  gegelien  hat,  überhaupt  kein 
ionisches  Drama,  l)raucht  man  jetzt  nicht  mehr  zu  beweisen,  zumal  nach  der 
feinsinnigen  Beurteilung  dcsr  Zielinski'schen  Ansichten  durch  Henri  Weil  (Etudes 
sur  le  drame  antique  283  ftV). 

Ist  man  berechtigt,  in  dem  melischen  Teil  der  Komödienparabase  ein  Ru- 
diment des  alten  Dionysoshynnuis  zu  finden,  so  muss  sogleich  darauf  hingewiesen 
werden,  dass  hier  nicht  die  leiseste  Spur  von  einem  die  Heroensage  betreffenden 
Inhalt  erscheint.  Wenn  demnach  Ode  und  Antodos  der  Parabase  als  Dithyraml)us 
angesprochen  werden  dürfen,  so  haben  wir  hier  einen  von  erzählenden  Elementtm 
freien,  rein  lyrischen,  strophisch  gegliederten  Dithyrambus,  eine  Anrufung  des 
Gottes,  dem  Inhalt  nach  ähnlich  dem  ele'ischen  Weibergesang  und  dem  Solo- 
Phaleslied  des  Dikaiopolis. 

Nach  dieser  Analyse  hat  man  sich  den  poetischen  Teil  der  altgriechischen, 
ländlichen,  noch  nicht  in  die  Staatsreligion  aufgenommenen  Feier  für  den  bärtigen 
Bauerngott  (dies  ist  ja  der  Typus  in  der  Kunst  bis  auf  Praxiteles  herunter)  so 
vorzustellen:  der  i)rinntiv  maskierte  (Pherecrat.  fr.  185  K.;  Aristoph.  fr.  253  K.) 
Chor  der  Bauern,  in  zwei  ^[xt,x6pia  geteilt  (Couat,  Melanges  Weil  40  f.),  tritt 
zum  Altar  des  Gottes  und  ruft  ihn  herbei  in  einem  stroi)hischen  Lied.  Dann 
tritt  einer  aus  den  Vermummten  hervor  und  macht  in  stichisclien  Trochäen  oder 
Iaml)en  die  Schnitzelbank  (xpi^oxa  ty]  uoXet,  Xiyeiv,  uapaivecv  Ar.  ran.  398  f.  69(i ; 
vesp.  651).  Weiterer  Munnnenschanz  schloss  sich  jedenfalls  an.  Es  ist  eine 
Feier,  noch  frei  von  den  fremdländischen  Einwirkungen  aus  Tlirakien  und  IMiry- 


*)  Die  Ilozpiclimiii,^:  „lamhoii"    ist   in    (Iciii    erweiterten  Sinn    .n'enieint,    in    dem    sie    die 
antike  tlranunatilv  hrauclit. 


—      Ki      — 

jiicii ,    lue   spütcr   den    alten  |{:iui'rnkiilt    untrr  niystisclu'ii   l'liautasmrii  iiikI  theo- 
lojiisclu'U  DopiiKMi  vcifxrahcn  haben. 


Was  wir  von  luusisclien  Veranst.iltnn'ien  im  lleioenkult  wissen, 
ist  nicht  elien  viel,  weil  das  ionische  Kptts  diesen  Knlt  i;:noriert  und  ans  (iriinden 
poetischer  Wahrscheinlichkeit  (es  schildert  Ja  die  lleroi-n  lehend.  he  vor  sie  (le- 
}:?enstand  des  Kultes  waren)  ifiiiorieren  luuss.  die  hieher  ^ehöri^e  altdorische  Chor- 
lyrik  alter  uns  fast  ^anz  verloren  ist;  indessen  i.st  was  wir  wissen,  doch  ausreichend, 
um  eine  Vorstellung  zu  ^'ehen.  Der  Verstorbene  aus  adeligem  (leblüt  erhält  /u- 
nächst  eine  Bes tattun«isfeier  mit  j:Cros.sein  Pomp;  nach  ionischer  Sitte  wird 
ein  OpY^o;  ihm  zu  Khrcn  von  ]5erufss;inj;ern  aus^feführt.  denen  der  Chor  klajiender 
W»'iber  respondiert  (U.  12  72»i;  etwas  anders  Aesch.  Sept.  h;J2  ti'.j.  Dem  Iidialt 
nach  muss  ein  solcher  Opf/zo?  von  Anfang  an  eine  Art  eyxwii'.ov *)  «jewe.sen  sein: 
ein  STw'.xüjJL^io;  aivoj  eu'  av5p:  0£:(o  (Aesch.  A*r.  1548  N. ;  avT^p  GeIo;  =  V,pu);  ganz 
im  dorischen  Sinn:  Aristot.  eth.  Nie.  \  11.  1  j».  1145a  29);  die  jüngere  C'hor- 
lyrik  hat  der  Gattung,  wie  bekannt,  neuen  Geist  eingebla.sen.  Den  Einzelenko- 
mien  in  aristokratischen  Staaten  entsprechen  die  KoUektivenkomien  späterer  Zeit 
in  den  demokratischen  für  l>ürger.  die  im  Krieg  pro  patria  gefallen  waren.  Von 
der  letzteren  Sorte  bietet  uns  das  erste  ßeispiel  Simonides  fr.  4  I'.gk.'.  in  der 
(■horode  auf  die  Toten  von  Thermoitylä ;  an  Stelle  der  Oden  sind  dann  seit  Schaf- 
fung der  Kunstprosa  im  Zeitalter  der  Sojihistik  die  Xdyoi  iTziziy.'j:  getreten.  Von 
einem  Öpf^vo;  i7ziz'j\i^ioq  alten  Stils  findet  mau  bei  Aschylus  (C'hoeph.  .■i45  ti".  N.) 
das  l)este  vollständige  Beispiel.  Die  Geschwister  singen  ihn  unter  Beteiligung 
des  Chors  auf  dem  Grab  des  Vaters,  als  wiire  dieser  soeben  erst  bestattet,  wie 
er  es  für  das  Gefühl  des  neu  aus  der  Fremde  angekommenen  Orestes  wirklich 
ist.  Die  Sitte  hat  sich  auch  bei  der  Leichenfeier  lakonischer  Könige  erhalten, 
deren  Ceremoniell  in  uralte  Zeiten  zurückreicht  (Rohde  P.syche  I*  165)  und  sie 
ist  in  jirunkvollster  Weise,  mit  barbarischer  Überladung  erneuert  worden  bei  der 
Leichenfeier,  die  Artemisia  für  ihren  Gemahl  Maussolos  veranstaltete.  In  der 
Schilderung  der  Bestattungsfeier  für  die  Könige  in  Sparta  sagt  Ilerodot  VI.  5h: 
o:p.ü)yf^  5ia/p£ü)via'.  dTiXiio),  cpäjjtevo',  xiv  Oaxatov  a-iei  a-0Y£v6|XiV0v  xwv  ßaT.ASwv. 
toOtov  5e  yevEaOai  apiaxov.    Maw  wird  auch  dabei  wohl  an  Chorgesänge  zu  denken 

*)  Der  Ausilrurk  zeigt,  «lass  solche  laiules  clarorum  viroriiiii,  wi»>  man  sie  an  ilm 
Gräliern  ffrossor  Toten  sang,  anch  bei  den  Gelagen,  ev  y.ä);i&i;,  zur  Unterhaltung  und  Anfeuerung 
vorgetragen  wurden  (I'ind.  Ol,  X,  7.'i  f.  itloi-o  li  räv  t£(xevo;  T£_o-va;7t  OaX;at;  tov  £y/.u)u:ov  iuzii 
Tpörov),  wie  I)ei  den  alten  Römern  (Cato  bei  Cic.  Tusc.  I,  2,  3;  IV,  2,  3;  ('ir.  Brut.  7.'»; 
Varro  hei  Non.  s.  v.  assa  voce).  Über  Heroenlieder  in  Sknlienform  Dknekks  in  Roschers 
myth.  Lex.  I,  2,  2ri03,  47  f. 


