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VERZEICHNIS
DER
DOKTOREN
WELCHE
DIE PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT
DER
KÖNIGLICH WÜRTTEMBERGISCHEN EBERHARD- KARLS- UNIVERSITÄT
IN
TÜBINGEN
IM DEKANATSJAHRE 1900—1901
ERNANNT HAT.
BEIGEFÜGT IST EINE ABHANDLUNG:
ZUR GESCHICHTE DES GRIECHISCHEN DITHYRAMBUS
VON
Dr WILHELM S^CHMID
ORD. PROFESSUR DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE
TÜBINGEN 1901
BUCHDRUCKEREI VON G. SCHNÜRLEN.
I
I
Unter dem Dekanat des am 23. Februar 1901 verstorbenen Pro-
fessors Dr. Lothar von Heinemann (12. Jinii 1900 bis 23. Februar
1901) und dem Prodekanat des Professors Dr. Wilhelm Busch (IG. März
bis 12. Juni 1900 und 23. Februar bis 15. März 1901) haben von
27 Bewerbern den Doktorgrad erworben die folgenden 16:
1900.
Oskar Moser aus Stuttgart 10. Mai
DAvm GRtJNEWALD aus Pörabsen in Westfalen 26. Mai
EMn. WiNDRATn aus Liebershausen (Rheinprovinz)
Oberlehrer in Hamburg 2. Juni
Lic. theol. Kurt Warmuth aus Dresden 14. »Juni
Gustav Ries, Oberlehrer aus Oldenburg 5. Juli
Abraham Schweizer aus Stuttgart 19. Juli
Heinrich Breidenbacii aus Eberstadt (Hessen-Darmstadt) 21. Juli
Ludwig Ziemssen aus Esslingen 26. Juli
Franz Fischer aus Nürnberg 20. Dezember
1901.
Karl Schmid aus Andelfingen 17. Januar
Erich Heyfelder aus Bromberg 24. Januar
Wilhelm Fauser aus Maulbronn, Pfarrer in Schöckingen 21. Februar
— IV —
Gustav Fonni: aus Dresden 21. teLnuir
Rylvan Lkhmann aus Strassburg 21. Februar
Johannes Sciiutzfjach aus Neckarwesthcim, Prüzeptor
in Ehingen 7. Miirz
Josef Zkm.kr aus Ellwangen H- Mürz
Zur Geschichte des griechischen Dithyrambus
von
Dr. Willielm Scliinid,
ord. I'rofossor (l(>r klassisclicii Fliiloloifip.
Die jungattisclien l)itliyraiul)eii des IMelauippides und seiner Nachfolger
behandelten die Heroensage im weitesten Umfang und führten der Art nach ähn-
liche, zum Teil geradezu diesell)en Titel wie die attischen Tragödien, die nach
Aristoteles aus dem alten Dithyrambus hervorgegangen sind. Von dem alten Dithy-
rambus unterscheidet sich dieser spätere nicht durch seinen Inhalt, sondern durch
seine mimetisch-musikalischen Extravaganzen, die den Spott und Tadel der Ko-
miker und des Aristoteles herausgefordert haben. *) Ein chorlyrisches Gedicht
mit yjpwixTj uKÖQzaiq hat also schon dem fünften Jahrhundert vor Christus ebenso
wie dem Plutarch (de nnis. 10) für einen Dithyrambus gegolten. Wir kenn(>n
al)er auch ausser dem Dithyrandms keine chorlyrische Gattung, die lediglich der
poetischen Gestaltung der Heldensage gewidmet gewesen wäre. Denn das von
Proklos (chrestomath. p. 246, 7 Westphal) aufgeführte ÖKopyriiix , an das man
allenfalls denken könnte, ist nicht Artbegritf, sondern allgemeinster Gattungsbe-
griff für die gesamte Chorlyrik.
Daraus folgt, dass es für die balladenartigen Dichtungen des Bakchylides
'AvTrjVop''öai y^ 'EXsvtj? dnocixYiai.c, (Tragödie desselben Titels von Sophokles), 'Hpa-
v.Xi]c, (inhaltlich den Trachinierinnen des Sophokles verwandt), 'Hl'öeol yj Oyjosu^
(auch Titel eines angeblichen Stückes von Thespis), ÖYjaeus (Titel verschiedener
Tragödien), 'Iw (Titel einer Tragödie des Chäremon), "loa? in der That eine an-
dere Gesamtljezeichnung als die von Blass''*) zuerst geforderte und eingeführte
Ai%px\i^oi überhaupt nicht giebt.
Wenn wir aber auch vermittelst dessen, was wir schon lange über den In-
halt des Dithyrambus im fünften .lalirlumdert v. Chr. wissen, in der Lage waren,
neugefundene Gedichte aus dieser Zeit als I)itliyrand)en zu erkennen, so fehlte
uns doch bis in das Jahr 1897 eine wirklich greifbare ^'orstellunff von dieser
*) Bosoiulero rliytliiiiisclK; luul mctrischo Külmlicitcii, auf die Dionysius von llalikaniass
(do comp. verl). 19) hindeutet, finden wir in den eriialtenen Resten der späteren Ditliyraniben-
dichtung keine, zumal seit das lange Bruclistück des l'ratinas (fr. 1 Behgk') eudgiitig aus
diesem Kreis ausgeschieden und (h'iii Satyi'spiel zugewiesen ist (P. (riuAiu), Melanges Weil
131 ff.).
**) praefat. ed. Baccliylid.' p. V. LVII.
1*
— 4 —
jian/LMi piHitischcn (iattiiiijr, und Ulass hat vollkonmu.ii Kcclit /u sa<r«'ii, vor Knt-
«li'ckuH},' des Hakclivlidcspapyrus liättcii wir nicht cij^ciitliili ficwusst, was ein
Dithyrambus sei. Aber so hell ist doch das neue Licht keines wejis. (htss nun
idöt/lich Hc^^ritl" und «ieschichtlichc Kutwickhinji des I)ithyrand)us ^'an/ orten vor
uns liejren. Vielmehr müssen wir <,'estehen, (hiss uns das wichti^'ste Pnddem auf
diesem (;el)iet zunächst noch fast ebenso dunkel ist. wie es zuvor war. (iestellt
ist es liUifist. am klarsten in der besonnenen Proprammabhandlunfi"). in der
Ewald Schkihkl die wüsten riiantasieen von Moritz Schmidts Diatribe in di-
thyrand)nm poetarumque dithyrand)icorum relicpiias (Berlin lH4r)) zurück^'ewies( n
liat. ScHKiiu;i, hat die Lösunji versprochen, aber sein Versprechen nicht ^^dialten,
während Schmidt durcli die ^'ewaltsamsten Einrenkunfisversuche einer {glücklicher-
weise jetzt überwundenen \'ermittlungspliilolo<iie die Schwierijikeit, st;itt sie ein-
fach einzujiestehen und so der ricliti.üen Erkenntnis die Ualni zu iirt'nen. weijer-
klären wollte (p. 21 1 rt'.j.
Die Hauptfrafie ist nun also: wie kommt es, dassEnkomien auf die
Heroen dem Dionysos zu Ehren ^^esun^'en wurden, während die
Hymnen auf die anderen Götter ihren Stoff ledi<:li,h aus der
Sage der betreffenden Götter selbst schöpfenV
Für die Beantwortung dieser Frage haben wir wenigstens das f]ine aus dem
Bakchylidespapyrus gelernt: dass jeder Vei-such. für die in Dithyramben behan-
tlelten Heroenmytlien eine besonders nahe Beziehung zum Dionysoskreis nach-
weisen zu wollen, endgiltig als verfehlt abzulehnen ist. Nur die lo den Bak-
chylides, für die grossen Dionysien in Athen l)estinnnt, leitet (XVIII 4t) rt'. Blass)
am Schluss zu dem Festgott Dionysos hinüber; die Stotfe aller seiner übrigen
Dithyrandjen haben mit Dionysos nicht, das Geringste zu tluiii.
Wir haben aber auch noch zwei weitere für diesen /usammeidiang wichtige
Erkenntnisse aus Bakchylides gewonnen: fürs Erste, dass der Dithyrambus im
fünften Jahrhundert v. Chr. nicht notwendig astrophisch gehalten war, was Blass
früher (Herm. XXX, 314 rt.) annehmen zu müssen geglaubt, jetzt aber (Praef.
edit. Bacchyl.' p. LVII) selbst autgegeben hat. Und weiter, dass es schon im
fünften Jahrhundert Dithyrand)en für Apollofeste gegeben hat: ein solcher, für
eine delische Apollofeier, liegt vor in Bakchylides' 'HlBeoi f^ Br/a£u^)(XVI, i:i(i rt'.),
und wir wissen nun auch, was wir uns unter den Ar^^iaxot 5'Mpx\i^oi ,ies Simo-
nides von Keos (Strabo p. 728 Gas.) vorzustellen haben. Vielleicht ist auch der
*) de ilitliyramborum Graecorum arfjuinentis, Progr. der Ritterakademie Liegnitz 18«>2.
**) Die beiden Theseiisgediclite des Hakchylides (XVI und XVII) sind schwerlirli vor
ilt'i- Translation der Theseusgel)einc nach Atlieii im Jahr 475 entstanden.
'HpaxXf^S des liakchylides (XV, 10 tt.) für ein Fest des mythischen Apollon be-
stimmt gewesen. Der Grammatiker in Cramers Anecdota Oxoniensia IV, 314
berichtet also riclitig: S'.Gupafxßog eat-. ■Ko'.r^\i7. izpog, A'.ovuaov a56{i.£vov r; Tipoi;
'AuoXXwva Kep',TzXov.od caxopiöv oixstcos, ") und wir kennen jetzt in dem apollini-
schen Dithyrand)us das vollkommene Gegenbild zu dem Ilaiav elq Atovuaov, von
dem uns heute ein inschrit'tliches Beispiel (Weil Bulletin de correspondance liel-
leni(iue XIX, 393 f.) vorliegt. Derartige Mischformen"") waren natürlich erst
möglich, seit die Association zwischen Dionysos und Apollon in Delplii voll-
zogen war.
Ungewiss erscheint, auf welches Fest wir den "loa; des Bakchylides zu be-
ziehen haben; auch Simonides hat (fr. 216 Bergk') den Stoff behandelt. Das
Gedicht des Bakchylides ist nach der Überschrift für Sparta bestinnut. wo viel-
leicht ein Heroenkult für Idas bestand (Pausan. III, 13, 1). Es könnte also ein
Lied für ein Fest dieses Heros sein; bei den nahen Beziehungen des Idas zur
Apollonsage kann man freilich auch an ein lakonisches Apollonfest denken.
Die oben gestellte Frage ist denmach nur nocli dringender geworden, seit
durch die bakchylideischen Gedichte die Unmöglichkeit der Auffassung, als be-
stände immer ein Sachzusammenhang zwischen den i^pcooxat uTzoBiae'.q im Dithy-
rambus und der Dionysossage dargethan ist, und es ist Zeit, sich wieder einmal,
unter Vergegenwärtigung alles dessen, was wir von Inhalt und Form des Dithy-
raml)us wissen, an eine Beantwortung zu wagen.
Völlig feststehend ist, dass der Dithyrambus von Hause aus ein lyrischer
Gesang auf Dionysos gewesen ist (Procl. ehrest, p. 24-1, 19 Westphal; Suid. s. v. ;
Poll. I, 38; Timae. lex. Plat. s. v. ; [Menand.] de enc. p. 331, 23 Sp.), und zwar
niemals ein „Weinlied des einzelnen weinseligen Zechers" — - ein Weinlied wohl,
denn oux eaxi o'Mpoc^i'^oq, ox/J 'üooip tt'//); (Epicharm. fr. 132 Kaib.), aber stets
ein Chorlied im griechischen Sinn , d. h. von einzelnen e^apj^ovtsg angestinnnt ;
das ist ganz unzweideutig von Archiloch. fr. 77 P)Ergk* gesagt:
'/.od Aitovuaoi) avaxtos xaXöv s^ap^ai jxeXog
olox 6'.06pa[xßov otvw auyxspauvwöetc; cppeva. '•"■'*)
Sicher ist auch was Pollux IV, 81 bezeugt, dass das ungriechische Instru-
ment des auAos, das mit dem Dionysoskult in allen seinen Formen von xVnfang
*) Die drei letzten Worte warten noch der Heilung. Auch Marius Victorinus an der
unten ö. 9 anzufülirenden Stelle meint offenbar den apollinischen Dithyrambus.