—     17     — 

haben.  *)  Plato  in  den  Gesetzen  (XII,  947  B  f.)  scliliesst  in  seiner  Schiklernng  der 
Bestattung  eines  heroisierten  apiaxeug  mit  chorlyrisclien  Lobpreisungen  (an  Stelle 
der  ^ppoi)  an  bestehende  (dorische?)  Gebräuche  an.  Auch  das  nordische  Altertum 
kennt  ähnlichen  Brauch,  wie  man  im  Beowulf,  bei  der  Schilderung  von  Beowulfs 
Bestattung  (v.  3187  ff.  der  Übersetzung  von  M.  Heyne)  liest:  zwölf  Kdelinge  ritten 
um  den  Grabhügel  und 

„in  Kummer  klagten  sie,  den  König  lobend, 

in  wahrem  Spruche  sagten  sie  vom  Helden, 

verküfideteu  sein  ritterliches  Wesen 

und  priesen  mächtig  seine  Heldenthaten." 
Nimmt  man  dazu  die  in  geschichtlicher  Zeit  freilich  eigenartig  modifizierte 
altrömische  laudatio  funebris,  '^*)  so  sieht  man,  dass  es  sich  um  eine  indogerma- 
nische Sitte  handelt,  und  man  wird  die  Bedeutung  dieser  Totenklagen  für  Fixie- 
rung von  Form  und  Inhalt  der  Heldensage  und  ihren  Eiiitiuss  auf  das  älteste 
Epos  (z.  P).  auch  auf  Schaffung  des  Vorrats  lobender  Beiwörter  für  die  Helden) 
nicht  leicht  hoch  genug  veranschlagen  können. 

Ob  der  poetische  dywv  um  den  besten  Hymnus  (auf  den  Verstorbenen),  in 
dem  Hesiod  (op.  (554  ff.)  einen  Dreifuss  als  Preis  gewann,  von  den  Söhnen  des 
Amphidamas   in  Chalkis   bei  der  Bestattungsfeier  für  ihren  Vater  oder  bei  einer 


*)  Die  Frage  darf  hier  wenigstens  aufgeworfen  werden,  in  welclieiu  I\[etruni  diese 
Heroengesiinge  gehalten  gewesen  sein  mögen,  die  Frage  nacli  dein  ursprünglichen  [Aerpov  fjptöov. 
Die  Alten  verstehen  darunter  meist  (Amsel,  Breslauer  philolog.  Ahhandlungen  I,  ;},  79)  einen 
Vers  aus  lauter  Spondeen  (Beispiele  bei  Demetr.  de  eloc.  42.  117),  den  Terpander  (Procl. 
ehrest,  p.  245,  7  Westphal)  gebraucht  haben  soll.  Als  sechsfüssiger  Langvers  wird  er  bei 
Demetr,  de  eloc.  204  charakterisiert.  Ob  aber  dieses  [i-eipov  äppuO|j.ov  der  volkstümlichen  He- 
roenpoesie angehört  habe,  ist  doch  sehr  fraglich.  Für  diese  möchte  man  eher  an  das  Mass 
xai'  evöjiXtov  denken,  dessen  Verständnis  F.  Blass  (Neue  Jahrbücher  für  Philol.  und  Pädag. 
138,  456  und  praef.  edit.  Bacchylid.'-  p.  XXXIII  ff.)  aufgeschlossen  hat.  Freilich  könnte  die 
Ehythmisierung  auch  bei  verschiedenen  Stämmen  verschieden  gewesen  sein.  Die  enoplischen 
Rhythmen  aber  waren  wohl  mit  der  ev6nXio;  öp/^Tjai?  verbunden,  die  zur  Hei'oenfeier  trefflich 
passt.  Lässt  man  den  epischen  Hexameter  aus  Zusammenfügung  von  zwei  enoplischen  Metra 
entstanden  sein  (Bergk,  kl.  philol.  Schriften  II,  392  ff.  hätte  bei  richtiger  Kenntnis  des  Be- 
griffs evönXio;  auf  diese  Auffassung  kommen  müssen),  so  niüsste  man  eine  allmähliche  rhyth- 
mische Umdeutung  (und  denn  auch  Umbildung)  des  ursprünglichen  Tetrameters  aus  e?iar,;j.oi 
in  einen  Hexameter  aus  TeTpicjTijxot,  etwa  unter  dem  Einfluss  der  daktylischen  Nomenpoesie 
und  -musik,  annehmen.  Den  Alten  ist  die,  wenn  man  so  sagen  darf,  rhythmische  Homony- 
mität  der  Hexameterform  /.a-'  svö-Xiov  immer  gegenwärtig  geblieben.  Ein  Beispiel  ähnlicher 
rhythmischer  Umdeutung  behandelt  Hephaestio  cap.  13.  Auch  das  ,,£voo;&v  ejikjuvOetov  oittev- 
07)ij.tti£pE;  £Yx.(o;j.ic/XoY!/.öv"  könnte,  seinem  Namen  nach,  hierhergehören  (Hephacst.  p.  51,  10  ff. 
Westphal), 

**)  Über  die  germanische  Sitte  fasst  sich  Tacit.  Germ.  27  allzu  kurz. 

3 


—      18     — 

Ennnermiixsfcier  für  den  Vi'istorlti'iu'n  /u  «lenken  sei,  ist  nirlit  siclier.  Dass  ein 
solcher  ninsischer  aywv  schon  hei  den  Leichenspielen  seihst  veranstaltet  worden 
sei,  hielten  jedenfalls  die  <Jranunatiker  für  niö«rlich,  die  II.  '1'  H8ft  lasen  xal 
pT^}iOve;  avSpe;  äveaiav  und  einen  aywv  Tiou^nato?  hei  den  'AÜXa  iizl  UeV.y.  durch 
Akastos  fiehalten  sein  Hessen  (I'hit.  synin.  ((uaest.  (iTö  A:  s.  a.  H<»hi»k  kl.  Sehr.  I, 
42,  1).  Die  dramatischen  Aufführun<-'en  hei  den  Leichenfeiern  Vdrnehnier.  Krie- 
chenfreundlicher Künier  im  zweiten  .lalirhiindert.  die  man  aus  der  (beschichte  des 
Terenz  kennt,  sind  Nachklang  uralter  griechischer  Sitte. 

Noch  weniger  wissen  wir  üher  um  s  i  s  c  h  e  I)  a  r  h  i  e  t  u  n  g  e  n  hei  d  e  n 
Erinnerungsfesten  für  die  Heroen,  Aher  die  Aufführung  von  Chor- 
gesängeu  hei  diesen  Gelegenheiten  steht  fest:  wemi  die  Megaror  in  alter  Zeit 
verpflichtet  waren,  alljährlich  (Hekker  Aneed.  p.  281,  30)  einen  Chor  von  5(»  Jüng- 
lingen und  Jungfrauen  zur  Hetrauerung  «ler  Verstorhenen  aus  dem  IJakchiaden- 
geschlecht  )  nach  Korinth  zu  schicken  (Meyapewv  oäxp-ja  IJekk,  Anecd,  p.  2«1, 
27  ff,;  Paroeniiogr,  Gr.  I,  117:  Schol.  Find.  Nem.  XII  extr,),  so  ver.steht  sich 
von  seihst,  dass  dieser  Chor  hei  der  Gedächtnisfeier  sich  durch  Gesang  und  Tanz 
zu  hethätigen  hatte,**)  Auf  denselhen  Gehrauch  scheint  Sojjhokles  die  Elektra 
(280)*'-)  mit  Ironie  anspielen  zu  lassen.  FAn  Enkomion  auf  den  verstorhenen 
Sportsniann  Xenokrates  von  Akragas  in  Form  einer  ixietischen  Epistel  an  dessen 
Sohn  Thrasyhulos  liegt  uns  in  Pindars  zweiter  isthmischer  Ode  vor:  das  Gedicht 
ist  ohne  Zweifel  für  chorische  Aufführung  am  Gedenktag  hestimmt  gewesen.  Das 
Andenken  des  Enagoras  wird  u.  a.  durch  Chorauffüiirungen  gefeiert  (Isoer.  Euag.  1 ). 
Weitere  Zeugnisse  für  Hymnen  auf  die  Heroen  sauiiuelt  Denekex  in  Iloschers 
mythol.  Lexikon  I,  2,  25(>3,  47  ff.).    Besonders  wichtig  ist  auch  hiefür  die  schon 