**) Analoge Erscheinungen s. Welcker, (iriech. Gottcriclirc 11, tjl6 f.
***) Die Stelle ist schon von Lütcke de Graecorum dithyrambis et poetis dithyrambicis
(Berlin 1829) p. 17 riciitig verstanden.
— () —
an fest vi'rliiiiidt'ii \v;ii-. iii>iiriin;ili(li allein diesen Clior ln-jlcifct li.if. und /u;ii"
(rrofl. ehrest. 245, 22 Wkstimial; weitere Stfdleii Moii. Schmidt, diatrihe p. 2»)7 f.)
in idirviiisclier oder liyiiophrvfiisclier Harmonie. Auf«:! 'führt ist er heim Opfer
für den (lott (otav a;:£vOü)a'. Ath. XIV, <)2Hai.
Kill ai»()tropäischcr /weck (ei? xaxwv TiapaiTrjatv), von (h-ni l'roklos (ehrest.
\). 245, 14. 28) redet, wenn die Lesart richtig; ist (s. n. S. 10 .Vnm.) ist in keinem
der nns erlialtenen ?Aemplare erkennltar.
Über den n rs i)rün etlichen Inhalt des I) i t h y ranibns Übst sich
durch Etymo]üj.iie nichts Genaueres feststellen. Die alten Etymolofrieen *) von
dem avxpov 5{0upov, in dem Dionysos auff^ezogen worden sei. von aOÖ-. pajipia
(Tind. fr. 85 Christ), von olc, yeviaBat (diese alle bei Prod. 1. 1. p. 244. 20 tl'. ).
auch die Erkliirun^ von 5i66pa(jL,3o? als (Jnomatopoeticum, die Dio Clirysostomus
XVII, 2 zu meinen scheint, haben für uns kaum irfiendwelchen Wert. Nur die-
jenifien, die das Wort zu derOeburt des Dionysos in Beziehung setzen, ver-
raten weniiistens eine inhaltlich richtige Auffassung, insofern es Dithyramben auf
die (reburt des Dionysos, analog den christlichen Weihnachtsliedern, wirklich ge-
geben haben muss (Plat. leg. III 700 B). Von ihrer Existenz haben wir nur
noch eine Si)ur in demjenigen Teil des lehrreichen Missionierungschors aus Euri-
pides' Bakchen, der die Geburtssage des Dionysos behandelt (Eur. Bacch. 88 ft'.), **)
Etymologische ^'ersuche neuerer Zeit haben nicht weiter gefördert: dass Ä1Ö5
0Opa{x[io; nicht die lichtige Erklärung sein kann, ist durch Jakob Wackerxauel
(Rhein. Mus. XLV, 482) bewiesen. A'.96pap.^os ist ohne Zweifel von Hause aus
Beiname des Gottes, wie es denn auch vereinzelt (Herodot. MI. 227) als mensch-
licher Eigenname vorkommt. Wahrscheinlich ist es gar kein griechisches, sondern
ein kleinasiatisches Wort etwa von einer der Bildungsklassen, die V. Kretschmek,
Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache 322. 332 bespricht.
Die Ditliyrand»en, die uns v(dlständig oder in grösseren Stücken erhalten
sind, fallen alle unter den Begriff der Ballade, auch der jiindarische Athener-
dithyrand)us. dessen prächtigen Anfang wir dem Dionysios von Halikarnass ver-
danken. Dionysischer Stoti' wiegt hier ebensowenig \or wie in der attischen Tra-
gödie, Gegenstände sind vielmehr Götter- und Heroensagen aller Art.
') (JesamiiH'lt und besprochen in der citierten Dissertation von Ltttcke p. 9 ff. (L.
entscheidet sich für die auf lateinische (Jrammatiker zurückgehende Ableitung von Öprafi^o?);
s. auch Welcker, Nachtrag zur Sehr, über die äschyl. Tril. 191, 27; Mor. Schmidt, diatril»e
in dithyr. Iftl: IlAnTiNn, Philol. I, 398.
**) Die Anspielung des Dio Chr. LXXVIII, 32 zeigt übrigens, dass auch der jung-
attiscl>e Dithyrainlms diesen Gegenstand nidit vergessen hatte.
Eine besondere Gattung von Dithyranil)us würde die volkstümliche Anru-
fung der eleischen Weiber an Dionysos iXQely r^pijy At,6vua£ xxX. (Bergk Poetae
lyr. Gr. IIP p. 656 nr. 6) darstellen, wenn sicher wäre, dass man dieses Stück
unter die Dithyramben reclmeii dürfe. Es wird von diesem Typus später noch
zu reden sein (S. 13 tf.).
Über die r h y t h mische G e s t a 1 1 u n g lial)en uns, wie bemerkt (p. 4) die
bakchylideisclien (iedichte gelehrt, dass astrophischer Bau keineswegs ein notwen-
diges Kennzeichen des Dithyrambus ist. Immerhin wird man festhalten dürfen,
dass es lange vor Melanippides, Philoxenos, Timotheos astrophische Dithyramben
gegeben habe und dass Simonides' Danae und Pindars freigeliautes Athenergedicht
solche seien. Aber jetzt erst gewinnt die Stelle aus den pseudoaristotelischen
Problemen (XIX, 15 p. 918b 18 tf.) die richtige Beleuchtung: bCo xac oi SlOu-
pap-ßot, £7i£tSrj [xt[irjTixoc Eyevovio, ouxexi e)(ouaiv avxiaxpocpous, Ttpoxepov oe £t)(OV
acxcov 6e oxo xo uaXacöv oi eXsuOepot, ey^6pe\)ov auxoi • TzoXXobc, ouv aywvcaxixwg
aoeiv y^alzKov fjv, coaxs £vap|xcvia [xeXrj ev7)Sov . ^exaßaXXeiv yap TtoXXag [aexaßoXa^
xw evc ^aov >] xolq noXXolq, xac xw aywviax'^ y^ xolq xb ifioq cpuXaxxouaiv . oib
inXoüaxepx euotouv auxotg xa [aeXt] . i] be avxiaxpoqjog aTcXoOv • dpiGjAoc yap iaxi
xat ev: [iexpBixM. Das Älteste, dem Cliorvortrag Angemessenste war auch l)eim
Dithyraml)us der strophische Bau: er ist die naturgemässe Form aller Volkslyrik,
und aus dem Volk ist ja auch der Dionysosdienst mit allem, was zu ihm gehört,
emporgestiegen. '') Zu dieser ältesten Manier des „schnurgeraden" d. h. antistro-
phischen Gesangs (a)(Civox£V£c' aoiSd) setzt denn auch Pindar (fr. 79 A Christ)**)
seinen frei dahinströmenden Dithyraml)us in Gegensatz. Es ist offenbar, dass schon
er (Hör, carni. IV, 2, 11 f.) und Simonides die solistenmässige Entartung des spä-
teren Dithyraml)us nach der Richtung der rhythmischen Form angebahnt oder
angenonnnen haben.
Mit dieser Umformung des rhythmischen Baus gieng die darstellerische
Änderung Hand in Hand, die Gomperz (N. Jahrbb. f. Philol. und Pädagog. 1886
S. 771 tf.) aus Plat. resj). III 394 C richtig erschlossen hat: an Stelle des er-
zählenden Dithyrand)us älteren Stils trat der dramatisch-niimetische. Die Eigenart
dieses letzteren erklärt sich so vollständig aus seiner Konkurrenz mit dem aus-
gebildeten attischen Drama, dass man sagen darf: der mimetische Dithyrandnis
im vollen Sinn kann vor Pintstehung des attischen Dramas gar nicht existiert
haben. Denn erst seit der Dithvrambus mit dem Drama um seine Existenz zu
*) ProcI. ehrest, p. 245, 24 tout o\ b [xsv SiOJcaaßo; i-b irj? /.ara Tol»; äypo-jc Jioioia; /.at
**) Die Stelle ist vuii IlAiiTUNa IMiilol. I, 401 iiiisbdeutot.
— 8 —
kamptVil liciiöti^t war. miissfc er sciiit; iiiiisikaliscli-ininietischeii Hci/c /ii der Ite-
kaniitrii scliwiiKlclliaftcii llölic /u stci^ioni suclieii : er winde iiiin etwas Äliiilicli('s
\\'\v (las iiKxIciiM' Orafnriiini liehen dci- Oper, olim« docli . wie unser Oratorium,
die Syndtolik der musikalisclien Wirkung ^muz rein für sich bestehen /u lassen
— CS wurde \i(diuelir uuch eine Art s\ nilMilischer. die Mu>ik illu>trierender Ak-
tion des Instrunientalisten und des Cliortührers hin/n}iefiit;t (Aristot. ixii-f. 2t)
1». lliill) :\2 Ü'.). die auf unseren (leschniack . wenn einsthaft ^'enieiiit . hiichst
ix'inlicli wirken niüsste.
Hat es nun die jirösste innere NN'alirsclieiiilichkeit . dass der Ditliyiainlius
diese Mefain(ir|»liose eben da erfahren habe, wo die Tia-iödie aus iliiii erwachsen
ist und ihm ei^^'utlich den Lehensfaden ah^eschnitteii hat, niimlich in Attika. so
darf man dem Dithyramhus, /u dem Tind. fr, 7V) A 15 Christ jichören. ein äusseres
Zeugnis für Zeit und Urheber der bezeichneten Erscheinuiifien abzu^'ewinnen wa^'en.
Dass er den Athenern gewidmet sei. niiiimt SciimM)!;!; mit voUeiii Üeclif an.
l'indar weiss seinem Publikum in ausgesuchter Weise zu schmeicheln - nach
dieser Seite hin kennen wir ihn besonders gut, seit wir seine erste olymiiische
Ode mit dem weniger schwungvollen, aber im Komplimentieren weit massvoUeren
und anständigeren fünften Siegeslied des Hakchylides zu vergleichen die Mii'ilich-
keit haben. .\n der angeführten Stelle lobt Tiiidar otieiibar den noch neuen
attischen Dithyrambus nach seinem freien rhythmischen Dan im (legensatz zu
(lern strophischen älteren und hat gewiss, um die Schmeichelei voll zu machen.
auch sein eigenes (redicht in attischer Manier frei gebaut; er hdit zugleich auch
den atti.schen Dialekt, der statt des aav x:ß5aXov das tt hatte. wiew(dil zweifel-
haft ist, ob und wie weit diese Dialekteigeiitümliclikeit im attischen Dithyrambus
zum Ausdruck gekommen ist. * • j Dieser Dithyrambus neuen Stils ist die Schöpfung
von rindars Lehrer Lasos von Hennione, der von manchen Alten übertriel)en und
missverständlich für den Krtinder des Dithyraml)us überhau[)t gehalten wurde
(Voi.KMANX zu l'lnt. de nius. ji. HV», 44 tf.. der sich mit Hecht zu der .Vnsicht
von I'muci über die Art von Lasos' Neuerung bekennt).
Über weitere metrische Kigentüm lichkeiten des Dithvrambus
*) -p'iv [xkv eTpJiE oyotvor^vEti t' ioioi oiOjpäixßfov xa«. ~'o oav ztßoaXov avOptönoiaiv izo OToasTeov.
**) Diiss wir in Lasos von Ilcnuioiu' iiirht ciiu'U Vorläufer des Nostor von Laraiula
si'ln'ii (hirfcii, lialtc icli für siclipr. Wenn also die äaivfio? (oSiJ des Lasos, von der Pionvs.
Ilal. de conipos. verb. 14 und Athenae. X p. 45öc reden, im Sinn der 'D.tä; XEii{.'.Ypiji[iaTo; /u
verstehen sein 8(dl, so ist sie im Altertum mit Reclit für unecht erklärt worden (Athen, a. a. ().)•
Der ü|ivot «itYao; auf Demeter al»er, den schon Herakleides Pontikos citiert. könnte, wenn
für ein attisches liOkalfest bestimmt, wirklich einmal vereinzelterweise dem attischen Dialekt
die stilistische Konzession gemacht liaben, tt statt aci zu jrcbrauchfii.
5j;iebt Mariiis Victi)riiiiis Notizen, deren Richti.ukeit wir kaum kontrolieren kiinnen.
Er redet von einem Refrain des Dithyrambus (Gramm, lat. VI, 5!), 2(i tt'. Kkil):
esse brevia coLi, quae post Strophen et antistrophon supercini moris est, quae
iani non epodoe , sed £cpu[xvta dicuntur, ut est üy] ixaiav. hoc enim vel hymnis
vel dithyrand)is supercini moris est. Ein Beispiel giebt er nur für den Refrain
des Päan, nicht des Dithyrandnis im engeren Sinn, und er bezw. sein Gewährs-
mann meint offenbar die o])en (S. 5) erwähnte Mischgattung aus Räan und Di-
thyrambus. Im üln'igen könnte mau sich ja an das d^ie xaOpe des eleischen Dio-
nysosgesangs erinnern, wenn dieser nur strophisch gebaut wäre. Das £cp6|xvi&v
„w oi9upa(xߣ" erwähnt Hephaest. p. 72, 14 Westphal, wir können es aber in
keinem Gedicht belegen. Ferner verzeichnet Marius Yictorinus ein metrum dithy-
rand)icum, gebildet aus zwei Raeones primi und einem Epitritus III am Schluss
(p. 129, 11 ff.), das in den erhaltenen Resten genau so nicht vorzukommen
scheint; mir die Einmischung päouischer Füsse unter sechszeitige, von der die
kürzeste mögliche Form im Dochmius der äschyleischen Tragödie festgelegt worden
ist, können wir aus dem grossen pindarischen Dithyrambenfragment und aus
Rakchylides '■'') nachweisen.
Es bleiben also manche Lücken in unserer Kenntnis, al)er doch ist eine
schöne Strecke von dem Entwicklungsgang des Dithyraml)us so weit erhellt, dass
man die Hauptrichtungen und -Stationen erkennen kami. Der astrophische Dithy-
rambus ist, jedenfalls in der Kunstpoesie, vernnitlicli al)er auch in der volks-
mässigen, nicht das Älteste, sondern das Jüngste, etwas spezifisch Attisches. Was
den Stoff betrifft, so kann man zugeben, der Dithyrambus als Hynmus auf die
Geburt des Dionysos sei mehr als ein etymologisch-litterarhistorisches Phantasma
des Pindar und Piaton ; al)er geschichtlich fassbar ist uns jedenfalls diese Gattung
nicht. Dagegen ist völlig klar, dass in der geschichtlich hellen Zeit die Helden-
sage regelmässig den Stoff für den Dithyrambus abgab, so sehr, dass man chor-
lyrische Dichtungen des Lokrers Xenokritos, die litterarhistorisch nicht ganz
sicher rubrizierbar waren, um dieses Inlialts der yjptoVxac bKoQiaziq willen für
Dithyramben erklärte (Plut. de mus. 10). ^'=='^) Die Stücke des P>akchylides sind
also, wie oben bemerkt, inhaltlich echte und gerechte Dithyrand)en, und gehören
der Form nach zum alten, ausserattischen Stil.
*) Mit Händen zu greifen sind die Doclimien in der Kpodos von Biikchylidcs' MliOsot
gleich im Anfang: tou' eTjtev ap£'Tai[7[j.o; %toc, -öipov | o\ vaußäxat :;= u — , uuu — | u — , — u — |
•j — u — ■; dann üaavs ta -oTatjviav [xtjtiv £'|;:£'v ts [j.£YaXooOsv£; = u ■ — , uuu — | u — , — u — |
— uuu I — u — n. s. \v. Es ist das rliytliniiscli külinstc; nnter den bakchylideisclien Gedichten.
**) Schol. Ar av. \)\H reclmct den kyklisclit'ii ('hurgesang eint'acli zum oirjyrjaaiti'.öv.
2
— 10 —
SclieiiKitLsch lilsst sidi dit; aus den liislicr vin-^Tlciitcii hatcn ^'ewoiiucnc
Stilist isciu' ?jit\vi(klunj; so (larstelh'ii:
I. Älterer, ausscrattisclicr iMtliyranihus
1) stn>iiliisclier in apangeltisdicr Darstellung
a) Aiovuaou yovaJ (?)
1)) Heroensage
2) astropliisclier: unvo; xXr^r.xoc der eleYsclien WeilterV Von einer stro-
phischen Form des 'j|jivo; xXr^Tixd: wird unten S. 14 f. zu reden sein.
II. .liingerer. astrophischer, attischer Dithyrambus, zu mimetischer Dai^stel-
lung mehr und mehr iiljergehend.
1 ) von Lasos begründet, von Pindar nachgeahmt
2) von Melanippides und Genossen ins niimetisch-musikalisch Hunte ge-
steigert.
So liegen die Thatsachen. die wir nun zu erklären versuchen müssen: vor
allem das riiänomen des Dionysoshynmus mit Stoff' aus der Heldensage.
Dem späteren Altertum war der Heroendithyraml)US etwas so rieläufiges.
dass über den befremdlichen Widerspruch zwischen Zweckbestimmung und Inhalt
derartiger Gedichte sich niemand weiter aufliielt. Dass es aber eine Zeit gab.
die an diesem Widerspruch Anstoss nahm, dafür liegt uns noch ein Zeugnis vor
in dem Sprichwort gOSev Tzpbg töv Aidvuaov, das bei Plut. symj). quaest. I, 5
p. 615 A und Zenob. i)roverb. V. 40 im Wesentlichen richtig erklärt sein wird.
.\uch Proklos (chrestom. p. 245. 28 Westphal) enthält noch eine Andeutung in
dieser Richtung: 6 |jl£v vap (o'.6'jpa[ij3o;) ioxi xo'.v6i£po; (d. h. allgemeineren In-
halts), e:s xaxwv napa'.-r^av/''') ysYpaiijjisvc;, 6 ot (voiaogi lo-'w; e:; 'ATidXXwva:
aber es ist ihm schwerlich ganz klar gewesen, welche Schwierigkeit er hier be-
rührt. So kann man sich nicht verwundern, dass auch die neueren F.rklärungs-
vei"suclie auf Abschwächung statt auf klare Herausstellung des Gegensatzes hin-
arbeiten. Man weist, sofern man nicht wie Härtung (Philolog. I. 406) lautlos
über die Schwierigkeit hinweg gleitet, auf die vermeintliche stctftliche Verwandt-
schaft des Heroendithyramben mit der Dionysos.sage hin (M. Schmidt, s. o. S. 4)
und sucht auf diese Art ein allmähliches Herüberrückeu aus dem dionysischen
in den heroischen Kreis glaublich zu machen; oder man ninunt einen Notstand
der Dithyrambendichter an (Scheibel a. a. 0. p. XIV): die dionysischen Stoti'e
*) Diese Worte siud schwerlich richtig überliefert (s. o. S. 6); eher könnte ein stoischer
Grammatiker, der Proklos wahrscheinlich gewesen ist (Rhein. Mus. XLIX, 158 ff.), geschrieben
haben: £i; xaXöJv ;:asa(v£aiv ; denn dazu sollte ja die Heldensage dienen (Strabo I p. 15 f. 17
Casaub. ; [Plut.] de vit. Hom. II, ö. 218; Dio Chrys. LH, 17).
— 11 —
seien bald erscliöpft gewesen, so dass man ül)er sie habe hinausgreifen müssen,
wobei sich doch sofort die Fragen aufdrängen nmssten, weshalb denn der Kult-
hynmus für Dionysos trotz aller stofflichen Beschränkung nicht ebensowohl wie
z. B. der vojao? UüQioc, sich in dem Kreis des Gottes, den er eigentlich angieng,
halten konnte, und warum denn nicht auch andere Götterhymnen solches Hinaus-
greifen über ihre eigentlichen Gegenstände zeigen. Wie äusserlich und unbrauchbar
diese und derartige Lösuugsversuche sind, empflndet jeder, der sich von dem
zähen Beharrungsvermögen religiöser Formen und Gelnäuche auf griechischem
Boden die richtige Vorstellung gel)il(let und sich klar gemacht hat, dass der Di-
tliyraml)us nicht ein ergötzliches Spielzeug war, der Dichterwillkür preisgegeben,
sondern ein fester Bestandteil eines Götterkultes, dass also die Bestimmung seines
Inhalts nicht unter einen ästhetischen, sondern unter einen religiösen Gesichts-
punkt fällt. Man nehme auch nicht eine Analogie von der bekannten Becitation
beliebiger epischer Stücke nach Voranschickung eines hymnenartigen Kpooi\).iov
bei Götterfesten. Denn solche Txpooqxta und Recitationen sind nicht Bestandteile
des Kultes, sondern freie Anhängsel epideiktischer Art an den offiziellen Teil des
Festes, ein poetisches Vorbild für die spätere prosaische Zusannnenfügung der
otaXe^iS und [leXeiri in den Prunkvorträgen der Sophistenzeit.
Sobald mau für diese religionsgeschichtliche Seite der Frage das volle Ver-
ständnis gewonnen hat, wird man die Notwendigkeit erkennen, jeder weiteren
P'.rörterung des vorliegenden Problems den freilich fast selbstverständlichen Satz
voranzustellen: ein Dionysoshymnus kann von Hause aus nur diony-
sisch en Inhalt gehabt haben; ein Chorlied mit ausschliesslich
heroische m Stoff hat m i t dem D i o n y s o s k u 1 1 z u u ä c h s t nichts zu
schaffen, sondern gehört zum Heroenkult.
Damit sind die Bichtpunkte für die folgende Untersuchung bezeichnet. Die
Aufgabe ist, nach den nachweisbaren m u s i s c h e n Fi 1 e m e n t e n i m I ) i o n y s o s-
und im Heroen kult zu suchen und von den da})ei gewonnenen Ergebnissen
aus die merkwürdige Zwitternatur des Dithyrambus zu erklären. Manches wird
hier prol)lematisch l)leiben. Das })riugt die Art unserer Überlieferung mit sich.
Indessen ist diese doch nicht so desperat, dass wir auf jede tiefer dringende F]in-
sicht verzichten müssten. Die dürftigen Reste müssen nur richtig interpretiert
und kombiniert werden. Mit reiner Buchstabeugläubigkeit kommt man freilich
hier wie in allen grösseren Fragen nicht von der Stelle, und vor allem ist zu
bedenken, dass es über die volkstündichen Anfänge des Dramas und Dithyrambus
keine Didaskalieen gab, Aristoteles also im vierten Kapitel der Poetik darüber
nicht Zeugnisse, sondern Vernuitungen bietet.
_ 2*
— 12 —
I)i(iiivs«)s ist, wie wii" seit Wklckkk wissen, ein (lolt ^raiiz amlcifr Ai't
als die ( »lviii|)i('r (\vs Kpos. Nicht ein !J:estren^;cr Herr, soiidmi ein ircuiidliclier
Hefiricr von Kmiiiiu'r iiml Klciid. ein llcltVr und Heiland der Armen und (Je-
drüekten. Die llotVnunfieii. Trihnne, Kkstasen, die der .stienj^'e Uationalisniiis der
fiiieehiselien Ilenennioial und llerrenreli^'ion mit Acht und Bann heleiit, haben
in seinem Bereich unheschränktes Existenzrecht. Das Kthos seines Kultes ist in
den Chören von Kuripides' Bakchen vortrel'tlich ^'ezc^ichnet : harmlose Lehens-
freude. Irrationaiisnuis, Condescenden/ zu den (lefühlen und (ledanken des nie-
deren \'(>lkes ) sind seine ('harakteristika . und um ihrer willen konnnt er in
Kiuitiikt mit dn- latiiuialistiscju'n Staatsreli^ion und ihrer l'olizeiüewalt vom ersten
.Vulan-i seines Auftretens an — daher die bekannten Mythen von Lykur^os und
Tentheus. Wenn A'.owooc. wirklich ein liiiecliischer Name ist (wie ich mit IUhide
Psyche II, 3« f. A. überzeujit bin) und dieser Name auf den thrakischen Sabos
oder Sabazios übertrajien werden konnte, so niuss es doch vor Import des thra-
kischen Dienstes einen wurzelecht «iriechischen Gott jenes Namens },'e}Teben haben,
dessen Kult mit dem thrakischen einii^e Verwandtschaft hatte. Mehr od(!r we-
nij-'er unterdrückt, hat der Dienst des Dionysos sich in den einzelnen Kantonen
doch über die Zeiten der Aristokratie hinüber gehalten bei der ländlichen Be-
völkernn.i:. Das \'olk veiehrte den (lott der wunderbaren Belebuufis- und Be-
fruchtuufiskraft, die sich von der Ptlanzenseele der Hebe auf die Seele des Men-
schen Uberträ.trt, den (lott der fecundi calices in der derb ländlich-sittlichen Art,
von der Aristoi)hanes in den Acharnern (2:57 ü\) ein Miniaturbildchen privaten
Charakters gemalt hat. Bei eifientlichen Genieindefesten sanken die .,d(iri)er" '*)
*) Die Stelle Baccli. 4.iO f. ist wohl zu lesen lo -X^Oo; Zv. -o aajXöTepov (opp. aosö; Eur.