*)  So  in  den  Pindarscholien:  twv  Bav./taoöjv  tl  ti;  TiXrjTrjaa'.,  tiii  M-yapswv  ävoia;  xat  yj- 
val/jt;  ^XOövia;  £;;  KöptvOov  ajv/.r,o£Ü;'.v  to'j;  vj/.po'j;  xäiv  Bxx/'.aowv ;  von  Trauor  um  die  aus  Mefrara 
stammende  Frau  eines  Bakchiaden  reden  die  Stellen  bei  Bekker  Anecd.  und  in  den  I'aroemiogr. 

♦*)  ob  die  „Prozessionskinder"  {■fJJko:  werden  sie  genannt  im  Titel  des  Stückes  von 
Tliespis  Suid.  s.  Bes-i;  und  in  dem  des  bakcbylideiscben  Dithyrambus:  so  heisst  es  auch 
von  den  Megarern  I'aroemiogr,  1,  1.,  sie  hätten  geschickt  ;:as6Ev&j;  zat  y,i6£ou;  to-j;  asAXovTa; 
a-jTOü  TT.v  Ou^aTEoa  Opr,vr;a£'.v ;  das  Wort  findet  sich  auch  auf  Inschriften  wie  der  von  Klaros 
ed.  Haussoullier  Rev.  de  philol.  X.  S.  XXII,  2.58:  über  die  sekundäre  Bedeutung'  .unverhei- 
ratet" s.  riat.  leg,  840  D;  Wünsch,  Gott.  gel.  Anz.  1899,  120  Z  7)  des  Minostributs,  ge- 
schichtlicli  verstanden,  einen  Chor  für  ein  kretisdies  Götter-  oder  ein  Ileroenfest  Jiilcb'ten, 
lässt  sich  nicht  ausmachen.  Bei  Tlat.  leg.  XII  947  C  funktionieren  i^,;0£oi  bei  der  Bestattungs- 
feier eines  heroisierten  iptaTiü;,  und  ein  Chor  von  11  Mädchen  und  Knaben  besorgt  das  eu- 
oattiovi^Eiv  wofj. 

***)  Sophokles  erwähnt  hier  die  auch  von  Plut.  Act.  Rom.  p.  270  A  bezeugten  monat- 
lichen Ilerot-nfeiern:  gewöhnlicher  sind  die  jährlichen  (Dexekex  in  Roschers  mytholog,  Le- 
xikon I,  2.  2.31.-1.  4  tr.). 


—     19     — 

berührte  Stelle  des  l^laton  (leii;.  XII,  Ü47  E),  der,  uueli  hier  in  utieiibareiu  Au- 
schluss  an  die  bestehenden  Formen  des  Heroenkultes,  für  die  jährlichen  Gedenk- 
feiern zu  Ehren  der  verstorbenen  im  Amt  bewährten  Euthynen  einen  aywv  (jlou- 
at,x6c  und  y\j\iviy.bq  l7:7iiY.6q  verordnet.  Wer  weiss,  wie  viel  altes  (Iriechenland 
im  neuen  steckt,  der  wird  in  den  Reigentänzen  vor  den  Heiligenkapellen  an  den 
Gedenktagen  der  Heiligen  in  Neugriechenland  ein  Rudiment  alter  Heroenverehrung 
zu  sehen  geneigt  sein;  yopooiio'.  lieisst  noch  jetzt  der  eingefriedigte  Raum  um 
die  Heiligenkapellen  (Bkrnh.  Schmidt,  das  Volksleben  der  Neugriechen  I,  88). 
Das  Wichtigste  aber,  was  wir  über  den  nuisischen  Teil  des  Heroenkultus 
wissen,  berichtet  Herodot  VI,  67.  Auf  dem  Markt  von  Sekyon  hatte  Adrastos, 
der  Sohn  des  Talaos,  ein  Heroon ;  er  ist  sonst  in  der  Sage  durchaus  Argeier,  und 
sein  Grabheiligtum  in  dem  argosfeindlichen  Sekyon  ist  wohl  ebenso  wie  das  des 
Oidipus  auf  Kolonos  als  Schutz  gegen  den  Landesfeind  zu  verstehen.  Um  so 
befremdlicher  nmss  es  erscheinen,  dass  nun  Kleisthenes  der  Tyrann  nach  einem 
Krieg  mit  Argos  den  Adrastos  aus  dem  Lande  wirft,  dafür  die  Gebeine  von 
Adrastos'  Feind  Melanipi)Os  aus  Theben  holen  lässt  und  diese  im  Prytaneion*) 
von  Sekyon  verwahrt.  Der  Krieg  nuiss  offenbar  ein  unglücklicher  gewesen  sein, 
Adrastos  nmss  den  Sekyoniern  seine  schützende  Macht  nicht  bewährt  haben,  wenn 
sich  Kleisthenes  einen  solch  frivolen  Eingriff  in  religiöse  Traditionen  und  Ein- 
richtungen sollte  erlauben  dürfen,  gegen  den  Spruch  des  delphischen  Orakels  und 
die  Stimmung  seiner  Unterthanen.  ^'on  diesen  letzteren  nun  sagt  Herodot,  dass 
sie  den  Adrastos  ewGsaav  [isyaXwax:  xapta  xLjjiäv  und  ihm  zu  Ehren  „tragische 
Chöre"  aufführten  Tipoc,  xa  TidOsa  auxoö.  Das  heisst:  dem  alten  Landesheros  zu 
Ehren  versammelten  sich  die  Lauern  der  Umgegend  von  Sekyon  in  ihrer  Tracht 
aus  Bocksfellen**)   (s.  oben  S.  12  Anm.)   und   sangen   mit   Tanz   episch-lyrische 


*)  wie  auch  sonst  üblicli:  Deneken  in  Roschers  mytliol.  Lexik.  I,  2,  2492. 

**)  Dadurch,  dass  man  hier  immer  an  Satyrvcrkleidung  denkt,  wird  die  P^rage  nach 
dem  Ursprung  der  Tragödie  nur  verwirrt.  Das  Satyrspiel  ist  eine  Sache  für  sich,  allerdings 
ein  Produkt  des  nordöstlichen  Peloponnes.  Die  Tragödie  hat  in  Attika  für  sich  allein  exi- 
stiert, hevor  Pratinas  das  Satyrspiel  brachte,  das  nacliher  an  die  Tragödie  angeschoben 
wurde.  Wenn  Aristot.  poet.  1449a  18  f.  eine  Ableitung  der  Tragödie  aus  dem  Satyrspiel 
andeutet,  so  macht  er  cin(>  Konjektur,  die  seiner  eigenen  Auffassung  1449a  9  ff.  widerspriclit. 
Das  Satyrspiel  setzt  auch  seinem  ganzen  Charakter  nach  eine  ernste  Darstellung  heroischer 
Stoffe  voraus,  die  es  lustig  umspielt.  Seine  Art  ist  parodistisch,  ganz  anders  als  die  älteste 
Komödie  gewesen  sein  muss.  In  der  frühesten  -cpaYtoSia  hat  man  den  verächtlich  tropisch 
benannten  Ciior  der  toayot,  der  epichoriscben  Dauern;  im  Satyrspiel  die  Bockssatyrn,  die  jeden- 
falls schon  für  Äschylus'  l'rometlieus  JiupxaEÜ;  anzunehmen  sind.  Ob  zwisclien  beiden  sach- 
licher Zusammenhang  oder  blosse  Namensgleiclilieit  bestehe,  können  wir  nicht  mehr  sicher 
erkennen.  —  Die  Notiz   des   Suid.  s.  v.   'Api'wv,    dass  Arion  zuerst  ilaiüpou?  eJarJvsYxsv   sjAptpa 

3* 


—     20      — 

Lieder  auf  ihn.  die  sich  der  Art  des  Inlialts  iiarli  vülli;j;  ^'edeckt  lialieii  ndisseii 
mit  den  lialladeiiailiueii  hitlix  laiuheii .  die  dann  im  sechsten  nnd  fünften  .lahr- 
liundert   (h'm   hionysos  /n   Khren  ^zesun^'eii  wunh-n. 

Die  heikönnnlichen  ^'ottesdienstlichon  Kinrichfnniren  änih-rte  nun  Kleisthe- 
nes  in  der  Weise  al).  <hiss  er  xop^*^?  1^^^''  "^'I^  A'.ovüao)  ä7:£ocoxe,  tt;v  0£  aX/.r/; 
Ouafr^v  MeXav'rtTC(|>.  K.  O.  Ml'iiLKRs  Foljierun^  aus  dieser  Stelle,  dass  Dionysos- 
dienst in  Std^yon  s(lu)n  vor  Kleisthenes  bestanden  hätte,  ist  durch  I.<»ni:(K 
(Aszlaoiihamus  »il(i  f.)  mit  Hecht  verworfen  worden;  aber  zujiejieben  werden  muss, 
dass  llerodot  mit  seinem  Ausdruck  aTisSwxe,  vom  Standpunkt  einer  Zeit  aus,  in 
der  der  Dionysosdienst  all^iemein  staatlich  auerkannt  war,  einen  schon  vor  Kleis- 
thenes in  Sekyon  bestehenden  Dionysoskult  j^emeint  hat;*)  aber  das  ist  eben 
seine  für  uns  nicht  bindende  Auffassung  der  kleisthenischen  Anderunfi.  Die 
Adelsherrschaft,  die  der  kleistlienischen  Tyrannis  vorausjiieniz ,  war  f^ewiss  kein 
l'.oden  für  Verstaatliciuinji;  der  Dionysosreligitni ,  die  dannüs  nur  als  Sektenkult 
im  niederen  \'(dk  existiert  haben  kann.  Was  also  Kleisthenes  that,  ist  otfenbar 
dieses:  er  nahm  den  Dionysoskult  mit  Choraufführungen  unter  die  Stiiatskulte 
auf,  aber  zunächst  in  einschränkender  Weise,  indem  er  ihn  zu  einem  I'estandteil 
eines  von  ihm  neu  eingerichteten  Heroenkultes  für  Melauippos  machte.^  Man 
darf  vielleicht  in  der  Fähigkeit  des  Dionysoskultes  zu  solcher  Angliederung  an 
staatlich  anerkannte  Kulte  eine  bezeichnende  Eigentümlichkeit  in  der  geschicht- 
lichen Entwicklung  desselben  erkennen ;  in  Delphi  ist  ja  ganz  Ahidiches  geschehen, 
als  Ajxdlon  sich  mit  Dionysos  in  den  Tempel  teilte.  '^*)  Aber  Kleisthenes  war 
nicht  so  kühn  wie  die  delphische  Triesterschaft,  den  Bauerngott  mit  seinem  Anti- 
])0(len  religiös  zu  verbinden.  Der  Anschluss  an  den  Heroendienst  lag  weit  näher: 
als  r^p^oq  wird  ja  Dionysos  in  dem  elelscheu  Lied  angerufen,  und  seine  Beziehungen 
zu  den  Seelen  der  Abgeschiedenen,  von  denen  die  Heroen  eine  bevorzugte  Klasse 
bilden,  sind  bekannt  (Iiohdk  Tsyche  II-  45,  1).  Das  Ergebnis  von  Kleisthenes' 
Reform  wird  man  sich  praktisch  etwa  zu  denken  haben  als  ein  zweitägiges  Fest, 
dessen  erster  Tag  durch  kyklische  Chöre  für  Dionysos,  der  zweite  durch  tragische 
d  h.  von  einem  ländlichen  Chor  vorgetragene  Enkomien  auf  Melanipjxjs  ausge- 
füllt war,  also  ganz  ähnlich  den  grossen  Dionvsien  in  Athen  (s.  unten  S.  24  f.). 


X^vovia;,  ist  lediglich  Produkt  der  litterarhistorischen  Konstruktion,  dir  allos  Drama  aus  dem 
Satyrspiel  ableitet,  und  sollte  nicht  als  historisches  Zeugnis  angesprochen  werden. 

*)  Dieselbe  Auffassung  bei  Zenob.  prov.  V,  40 :  tdiv  /opwv  e?  io/ii;  £!0i3ij.£v«üv  oiOJsaaß&v 
aSsiv  £t5  ibv  Atövj-ov,  ol  notr,Tai  uaTspov  ^xßivTe;  Tf,v  auvj{OEiav  taüniv  ATavia;  xa\  K-viaupo-j;  ^si^Eiv 
ErE/Eipouv.  Auch  Wki.cker  hält  sie  fest  in  seiner  verunglückten  Behandlung  der  Herodot- 
»telle  (Jriecli.  (iottcrlebre  I,  447  f. 

**)  Beispiele  für  Anschliessung  von  Hcrot-nkulten  an  Götterkulte  s.  Deneken  a.  a.  0. 
2513,  52  ff. 


—     21     — 

Nun  ist  sehr  bedeutsam,  dass  auch  andere  Tyrannen  sich  um  Eintiihrun;;' 
bezw.  Hebung  des  Dionysoskultes  bemüht  haben.  Korinth  ist  nach  Pindar  Ol. 
XIII,  18  f.  die  Heimat  der  Atwvuaou  obv  ßorjXaxa  ydpixeq  oi.9upa[xß(p,  des  Rinder- 
hirten-I)ithyrand)OS  (s.  oben  S.  13  Anni.),  d.  h.  des  liauernchors  auf  Dionysos. 
Hier  lieü;t  wirklich  eine  brauchbare  historische  Nachricht  vor,  eine  freilich  ver- 
dunkelte Beziehunt;  auf  den  geschichtlichen  Teil  der  Legende,  die  von  Arion  und 
Teriandros  erzählt  wird,  während  die  abweichenden  Angaben  über  die  Her- 
kunft des  Ditliyrambus  aus  Naxos  oder  Theben,  die  der  Dichter  nach  dem  Sclio- 
liasten  zur  angefülirten  Stelle  sonst  machte,  durchsichtige  mythologische  Auto- 
schediasmen  sind.  Die  Krzälilung  des  Herodot  und  Anderer  (M.  Schmidt  dia- 
tribe  in  dithyrambum  lt)2;  ('ßusius  in  Tauly-Wissowas  Encyklopädie  unter  d.  W. 
Arion)  über  Arion  lässt  sicli  zum  einen  Teil  in  typische  Sagen-  und  Novellen- 
motive auflösen : 

1)  Meersprung  göttlicher  Wesen  (S.  Wide  in  der  Festschrift  für  0.  Benn- 
DORF  S.   13  if.), 

2)  wunderbare  Rettung  gottgeliebter  Personen,  l)esonders  Künstler  (Cic.  tle 
or.  II,  352  ff.),  ein  Motiv,  das  mit  dem  ersten  zu  verknüi)fen  nahelag,  sobald  die 
Hypostase  des  Gottes  für  einen  gewöhnlichen  Sterblichen  gehalten,  der  Meer- 
sprung also  als  Lebensgefährdung  verstanden  wurde.*) 