Aiulr. 482; Ion. 834) evöatae XP^i"^"- ''» ^^ "^'T'^' aXsfoiaav ; zum Sinn von iXs^w vgl. Alrni. 23, 2
Bgk.^ oy A'Jxataov ev zajioüaiv iXi'fui', Alcae. 58 O'jxe't' e^w AJy.ov sv Mo'jai; aXivw ; IMnd. Ol. II, 86
rijjXcüj T£ xat KiSjio; ^v xo'iaiv äX^yovTa'. (Schol. : auyxaTaXs'YOVTat ev toJtoi? toI; oizaiot;). Die lv<ir-
responsion (4iri = 431) — uu — u mit uj — — kann keine Scliwierigkoit
machen (Roshhacii, Griech. Metr.' 542). — Ganz zutreffend auch Tihull. I, 7, 39 ff.:
Bacchus et agricolae magno confecta lal)oro
Pectora tristitiae dissoluenda dedit.
Bacchus et aftlictis requiem mortalihus affert,
Crura licet dura comi^'dc pulsa sonent.
**) Daher der Namo /.lojitoSia, nadi der riclitigon Etymologie liei Aristot. poet. 3 j). 144Ma
37, wo auch richtig angedeutet ist, dass xwuLwSia von Hause aus eino spöttische Bezeichnung
vom Standpuidvt des stadtischen Adels aus gewesen sei. Dasseihe trifft ührigens auch für das
Wort TpayojSfa zu, von dem die Alten so viele thöricliten Etymologieen gegeben haben. Es be-
zeichnet den Gesang der zum Scherze '^»fo: genannten Hirten in der oisOspa (s. ausser Br.i'MNKR,
griech. Privataltert. 17(5, Theogn. 55; Ar. nul). 72; Epist. ad Ilebr. 11, 37), den Bauerndithy-
rambus. l)'w „tragischen" Chöre zu Ehren dos Heros Adrastos mit Wersicke (Hermes XXXII,
— 13 —
dem Gott in der volkstümliclien Form des Cliorgesangs , in den volkstümliclieu
Tanzrliythmen der lieluirrenden oder wechseiförmigen secliszeitigen Takte, der
Trochäen, lamben, loniker und Choriamben seinen Hymnus, für jedes Fest einen
neuen (xaivrjv d-apOevsuxov Semos bei Ath. XIV 622 cd; Anaxil. fr. 272 Kock).*)
Etwas wie ein urkundlicher Bericht über diese ältesten ländlichen Dionysos-
feste lässt sich nicht mehr gewinnen aus den inhaltlich und formal schon sehr weit
von dem alten Dionysosgesang entfernten Dithyramben und Tragödien der klassi-
schen Zeit, sondern nur noch durch Analyse des Kernbestandteils der altattischen
Komödie, der Parabase. Sie zerfällt nach Inhalt und rhythmischer Struktur in
zwei Teile, einen anolBluiikviaq und einen epirrhematisch xaiä o)(iaiv gebauten.
Nur der zweite ist in allen Parabasen, vollständig oder w^enigstens (in den Thesmo-
phoriaz.) stückweise, vorhanden, während der erste in den Fröschen völlig fehlt.
Daraus wird man folgern dürfen, dass der zweite Teil der ursi)rüngliclu're ist.
Inhaltlich sind l)ei Aristophanes überall die beiden Teile ganz von einander ge-
löst. Der zweite Teil besteht aus den beiden korrespondierenden Strophen der
w5y] und avTMOOQ und zwei gleich langen Reihen von trochäischen Tetrametern
skoptischen Charakters, von denen die erste sich zwischen wSy] und aviwSos ein-
schiebt und deren ernsthaften religiösen Zusammenhang Avenigstens in den Pittern,
Wolken und Vögeln unterl)riclit, während die zweite der chiMOoq nachfolgt. Wenn
in anderen Stücken die lyrischen Strophen selbst teilweise (Ach. Pax. Ivan.) oder
ganz (Vesp.) in den skoptischen Charakter hereingezogen werden, so ist dies ge-
291 ff.) für Chöre von Bockssatyni zu halten, ist unmöglich: was sollton dio im unvermischton
Ileroendienst ? Und Arion vollends hat mit den Böcken gar nichts zu thuii (s. S. 19a Anm.).
Der ßor^XaiT); otOJpa;jLßo; (ältere P]rklärungen bei Welckrr, Nachtrag zu der Schrift über die
äschylische Trilogie 241 A. 179) Pind. Ol. XIII, 19 ist nichts anderes als der Rinderhirten-
Dithyrambus (wegen der Syntax s. Küiiner-Gebth, ausfuhr!. Grammatik der griech. Sprache P
S. 27.3; ähnlich ist besonders iiXy|Tr)? ß(o; Hdt. III, 52), was freilich schon im Altertum ver-
kannt worden ist (Voigt, in Roschers mytholog. Lexikon I, 1078, 62 ff. lässt mit Unrecht die
Kritik von Wklcker a. a. 0. unbeachtet). - Kwao; ist Kurzform zu x(ü|i.woia. Man kann mit
der Sinnübertragung den schwäbischen Dialektausdruck „Kirwe" (ländliche Kirchweihe) im
Sinn von „ungeordnete, bäurische Szene" vergleichen.
*) Das Gesetz, immer in der Komödie etwas Neues zu bieten, haben die altattischen
Komiker fortwährend anerkannt (Ar. nub. 547; vesp. 1044. 1053; Xenarch. bei Ath. VI, 225c),
und, mit moralisierender Begründung, knüpft nocli Piaton (leg. VII, 816 E xatvbv 5e «ei Tt
T.s^\ ai-x oa{vsaOai twv [x!ai)|jLaT(üv) daran an ; auch neue Rhythmen bot man womöglich, wenig-
stens in derjenigen Parthie der Parabase, die schon im fünften Jahrhundert a parte potiore
den Namen a^iÄT.a:axoi trug, auch wenn sie nicht aus Anapästen bestand, sondern aus sechs-
zeitigen wechseiförmigen Maassen, wie die „crJar.Tu/.iot iviTiatiTO'." in Pherekrates' Korianno,
oder aus versus Cratinei oder aus ionischen Tetranu'tern (Phrynich. fr. 70 Kock) oder dak-
tylischen Hexametern (Pherecrat. XEipwvs; fr. 152. 153 Kock). Aber auch die Tragödie bat
— 14 —
wiss nicht :ils das l rspriin-iliclic zu lictracliti'ii, soiidoni als iiatiirj^cmässt' Fol^ie
der Eiinvirkiin^' i\cii koniischcn /iisaiuiiienhaii^s, in den das Strophcidied in der
Kunstkoniödie hineingestellt ist. Der (Jötteranruf hat zweifellos von Hanse aus
den Inhalt des Stnti)henliedes ^lehildet, wie er denn noch ein/,i«ier Inhalt der
Strophen in den l'arahasen der Ritter, Wolken und Vö<;el, und wenitistens ausge-
deutet ist in derjenijien der Acharner (<i<)')), des Friedens (775. Hl»i) und der
Frösche (675). Die Wahl der aufgerufenen Götter steht in den aristophanischen
Parabasen stets in en«ieni /usauiuieuhan^f mit dem Iiduilt des Stücks, wo nicht
der Dichter sich an seine Göttin, die Muse, im allj^^'iueineu wendet. Der I'est-
gott Dionysos wird nur, nach einer Reihe anderer Gottheiten, freilich bedeutsam
den Schluss bildend, an<;erufen in den W^olken 603 ff. Seit die Komödien in die
Gesamtveranstaltun^^ der Dionysien hereinfiezofien waren, in deren Verlauf Ja dem
(iott des Festes durch eii^'ene kyklische Chöre mit Ditliyraml)en die nötijie Hul-
difjuuf; dar^el)raclit wurde, hatte der einzelne komische Dichter nicht mehr nötiiu',
einen Ilynnuis auf Dionysos für den Chor seines Stückes zu dichten. In einer
Zeit und in Verhältnissen aber, wo das <^^inze Bauernfest mit einem eiuzifien
Chor auskommen musste, an dessen Gesänge sich die freien Entremeses an.schlo.ssen,
aus deren ^'erbindnn<I mit den Chören nach Poppelrei'ters*) überzeu<:ender
Darstelluuji die Komödie hervorgewachsen ist, kann dieser Chor nichts anderes
als einen Hymnus auf Dionysos gesungen haben, wobei immerhin, wie man es in
dem i>indarisclien Bruchstück (75 Christ; vgl. Ar. e(i. 5öM tf. ) sieht, nach Art
der Theoxenien. ausser den ständiiren Genossinnen des Dionysos, den Chariten,
auch dit! üi)rigen Götter als (iäste herbeigerufen worden sein mögen. Dieses ehr-
würdige Survival ältester Dionysosfeiern, der u|ivos xXrjt'.xdc, ist der Form nach
in den Strophen der Komödienparabase noch völlig erhalten geblieben.
Die trochäischen Parthieen. durch die das Strophenlied gekreuzt wird, ent-
halten durchaus i)olitisch-soziale Satire und unterscheiden sich in nichts Wesent-
lichem von den archilochischen lamben, aus denen ja ein Stück (w X'.7iepvf;i£;
noXlxai, xani Sr^ ouy.zxs. pTjUar'j bezeichnenderweise in eine Parabase des Kratinos
(Schol. Ar. pac. 602) wörtlich übernommen werden konnte. Ob die Verbindung
zwischen Strophen und stichischen Trochäen von Anfang an die ei»irrhematische
Form gehabt habe, niuss dahingestellt bleii)en. Aber dass diese Verliinduug in
irgend welcher Form die Grundbestandteile der alten ionisch-attischen Dionvsien-
bis in (las vierte Jahrliuiulert (xaivot Tpayoiooi s. Alb. Müller, •zrioc li. Bülinenaltertfimer S. .323 f.)
sich an jene Regel trehalten.
*) de conioeiliae Attirae prininnliis. Uerlin 1893.
— 15 —
feier (u\i.voq 7rapaj8w|xio5 und angeschlossene oder eingetioclitene Spottianil)en) *)
gebildet lial)e, ist im höchsten Grad wahrscheinlich.
Die einleitenden Anapäste haben zu diesem ältesten Bestand sclnverlich ge-
hört. Das dorische Marschmetrum weist auf dorischen Ursprung hin. Dem In-
halt nach steht diese Parthie dem Prolog der neueren Komödie gleich — der
Dichter redet hier durch sein Organ, den in Marschbewegung aufziehenden Chor,
in eigener Angelegenheit, und es ist zu vermuten, dass dieses Stück seine Ein-
fügung vor den Strophen, als eine Art von Prolog zu diesen, erst den Kunstdich-
tern zu verdanken habe. Dass es der gesamten Chorleistung den Namen napd-
^aaic, eingetragen hat, darin liegt kein Beweis für sein hohes Alter in der ausser-
dorisclien Komödie.
Durch Verbindung dieser lyrischen Parthieen meist ionischer Provenienz
mit Nachbildungen der dorischen Volksposse ist die altattische Komödie entstan-
den. Dass es eine ionische Märchenkomödie nie gegelien hat, überhaupt kein
ionisches Drama, l)raucht man jetzt nicht mehr zu beweisen, zumal nach der
feinsinnigen Beurteilung dcsr Zielinski'schen Ansichten durch Henri Weil (Etudes
sur le drame antique 283 ftV).