Der  andere  Teil  der  Legende  ist  gebildet  durch  zwei  geschichtliche  Züge, 
einen  generalisierten  und  einen  individuellen.  Dem  Arion  wird  Lesbos,  die  Heimat 
der  Kitharodik  zum  Vaterland  gegeben  (eine  künstlerische  Verwandtschaftslinie 
bilden  Terpander  und  Arion  bei  Procl.  ehrest,  p.  245,  7  Westphal),  und  endlich 
wird  die  nicht  anzuzweifelnde  Thatsache  berichtet,  dass  unter  Periandros  in  Ko- 
rinth nicht  etwa  die  ersten  Dithyramben  überhaupt,  wohl  aber  die  ersten  Dithy- 
rand)en  einer  neuen  Art  aufgeführt  worden  sind.  Es  erscheint  mir  nicht  unmög- 
lich, durch  genaue  Interi)retation  des  Überlieferten  die  wesentlichen  Charakter- 
züge dieses  neuen  korinthischen  Dithyrambus  herauszustellen.  Arion  ist  in  der 
Erzählung  deutlich  als  eine  i-'igur  des  apollinischen  Kreises  gekennzeichnet.  Damit 
wird  eine  Beeinflussung  des  dionysischen  Dithyrambus  von  Seiten  der  apollini- 
schen  ]Musik   ausgedrückt.  **)     Hat   eine   solche   Umgestaltung   unter  Periandros 


*)  Boi  Ildt.  I,  24  am  Schliiss  spielt  aucli  noch  der  (Icmcinphitz  ilo  sera  iiuiuiiiis  vin- 
(licta  lioroin.  Ob  Arion  nach  Anaki.i^io  des  Ibykos  zum  reisenden  Virtuosen  gemacht  und 
zwisclien  (rrossgrieclienland  uiul  dem  Mutterland  hin-  und  herjfeschohen  worden  ist,  könnte 
muM  trauen. 

'■'*)  Man  mati  an  eine  rliythmische  ^loditilvation,  etwa  durch  üeimischung  der  daktyli- 
sclieii    und  pilonischen  Maasse  der  apollinischen  Nomen-  und  l'rosudienmusik  zu  den  sechs- 


—     22     — 

statt}ii'fuii(l('ii.  so  hat  sie  siclicrlicli  mit  dessen  Einverstüiidiiis  (»der  auf  srine  Vn- 
anlassuii.-:  Iiiii  stattjiefundcii  und  kann  schwerlicli  anders  denn  als  eine  ViTcdliiu}; 
der  Cliorauffühnmi^'cn  im  Dionysosdienst  erklärt  werden.  Ks  liefet  nahe,  an  di- 
rekte oder  indirekte  Kintiiisse  V(»n  Delplii  aus  zu  denken,  wo  damals  die  Ver- 
liindunj:  des  .V^cdlon  mit  Dionysos  bereits  vollzojfen  war.  .ViMdJon  ma^i  die  .Vuf- 
nalime  seines  delpliisehen  (lenossen  in  den  Staatsknlt  in  Koiintli  emi)fohlen*)  und 
sie  um  so  eher  durehjiesetzt  haben,  wenn  Periandros  auch  sonst  (irund  hatte, 
dem   hionysosdienst   freundlich  fiefienüberzustehen. 

.Vnerkannt  ist  endlich  das  Interesse  des  Peisi Stratos  für  den  landlichen 
(Jott  und  die  Thätijikeit  orphischer  Theolo}ien  am  Peisistratideidiof.  Die  erste 
Trajiödie  ist  unter  Peisistratos  bei  den  städtischen  Dionysien  in  Athen  im  Jahr 
534  antVefühit  worden.  Den  Zu.sammenhan«i  zwischen  Peisistratos'  Politik  und 
seiner  Pe^iünstifzun^;  der  Dionysosreliirion  hat  schon  Welcker  (Nachtrag  z.  Schrift 
über  die  äschyl.  Tril.  248  fi.)  erkannt. 

Diese  Beispiele  genüfien,  um  die  Beliauptung  zu  bepründen,  dass  Bestre- 
bnuiien  zu  Gunsten  des  Dionysosdienstes  für  die  }:riechiscli«'n 
Tyrannen  seit  .Vus^ianfi  des  siebenten  Jahrhunderts  v.  Chr.  cha- 
rakteristisch sind;*')  sie  jjehen  auf  Pjubeziehung  des  Kultes  in  die  Staat.s- 
religipn  und  auf  seine  künstlerische  Veredlung,  zum  Teil  wohl  auch  auf  seine 
theologische  „Vertiefung",  wenn  man  das  so  nemien  will. 

(iründe,  welche  die  Tyrannen  zu  solcher  Protektion  eines  volkstihnliclien 
Dienstes  bestimmt  haben,  kaiui  man  sich  unschwer  denken.  Auf  den  Schultern 
des  niederen  Volkes  hatten  sie  sich  zur  Herrschaft  aufgeschwungen  und  die  Vor- 
macht des  .Vdels  gebrochen.  Die  Stimmung  des  Adels  zur  Zeit  der  Tyrannis 
kennen  wir  aus  Theognis,  und  die  zähe  Energie,  die  von  den  Adelichen  einge- 
setzt wurde,  die  alte  Oligarchie  wiederherzustellen,  aus  der  Geschichte  des  Pei- 
sistratos. Der  Sturz  der  Peisistratiden  war  nicht,  wie  die  im  athenischen  Volk 
getiissentlich  verbreitete  Legende  es  darstellte,  ein  Werk  des  Volkes,  sondeni  des 
Adels:  wie  wäre  die  Revolution  in  .Vthen  sonst  von  Sparta  aus  unterstützt  wor- 
den?   Um   nun  eine  Herrschaft  ohne  Tradition  gegen  Restaurationen  zu  sichern, 

zeitifion  altdionysischon  Rliythnien,  und,  mit  Moritz  Schmidt  (diatribe  in  (lithyrambuni  p.  178), 
au  Eiufuliruuj;  der  Lyra  als  Begleitunpsinstrument  neben  dem  Aulos  denken.     Seit  dem  Ende 
des  sechsten  .lalirhunderts  wurde  jedenfalls  auch  die  Lyra  zum  Dithyrambus  gespielt,   nach 
der  Vase  Annali  di-Il'  instituto  di  corr.  arcli.  182H  tav.  E,  2  und  dorn  Skolion  bei  .Vtli.  .\V  j».  Ö95c 
£tOe  Xüpa  zaAT;  -(i'to'.^r,'*  EXcSavrivT], 
XX.  U.I  xaXoi  naloi;  OcioiEv   Atovüs'.ov  e;  yosöv. 
*)  KonPK  l'syche  IL  .54  f. 
*♦)  Darauf  weist,  nach  Welckers  Vorgang,  auch  M.  Schmidt  diatribe  in  dithyr.  188  bin. 


—     23     — 

hat  man  sich  öfter  in  der  Geschichte  religiöser  Einrichtungen  bedient.  Die  aus- 
einanderstre])enden  Elemente  der  Regierten  sollen  in  einem  allgemeinen  Bekenntnis 
zu  einer  dem  neuen  Herrscher  gegenüber  möglichst  gleichartigen  Masse  zusam- 
mengeschmolzen ^Yerden.  So  hat  Alexander  der  Grosse  sich  selbst  zum  Einheits- 
gott des  jungen  westöstlichen  AVeltreichs  gemacht;  die  Ptolemäer  und  die  römi- 
schen Kaiser  ahmten  ihn  nach;  sie  alle  knüpfen  an  einesteils  an  orientalische 
Anschauung,  andernteils  an  den  noch  immer  in  griechischen  Landen  ungeheuer 
fest  wurzelnden  Heroenkult,  der  gerade  in  der  Zeit  eines  völlig  entgötterten  Ratio- 
nalismus wieder  neite  Nahrung  linden  musste.  Bemerkenswert  ist,  wie  auch  in 
diesen  religiös-politischen  Organisationen  seit  Alexander  wieder  Dionysos,  als  der 
Gott,  der  keine  Schranken  der  Stände  und  der  Nationen  kennt,  seine  bedeut- 
same Rolle  spielt.  In  den  hellenistischen  Reichen  tritt  sein  Kult  in  den  Vorder- 
grund, und  gern  gaben  sich  die  Könige  als  veoi  Aiovuao!.  (Welcki<;r,  griecli. 
Götterlehre  II,  624  f.;  III,  311).  Auch  an  die  Reform  des  Tarquinius  Superbus 
darf  hier  erinnert  werden,  der,  vermutlich  in  der  Methode  ein  Schüler  seiner 
griechischen  Kollegen,  den  Juppiter  Capitolinus  zum  Schinnherrn  der  Gesamt- 
gemeinde aus  Patriciern  und  Plebejern  machte.  In  demselben  Sinn  sind  die 
erwähnten  j\Iassregeln  der  griechischen  Tyrannen  zu  verstehen.  Sie  kombinieren 
Götter-  und  Ileroenkult  zn  einer  neuen,  Siim  und  Gemüt  tief  ergreifenden,  für 
alle  Stände  gleichermassen  annehmbaren  Staatsreligion.  Dionysos  war  der  Gott 
der  Partei,  durch  die  sich  die  Tyrannis  getragen  waisste,  und  die  Ausbreitung 
seines  Dienstes  wurde  zur  Zeit  der  Tyrannis  auch  von  Delphi  aus  schwunghaft 
betrieben  (Rohde,  Psyche  a.  a.  0.).  Durch  Aufnahme  dieses  Gottes  unter  die 
Gemeindegötter  versicherte  sich  also  die  Tyrannis  auch  der  Gunst  der  Priester- 
schaft von  Delphi,  die  so  wenig  als  die  römische  Curie  ihre  Interessen  mit  irgend 
einer  bestimmten  Yerfassungsform  solidarisch  erklären  mochte.  Was  Herodot  V,  67 
erzählt,  ist  wahrscheinlich  so  zu  verstehen,  dass  Kleisthenes  das  delphische  Orakel, 
das  er  zuerst  durch  Bedrohung  eines  Heroenkultes  abgestossen  hatte,  durch  eine 
Konzession  an  Dionysos  wieder  zu  gewinnen  suchte. 

Schwierigkeiten  nuisste  es  al)er  machen,  den  Adel  für  die  Verehrung  des 
Bauerngottes  zu  gewinnen  und  zur  Beteiligung  an  jenen  Chorgesängen  zu  stimmen, 
für  die  er  vorher  nur  ])eschimpfende  und  höhnische  Bezeichnungen  gehabt  hatte. 
Die  Religion  des  Adels  ist  naturgemäss  der  Heroeid^ult,  der  aber  schon  in  der 
epischen  Darstellung  sinnreich  mit  genealogischer  Methode  in  den  Götterkult  ein- 
gegliedert erscheint:  £x  ok  Aiög  ßaa^Xf^e^.  In  den  aristokratisch  regierten  dori- 
schen Ländern  hat  es  der  Heroendienst,  an  den  die  Klientel  der  Adelichen  all- 
mählich gewöhnt  wurde,  zu  einer  grossen  Volkstündichkeit  gebracht;   das  lehren 


—     24     — 

ji'iit'  Iluldi'iimircn  der  Dorfbcvölkcrunji  ;in  die  Heroen  in  den  Tpay.xol  x^P'-*-* 
Die  Laiidi'slicneii  Micbcn  im  (ilaiiben  des  Volkes,  was  sie  hei  ihren  Lehzeiten 
gewesen  waren.  Schützer  des  Landes,  auch  nach  ihrem  Tod.  So  wird  daihirch. 
dass  die  Ahnen  der  aik'liclien  (leschlechter  zufileieii  ßaa-.Xf^es  sind,  (h-r  I'aniilicn- 
kult  zum  politisciien.  Ks  war  also  ein  überaus  klujies  Verfahren,  wenn  die  Ty- 
rannen in  die  neue  Kinheitsrelii^ion  für  die  hislun*  ^'etrennten  Stände  auch  ein 
ohnehin  populäres  Klement  der  Adelsreligion  aufnahmen.  Das  niafi  der  Form 
nach  an  verschiedenen  Orten  in  verschiedener  Weise  {j;eschehen  sein.  Wie  es 
Kleisthenes  angritt',  wissen  wir  aus  Herodot.  Aber  auch  aus  der  attischen  Iteli- 
flioiisgeschichte  lässt  sich  durch  Analyse  der  Gebräuche  an  den  „älteren  Diony- 
sien"  (Thuc.  II,  15,  4),  d.  h.  den  Anthesterien ,  noch  ein  Zeugnis  für  die  .\n- 
knüpfung  wenigstens  des  Seelenkultes,  von  dem  ja  der  Heroenkult  ein  Teil  ist. 
an  den  Dionysoskult  gewinnen:  der  dritte  Tag  des  Festes,  der  Tag  der  Xuipo-., 
ist  bekanntlich  der  attische  AUerseclentag,  an  dessen  Schluss  die  xfjpe;  au.sge- 
trieben  werden.  Es  ist  aber  wahrscheinlich,  dass  dieser  Tag  ursprünglich,  vor 
Einrichtung  der  grossen  städtischen  Dionysien,  die  si)äterhin  in  kyklischen  und 
tragischen  Chören  grossartige  Huldigungen  an  die  Heroen  darboten,  noch  weitere 
Elemente  des  Heroendienstes  enthalten  hat,  und  dass  man  in  dem  vom  Iiedner 
Lykurg  erneuten  /'Jtpivo;  dywv,  der  später  zur  blossen  Probe  herabgesunken  ist, 
ein  Rudiment  früherer  vollständigerer  Choraufführungen  zu  sehen  hat.  Aus  der 
Stellung  der  yuTpot  am  Schluss  des  dreitägigen  Festes  darf  aber  geschlossen  wer- 
den, dass  sie  nicht  zum  ältesten  Bestand  desselben  gehören.  Das  älteste  Stück 
des  Festes  wird  der  rein  vulgäre  erste  Tag  der  niBo'ly.a,  der  Tag  des  Zechens 
gewesen  sein.  Der  zweite  Tag  bringt  die  merkwürdige  Ceremonie  der  Vermäh- 
lung der  von  den  14  yepapai  geleiteten  Basilinna  mit  Dionysos  im  ältesten  Dio- 
nysosheiligtum ev  At^ivai?.  Die  Deutung  dieser  Symbolik  ist  für  die  Geschichte 
des  attischen  Dionysosdienstes  von  grösster  Wichtigkeit  und  bietet  sich,  nach  dem 
oben  Ausgeführten,  leicht  dar:  es  drückt  sich  hier  das  geschichtliche  Ereignis 
der  Condescendenz  des  alten  attischen  Adels  zu  dem  Bauerngott,  die  religiöse 
Aussöhnung  und  F'.inigung  der  Stände  aus.*)  Was  auf  diese  Huldigung  der  Ge- 
schlechter an  Dionysos,  als  Gegenstück,  organischerweise  folgen  sollte,  eine  Ver- 
herrlichung der  Heroen,  das  ist  in  der  athenischen  Festordnung  vom  sechsten 
Jahrhundert  an  abgetrennt  und  in  das  jüngste  und  prächtigste  Dionysosfest  im 
Elaphebolion  hinübergeschoben.  In  diesem  letzteren  erreicht,  verbunden  mit  <ler 
Heroenverehrung,    die   Dionysosreligion    ihre   höchste,    vornehmste   künstlerische 


*)  Welcher,  priech.  Gottorlehre  II,  647  f.  verlniut  sidi  das  Vorstämliiis  der  Ceremonie 
dadurch,  dass  er  hiuter  der  Basiliuua  die  Koro  sucht. 