Ist man berechtigt, in dem melischen Teil der Komödienparabase ein Ru-
diment des alten Dionysoshynnuis zu finden, so muss sogleich darauf hingewiesen
werden, dass hier nicht die leiseste Spur von einem die Heroensage betreffenden
Inhalt erscheint. Wenn demnach Ode und Antodos der Parabase als Dithyraml)us
angesprochen werden dürfen, so haben wir hier einen von erzählenden Elementtm
freien, rein lyrischen, strophisch gegliederten Dithyrambus, eine Anrufung des
Gottes, dem Inhalt nach ähnlich dem ele'ischen Weibergesang und dem Solo-
Phaleslied des Dikaiopolis.
Nach dieser Analyse hat man sich den poetischen Teil der altgriechischen,
ländlichen, noch nicht in die Staatsreligion aufgenommenen Feier für den bärtigen
Bauerngott (dies ist ja der Typus in der Kunst bis auf Praxiteles herunter) so
vorzustellen: der i)rinntiv maskierte (Pherecrat. fr. 185 K.; Aristoph. fr. 253 K.)
Chor der Bauern, in zwei ^[xt,x6pia geteilt (Couat, Melanges Weil 40 f.), tritt
zum Altar des Gottes und ruft ihn herbei in einem stroi)hischen Lied. Dann
tritt einer aus den Vermummten hervor und macht in stichisclien Trochäen oder
Iaml)en die Schnitzelbank (xpi^oxa ty] uoXet, Xiyeiv, uapaivecv Ar. ran. 398 f. 69(i ;
vesp. 651). Weiterer Munnnenschanz schloss sich jedenfalls an. Es ist eine
Feier, noch frei von den fremdländischen Einwirkungen aus Tlirakien und IMiry-
*) Die Ilozpiclimiii,^: „lamhoii" ist in (Iciii erweiterten Sinn .n'enieint, in dem sie die
antike tlranunatilv hrauclit.
— Ki —
jiicii , lue spütcr den alten |{:iui'rnkiilt untrr niystisclu'ii l'liautasmrii iiikI theo-
lojiisclu'U DopiiKMi vcifxrahcn haben.
Was wir von luusisclien Veranst.iltnn'ien im lleioenkult wissen,
ist nicht elien viel, weil das ionische Kptts diesen Knlt i;:noriert und ans (iriinden
poetischer Wahrscheinlichkeit (es schildert Ja die lleroi-n lehend. he vor sie (le-
}:?enstand des Kultes waren) ifiiiorieren luuss. die hieher ^ehöri^e altdorische Chor-
lyrik alter uns fast ^anz verloren ist; indessen i.st was wir wissen, doch ausreichend,
um eine Vorstellung zu ^'ehen. Der Verstorbene aus adeligem (leblüt erhält /u-
nächst eine Bes tattun«isfeier mit j:Cros.sein Pomp; nach ionischer Sitte wird
ein OpY^o; ihm zu Khrcn von ]5erufss;inj;ern aus^feführt. denen der Chor klajiender
W»'iber respondiert (U. 12 72»i; etwas anders Aesch. Sept. h;J2 ti'.j. Dem Iidialt
nach muss ein solcher Opf/zo? von Anfang an eine Art eyxwii'.ov *) «jewe.sen sein:
ein STw'.xüjJL^io; aivoj eu' av5p: 0£:(o (Aesch. A*r. 1548 N. ; avT^p GeIo; = V,pu); ganz
im dorischen Sinn: Aristot. eth. Nie. \ 11. 1 j». 1145a 29); die jüngere C'hor-
lyrik hat der Gattung, wie bekannt, neuen Geist eingebla.sen. Den Einzelenko-
mien in aristokratischen Staaten entsprechen die KoUektivenkomien späterer Zeit
in den demokratischen für l>ürger. die im Krieg pro patria gefallen waren. Von
der letzteren Sorte bietet uns das erste ßeispiel Simonides fr. 4 I'.gk.'. in der
(■horode auf die Toten von Thermoitylä ; an Stelle der Oden sind dann seit Schaf-
fung der Kunstprosa im Zeitalter der Sojihistik die Xdyoi iTziziy.'j: getreten. Von
einem Öpf^vo; i7ziz'j\i^ioq alten Stils findet mau bei Aschylus (C'hoeph. .■i45 ti". N.)
das l)este vollständige Beispiel. Die Geschwister singen ihn unter Beteiligung
des Chors auf dem Grab des Vaters, als wiire dieser soeben erst bestattet, wie
er es für das Gefühl des neu aus der Fremde angekommenen Orestes wirklich
ist. Die Sitte hat sich auch bei der Leichenfeier lakonischer Könige erhalten,
deren Ceremoniell in uralte Zeiten zurückreicht (Rohde P.syche I* 165) und sie
ist in jirunkvollster Weise, mit barbarischer Überladung erneuert worden bei der
Leichenfeier, die Artemisia für ihren Gemahl Maussolos veranstaltete. In der
Schilderung der Bestattungsfeier für die Könige in Sparta sagt Ilerodot VI. 5h:
o:p.ü)yf^ 5ia/p£ü)via'. dTiXiio), cpäjjtevo', xiv Oaxatov a-iei a-0Y£v6|XiV0v xwv ßaT.ASwv.
toOtov 5e yevEaOai apiaxov. Maw wird auch dabei wohl an Chorgesänge zu denken
*) Der Ausilrurk zeigt, «lass solche laiules clarorum viroriiiii, wi»> man sie an ilm
Gräliern ffrossor Toten sang, anch bei den Gelagen, ev y.ä);i&i;, zur Unterhaltung und Anfeuerung
vorgetragen wurden (I'ind. Ol, X, 7.'i f. itloi-o li räv t£(xevo; T£_o-va;7t OaX;at; tov £y/.u)u:ov iuzii
Tpörov), wie I)ei den alten Römern (Cato bei Cic. Tusc. I, 2, 3; IV, 2, 3; ('ir. Brut. 7.'»;
Varro hei Non. s. v. assa voce). Über Heroenlieder in Sknlienform Dknekks in Roschers
myth. Lex. I, 2, 2ri03, 47 f.
— 17 —
haben. *) Plato in den Gesetzen (XII, 947 B f.) scliliesst in seiner Schiklernng der
Bestattung eines heroisierten apiaxeug mit chorlyrisclien Lobpreisungen (an Stelle
der ^ppoi) an bestehende (dorische?) Gebräuche an. Auch das nordische Altertum
kennt ähnlichen Brauch, wie man im Beowulf, bei der Schilderung von Beowulfs
Bestattung (v. 3187 ff. der Übersetzung von M. Heyne) liest: zwölf Kdelinge ritten
um den Grabhügel und
„in Kummer klagten sie, den König lobend,
in wahrem Spruche sagten sie vom Helden,
verküfideteu sein ritterliches Wesen
und priesen mächtig seine Heldenthaten."
Nimmt man dazu die in geschichtlicher Zeit freilich eigenartig modifizierte
altrömische laudatio funebris, '^*) so sieht man, dass es sich um eine indogerma-
nische Sitte handelt, und man wird die Bedeutung dieser Totenklagen für Fixie-
rung von Form und Inhalt der Heldensage und ihren Eiiitiuss auf das älteste
Epos (z. P). auch auf Schaffung des Vorrats lobender Beiwörter für die Helden)
nicht leicht hoch genug veranschlagen können.
Ob der poetische dywv um den besten Hymnus (auf den Verstorbenen), in
dem Hesiod (op. (554 ff.) einen Dreifuss als Preis gewann, von den Söhnen des
Amphidamas in Chalkis bei der Bestattungsfeier für ihren Vater oder bei einer
*) Die Frage darf hier wenigstens aufgeworfen werden, in welclieiu I\[etruni diese
Heroengesiinge gehalten gewesen sein mögen, die Frage nacli dein ursprünglichen [Aerpov fjptöov.
Die Alten verstehen darunter meist (Amsel, Breslauer philolog. Ahhandlungen I, ;}, 79) einen
Vers aus lauter Spondeen (Beispiele bei Demetr. de eloc. 42. 117), den Terpander (Procl.
ehrest, p. 245, 7 Westphal) gebraucht haben soll. Als sechsfüssiger Langvers wird er bei
Demetr, de eloc. 204 charakterisiert. Ob aber dieses [i-eipov äppuO|j.ov der volkstümlichen He-
roenpoesie angehört habe, ist doch sehr fraglich. Für diese möchte man eher an das Mass
xai' evöjiXtov denken, dessen Verständnis F. Blass (Neue Jahrbücher für Philol. und Pädag.
138, 456 und praef. edit. Bacchylid.'- p. XXXIII ff.) aufgeschlossen hat. Freilich könnte die
Ehythmisierung auch bei verschiedenen Stämmen verschieden gewesen sein. Die enoplischen
Rhythmen aber waren wohl mit der ev6nXio; öp/^Tjai? verbunden, die zur Hei'oenfeier trefflich
passt. Lässt man den epischen Hexameter aus Zusammenfügung von zwei enoplischen Metra
entstanden sein (Bergk, kl. philol. Schriften II, 392 ff. hätte bei richtiger Kenntnis des Be-
griffs evönXio; auf diese Auffassung kommen müssen), so niüsste man eine allmähliche rhyth-
mische Umdeutung (und denn auch Umbildung) des ursprünglichen Tetrameters aus e?iar,;j.oi
in einen Hexameter aus TeTpicjTijxot, etwa unter dem Einfluss der daktylischen Nomenpoesie
und -musik, annehmen. Den Alten ist die, wenn man so sagen darf, rhythmische Homony-
mität der Hexameterform /.a-' svö-Xiov immer gegenwärtig geblieben. Ein Beispiel ähnlicher
rhythmischer Umdeutung behandelt Hephaestio cap. 13. Auch das ,,£voo;&v ejikjuvOetov oittev-
07)ij.tti£pE; £Yx.(o;j.ic/XoY!/.öv" könnte, seinem Namen nach, hierhergehören (Hephacst. p. 51, 10 ff.
Westphal),
**) Über die germanische Sitte fasst sich Tacit. Germ. 27 allzu kurz.
3
— 18 —
Ennnermiixsfcier für den Vi'istorlti'iu'n /u «lenken sei, ist nirlit siclier. Dass ein
solcher ninsischer aywv schon hei den Leichenspielen seihst veranstaltet worden
sei, hielten jedenfalls die <Jranunatiker für niö«rlich, die II. '1' H8ft lasen xal
pT^}iOve; avSpe; äveaiav und einen aywv Tiou^nato? hei den 'AÜXa iizl UeV.y. durch
Akastos fiehalten sein Hessen (I'hit. synin. ((uaest. (iTö A: s. a. H<»hi»k kl. Sehr. I,
42, 1). Die dramatischen Aufführun<-'en hei den Leichenfeiern Vdrnehnier. Krie-
chenfreundlicher Künier im zweiten .lalirhiindert. die man aus der (beschichte des
Terenz kennt, sind Nachklang uralter griechischer Sitte.
Noch weniger wissen wir üher um s i s c h e I) a r h i e t u n g e n hei d e n
Erinnerungsfesten für die Heroen, Aher die Aufführung von Chor-
gesängeu hei diesen Gelegenheiten steht fest: wemi die Megaror in alter Zeit
verpflichtet waren, alljährlich (Hekker Aneed. p. 281, 30) einen Chor von 5(» Jüng-
lingen und Jungfrauen zur Hetrauerung «ler Verstorhenen aus dem IJakchiaden-
geschlecht ) nach Korinth zu schicken (Meyapewv oäxp-ja IJekk, Anecd, p. 2«1,
27 ff,; Paroeniiogr, Gr. I, 117: Schol. Find. Nem. XII extr,), so ver.steht sich
von seihst, dass dieser Chor hei der Gedächtnisfeier sich durch Gesang und Tanz
zu hethätigen hatte,**) Auf denselhen Gehrauch scheint Sojjhokles die Elektra
(280)*'-) mit Ironie anspielen zu lassen. FAn Enkomion auf den verstorhenen
Sportsniann Xenokrates von Akragas in Form einer ixietischen Epistel an dessen
Sohn Thrasyhulos liegt uns in Pindars zweiter isthmischer Ode vor: das Gedicht
ist ohne Zweifel für chorische Aufführung am Gedenktag hestimmt gewesen. Das
Andenken des Enagoras wird u. a. durch Chorauffüiirungen gefeiert (Isoer. Euag. 1 ).
Weitere Zeugnisse für Hymnen auf die Heroen sauiiuelt Denekex in Iloschers
mythol. Lexikon I, 2, 25(>3, 47 ff.). Besonders wichtig ist auch hiefür die schon
*) So in den Pindarscholien: twv Bav./taoöjv tl ti; TiXrjTrjaa'., tiii M-yapswv ävoia; xat yj-
val/jt; ^XOövia; £;; KöptvOov ajv/.r,o£Ü;'.v to'j; vj/.po'j; xäiv Bxx/'.aowv ; von Trauor um die aus Mefrara
stammende Frau eines Bakchiaden reden die Stellen bei Bekker Anecd. und in den I'aroemiogr.
♦*) ob die „Prozessionskinder" {■fJJko: werden sie genannt im Titel des Stückes von
Tliespis Suid. s. Bes-i; und in dem des bakcbylideiscben Dithyrambus: so heisst es auch
von den Megarern I'aroemiogr, 1, 1., sie hätten geschickt ;:as6Ev&j; zat y,i6£ou; to-j; asAXovTa;
a-jTOü TT.v Ou^aTEoa Opr,vr;a£'.v ; das Wort findet sich auch auf Inschriften wie der von Klaros
ed. Haussoullier Rev. de philol. X. S. XXII, 2.58: über die sekundäre Bedeutung' .unverhei-
ratet" s. riat. leg, 840 D; Wünsch, Gott. gel. Anz. 1899, 120 Z 7) des Minostributs, ge-
schichtlicli verstanden, einen Chor für ein kretisdies Götter- oder ein Ileroenfest Jiilcb'ten,
lässt sich nicht ausmachen. Bei Tlat. leg. XII 947 C funktionieren i^,;0£oi bei der Bestattungs-
feier eines heroisierten iptaTiü;, und ein Chor von 11 Mädchen und Knaben besorgt das eu-
oattiovi^Eiv wofj.
***) Sophokles erwähnt hier die auch von Plut. Act. Rom. p. 270 A bezeugten monat-
lichen Ilerot-nfeiern: gewöhnlicher sind die jährlichen (Dexekex in Roschers mytholog, Le-
xikon I, 2. 2.31.-1. 4 tr.).
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berührte Stelle des l^laton (leii;. XII, Ü47 E), der, uueli hier in utieiibareiu Au-
schluss an die bestehenden Formen des Heroenkultes, für die jährlichen Gedenk-
feiern zu Ehren der verstorbenen im Amt bewährten Euthynen einen aywv (jlou-
at,x6c und y\j\iviy.bq l7:7iiY.6q verordnet. Wer weiss, wie viel altes (Iriechenland
im neuen steckt, der wird in den Reigentänzen vor den Heiligenkapellen an den
Gedenktagen der Heiligen in Neugriechenland ein Rudiment alter Heroenverehrung
zu sehen geneigt sein; yopooiio'. lieisst noch jetzt der eingefriedigte Raum um
die Heiligenkapellen (Bkrnh. Schmidt, das Volksleben der Neugriechen I, 88).
Das Wichtigste aber, was wir über den nuisischen Teil des Heroenkultus
wissen, berichtet Herodot VI, 67. Auf dem Markt von Sekyon hatte Adrastos,
der Sohn des Talaos, ein Heroon ; er ist sonst in der Sage durchaus Argeier, und
sein Grabheiligtum in dem argosfeindlichen Sekyon ist wohl ebenso wie das des
Oidipus auf Kolonos als Schutz gegen den Landesfeind zu verstehen. Um so
befremdlicher nmss es erscheinen, dass nun Kleisthenes der Tyrann nach einem
Krieg mit Argos den Adrastos aus dem Lande wirft, dafür die Gebeine von
Adrastos' Feind Melanipi)Os aus Theben holen lässt und diese im Prytaneion*)
von Sekyon verwahrt. Der Krieg nuiss offenbar ein unglücklicher gewesen sein,
Adrastos nmss den Sekyoniern seine schützende Macht nicht bewährt haben, wenn
sich Kleisthenes einen solch frivolen Eingriff in religiöse Traditionen und Ein-
richtungen sollte erlauben dürfen, gegen den Spruch des delphischen Orakels und
die Stimmung seiner Unterthanen. ^'on diesen letzteren nun sagt Herodot, dass
sie den Adrastos ewGsaav [isyaXwax: xapta xLjjiäv und ihm zu Ehren „tragische
Chöre" aufführten Tipoc, xa TidOsa auxoö. Das heisst: dem alten Landesheros zu
Ehren versammelten sich die Lauern der Umgegend von Sekyon in ihrer Tracht
aus Bocksfellen**) (s. oben S. 12 Anm.) und sangen mit Tanz episch-lyrische
*) wie auch sonst üblicli: Deneken in Roschers mytliol. Lexik. I, 2, 2492.
**) Dadurch, dass man hier immer an Satyrvcrkleidung denkt, wird die P^rage nach
dem Ursprung der Tragödie nur verwirrt. Das Satyrspiel ist eine Sache für sich, allerdings
ein Produkt des nordöstlichen Peloponnes. Die Tragödie hat in Attika für sich allein exi-
stiert, hevor Pratinas das Satyrspiel brachte, das nacliher an die Tragödie angeschoben
wurde. Wenn Aristot. poet. 1449a 18 f. eine Ableitung der Tragödie aus dem Satyrspiel
andeutet, so macht er cin(> Konjektur, die seiner eigenen Auffassung 1449a 9 ff. widerspriclit.
Das Satyrspiel setzt auch seinem ganzen Charakter nach eine ernste Darstellung heroischer
Stoffe voraus, die es lustig umspielt. Seine Art ist parodistisch, ganz anders als die älteste
Komödie gewesen sein muss. In der frühesten -cpaYtoSia hat man den verächtlich tropisch
benannten Ciior der toayot, der epichoriscben Dauern; im Satyrspiel die Bockssatyrn, die jeden-
falls schon für Äschylus' l'rometlieus JiupxaEÜ; anzunehmen sind. Ob zwisclien beiden sach-
licher Zusammenhang oder blosse Namensgleiclilieit bestehe, können wir nicht mehr sicher
erkennen. — Die Notiz des Suid. s. v. 'Api'wv, dass Arion zuerst ilaiüpou? eJarJvsYxsv sjAptpa
3*
— 20 —
Lieder auf ihn. die sich der Art des Inlialts iiarli vülli;j; ^'edeckt lialieii ndisseii
mit den lialladeiiailiueii hitlix laiuheii . die dann im sechsten nnd fünften .lahr-
liundert (h'm hionysos /n Khren ^zesun^'eii wunh-n.
Die heikönnnlichen ^'ottesdienstlichon Kinrichfnniren änih-rte nun Kleisthe-
nes in der Weise al). <hiss er xop^*^? 1^^^'' "^'I^ A'.ovüao) ä7:£ocoxe, tt;v 0£ aX/.r/;
Ouafr^v MeXav'rtTC(|>. K. O. Ml'iiLKRs Foljierun^ aus dieser Stelle, dass Dionysos-
dienst in Std^yon s(lu)n vor Kleisthenes bestanden hätte, ist durch I.<»ni:(K
(Aszlaoiihamus »il(i f.) mit Hecht verworfen worden; aber zujiejieben werden muss,
dass llerodot mit seinem Ausdruck aTisSwxe, vom Standpunkt einer Zeit aus, in
der der Dionysosdienst all^iemein staatlich auerkannt war, einen schon vor Kleis-
thenes in Sekyon bestehenden Dionysoskult j^emeint hat;*) aber das ist eben
seine für uns nicht bindende Auffassung der kleisthenischen Anderunfi. Die
Adelsherrschaft, die der kleistlienischen Tyrannis vorausjiieniz , war f^ewiss kein
l'.oden für Verstaatliciuinji; der Dionysosreligitni , die dannüs nur als Sektenkult
im niederen \'(dk existiert haben kann. Was also Kleisthenes that, ist otfenbar
dieses: er nahm den Dionysoskult mit Choraufführungen unter die Stiiatskulte
auf, aber zunächst in einschränkender Weise, indem er ihn zu einem I'estandteil
eines von ihm neu eingerichteten Heroenkultes für Melauippos machte.^ Man
darf vielleicht in der Fähigkeit des Dionysoskultes zu solcher Angliederung an
staatlich anerkannte Kulte eine bezeichnende Eigentümlichkeit in der geschicht-
lichen Entwicklung desselben erkennen ; in Delphi ist ja ganz Ahidiches geschehen,
als Ajxdlon sich mit Dionysos in den Tempel teilte. '^*) Aber Kleisthenes war
nicht so kühn wie die delphische Triesterschaft, den Bauerngott mit seinem Anti-
])0(len religiös zu verbinden. Der Anschluss an den Heroendienst lag weit näher:
als r^p^oq wird ja Dionysos in dem elelscheu Lied angerufen, und seine Beziehungen
zu den Seelen der Abgeschiedenen, von denen die Heroen eine bevorzugte Klasse
bilden, sind bekannt (Iiohdk Tsyche II- 45, 1). Das Ergebnis von Kleisthenes'
Reform wird man sich praktisch etwa zu denken haben als ein zweitägiges Fest,
dessen erster Tag durch kyklische Chöre für Dionysos, der zweite durch tragische
d h. von einem ländlichen Chor vorgetragene Enkomien auf Melanipjxjs ausge-
füllt war, also ganz ähnlich den grossen Dionvsien in Athen (s. unten S. 24 f.).
X^vovia;, ist lediglich Produkt der litterarhistorischen Konstruktion, dir allos Drama aus dem
Satyrspiel ableitet, und sollte nicht als historisches Zeugnis angesprochen werden.
*) Dieselbe Auffassung bei Zenob. prov. V, 40 : tdiv /opwv e? io/ii; £!0i3ij.£v«üv oiOJsaaß&v
aSsiv £t5 ibv Atövj-ov, ol notr,Tai uaTspov ^xßivTe; Tf,v auvj{OEiav taüniv ATavia; xa\ K-viaupo-j; ^si^Eiv
ErE/Eipouv. Auch Wki.cker hält sie fest in seiner verunglückten Behandlung der Herodot-
»telle (Jriecli. (iottcrlebre I, 447 f.
**) Beispiele für Anschliessung von Hcrot-nkulten an Götterkulte s. Deneken a. a. 0.
2513, 52 ff.
— 21 —
Nun ist sehr bedeutsam, dass auch andere Tyrannen sich um Eintiihrun;;'
bezw. Hebung des Dionysoskultes bemüht haben. Korinth ist nach Pindar Ol.
XIII, 18 f. die Heimat der Atwvuaou obv ßorjXaxa ydpixeq oi.9upa[xß(p, des Rinder-
hirten-I)ithyrand)OS (s. oben S. 13 Anni.), d. h. des liauernchors auf Dionysos.
Hier lieü;t wirklich eine brauchbare historische Nachricht vor, eine freilich ver-
dunkelte Beziehunt; auf den geschichtlichen Teil der Legende, die von Arion und
Teriandros erzählt wird, während die abweichenden Angaben über die Her-
kunft des Ditliyrambus aus Naxos oder Theben, die der Dichter nach dem Sclio-
liasten zur angefülirten Stelle sonst machte, durchsichtige mythologische Auto-
schediasmen sind. Die Krzälilung des Herodot und Anderer (M. Schmidt dia-
tribe in dithyrambum lt)2; ('ßusius in Tauly-Wissowas Encyklopädie unter d. W.