—     25     — 

Entfaltiinji".  Als  die  grossen  Dionysien  eingerichtet  wnrden,  ist  von  ihnen  zu- 
nächst alles,  was  den  alten  Bauernspässen  ähnlich  war,  völlig  ferngehalten  wor- 
den: fast  bis  zur  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  war  die  Komödie  von  diesem 
mit  feierlich-ernstem  Pomp  ausgestatteten  Feste  ausgeschlossen.  Dem  Namen 
nach  ein  Fest  des  Dionysos,  war  es  der  Sache  nach  vorwiegend  ein  Fest  der 
Heroen,  der  grossen  übermenschlichen  Seelen  der  Vorzeit,  deren  Thaten  und 
Leiden*)  in  erzählenden  Balladen  und  bald  auch  in  leibhaftiger  Verkörperung **) 
den  Hörenden  und  Schauenden  vorgeführt  wurden:  von  den  fünf  Tagen  des  Festes 
sind  mindestens  vier 'der  lyrischen  und  dramatischen  Darstellung  der  Heldensage 
gewidmet  gewesen. 

Die  dramatischen  Keime,  die  in  ^lusik  uuii  Orchestik  des  Heroendithyrambus, 
den  xpay^xo:  x°P°''  liV-<^n,  sind  hier  voll  ausgewachsen.  Der  lyrische  Dionysos- 
dithyrambus ist  von  ihnen  abgetrennt,  an  den  Anfang  des  Festes  gestellt.  Dass 
bei  den  künstlerischen  Darstellungen  der  Heroensage  zunächst  in  jedem  Lande 
die  Laudeslieroen  allein  berücksichtigt  wurden,  erscheint  naturgemäss.  Das  Be- 
streben, die  Tragödienstofte  wenigstens  zu  der  Landesgeschichte  in  engere 
Beziehung  zu  setzen,  ist  bei  den  attischen  Tragikern  offenkundig  und  gewiss  nicht 
l)loss  als  Chauvinismus  und  Liebedienerei  gegen  das  Publikum  aufzufassen,  viel- 
melir  aus  der  Entstehungsgeschichte  der  Tragödie  zu  erklären.  Einen  patrioti- 
schen Schluss  hat  Äschylus'  Orestie;  ebenso  muss  ihn  die  Promethie  gehallt 
haben.  Auch  der  erhaltene  Schluss  der  thebanischen  Trilogie  in  den  Sieben 
gegen  Theben  gewinnt  im  Zusammenhang  dieser  Betrachtungen  eine  neue  Be- 
leuchtung. Von  der  Sagenversion  der  sophokle'ischen  Antigene  wussten  die  Zu- 
hörer des  Äschylus  nichts;   aber  geläufig  war  ihnen  die  in  Aschylus'  Eleusiniern 


*)  was  Plut.  de  E  ap.  Delph.  p.  389  A  von  öiOüpajj.ßi/.a  p.s'Xrj  r.adÖj'j  [jieaTa  zat  jJLeiaßoX^; 
-A3(vr,v  Ttvä  /.ai  o'.ayopr,aiv  r/oüarj?  sagt,  bezieht  sich  auf  Leiden  des  Dionysos  selbst  und  auf 
den  Inhalt  der  Dithyramben  im  mystischen  Sektendienst  für  Dionysos,  der  vom  staatlichen 
Kult  wesentlich  verschieden  ist. 

**)  Die  Erhöhung  und  Verbreiterung  der  Gestalt  der  Tragöden  durch  Kothurn,  Aus- 
polsterung, Maske  ist  keineswegs  aus  Rücksicht  auf  schwache  Augen  fernsitzender  Zuschauer, 
sondern  lediglich  daraus  zu  erklären,  dass  man  die  Heroen  auf  der  Bühne  so  vorstellte,  wie 
man  sich  ihr  wirkliches  Aussehen  dachte,  d.  h.  in  übermenschlicher  Grösse,  nicht  allein 
moralisch  (Aristot.  Eth.  Xicom.  VII,  1  p.  1145a  19  ff.),  sondern  auch  physisch  (Rohdb;  Psyche  I- 
161,  1);  denn  riesenhaft  dachte  man  sie  sich,  ähnlicli  an  Wuchs  den  Göttern  (Hom.  II.  il  519; 
Dio  Chrys.  XXXI,  91).  Die  xoXoaaoi  der  griechischen  Plastik  verdanken  ihre  Entstehung  dem 
reinsten  Realismus  der  Vorstellung,  der  auch  in  den  Heroenreliefs  (Deneken  in  Roschers 
mytholog.  Lexik.  I,  2,  2499.  2567  ff.)  zu  Tage  tritt.  Die  Kostümierung  der  tragischen  He- 
roen des  attischen  Theaters  ist  zwar  nicht  direkte  Quelle  für  unsere  Kenntnis  der  Tracht 
„mykenischer"  Zeit,  aber  doch  der  Vorstellungen,  die  man  sich,  violleicht  auf  Grund  mancher 
echten  Traditionen,  im  sechsten  Jahrhundert  von  der  Tracht  der  Heroen  gebildet  hatte. 

4 


—     2(i      — 

auf  (lif  r>iiliiie  {jobiaclite  Gfschiclitc.  «ler  /iifoljic  Tliesous  dii;  liestattmi;:  der  \uv 
TlielK'ii  jzofalk'iK'ii  Arpeier,  also  auch  des  INdyiidkes  durclisct/t.  I>rr  Schluss 
der  Sit'ln'u  war  für  das  Publikiiiii  des  Ascliylus  ein  verstiiiidliclicr  Hinweis  auf 
den  ritterlitluMi  attiscliL'U  Landoslieros,  der  auch  die  mit  I-ussen  ^^(;trl'teln'll  Hechte 
der  Familie  und  der  Pietät  zu  Ehren  hriufren  und  den  Kla^'eu  und  Dndiuuiien 
eines  seliwachen  Mädchens  Nachdruck  verschaffen  wird.  Sojdiokles.  von  den  dici 
Traiiikern  am  meisten  reiner  Künstler,  sdioh  den  Theseus  bei  Seite,  stellte  An- 
tijione  auf  ei^'ene  Füsse  und  schuf  den  wundervollen  Typus  der  Helden  Jungfrau, 
den  Kuripides  hald  nachahmt,  bald  kritisiert.  Was  aber  Aschylus  mit  dem  Schluss 
der  Sieben  andeutete,  liegt  in  Euripides  'Hixioec,  in  voller  Ausführung  vor.  .Vhn- 
liche  Hindeutuugen  auf  Lösungen  in  attischem  Gebiet  hat  Furiiiides  in  den  l'liö- 
missen.  der  Medea  und  dem  Orestes,  während  er  in  der  taiirischen  Ii»higenie,  den 
Schutztlehenden,  den  Ilerakliden,  im  Ion,  im  rasenden  Herakles  dem  attischen 
Genius  loci  unverhüllte  ()i)fer  bringt  und  im  Ilippolytos  wenigstens  ein  Stück 
aus  der  (Jeschichte  des  attischen  Landesheros  verarbeitet.  Der  Stoffkreis  der 
Tragödie  verbreitete  sich  aber  ül)er  die  Landessage  und  die  umnittelbar  angren- 
zenden Gebiete  hinaus  auf  Grund  der  von  dem  Epos  genährten  Vorstellung,  dass 
alle  Heroen  zusammen  eine  grosse  Familie  bilden.  So  erhalten  die  Aufführungen 
an  den  städtischen  Dionysien  anstatt  des  ejjichorisch-religiösen  Charakters  inniier 
mehr  einen  allgemein  ästhetisch-ethischen. 

Welch  grosse  Bedeutung  übrigens  auch  die  junge  attische  Demokratie  dem 
Heroenkult  beilegte,  das  zeigt  die  Auswahl  der  zehn  Eiionymlieroen  aus  der  Zahl 
der  hundert  „apyr^yetai"  für  die  zehn  kleisthenischen  Phylen,  bei  der  die  Pythia 
iissistierte  (Aristot.  Athen,  resp.  21,  6). 