Arion) über Arion lässt sicli zum einen Teil in typische Sagen- und Novellen-
motive auflösen :
1) Meersprung göttlicher Wesen (S. Wide in der Festschrift für 0. Benn-
DORF S. 13 if.),
2) wunderbare Rettung gottgeliebter Personen, l)esonders Künstler (Cic. tle
or. II, 352 ff.), ein Motiv, das mit dem ersten zu verknüi)fen nahelag, sobald die
Hypostase des Gottes für einen gewöhnlichen Sterblichen gehalten, der Meer-
sprung also als Lebensgefährdung verstanden wurde.*)
Der andere Teil der Legende ist gebildet durch zwei geschichtliche Züge,
einen generalisierten und einen individuellen. Dem Arion wird Lesbos, die Heimat
der Kitharodik zum Vaterland gegeben (eine künstlerische Verwandtschaftslinie
bilden Terpander und Arion bei Procl. ehrest, p. 245, 7 Westphal), und endlich
wird die nicht anzuzweifelnde Thatsache berichtet, dass unter Periandros in Ko-
rinth nicht etwa die ersten Dithyramben überhaupt, wohl aber die ersten Dithy-
rand)en einer neuen Art aufgeführt worden sind. Es erscheint mir nicht unmög-
lich, durch genaue Interi)retation des Überlieferten die wesentlichen Charakter-
züge dieses neuen korinthischen Dithyrambus herauszustellen. Arion ist in der
Erzählung deutlich als eine i-'igur des apollinischen Kreises gekennzeichnet. Damit
wird eine Beeinflussung des dionysischen Dithyrambus von Seiten der apollini-
schen ]Musik ausgedrückt. **) Hat eine solche Umgestaltung unter Periandros
*) Boi Ildt. I, 24 am Schliiss spielt aucli noch der (Icmcinphitz ilo sera iiuiuiiiis vin-
(licta lioroin. Ob Arion nach Anaki.i^io des Ibykos zum reisenden Virtuosen gemacht und
zwisclien (rrossgrieclienland uiul dem Mutterland hin- und herjfeschohen worden ist, könnte
muM trauen.
'■'*) Man mati an eine rliythmische ^loditilvation, etwa durch üeimischung der daktyli-
sclieii und pilonischen Maasse der apollinischen Nomen- und l'rosudienmusik zu den sechs-
— 22 —
statt}ii'fuii(l('ii. so hat sie siclicrlicli mit dessen Einverstüiidiiis (»der auf srine Vn-
anlassuii.-: Iiiii stattjiefundcii und kann schwerlicli anders denn als eine ViTcdliiu};
der Cliorauffühnmi^'cn im Dionysosdienst erklärt werden. Ks liefet nahe, an di-
rekte oder indirekte Kintiiisse V(»n Delplii aus zu denken, wo damals die Ver-
liindunj: des .V^cdlon mit Dionysos bereits vollzojfen war. .ViMdJon ma^i die .Vuf-
nalime seines delpliisehen (lenossen in den Staatsknlt in Koiintli emi)fohlen*) und
sie um so eher durehjiesetzt haben, wenn Periandros auch sonst (irund hatte,
dem hionysosdienst freundlich fiefienüberzustehen.
.Vnerkannt ist endlich das Interesse des Peisi Stratos für den landlichen
(Jott und die Thätijikeit orphischer Theolo}ien am Peisistratideidiof. Die erste
Trajiödie ist unter Peisistratos bei den städtischen Dionysien in Athen im Jahr
534 antVefühit worden. Den Zu.sammenhan«i zwischen Peisistratos' Politik und
seiner Pe^iünstifzun^; der Dionysosreliirion hat schon Welcker (Nachtrag z. Schrift
über die äschyl. Tril. 248 fi.) erkannt.
Diese Beispiele genüfien, um die Beliauptung zu bepründen, dass Bestre-
bnuiien zu Gunsten des Dionysosdienstes für die }:riechiscli«'n
Tyrannen seit .Vus^ianfi des siebenten Jahrhunderts v. Chr. cha-
rakteristisch sind;*') sie jjehen auf Pjubeziehung des Kultes in die Staat.s-
religipn und auf seine künstlerische Veredlung, zum Teil wohl auch auf seine
theologische „Vertiefung", wenn man das so nemien will.
(iründe, welche die Tyrannen zu solcher Protektion eines volkstihnliclien
Dienstes bestimmt haben, kaiui man sich unschwer denken. Auf den Schultern
des niederen Volkes hatten sie sich zur Herrschaft aufgeschwungen und die Vor-
macht des .Vdels gebrochen. Die Stimmung des Adels zur Zeit der Tyrannis
kennen wir aus Theognis, und die zähe Energie, die von den Adelichen einge-
setzt wurde, die alte Oligarchie wiederherzustellen, aus der Geschichte des Pei-
sistratos. Der Sturz der Peisistratiden war nicht, wie die im athenischen Volk
getiissentlich verbreitete Legende es darstellte, ein Werk des Volkes, sondeni des
Adels: wie wäre die Revolution in .Vthen sonst von Sparta aus unterstützt wor-
den? Um nun eine Herrschaft ohne Tradition gegen Restaurationen zu sichern,
zeitifion altdionysischon Rliythnien, und, mit Moritz Schmidt (diatribe in (lithyrambuni p. 178),
au Eiufuliruuj; der Lyra als Begleitunpsinstrument neben dem Aulos denken. Seit dem Ende
des sechsten .lalirhunderts wurde jedenfalls auch die Lyra zum Dithyrambus gespielt, nach
der Vase Annali di-Il' instituto di corr. arcli. 182H tav. E, 2 und dorn Skolion bei .Vtli. .\V j». Ö95c
£tOe Xüpa zaAT; -(i'to'.^r,'* EXcSavrivT],
XX. U.I xaXoi naloi; OcioiEv Atovüs'.ov e; yosöv.
*) KonPK l'syche IL .54 f.
*♦) Darauf weist, nach Welckers Vorgang, auch M. Schmidt diatribe in dithyr. 188 bin.
— 23 —
hat man sich öfter in der Geschichte religiöser Einrichtungen bedient. Die aus-
einanderstre])enden Elemente der Regierten sollen in einem allgemeinen Bekenntnis
zu einer dem neuen Herrscher gegenüber möglichst gleichartigen Masse zusam-
mengeschmolzen ^Yerden. So hat Alexander der Grosse sich selbst zum Einheits-
gott des jungen westöstlichen AVeltreichs gemacht; die Ptolemäer und die römi-
schen Kaiser ahmten ihn nach; sie alle knüpfen an einesteils an orientalische
Anschauung, andernteils an den noch immer in griechischen Landen ungeheuer
fest wurzelnden Heroenkult, der gerade in der Zeit eines völlig entgötterten Ratio-
nalismus wieder neite Nahrung linden musste. Bemerkenswert ist, wie auch in
diesen religiös-politischen Organisationen seit Alexander wieder Dionysos, als der
Gott, der keine Schranken der Stände und der Nationen kennt, seine bedeut-
same Rolle spielt. In den hellenistischen Reichen tritt sein Kult in den Vorder-
grund, und gern gaben sich die Könige als veoi Aiovuao!. (Welcki<;r, griecli.
Götterlehre II, 624 f.; III, 311). Auch an die Reform des Tarquinius Superbus
darf hier erinnert werden, der, vermutlich in der Methode ein Schüler seiner
griechischen Kollegen, den Juppiter Capitolinus zum Schinnherrn der Gesamt-
gemeinde aus Patriciern und Plebejern machte. In demselben Sinn sind die
erwähnten j\Iassregeln der griechischen Tyrannen zu verstehen. Sie kombinieren
Götter- und Ileroenkult zn einer neuen, Siim und Gemüt tief ergreifenden, für
alle Stände gleichermassen annehmbaren Staatsreligion. Dionysos war der Gott
der Partei, durch die sich die Tyrannis getragen waisste, und die Ausbreitung
seines Dienstes wurde zur Zeit der Tyrannis auch von Delphi aus schwunghaft
betrieben (Rohde, Psyche a. a. 0.). Durch Aufnahme dieses Gottes unter die
Gemeindegötter versicherte sich also die Tyrannis auch der Gunst der Priester-
schaft von Delphi, die so wenig als die römische Curie ihre Interessen mit irgend
einer bestimmten Yerfassungsform solidarisch erklären mochte. Was Herodot V, 67
erzählt, ist wahrscheinlich so zu verstehen, dass Kleisthenes das delphische Orakel,
das er zuerst durch Bedrohung eines Heroenkultes abgestossen hatte, durch eine
Konzession an Dionysos wieder zu gewinnen suchte.
Schwierigkeiten nuisste es al)er machen, den Adel für die Verehrung des
Bauerngottes zu gewinnen und zur Beteiligung an jenen Chorgesängen zu stimmen,
für die er vorher nur ])eschimpfende und höhnische Bezeichnungen gehabt hatte.
Die Religion des Adels ist naturgemäss der Heroeid^ult, der aber schon in der
epischen Darstellung sinnreich mit genealogischer Methode in den Götterkult ein-
gegliedert erscheint: £x ok Aiög ßaa^Xf^e^. In den aristokratisch regierten dori-
schen Ländern hat es der Heroendienst, an den die Klientel der Adelichen all-
mählich gewöhnt wurde, zu einer grossen Volkstündichkeit gebracht; das lehren
— 24 —
ji'iit' Iluldi'iimircn der Dorfbcvölkcrunji ;in die Heroen in den Tpay.xol x^P'-*-*
Die Laiidi'slicneii Micbcn im (ilaiiben des Volkes, was sie hei ihren Lehzeiten
gewesen waren. Schützer des Landes, auch nach ihrem Tod. So wird daihirch.
dass die Ahnen der aik'liclien (leschlechter zufileieii ßaa-.Xf^es sind, (h-r I'aniilicn-
kult zum politisciien. Ks war also ein überaus klujies Verfahren, wenn die Ty-
rannen in die neue Kinheitsrelii^ion für die hislun* ^'etrennten Stände auch ein
ohnehin populäres Klement der Adelsreligion aufnahmen. Das niafi der Form
nach an verschiedenen Orten in verschiedener Weise {j;eschehen sein. Wie es
Kleisthenes angritt', wissen wir aus Herodot. Aber auch aus der attischen Iteli-
flioiisgeschichte lässt sich durch Analyse der Gebräuche an den „älteren Diony-
sien" (Thuc. II, 15, 4), d. h. den Anthesterien , noch ein Zeugnis für die .\n-
knüpfung wenigstens des Seelenkultes, von dem ja der Heroenkult ein Teil ist.
an den Dionysoskult gewinnen: der dritte Tag des Festes, der Tag der Xuipo-.,
ist bekanntlich der attische AUerseclentag, an dessen Schluss die xfjpe; au.sge-
trieben werden. Es ist aber wahrscheinlich, dass dieser Tag ursprünglich, vor
Einrichtung der grossen städtischen Dionysien, die si)äterhin in kyklischen und
tragischen Chören grossartige Huldigungen an die Heroen darboten, noch weitere
Elemente des Heroendienstes enthalten hat, und dass man in dem vom Iiedner
Lykurg erneuten /'Jtpivo; dywv, der später zur blossen Probe herabgesunken ist,
ein Rudiment früherer vollständigerer Choraufführungen zu sehen hat. Aus der
Stellung der yuTpot am Schluss des dreitägigen Festes darf aber geschlossen wer-
den, dass sie nicht zum ältesten Bestand desselben gehören. Das älteste Stück
des Festes wird der rein vulgäre erste Tag der niBo'ly.a, der Tag des Zechens
gewesen sein. Der zweite Tag bringt die merkwürdige Ceremonie der Vermäh-
lung der von den 14 yepapai geleiteten Basilinna mit Dionysos im ältesten Dio-
nysosheiligtum ev At^ivai?. Die Deutung dieser Symbolik ist für die Geschichte
des attischen Dionysosdienstes von grösster Wichtigkeit und bietet sich, nach dem
oben Ausgeführten, leicht dar: es drückt sich hier das geschichtliche Ereignis
der Condescendenz des alten attischen Adels zu dem Bauerngott, die religiöse
Aussöhnung und F'.inigung der Stände aus.*) Was auf diese Huldigung der Ge-
schlechter an Dionysos, als Gegenstück, organischerweise folgen sollte, eine Ver-
herrlichung der Heroen, das ist in der athenischen Festordnung vom sechsten
Jahrhundert an abgetrennt und in das jüngste und prächtigste Dionysosfest im
Elaphebolion hinübergeschoben. In diesem letzteren erreicht, verbunden mit <ler
Heroenverehrung, die Dionysosreligion ihre höchste, vornehmste künstlerische
*) Welcher, priech. Gottorlehre II, 647 f. verlniut sidi das Vorstämliiis der Ceremonie
dadurch, dass er hiuter der Basiliuua die Koro sucht.
— 25 —
Entfaltiinji". Als die grossen Dionysien eingerichtet wnrden, ist von ihnen zu-
nächst alles, was den alten Bauernspässen ähnlich war, völlig ferngehalten wor-
den: fast bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts war die Komödie von diesem
mit feierlich-ernstem Pomp ausgestatteten Feste ausgeschlossen. Dem Namen
nach ein Fest des Dionysos, war es der Sache nach vorwiegend ein Fest der
Heroen, der grossen übermenschlichen Seelen der Vorzeit, deren Thaten und
Leiden*) in erzählenden Balladen und bald auch in leibhaftiger Verkörperung **)
den Hörenden und Schauenden vorgeführt wurden: von den fünf Tagen des Festes
sind mindestens vier 'der lyrischen und dramatischen Darstellung der Heldensage
gewidmet gewesen.
Die dramatischen Keime, die in ^lusik uuii Orchestik des Heroendithyrambus,
den xpay^xo: x°P°'' liV-<^n, sind hier voll ausgewachsen. Der lyrische Dionysos-
dithyrambus ist von ihnen abgetrennt, an den Anfang des Festes gestellt. Dass
bei den künstlerischen Darstellungen der Heroensage zunächst in jedem Lande
die Laudeslieroen allein berücksichtigt wurden, erscheint naturgemäss. Das Be-
streben, die Tragödienstofte wenigstens zu der Landesgeschichte in engere
Beziehung zu setzen, ist bei den attischen Tragikern offenkundig und gewiss nicht
l)loss als Chauvinismus und Liebedienerei gegen das Publikum aufzufassen, viel-
melir aus der Entstehungsgeschichte der Tragödie zu erklären. Einen patrioti-
schen Schluss hat Äschylus' Orestie; ebenso muss ihn die Promethie gehallt
haben. Auch der erhaltene Schluss der thebanischen Trilogie in den Sieben
gegen Theben gewinnt im Zusammenhang dieser Betrachtungen eine neue Be-
leuchtung. Von der Sagenversion der sophokle'ischen Antigene wussten die Zu-
hörer des Äschylus nichts; aber geläufig war ihnen die in Aschylus' Eleusiniern
*) was Plut. de E ap. Delph. p. 389 A von öiOüpajj.ßi/.a p.s'Xrj r.adÖj'j [jieaTa zat jJLeiaßoX^;
-A3(vr,v Ttvä /.ai o'.ayopr,aiv r/oüarj? sagt, bezieht sich auf Leiden des Dionysos selbst und auf
den Inhalt der Dithyramben im mystischen Sektendienst für Dionysos, der vom staatlichen
Kult wesentlich verschieden ist.
**) Die Erhöhung und Verbreiterung der Gestalt der Tragöden durch Kothurn, Aus-
polsterung, Maske ist keineswegs aus Rücksicht auf schwache Augen fernsitzender Zuschauer,
sondern lediglich daraus zu erklären, dass man die Heroen auf der Bühne so vorstellte, wie
man sich ihr wirkliches Aussehen dachte, d. h. in übermenschlicher Grösse, nicht allein
moralisch (Aristot. Eth. Xicom. VII, 1 p. 1145a 19 ff.), sondern auch physisch (Rohdb; Psyche I-
161, 1); denn riesenhaft dachte man sie sich, ähnlicli an Wuchs den Göttern (Hom. II. il 519;
Dio Chrys. XXXI, 91). Die xoXoaaoi der griechischen Plastik verdanken ihre Entstehung dem
reinsten Realismus der Vorstellung, der auch in den Heroenreliefs (Deneken in Roschers
mytholog. Lexik. I, 2, 2499. 2567 ff.) zu Tage tritt. Die Kostümierung der tragischen He-
roen des attischen Theaters ist zwar nicht direkte Quelle für unsere Kenntnis der Tracht
„mykenischer" Zeit, aber doch der Vorstellungen, die man sich, violleicht auf Grund mancher
echten Traditionen, im sechsten Jahrhundert von der Tracht der Heroen gebildet hatte.
4
— 2(i —
auf (lif r>iiliiie {jobiaclite Gfschiclitc. «ler /iifoljic Tliesous dii; liestattmi;: der \uv
TlielK'ii jzofalk'iK'ii Arpeier, also auch des INdyiidkes durclisct/t. I>rr Schluss
der Sit'ln'u war für das Publikiiiii des Ascliylus ein verstiiiidliclicr Hinweis auf
den ritterlitluMi attiscliL'U Landoslieros, der auch die mit I-ussen ^^(;trl'teln'll Hechte
der Familie und der Pietät zu Ehren hriufren und den Kla^'eu und Dndiuuiien
eines seliwachen Mädchens Nachdruck verschaffen wird. Sojdiokles. von den dici
Traiiikern am meisten reiner Künstler, sdioh den Theseus bei Seite, stellte An-
tijione auf ei^'ene Füsse und schuf den wundervollen Typus der Helden Jungfrau,
den Kuripides hald nachahmt, bald kritisiert. Was aber Aschylus mit dem Schluss
der Sieben andeutete, liegt in Euripides 'Hixioec, in voller Ausführung vor. .Vhn-
liche Hindeutuugen auf Lösungen in attischem Gebiet hat Furiiiides in den l'liö-
missen. der Medea und dem Orestes, während er in der taiirischen Ii»higenie, den
Schutztlehenden, den Ilerakliden, im Ion, im rasenden Herakles dem attischen
Genius loci unverhüllte ()i)fer bringt und im Ilippolytos wenigstens ein Stück
aus der (Jeschichte des attischen Landesheros verarbeitet. Der Stoffkreis der
Tragödie verbreitete sich aber ül)er die Landessage und die umnittelbar angren-
zenden Gebiete hinaus auf Grund der von dem Epos genährten Vorstellung, dass
alle Heroen zusammen eine grosse Familie bilden. So erhalten die Aufführungen
an den städtischen Dionysien anstatt des ejjichorisch-religiösen Charakters inniier
mehr einen allgemein ästhetisch-ethischen.
Welch grosse Bedeutung übrigens auch die junge attische Demokratie dem
Heroenkult beilegte, das zeigt die Auswahl der zehn Eiionymlieroen aus der Zahl
der hundert „apyr^yetai" für die zehn kleisthenischen Phylen, bei der die Pythia
iissistierte (Aristot. Athen, resp. 21, 6).
Zu dem Postulat, das ol)en aufgestellt worden ist (S. 11), sind nun die hi-
storischeu Aidialtspunkte gefunden. Heroenballade und Dionysoslied, von Hause
aus getrennte Gattungen, sind infolge einer durch politische Berechnung ins Werk
gesetzten religiösen Neuerung, einer Kombination von Heroen- und Dionysoskult
um das Jahr Gou v. Chr. zusammengerückt worden. So entstand die neue (iat-
tung des Heroendithyrambus, in /weckbestinnnung, Inhalt und rhythmi.schem Bau
noch deutlich als Mischform erkemibar. Archilochos hat sie schwerlich schon
gekannt: ihm ist Dithyrambus noch der öjjlvo; xXTjxtxds auf Dionysos, eine Gat-
tung, die sich auch neben dem Hero('ndithyrand)Us im Kultus fortwährend ge-
halten hat. I)ithyrand)us lieisst seit jener Beform jeder beim staatlichen Dio-
nysosfest gesungene Chor, auch das Heroenenkomion. das nun die Form des ver-
edelten strophisdien Dionysosgesanges annahm. Der üd^ax/o; (Procl. chrestom.
— 27 —
p. 246, 5 Westphal; S. Wide, :Mitteiluiigen des atlieu. Instit. XIX, 266, 1)
scheint ziiiii privaten Sektenkult für Dionysos zu gehören.
Litteratur- und religionsgeschichtlich bildet der Heroendithyrambus ein
wichtiges Mittelglied zwischen Epos und Tragödie. Als der Glanz des recitierten
Heldenepos, das mehr und mehr in konventionelle Phrasenmacherei ausartete und
in manchen homerischen Hymnen wie in der Ratrachoniyomachie schon lange vor
Hegemon von Thasos parodiert wird, zu verblassen antieng, griffen geniale Dichter,
voran Stesichoros, in den Schatz der volkstündichen dorischen Heroenballaden
hinein, durcli lyrischen Schwung und musikalisches Feuer*) die Gestalten der
alten Heroen und damit den Heroenglauben neu zu beleben. Es wäre wunderbar,
wenn nicht die delphische Priesterschaft, überall bemüht, den Heroenkult zu för-
dern und zu verbreiten (Rohde, Psych. I, 177 ff.), diese poetischen Bestrebungen
mit Teilnahme verfolgt und sie kräftig unterstützt hätte. Schwerlich ist sie un-
beteiligt gewesen, als um die Wende des siebenten und sechsten Jahrhunderts
die Tyrannis sich mit ihren religösen Reformen trug und aus einem ländlichen
Sektendienst und einer adelichen Fandlienreligion , die al)er für die Klientel des
Adels die Bedeutung einer Landesreligion erhalten hatte, jene neuen Einheitskulte
schuf, die uns wenigstens in Sekyon und Athen noch deutlich erkennbar sind,
während wir, den erhaltenen Zeugnissen nach, für Korinth nur von einer künst-
lerischen Hebung des alten ländlichen Dionysosdienstes und seiner Aufnahme in
die Staatsreligion reden können. P'^ingegliedert in die nun staatlich anerkannte
und regulierte dionysische Religion, mit höherem Glanz umgeben durcli den neuen
Heroeiidithyraml)us schien die Heroenverehrung bestimmt, einen mächtigen Faktor
in <lcm religiösen Leben der jungen Gesamtgemeinden zu bilden. Aber je mehr
die ionische aocpt'yj, **) seit Anfang des sechsten Jahrhunderts, die Augen der Men-
schen auf die umgebende Natur und das Leben der Gegenwart richtete, desto
mehr sank Interesse und Verständnis für die Welt der vorzeitlichen Übermen-
schen. Den letzten und grossartigsten Versuch, dieser Welt ergreifende Wirk-
lichkeit und damit Kraft sittlicher Piinwirkung auf Denken, Fühlen und Wollen
der Gegenwart zu geben, wagt nun die attische Tragödie, und unter iiiren Ver-
tretern hat Sophokles in seiner nicht genug zu bewundernden Schlichtheit die
Kunst, jene grossen Seelen und ihr Handeln und Leiden dem Zeitalter der So-
*) schon die Iloiiicrkdiniiositioncn dos Terpandros (l'lut. de mus. 3) tfcdiiircii in dioson
ZusaiiinuMiliantj, sind aber jedenfalls, wie dessen vÖ[j.oi, für den Solovortrag hestininit gewesen.
*•'•) ihr Ideal wird schon in der Odyssee aufgerichtet, und den Gegensat/ zwischen
aosia und ij.:yaXoJ/u/Ja hat Ilcrodot schon deutlich l)ezeichnet (II, l(i7. 172; III, 85. 127),
Sophokles in Aias, Antigone und IMiilnktet in voller Scharfe durchgeführt (s. hes. Soph. J]l.
1089; l'hiloct. 119. 124(5).
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pljistik j;l;uil)h;ift zu inaclu'ii, am besten veistaiideii: er ist der Meister der He-
roenpsyelioloi^'ie. Eiirii»i(les ersetzt die ideal walire Übennenscldichkeit dureli pe-
steifjerte Leidenschaft: seine Helden sind nicht wirklich «iross, sondern von ^'e-
wöhnliehen Dimensionen; aber er bhist sie durch rhetorische Mittel zu einer
Schein.iirösse auf und lenkt das Interesse vom Psycludofiischen auf die äusseren
Ver\vicklun!J:en der Ilandlunjz ab; so hat er die zwar bühnenwirksame, aberinner-
lich uninöjjliche Zwitteniattun;: der bürgerlichen Heroeutrafiödie fieschatlen . die
mit innerer Notwendifikeit in die neue Komödie sich autlösen musste.
Seine Trauersjjiele zusammen mit der ernüchterten Auffassunji des Ileroen-
zeitalters in der Archiiolojiie des Thukydides bezeujien uns am klarsten den Si«'fi
des sophistischen Rationalismus und den Untergang des Ileroenglaubens in der
gebildeten (Tesellschaft.
Der jungattische Dithyramluis wendet sich nicht mehr an eine (Icnicindc
von Gläubigen, sondern von ilstli«tischen Feinschmeckern.
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