Zu  dem  Postulat,  das  ol)en  aufgestellt  worden  ist  (S.  11),  sind  nun  die  hi- 
storischeu Aidialtspunkte  gefunden.  Heroenballade  und  Dionysoslied,  von  Hause 
aus  getrennte  Gattungen,  sind  infolge  einer  durch  politische  Berechnung  ins  Werk 
gesetzten  religiösen  Neuerung,  einer  Kombination  von  Heroen-  und  Dionysoskult 
um  das  Jahr  Gou  v.  Chr.  zusammengerückt  worden.  So  entstand  die  neue  (iat- 
tung  des  Heroendithyrambus,  in  /weckbestinnnung,  Inhalt  und  rhythmi.schem  Bau 
noch  deutlich  als  Mischform  erkemibar.  Archilochos  hat  sie  schwerlich  schon 
gekannt:  ihm  ist  Dithyrambus  noch  der  öjjlvo;  xXTjxtxds  auf  Dionysos,  eine  Gat- 
tung, die  sich  auch  neben  dem  Hero('ndithyrand)Us  im  Kultus  fortwährend  ge- 
halten hat.  I)ithyrand)us  lieisst  seit  jener  Beform  jeder  beim  staatlichen  Dio- 
nysosfest gesungene  Chor,  auch  das  Heroenenkomion.  das  nun  die  Form  des  ver- 
edelten  strophisdien  Dionysosgesanges   annahm.     Der   üd^ax/o;  (Procl.  chrestom. 


—     27     — 

p.  246,  5    Westphal;    S.  Wide,    :Mitteiluiigen    des   atlieu.    Instit.  XIX,    266,  1) 
scheint  ziiiii  privaten  Sektenkult  für  Dionysos  zu  gehören. 

Litteratur-  und  religionsgeschichtlich  bildet  der  Heroendithyrambus  ein 
wichtiges  Mittelglied  zwischen  Epos  und  Tragödie.  Als  der  Glanz  des  recitierten 
Heldenepos,  das  mehr  und  mehr  in  konventionelle  Phrasenmacherei  ausartete  und 
in  manchen  homerischen  Hymnen  wie  in  der  Ratrachoniyomachie  schon  lange  vor 
Hegemon  von  Thasos  parodiert  wird,  zu  verblassen  antieng,  griffen  geniale  Dichter, 
voran  Stesichoros,  in  den  Schatz  der  volkstündichen  dorischen  Heroenballaden 
hinein,  durcli  lyrischen  Schwung  und  musikalisches  Feuer*)  die  Gestalten  der 
alten  Heroen  und  damit  den  Heroenglauben  neu  zu  beleben.  Es  wäre  wunderbar, 
wenn  nicht  die  delphische  Priesterschaft,  überall  bemüht,  den  Heroenkult  zu  för- 
dern und  zu  verbreiten  (Rohde,  Psych.  I,  177  ff.),  diese  poetischen  Bestrebungen 
mit  Teilnahme  verfolgt  und  sie  kräftig  unterstützt  hätte.  Schwerlich  ist  sie  un- 
beteiligt gewesen,  als  um  die  Wende  des  siebenten  und  sechsten  Jahrhunderts 
die  Tyrannis  sich  mit  ihren  religösen  Reformen  trug  und  aus  einem  ländlichen 
Sektendienst  und  einer  adelichen  Fandlienreligion ,  die  al)er  für  die  Klientel  des 
Adels  die  Bedeutung  einer  Landesreligion  erhalten  hatte,  jene  neuen  Einheitskulte 
schuf,  die  uns  wenigstens  in  Sekyon  und  Athen  noch  deutlich  erkennbar  sind, 
während  wir,  den  erhaltenen  Zeugnissen  nach,  für  Korinth  nur  von  einer  künst- 
lerischen Hebung  des  alten  ländlichen  Dionysosdienstes  und  seiner  Aufnahme  in 
die  Staatsreligion  reden  können.  P'^ingegliedert  in  die  nun  staatlich  anerkannte 
und  regulierte  dionysische  Religion,  mit  höherem  Glanz  umgeben  durcli  den  neuen 
Heroeiidithyraml)us  schien  die  Heroenverehrung  bestimmt,  einen  mächtigen  Faktor 
in  <lcm  religiösen  Leben  der  jungen  Gesamtgemeinden  zu  bilden.  Aber  je  mehr 
die  ionische  aocpt'yj,  **)  seit  Anfang  des  sechsten  Jahrhunderts,  die  Augen  der  Men- 
schen auf  die  umgebende  Natur  und  das  Leben  der  Gegenwart  richtete,  desto 
mehr  sank  Interesse  und  Verständnis  für  die  Welt  der  vorzeitlichen  Übermen- 
schen. Den  letzten  und  grossartigsten  Versuch,  dieser  Welt  ergreifende  Wirk- 
lichkeit und  damit  Kraft  sittlicher  Piinwirkung  auf  Denken,  Fühlen  und  Wollen 
der  Gegenwart  zu  geben,  wagt  nun  die  attische  Tragödie,  und  unter  iiiren  Ver- 
tretern hat  Sophokles  in  seiner  nicht  genug  zu  bewundernden  Schlichtheit  die 
Kunst,  jene  grossen  Seelen  und  ihr  Handeln  und  Leiden  dem  Zeitalter  der  So- 


*)  schon  die  Iloiiicrkdiniiositioncn  dos  Terpandros  (l'lut.  de  mus.  3)  tfcdiiircii  in  dioson 
ZusaiiinuMiliantj,  sind  aber  jedenfalls,  wie  dessen  vÖ[j.oi,  für  den  Solovortrag  hestininit  gewesen. 

*•'•)  ihr  Ideal  wird  schon  in  der  Odyssee  aufgerichtet,  und  den  Gegensat/  zwischen 
aosia  und  ij.:yaXoJ/u/Ja  hat  Ilcrodot  schon  deutlich  l)ezeichnet  (II,  l(i7.  172;  III,  85.  127), 
Sophokles  in  Aias,  Antigone  und  IMiilnktet  in  voller  Scharfe  durchgeführt  (s.  hes.  Soph.  J]l. 
1089;  l'hiloct.  119.  124(5). 


—     2ft     — 

pljistik  j;l;uil)h;ift  zu  inaclu'ii,  am  besten  veistaiideii:  er  ist  der  Meister  der  He- 
roenpsyelioloi^'ie.  Eiirii»i(les  ersetzt  die  ideal  walire  Übennenscldichkeit  dureli  pe- 
steifjerte  Leidenschaft:  seine  Helden  sind  nicht  wirklich  «iross,  sondern  von  ^'e- 
wöhnliehen  Dimensionen;  aber  er  bhist  sie  durch  rhetorische  Mittel  zu  einer 
Schein.iirösse  auf  und  lenkt  das  Interesse  vom  Psycludofiischen  auf  die  äusseren 
Ver\vicklun!J:en  der  Ilandlunjz  ab;  so  hat  er  die  zwar  bühnenwirksame,  aberinner- 
lich uninöjjliche  Zwitteniattun;:  der  bürgerlichen  Heroeutrafiödie  fieschatlen .  die 
mit  innerer  Notwendifikeit  in  die  neue  Komödie  sich  autlösen  musste. 

Seine  Trauersjjiele  zusammen  mit  der  ernüchterten  Auffassunji  des  Ileroen- 
zeitalters  in  der  Archiiolojiie  des  Thukydides  bezeujien  uns  am  klarsten  den  Si«'fi 
des  sophistischen  Rationalismus  und  den  Untergang  des  Ileroenglaubens  in  der 
gebildeten  (Tesellschaft. 

Der  jungattische  Dithyramluis  wendet  sich  nicht  mehr  an  eine  (Icnicindc 
von  Gläubigen,  sondern  von  ilstli«tischen  Feinschmeckern. 


— C^H^—